Ophiten

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Die Anbetung der Schlange, Hellenistische Alabasterschale, 22 cm Durchmesser

Die Ophiten oder Ophianer (von griech. ὄφις, Ophis, „Schlange“) und Naassener (von hebr. נָחָשׁ nachasch, „Schlange“) waren gnostische Sekten der frühchristlichen Zeit im 2. Jahrhundert, die in ihren Kulten die Paradiesesschlange als göttliches Wesen verehrten. Sie brachte die göttlichen Erkenntnis (nach 1 Mos 3,5 EU), aber auch die Verderbnis. Den Naassener galt die Schlange als die alles belebende Weltseele. Die Kainiten verehrten sie, weil sie die Menschheit von der Knechtschaft des Schöpfergottes Jahve bzw. Jaldabaoth befreit habe.

Lehre

Einen Grundriss der Anschauungen der Naassener zeichnete Hippolyt von Rom in seiner Widerlegung aller Häresien:.

„Es drängt die Zeit, an die Behandlung des Themas zu gehen und mit denen zu beginnen, die sich unterfingen, die Schlange, die Urheberin des Irrtums, mit Worten, die sie selbst erfand, zu feiern. Die ersten Priester und die Hauptvertreter dieser Lehre waren die sogenannten Naassener; sie heißen so nach dem hebräischen „Naas“, Schlange. Später nannten sie sich Gnostiker, da sie behaupteten, allein die Tiefen (der Weisheit) zu kennen. Von ihnen zweigten viele ab, und die einheitliche Irrlehre wurde vielspältig, indem mit verschiedenen Worten dasselbe dargelegt wurde, wie sich im Verlauf der Erörterung zeigen wird. Als (Prinzip) des Alls verehren sie den „Menschen“ und den „Menschensohn“. Dieser Mensch ist mannweiblich; sie nennen ihn Adam; es gibt viele mannigfaltige Loblieder auf ihn; diese Loblieder lauten kurz gefaßt ungefähr so: „Von dir Vater und durch dich Mutter, die zwei unsterblichen Namen, der Welten Eltern, du Himmelsbürger, hochgepriesener Mensch.“ Sie nehmen in bezug auf ihn, wie in bezug auf Geryones, eine Dreiteilung an. Denn an ihm, sagen sie, ist ein rationeller, ein psychischer und ein stofflicher Teil. Sie glauben, ihn zu erkennen sei der Anfang der Gotteserkenntnis und sagen: „Anfang der Vollkommenheit — Kenntnis des Menschen, Gotteserkenntnis — vollkommene Vollendung.“ All dies aber, das Rationelle, das Psychische und das Stoffliche ist vereint auf einen Menschen, Jesus, den Sohn Mariens, herabgekommen. Und diese drei Menschen sprachen zugleich, jeder aus seinem eigenen Wesen heraus, zu den Seinigen. Denn es gibt dreierlei Wesen im Weltall: engelhafte, psychische, stoffliche, und drei Kirchen: die engelhafte, die psychische und die stoffliche; ihre Namen sind: die Auserwählte, die Berufene und die Gefangene.“

Hippolyt von Rom: Widerlegung aller Häresien, V. Buch, 6 [1]

Der Schlangenkult

Epiphanios von Salamis berichtet über den Schlangenkult in seiner sehr polemischen „Hausapotheke gegen die Schlangenbisse der Häresie“:

„Sie halten nämlich eine natürliche Schlange und ziehen sie in einem Behälter auf, die sie zur Zeit ihrer Mysterien aus dem Schlupfwinkel hervorholen, und während sie Brote auf einem Tisch anhäufen, rufen sie ebendiese Schlange herbei; wenn nun der Schlupfwinkel geöffnet ist, kommt sie hervor. Und wenn so die Schlange vermöge ihrer Weisheit und Klugheit herbeikommt und schon deren Dummheit erkennt, geht sie auf den Tisch und wälzt sich in den Broten. Und dies, sagen sie, sei das vollkommene Opfer. Und dann, wie ich von jemandem gehört habe, brechen sie nicht nur die Brote, in denen sich die Schlange gewälzt hat, und teilen sie an die Kommunizierenden aus, sondern jeder küßt auch die Schlange mit dem Munde, da die Schlange durch einen magischen Beschwörungsgesang zahm gemacht worden ist oder das Tier durch eine andere teuflische Kraft zu ihrer Täuschung milde gemacht worden ist. Sie werfen sich also vor diesem nieder und nennen dies Eucharistie, die das geworden ist durch sie [die Schlange], die sich herumgewälzt hat, und indem sie dann dem oberen Vater durch sie [die Schlange], wie sie sagen, einen Hymnus emporsenden, vollenden sie so ihre Mysterien.“

