Hygiene

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Das Waschen der Hände ist eine von zahlreichen hygienischen Maßnahmen im Alltag

Hygiene oder Gesundheitspflege ist „die bewusste Vermeidung aller der Gesundheit drohenden Gefahren und die Betätigung gesundheitsmehrender Handlungen“ (Max Rubner, 1911).[1] Auch gemäß Weltgesundheitsorganisation WHO bezieht sich die Hygiene auf Bedingungen und Handlungen, die dazu dienen, die Gesundheit zu erhalten und die Ausbreitung von Krankheiten zu verhindern. Die Deutsche Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie reduziert den Begriff auf „Erkennung, Behandlung und Prävention von Infektionskrankheiten“[2].

Die medizinische Hygiene umfasst zahlreiche spezifische Anwendungen, die dem Erhalt der Gesundheit dienen, z. B. Reinhaltung der Umwelt, Sterilisation von Geräten, Handhygiene, Wasser und Hygiene und sichere Entsorgung von medizinischem Abfall.[3]

Das Fachgebiet Hygiene stellt die „Lehre von der Verhütung von Krankheiten und der Erhaltung, Förderung und Festigung der Gesundheit“ dar.[4][5] Hygienefachpersonen werden als Hygieniker bezeichnet.

Hygiene im weiteren Sinne ist die „Gesamtheit aller Bestrebungen und Maßnahmen zur Verhütung von Krankheiten und Gesundheitsschäden“.[6] In diesem Sinne umfasst Hygiene auch Aspekte der Lufthygiene, Wasserhygiene[7] bzw. Trinkwasserhygiene, Lebensmittelhygiene, Arbeitshygiene, Bauhygiene[8][9], Wohnhygiene[10] sowie religiöser Vorschriften.

Etymologie

Das Wort Hygiene stammt aus dem Griechischen: ὑγιεινή [τέχνη] hygieiné [téchne] bedeutet „der Gesundheit dienende [Kunst]“. Es ist von ὑγίεια hygíeia „Gesundheit“ abgeleitet – dem Wort, mit dem auch die griechische Göttin der Gesundheit, Hygieia, bezeichnet wird.

Der Zusammenhang mit der personifizierten Göttin ist seit dem 4. Jahrhundert vor Christus (bei Aristoteles) belegt und wurde im 2. Jahrhundert durch Galen systematisiert.[11]

Hygiene im engeren Sinn bezeichnet die Maßnahmen zur Vorbeugung gegen Infektionskrankheiten, insbesondere Reinigung, Desinfektion und Sterilisation. In der Alltagssprache wird das Wort Hygiene auch fälschlicherweise an Stelle von Sauberkeit verwendet, doch umfasst sie nur einen kleinen Ausschnitt aus dem Aufgabenkreis der Hygiene.

Die Arbeitshygiene befasst sich mit der Verhütung von Berufskrankheiten.

Geschichte

Hygienische Maßnahmen, darunter religiöse Gebote und Verbote sowie technische Bemühungen zur Versorgung mit sauberem Trinkwasser, sind weltweit und seit ältester Zeit nachweisbar.[12]

Altägyptische Kultur

Rituelle Waschungen waren, wie Rudolf Steiner ausführt, ein wichtiger Bestandteil der altägyptischen Kultur. Diese Gebräuche kehren in materialistisch verwandelter Form in den heutigen hygienischen Maßnahmen wieder.

