Kontrapunkt und Requiem: Unterschied zwischen den Seiten

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'''Kontrapunkt''' bezeichnet ursprünglich
Das '''Requiem''' (Mehrzahl ''die Requiems'', regional auch ''die Requien''<ref>gemäß Duden, siehe auch [[wikt:Requiem|Wiktionary-Eintrag]]</ref>), liturgisch '''Missa pro defunctis''' („Messe für die Verstorbenen“), auch '''Sterbeamt''', ist die [[heilige Messe]] für Verstorbene. Der Begriff bezeichnet sowohl die [[Liturgie]] der heiligen Messe bei der [[Kirchliche Begräbnisfeier|Begräbnisfeier]] der [[Römisch-katholische Kirche|katholischen Kirche]] als auch [[Kirchenmusik|kirchenmusikalische]] Kompositionen für das [[Memorialwesen|Totengedenken]]. Er leitet sich vom [[Incipit]] des [[Introitus (Gesang)|Introitus]] ''Requiem aeternam dona eis, Domine'' („Ewige ''Ruhe'' schenke ihnen, o Herr“) ab. Das [[Proprium (Liturgie)|Proprium]] der Liturgie des Requiems entspricht dem des [[Allerseelen]]tages.
* eine Lehre, mehrstimmige Musik zu organisieren, die ab dem 14.&nbsp;Jahrhundert ausgehend von Frankreich und Italien überliefert und weiterentwickelt worden ist,
* die Anwendung dieser Lehre in [[Improvisation]] und [[Komposition (Musik)|Komposition]] und
* deren Ergebnis (also eine Stimme oder einen mehrstimmigen Satz, die im Sinne der Lehre gemacht worden sind).
Das Wort entstammt dem lateinischen Ausdruck „punctum contra punctum ponere“:
{{Zitat|lang=la|Text=Contrapunctus non est nisi punctum contra punctum ponere vel notam contra notam ponere vel facere, et est fundamentum discantus.|Autor=Anon.|Quelle=''Cum notum sit'', um 1350.|Übersetzung=Kontrapunkt ist nichts anderes, als einen Punkt [sprich: eine Note] gegen einen Punkt zu setzen oder zu machen, und er ist das Fundament des Discantus.}}
Ab der zweiten Hälfte des 17.&nbsp;Jahrhunderts wird der Begriff auch in einem weiteren Sinne als Stilbegriff verwendet. Dies hat u.&nbsp;a. dazu geführt, dass ‚Kontrapunkt‘ häufig mit ‚[[Polyphonie]]‘ gleichgesetzt wird.


== Prinzipien ==
Das von einem [[Bischof]] oder [[Inful|infulierten Abt]] gefeierte Requiem wird [[Pontifikalamt|Pontifikalrequiem]] genannt.
=== Note-gegen-Note-Satz ===
Die praktische Frage, der sich die Kontrapunktlehre zunächst widmet, lautet: Wie soll zu einer vorhandenen Tonfolge (dem sogenannten [[Cantus firmus]] oder ''Cantus prius factus'', z.&nbsp;B. einem [[Gregorianischer Choral|gregorianischen Choral]]) eine Gegenstimme improvisiert oder komponiert werden?


Grundlegend ist dabei eine Unterteilung der Intervalle in drei Kategorien: [[Konsonanz und Dissonanz#Kontrapunktlehre|vollkommene Konsonanzen, unvollkommene Konsonanzen und Dissonanzen]]. Gemäß dem Ausdruck „''punctum contra punctum ponere''“ konzentrieren sich die ältesten Kontrapunkttraktate darüber hinaus ausschließlich auf den Note-gegen-Note-Satz und schließen Dissonanzen dabei aus. Für die beiden anderen Kategorien gelten jeweils bestimmte Gebote und Verbote. So schreibt der einflussreiche Traktat ''Quilibet affectans'' (um 1330, [[Johannes de Muris]] zugeschrieben) vor:<ref>Sachs 1984, S.&nbsp;180.</ref>
== Das Requiem in der katholischen Liturgie ==
* Abschnitte müssen mit einer vollkommenen Konsonanz beginnen und schließen.
[[Datei:Strasbourg crypte de la cathédrale Notre Dame messe de Requiem 2013 07.JPG|mini|Requiem in der Krypta des Straßburger Münsters]]
* Vollkommene Konsonanzen dürfen nicht parallel geführt werden.
Das [[Proprium (Liturgie)|Proprium]] der Totenmesse wurde im Gefolge des [[Konzil von Trient|Konzils von Trient]] (1545) festgelegt und durch die [[apostolische Konstitution]] ''[[Sacrosanctum Concilium]]'' des [[Zweites Vatikanisches Konzil|Zweiten Vatikanischen Konzils]] geringfügig verändert. Der liturgische Ablauf eines Requiems gleicht dem der heiligen Messe an [[Werktag]]en in Bußzeiten ([[Advent]], [[Fastenzeit]]). Das [[Gloria]], das für freudige und festliche Anlässe vorgesehen ist, und das [[Credo]] der [[Sonntag]]e und [[Fest (Liturgie)|Feste]] entfallen. Das [[Halleluja]] wird durch einen [[Tractus]] ersetzt, dem sich früher noch die [[Sequenz (Hymnus)|Sequenz]] ''[[Dies irae]]'' anschloss; diese ist nicht mehr fester Bestandteil des Requiems.
* Wird eine vollkommene Konsonanz in gerader Bewegung erreicht (also durch eine später so genannte [[verdeckte Parallele]]), muss eine Stimme dabei per Sekundschritt fortschreiten.
* Unvollkommene Konsonanzen sollten nicht mehr als viermal direkt nacheinander parallel geführt werden.
Besonders empfohlen werden außerdem Fortschreitungen zur nächstgelegenen Konsonanz, durch [[Gegenbewegung]] und mit [[Sekunde (Musik)|Sekundschritten]] in beiden Stimmen. Zwecks Abwechslung kann freilich häufig mindestens eine dieser Empfehlungen nicht berücksichtigt werden.