Epiphanios: Panarion haer. XXVI,4.5[1]

Ophitendiagramm

Die Kosmologie der Ophiten

Das Ophitendiagramm (rekonstruiert von Hans Leisegang 1955)

Das Diagramm der Ophianer ist eine beschriftete schematische Zeichnung, die tiefere Einblicke in die Kosmologie der Ophiten gibt. Die Zeichnung ist allerdings verschollen. Der Platoniker Celsus (griech. Κέλσος Kélsos), der auch die älteste bekannte Streitschrift gegen das Christentum verfasst hat, gab eine Beschreibung des Diagramms, die aber ebenfalls nicht erhalten ist und nur aus der Gegenschrift Contra Celsum des Origenes erschlossen werden kann. Origenes schreibt:

„In diesem Diagramm "waren zehn Kreise gezeichnet, die von einander geschieden, aber durch einen Kreis verbunden waren", der als die Seele aller Dinge bezeichnet und Leviathan genannt wurde. Von diesem Leviathan sagen die jüdischen Schriften mit irgendeiner geheimnisvollen Andeutung, dass er von Gott geschaffen worden sei zu einem "Spielzeug". Denn in den Psalmen fanden wir die Stelle: "Alles hast du in Weisheit geschaffen; die Erde ist erfüllt von deinen Geschöpfen. Dies ist das große und weite Meer; daselbst gehen die Schiffe, da sind kleine und große Tiere, da ist dieser Drache, den du geschaffen hast, um mit ihn zu spielen". Statt drakon steht im Hebräischen Leviathan. Obgleich der Prophet sonach offenbar von dem Leviathan nichts Gutes sagt, so bezeichnete ihn doch das gottlose Diagramm als die Seele, welche alle Dinge durchdringt. Wir fanden darauf auch den Namen des Behemon, gleichsam nach dem untersten Kreise aufgestellt. Diesen Leviathan aber hat der Verfertiger jenes abscheulichen Diagramms auf dem Rand und auf dem Mittelpunkt des Kreises aufgeschrieben, seinen Namen also zweimal angebracht.
Celsus gibt ferner noch an, "das Diagramm sei durch einen schwarzen dicken Strich in zwei Teile geschieden, und dieser Strich heiße dort die Gehenna, die auch Tartaros sei."

Origenes: Contra Celsum VI, 25 [2]

Als Ouroborosschlange (von griech. οὐροβóρος „Schwanzfresser“) umwindet Leviathan das niedere Reich der sieben Planetensphären, die von sieben Dämonen beherrscht werden. Ähnlich wird im kabalistischen Sefer Jetzira die Himmelsschlange Teli (hebr. תלי, geringelt ?) beschrieben. Leviathan ist zugleich der Herr und König der geschaffenen Welt und die Weltseele, die alle Dinge durchdringt.

Nach der Rekonstruktion von Hans Leisegang[2] ist der äußerster Kreis das Reich des Vaters. Wie der darunter sich anschließende Kreis des Sohnes besteht er aus reinem Geist (Pneuma). Diese beiden Kreise werden durch einen kleinen Kreis verbunden, der die göttliche Liebe (Agape) darstellt.

Anschließend an die beiden äußeren Kreise folgen nun als „Zwischenreich“ zwei weitere, seelisch-geistige Kreise: der gelbe Kreis des göttlichen Lichts und der blaue Kreis der Finsternis, der als Himmelsgewölbe jenseits der Fixsternsphäre liegt und mit der in der Bibel genannten «Feste» (1 Mos 1,6 LUT) identisch sein dürfte. Der gelbe und der blaue Kreis sind wieder durch einen kleinen Kreis verbunden, der das Reich der «Sophia» repräsentiert. Von hier entspringen die Keime des „Lebens“, d.h. die „lebendige Seele“ des Menschen. In den Sophia-Kreis ist in der Zeichnung Leisegangs noch eine Raute mit zwei kleinen, einander überschneidenden Kreisen eingeschrieben (siehe Zeichnung). In horizontaler Richtung liest man die Worte «Vorsehung der Sophia», vertikal steht «Natur der Sophia». Im oberen Kreis steht «Gnosis» (Erkenntnis), im unteren «Synesis» (Einsicht).