„Wir können zurückgehen in eine Zeit der ägyptischen Entwickelung und finden dort gewisse Zeremonialgesetze und Gebote, welche als «Gebote der Götter» erschienen. Und das waren sie auch. Es waren Gebote, die sich darauf bezogen, daß der Ägypter zum Beispiel am Tage ganz bestimmte Waschungen, also durch Zeremoniengebräuche und rituelle Vorschriften geregelte Waschungen, vollziehen mußte. Und man sagte dem Ägypter, daß er nur leben könne, wie es die Götter wollen, wenn er an diesem oder jenem Tage so und so viele Waschungen vornimmt. Das war ein Göttergebot, das sich in gewissen Reinlichkeitskulten auslebte. Und wenn wir dann in eine etwas weniger reinliche Zeit in der Zwischenzeit kommen und jetzt wieder, in unserer Zeit, auf hygienische Maßregeln stoßen, wie sie jetzt aus materialistischen Gründen der Menschheit gegeben werden, so sehen wir bei uns richtig sich wiederholen, was in einer entsprechenden Zeit in Ägypten untergegangen ist. Ganz merkwürdig stellt sich die Erfüllung des Früheren im Gesamtkarma dar. Nur ist der Gesamtcharakter immer ein anderer. Kepler hatte in seiner ägyptischen Inkarnation den Blick hinaufgelenkt zum Sternenhimmel; und was diese Individualität dort sah, das prägte sie aus in den großen spirituellen Wahrheiten der ägyptischen Astrologie. Bei ihrer Wiederverkörperung in dem Zeitalter, dem der Beruf des Materialismus zufiel, prägte dieselbe Individualität diese Tatsachen - unserem Zeitalter entsprechend - in den drei materialistisch gefärbten Keplerschen Gesetzen aus. - Im alten Ägypten waren die Gesetze der Reinigung «gottgeoffenbarte» Gesetze. Der Ägypter glaubte nur dadurch seine Pflicht der Menschheit gegenüber zu erfüllen, daß er bei jeder Gelegenheit in der unglaublichsten Weise für seine Reinigung Sorge trug. Das kommt heute wieder heraus, nur unter ganz materialistischen Gedankeneinflüssen. Der Mensch von heute denkt nicht daran, daß er den Göttern dient, wenn er solche Vorschriften beobachtet, sondern daß er sich selbst dient. Aber es kommt das Frühere wieder heraus.“ (Lit.:GA 120, S. 166f)

Lebenssituation im Mittelalter

Im Mittelalter war es in Europa noch üblich, die Notdurft auch auf der Straße zu verrichten, Nachttöpfe wurden auf den Straßen ausgeleert, Marktabfälle (Pflanzenreste, Schlachtabfälle, Schlachtblut) blieben auf den Straßen und Plätzen liegen, häuslicher Unrat und Mist aus den Ställen der städtischen Tierhaltung wurde auf den Straßen gelagert, Schweine, Hühner und andere Haustiere liefen auf den Straßen frei darin herum, Niederschlagswasser durchfeuchtete und verteilte alles, all dies führte dazu, dass der Straßenschmutz und damit zusammenhängende Geruchsbelästigungen und Krankheitsausbreitung[13] in den Städten überhandnahmen, wogegen Polizeiverordnungen erlassen wurden. Im späteren Mittelalter wurden dann neben städtischen Verordnungen zur Seuchenbekämpfung (vor allem nachdem der Schwarze Tod sich 1348 verbreitet hatte) bereits Verordnungen zur Reinhaltung von Straßen (so 1366 in Regensburg) oder zur Tötung von Tieren in Schlachthäusern (Augsburg, 1276) erlassen.[14] Erst die Einführung der Kanalisation, städtischer Schlachthäuser und von Pflasterungen konnten den Schmutz und damit zusammenhängende Seuchen[15] eindämmen.[16]

Hygiene in der Medizin

Die Hygiene in der Medizin betrifft das Verhalten des Fachpersonals im ambulanten Einsatz sowie in der klinischen Hygiene zur Abwehr von Neuerkrankungen. Thomas McKeown hat 1979 den Rückgang der Infektionskrankheiten der letzten 200 Jahre auf Hygiene, bessere Ernährung des Menschen, Immunität und andere unspezifische Maßnahmen zurückgeführt. Abseits der Industriestaaten hat sich das Muster der Erkrankungen nicht wesentlich verändert, trotz teilweiser Einführung von medikamentösen Behandlungsmethoden. So kann angenommen werden, dass ohne finanzielle und materielle Unterstützung der „Dritten Welt“ und ohne bessere Lebensbedingungen für den Großteil der Menschheit der Gefahr von Seuchen Vorschub geleistet wird.

Die Hygiene im Römischen Reich war verhältnismäßig weit entwickelt. Der römische Politiker und Universalgelehrte Marcus Terentius Varro ahnte, dass Krankheiten durch „kleine Tiere, welche für das Auge nicht sichtbar sind“ (aus heutiger Sicht Mikroorganismen) hervorgerufen werden.[17] Es war bekannt, dass Quarantäne die Verbreitung von Infektionskrankheiten verhindern konnte.

Bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde Sauberkeit und Desinfektion in der Medizin nicht als notwendig angesehen. So wurden die Operationsschürzen der Chirurgen praktisch nie gewaschen. Medizinische Instrumente wurden vor dem Gebrauch nicht gereinigt. Auch wurden nicht selten in Krankenhäusern die Wunden von verschiedenen Patienten nacheinander mit demselben Schwamm gereinigt.

