Renaissance und Kontrapunkt: Unterschied zwischen den Seiten

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[[Datei:Da Vinci Vitruve Luc Viatour 2.svg|miniatur|[[Wikipedia:Vitruvianischer Mensch|Der vitruvianische Mensch]], Proportionsstudie nach [[Wikipedia:Vitruv|Vitruv]] von [[Wikipedia:Leonardo da Vinci|Leonardo da Vinci]] (1492)]]
'''Kontrapunkt''' bezeichnet ursprünglich
* eine Lehre, mehrstimmige Musik zu organisieren, die ab dem 14. Jahrhundert ausgehend von Frankreich und Italien überliefert und weiterentwickelt worden ist,
* die Anwendung dieser Lehre in [[Improvisation]] und [[Komposition (Musik)|Komposition]] und
* deren Ergebnis (also eine Stimme oder einen mehrstimmigen Satz, die im Sinne der Lehre gemacht worden sind).
Das Wort entstammt dem lateinischen Ausdruck „punctum contra punctum ponere“:
{{Zitat|lang=la|Text=Contrapunctus non est nisi punctum contra punctum ponere vel notam contra notam ponere vel facere, et est fundamentum discantus.|Autor=Anon.|Quelle=''Cum notum sit'', um 1350.|Übersetzung=Kontrapunkt ist nichts anderes, als einen Punkt [sprich: eine Note] gegen einen Punkt zu setzen oder zu machen, und er ist das Fundament des Discantus.}}
Ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts wird der Begriff auch in einem weiteren Sinne als Stilbegriff verwendet. Dies hat u. a. dazu geführt, dass ‚Kontrapunkt‘ häufig mit ‚[[Polyphonie]]‘ gleichgesetzt wird.


'''Renaissance''' [{{IPA|rənɛˈsɑ̃s}}] (entlehnt aus frz. renaissance „Wiedergeburt“) beschreibt die europäische Kulturepoche in der Zeit des Umbruchs vom [[Mittelalter]] zur [[Neuzeit]] im 15. und 16. Jahrhundert. Sie war geprägt von dem Bemühen um eine Wiederbelebung der kulturellen Leistungen der griechischen und römischen [[Antike]]. Ausgehend von den Städten Norditaliens beeinflussten die Künstler und Gelehrten der Renaissance mit ihrer innovativen Malerei, Architektur, Skulptur, Literatur und Philosophie auch die Länder nördlich der Alpen, wenn auch in jeweils unterschiedlicher Ausprägung. Die Bezeichnung „Renaissance“ wurde erst im 19. Jahrhundert geprägt.
== Prinzipien ==
=== Note-gegen-Note-Satz ===
Die praktische Frage, der sich die Kontrapunktlehre zunächst widmet, lautet: Wie soll zu einer vorhandenen Tonfolge (dem sogenannten [[Cantus firmus]] oder ''Cantus prius factus'', z. B. einem [[Gregorianischer Choral|gregorianischen Choral]]) eine Gegenstimme improvisiert oder komponiert werden?


== Überblick ==
Grundlegend ist dabei eine Unterteilung der Intervalle in drei Kategorien: [[Konsonanz und Dissonanz#Kontrapunktlehre|vollkommene Konsonanzen, unvollkommene Konsonanzen und Dissonanzen]]. Gemäß dem Ausdruck „''punctum contra punctum ponere''“ konzentrieren sich die ältesten Kontrapunkttraktate darüber hinaus ausschließlich auf den Note-gegen-Note-Satz und schließen Dissonanzen dabei aus. Für die beiden anderen Kategorien gelten jeweils bestimmte Gebote und Verbote. So schreibt der einflussreiche Traktat ''Quilibet affectans'' (um 1330, [[Johannes de Muris]] zugeschrieben) vor:<ref>Sachs 1984, S.&nbsp;180.</ref>
* Abschnitte müssen mit einer vollkommenen Konsonanz beginnen und schließen.
* Vollkommene Konsonanzen dürfen nicht parallel geführt werden.
* Wird eine vollkommene Konsonanz in gerader Bewegung erreicht (also durch eine später so genannte [[verdeckte Parallele]]), muss eine Stimme dabei per Sekundschritt fortschreiten.
* Unvollkommene Konsonanzen sollten nicht mehr als viermal direkt nacheinander parallel geführt werden.
Besonders empfohlen werden außerdem Fortschreitungen zur nächstgelegenen Konsonanz, durch [[Gegenbewegung]] und mit [[Sekunde (Musik)|Sekundschritten]] in beiden Stimmen. Zwecks Abwechslung kann freilich häufig mindestens eine dieser Empfehlungen nicht berücksichtigt werden.