'''Beispiel:''' [[Ludovico Zacconi]]: ''Prattica di musica''. Bd.&nbsp;2. Venedig 1622, S.&nbsp;69 (Cantus firmus in der Unterstimme):
Das Proprium der Totenmesse außerhalb der [[Fastenzeit]] sieht folgendermaßen aus:
# [[Introitus (Gesang)|Introitus]]: ''Requiem aeternam dona eis, Domine''.
# [[Graduale]]: ''Requiem aeternam dona eis, Domine''.
# [[Tractus]]: ''[[Absolve domine]]''
# [[Offertorium]]: ''[[Domine Jesu Christe]]''
# [[Communio (Liturgie)|Communio]]: ''[[Lux aeterna]]''


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Das [[Agnus Dei]] hatte vor der [[Liturgiereform]] 1970 eine gegenüber dem Text des [[Ordinarium]]s abweichende Fassung. Statt des zweimaligen ''miserere nobis'' und des ''dona nobis pacem'' wurde im Requiem früher dreimal ''Agnus Dei, qui tollis peccata mundi, dona eis requiem'' gesungen, beim dritten Mal wurde dieser Zeile ein ''sempiternam'' zur Bekräftigung angefügt. Begründet war diese Abweichung durch den Gedanken, dass die Heilswirkung der Totenmesse allein den Verstorbenen zukommen sollte, weshalb das Gebet nicht den Betenden selbst („Erbarme Dich ''unser''“) zugewendet wird, sondern den Toten („Gib ''ihnen'' die (ewige) Ruhe“). Auch andere Abweichungen (etwa der Wegfall des Schlusssegens) hatten darin ihre Begründung. Heute wird das Agnus Dei auch im Requiem in der Fassung des Ordinariums gesungen.
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In den Eingangsworten ''Requiem aeternam dona eis, Domine'' kommt der Charakter der Totenmesse, das Flehen der Lebenden für das Seelenheil der Verstorbenen, zum Ausdruck. Als erstes Stück des musikalischen [[Proprium (Liturgie)|Messpropriums]] wurde der Introitus von den Komponisten meist mitvertont, ebenfalls das Offertorium, im Gegensatz zur Sequenz, die aus verschiedenen Gründen (Zeit, Umfang) gelegentlich verkürzt oder ganz weggelassen wird.
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[[Datei:Requiem aeternam (Introitus).jpg|mini|Der Introitus ''Requiem aeternam'' im [[Wikipedia:Liber Usualis|Liber Usualis]]]]
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! Originaltext (Latein) || Übersetzter Text
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|- align="left" style="vertical-align:top"
|<poem>
'''I. Introitus'''
Requiem aeternam dona eis, Domine:
et lux perpetua luceat eis.
Te decet hymnus, Deus, in Sion,
et tibi reddetur votum in Jerusalem:
exaudi orationem meam,
ad te omnis caro veniet.
Requiem aeternam dona eis Domine …
</poem>
|<poem>


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Herr, gib ihnen die ewige Ruhe,
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und das ewige Licht leuchte ihnen.
    \new Staff = "upper" \upper
Dir gebührt Lob, Herr, auf dem Zion,
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Dir erfüllt man Gelübde in Jerusalem.
  >>
Erhöre mein Gebet;
  \layout {
zu Dir kommt alles Fleisch.
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Herr, gib ihnen die ewige Ruhe …
      \Score
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|-
    }
|<poem>'''II. Graduale'''
  }
Requiem aeternam dona eis, Domine:
  \midi { }
et lux perpetua luceat eis.
}
In memoria aeterna erit justus:
</score>
ab auditione mala non timebit.
</poem>
|<poem>


=== Dissonanzen ===
Herr, gib ihnen die ewige Ruhe,
Indem nun in der Gegenstimme mittels kürzerer Notenwerte und überwiegend schrittweiser Bewegung Sprünge ausgefüllt und Schritte umspielt werden, ergibt sich eine vielfältigere Satzart, die auch Dissonanzen enthält. Diese werden aber zunächst kaum näher thematisiert, sondern geraten erst durch [[Johannes Tinctoris]] (1477) ausdrücklich ins Blickfeld der Lehre. Dieser erweitert die Bedeutung des Worts ''contrapunctus'', indem er die Satzart Note gegen Note, also den ‚Kontrapunkt‘ im ursprünglichen Sinne, als ''contrapunctus simplex'' (einfacher Kontrapunkt) bezeichnet, und ihm den ''contrapunctus diminutus'' (verkleinerter Kontrapunkt) gegenüberstellt.
und das ewige Licht leuchte ihnen.
In ewigem Gedenken lebt der Gerechte fort:
vor Unglücksbotschaft braucht er nicht zu bangen.</poem>
|}