Ignaz Semmelweis gelang in den 1840er Jahren erstmals der Nachweis, dass Desinfektion die Übertragung von Krankheiten eindämmen kann. Als Assistenzarzt in der Klinik für Geburtshilfe in Wien untersuchte er, warum in der einen Abteilung, in der Medizinstudenten arbeiteten, die Sterberate durch Kindbettfieber wesentlich höher war als in der zweiten Abteilung, in der Hebammenschülerinnen ausgebildet wurden. Er fand die Erklärung, als einer seiner Kollegen während einer Sektion von einem Studenten mit dem Skalpell verletzt wurde und wenige Tage später an Blutvergiftung verstarb, einer Krankheit mit ähnlichem Verlauf wie das Kindbettfieber. Semmelweis stellte fest, dass die an Leichensektionen beteiligten Mediziner Gefahr liefen, die Mütter bei der anschließenden Geburtshilfe zu infizieren. Da Hebammenschülerinnen keine Sektionen durchführen, kam diese Art der Infektion in der zweiten Krankenhausabteilung seltener vor. Das erklärte die dort niedrigere Sterblichkeit. Semmelweis wies seine Studenten daher an, sich vor der Untersuchung der Mütter die Hände mit Chlorkalk zu desinfizieren. Diese wirksame Maßnahme senkte die Sterberate von 12,3 % auf 1,3 %. Das Vorgehen stieß aber bei Ärzten wie Studenten auf Widerstand. Sie wollten nicht wahrhaben, dass sie selbst die Infektionen übertrugen, anstatt sie zu heilen.

Sir Joseph Lister, ein schottischer Chirurg, verwendete erfolgreich Karbol zur Desinfektion von Wunden vor der Operation. Er war zunächst der Meinung, dass Infektionen durch Erreger in der Luft verursacht würden. Eine Zeit lang wurde deshalb während der Operation ein feiner Karbolnebel über dem Patienten versprüht, was wieder aufgegeben wurde, als man erkannte, dass Infektionen hauptsächlich von Händen und Gegenständen ausgingen, die in Kontakt mit den Wunden kamen.

Max von Pettenkofer hatte ab September 1865 den ersten deutschen Lehrstuhl für Hygiene inne und gilt als Vater der Hygiene als medizinisches Lehrfach. Als Teilgebiet war Hygiene an der Wiener Medizinischen Fakultät jedoch bereits ab 1805 Bestandteil der ärztlichen Ausbildung und auch an der Medizinischen Fakultät Würzburgs wurde das Fach bereits vor der Ernennung zum Nominalfach von dem Arzt und Chemiker Joseph von Scherer gelehrt.[18] Weitere bekannte Forscher auf dem Gebiet der Hygiene waren Johann Peter Frank, Robert Koch und Louis Pasteur. Ein Pionier der Hygiene im militärischen Bereich war Franz Ballner.

Aus der Hygiene hat sich im späten 19. Jahrhundert auch das Fach Sportmedizin entwickelt[19], da dieselben humanbiologischen Kenntnisse auch in der Bewegungstherapie Verwendung fanden.[20]

Öffentliche Hygiene im 19. Jahrhundert

Das 19. Jahrhundert war durch neue Erkenntnisse zur Prävention von Krankheiten und durch das Entstehen öffentlicher Gesundheitsfürsorge geprägt. Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts erkannten Regierungen die Notwendigkeit zum systematischen Aufbau einer öffentlichen Gesundheitsfürsorge. Hatten sich die Maßnahmen hierzu in Westeuropa zunächst auf Quarantäneregelungen in Häfen zur Kontrolle und Ausgrenzung Kranker oder potenziell Kranker beschränkt, waren neue Maßnahmen auf den Ausbau infrastruktureller Einrichtungen gerichtet, wodurch Krankheiten der Nährboden entzogen werden sollte. Öffentliche Gesundheitsfürsorge wurde zur Aufgabe des Staates, während sie bis dahin privater und religiöser Initiative überlassen war.[21] Die neuen Prioritäten galten, ausgehend von Großbritannien, ab den 1830er Jahren der Beseitigung von Unrat und Abwässern in Städten und der Versorgung mit unschädlichem Trinkwasser. Die Begleiterscheinungen der Frühindustrialisierung wurden damit erkannt und schrittweise, wenn auch mit Widerstand, dagegen angegangen. Wasser musste zunächst als öffentliches Gut anerkannt werden. Erst auf dieser Grundlage konnte eine Wasserpolitik mit umfassenden rechtlichen Bestimmungen für das Eigentum und die Nutzung von Wasser entstehen. Private Besitzansprüche mussten aufgehoben werden, ein langwieriger und komplizierter Prozess, der sich in Westeuropa teilweise bis ins 20. Jahrhundert hinzog, so in Frankreich. Hinzukommen mussten adäquate Technologien in Form moderner Wasserversorgung. New York erhielt als erste Stadt 1842 ein umfassendes Röhrensystem, Aquädukte, Speicher und angebundene öffentliche Brunnen.