An das blaue Himmelsgewölbe schließt sich innen der Tierkreis - als „Achtheit“ - an. Hier ist auch das Paradies (in der Zeichnung als Rechteck dargestellt) mit dem Baum der Erkenntnis und dem Baum des Lebens angesiedelt. Das «flammende, sich drehende Schwert» scheidet das Paradies von der Fixsternsphäre.

„Wir fanden aber in unserem Diagramm auch das, was Celsus "viereckige Figur" nannte, und was jene Unglücklichen bei den Toren des Paradieses sagen. " Das Flammenschwert" war darauf abgebildet als Durchmesser eines feurigen Kreises, gleichsam als hielte es Wache bei "dem Baume der Erkenntnis und des Lebens"Referenzfehler: Ungültige Verwendung von <ref>: Der Parameter „ref“ ohne Namen muss einen Inhalt haben.

Origenes: Contra Celsum VI, 33 [3]

Dann folgt, wie schon erwähnt, Leviathan, der als Himmelsschlange die böse Welt der Planetensphären umschließt und die höhere und die nieder Welt voneinander trennt - und zugleich verbindet. Im Zentrum steht die Erde, deren unterer Teil der Tartaros, die Unterwelt, ist. Umgeben ist die Erde von einem Luftkreis, der bis an die Mondensphäre heranreicht. Hier, im Reich der niederen Begierden, vergleichbar dem Kamaloka, herrscht Behemoth.

Sieben Archonten, die sieben herrschenden Dämonen, regieren die Hebdomas (griech. εβδομάς, Siebenheit), die niedere Welt der Planetensphären.

„Im folgenden nimmt dann Celsus wieder die Lehre von "den sieben herrschenden Dämonen" auf, die nirgends von den Christen genannt, sondern wie ich glaube, von den Ophianern angenommen werden. In der Tat haben wir auf dem Diagramm, das wir uns ihretwegen verschafften, dieselbe Ordnung beobachtet gefunden, welche Celsus angegeben hat. Celsus sagt nun, "der erste sei nach dem Aussehen eines Löwen gestaltet," ohne anzugeben, wie ihn diese wahrhaft gottlosen Leute benennen. Wir aber fanden, dass der in den heiligen Schriften gepriesene Engel des Schöpfers in jenem abscheulichen Diagramm als Michael der Löwengestaltige bezeichnet wurde. "Der zweite in der Reihe ist" nach des Celsus Angabe, "ein Stier" das Diagramm, das uns vorlag, bezeichnete den Suriel, den stierähnlichen. "Der dritte ist" nach der Versicherung des Celsus, "ein gewisses Doppelwesen, das schauerlich zischt". Das Diagramm aber sagte vom dritten, er sei Raphael, der drachenartige. "Der vierte hat" nach der Behauptung des Celsus, "die Gestalt eines Adlers"; das Diagramm aber sprach von Gabriel, dem adlerähnlichen. "Der fünfte", sagt dann Celsus, "hat das Gesicht eines Bären", das Diagramm aber nannte den Thauthabaoth, den bärenartigen. Dann sagt Celsus, "vom, sechsten würde berichtet, dass er bei jenen das Gesicht eines Hundes habe"; das Diagramm dagegen behauptete, er sei Erathaoth. "Von dem siebenten" gibt dann Celsus an, dass er "das Gesicht eines Esels habe und Thaphabaoth oder Onoel genannt werde"; wir haben in dem Diagramm gefunden, dass dieser Onoel oder Thartharaoth genannt wird und wie ein Esel gestaltet ist.“

Origenes: Contra Celsum VI, 30 [4]

An der Spitze der Archonten steht der Schöpfer der niederen planetarischen Welt, der löwengestaltige Demiurg Jaldabaoth, der in der Saturnsphäre residiert. Es folgen Jao (Jupiter), Sabaoth (Mars), Astaphaios (Venus), Ailoaios (Merkur) und zuletzt Horaios, der Herr der Mondsphäre. Die Sonnensphäre erwähnt Origenes nicht; von Jaldaboath heißt es aber, dass er der erste und der siebente sei.