Tinctoris fordert, dass Dissonanzen „maßvoll“ (''cum ratione moderata'') verwendet werden,<ref>Tinctoris 1477, Buch&nbsp;2, Kap.&nbsp;23.</ref> indem sie entweder auf unbetonter Taktposition stehen und schrittweise erreicht und verlassen werden (also als [[Durchgangsnote|Durchgangs-]] oder [[Wechselnote]]n gelten können), oder aber als [[Synkopendissonanz]], bevorzugt unmittelbar vor Kadenzen, verwendet werden. Abspringende Nebennoten sollen von einem Terzsprung gefolgt (die später so genannten [[Wechselnote#Fuxsche Wechselnote|Fuxschen Wechselnoten]]) und sparsam verwendet werden.<ref>Tinctoris 1477, Buch&nbsp;2, Kap.&nbsp;32.</ref>
== Das Requiem in der Musik ==
In alten Requiem-Kompositionen ist der dazugehörige, unbegleitete und einstimmige [[Gregorianischer Choral|gregorianische Choral]] Grundlage der Komposition, so auch noch bei [[Alessandro Scarlatti]] und selbst [[Wolfgang Amadeus Mozart]] (Zitat des [[Tonus peregrinus]] im ersten Satz ''(Requiem aeternam)'' zum Text ''Te decet Hymnus deus in Sion'' (Sopransolo)). Das Requiem von [[Maurice Duruflé]] basiert auf gregorianischen Melodien. [[Altuğ Ünlü]] hat in den ersten Satz seines Requiems das gregorianische [[Graduale]] ''Clamaverunt justi'' der [[Zeit im Jahreskreis]] integriert.


In seiner Lehre der Dissonanzbehandlung orientiert sich Tinctoris an Kompositionen von u.&nbsp;a. [[John Dunstable]], [[Guillaume Dufay]], [[Gilles Binchois]] und [[Johannes Ockeghem]], die für ihn eine neue Epoche eingeläutet haben.<ref>Siehe Tinctoris: ''Proportionale musices'', um 1472–1475 ([http://www.chmtl.indiana.edu/tml/15th/TINPRO online]).</ref>
In der Regel bestehen Vertonungen des Requiems aus der folgenden Satzfolge, bei denen sowohl Texte des [[Proprium (Liturgie)|Propriums]] als auch des [[Ordinarium]]s vertont werden:
# [[Introitus (Gesang)|Introitus]]: ''Requiem aeternam dona eis, Domine''.
# [[Kyrie eleison|Kyrie]]
# [[Sequenz (Hymnus)|Sequenz]]: ''[[Dies irae]]''
# [[Offertorium]]: ''[[Domine Jesu Christe]]''
# [[Sanctus|Sanctus und Benedictus]]
# [[Agnus Dei]]
# [[Communio (Liturgie)|Communio]]: ''[[Lux aeterna]]''


== Kontrapunkt als Synonym von Satzlehre ==
Die Sequenz ist häufig in mehrere Sätze unterteilt. Als Besonderheit des französischen Ritus wird ein '''''Pie Jesu''''' (letzter Halbvers des ''Dies Irae'') als eigenständiger Satz (vor dem Agnus Dei oder zwischen Sanctus und Benedictus) hinzugefügt, teils unter Auslassung der Sequenz (z.&nbsp;B. [[Gabriel Fauré]], [[Maurice Duruflé]], aber auch – wiewohl keine Franzosen – [[Cristóbal de Morales]],<ref>in Missa pro defunctis a 5 aus ''Missarum Liber Secundus'' (Rom 1544)</ref> [[John Rutter]]), teils zusätzlich (z.&nbsp;B. [[Marc-Antoine Charpentier]]), womit der Text zweimal vertont wird.
Die Lehre des zweistimmigen ''contrapunctus diminutus'' wird von Tinctoris und späteren Autoren auf den mehr als zweistimmigen Satz übertragen. Bis ins 18.&nbsp;Jahrhundert wird Kontrapunkt somit gleichbedeutend mit Satzlehre. Erweitert werden die Traktate, indem sie neben den kontrapunktischen Grundprinzipien auch Satztechniken wie [[Imitation (Musik)|Imitation]], [[Fuge (Musik)|Fuge]] und [[Kanon (Musik)|Kanon]], sowie doppelten und mehrfachen Kontrapunkt behandeln. Der ''contrapunctus simplex'' bleibt dabei jedoch die systematische und didaktische Vorstufe der gesamten Kompositionslehre. Eine besonders prominente Kontrapunktlehre, die noch im 17. und 18.&nbsp;Jahrhundert eine zentrale Rolle spielt, ist der dritte Teil der ''Istitutioni armoniche'' von [[Gioseffo Zarlino]] (1558).
{| class="wikitable"
! Originaltext (Latein) || Übersetzter Text
|-
|<poem>
Pie Jesu, Domine
dona eis requiem,
requiem sempiternam.
</poem>
|<poem>
Gütiger Jesus, Herr,
gib ihnen Ruhe,
ewige Ruhe.
</poem>
|}


Gewisse Veränderungen erfährt die Lehre angesichts stilistischer Entwicklungen, u.&nbsp;a. im Bereich der Dissonanzbehandlung. Mit der Entstehung der [[Dur-Moll-Tonalität]] werden Intervallfortschreitungen über die überlieferten kontrapunktischen Prinzipien hinaus außerdem so organisiert, dass sie eine Dur- oder Molltonart zum Ausdruck bringen.
Viele Komponisten, z.&nbsp;B. [[Gabriel Fauré]] und [[Giuseppe Verdi]], vertonten zusätzlich das [[Responsorium]] '''''Libera me''''' aus der Liturgie der [[Kirchliche Begräbnisfeier|kirchlichen Begräbnisfeier]].
{| class="wikitable"
! Originaltext (Latein) || Übersetzter Text
|-
|<poem>
Libera me, Domine, de morte aeterna,
in die illa tremenda,
quando coeli movendi sunt et terra,
dum veneris judicare saeculum per ignem.
Tremens factus sum ego, et timeo,
dum discussio venerit, atque ventura ira.
Dies illa, dies irae,
calamitatis et miseriae,
dies magna et amara valde.
Dum veneris judicare saeculum per ignem.
Requiem aeternam dona eis, Domine,
et lux perpetua luceat eis.
</poem>
|<poem>
Rette mich, Herr, vor dem ewigen Tod
an jenem Tage des Schreckens,
wo Himmel und Erde wanken,
da Du kommst, die Welt durch Feuer zu richten.
Zittern befällt mich und Angst,
denn die Rechenschaft naht und der drohende Zorn.
O jener Tag, Tag des Zorns,
des Unheils, des Elends,
o Tag, so groß und so bitter,
da Du kommst, die Welt durch Feuer zu richten.
Herr, gib ihnen die ewige Ruhe,
und das ewige Licht leuchte ihnen.
</poem>
|}