Der Wert technischer Wasserreinigung wurde eindrucksvoll bestätigt, seit 1849 bekannt war, dass Cholera durch Wasser übertragen wird. Dennoch dauerte es Jahrzehnte, so etwa in London bis 1868 und in München sogar bis 1881, bis sich das neue Wissen gegen einen vielfach radikalen Marktliberalismus private durchgesetzt hatte und geeignete Maßnahmen ergriffen werden konnten. In London konnten um 1800 in der Themse noch Lachse gefischt und geschwommen werden, während um 1858 so starker Gestank aus dem Fluss aufstieg, dass das House of Commons mit Laken umhängt und die Sitzungen dort wegen des Gestanks abgebrochen werden mussten. Erst dieses Ereignis führte zur Beauftragung des Baus eines unterirdischen Kanalisationssystems zur Verbesserung der Stadthygiene.[22]

Außerhalb Westeuropas waren Städte teilweise schon deutlich früher für eine Verbesserung der Stadthygiene aktiv geworden. Das persische Isfahan wurde in Berichten vor der afghanischen Zerstörung 1722 für seine Wasserversorgung gerühmt. In Damaskus, einer Stadt mit damals 15000 Einwohnern, war 1872 jede Straße, jede Moschee, jedes öffentliche und private Haus im Überfluss mit Kanälen und Fontänen versorgt.[23] In Bombay wurde bereits 1859 eine öffentliche organisierte Wasserversorgung eingerichtet. In Kalkutta wurde 1865 ein Abwassersystem und 1869 eine Wasserfilterung gebaut. Dasselbe geschah in Shanghai 1883, allerdings dort durch private Investoren und nur für einige reiche Chinesen und dort lebenden Europäer. Die Chinesen verhielten sich zurückhaltend gegenüber den Erneuerungen.[24]

Hygienemaßnahmen

Medizinische Maßnahmen sind Sterilisation, Desinfektion und Quarantäne. Insbesondere im wirtschaftlichen Bereich sind Lebensmittel- und Wäschereihygiene gesetzlich geregelt. Zu den lokalen Hygienemaßnahmen gehören die Haushaltshygiene, die Lebensmittelhygiene und die klinische Hygiene. Zu den individuellen somatischen Hygienemaßnahmen zählen heute die Körper-, Mund-, Brust-, Anal- und Sexualhygiene sowie die Psychohygiene.

In einer gemeinsamen Presseerklärung von Umweltbundesamt, Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin und Robert-Koch-Institut aus dem Jahr 2000 werden im Haushalt herkömmliche Reinigungsmittel für die Sicherung der Hygiene als ausreichend erachtet und der Einsatz von Produkten mit bakterizider, antibakterieller und antimikrobieller Wirkung abgelehnt.[25] Das gilt nicht für die klinische Hygiene.

Kritik an moderner Hygiene

Die moderne Hygiene und Medizin fokussiert auf die Gefahr bzw. Virulenz der Krankheitserreger. Das Fazit der 40-jährigen Forschungsarbeit des französischen Mediziners und Physiologen Claude Bernard lautete: „Le germe n’est rien, le terrain est tout!“ (Der Keim ist nichts, das Milieu ist alles!) Mit Keim (germ) ist hier ein mikrobieller Krankheitserreger gemeint, so wie auch heute noch in der Medizin der Ausdruck Keim gebraucht wird. Bernard brachte mit dieser Aussage zum Ausdruck, dass unabhängig von der Virulenz eines Krankheitserregers letztlich stets die jeweils vorhandene Stoffwechsel-, Wund- und Immunsituation des individuellen (menschlichen) Organismus über die vom Krankheitserreger ausgehende Gefahr entscheidet, entweder als Nährboden für die Vermehrung der Krankheitserreger (siehe Infektion) dient, oder aber eine Vermehrung derselben unmöglich macht. Im letzten Fall wären entweder nur die Kriterien einer Kontamination, nicht jedoch einer Infektion erfüllt (Kriterium Erregervermehrung im Organismus), oder aber es würde trotz des Auftretens einer Infektion eine Infektionskrankheit verhindert werden (siehe Stille Feiung). Hierbei spielt sowohl die individuelle Leistungsfähigkeit des Organismus als auch die ihm entgegengebrachte, unter anderem ärztliche, Hilfe (s. z. B. Débridement, Tetanus) eine Rolle.