Bereits im Mittelalter hatte Europa auf die Antike zurückgeschaut, doch erst im [[Spätmittelalter]] wurden wichtige antike Texte wiederentdeckt und zugänglich gemacht. Im [[Renaissance-Humanismus]] wurde das antike Staatswesen studiert. Als für die Renaissance charakteristisch gelten ferner die vielen damals gemachten Erfindungen und Entdeckungen, die man als Folge eines allgemeinen geistigen Erwachens beschreiben kann (siehe [[Wikipedia:Technik der Renaissance|Technik der Renaissance]]).
'''Beispiel:''' [[Ludovico Zacconi]]: ''Prattica di musica''. Bd.&nbsp;2. Venedig 1622, S.&nbsp;69 (Cantus firmus in der Unterstimme):
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Als Kernzeitraum der Renaissance wird in der Kunstgeschichte das 15. ([[Wikipedia:Quattrocento|Quattrocento]]) und 16.&nbsp;Jahrhundert ([[Wikipedia:Cinquecento (Kunst und Literatur)|Cinquecento]]) angesehen. Die Spätrenaissance wird auch als [[Wikipedia:Manierismus|Manierismus]] bezeichnet. Das Ende der Epoche vollzieht sich im beginnenden 17.&nbsp;Jahrhundert in Italien durch den neu hervortretenden Stil des [[Barock]]. Außerhalb Italiens dominierten noch längere Zeit Formen der [[Gotik]]; die Übergänge sind hier fließend und ihre Einschätzung hängt davon ab, ob ein engerer Stilbegriff der Renaissance verwendet wird oder ein weiterer Epochenbegriff. Im protestantischen Nordeuropa wird der Epochenbegriff der Renaissance von dem der [[Reformation]] überlagert.
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Als Künstler der Renaissance sind besonders Italiener wie [[Wikipedia:Leon Battista Alberti|Alberti]], [[Wikipedia:Donatello|Donatello]], [[Wikipedia:Sandro Botticelli|Botticelli]], [[Wikipedia:Leonardo da Vinci|Leonardo da Vinci]], [[Wikipedia:Donato Bramante|Bramante]], [[Raffael]], [[Michelangelo]] und [[Wikipedia:Tizian|Tizian]] sowie im deutschen Sprachraum [[Wikipedia:Albrecht Dürer|Albrecht Dürer]] und die [[Wikipedia:Donauschule|Donauschule]] bekannt. Zu dieser Epoche gehören aber auch bedeutende Schriftsteller von [[Dante Alighieri]] bis [[Wikipedia:William Shakespeare|William Shakespeare]]. Der Staatsphilosoph [[Wikipedia:Niccolò Machiavelli|Niccolò Machiavelli]] gilt als Analytiker und Vertreter einer selbstbewussten Machtpolitik. [[Wikipedia:Erasmus von Rotterdam|Erasmus von Rotterdam]] wiederum steht für Moral und Selbstreflexion. In der Musik verbindet man die Epoche vor allem mit verstärkter Mehrstimmigkeit und neuer Harmonie etwa bei [[Wikipedia:Orlando di Lasso|Orlando di Lasso]].
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{{GZ|Als Goethe nach Italien ging, suchte er nicht römisches Wesen auf - studieren Sie das, was Goethe in Italien erlebte; was suchte er? Griechisches Wesen in Italien! Überall suchte er durch das Römertum hindurch griechische Art und Weise zu erkennen. Wahrhaftig, so zusammenwachsen vergleichsweise — ich will das mehr als Bild sagen, was ich jetzt sagen werde -, so zusammenwachsen konnten wiederum in der Renaissance Griechentum und Christentum, daß jetzt die Nachwelt gar nicht mehr unterscheiden kann Griechentum und Christentum in den Schöpfungen der Renaissance. Gestritten wird, wie ich Ihnen öfter schon gesagt habe, ob das berühmte Bild Raffaels «[[Die Schule von Athen]]», wie es genannt wird, wirklich in den Mittelfiguren Plato und Aristoteles darstelle, oder ob es darstellt Petrus und Paulus. Für das eine wie für das andere sprechen gewichtige Gründe; das eine wie das andere wurde vertreten, so daß an einem der hervorragendsten der Bilder nicht zu unterscheiden ist, ob man es mit griechischen oder mit christlichen Gestalten zu tun hat. Aber es ist eben so zusammengewachsen, daß jene wunderbare Ehe, welche im griechischen Geistesleben geschlossen war zwischen dem Geistigen und dem Materiellen, daß jene wunderbare Ehe sich ebenso ausdrücken läßt durch Plato und Aristoteles, wie durch Petrus und Paulus. In dem Plato, den manche sehen wollen in dem Bilde, das man «Die Schule von Athen» nennt, sehen wir den Greis, der hinaufhebt die Hand ins himmlische Reich, neben ihm stehend Aristoteles mit seiner begrifflichen Welt, hinunterweisend nach der materiellen Welt, um den Geist in der Materie zu suchen. Ebensogut kann man in dem Hinaufweisenden den Petrus, in dem Hinunterweisenden den Paulus sehen. Aber immer ist während dieser Renaissance rechtmäßig die Sache auf zwei Personen verteilt.
=== Dissonanzen ===
Indem nun in der Gegenstimme mittels kürzerer Notenwerte und überwiegend schrittweiser Bewegung Sprünge ausgefüllt und Schritte umspielt werden, ergibt sich eine vielfältigere Satzart, die auch Dissonanzen enthält. Diese werden aber zunächst kaum näher thematisiert, sondern geraten erst durch [[Johannes Tinctoris]] (1477) ausdrücklich ins Blickfeld der Lehre. Dieser erweitert die Bedeutung des Worts ''contrapunctus'', indem er die Satzart Note gegen Note, also den ‚Kontrapunkt‘ im ursprünglichen Sinne, als ''contrapunctus simplex'' (einfacher Kontrapunkt) bezeichnet, und ihm den ''contrapunctus diminutus'' (verkleinerter Kontrapunkt) gegenüberstellt.


