Bibliothek:Hermann von Helmholtz/Über Goethe's naturwissenschaftliche Arbeiten und Zeitgeist Michael: Unterschied zwischen den Seiten

Aus AnthroWiki
(Unterschied zwischen Seiten)
imported>Odyssee
Keine Bearbeitungszusammenfassung
 
imported>Michael.heinen-anders
Keine Bearbeitungszusammenfassung
 
Zeile 1: Zeile 1:
<h2 class="title">Ueber Goethe's naturwissenschaftliche Arbeiten</h2>
"Alle Wesen sind in einer sich steigernden Entwickelung, und wir leben in dem Zeitalter, wo Michael, der Oberste von der Natur der Archangeloi, übergeht in die Natur der Archai. Er wird allmählich übergehen in eine leitende Stellung, wird eine leitende Wesenheit, wird Zeitgeist, leitende Wesenheit für die ganze Menschheit." (Rudolf Steiner, [[GA 152]], Seite 60)
  <h4 class="subtitle">Vortrag gehalten zu K&ouml;nigsberg, 1853</h4>
 
  <p class="center">(mit einer Nachschrift von 1875)</p>
Literatur:
  <p><i>Goethe</i>, dessen umfassendes Talent namentlich in der besonnenen Klarheit hervortrat, womit er die Wirklichkeit des Menschen und der Natur in ihren kleinsten Z&uuml;gen mit lebensfrischer Anschauung festzuhalten und wiederzugeben wusste, ward durch diese besondere Richtung seines Geistes mit Nothwendigkeit zu naturwissenschaftlichen Studien hingef&uuml;hrt, in denen er nicht nur aufnahm, was Andere ihn zu lehren wussten, sondern auch, wie es bei einem so urspr&uuml;nglichen Geiste nicht anders sein konnte, bald selbstth&auml;tig und zwar in h&ouml;chst eigenth&uuml;mlicher Weise einzugreifen versuchte. Er wandte seine Th&auml;tigkeit sowohl dem Gebiete der beschreibenden, als dem der physikalischen Naturwissenschaften zu; jenes geschah namentlich in seinen botanischen und osteologischen Abhandlungen, dieses in der Farbenlehre. Die ersten Gedankenkeime dieser Arbeiten fallen meist in das letzte Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts, wenn auch ihre Ausf&uuml;hrung und Darstellung theilweise sp&auml;ter vollendet ist. Seitdem hat die Wissenschaft in sehr ausgedehnter Weise vorw&auml;rts gearbeitet, zum Theil ganz neues Ansehen gewonnen, ganz neue Gebiete der Forschung er&ouml;ffnet, ihre theoretischen Vorstellungen mannigfach ge&auml;ndert. Ich will versuchen, im Vorliegenden das Verh&auml;ltniss der Arbeiten <i>Goethe</i>'s zum gegenw&auml;rtigen Standpunkte der Naturwissenschaften zu schildern und den gemeinsamen leitenden Gedanken derselben anschaulich zu machen.</p>
 
  <p>Der eigenth&uuml;mliche Charakter der beschreibenden Naturwissenschaften, Botanik, Zoologie, Anatomie u. s. w., wird dadurch bedingt, dass sie ein ungeheures Material von Thatsachen zu sammeln, zu sichten und zun&auml;chst in eine logische Ordnung, ein System, zu bringen haben. So weit ist ihre Arbeit nur die trockene eines Lexicographen, ihr System ein Repositorium, in welchem die Masse der Acten so geordnet ist, dass Jeder in jedem Augenblicke das Verlangte finden kann. Der geistigere Theil ihrer Arbeit und ihr eigentliches Interesse beginnt erst, wenn sie versuchen, den zerstreuten Z&uuml;gen von Gesetzm&auml;ssigkeit in der unzusammenh&auml;ngenden Masse nachzusp&uuml;ren und sich daraus ein &uuml;bersichtliches Gesammtbild herzustellen, in welchem jedes Einzelne seine Stelle und sein Recht beh&auml;lt und durch den Zusammenhang mit dem Ganzen an Interesse noch gewinnt. Hier fand der ordnende und ahnende Geist unseres Dichters ein geeignetes Feld f&uuml;r seine Th&auml;tigkeit, und zugleich war die Zeit ihm g&uuml;nstig. Er fand schon genug Material in der Botanik und vergleichenden Anatomie gesammelt und logisch geordnet vor, um eine umfassende Rundschau zu erlauben und auf richtige Ahnungen einer durchgehenden Gesetzm&auml;ssigkeit hinzuweisen. Dagegen irrten die Bestrebungen seiner Zeitgenossen in dieser Beziehung meist ohne Leitfaden umher, oder sie waren noch so sehr von der M&uuml;he des trockenen Einregistrirens in Anspruch genommen, dass sie an weitere Aussichten kaum zu denken wagten. Hier war es <i>Goethe</i> vorbehalten, zwei bedeutende Gedanken von ungemeiner Fruchtbarkeit in die Wissenschaft hineinzuwerfen.</p>
* Rudolf Steiner: ''Vorstufen zum Mysterium von Golgatha'', [[GA 152]], (1980)
  <p>Die erste Idee war, dass die Verschiedenheiten in dem anatomischen Bau der verschiedenen Thiere aufzufassen seien als Ab&auml;nderungen eines gemeinsamen Bauplanes oder Typus, bedingt durch die verschiedenen Lebensweisen, Wohnorte, Nahrungsmittel. Die Veranlassung f&uuml;r diesen folgereichen Gedanken war sehr unscheinbar und findet sich in der schon 1786 geschriebenen, kleinen Abhandlung &uuml;ber das Zwischenkieferbein. Man wusste, dass bei s&auml;mmtlichen Wirbelthieren (d. h. S&auml;ugethieren, V&ouml;geln, Amphibien , Fischen) die obere Kinnlade jederseits aus zwei Knochenst&uuml;cken besteht, dem sogenannten Oberkiefer- und Zwischenkieferbein. Ersteres enth&auml;lt bei den S&auml;ugethieren stets die Backen- und Eckz&auml;hne, letzteres die Schneidez&auml;hne. Der Mensch, welcher sich von ihnen allen durch den Mangel der vorragenden Schnauze unterscheidet, hatte dagegen jederseits nur ein Knochenst&uuml;ck, das Oberkieferbein, welches alle Z&auml;hne enthielt. Da entdeckte <i>Goethe</i> auch am menschlichen Sch&auml;del schwache Spuren der N&auml;hte, welche bei den Thieren Oberkiefer und Zwischenkiefer verbinden, und schloss daraus, dass auch der Mensch urspr&uuml;nglich einen Zwischenkiefer besitze, der aber sp&auml;ter durch Verschmelzung mit dem Oberkiefer verschwinde. Diese unscheinbare Thatsache l&auml;sst ihn sogleich einen Quell des anregendsten Interesses in dem wegen seiner Trockenheit &uuml;bel ber&uuml;chtigten Boden der Osteologie entdecken. Dass Mensch und Thier &auml;hnliche Theile zeigen , wenn sie diese Theile zu &auml;hnlichen Zwecken dauernd gebrauchen, hatte nichts Ueberraschendes gehabt. In diesem Sinne hatte schon <i>Camper</i> die Aehnlichkeiten des Baues bis zu den Fischen hin zu verfolgen gesucht. Aber dass diese Aehnlichkeit der Anlage nach bestehe, auch in einem Falle, wo sie den Anforderungen des vollendeten menschlichen Baues offenbar nicht entspricht, und ihnen deshalb nachtr&auml;glich durch Verwachsung der getrennt entstandenen Theile angepasst werden muss, das war ein Wink, welcher dem geistigen Auge von <i>Goethe</i> gen&uuml;gte, um ihm einen Standpunkt von weit umfassender Aussicht anzuzeigen. Weitere Studien &uuml;berzeugten ihn bald von der Allgemeing&uuml;ltigkeit seiner neugewonnenen Anschauung, so dass er im Jahre 1795 und 1796 die ihm dort aufgegangene Idee n&auml;her bestimmen und in dem <i>Entwurf einer allgemeinen Einleitung in die vergleichende Anatomie</i> zu Papier bringen konnte. Er lehrt darin mit der gr&ouml;ssten Entschiedenheit und Klarheit, dass alle Unterschiede im Bau der Thierarten aufgefasst werden m&uuml;ssten als Ver&auml;nderungen des einen Grundtypus, welche durch Verschmelzung, Umformung, Vergr&ouml;sserung, Verkleinerung oder g&auml;nzliche Beseitigung einzelner Theile hervorgebracht seien. Es ist das, im gegenw&auml;rtigen Zustande der vergleichenden Anatomie, in der That die leitende Idee dieser Wissenschaft geworden. Sie ist sp&auml;ter nirgends besser und klarer ausgesprochen, als es durch <i>Goethe</i> geschehen ist; auch hat die Folgezeit nur wenige wesentliche Ver&auml;nderungen daran vorgenommen, deren wichtigste die ist, dass man den gemeinsamen Typus jetzt nicht f&uuml;r das ganze Thierreich, sondern f&uuml;r jede der von <i>Cuvier</i> aufgestellten Hauptabtheilungen desselben zu Grunde legt. Der Fleiss von <i>Goethe</i>'s Nachfolgern hat ein unendlich viel reicheres, wohlgesichtetes Material zusammengeh&auml;uft und hat das, was er nur in allgemeinen Andeutungen geben konnte, in das Speziellste verfolgt und durchgef&uuml;hrt.</p>
 