Wissenschaftliche Studien weisen auf einen Zusammenhang zwischen übertriebener Sauberkeit im häuslichen Umfeld und dem Auftreten von Allergien hin. Durch den verringerten Kontakt mit Krankheitserregern, besonders während der frühen Kindheit, tendiere das Immunsystem dazu, auf eigentlich harmlose Stoffe wie zum Beispiel Pollen oder Hausstaub zu reagieren.

Evolutionsforscher vermuten, dass der menschliche Körper darauf angewiesen ist, dass bestimmte Bakterien und auch Würmer in ihm oder seiner Umgebung leben.[26]

Rudolf Steiner hat darauf hingewiesen, dass der Schutz vor Infektionskrankheiten nicht nur durch äußere hygienische Maßnahmen erreicht werden kann und warnt daher vor ungezielten, überschießenden Maßnahmen in dieser Richtung, die oft mehr Schaden als Nutzen bringen. Entscheidend sei vor allem die individuelle Konstitution des Menschen. Hier seien laut Rudolf Steiner die tieferen Ursachen pathogener Erkrankungen zu suchen, die den Krankheitserregern überhaupt erst die Möglichkeit geben, sich zu entfalten.

„Sie werden vielleicht, wenn Sie sich um solche Fragen gekümmert haben, weil sie doch die heutige Gegenwart so viel beschäftigen, gesehen haben, mit welcher Heftigkeit und mit welchem Dogmatismus von der einen oder anderen Seite oft gekämpft wird, wie die eine und die andere Seite dasjenige hervorhebt, was sie für ihre Anschauung vorzubringen hat. So kann die sogenannte Schulmedizin hinweisen darauf, wie sie im Laufe der letzten Jahrzehnte, namentlich im Verlaufe der letzten drei bis vier Jahrzehnte, großartige Fortschritte gemacht hat gerade dadurch, daß sie darauf gesehen hat, wie die äußeren Krankheitserreger an die Menschen herankommen und sozusagen ihre Gesundheit vernichten. Diese Schulmedizin kann darauf hinweisen, wie sie besorgt war darum, die äußeren Lebensverhältnisse, die Zustände des Lebens so zu verbessern, daß in der Tat in der letzten Zeh ein Aufschwung eingetreten ist. Gerade diejenige Richtung der Medizin, die vorzugsweise auf die äußeren Krankheitserreger sieht - sagen wir auf die heute so gefürchtete Bakterien- und Bazillenwelt —, sie hat dadurch, daß sie auf dem Gebiete der Hygiene und der sanitären Einrichtungen eingegriffen hat, in einer für die Laien gar nicht so durchschaubaren Weise, ungeheuer viel getan für die Verbesserung der Gesundheitsverhältnisse.

Es wird gewiß — wiederum nicht ganz mit Unrecht, aber auch nur mit einseitigem Recht - von mancher Seite betont, wie diese Schulmedizin geradezu eine Bakterien- und Bazillenfurcht hervorgerufen hat. Aber auf der anderen Seite hat die Untersuchung dazu geführt, daß die Gesundheitsverhältnisse im Laufe der letzten Jahrzehnte sich gebessert haben. Mit Stolz weist der Anhänger dieser Richtung darauf hin, um wieviel Prozent die Sterblichkeit da oder dort in den letzten Jahrzehnten tatsächlich abgenommen hat. Diejenigen aber, die sagen, daß es nicht so sehr die äußeren Ursachen sind, welche für die Betrachtung der Krankheit wichtig sind, sondern daß es vor allen Dingen die im Menschen liegenden Ursachen sind, sozusagen seine Krankheitsdisposition, sein vernünftiges oder unvernünftiges Leben, die werden wieder besonders betonen, daß in den letzten Zeiten zwar unleugbar die Sterblichkeitsziffern abgenommen haben, daß aber die Krankheitsziffern in einer erschreckenden Weise zugenommen haben. Es wird betont, wie gewisse Krankheitsformen zugenommen haben: Herzkrankheiten,Krebskrankheiten, Krankheitsformen, die in den Schriften der älteren Zeit gar nicht verzeichnet sind, Krankheiten der Verdauungsorgane und so weiter. Diejenigen Gründe, die von der einen oder anderen Seite hervorgebracht werden, sind durchaus beachtenswert. Es kann von einem oberflächlichen Standpunkte aus nicht eingewendet werden, die Bazillen oder Bakterien seien nicht Krankheitserreger furchtbarster Art. Es kann aber auf der anderen Seite auch nicht geleugnet werden, daß der Mensch in gewisser Beziehung entweder gefestigt und gesichert ist gegen Einflüsse solcher Krankheitserreger oder es nicht ist. Er ist es nicht, wenn er sich durch unvernünftige Lebensweise um seine Widerstandskraft gebracht hat.

