Vorklassik

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Als Vorklassik (auch Frühklassik) wird in der Musik der erste Übergang des Kompositionsstils zwischen den Epochen des Barocks und der Wiener Klassik bezeichnet. Er kann zeitlich auf das Musikschaffen von Komponisten um 1730 bis 1760/70 angesetzt werden. Die Bezeichnung ist wissenschaftlich umstritten, basiert sie doch auf einem teleologischen Verständnis von Geschichte in Stufenfolgen und nimmt der bezeichneten Epoche ihre Eigenheit und ihren Eigenwert.

Stilwende am Beispiel einiger Komponisten

Die Musik Händels geht noch kaum über den Stil des Spätbarock hinaus (etwa 1710–1750), Bach hingegen bewegt sich teilweise in seinem Spätwerk bereits auf die Frühklassik zu. Der mit Händel fast gleichaltrige Pietro Castrucci – ein Konzertmeister Händels in London – „wagte“ es bereits, unübliche Ideen und Überraschungseffekte in seine Kompositionen einzubauen.

Auch Bachs Söhne werden mehrheitlich der Vorklassik zugerechnet. Der junge Mozart soll Impulse vom befreundeten Johann Christian Bach erhalten haben, und nicht umgekehrt.

Als weiter in die Zukunft führendes Bindeglied von der Vorklassik zur Klassik – und sogar zur Romantik – wird oft Antonio Salieri genannt. Der Zeitgenosse Mozarts und Gründer der Wiener Musikfreunde-Gesellschaft war der gefeierte Nachfolger des vorklassischen Opern-Reformers C.W. Gluck.

Wiener Vorklassik und Zuordnung zu Barock bzw. Klassik

Die wichtigsten Vertreter der „Wiener Vorklassik“ sind zwei Komponisten, deren Alter und Bedeutung ähnlich ist: Georg Christoph Wagenseil und Georg Matthias Monn. Sie wollen die Strenge des Spätbarock und seinen „Schwulst“ auflösen und dem freieren, anmutigen „Style galant“ zum Durchbruch verhelfen.

Noch bekannter als Matthias Georg Monn (auch Mann genannt), der immerhin auch berühmter Organist und Musiklehrer war, ist jedoch dessen Schüler Johann Georg Albrechtsberger. Er ist zwar ein exakter Zeitgenosse Joseph Haydns, dem ersten Vertreter der Wiener Klassik, steht diesem aber an Ideenreichtum noch nach.

Manche Festspiele oder Konzertreihen ordnen die Vorklassik bereits der Klassischen Musik zu, doch etwas häufiger werden ihre Werke gemeinsam mit solchen der Barockmusik aufgeführt. Dies erfolgt meist unter dem Namen „Alte Musik“. Bekannt für diese Kombination sind u. a. das Händel-Festspielorchester in Halle und die Berliner Barock-Compagney. Mit der Klassik kombiniert werden z. B. oft der Concentus Musicus Wien oder das Ensemble Camerata Köln bzw. Freiburg.

Einige Zeichen des Stilwandels

Die Stil-Merkmale der Vorklassik werden unterschiedlich beschrieben und die gesetzten Epochengrenzen differieren über 10 Jahre. Oft wird auf das etwa zeitgleiche Rokoko verwiesen, denn auch der neue „galante Stil“ will sich anmutig-leicht vom „barocken Schwulst“ abheben.

Teilweise wird die Vorklassik als Übergang, teilweise als eigene Stilrichtung gesehen. So meint die Camerata Köln zur Klaviermusik Carl Philipp Emanuel Bachs (1714–1788): „[…] gemeinhin als Vor- oder Frühklassik bezeichnet, tatsächlich aber eigentlich keine vorbereitende Stufe zum klassischen Stil, sondern eigenständigen Charakter […] mit eigensinnigen musikalischen Gedanken.“ Für Gotthold Ephraim Lessing waren das „musikalische Ungeheuer“, für Schubart „Bizarrerie“.

Die Vorklassiker der Mannheimer Schule können dem Stil der Empfindsamkeit zugerechnet werden. Sie bevorzugen eher den homophonen Satz, eine kontrastierende Gestaltung der musikalischen Einfälle und Themen, die eher symmetrisch angelegt sind, sowie idiomatische Melodiefloskeln.

Das Frankfurter Konzert „Wege zur Klassik“ (7. Dezember 2003, Vivaldi, Stamitz usw.) interessiert sich besonders „für jene noch immer wenig erschlossene Grauzone im Umfeld Wolfgang Amadeus Mozarts, speziell auch für das „Niemandsland“ zwischen Spätbarock und Frühklassik […] wie sehr sich schon Bachs Söhne von der Ästhetik und dem Stil ihres Vaters fortentwickelt hatten“, dessen Musikalisches Opfer und Fugen zuletzt „nicht mehr den herrschenden Musikgeschmack“ bediente. Der junge Mozart soll Impulse vom befreundeten Johann Christian Bach erhalten haben, und nicht umgekehrt.