  <p>Die zweite leitende Idee, welche <i>Goethe</i> der Wissenschaft schenkte, sprach eine &auml;hnliche Analogie zwischen den verschiedenen Theilen ein und desselben organischen Wesens aus, wie wir sie eben f&uuml;r die entsprechenden Theile verschiedener Arten beschrieben haben. Die meisten Organismen zeigen eine vielf&auml;ltig e Wiederholung einzelner Theile. Am auffallendsten ist das bei den Pflanzen; eine jede pflegt eine grosse Anzahl gleicher Stengelbl&auml;tter, gleicher Bl&uuml;thenbl&auml;tter, Staubf&auml;den u. s. w. zu haben.</p>
{{GA}}
  <p><i>Goethe</i> wurde zuerst, wie er erz&auml;hlt, beim Anblick einer F&auml;cherpalme in Padua darauf aufmerksam, wie mannigfach die Ueberg&auml;nge zwischen den verschiedenen Formen der nach einander entwickelnden Stengelbl&auml;tter einer Pflanze sein k&ouml;nnen, wie, statt der ersten einfachsten Wurzelbl&auml;ttchen, mehr und mehr getheilte Bl&auml;tter und schliesslich die zusammengesetztesten Fiederbl&auml;tter sich entwickeln; es gelang ihm auch sp&auml;ter die Ueberg&auml;nge zwischen den Bl&auml;ttern des Stengels und denen des Kelches und der Bl&uuml;the, zwischen letzteren und den Staubf&auml;den, Nectarien und Samengebilden zu finden und so zur Lehre von der Metamorphose der Pflanzen zu gelangen, welche er 1790 ver&ouml;ffentlichte. Wie die vordere Extremit&auml;t der Wirbelthiere sich bald zum Arm beim Menschen und Affen, bald zur Pfote mit N&auml;geln, bald zum Vorderfuss mit Hufen, bald zur Flosse, bald zum Fl&uuml;gel entwickelt und immer eine &auml;hnliche Gliederung, Stellung und Verbindung mit dem Rumpfe beh&auml;lt, so erscheint das Blatt bald als Keimblatt, bald als Stengelblatt, Kelchblatt, Bl&uuml;thenblatt, Staubfaden, Honiggef&auml;ss, Pistill, Samenh&uuml;lle u. s. w. immer mit einer gewissen Aehnlichkeit der Entstehung und Zusammensetzung und, unter ungew&ouml;hnlichen Umst&auml;nden, auch bereit, aus der einen Form in die andere &uuml;berzugehen. Jeder, der eine gef&uuml;llte Rose aufmerksam betrachtet, wird ihre theils halb, theils ganz in Bl&uuml;thenbl&auml;tter verwandelten Staubf&auml;den leicht erkennen. Auch diese Anschauungsweise <i>Goethe</i>'s ist gegenw&auml;rtig in der Wissenschaft vollst&auml;ndig eingeb&uuml;rgert und erfreut sich der allgemeinen Zustimmung der Botaniker, wenn auch &uuml;ber einzelne Deutungen gestritten wird, z. B. ob der Samen ein Blatt oder ein Zweig sei.</p>
  <p>Unter den Thieren ist die Zusammensetzung aus &auml;hnlichen Theilen sehr auffallend in der grossen Abtheilung der Geringelten, z. B. der Insecten und Ringelw&uuml;rmer. Die Insectenlarve, die Raupe eines Schmetterlings, besteht aus einer Anzahl ganz gleicher K&ouml;rperabschnitte, der Leibesringel; nur der erste und letzte zeigen gewisse Abweichungen. Bei ihrer Verwandlung zum vollkommenen Insecte bew&auml;hrt sich sehr leicht und deutlich die Anschauungsweise, welche <i>Goethe</i> in der Metamorphose der Pflanzen aufgefasst hatte: die Entwickelung des urspr&uuml;nglich Gleichartigen zu anscheinend sehr verschiedenen Formen. Die Ringel des Hinterleibes behalten ihre urspr&uuml;ngliche einfache Form, die des Brustst&uuml;ckes ziehen sich stark zusammen, entwickeln F&uuml;sse und Fl&uuml;gel, die des Kopfes Kinnladen und F&uuml;hlh&ouml;rner, so dass an vollkommenen Insecten die urspr&uuml;nglichen Ringel nur noch am Hinterleibe zu erkennen sind. Auch bei den Wirbelthieren ist die Wiederholung gleichartiger Theile in der Wirbels&auml;ule angedeutet, aber in der &auml;usseren Gestalt nicht mehr zu erkennen. Ein gl&uuml;cklicher Blick auf einen halbgesprengten Schafsch&auml;del, welchen <i>Goethe</i> im Sande des Lido von Venedig 1790 zuf&auml;llig fand, lehrte ihn auch den Sch&auml;del als eine Reihe stark ver&auml;nderter Wirbel aufzufassen. Beim ersten Anblick kann nichts un&auml;hnlicher sein, als die weite, einf&ouml;rmige, von platten Knochen begrenzte Sch&auml;delh&ouml;hle der S&auml;ugethiere und das enge cylindrische, aus kurzen, massigen und vielfach gezackten Knochen zusammengesetzte Rohr der Wirbels&auml;ule. Es geh&ouml;rt ein geistreicher Blick dazu, um im Sch&auml;del der S&auml;ugethiere die ausgeweiteten und umgeformten Wirbelringe wiederzuerkennen, w&auml;hrend bei Amphibien und Fischen die Aehnlichkeit auffallender ist. <i>Goethe</i> liess &uuml;brigens diesen Gedanken lange Zeit liegen, ehe er ihn ver&ouml;ffentlichte; vielleicht, weil er seiner g&uuml;nstigen Aufnahme nicht recht sicher war. Unterdessen fand <i>Oken</i> 1806 denselben Gedanken, f&uuml;hrte ihn in die Wissenschaft ein und gerieth dar&uuml;ber in einen Priorit&auml;tsstreit mit <i>Goethe</i>, welcher erst 1817, als der Gedanke anfing sich Beifall zu erwerben, erkl&auml;rte, dass er ihn seit 30 Jahren gehegt habe. Ueber die Zahl und die Zusammensetzung der einzelnen Sch&auml;delwirbel ward und wird noch viel gestritten, der Grundgedanke hat sich aber erhalten.</p>
  <p>Die Lehre von der Pflanzenmetamorphose ist als <i>Goethe</i>'s anerkanntes und directes Eigenthum in die Botanik eingef&uuml;hrt worden. Seine Ansichten &uuml;ber den gemeinsamen Bauplan der Thiere scheinen dagegen nicht eigentlich direct in den Entwickelungsgang der Wissenschaften eingegriffen zu haben. Seine osteologischen Ansichten stiessen zuerst auf Widerspruch bei den M&auml;nnern vom Fache und wurden erst sp&auml;ter, als sich die Wissenschaft, wie es scheint, unabh&auml;ngig zu derselben Erkenntniss durchgearbeitet hatte, Gegenstand der Aufmerksamkeit. Er selbst klagt, dass seine ersten Ideen &uuml;ber den gemeinsamen Typus zur Zeit, als er sie in sich durcharbeitete, nur Widerspruch und Zweifel gefunden und dass sogar M&auml;nner von frisch aufkeimender Originalit&auml;t, wie <i>Alexander</i> und <i>Wilhelm von Humboldt</i>, sie nur mit einer gewissen Ungeduld angeh&ouml;rt h&auml;tten. Es liegt aber in der Natur der Sache, dass theoretische Ideen in den Naturwissenschaften nur dann die Aufmerksamkeit der Fachgenossen erregen, wenn sie gleichzeitig mit dem ganzen beweisenden Materiale vorgef&uuml;hrt werden und durch dieses ihre thats&auml;chliche Berechtigung darlegen. Jedenfalls aber geb&uuml;hrt <i>Goethe</i> der grosse Ruhm, die leitenden Ideen zuerst vorausgeschaut zu haben, zu denen der eingeschlagene Entwickelungsgang der genannten Wissenschaften hindr&auml;ngte und durch welche deren gegenw&auml;rtige Gestalt bestimmt wird.</p>
  <p>So gross nun die Verehrung ist, welche <i>Goethe</i> durch seine Leistungen in den beschreibenden Naturwissenschaften sich erworben hat, so unbedingt ist auch der Widerspruch, den seine Arbeiten auf dem Gebiete der physikalischen Naturwissenschaften, namentlich seine Farbenlehre bei s&auml;mmtlichen Fachgenossen gefunden haben. Es ist hier nicht die Stelle, mich in die dar&uuml;ber gef&uuml;hrte Polemik einzulassen; ich will nur versuchen, den Gegenstand des Streites, seinen verborgenen Sinn, seine eigentliche Bedeutung darzulegen und nachzuweisen. Es ist in dieser Beziehung von Wichtigkeit auf die Entstehungsgeschichte der Farbenlehre und ihren ersten einfachsten Stand zur&uuml;ckzugehen; weil hier schon die Gegens&auml;tze vollst&auml;ndig vorhanden sind und, nicht verh&uuml;llt durch Streit um die Richtigkeit besonderer Thatsachen und verwickelter Theorien, sich leicht und klar darlegen lassen.</p>