== Kontrapunkt als Stilbegriff ==
Viele Komponisten vertonten zum Ausklang, ebenfalls aus den Exequien, den [[Hymne|Hymnus]] ''[[In paradisum]]'' (z.&nbsp;B. [[Gabriel Fauré]]).
Angesichts seines Ursprungs als Lehre des Note-gegen-Note-Satzes schließt Kontrapunkt [[Homophonie (Musik)|Homophonie]] keineswegs aus. Die heute verbreitete Verwendung von ‚kontrapunktisch‘ im Sinne von ‚[[Polyphonie|polyphon]]‘ stammt aus dem 19.&nbsp;Jahrhundert:<ref>Sachs 1982, S.&nbsp;32&nbsp;f.</ref>


{{Zitat| Kontrapunkt, eine aus dem Lateinischen [] hergenommene Benennung für polyphone Schreibart, d.&nbsp;h. solche, die zwei oder mehr melodisch ausgebildete Stimmen gleichzeitig mit einander verbindet und fortführt, wie z.&nbsp;B. in der Fuge und anderen Kunstformen. []. Bestimmter verstehen wir darunter [] den Satz, welcher zwei oder mehr wahrhaft selbständige (nach den Grundsätzen der Melodik ausgebildete) Stimmen mit einander verbindet.|Autor=[[Adolf Bernhard Marx]]|Quelle=''Encyclopädie der gesammten musikalischen Wissenschaften oder Universal-Lexicon der Tonkunst'' Bd.&nbsp;4. Stuttgart 1837, S.&nbsp;188&nbsp;f.}}
== Vertonungen ==
Während in der Zeit der [[Wiener Klassik]] das Requiem durchaus noch die Funktion einer musikalischen Begleitung des [[Gottesdienst]]es hatte (z.&nbsp;B. bei [[Antonio Salieri]], [[Requiem (Mozart)|Mozart]], [[Carl Ditters von Dittersdorf]], [[Joseph Martin Kraus]], [[François-Joseph Gossec]], [[Michael Haydn]], [[Luigi Cherubini]]), begann sich die Vertonung allmählich von kirchlichen Bindungen zu lösen. Bereits [[Requiem (Berlioz)|Hector Berlioz]]’ monumentales und großbesetztes Werk ist eher für den Konzertsaal konzipiert. In dieser Tradition verstehen sich auch die entsprechenden Kompositionen von [[Louis Théodore Gouvy]], [[Antonín Dvořák]], [[Messa da Requiem|Giuseppe Verdi]] und [[Charles Villiers Stanford]], in denen dem Orchester ein zunehmend wichtigerer Anteil zugewiesen wird. Es finden sich aber auch kleiner besetzte Werke aus dieser Zeit, die noch auf die Verwendung in der Kirche hin angelegt sind, so z.&nbsp;B. von [[Anton Bruckner]], [[Franz Liszt]], [[Camille Saint-Saëns]] und [[Josef Gabriel Rheinberger]]. Zwischen diesen Polen steht [[Felix Draeseke]], der sowohl ein symphonisches als auch ein [[A cappella|A-cappella]]-Requiem schuf.


Allerdings wurde das Wort schon ab der zweiten Hälfte des 17.&nbsp;Jahrhunderts als Stilbegriff verwendet, im Hinblick auf die Kirchenmusik des späten 16.&nbsp;Jahrhunderts und insbesondere auf die Musik von [[Giovanni Pierluigi da Palestrina]].<ref>Sachs 1982, S.&nbsp;30.</ref> Entscheidend verstärkt wurde diese Tendenz durch das Lehrwerk ''[[Gradus ad Parnassum]]'' von [[Johann Joseph Fux]] (1725), das die Pflege dieses Stils bezweckt.
Das [[Wikipedia:Ein deutsches Requiem|Deutsche Requiem]] des Protestanten [[Johannes Brahms]] verwendet frei gewählte Texte aus der [[Lutherbibel]], nicht die der katholischen [[Liturgie]], wohingegen der Este [[Cyrillus Kreek]] mit seinem ''Reekviem'' von 1927, einem Auftragswerk der lutherischen Kirche in Estland, auf das lateinische Requiem zurückgriff, jedoch Abwandlungen einfließen ließ, wie etwa den [[Westminsterschlag|Westminster Chime]] oder die Andeutung des Chorals ''[[Christ ist erstanden]]''. Ab der Zeit der [[Spätromantik]] schwindet die Anzahl der [[Liste der Requiem-Vertonungen|Requiemkompositionen]] merklich. Die Wichtigkeit des Textes tritt bei vielen Vertonungen zu Gunsten der immer stärker symphonischen Behandlung des großen Orchesterapparates zurück, wie bei [[Max Reger]] und [[Richard Wetz]]. Diese Werke sind ausschließlich als Konzertmusik konzipiert und lassen sich auch nur noch als solche verwenden. Andere heben den Text hervor und geben ihren Werken wieder liturgischen Charakter (z.&nbsp;B. Gabriel Fauré und Maurice Duruflé, die beide das [[Dies Irae]] weglassen).