„"Du aber, der du der erste und siebente bist, dazu geboren, mit Selbstvertrauen zu gebieten, Jaldabaoth, herrschendes Wort des reinen Verstandes, vollkommenes Werk für Sohn und Vater, indem ich in dem Gepräge eines Bildes das Sinnbild des Lebens heranbringe, habe ich der Welt das Tor geöffnet, welches du für deine Zeit geschlossen hattest, und gehe wiederum frei vorbei an deiner Macht. Die Gnade sei mit mir, ja Vater, sie sei mit mir!" Dieser Herrscher mit der Löwengestalt steht nach ihrer Versicherung mit dem Stern Phainon[3] in Beziehung.

Wer dann den Jaldabaoth hinter sich hat und bei dem Jao[4] angekommen ist, von dem glauben sie, dass er sprechen müsse: "Du aber, Jao, Herrscher über die verborgenen Geheimnisse des Sohnes und Vaters, der du leuchtest zur Nachtzeit, du zweiter und erster, Fürst des Todes, von dem Unschuldigen ein Teil, indem ich dir jetzt die eigene ergebene Gesinnung als Sinnbild bringe, bin ich bereit, an deinem Reich vorüberzugehen. Du hast den durch dich Gewordenen mit lebendigem Worte gekräftigt. Die Gnade sei mit mir, Vater, sie sei mit mir!" Darauf[5] den Sabaoth[6] , den man, wie sie glauben so anreden muß: "Herrscher des fünften Reiches, Fürst Sabaoth, Verteidiger des Gesetzes deiner Schöpfung, die durch Gnade befreit wird, durch eine mächtigere Pentas, sieh das tadellose Sinnbild deiner Kunst, im Bilde eines Abdpucks bewahrt, einen Leib durch die Pentas befreit, und laß mich vorbeiziehn! Die Gnade sei mit mir, Vater, sei mit mir!" ...Sodann[7] den Astaphaios[8] , den man nach ihrer Meinung folgendermaßen anzusprechen hat: "Astaphaios, Herrscher des dritten Tores, Hüter der Urquelle des Wassers, sieh mich an als einen Geweihten, der durch den Geist der Jungfrau gereinigt ist, und laß mich vorbei, der du das Wesen der Welt schaust. Die Gnade sei mit mir, Vater, sie sei mit mir!" Nach diesem[9] den Ailoaios[10] , zu dem man, wie sie meinen, solche Worte sagen muß: "Ailoaios, Herrscher des zweiten Tores, laß mich vorbei, ich bringe dir das Sonnbild deiner Mutter, die Gnade, die in den Kräften der Mächte verborgen ist. Die Gnade sei mit mir, Vater, sie sei mit mir!" Als letzten nennen sie den Horaios[11] und meinen zu ihm sprechen zu müssen: "Der du furchtlos den Wall des Feuers überschritten und die Herrschaft über das erste Tor erhalten hast, Horaios, laß mich vorbei! Denn du siehst das Sinnbild deiner Macht gestürzt durch das Bild des Baumes des Lebens, ein Abbild, das nach der Ähnlichkeit mit dem Unschuldigen genommen ist. Die Gnade sei mit mir, Vater, sie sei mit mir!"“

Origenes: Contra Celsum VI, 31 [5]

Nach Celsus sollen auch einige Menschen in archontische Gestalten übergegangen sein:

„Celsus bringt hierauf noch andere Fabeln vor: "gewisse Menschen gingen angeblich in die archontischen Gestalten über, so dass die einen Löwen würden, andere aber Stiere, und andere Drachen oder Adler oder Bären oder Hunde".“

Origenes: Contra Celsum VI, 33 [6]

Anmerkungen

  1. Epiphanios: Panarion haer. XXVI,4.5; übers. nach H. Leisegang: Gnosis (1985), S.190-192
  2. vgl. dazu: Rudolph, S 77ff
  3. Saturn
  4. Jupiter
  5. nennen sie
  6. Mars
  7. nennen sie
  8. Venus
  9. nennen sie
  10. Merkur
  11. Mond

Literatur

  1. Hans Jonas: Gnosis uns spätantiker Geist I, Vandenhoeck u. Ruprecht, Göttingen 1934, 1964, 1988 ISBN 978-3525531235
  2. Hans Leisegang: Die Gnosis. A. Kröner, Leipzig 1924. 2. Auflage 1936. 5. Auflage, Kröner, Stuttgart 1985. ISBN 3-520-03205-8
  3. Kurt Rudolph: Die Gnosis. Wesen und Geschichte einer spätantiken Religion, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2005 ISBN 3-525-52110-3