  <p><i>Goethe</i> selbst erz&auml;hlt sehr h&uuml;bsch in der Confession am Schluss seiner Geschichte der Farbenlehre, wie er dazu gekommen war, diese zu bearbeiten. Weil er sich die &auml;sthetischen Grunds&auml;tze des Colorits in der Malerei nicht klar machen konnte, beschloss er, die physikalische Farbenlehre, wie sie ihm auf der Universit&auml;t gelehrt worden war, wieder vorzunehmen und die dazu geh&ouml;rigen Versuche selbst zu wiederholen. Er borgt zu dem Ende ein Glasprisma vom Hofrath <i>B&uuml;ttner</i> in Jena, l&auml;sst es aber l&auml;ngere Zeit unbenutzt liegen, weil andere Besch&auml;ftigungen ihn von seinem Vorsatze ablenken. Der Eigenth&uuml;mer, ein ordnungsliebender Mann, schickt, nach mehreren vergeblichen Mahnungen, einen Boten, der das Prisma gleich mit sich zur&uuml;cknehmen soll. <i>Goethe</i> sucht es aus dem Kasten hervor und m&ouml;chte doch wenigstens noch einen Blick hindurch thun. Er sieht auf das Gerathewohl nach einer ausgedehnten hellen weissen Wand hin, in der Voraussetzung, da sei viel Licht, da m&uuml;sse er auch eine gl&auml;nzende Zerlegung dieses Lichts in Farben sehen, eine Voraussetzung, welche &uuml;brigens beweist, wie wenig gegenw&auml;rtig ihm <i>Newton</i>'s Theorie der Sache war. Er findet sich nat&uuml;rlich get&auml;uscht. Auf der weissen Wand erscheinen ihm keine Farben; diese entwickeln sich erst da, wo sie von dunkleren Gegenst&auml;nden begrenzt werden, und er macht die richtige Bemerkung, welche &uuml;brigens in <i>Newton</i>'s Theorie ebenfalls ihre vollst&auml;ndige Begr&uuml;ndung findet, dass Farben durch das Prisma nur da erscheinen, wo ein dunklerer Gegenstand an einen helleren st&ouml;sst. Betroffen von dieser ihm neuen Bemerkung und in der Meinung, sie sei mit <i>Newton</i>'s Theorie nicht vereinbar, sucht er den Eigenth&uuml;mer des Prisma zu beschwichtigen und macht sich nun mit angestrengtem Eifer und Interesse &uuml;ber die Sache her. Er bereitet sich Tafeln mit schwarzen und weissen Feldern, studirt an diesen die Erscheinungen unter mannigfachen Ab&auml;nderungen, bis er seine Regeln hinreichend bew&auml;hrt glaubt. Nun versucht er seine vermeintliche Entdeckung einem benachbarten Physiker zu zeigen, und ist unangenehm &uuml;berrascht, von diesem die Versicherung zu h&ouml;ren, die Versuche seien allbekannt und erkl&auml;rten sich vollst&auml;ndig aus <i>Newton</i>'s Theorie der Sache. Dieselbe Erkl&auml;rung trat ihm von nun an unab&auml;nderlich aus dem Munde jedes Sachverst&auml;ndigen entgegen, selbst bei dem genialen <i>Lichtenberg</i>, den er eine Zeit lang vergebens zu bekehren suchte. <i>Newton</i>'s Schriften studirte er und glaubte die Trugschl&uuml;sse, welche den Grund des Irrthums enthalten sollten, darin aufgefunden zu haben. Da er keinen seiner Bekannten zu &uuml;berzeugen vermochte, beschloss er endlich, vor den Richterstuhl der Oeffentlichkeit zu treten und gab nun 1791 und 1792 das erste und zweite St&uuml;ck seiner Beitr&auml;ge zur Optik heraus.</p>
  <p>Darin sind die Erscheinungen beschrieben, welche weisse Felder auf schwarzem Grunde, schwarze auf weissem und farbige Felder auf schwarzem oder weissem Grunde darbieten, wenn sie durch ein Prisma angesehen werden. Ueber den Erfolg der Versuche ist durchaus kein Streit zwischen ihm und den Physikern. Er beschreibt die gesehenen Erscheinungen umst&auml;ndlich, streng naturgetreu und lebhaft, ordnet sie in einer angenehm zu &uuml;bersehenden Weise zusammen und bew&auml;hrt sich hier, wie &uuml;berall im Gebiete des Thats&auml;chlichen, als der grosse Meister der Darstellung. Er spricht dabei aus, dass er die vorgetragenen Thatsachen zur Widerlegung von <i>Newton</i>'s Theorie geeignet halte. Namentlich sind es zwei Punkte, an denen er Anstoss nimmt, n&auml;mlich, dass die Mitte einer weissen breiteren Fl&auml;che, durch das Prisma gesehen, weiss bleibe, und dass auch ein schwarzer Streifen auf weissem Grunde ganz in Farben aufgel&ouml;st werden k&ouml;nne.</p>
  <p><i>Newton</i>'s Farbentheorie gr&uuml;ndet sich auf die Annahme, dass es Licht verschiedener Art gebe, welches sich unter anderem auch durch den Farbeneindruck unterscheide, den es im Auge mache. So gebe es Licht von rother, orangener, gelber, gr&uuml;ner; blauer, violetter Farbe wie von allen zwischenliegenden Uebergangsstufen.</p>
  <p>Licht verschiedener Art und Farbe zusammengemischt gebe Mischfarben, die theils anderen urspr&uuml;nglichen Farben &auml;hnlich sehen, theils neue Farbent&ouml;ne bilden. Weiss sei die Mischung aller genannten Farben in bestimmten Verh&auml;ltnissen. Aus den Mischfarben und dem Weiss k&ouml;nne man aber stets die einfachen Farben wieder ausscheiden, die letzteren seien dagegen unzerlegbar und unver&auml;nderlich. Die Farben der durchsichtigen und undurchsichtigen irdischen K&ouml;rper entst&auml;nden dadurch, dass diese, von weissem Lichte getroffen, einzelne farbige Theile desselben vernichteten, andere, welche nun nicht mehr im richtigen Verh&auml;ltniss gemischt seien um Weiss zu geben, dem Auge zuschickten. So erscheine ein rothes Glas deshalb roth, weil es nur rothe Strahlen durchlasse. Alle Farbe r&uuml;hre also nur von einem ver&auml;nderten Mischungsverh&auml;ltnisse des Lichtes her, geh&ouml;re also urspr&uuml;nglich dem Lichte an, nicht den K&ouml;rpern, und letztere seien nur die Veranlassung zu ihrem Hervortreten.</p>
  <p>Ein Prisma bricht das durchgehende Licht, d. h. lenkt es um einen gewissen Winkel von seinem Wege ab; verschiedenfarbiges einfaches Licht hat nach <i>Newton</i> verschiedene Brechbarkeit, schl&auml;gt deshalb nach der Brechung im Prisma verschiedene Wege ein und trennt sich von einander. Ein heller Punkt von verschwindend kleiner Gr&ouml;sse erscheint deshalb, durch das Prisma gesehen, aus seiner Stelle ger&uuml;ckt und in eine farbige Linie, ein sogenanntes Farbenspectrum, ausgezogen, welches die genannten einfachen Farben in der angegebenen Reihenfolge zeigt. Betrachtet man eine breitere helle Fl&auml;che, so fallen, wie eine leichte geometrische Untersuchung zeigt, die Spectra der in ihrer Mitte gelegenen Punkte so &uuml;bereinander, dass alle Farben &uuml;berall in dem Verh&auml;ltnisse, um Weiss zu geben, zusammentreffen. Nur an den R&auml;ndern werden sie theilweise frei. Es erscheint daher die weisse Fl&auml;che verschoben; an dem einen Rande blau und violett, am anderen gelb und roth ges&auml;umt. Ein schwarzer Streif zwischen zwei weissen Fl&auml;chen kann von deren farbigen S&auml;umen ganz bedeckt werden; wo sie in der Mitte zusammenstossen, mischen sich Roth und Violett zur Purpurfarbe. Die Farben, in die der schwarze Streif aufgel&ouml;st erscheint, entstehen also nicht aus dem Schwarzen, sondern aus dem umgebenden Weissen.</p>