In vieler Beziehung sind diejenigen Dinge bewundernswert, welche von der Schulmedizin in der letzten Zeit geleistet worden sind. Sehen wir doch einmal zu, wie subtil und fein die Untersuchungen über das gelbe Fieber sind im Zusammenhange mit der Art und Weise, wie es durch gewisse Insekten von Mensch zu Mensch übertragen wird. Wie vorzüglich sind die Untersuchungen in bezug auf die Malaria und ähnliches! Aber auf der anderen Seite können wir sehen, daß berechtigte Ansprüche dieser Schulmedizin sehr leicht unser ganzes Leben durchkreuzen können, was in gewisser Beziehung zu einer Tyrannis führen kann. Denken wir, daß - und zwar mit einem gewissen Recht - behauptet wird, in einer in der letzten Zeit häufig auftretenden Krankheit, in der Genickstarre, werde durchaus nicht der Krankheitserreger von einem Kranken auf einen anderen Menschen übertragen, sondern Menschen, die ganz gesund sind, die ganz fernstehen dem, was man mit Genickstarre bezeichnet, könnten in gewisser Beziehung die Krankheitskeime in sich tragen und sie auf andere Menschen übertragen, so daß Menschen, die unter uns herumgehen, die Träger von Krankheitskeimen seien, von denen dann der, welcher dazu geeignet ist, die Krankheit bekommen kann, während die anderen, welche die Keime tragen, durchaus nicht von der Krankheit befallen zu werden brauchen. — So könnte es dahin kommen, daß die Forderung aufgestellt würde, die Krankheitskeimträger zu isolieren; denn wenn irgendeiner an Genickstarre erkrankt ist, so sei er gar nicht einmal so gefährlich wie diejenigen, welche ihn pflegen, und die vielleicht die eigentlichen Krankheitsträger sind. Zu welchen Konsequenzen das führen muß, wenn man diesen Menschen den Umgang erschweren würde, das mag man daraus erkennen: Man kann anführen und es ist schon angeführt worden —, daß an irgendeiner Schule plötzlich eine größere Anzahl von Kindern an dieser oder jener Krankheit erkrankt ist. Man wußte nicht, woher die Krankheit gekommen ist. Da stellte sich heraus, daß die Lehrer die eigentlichen Krankheitsträger waren. Sie selber sind nicht von der Krankheit befallen worden, aber die ganze Schule ist von ihnen angesteckt worden. Der Ausdruck Bazillenträger oder Bazillenfänger ist ein Ausdruck, der von einer gewissen Seite sogar mit einem gewissen Recht gebraucht werden kann. Daß derjenige, welcher Laie ist auf diesem Gebiete, in allem, was ihm entgegentreten kann von dieser oder jener Seite, sich recht wenig auskennt, das ist schon aus dem wenigen, was wir anführen konnten, fast selbstverständlich.

Nun müssen wir sagen: Gerade das, was wir am Eingange unserer heutigenBetrachtung ausgeführt haben, müßte ein Leitfaden sein dafür, was eigentlich aus alledem, was an guten Gründen von der einen oder anderen Seite vorgebracht wird, wirklich zum Heile führen kann. Als Grundsatz im tiefsten und bedeutsamsten Sinne muß gelten, daß vor allen Dingen vor uns stehen muß die Individualität des Menschen als eine einzelne Realität, als etwas, was anders ist als jeder andere Mensch.“ (Lit.:GA 57, S. 193ff)

Insofern durch hygienische Maßnahmen nicht nur der Einzelne, sondern die soziale Gemeinschaft betroffen ist, muss die Hygiene auch als soziale Frage behandelt werden.