Gegenüber der Renaissance, die ein Wiederaufleben des Griechentums war, muß etwas Ursprüngliches wieder kommen. Das kann nur kommen durch Synthese, durch die höhere Synthese. Sie ist dadurch gegeben, daß in derselben Person die eine wie die andere Geste sein wird: die Geste hinauf zum Himmlischen, die Geste hinunter zum Irdischen. Dann braucht man allerdings das Luziferische und das Ahrimanische, einander kontrastierend. Was Sie sehen in einem der größten Kunstwerke der Renaissance auf zwei Personen verteilt, müssen Sie in unserer Gruppe, die geschaffen werden soll, sehen in der einen Person des Menschheitsrepräsentanten: die eine wie die andere Geste!|171|23f}}
Tinctoris fordert, dass Dissonanzen „maßvoll“ (''cum ratione moderata'') verwendet werden,<ref>Tinctoris 1477, Buch&nbsp;2, Kap.&nbsp;23.</ref> indem sie entweder auf unbetonter Taktposition stehen und schrittweise erreicht und verlassen werden (also als [[Durchgangsnote|Durchgangs-]] oder [[Wechselnote]]n gelten können), oder aber als [[Synkopendissonanz]], bevorzugt unmittelbar vor Kadenzen, verwendet werden. Abspringende Nebennoten sollen von einem Terzsprung gefolgt (die später so genannten [[Wechselnote#Fuxsche Wechselnote|Fuxschen Wechselnoten]]) und sparsam verwendet werden.<ref>Tinctoris 1477, Buch&nbsp;2, Kap.&nbsp;32.</ref>