  <p>Im ersten Augenblicke hat <i>Goethe</i> offenbar <i>Newton</i>'s Theorie zu wenig im Ged&auml;chtniss gehabt, um die physikalische Erkl&auml;rung der genannten Thatsachen, die ich eben angedeutet habe, finden zu k&ouml;nnen. Sp&auml;ter ist sie ihm vielfach und zwar durchaus verst&auml;ndlich vorgetragen worden, denn er spricht dar&uuml;ber mehrere Male so, dass man sieht, er habe sie ganz richtig verstanden.<span class="footnote">In der Erkl&auml;rung der neunten Kupfertafel zur Farbenlehre, welche gegen <i>Green</i> gerichtet ist.</span> Sie gen&uuml;gt ihm aber so wenig, dass er dennoch fortw&auml;hrend bei der Behauptung bleibt, die angegebenen Thatsachen seien geeignet, Jedem, der sie nur ansehe, die g&auml;nzliche Unrichtigkeit von <i>Newton</i>'s Theorie vor Augen zu legen. Aber weder hier noch in seinen sp&auml;teren polemischen Schriften bezeichnet <i>Goethe</i> auch nur ein einziges Mal mit Bestimmtheit, worin denn das Ungen&uuml;gende der Erkl&auml;rung liege. Er wiederholt nur immer wieder und wieder die Versicherung ihrer g&auml;nzlichen Absurdit&auml;t. Und doch weiss ich nicht, wie Jemand &ndash; seine Ansicht &uuml;ber die Farben sei wie sie wolle &ndash; zu bestreiten vermag, dass die Theorie in sich vollst&auml;ndig consequent ist, dass ihre Annahmen, einmal zugegeben, die besprochenen Thatsachen vollst&auml;ndig und sogar einfach erkl&auml;ren. <i>Newton</i> selbst erw&auml;hnt an vielen Stellen seiner optischen Schriften solcher unreinen, in der Mitte noch weissen Spectra, ohne sich je in eine besondere Er&ouml;rterung dar&uuml;ber einzulassen, offenbar in der Meinung, dass die Erkl&auml;rung davon sich aus seinen Annahmen von selbst verstehe. Und er scheint sich in dieser Meinung nicht get&auml;uscht zu haben, denn als <i>Goethe</i> anfing, auf die betreffenden Erscheinungen aufmerksam zu machen, trat ihm ein Jeder, der etwas von Physik wusste, wie er selbst berichtet, unab&auml;nderlich mit dieser selben Erkl&auml;rung aus <i>Newton</i>'s Principien sogleich entgegen, die sich also ein Jeder auf der Stelle zu bilden im Stande war.</p>
  <p>Den Lesenden, der aufmerksam und gr&uuml;ndlich jeden Schritt in diesem Theile der Farbenlehre sich klar zu machen sucht, &uuml;berschleicht hier leicht ein unheimliches &auml;ngstliches Gef&uuml;hl; er h&ouml;rt fortdauernd einen Mann von der seltensten geistigen Begabung leidenschaftlich versichern, in einigen scheinbar ganz klaren, ganz einfachen Schl&uuml;ssen sei eine augenf&auml;llige Absurdit&auml;t verborgen. Er sucht und sucht, und da er beim besten Willen keine solche finden kann, nicht einmal einen Schein davon, wird ihm endlich zu Muthe, als w&auml;ren seine eigenen Gedanken wie festgenagelt. Aber eben wegen dieses offenen und schroffen Widerspruches ist der Standpunkt, den <i>Goethe</i> 1792 in der Farbenlehre einnahm, so interessant und wichtig. Er hat hier seine eigene Theorie noch nicht entwickelt; es handelt sich noch um einige wenige leicht zu &uuml;bersehende Thatsachen, &uuml;ber deren Richtigkeit alle Parteien einig sind, und doch stehen beide mit ihren Ansichten streng gesondert einander gegen&uuml;ber; keiner begreift auch nur, was der Gegner eigentlich wolle. Auf der einen Seite steht eine Zahl von Physikern, welche durch lange Reihen der scharfsinnigsten Untersuchungen, Rechnungen und Erfindungen die Optik zu einer Vollendung gebracht haben, dass sie als die einzige der physikalischen Wissenschaften mit der Astronomie fast zu wetteifern anfing. Alle haben theils durch directe Untersuchungen, theils durch die Sicherheit, mit der sie den Erfolg der mannigfaltigsten Constructionen und Combinationen von Instrumenten voraus berechnen k&ouml;nnen, Gelegenheit gehabt, die Folgerungen aus <i>Newton</i>'s Ansichten an der. Erfahrung zu pr&uuml;fen, und stimmen in diesem Felde ausnahmslos &uuml;berein. Auf der anderen Seite steht ein Mann, dessen seltene geistige Gr&ouml;sse, dessen besonderes Talent f&uuml;r die Auffassung der thats&auml;chlichen Wirklichkeit wir nicht nur in der Dichtkunst, sondern auch in den beschreibenden Theilen der. Naturwissenschaften anzuerkennen Ursache haben; der mit dem gr&ouml;ssten Eifer versichert, seine Gegner seien im Irrthume; der in seiner Ueberzeugung so gewiss ist, dass er sich jeden Widerspruch nur durch Beschr&auml;nktheit oder b&ouml;sen Willen erkl&auml;ren kann; der endlich seine Leistungen in der Farbenlehre f&uuml;r viel werthvoller erkl&auml;rt, als Alles, was er je in der Dichtkunst gethan habe.<span class="footnote">S. <i>Eckermann</i>'s Gespr&auml;che.</span></p>
  <p>Ein so schroffer Widerspruch l&auml;sst uns vermuthen, dass hinter der Sache ein viel tiefer liegender principieller Gegensatz verschiedener Geistesrichtungen verborgen sei, der das gegenseitige Verst&auml;ndniss der streitenden Parteien verhindere. Ich will mich bem&uuml;hen, im Folgenden zu bezeichnen, worin ich einen solchen zu finden glaube.</p>
  <p><i>Goethe</i>, obgleich er sich in vielen Feldern geistiger Th&auml;tigkeit versucht hat, ist seiner hervorragendsten Begabung nach Dichter. Das Wesentliche der dichterischen wie jeder k&uuml;nstlerischen Th&auml;tigkeit besteht darin, das k&uuml;nstlerische Material zum unmittelbaren Ausdruck der Idee zu machen. Nicht als das Resultat einer Begriffsentwickelung, sondern als das der unmittelbaren geistigen Anschauung, des erregten Gef&uuml;hls, dem Dichter selbst kaum bewusst, muss die Idee in dem vollendeten Kunstwerk daliegen und es beherrschen. Durch diese Einkleidung in die Form unmittelbarer Wirklichkeit empf&auml;ngt der ideelle Gehalt des Kunstwerkes eben die ganze Lebendigkeit des unmittelbaren sinnlichen Eindruckes, verliert aber nat&uuml;rlich die Allgemeinheit und Verst&auml;ndlichkeit, welche er, in der Form des Begriffes vorgetragen, haben w&uuml;rde. Der Dichter, welcher in dieser besonderen Art der geistigen Th&auml;tigkeit die eigene wunderbare Kraft seiner Werke begr&uuml;ndet f&uuml;hlt, sucht dieselbe auch auf andere Gebiete zu &uuml;bertragen. Die Natur sucht er nicht in anschauungslose Begriffe zu fassen, sondern er stellt sich ihr gegen&uuml;ber wie einem in sich geschlossenen Kunstwerke, welches seinen geistigen Inhalt von selbst hier oder dort dem empf&auml;nglichen Beschauer offenbaren m&uuml;sse. So wird ihm auf dem Lido von Venedig, beim Anblick des gesprengten Schafsch&auml;dels, an dem ihm die Wirbeltheorie des Sch&auml;dels aufgeht, sein alter, durch Erfahrung best&auml;rkter Glauben wieder aufgefrischt, dass die Natur kein Geheimniss habe, was sie nicht irgendwo dem aufmerksamen Beobachter nackt vor die Augen stelle. Dasselbe geschieht bei seinem ersten Gespr&auml;ch mit <i>Schiller</i> &uuml;ber die Metamorphose der Pflanzen. F&uuml;r <i>Schiller</i>, den Kantianer, ist die Idee das ewig zu erstrebende, ewig unerreichbare und daher nie in der Wirklichkeit darzustellende Ziel, w&auml;hrend <i>Goethe</i>, als echter Dichter, in der Wirklichkeit den unmittelbaren Ausdruck der Idee zu finden meint. Er selbst giebt an, dass dadurch der Punkt, der ihn von <i>Schiller</i> trennt, auf das Strengste bezeichnet sei. Hier liegt auch seine Verwandtschaft mit <i>Schelling</i>'s und <i>Hegel</i>'s Naturphilosophie, welche ebenfalls von der Annahme ausgeht, dass die Natur die verschiedenen Entwickelungsstufen des Begriffs unmittelbar darstelle. Daher auch die W&auml;rme, mit der <i>Hegel</i> und seine Sch&uuml;ler <i>Goethe</i>'s naturwissenschaftliche Ansichten vertheidigt haben. Die bezeichnete Naturansicht bedingt bei <i>Goethe</i> denn auch die fortgesetzte Polemik gegen zusammengesetzte Versuchsweisen. Wie das &auml;chte Kunstwerk keinen fremden Eingriff ertr&auml;gt, ohne besch&auml;digt zu werden, so wird ihm auch die Natur durch die Eingriffe des Experimentirenden in ihrer Harmonie gest&ouml;rt, gequ&auml;lt, verwirrt, und sie t&auml;uscht daf&uuml;r den St&ouml;renfried durch ein Zerrbild.</p>
  <p class="vers">Geheimnissvoll am lichten Tag<br>
    L&auml;sst sich Natur des Schleiers nicht berauben,<br>
    Und was sie deinem Geist nicht offenbaren mag,<br>
    Das zwingst du ihr nicht ab mit Hebeln und mit Schrauben.</p>
  <p>Demgem&auml;ss spottet er oftmals, namentlich in seiner Polemik gegen <i>Newton</i>, der durch viele enge Spalten und Gl&auml;ser hindurchgequ&auml;lten Farbenspectra und preist die Versuche, welche man in klarem Sonnenschein unter freiem Himmel anstellen k&ouml;nne, nicht nur als besonders leicht und besonders erg&ouml;tzlich, sondern auch als besonders beweisend.</p>