Eine Neuerung ist auch die „Mannheimer Rakete“, deren Dynamik in einem sich rasch steigernden Crescendo-Ausbruch besteht. Später erhält die im Barock noch starre Terrassendynamik noch weitere Zwischenstufen wie sforzando oder diminuendo.

Außerhalb Deutschlands und Österreichs ist der Zeitraum der allfälligen Vorklassik etwas versetzt, z. B. in Böhmen um ein bis zwei Jahrzehnte. Auch die Pariser Opern von Gluck (um 1775) werden eher der Vorklassik zugeordnet.

Generell wird in der frühen Klassik statt des polyphonen Geflechts selbständiger Stimmen die oben aufliegende Melodie zur hauptsächlichen Trägerin des Ausdrucks. Die lineare Satztechnik wird durch eine vertikale abgelöst, die Harmoniebildung ersetzt den Kontrapunkt.

Die bekanntesten Komponisten sind Giovanni Battista Pergolesi, die Söhne von J. S. Bach, Christoph Willibald Gluck, Johann Stamitz, und Leopold Mozart. Ähnliches gilt für die Literatur. Hier geht der Weimarer Klassik der Sturm und Drang und die Frühklassik (1773–1789) voraus.

Die Bachsöhne, Vivaldi und die „Galanterien“

Der Epochenwandel vom Barock zur Vorklassik zeigt sich konzentriert in der Generation der Bachsöhne. Der dicht polyphone „gelehrte Stil“ (stile grave) wurde durch einen durchsichtig homophonen „galanten Stil“ (stile galante) abgelöst. Selbst Vater Bach nannte seine 1731 veröffentlichten Partiten für Klavier „Galanterien“, was seine Weiterentwicklung auf diesen Stil hin andeutet.

Dieser 1730 einsetzende Stilwandel zum „Style galant“ machte auch Antonio Vivaldi bewusst, dass seine Kompositionen an Attraktivität verloren. Deshalb zog er im Alter von 63 Jahren nach Wien, um Unterstützung bei Karl VI., der Ende 1740 starb, zu suchen. Doch war Vivaldi kein Jahr mehr vergönnt: Der einstmals bekannteste Musiker Europas starb 1741 völlig unbeachtet von der Musikwelt und wurde in einem Armengrab beigesetzt. An dieser Stelle, dem jetzigen Hauptgebäude der TU Wien, erinnert eine Gedenktafel an die Berühmtheit, die sich dem neuen Stil verschloss.

Zusammenfassung: Barock (bis 1750) gegen Klassik (1770–1830)

Während das Barock der musikalischen Form mindestens die gleiche Bedeutung zumisst wie dem Inhalt, beginnt die Vorklassik diese Relation aufzulösen. Das konzertante Prinzip (Wetteifern von Stimmen oder Instrumenten) bleibt zwar wichtig, wird aber durch zunehmend originelle Ideen angereichert – was schließlich in der Klassik kulminiert. Die bisherigen Orchestersätze, die im Barock vom Generalbass dominiert waren, weichen einer dem Melodieverlauf näheren Harmonik.

Von den im Barock bevorzugten musikalischen Formen – wie Passacaglia, Chaconne, Fuge, Sonate, Solokonzert, Suiten, Kantate und Passion – verlieren einige an Bedeutung. In der Hochklassik dominieren Streichquartette, Sinfonien und (Solo-)Konzerte, was sich bei der um 1750 gegründeten Mannheimer Schule (Stamitz 1717–1757, Ignaz Holzbauer 1711–1783, F.X. Richter 1709–1789 et al.) und der Wiener Schule schon abzeichnet. Erstere schafft die klassische Form des Sonatensatzes und der Sinfonie, letztere (mit Wagenseil und Monn) betont in der Sonatenform das zweite Thema und die Durchführung, was dann Haydn zur Meisterschaft entwickelt.

In der Wiener Klassik (ca. 1780–1830) wird die strenge Polyphonie des Barock endgültig aufgebrochen, eine Verlagerung vom kirchlichen zum weltlichen Raum findet statt, und die Kontraste nehmen zu: extreme Tempowechsel, Sopran versus Bass, wechselnde Dynamik, überraschende Klangeffekte wie in Haydns „Sinfonie mit dem Paukenschlag“. Die Kompositionen haben einfachere Harmonik und streben nun klare, gefällige Formen an.

Siehe auch

Literatur

  • Peter Rummenhöller: Die musikalische Vorklassik. Kulturhistorische und musikgeschichtliche Grundrisse zur Musik im 18. Jahrhundert zwischen Barock und Klassik. Deutscher Taschenbuch-Verlag, München / Bärenreiter, Kassel 1983, ISBN 3-423-04410-1 (dtv) bzw. ISBN 3-7618-4410-7 (Bärenreiter)

Weblinks


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