{{GZ|Die Menschen lechzten nach einem Geistesleben, aber es kam nicht ein neues Geistesleben herauf. Es wurde nicht das Geistesleben auf den eigenen Boden der neuzeitlich geistig produzierenden Persönlichkeiten gestellt. Es kam nur herauf die Reformation und die Renaissance, eine Erneuerung des Alten. Heute leben wir in einer großen, in einer wichtigen Zeit. Heute dürfen wir nicht mit einer Renaissance eines alten Geisteslebens uns begnügen; heute müssen wir appellieren an ein ganz neues Geistesleben. Das kann aber nicht gedeihen im Schatten eines Wirtschaftslebens, im Schatten einer Staatsordnung. Das kann nur gedeihen, wenn es frei auf sich selbst gestellt ist.|336|315}}
In seiner Lehre der Dissonanzbehandlung orientiert sich Tinctoris an Kompositionen von u.&nbsp;a. [[John Dunstable]], [[Guillaume Dufay]], [[Gilles Binchois]] und [[Johannes Ockeghem]], die für ihn eine neue Epoche eingeläutet haben.<ref>Siehe Tinctoris: ''Proportionale musices'', um 1472–1475 ([http://www.chmtl.indiana.edu/tml/15th/TINPRO online]).</ref>


== Begriff ==
== Kontrapunkt als Synonym von Satzlehre ==
Erstmals wurde der Begriff ({{itS|''rinascita''}} oder {{lang|it|''Rinascimento''}} [{{IPA|riˌnaʃːiˈmento}}] „Wiedergeburt“) 1550 von dem italienischen Künstler und Künstlerbiographen [[Wikipedia:Giorgio Vasari|Giorgio Vasari]] verwendet, um die Überwindung der mittelalterlichen Kunst zu bezeichnen.
Die Lehre des zweistimmigen ''contrapunctus diminutus'' wird von Tinctoris und späteren Autoren auf den mehr als zweistimmigen Satz übertragen. Bis ins 18.&nbsp;Jahrhundert wird Kontrapunkt somit gleichbedeutend mit Satzlehre. Erweitert werden die Traktate, indem sie neben den kontrapunktischen Grundprinzipien auch Satztechniken wie [[Imitation (Musik)|Imitation]], [[Fuge (Musik)|Fuge]] und [[Kanon (Musik)|Kanon]], sowie doppelten und mehrfachen Kontrapunkt behandeln. Der ''contrapunctus simplex'' bleibt dabei jedoch die systematische und didaktische Vorstufe der gesamten Kompositionslehre. Eine besonders prominente Kontrapunktlehre, die noch im 17. und 18.&nbsp;Jahrhundert eine zentrale Rolle spielt, ist der dritte Teil der ''Istitutioni armoniche'' von [[Gioseffo Zarlino]] (1558).
Vasari unterscheidet in der Entwicklung der Kunst drei Zeitalter:
# das glanzvolle Zeitalter der griechisch-römischen Antike
# ein Zwischenzeitalter des Verfalls, das etwa mit der Epoche des Mittelalters gleichgesetzt werden kann
# das Zeitalter des Wiederauflebens der Künste und der Wiedergeburt des antiken Geistes im Mittelalter seit etwa 1250