  <p>Die dichterische Richtung geistiger Th&auml;tigkeit charakterisirt sich schon ganz entschieden in seinen morphologischen Arbeiten. Man untersuche nur, was denn eigentlich mit den Ideen geleistet ist, die die Wissenschaft von ihm empfangen hat, man wird ein h&ouml;chst wunderliches Verh&auml;ltniss finden. Niemand wird sich gegen die Evidenz verschliessen, wenn ihm die Reihenfolge der Ver&auml;nderungen vorgelegt wird, womit ein Blatt in einen Staubfaden, ein Arm in einen Fl&uuml;gel oder eine Flosse, ein Wirbel in das Hinterhauptbein &uuml;bergeht. Die Idee, s&auml;mmtliche Bl&uuml;thentheile der Pflanze seien umgeformte Bl&auml;tter, er&ouml;ffnet einen gesetzm&auml;ssigen Zusammenhang, der etwas sehr Ueberraschendes hat. Jetzt suche man das blattartige Organ zu definiren, sein Wesen zu bestimmen, so dass es alle die genannten Gebilde in sich begreift. Man ger&auml;th in Verlegenheit, weil alle besonderen Merkmale verschwinden, und man zuletzt nichts &uuml;brig beh&auml;lt, als dass ein Blatt im weiteren Sinne ein seitlicher Anhang der Pflanzenaxe sei. Sucht man also den Satz: &raquo;die Bl&uuml;thentheile sind ver&auml;nderte Bl&auml;tter&laquo;, in der Form wissenschaftlicher Begriffsbestimmungen auszusprechen, so verwandelt er sich in den anderen: &raquo;die Bl&uuml;thentheile sind seitliche Anh&auml;nge der Pflanzenaxe&laquo;, und um das zu sehen, braucht kein <i>Goethe</i> zu kommen. Ebenso hat man der Wirbeltheorie des Sch&auml;dels nicht mit Unrecht vorgeworfen, sie m&uuml;sse den Begriff des Wirbels so sehr erweitern, dass nichts &uuml;brig bleibe, als, ein Wirbel sei ein Knochen. Nicht kleiner ist die Verlegenheit, wenn man in klaren wissenschaftlichen Begriffen definiren soll, was es bedeute, dass dieser Theil des einen Thieres jenem des anderen entspreche. Es ist nicht der gleiche physiologische Gebrauch, denn dasselbe Knochenst&uuml;ck, welches bei einem Vogel zur Einlenkung des Unterkiefers dient, wird bei einem S&auml;ugethiere ein winziges, in der Tiefe des Felsenbeins verborgenes Geh&ouml;rkn&ouml;chelchen, &ndash; es ist nicht die Gestalt, nicht die Lage, nicht die Verbindung mit anderen Theilen, welche einen constanten Charakter seiner Identit&auml;t abgeben. Aber dennoch ist es in den meisten F&auml;llen durch Verfolgung der Uebergangsstufen m&ouml;glich gewesen, mit ziemlicher Sicherheit auszumitteln, welche Theile sich entsprechen. <i>Goethe</i> selbst hat dieses Verh&auml;ltniss sehr richtig eingesehen; er sagt bei Gelegenheit der Wirbeltheorie des Sch&auml;dels: &raquo;Ein dergleichen Aper&ccedil;u, ein solches Gewahrwerden, Auffassen, Vorstellen, Begriff, Idee, wie man es nennen mag, beh&auml;lt immerfort, man geberde sich, wie man will, eine esoterische Eigenschaft; im Ganzen l&auml;sst es sich aussprechen, aber nicht beweisen, im Einzelnen l&auml;sst es sich wohl vorzeigen, doch bringt man es nicht rund und fertig.&laquo; So steht die Sache gr&ouml;sstentheils noch jetzt. Man kann sich den Unterschied noch klarer machen, wenn man &uuml;berlegt, wie die Physiologie, die Erforscherin des urs&auml;chlichen Zusammenhangs der Lebensvorg&auml;nge, diese Idee des gemeinsamen Bauplanes der Thiere behandeln m&uuml;sste. Sie k&ouml;nnte fragen: Ist etwa die Ansicht richtig, wonach w&auml;hrend der geologischen Entwicklung der Erde sich eine Thierart aus der anderen gebildet habe, und hat sich dabei die Brustflosse des Fisches allm&auml;hlich in einen Arm oder Fl&uuml;gel verwandelt? Oder sind die verschiedenen Thierarten gleich fertig erschaffen worden, und r&uuml;hrt ihre Aehnlichkeit daher, dass die fr&uuml;hesten Schritte der Entwicklung aus dem Ei bei allen Wirbelthieren nur auf eine einzige, sehr &uuml;bereinstimmende Weise von der Natur ausgef&uuml;hrt werden k&ouml;nnen, und sind die sp&auml;teren Analogien des Baues durch diese ersten gemeinsamen Grundz&uuml;ge der Entwicklung bedingt? Zu der letztern Ansicht m&ouml;chte sich die Mehrzahl der Forscher gegenw&auml;rtig neigen,<span class="footnote">Dies ist vor <i>Darwin</i>'s Buche &uuml;ber den Ursprung der Arten geschrieben.</span> denn die Uebereinstimmung in den fr&uuml;heren Zeiten der Entwicklung ist sehr auffallend. So haben selbst die jungen S&auml;ugethiere zeitweise die Anlagen zu Kiemenb&ouml;gen an den Seiten des Halses, wie die Fische, und es scheinen in der That die sich entsprechenden Theile der erwachsenen Thiere w&auml;hrend der Entwicklung auf gleiche Weise zu entstehen, so dass man neuerdings angefangen hat, die Entwicklungsgeschichte als Controle f&uuml;r die theoretischen Ansichten der vergleichenden Anatomie zu gebrauchen. Man sieht, dass durch die angedeuteten physiologischen Ansichten die Idee des gemeinsamen Typus ihre begriffliche Bestimmung und Bedeutung bekommen w&uuml;rde. <i>Goethe</i> hat Grosses geleistet, indem er ahnte, dass ein Gesetz vorhanden sei, und die Spuren desselben scharfsichtig verfolgte; aber welches Gesetz da sei, erkannte er nicht und suchte auch nicht danach. Das letztere lag nicht in der Richtung seiner Th&auml;tigkeit; und dar&uuml;ber ist selbst bei dem jetzigen Zustande der Wissenschaft noch keine feststehende Ansicht m&ouml;glich, kaum dass die Art erkannt wird, wie die Fragen zu stellen sein werden. Gern erkennen wir also an, dass <i>Goethe</i> in diesem Gebiete Alles geleistet hat, was in seiner Zeit &uuml;berhaupt zu leisten war. Ich sagte vorher, er stelle sich der Natur wie einem Kunstwerke gegen&uuml;ber. In seinen morphologischen Studien spielt er dieselbe Rolle, wie der kunstsinnige H&ouml;rer einer Trag&ouml;die, welcher fein herausf&uuml;hlt, dass in dieser alles Einzelne zusammengeh&ouml;rt, zusammenwirkt, von einem gemeinsamen Plane beherrscht wird, und sich an dieser kunstvollen Planm&auml;ssigkeit lebhaft erfreut, ohne doch die leitende Idee des Ganzen begriffsm&auml;ssig entwickeln zu k&ouml;nnen. Das letztere Gesch&auml;ft bleibt der wissenschaftlichen Betrachtung des Kunstwerks vorbehalten, und jener H&ouml;rer ist vielleicht, wie <i>Goethe</i> der Natur gegen&uuml;ber, kein Freund solcher Zergliederung des Werkes, an dem er sich freut, weil er, aber mit Unrecht, f&uuml;rchtet, seine Freude k&ouml;nne ihm dadurch gest&ouml;rt werden.</p>
  <p>Aehnlich ist <i>Goethe</i>'s Standpunkt in der Farbenlehre. Wir haben gesehen, dass seine Opposition gegen die physikalische Theorie bei einem Punkte anhebt, wo diese ganz vollst&auml;ndige und consequente Erkl&auml;rungen aus ihren einmal angenommenen Grundlagen giebt. Er kann offenbar nicht daran Anstoss genommen haben, dass die Theorie in dem einzelnen Falle nicht ausreicht, sondern vielmehr an den Annahmen, die sie zum Zwecke der Erkl&auml;rung macht, und die ihm so absurd erscheinen, dass er deshalb die gegebene Erkl&auml;rung als gar keine achtet. Es scheint ihm namentlich der Gedanke undenkbar gewesen zu sein, dass weisses Licht aus farbigem zusammengesetzt werden k&ouml;nne; er verdammt schon in jener fr&uuml;hesten Zeit<span class="footnote">Confession am Schluss der Geschichte der Farbenlehre.</span> das ekelhafte <i>Newton</i>'sche Weiss der Physiker, ein Ausdruck, welcher anzudeuten scheint, dass besonders diese Annahme ihn in jener Erkl&auml;rung beleidigte.</p>