„Zwar fehlt es uns auch heute durchaus nicht an hygienischen Anweisungen, an Abhandlungen und Schriften über Gesundheitspflege auch als öffentliche Angelegenheit. Allein, man muß fragen: Diese Anweisungen, diese Betrachtungen des Hygienischen, wie stellen sie sich in das soziale Leben hinein? - Und da muß man eben sagen: Sie stellen sich so hinein, daß einzelne Reden über eine richtige Gesundheitspflege veröffentlicht werden als das Ergebnis ärztlicher, physiologischer, medizinischer Wissenschaft, wobei gewissermaßen das Vertrauen, das man zu einem Fach hat, dessen innere Wesenheit man nicht zu prüfen in der Lage ist, die Grundlage bilden soll für die Annahme solcher Regeln. Rein auf Autorität hin können weiteste Kreise, die es doch angeht - denn es geht alle Menschen an -, das annehmen, was gewissermaßen aus den Studierkammern und Untersuchungszimmern, den Untersuchungslaboratorien des Mediziners über Hygiene an die Öffentlichkeit tritt.

Wenn man aber davon überzeugt ist, daß im Laufe der neueren Geschichte, im Laufe der letzten vier Jahrhunderte, in der Menschheit die Sehnsucht heraufgezogen ist nach demokratischer Ordnung aller Angelegenheiten, so tritt einem, wenn das auch heute vielen als grotesk erscheint, doch entgegen dieses ganz Undemokratische des reinen Autoritätsglaubens, der auf hygienischem Gebiet gefordert wird. Das Undemokratische dieses Autoritätsglaubens tritt der Sehnsucht nach Demokratie gegenüber, wie sie in der Gegenwart oftmals - wenn auch, man möchte sagen in sehr paradoxer Weise - bis zu einem Kulminationspunkt heraufgeschritten ist.

Ich weiß sehr gut, daß der Satz, den ich eben ausgesprochen habe, von vielen als paradox empfunden wird, denn man stellt einfach nicht zusammen die Art und Weise, wie jemand das entgegennimmt, was auf Gesundheitspflege bezüglich ist, mit der demokratischen Forderung, wonach über öffentliche Angelegenheiten, die jeden mündig gewordenen Menschen angehen, auch die Gemeinschaft dieser mündig gewordenen Menschen zu urteilen habe - sei es direkt oder sei es durch ihre Vertreter. Gewiß muß ja gesagt werden: Es kann vielleicht nicht in vollständig demokratischer Weise sich so etwas ausleben wie eine hygienische Anschauung, eine hygienische Pflege des öffentlichen Lebens, weil es abhängig ist von dem Urteil desjenigen, der auf einem bestimmten Gebiete nach Erkenntnis sucht. Aber auf der anderen Seite muß doch die Frage auftauchen: Sollte nicht ein stärkeres Demokratisieren, als es heute unter den gegenwärtigen Verhältnissen möglich ist, auf einem solchen Gebiete angestrebt werden können, das so nahe, so unendlich nahe jeden einzelnen Menschen und damit die Menschengemeinschaft angeht, wie die öffentliche Gesundheitspflege?“ (Lit.:GA 73a, S. 186f)

Euphemistische Verwendung des Begriffs

Der suggestive, euphemistische Begriff der „Rassenhygiene“ (Eugenik) legte nahe, dass eine (menschliche) „Rasse“ oder ein „Volkskörper“ durch wie auch immer geartete „hygienische“ Maßnahmen „rein“ gehalten (oder „bereinigt“) werden. Der Begriff bestimmte die Bevölkerungspolitik in der Zeit des Nationalsozialismus (siehe dazu Nationalsozialistische Rassenhygiene).

Siehe auch

Literatur

  • T. McKeown: The role of medicine: Dream, mirage or nemesis? Blackwell, Oxford 1979
  • Christian Conrad: Krankenhaushygiene damals und heute – was hat sich geändert? Hygiene und Medizin 29(6), S. 204 ff. (2004), ISSN 0172-3790
  • M. Klade, U. Seebacher, M. Jaros: Potenzielle Gefährdung von Mensch und Umwelt durch Desinfektionsmittel in der Krankenhaushygiene: Eine vergleichende Bewertung. Krankenhaus Hygiene und Infektionsverhütung 24(1), S. 9–15 (2002), ISSN 0720-3373
  • A. Nassauer: Die neue Richtlinie für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention – Tradition und Fortschritt. Hygiene und Medizin (29(4), S. 113–115 (2004), ISSN 0172-3790
  • GMS Krankenhaushygiene Interdisziplinär. Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH). Online verfügbar unter:
GMS Krankenhaushygiene Interdisziplinär
Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
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Weblinks