Nach Vasari hatten bereits die italienischen Bildhauer, Architekten und Maler der zweiten Hälfte des 13.&nbsp;Jahrhunderts, darunter [[Wikipedia:Arnolfo di Cambrio|Arnolfo di Cambio]], [[Wikipedia:Niccolò Pisano|Niccolò Pisano]], [[Wikipedia:Cimabue|Cimabue]] oder [[Wikipedia:Giotto di Bondone|Giotto]], „in [[Wikipedia:Dunkle Jahrhunderte (Mittelalter)|dunkelsten Zeiten]] den Meistern, die nach ihnen kamen, den Weg gewiesen, der zur Vollkommenheit führt“.
Gewisse Veränderungen erfährt die Lehre angesichts stilistischer Entwicklungen, u.&nbsp;a. im Bereich der Dissonanzbehandlung. Mit der Entstehung der [[Dur-Moll-Tonalität]] werden Intervallfortschreitungen über die überlieferten kontrapunktischen Prinzipien hinaus außerdem so organisiert, dass sie eine Dur- oder Molltonart zum Ausdruck bringen.


Um 1820/30 wurde der Begriff „Renaissance“ in der heute geläufigen Schreibweise aus dem Italienischen ins Französische übernommen. Etwa 1840 erfolgte im deutschsprachigen Schrifttum eine Entlehnung aus dem Französischen, um eine kulturgeschichtliche Epoche Europas während des Übergangs vom Mittelalter zur [[Neuzeit]] zu benennen. Der Begriff wurde in dieser Bedeutung maßgebend vom Basler Historiker [[Wikipedia:Kacob Burckhardt|Jacob Burckhardt]] mit seinem Werk „Die Kultur der Renaissance in Italien“ (1860) geprägt.
== Kontrapunkt als Stilbegriff ==
Angesichts seines Ursprungs als Lehre des Note-gegen-Note-Satzes schließt Kontrapunkt [[Homophonie (Musik)|Homophonie]] keineswegs aus. Die heute verbreitete Verwendung von ‚kontrapunktisch‘ im Sinne von ‚[[Polyphonie|polyphon]]‘ stammt aus dem 19.&nbsp;Jahrhundert:<ref>Sachs 1982, S.&nbsp;32&nbsp;f.</ref>


Allgemein spricht man auch in anderen Zusammenhängen von Renaissance, wenn alte Werte oder Ideen wieder zum Durchbruch gelangen. So bezeichnet man es oft als Renaissance, wenn regionale Kulturen im 19. und 20.&nbsp;Jahrhundert sich verstärkt für ihre Eigenarten (und Sprachen) interessiert haben, wie in der [[Wikipedia:Irische Renaissance|irischen Renaissance]]. Im Englischen bezeichnet man ferner als ''renaissance man'' einen Menschen mit besonders vielen und verschiedenen Fähigkeiten.
{{Zitat| Kontrapunkt, eine aus dem Lateinischen […] hergenommene Benennung für polyphone Schreibart, d.&nbsp;h. solche, die zwei oder mehr melodisch ausgebildete Stimmen gleichzeitig mit einander verbindet und fortführt, wie z.&nbsp;B. in der Fuge und anderen Kunstformen. […]. Bestimmter verstehen wir darunter […] den Satz, welcher zwei oder mehr wahrhaft selbständige (nach den Grundsätzen der Melodik ausgebildete) Stimmen mit einander verbindet.|Autor=[[Adolf Bernhard Marx]]|Quelle=''Encyclopädie der gesammten musikalischen Wissenschaften oder Universal-Lexicon der Tonkunst'' Bd.&nbsp;4. Stuttgart 1837, S.&nbsp;188&nbsp;f.}}