  <p>Auch in seiner sp&auml;tem Polemik gegen <i>Newton</i>, welche erst herausgegeben wurde, nachdem seine eigene Theorie der Farben vollendet war, geht <i>Goethe</i>'s Streben mehr dahin, zu zeigen, dass die von <i>Newton</i> angef&uuml;hrten Thatsachen sich auch aus seiner Ansicht erkl&auml;ren liessen, und dass die Ansicht <i>Newton</i>'s deshalb nicht gen&uuml;gend bewiesen sei, als dass er in derselben innere Widerspr&uuml;che oder solche gegen die Thatsachen nachzuweisen suchte. Vielmehr glaubte er, seine eigene Ansicht sei so &uuml;berzeugend, dass er sie nur vorzuf&uuml;hren brauche, um die Annahme <i>Newton</i>'s zu vernichten. Es sind nur wenige Stellen, wo er die von <i>Newton</i> beschriebenen Versuche bestreitet. Die Wiederholung von einigen derselben<span class="footnote">Polemischer Theil. &sect;. 47 u. 169.</span> scheint ihm deshalb nicht gegl&uuml;ckt zu sein, weil nicht bei allen Stellungen der dabei gebrauchten Linsen der Erfolg gleich leicht zu beobachten ist, und weil ihm die geometrischen Verh&auml;ltnisse unbekannt waren, durch welche sich die g&uuml;nstigste Stellung der Linsen bestimmt. Bei anderen Versuchen &uuml;ber die Ausscheidung einfachen farbigen Lichtes mit H&uuml;lfe blosser Prismen sind <i>Goethe</i>'s Einw&uuml;rfe nicht ganz unrichtig, insofern die Reinigung der isolirten Farben auf diesem Wege wohl schwerlich so weit getrieben werden kann, dass die Brechung in einem andern Prisma nicht Spuren einer andern F&auml;rbung an den R&auml;ndern noch geben sollte. Eine so vollst&auml;ndige Ausscheidung des einfach farbigen Lichtes l&auml;sst sich nur in sehr sorgf&auml;ltig geordneten, gleichzeitig aus Prismen und Linsen bestehenden Apparaten bewirken, und <i>Goethe</i> ist die Besprechung gerade dieser Versuche, welche er auf einen supplementaren Theil verschoben hatte, schuldig geblieben. Wenn er auf die verwirrende Complication dieser Vorrichtungen schilt, so denke man an die m&uuml;hsamen Umwege, welche der Chemiker oft nehmen muss, um gewisse einfache K&ouml;rper rein darzustellen, und man wird sich nicht verwundern d&uuml;rfen, dass die &auml;hnliche Aufgabe f&uuml;r das Licht nicht unter freiem Himmel, im Garten und mit einem einfachen Prisma in der Hand zu l&ouml;sen ist.<span class="footnote">Ich erlaube mir hier noch zu bemerken, dass ich die Unzerlegbarkeit und Unver&auml;nderlichkeit des einfachen farbigen Lichtes, diese beiden Grundlagen von <i>Newton</i>'s Theorie, nicht bloss vom H&ouml;rensagen, sondern durch eigenen Augenschein kenne, indem ich in einer meiner eigenen Untersuchungen (Ueber <i>D. Brewster</i>'s neue Analyse des Sonnenlichts in Poggendorff's Annalen Bd. 86, S. 501) gezwungen war, die Reinigung des farbigen Lichtes bis zur letzten erreichbaren Vollendung zu treiben.</span> <i>Goethe</i> muss seiner Theorie gem&auml;ss die M&ouml;glichkeit, reines farbiges Licht abzuscheiden, g&auml;nzlich in Abrede stellen. Ob er jemals mit Apparaten experimentirt hat, welche geeignet waren, diese Aufgabe zu l&ouml;sen, bleibt zweifelhaft, da eben der versprochene supplementare Theil fehlt.</p>
  <p>Um eine Anschauung von der Leidenschaftlichkeit zu geben, mit welcher der sonst so hofm&auml;nnisch gem&auml;ssigte <i>Goethe</i> gegen <i>Newton</i> polemisirt, citire ich aus wenigen Seiten des polemischen Theils der Farbenlehre folgende Ausdr&uuml;cke, mit denen er die S&auml;tze dieses gr&ouml;ssten Denkers in dem Gebiete der Physik und der Astronomie belegt: &ndash; &raquo;bis zum Unglaublichen unversch&auml;mt&laquo; &ndash; &raquo;barer Unsinn&laquo; &ndash; &raquo;fratzenhafte Erkl&auml;rungsart&laquo; &ndash; &raquo;h&ouml;chlich bewundernswerth f&uuml;r die Sch&uuml;ler in der Laufbank.&laquo; &ndash; &raquo;Aber ich sehe wohl, L&uuml;gen bedarf's und &uuml;ber die Maassen.&laquo;</p>
  <p><i>Goethe</i> bleibt auch in der Farbenlehre seiner oben erw&auml;hnten Ansicht getreu, dass die Natur ihre Geheimnisse von selbst darlegen m&uuml;sse, dass sie die durchsichtige Darstellung ihres ideellen Inhalts sei. Er fordert daher f&uuml;r die Untersuchung physikalischer Gegenst&auml;nde eine solche Anordnung der Beobachtungen, dass eine Thatsache immer die andere erkl&auml;re, damit man zur Einsicht in den Zusammenhang komme, ohne das Gebiet der sinnlichen Wahrnehmung zu verlassen. Diese Forderung hat einen sehr bestechenden Schein f&uuml;r sich, ist aber ihrem Wesen nach grundfalsch. Denn eine Naturerscheinung ist physikalisch erst dann vollst&auml;ndig erkl&auml;rt, wenn man sie bis auf die letzten ihr zu Grunde liegenden und in ihr wirksamen Naturkr&auml;fte zur&uuml;ckgef&uuml;hrt hat. Da wir nun die Kr&auml;fte nie an sich, sondern nur ihre Wirkungen wahrnehmen k&ouml;nnen, so m&uuml;ssen wir in jeder Erkl&auml;rung von Naturerscheinungen das Gebiet der Sinnlichkeit verlassen und zu unwahrnehmbaren, nur durch Begriffe bestimmten Dingen &uuml;bergehen. Wenn wir einen Ofen warm finden und dann bemerken, dass Feuer darin brennt, so sagen wir allerdings, verm&ouml;ge eines ungenauen Sprachgebrauches, dass durch die zweite Wahrnehmung die erste erkl&auml;rt werde. Im Grunde heisst das aber doch nichts anderes als: Wir sind immer gewohnt, da, wo Feuer brennt, auch W&auml;rme zu finden, so auch dieses Mal im Ofen. Wir reihen also unser Factum unter ein allgemeineres, bekannteres ein, beruhigen uns dabei und nennen dies f&auml;lschlich eine Erkl&auml;rung. Die Allgemeinheit dieser Beobachtung f&uuml;hrt offenbar noch nicht die Einsicht in die Ursachen mit sich; letztere ergiebt sich erst, wenn wir ermitteln k&ouml;nnen, welche Kr&auml;fte in dem Feuer wirksam sind, und wie die Wirkungen von ihnen abh&auml;ngen.</p>
  <p>Aber dieser Schritt in das Reich der Begriffe, welcher nothwendig gemacht werden muss, wenn wir zu den Ursachen der Naturerscheinungen aufsteigen wollen , schreckt den Dichter zur&uuml;ck. In seinen Dichtwerken hat er deren geistigem Gehalt die Einkleidung der unmittelbarsten sinnlichen Anschauung gegeben, ohne alle begrifflichen Zwischenglieder. Je gr&ouml;sser hier die sinnliche Lebendigkeit der Anschauung war, desto gr&ouml;sser war sein Ruhm. Er m&ouml;chte die Natur ebenso angegriffen sehen. Der Physiker dagegen will ihn hin&uuml;berf&uuml;hren in eine Welt unsichtbarer Atome, Bewegungen, anziehender und abstossender Kr&auml;fte, die, in zwar gesetzm&auml;ssigem, aber kaum zu &uuml;bersehendem Gewirre, durcheinander arbeiten. Ihm ist der sinnliche Eindruck keine unumst&ouml;ssliche Autorit&auml;t; er untersucht die Berechtigung desselben, fragt, ob wirklich das &auml;hnlich, was die Sinne f&uuml;r &auml;hnlich, ob wirklich das verschieden, was sie f&uuml;r verschieden erkl&auml;ren, und kommt h&auml;ufig zu einer verneinenden Antwort. Das Resultat dieser Pr&uuml;fung, wie es jetzt vorliegt, ist, dass die Sinnesorgane uns zwar von &auml;ussern Einwirkungen benachrichtigen, dieselben aber in ganz ver&auml;nderter Gestalt zum Bewusstsein bringen, so dass die Art und Weise der sinnlichen Wahrnehmung weniger von den Eigenth&uuml;mlichkeiten des wahrgenommenen Gegenstandes abh&auml;ngt, als von denen des Sinnesorganes, durch welches wir die Nachricht bekommen. Alles, was uns der Sehnerv berichtet, berichtet er unter dem Bilde einer Lichtempfindung, sei es nun die Strahlung der Sonne, oder ein Stoss auf das Auge, oder ein elektrischer Strom im Auge. Der H&ouml;rnerv verwandelt wiederum Alles in Schallph&auml;nomene, der Hautnerv in Temperatur- oder Tastempfindungen. Derselbe elektrische Strom, dessen Dasein der Sehnerv als einen Lichtschein , der Geschmacksnerv als S&auml;ure berichtet, erregt im Hautnerven das Gef&uuml;hl des Brennens. Denselben Sonnenstrahl, den wir Licht nennen, wenn er in das Auge f&auml;llt, nennen wir W&auml;rme, wenn