Im 19.&nbsp;Jahrhundert wurde außer dem Palestrina-Stil auch die Musik von [[Johann Sebastian Bach]] zu einem Gipfelpunkt von ‚Kontrapunkt‘ stilisiert. In ihr sah [[Ernst Kurth (Musikwissenschaftler)|Ernst Kurth]] die Idee eines „linearen Kontrapunkts“ optimal verwirklicht, bei dem „der Wille zur Linienstruktur, der horizontale Entwurf [] immer das Primäre und der tragende Grundzug“ sei.<ref>Kurth 1917, S.&nbsp;98.</ref>
Auch in der modernen Musik spielt das Requiem noch eine bedeutende Rolle. In [[Benjamin Britten]]s Vertonung '' [[War Requiem]]'' werden die Worte der Liturgie mit Gedichten des englischen Dichters [[Wilfred Owen]] kombiniert. Weitere bedeutende Kompositionen nach dem Zweiten Weltkrieg schufen unter anderen [[Boris Blacher]], [[György Ligeti]], [[John Rutter]], [[Krzysztof Penderecki]], [[Rudolf Mauersberger]], [[Paul Zoll]] (er verwendete einen deutschen Text, bestehend aus Auszügen aus der Totenmesse von [[Ernst Wiechert]]) und [[Heinrich Sutermeister]], [[Joonas Kokkonen]], [[Riccardo Malipiero (Komponist)|Riccardo Malipiero]], [[Günter Raphael]] und [[Manfred Trojahn]].<ref>Paul Thissen: ''Das Requiem im 20. Jahrhundert''. Erster Teil: ''Vertonungen der „Missa pro defunctis“'', Sinzig 2009</ref> Eine Sonderstellung nimmt das ''Requiem für einen jungen Dichter'' von [[Bernd Alois Zimmermann]] auf Texte verschiedener Dichter, Berichte und Reportagen ein. Zunehmend erscheinen Kompositionen ohne Text mit dem Titel ''Requiem'', wie das von [[Hans Werner Henze]], das in Form von neun geistlichen Konzerten für Klavier solo, konzertierende Trompete und großes Kammerorchester gesetzt ist. Anlässlich des 100. Gedenkjahres (2014) nach Beginn des [[Erster Weltkrieg|Ersten Weltkriegs]] komponierte der Ligeti-Schüler [[Altuğ Ünlü]] ein [[Requiem (Ünlü)|Requiem]].
 
Das [[Wikipedia:Requiem (Webber)|Requiem]] des britischen Komponisten [[Andrew Lloyd Webber]] wurde im Jahre 1986 mit dem [[Grammy Award]] für die beste klassische zeitgenössische Komposition ausgezeichnet. [[Georges Delerue]] vertonte für den Film ''Black Robe'' 1991 den Introitus des Requiems und das ''Libera me''.


== Siehe auch ==
== Siehe auch ==
* {{WikipediaDE|Kategorie:Kontrapunkt}}
* {{WikipediaDE|Kategorie:Requiem}}
* {{WikipediaDE|Kontrapunkt}}
* {{WikipediaDE|Requiem}}
* {{WikipediaDE|Liste von Requiem-Vertonungen}}
* {{WikipediaDE|Requiem (Mozart)}}