== Zeitliche Einordnung ==
Allerdings wurde das Wort schon ab der zweiten Hälfte des 17.&nbsp;Jahrhunderts als Stilbegriff verwendet, im Hinblick auf die Kirchenmusik des späten 16.&nbsp;Jahrhunderts und insbesondere auf die Musik von [[Giovanni Pierluigi da Palestrina]].<ref>Sachs 1982, S.&nbsp;30.</ref> Entscheidend verstärkt wurde diese Tendenz durch das Lehrwerk ''[[Gradus ad Parnassum]]'' von [[Johann Joseph Fux]] (1725), das die Pflege dieses Stils bezweckt.
[[Datei:Leonardo da Vinci (1452-1519) - The Last Supper (1495-1498).jpg|mini|hochkant=1.4|Leonardo da Vinci – Abendmahl (1495–1498)]]


Die Anfänge der Renaissanceepoche werden im späten 14.&nbsp;Jahrhundert in Italien gesehen; als Kernzeitraum gilt das 15.&nbsp;und 16.&nbsp;Jahrhundert. Gegenüber dem älteren wissenschaftlichen Modell einer Initialbewegung in Italien und der unaufhaltsamen nachfolgenden Ausbreitung über Europa geht man heute in den Kulturwissenschaften immer mehr von einer mehrsträngigen und vernetzten Situation wechselseitiger Einflüsse aus.<ref>Peter Burke: ''Die europäische Renaissance. Zentren und Peripherien.'' München 1998.</ref><ref>Marina Belozerskaya: ''Rethinking the Renaissance. Burgundian Arts across Europe'', Cambridge 2002.</ref>
Im 19.&nbsp;Jahrhundert wurde außer dem Palestrina-Stil auch die Musik von [[Johann Sebastian Bach]] zu einem Gipfelpunkt von ‚Kontrapunkt‘ stilisiert. In ihr sah [[Ernst Kurth (Musikwissenschaftler)|Ernst Kurth]] die Idee eines „linearen Kontrapunkts“ optimal verwirklicht, bei dem „der Wille zur Linienstruktur, der horizontale Entwurf […] immer das Primäre und der tragende Grundzug“ sei.<ref>Kurth 1917, S.&nbsp;98.</ref>


Die vorausgehende kulturgeschichtliche Epoche der Renaissance war die [[Wikipedia:Gotik|Gotik]], die nachfolgende der [[Wikipedia:Barock|Barock]].
== Gattungskontrapunkt ==
Zu Übungszwecken wurde oft versucht, beim Improvisieren oder Komponieren eines Kontrapunkts zu einem Cantus firmus bestimmte rhythmische Muster in dieser Gegenstimme konsequent beizubehalten.<ref>Siehe Bent 2002.</ref> Diesen Ansatz hat [[Johann Joseph Fux]] in seiner Kompositionslehre ''[[Gradus ad Parnassum]]'' (1725) zu einem Parcours aus fünf sogenannten „''species''“ oder „Gattungen“ systematisiert. Dieser Aufbau erlaubt es u.&nbsp;a., verschiedene Formen der Dissonanzbehandlung Schritt für Schritt einzuführen:
* 1.&nbsp;Gattung: Note gegen Note
* 2.&nbsp;Gattung: Zwei Noten gegen eine
:Einführung der Durchgangsnote
* 3.&nbsp;Gattung: Vier Noten gegen eine
:Einführung der [[Wechselnote#Fuxsche Wechselnote|Fuxschen Wechselnote]] und der halbschweren Durchgangsnote
* 4.&nbsp;Gattung: durchgängige [[Synkope (Musik)|Synkopen]]
:Einführung der Synkopendissonanz
* 5.&nbsp;Gattung („''contrapunctus floridus''“, der „blühende Kontrapunkt“): gemischte Notenwerte