er die Haut trifft. Objectiv dagegen ist das Tageslicht, welches in unsere Fenster eindringt, und die W&auml;rmestrahlung eines eisernen Ofens nicht mehr und nicht anders von einander unterschieden, als es die rothen und blauen Bestandtheile des Lichtes unter sich sind. Wie sich die rothen von den blauen Strahlen, nach der Undulationstheorie, durch gr&ouml;ssere Schwingungsdauer und geringere Brechbarkeit unterscheiden, so haben die dunklen W&auml;rmestrahlen des Ofens eine gr&ouml;ssere Schwingungsdauer und eine geringere Brechbarkeit als die rothen Lichtstrahlen, sind ihnen aber in jeder anderen Beziehung vollkommen &auml;hnlich. Alle diese Strahlen, leuchtende und nicht leuchtende, w&auml;rmen, aber nur ein gewisser Theil derselben, den wir eben deshalb mit dem Namen Licht belegen, kann durch die durchsichtigen Theile unseres Auges bis zum Sehnerven dringen und Lichtempfindung erregen. Wir k&ouml;nnen das Verh&auml;ltniss vielleicht am passendsten so bezeichnen: Die Sinnesempfindungen sind uns nur Symbole f&uuml;r die Gegenst&auml;nde der Aussenwelt und entsprechen diesen etwa, wie der Schriftzug oder Wortlaut dem dadurch bezeichneten Dinge entspricht. Sie geben uns zwar Nachricht von den Eigenth&uuml;mlichkeiten der Aussenwelt, aber nicht bessere, als wir einem Blinden durch Wortbeschreibungen von der Farbe geben.</p>
  <p>Wir sehen, dass die Wissenschaft zu einer ganz entgegengesetzten Sch&auml;tzung der Sinnlichkeit gelangt ist, als sie der Dichter in sich trug, und zwar ist es <i>Newton</i>'s Behauptung gewesen, Weiss sei aus allen Farben des Spectrum zusammengesetzt, welche den ersten Keim zu dieser erst sp&auml;ter sich entwickelnden Ansicht ergab. Denn zu jener Zeit fehlten noch die galvanischen Beobachtungen, die den Weg zur Kenntniss er&ouml;ffneten, welche Rolle die Eigenth&uuml;mlichkeit der Sinnesnerven bei den Sinnesempfindungen spielt. Weiss, welches dem Auge als der einfachste, reinste aller Farbeneindr&uuml;cke erscheint, sollte aus dem unreineren Mannigfaltigen zusammengesetzt sein. Hier scheint der Dichter mit schneller Vorahnung gef&uuml;hlt zu haben, dass durch die Consequenzen dieses Satzes sein ganzes Princip in Frage komme, und deshalb erscheint ihm diese Annahme so undenkbar, so namenlos absurd. Seine Farbenlehre m&uuml;ssen wir als den Versuch betrachten, die unmittelbare Wahrheit des sinnlichen Eindrucks gegen die Angriffe der Wissenschaft zu retten. Daher der Eifer, mit dem er sie auszubilden und zu vertheidigen strebt, die leidenschaftliche Gereiztheit, mit der er die Gegner angreift, die &uuml;berwiegende Wichtigkeit, welche er ihr vor allen seinen anderen Werken zuschreibt, und die Unm&ouml;glichkeit der Ueberzeugung und Vers&ouml;hnung.</p>
  <p>Wenden wir uns nun zu seinen eigenen theoretischen Vorstellungen, so ergiebt sich schon aus dem Vorigen, dass <i>Goethe</i>, ohne seinem Principe untreu zu werden, keine Erkl&auml;rung der Erscheinungen geben kann, welche im physikalischen Sinne eine solche w&auml;re. Und so finden wir es wirklich. Er geht davon aus, dass die Farben stets dunkler sind als das Weiss, dass sie etwas Schattiges haben (nach der physikalischen Theorie: weil Weiss, die Summe alles farbigen Lichtes, heller sein muss als jeder seiner einzelnen Theile). Directe Mischung von Licht und Dunkel, von Weiss und Schwarz giebt Grau; die Farben m&uuml;ssen also durch eine andere Art der Zusammenwirkung von Licht und Schatten entstanden sein. Diese glaubt <i>Goethe</i> in den Erscheinungen schwach getr&uuml;ber Medien zu finden. Solche sehen in der Regel blau aus, wenn sie selbst vom Lichte getroffen vor einem dunklen Grunde gesehen werden, gelb dagegen, wenn man durch sie einen hellen Gegenstand sieht. So erscheint die Luft bei Tage vor dem dunklen Himmelsgrunde blau, und die Sonne, beim Untergange durch eine lange tr&uuml;be Luftschicht gesehen, gelb oder gelbroth.</p>
  <p>Die physikalische Erkl&auml;rung dieses Ph&auml;nomens, das sich jedoch nicht an allen tr&uuml;ben K&ouml;rpern, z. B. nicht an mattgeschliffenen Glasplatten zeigt, w&uuml;rde uns hier zu weit von unserem Wege abf&uuml;hren. Durch das tr&uuml;be Mittel soll nach <i>Goethe</i> dem Lichte etwas K&ouml;rperliches, Schattiges gegeben werden, wie es zum Entstehen der Farbe nothwendig sei. Schon bei dieser Vorstellung ger&auml;th man in Verlegenheit, wenn man sie als eine physikalische Erkl&auml;rung betrachten will. Sollen sich etwa k&ouml;rperliche Theile zu dem Lichte mischen und mit ihm davonfliegen? Auf dieses sein Urph&auml;nomen sucht <i>Goethe</i> alle &uuml;brigen Farbenerscheinungen zur&uuml;ckzuf&uuml;hren, namentlich die prismatischen. Er betrachtet alle durchsichtigen K&ouml;rper als schwach tr&uuml;be und nimmt an, dass das Prisma dem Bilde, welches es dem Beobachter zeigt, von seiner Tr&uuml;bung etwas mittheile. Hierbei ist es wieder schwer, sich etwas Bestimmtes zu denken. <i>Goethe</i> scheint gemeint zu haben, dass das Prisma nie ganz scharfe Bilder entwerfe, sondern undeutliche, verwaschene; denn in der Farbenlehre reiht er sie an die Nebenbilder an, welche parallele Glasplatten und Krystalle von Kalkspath zeigen. Verwaschen sind die Bilder des Prisma allerdings im zusammengesetzten Lichte, vollkommen scharf dagegen im einfachen. Betrachte man, meint er, durch das Prisma eine helle Fl&auml;che auf dunklem Grunde, so werde das Bild vom Prisma verschoben und getr&uuml;bt. Der vorangehende Rand desselben werde &uuml;ber den dunklen Grund hin&uuml;bergeschoben, und erscheine als helles Tr&uuml;bes vor dunklem Blau, der hinterher folgende Rand der hellen Fl&auml;che werde aber von dem vorgeschobenen tr&uuml;ben Bilde des danach folgenden schwarzen Grundes &uuml;berdeckt und erscheine, als ein Helles hinter einem dunklen Tr&uuml;ben, gelbroth. Warum der vorgeschobene Rand vor dem Grunde, der nachbleibende hinter demselben erscheint, und nicht umgekehrt, erkl&auml;rt er nicht. Man analysire aber diese Vorstellung weiter und mache sich den Begriff des optischen Bildes klar. Wenn ich einen hellen Gegenstand in einem Spiegel abgebildet sehe, so geschieht dies deshalb, weil das Licht, welches von jenem ausgeht, von dem Spiegel gerade so zur&uuml;ckgeworfen wird, als k&auml;me es von einem Gegenstande gleicher Art hinter dem Spiegel her, den das Auge des Beobachters demgem&auml;ss abbildet, und den der Beobachter deshalb wirklich zu sehen glaubt. Jedermann weiss, dass hinter dem Spiegel nichts Wirkliches dem Bilde entspricht, dass auch nicht einmal etwas von dem Lichte dort hindringt; sondern dass das Spiegelbild nichts ist als der geometrische Ort, in welchem die gespiegelten Strahlen, r&uuml;ckw&auml;rts verl&auml;ngert, sich schneiden. Deshalb erwartet auch Niemand, dass das Bild hinter dem Spiegel irgend eine reelle Wirkung aus&uuml;ben solle. Ebenso zeigt uns das Prisma Bilder der gesehenen Gegenst&auml;nde, welche eine andere Stelle als diese Gegenst&auml;nde selbst haben. Das heisst: das Licht, welches der Gegenstand nach dem Prisma sendet, wird von diesem so gebrochen, als k&auml;me es von einem seitlich liegenden Gegenstande, dem Bilde, her. Dieses Bild ist nun wieder nichts Reelles, sondern es ist wiederum nur der geometrische Ort, in welchem sich, r&uuml;ckw&auml;rts verl&auml;ngert, die Lichtstrahlen schneiden. Und doch soll nach <i>Goethe</i> dieses Bild durch seine Verschiebung reelle Wirkungen hervorbringen. Das verschobene Helle soll wie ein tr&uuml;ber K&ouml;rper das dahinter scheinende Dunkle blau, das verschobene Dunkle das dahinter liegende Helle rothgelb erscheinen