== Literatur (chronologische Reihenfolge) ==
== Literatur ==
* Johannes Tinctoris: ''Liber de arte contrapuncti'' (Hs.) 1477.
* Paul Thissen: ''Das Requiem im 20. Jahrhundert. Erster Teil: Vertonungen der Missa pro defunctis. Register.'' Studiopunkt, Sinzig 2009, ISBN 978-3-89564-133-6.
* Johann Joseph Fux: ''Gradus ad Parnassum'' […]. Wien 1725.
* Paul Thissen: ''Nicht-liturgische Requien. Zweiter Teil: Nicht-liturgische Requien. Mit einem Katalog von 230 Werken.'' Studiopunkt, Sinzig 2011, ISBN 978-3-89564-139-8.
* Johann Joseph Fux: ''Gradus ad Parnassum'' […]'' ins Teutsche übersetzt'' […]'' von Lorenz Christoph Mizler.'' Leipzig 1742, Reprint Hildesheim 1984.
* Friedrich Wilhelm Marpurg: ''Abhandlung von der Fuge'' […]. Bd.&nbsp;1. Berlin 1753 ([http://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/goToPage/bsb10527403.html?pageNo=194 Digitalisat]).
* Adolf Bernhard Marx: ''Encyclopädie der gesammten musikalischen Wissenschaften oder Universal-Lexicon der Tonkunst'' Bd.&nbsp;4. Stuttgart 1837 ([http://opacplus.bsb-muenchen.de/title/BV010653758/ft/bsb10600492?page=190 Digitalisat]).
* Heinrich Bellermann: ''Der Contrapunkt.'' Berlin 1862.
* Ernst Kurth: ''Grundlagen des linearen Kontrapunkts. Einführung in Stil und Technik von Bachʼs melodischer Polyphonie''. Dreschel, Bern 1917 ({{Digitalisat|IA=romantischeharmo00kurt}}).
* Knud Jeppesen: ''Kontrapunkt. Lehrbuch der klassischen Vokalpolyphonie.'' Leipzig 1956.
* Klaus-Jürgen Sachs: ''Der Contrapunctus im 14. und 15.&nbsp;Jahrhundert. Untersuchungen zum Terminus, zur Lehre und zu den Quellen.'' Franz Steiner, Stuttgart 1974, ISBN 3-515-01952-9.
* Diether de la Motte ''Kontrapunkt. Ein Lese- und Arbeitsbuch.'' Kassel und München 1981, ISBN 3-423-30146-5.
* Klaus-Jürgen Sachs: ''Contrapunctus&nbsp;/ Kontrapunkt''. In: ''Handwörterbuch der musikalischen Terminologie''. Bd.&nbsp;2, hrsg. von Hans Heinrich Eggebrecht und Albrecht Riethmüller, Schriftleitung Markus Bandur, Steiner, Stuttgart 1982 ([http://daten.digitale-sammlungen.de/~db/0007/bsb00070510/images/index.html?fip=193.174.98.30&seite=163&pdfseitex= Digitalisat]).
* Klaus-Jürgen Sachs: ''Die Contrapunctus-Lehre im 14. und 15. Jahrhundert''. In: Hans Heinrich Eggebrecht&nbsp;/ F. Alberto Gallo&nbsp;/ Max Haas&nbsp;/ Klaus-Jürgen Sachs: ''Die mittelalterliche Lehre von der Mehrstimmigkeit''. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1984, S.&nbsp;161–256.
* Claus Ganter: ''Kontrapunkt für Musiker. Die Gestaltungsprinzipien der Vokal und Instrumentalpolyphonie'' […]. München und Salzburg 1994.
* Christoph Hohlfeld, Reinhard Bahr: ''Schule des musikalischen Denkens. Der Cantus-firmus-Satz bei Palestrina.'' Wilhelmshaven 1994.
* Thomas Daniel: ''Kontrapunkt. Eine Satzlehre zur Vokalpolyphonie des 16.&nbsp;Jahrhunderts.'' Köln 1997, ISBN 3-925366-43-1.
* Ian Bent: ''Steps to Parnassus: Contrapuntal theory in 1725, precursors and successors''. In: Thomas Christensen (Hrsg.): ''The Cambridge History of Western Music Theory''. Cambridge University Press, Cambridge 2002, ISBN 978-0-521-62371-1, S.&nbsp;554–602.
* Peter Schubert, Christoph Neidhöfer: ''Baroque counterpoint''. Pearson Prentice Hall, Upper Saddle River 2006, ISBN 978-0-13-183442-2.
* Peter Schubert: ''Modal Counterpoint, Renaissance Style''. 2.&nbsp;Auflage. Oxford University Press, New York&nbsp;/ Oxford 2008, ISBN 978-0-19-533194-3.
* Johannes Menke: ''Kontrapunkt&nbsp;I: Die Musik der Renaissance''. Laaber-Verlag, Laaber 2015, ISBN 978-3-89007-825-0.
* Johannes Menke: ''Kontrapunkt&nbsp;II: Die Musik des Barock''. Laaber-Verlag, Laaber 2017, ISBN 978-3-89007-826-7.


== Weblinks ==
== Weblinks ==
{{Commonscat|Requiems}}
{{Wiktionary}}
{{Wiktionary}}
* {{Internetquelle| autor=Belkin, Alan| url=http://alanbelkinmusic.com/site/en/index.php/counterpoint/| titel=Principles of Counterpoint| datum=2000| zugriff=2018-07-19| sprache=en| offline=false }}
* [http://www.requiemsurvey.org/ Alphabetisches Verzeichnis von über 2000 Komponisten des Requiem]
* [http://musikanalyse.net/tutorials/kontrapunkt-einfuehrung/ Kontrapunkt (16. Jahrhundert) - Eine Einführung] auf [http://musikanalyse.net musikanalyse.net]
* [http://requiemonline.tripod.com/ Online Guide to Requiem]
* [https://www.youtube.com/watch?v=XwsjzUWYBVE Kontrapunkt, kurz erklärt] YouTube
 
* [https://www.youtube.com/watch?v=4O6lc_ym12U What is Counterpoint (englisch)] YouTube
; Aufnahmen:
* [https://www.youtube.com/watch?v=Dp2SJN4UiE4 Mozart: Requiem] YouTube
* [https://www.youtube.com/watch?v=EUKFK2ezoCQ Michael Haydn: Requiem] YouTube


== Einzelnachweise ==
== Einzelnachweise ==
<references />
<references />


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[[Kategorie:Musiktheorie|L]]
[[Kategorie:Kirchenmusik]]
[[Kategorie:Kontrapunkt|!]]
[[Kategorie:Requiem|!]]


{{Wikipedia}}
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Version vom 3. Juli 2019, 21:56 Uhr

Das Requiem (Mehrzahl die Requiems, regional auch die Requien[1]), liturgisch Missa pro defunctis („Messe für die Verstorbenen“), auch Sterbeamt, ist die heilige Messe für Verstorbene. Der Begriff bezeichnet sowohl die Liturgie der heiligen Messe bei der Begräbnisfeier der katholischen Kirche als auch kirchenmusikalische Kompositionen für das Totengedenken. Er leitet sich vom Incipit des Introitus Requiem aeternam dona eis, Domine („Ewige Ruhe schenke ihnen, o Herr“) ab. Das Proprium der Liturgie des Requiems entspricht dem des Allerseelentages.

Das von einem Bischof oder infulierten Abt gefeierte Requiem wird Pontifikalrequiem genannt.

Das Requiem in der katholischen Liturgie

Requiem in der Krypta des Straßburger Münsters

Das Proprium der Totenmesse wurde im Gefolge des Konzils von Trient (1545) festgelegt und durch die apostolische Konstitution Sacrosanctum Concilium des Zweiten Vatikanischen Konzils geringfügig verändert. Der liturgische Ablauf eines Requiems gleicht dem der heiligen Messe an Werktagen in Bußzeiten (Advent, Fastenzeit). Das Gloria, das für freudige und festliche Anlässe vorgesehen ist, und das Credo der Sonntage und Feste entfallen. Das Halleluja wird durch einen Tractus ersetzt, dem sich früher noch die Sequenz Dies irae anschloss; diese ist nicht mehr fester Bestandteil des Requiems.