Üblicherweise teilt man die kunstgeschichtliche Epoche der ''Renaissance'', vor allem die italienische Renaissance, in drei Perioden ein:
Der Cantus firmus besteht hierbei stets aus ganzen Noten. Das Verfahren wird von der Zweistimmigkeit bis zur Vierstimmigkeit gesteigert, wobei der Cantus firmus in jeder Stimme liegen kann. Allerdings ist in der Regel stets nur eine Stimme im Sinne einer Gattung organisiert:
# [[Wikipedia:Frührenaissance|Frührenaissance]]
# [[Wikipedia:Hochrenaissance|Hochrenaissance]]
# [[Wikipedia:Manierismus|Spätrenaissance]] oder [[Wikipedia:Manierismus|Manierismus]]


Im Gegensatz zum 19. Jahrhundert sieht die heutige Kunstgeschichte (und die Geschichtswissenschaft allgemein) den Bruch zwischen Mittelalter und Renaissance weniger schroff. Bereits im 13. Jahrhundert oder davor kündigten sich Entwicklungen an, die an die Renaissance erinnerten, wie der Städtebau. Als [[Wikipedia:Karonlingische Renaissance|Karolingische Renaissance]] bezeichnet man die Rückbesinnung auf die Antike, die unter [[Wikipedia:Karl der Große|Karl dem Großen]] um 800 eingesetzt hatte.
'''Beispiel:''' 4.&nbsp;Gattung in der Dreistimmigkeit mit Cantus firmus in der Oberstimme:<ref>Fux 1725, S.&nbsp;108.</ref>
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Fuxʼ Konzept des Gattungskontrapunkts beeinflusst die Kontrapunktdidaktik bis heute. Zahlreiche spätere Musiktheoretiker haben es übernommen, so u.&nbsp;a. [[Johann Georg Albrechtsberger]], [[Luigi Cherubini]], [[Heinrich Bellermann]], [[Heinrich Schenker]] und Knud Jeppesen.
 
== {{Anker|Doppelter Kontrapunkt}} Doppelter und mehrfacher Kontrapunkt ==
Doppelter Kontrapunkt bezeichnet im allgemeinen Sinne die besondere Beschaffenheit eines zweistimmigen Satzes, aus dem durch Versetzung einer der Stimmen ein weiterer kontrapunktisch gültiger Satz abgeleitet werden kann.<ref>Schubert 2008, S.&nbsp;186: „Double counterpoint is the broad term for making a new combination out of an original. We maintain the same melodies, in the same temporal relationship, but we transpose one or both. Invertible counterpoint is a special case of double counterpoint in which the relative positions of the parts are reversed.“</ref> Doppelter Kontrapunkt der Sexte liegt z.&nbsp;B. vor, wenn eine der Stimmen einer zweistimmigen Kombination um eine Sexte versetzt werden kann:
 
'''Beispiel:''' Camillo Angleria: ''La regola del contraponto della musical compositione''. Mailand 1622, S.&nbsp;97:
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Meist wird der Begriff doppelter Kontrapunkt aber in einem engeren Sinne für ''umkehrbaren'' Kontrapunkt verwendet. Hierbei gerät die Tonfolge der Oberstimme durch die Versetzung in die Unterstimme und umgekehrt. Die gängigsten Formen des umkehrbaren doppelten Kontrapunkts sind der doppelte Kontrapunkt der Oktave, der Duodezime und der Dezime. Die satztechnischen Bedingungen, die dabei einzuhalten sind, werden traditionell aus Tabellen abgeleitet, die zeigen, wie sich die Intervalle durch die Versetzung verändern.<ref>Siehe z.&nbsp;B. Marpurg 1753, S.&nbsp;166.</ref>
 
So zeigt die Tabelle für den doppelten Kontrapunkt der Oktave:
{| class="wikitable" style="text-align:center"
|-
| class="hintergrundfarbe6" | '''Intervall in der Ausgangskombination''' || 1 || 2 || 3 || 4 || class="hintergrundfarbe5"| '''5''' || 6 || 7 || 8
|-
| class="hintergrundfarbe6" | '''Intervall nach Versetzung''' || 8 || 7 || 6 || 5 || class="hintergrundfarbe5"| '''4''' || 3 || 2 || 1
|-
|}
 
dass Quinten durch die Versetzung zu Quarten werden. Daraus folgt, dass ein zweistimmiger Satz die Bedingungen des doppelten Kontrapunkts der Oktave erfüllt, wenn die Quinte dort behandelt wird, als sei sie eine Dissonanz.
 