lassen. <i>Goethe</i> behandelt hier ganz eigentlich das Bild in seiner scheinbaren Oertlichkeit als Gegenstand. Dies zwingt ihn zu der Annahme, der blaue Rand des hellen Feldes liege &ouml;rtlich vor, der rothe hinter dem mitverschobenen dunklen Bilde. <i>Goethe</i> bleibt hier dem sinnlichen Scheine getreu und behandelt einen geometrischen Ort als k&ouml;rperlichen Gegenstand. Ebenso wenig nimmt er daran Anstoss, Roth und Blau sich zuweilen gegenseitig zerst&ouml;ren zu lassen, z. B. in dem prismatischen blauen Rande eines rothen Feldes, in anderen F&auml;llen dagegen daraus eine sch&ouml;ne Purpurfarbe zusammen zu setzen, wenn sich z. B. die blauen und rothen R&auml;nder &uuml;ber einem schwarzen Felde begegnen. Noch wunderlicher sind die Wege, wie er sich aus den Verlegenheiten zieht, welche ihm <i>Newton</i>'s zusammengesetztere Versuche bereiten. So lange man <i>Goethe</i>'s Erkl&auml;rungen als bildliche Versinnlichungen der Vorg&auml;nge gelten l&auml;sst, kann man ihnen beistimmen, ja sie haben oft etwas sehr Anschauliches und Bezeichnendes; als physikalische Erkl&auml;rungen dagegen w&uuml;rden sie sinnlos sein.</p>
  <p>Dass der theoretische Theil der <i>Goethe</i>'schen Farbenlehre keine Physik ist, wird hiernach Jedem einleuchten, und man kann auch einsehen, dass der Dichter eine ganz andere Betrachtungsweise, als die physikalische, in die Naturforschung einf&uuml;hren wollte, und wie er dazu kam. In der Dichtung kommt es ihm nur auf den &raquo;sch&ouml;nen Schein&laquo; an, der das Ideale zur Anschauung bringt; wie dieser Schein zu Stande komme, ist gleichg&uuml;ltig. Auch die Natur ist dem Dichter sinnbildlicher Ausdruck des Geistigen. Die Physik sucht dagegen die Hebel, Stricke und Rollen zu entdecken, welche, hinter den Coulissen arbeitend, diese regieren, und der Anblick des Mechanismus zerst&ouml;rt freilich den sch&ouml;nen Schein. Deshalb m&ouml;chte der Dichter gern die Stricke und Rollen hinwegleugnen, sie f&uuml;r die Ausgeburten pedantischer K&ouml;pfe erkl&auml;ren und die Sache so darstellen, als ver&auml;nderten die Coulissen sich selbst, oder als w&uuml;rden sie durch die Idee des Kunstwerkes regiert. Auch liegt es in <i>Goethe</i>'s ganzer Richtung, dass gerade er unter allen Dichtern gegen die Physik polemisch auftreten musste. Andere Dichter, je nach der Eigenth&uuml;mlichkeit ihres Talentes, achten entweder in der leidenschaftlichen Macht ihrer Begeisterung nicht auf das st&ouml;rende Materielle, oder sie erfreuen sich daran, wie auch durch die widerstrebende Materie der Geist sich Wege bahnt. <i>Goethe</i>, nie durch eine subjective Erregung &uuml;ber die umgebende Wirklichkeit geblendet, kann nur da behaglich verweilen, wo er die Wirklichkeit selbst vollst&auml;ndig poetisch gestempelt hat. Darin liegt die eigenth&uuml;mliche Sch&ouml;nheit seiner Dichtungen, und darin liegt auch gleichzeitig der Grund, warum er gegen den Mechanismus, der ihn jeden Augenblick in seinem poetischen Behagen zu st&ouml;ren droht, k&auml;mpfend auftritt und den Feind in seinem eigenen Lager anzugreifen sucht.</p>
  <p>Wir k&ouml;nnen aber den Mechanismus der Materie nicht dadurch besiegen, dass wir ihn wegleugnen, sondern nur dadurch, dass wir ihn den Zwecken des sittlichen Geistes unterwerfen. Wir m&uuml;ssen seine Hebel und Stricke kennen lernen &ndash; wenn es auch die dichterische Naturbetrachtung st&ouml;ren sollte &ndash; um sie nach unserem eigenen Willen regieren zu k&ouml;nnen; darin liegt die grosse Bedeutung der physikalischen Forschung f&uuml;r die Cultur des Menschengeschlechtes und ihre volle Berechtigung gegr&uuml;ndet.</p>
  <p>Aus dem Dargestellten wird es klar sein, dass <i>Goethe</i> allerdings in seinen verschiedenen naturwissenschaftlichen Arbeiten die gleiche Richtung geistiger Th&auml;tigkeit verfolgt hat, dass aber die Aufgaben sehr entgegengesetzter Art waren. Dieselbe Eigenth&uuml;mlichkeit, welche ihn auf dem einen Felde zu gl&auml;nzendem Ruhme emportrug, bedingte sein Scheitern auf dem anderen. In dieser Einsicht wird mancher Verehrer des grossen Dichters vielleicht geneigter werden, den Verdacht, den er gegen die Physiker hegt, schwinden zu lassen, als habe ihr verstockter Zunftstolz sie f&uuml;r die Inspirationen des Genius blind gemacht.</p>
  <h4>Nachschrift.</h4>
  <h4>(1875)</h4>
  <p>Hier ist zu constatiren, dass in dem seit der ersten Abfassung dieses Aufsatzes verflossenen Vierteljahrhundert die Gedankenkeime, welche <i>Goethe</i> im Gebiete der Naturwissenschaften ausges&auml;et hat, zu voller und zum Theil reicher Entwickelung gelangt sind. Unverkennbar st&uuml;tzt sich <i>Darwin</i>'s Theorie von der Umbildung der organischen Formen vorzugsweise auf dieselben Analogien und Homologien im Baue der Thiere und Pflanzen, welche der Dichter, als der erste Entdecker, zun&auml;chst nur in der Form ahnender Anschauung, seinen ungl&auml;ubigen Zeitgenossen darzulegen versucht hatte. <i>Darwin</i>'s Verdienst ist es, dass er mit grossem Scharfsinne und aufmerksamer Beobachtung den urs&auml;chlichen Zusammenhang, dessen Wirkungen diese Uebereinstimmungen in dem Typus der verschiedenartigsten Organismen sind, oder doch sein k&ouml;nnten, aufgesp&uuml;rt, und so die dichterische Ahnung zur Reife des klaren Begriffes entwickelt hat. Ich brauche nicht hervorzuheben, welche Umw&auml;lzung in der ganzen Auffassung der Lebenserscheinungen diese Erkenntnisse hervorgerufen haben.</p>
  <p>Aber auch den Ideen, welche sich <i>Goethe</i> gebildet hatte &uuml;ber die Wege, die die Naturforschung einschlagen, und die Ziele, denen sie nachstreben m&uuml;sse, ist man in naturwissenschaftlichen Kreisen unverkennbar n&auml;her gekommen.</p>
  <p>In dieser Beziehung m&ouml;chte ich hinweisen auf meine Rede zum Ged&auml;chtniss von <i>Gustav Magnus</i>. Was <i>Goethe</i> suchte, war das Gesetzliche in den Ph&auml;nomenen; das war ihm die Hauptsache, welche er sich nicht durch metaphysische Gedankengebilde verwirren lassen wollte. Wenn die Naturforscher ihrerseits nun dazu gelangen, die Kraft aufzufassen als das Gesetz, das von aller Zuf&auml;lligkeit der Erscheinung gereinigt, und, in seiner Herrschaft &uuml;ber die Wirklichkeit, als objectiv g&uuml;ltig anerkannt ist, so besteht &uuml;ber die letzten Ziele wohl kaum noch eine erhebliche Divergenz der Meinungen. Den entschiedensten Ausdruck hat diese Auffassung in <i>Kirchhoff</i>'s Vorlesungen &uuml;ber mathematische Physik empfangen, wo er die Mechanik geradezu unter die beschreibenden Naturwissenschaften einreiht. <i>Goethe</i>'s Versuch, seine Anschauungen an dem Beispiel der Farbenlehre praktisch durchzuf&uuml;hren, k&ouml;nnen wir freilich nicht als gelungen betrachten, aber das Gewicht, was er selbst auf diese Richtung seiner Arbeiten legte, wird verst&auml;ndlich. Er sah auch da ein hohes Ziel vor sich, zu dem er uns f&uuml;hren wollte; sein Versuch, einen Anfang des Weges zu entdecken, war jedoch nicht gl&uuml;cklich und leitete ihn leider in unentwirrbares Gestr&uuml;pp.</p>

Version vom 21. November 2015, 08:52 Uhr

"Alle Wesen sind in einer sich steigernden Entwickelung, und wir leben in dem Zeitalter, wo Michael, der Oberste von der Natur der Archangeloi, übergeht in die Natur der Archai. Er wird allmählich übergehen in eine leitende Stellung, wird eine leitende Wesenheit, wird Zeitgeist, leitende Wesenheit für die ganze Menschheit." (Rudolf Steiner, GA 152, Seite 60)

Literatur:

  • Rudolf Steiner: Vorstufen zum Mysterium von Golgatha, GA 152, (1980)
Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.