Das Proprium der Totenmesse außerhalb der Fastenzeit sieht folgendermaßen aus:

  1. Introitus: Requiem aeternam dona eis, Domine.
  2. Graduale: Requiem aeternam dona eis, Domine.
  3. Tractus: Absolve domine
  4. Offertorium: Domine Jesu Christe
  5. Communio: Lux aeterna

Das Agnus Dei hatte vor der Liturgiereform 1970 eine gegenüber dem Text des Ordinariums abweichende Fassung. Statt des zweimaligen miserere nobis und des dona nobis pacem wurde im Requiem früher dreimal Agnus Dei, qui tollis peccata mundi, dona eis requiem gesungen, beim dritten Mal wurde dieser Zeile ein sempiternam zur Bekräftigung angefügt. Begründet war diese Abweichung durch den Gedanken, dass die Heilswirkung der Totenmesse allein den Verstorbenen zukommen sollte, weshalb das Gebet nicht den Betenden selbst („Erbarme Dich unser“) zugewendet wird, sondern den Toten („Gib ihnen die (ewige) Ruhe“). Auch andere Abweichungen (etwa der Wegfall des Schlusssegens) hatten darin ihre Begründung. Heute wird das Agnus Dei auch im Requiem in der Fassung des Ordinariums gesungen.

In den Eingangsworten Requiem aeternam dona eis, Domine kommt der Charakter der Totenmesse, das Flehen der Lebenden für das Seelenheil der Verstorbenen, zum Ausdruck. Als erstes Stück des musikalischen Messpropriums wurde der Introitus von den Komponisten meist mitvertont, ebenfalls das Offertorium, im Gegensatz zur Sequenz, die aus verschiedenen Gründen (Zeit, Umfang) gelegentlich verkürzt oder ganz weggelassen wird.

Der Introitus Requiem aeternam im Liber Usualis
Originaltext (Latein) Übersetzter Text

I. Introitus
Requiem aeternam dona eis, Domine:
et lux perpetua luceat eis.
Te decet hymnus, Deus, in Sion,
et tibi reddetur votum in Jerusalem:
exaudi orationem meam,
ad te omnis caro veniet.
Requiem aeternam dona eis Domine …


Herr, gib ihnen die ewige Ruhe,
und das ewige Licht leuchte ihnen.
Dir gebührt Lob, Herr, auf dem Zion,
Dir erfüllt man Gelübde in Jerusalem.
Erhöre mein Gebet;
zu Dir kommt alles Fleisch.
Herr, gib ihnen die ewige Ruhe …

II. Graduale
Requiem aeternam dona eis, Domine:
et lux perpetua luceat eis.
In memoria aeterna erit justus:
ab auditione mala non timebit.


Herr, gib ihnen die ewige Ruhe,
und das ewige Licht leuchte ihnen.
In ewigem Gedenken lebt der Gerechte fort:
vor Unglücksbotschaft braucht er nicht zu bangen.

Das Requiem in der Musik

In alten Requiem-Kompositionen ist der dazugehörige, unbegleitete und einstimmige gregorianische Choral Grundlage der Komposition, so auch noch bei Alessandro Scarlatti und selbst Wolfgang Amadeus Mozart (Zitat des Tonus peregrinus im ersten Satz (Requiem aeternam) zum Text Te decet Hymnus deus in Sion (Sopransolo)). Das Requiem von Maurice Duruflé basiert auf gregorianischen Melodien. Altuğ Ünlü hat in den ersten Satz seines Requiems das gregorianische Graduale Clamaverunt justi der Zeit im Jahreskreis integriert.

In der Regel bestehen Vertonungen des Requiems aus der folgenden Satzfolge, bei denen sowohl Texte des Propriums als auch des Ordinariums vertont werden:

  1. Introitus: Requiem aeternam dona eis, Domine.
  2. Kyrie
  3. Sequenz: Dies irae
  4. Offertorium: Domine Jesu Christe
  5. Sanctus und Benedictus
  6. Agnus Dei
  7. Communio: Lux aeterna

Die Sequenz ist häufig in mehrere Sätze unterteilt. Als Besonderheit des französischen Ritus wird ein Pie Jesu (letzter Halbvers des Dies Irae) als eigenständiger Satz (vor dem Agnus Dei oder zwischen Sanctus und Benedictus) hinzugefügt, teils unter Auslassung der Sequenz (z. B. Gabriel Fauré, Maurice Duruflé, aber auch – wiewohl keine Franzosen – Cristóbal de Morales,[2] John Rutter), teils zusätzlich (z. B. Marc-Antoine Charpentier), womit der Text zweimal vertont wird.

Originaltext (Latein) Übersetzter Text

Pie Jesu, Domine
dona eis requiem,
requiem sempiternam.

Gütiger Jesus, Herr,
gib ihnen Ruhe,
ewige Ruhe.

Viele Komponisten, z. B. Gabriel Fauré und Giuseppe Verdi, vertonten zusätzlich das Responsorium Libera me aus der Liturgie der kirchlichen Begräbnisfeier.

Originaltext (Latein) Übersetzter Text

Libera me, Domine, de morte aeterna,
in die illa tremenda,
quando coeli movendi sunt et terra,
dum veneris judicare saeculum per ignem.
Tremens factus sum ego, et timeo,
dum discussio venerit, atque ventura ira.
Dies illa, dies irae,
calamitatis et miseriae,
dies magna et amara valde.
Dum veneris judicare saeculum per ignem.
Requiem aeternam dona eis, Domine,
et lux perpetua luceat eis.