 Wiktionary: Hygiene – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
 Wikiquote: Hygiene – Zitate

Einzelnachweise

  1. Helmut Siefert: Hygiene. In: Enzyklopädie Medizingeschichte. 2005, S. 647.
  2. 1906 – 2006 Deutsche Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie Festschrift zum 100jährigen Bestehen der DGHM, S. 8.
  3. Topics: Hygiene. In: Web-Site. WHO, abgerufen am 2. Dezember 2016.
  4. Landesgesundheitsamt Baden-Württemberg
  5.  Lehrbuch der Hygiene : Umwelthygiene, Krankenhaushygiene, Individualhygiene, Sozialhygiene und öffentliches Gesundheitswesen, Epidemiologie. G. Fischer, Stuttgart ; New York 1991, ISBN 3-437-00593-6.
  6. ausführliche Definition durch "Gesundheitsberichterstattung des Bundes"
  7. Wasserhygiene. Abgerufen am 2. Dezember 2016.
  8. Institut für Bauhygiene. Abgerufen am 2. Dezember 2016.
  9. Abteilung Energietechnik und Bauhygiene - Stadt Zürich. In: www.stadt-zuerich.ch. Abgerufen am 2. Dezember 2016.
  10. Bundesamt für Gesundheit - Wohnhygiene und Haushaltprodukte. In: www.bag.admin.ch. Abgerufen am 2. Dezember 2016.
  11. Gundolf Keil: Hygieia. In: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. Walter de Gruyter, Berlin und New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 646 f.
  12. Helmut Siefert: Hygiene. 2005, S. 647.
  13. A. G. Varron: Hygiene im Mittelalter. In: Ciba-Zeitschrift. Band 7, Nr. 74, (Wehr/Baden) 1955, S. 2439–2468.
  14. Ralf Bröer: Medizinalgesetzgebung/Medizinrecht. In: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. De Gruyter, Berlin/New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 942–950; hier: S. 948 f.
  15. Ernest Wickersheimer: Les Maladies épidémiques ou contagieuses (Peste, Lepre, Syphilis) et la Faculté de Médecine de Paris de 1399 à 1511. In: Bull. Soc. franc. d' hist. de la méd. Band 13, Nr. 21, 1914.
  16. A.G.Varron:Hygiene in der mittelalterlichen Stadt
  17. animalia quaedam minuta, quae non possunt oculi consequi et per aera intus in corpus per os ac nares perveniunt atque efficiunt difficilis morbos (Tiere, die so klein sind, dass die Augen sie nicht sehen können, und die durch die Luft in den Körper gelangen durch Mund und Nase und schwere Krankheiten verursachen.) - Verro: Rerum Rusticarum libri tres, lib. I, cap. 12.
  18. Heinz P. R. Seeliger: 100 Jahre Lehrstuhl für Hygiene in Würzburg. In: Würzburger medizinhistorische Mitteilungen 6, 1988, S. 129–139; hier: S. 130
  19. SCHMIDT, Ferdinand A.: Die körperliche Erziehung und die Leibesübungen in der Geschichte der Hygiene. Bogeng, G.A.E. (Hrsg.): Geschichte des Sports aller Völker und aller Zeiten. Leipzig: E. A. Seemann, 1926, S. 87.
  20. Arnd Krüger: Geschichte der Bewegungstherapie. In: Präventivmedizin. Springer Loseblatt Sammlung, Heidelberg 1999, 07.06, S. 1–22.
  21. Jürgen Osterhammel: Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts. C. H. Beck. 2 Aufl. der Sonderausgabe 2016. ISBN 978-3-406-61481-1. S. 260
  22. Jürgen Osterhammel: Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts. C. H. Beck. 2 Aufl. der Sonderausgabe 2016. ISBN 978-3-406-61481-1. S. 262
  23. Jürgen Osterhammel: Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts. C. H. Beck. 2 Aufl. der Sonderausgabe 2016. ISBN 978-3-406-61481-1. S. 263
  24. Jürgen Osterhammel: Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts. C. H. Beck. 2 Aufl. der Sonderausgabe 2016. ISBN 978-3-406-61481-1. S. 264
  25. Antibakterielle Reinigungsmittel im Haushalt nicht erforderlich Bundesinstitut für Risikobewertung 17/2000, 22. August 2000
  26. Spiegel 40/2009


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