Rette mich, Herr, vor dem ewigen Tod
an jenem Tage des Schreckens,
wo Himmel und Erde wanken,
da Du kommst, die Welt durch Feuer zu richten.
Zittern befällt mich und Angst,
denn die Rechenschaft naht und der drohende Zorn.
O jener Tag, Tag des Zorns,
des Unheils, des Elends,
o Tag, so groß und so bitter,
da Du kommst, die Welt durch Feuer zu richten.
Herr, gib ihnen die ewige Ruhe,
und das ewige Licht leuchte ihnen.

Viele Komponisten vertonten zum Ausklang, ebenfalls aus den Exequien, den Hymnus In paradisum (z. B. Gabriel Fauré).

Vertonungen

Während in der Zeit der Wiener Klassik das Requiem durchaus noch die Funktion einer musikalischen Begleitung des Gottesdienstes hatte (z. B. bei Antonio Salieri, Mozart, Carl Ditters von Dittersdorf, Joseph Martin Kraus, François-Joseph Gossec, Michael Haydn, Luigi Cherubini), begann sich die Vertonung allmählich von kirchlichen Bindungen zu lösen. Bereits Hector Berlioz’ monumentales und großbesetztes Werk ist eher für den Konzertsaal konzipiert. In dieser Tradition verstehen sich auch die entsprechenden Kompositionen von Louis Théodore Gouvy, Antonín Dvořák, Giuseppe Verdi und Charles Villiers Stanford, in denen dem Orchester ein zunehmend wichtigerer Anteil zugewiesen wird. Es finden sich aber auch kleiner besetzte Werke aus dieser Zeit, die noch auf die Verwendung in der Kirche hin angelegt sind, so z. B. von Anton Bruckner, Franz Liszt, Camille Saint-Saëns und Josef Gabriel Rheinberger. Zwischen diesen Polen steht Felix Draeseke, der sowohl ein symphonisches als auch ein A-cappella-Requiem schuf.

Das Deutsche Requiem des Protestanten Johannes Brahms verwendet frei gewählte Texte aus der Lutherbibel, nicht die der katholischen Liturgie, wohingegen der Este Cyrillus Kreek mit seinem Reekviem von 1927, einem Auftragswerk der lutherischen Kirche in Estland, auf das lateinische Requiem zurückgriff, jedoch Abwandlungen einfließen ließ, wie etwa den Westminster Chime oder die Andeutung des Chorals Christ ist erstanden. Ab der Zeit der Spätromantik schwindet die Anzahl der Requiemkompositionen merklich. Die Wichtigkeit des Textes tritt bei vielen Vertonungen zu Gunsten der immer stärker symphonischen Behandlung des großen Orchesterapparates zurück, wie bei Max Reger und Richard Wetz. Diese Werke sind ausschließlich als Konzertmusik konzipiert und lassen sich auch nur noch als solche verwenden. Andere heben den Text hervor und geben ihren Werken wieder liturgischen Charakter (z. B. Gabriel Fauré und Maurice Duruflé, die beide das Dies Irae weglassen).

Auch in der modernen Musik spielt das Requiem noch eine bedeutende Rolle. In Benjamin Brittens Vertonung War Requiem werden die Worte der Liturgie mit Gedichten des englischen Dichters Wilfred Owen kombiniert. Weitere bedeutende Kompositionen nach dem Zweiten Weltkrieg schufen unter anderen Boris Blacher, György Ligeti, John Rutter, Krzysztof Penderecki, Rudolf Mauersberger, Paul Zoll (er verwendete einen deutschen Text, bestehend aus Auszügen aus der Totenmesse von Ernst Wiechert) und Heinrich Sutermeister, Joonas Kokkonen, Riccardo Malipiero, Günter Raphael und Manfred Trojahn.[3] Eine Sonderstellung nimmt das Requiem für einen jungen Dichter von Bernd Alois Zimmermann auf Texte verschiedener Dichter, Berichte und Reportagen ein. Zunehmend erscheinen Kompositionen ohne Text mit dem Titel Requiem, wie das von Hans Werner Henze, das in Form von neun geistlichen Konzerten für Klavier solo, konzertierende Trompete und großes Kammerorchester gesetzt ist. Anlässlich des 100. Gedenkjahres (2014) nach Beginn des Ersten Weltkriegs komponierte der Ligeti-Schüler Altuğ Ünlü ein Requiem.

Das Requiem des britischen Komponisten Andrew Lloyd Webber wurde im Jahre 1986 mit dem Grammy Award für die beste klassische zeitgenössische Komposition ausgezeichnet. Georges Delerue vertonte für den Film Black Robe 1991 den Introitus des Requiems und das Libera me.

Siehe auch

Literatur

  • Paul Thissen: Das Requiem im 20. Jahrhundert. Erster Teil: Vertonungen der Missa pro defunctis. Register. Studiopunkt, Sinzig 2009, ISBN 978-3-89564-133-6.
  • Paul Thissen: Nicht-liturgische Requien. Zweiter Teil: Nicht-liturgische Requien. Mit einem Katalog von 230 Werken. Studiopunkt, Sinzig 2011, ISBN 978-3-89564-139-8.

Weblinks

Commons: Requiems - Weitere Bilder oder Audiodateien zum Thema
 Wiktionary: Requiem – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Aufnahmen

Einzelnachweise

  1. gemäß Duden, siehe auch Wiktionary-Eintrag
  2. in Missa pro defunctis a 5 aus Missarum Liber Secundus (Rom 1544)
  3. Paul Thissen: Das Requiem im 20. Jahrhundert. Erster Teil: Vertonungen der „Missa pro defunctis“, Sinzig 2009


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