Die Tabelle für den doppelten Kontrapunkt der Duodezime zeigt u.&nbsp;a., dass hier die Sexte wie eine Dissonanz behandelt werden muss, da sie in der Verkehrung zur Septime wird:
{| class="wikitable" style="text-align:center"
|-
| class="hintergrundfarbe6" | '''Intervall in der Ausgangskombination''' || 1 || 2 || 3 || 4 || 5 || class="hintergrundfarbe5"| '''6''' || 7 || 8 || 9 || 10 || 11 || 12
|-
| class="hintergrundfarbe6" | '''Intervall nach Versetzung''' || 12 || 11 || 10 || 9 || 8 || class="hintergrundfarbe5"| '''7''' || 6 || 5 || 4 || 3 || 2 || 1
|-
|}
 
'''Beispiel:''' [[Wolfgang Amadeus Mozart]]: [[Requiem (Mozart)|Requiem]], ''Kyrie'':
 
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Gegenüber dem Abschnitt in T.&nbsp;49&nbsp;f. erscheint ab T.&nbsp;64 die Melodie des Basses eine Dezime höher im Sopran und die Melodie der Altstimme eine Dezime tiefer im Bass. Dadurch ändern sich die vertikalen Intervalle so, wie wenn nur der Bass eine Duodezime nach oben oder nur die Oberstimme eine Duodezime nach unten versetzt worden wäre.
 
''Mehrfacher'' (dreifacher, vierfacher,&nbsp;…) Kontrapunkt der Oktave liegt vor, wenn alle Stimmen eines Satzes mit entsprechender Stimmenzahl durch Oktavierung beliebig vertauscht werden können.
 
== {{Anker|Kontrasubjekt}} Beibehaltener Kontrapunkt ==
Im Hinblick auf [[Fuge (Musik)|Fugen]] ist von einem beibehaltenen Kontrapunkt oder ''Kontrasubjekt'' die Rede, wenn das Fugenthema wiederholt von der (bis auf kleine Veränderungen) gleichen Gegenstimme kontrapunktiert wird. Wenn der beibehaltene Kontrapunkt sowohl ober- als unterhalb des Themas erklingt, ist doppelter Kontrapunkt im Spiel.
 
Im folgenden Beispiel ([[Johann Sebastian Bach]]: ''[[Das Wohltemperierte Klavier]]'' Band&nbsp;1, Fuge in c-Moll ([[Bach-Werke-Verzeichnis|BWV]]&nbsp;847, T.&nbsp;2–3 und T.&nbsp;7–8) ist das Thema rot und der beibehaltene Kontrapunkt blau eingefärbt. Die Kombination beider Stimmen erfüllt die Bedingungen des doppelten Kontrapunkts der Oktave:
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== Siehe auch ==
== Siehe auch ==
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* {{WikipediaDE|Philosophie der Renaissance und des Humanismus}}
* {{WikipediaDE|Kontrapunkt}}
* {{WikipediaDE|Humanismus}}
* {{WikipediaDE|Reformation}}


== Literatur ==
== Literatur ==
* Walter Paatz: ''Die Kunst der Renaissance in Italien''. Kohlhammer, Stuttgart 1961.
-- chronologisch --
* Rudolf Wittkower: ''Grundlagen der Architektur im Zeitalter des Humanismus''. München 1969.
* Johannes Tinctoris: ''Liber de arte contrapuncti'' (Hs.) 1477.
* Hartmut Biermann: ''Renaissance''. Heyne, München 1976. (Heyne-Bücher; 5).
* Johann Joseph Fux: ''Gradus ad Parnassum'' […]. Wien 1725.
* Leonid M. Batkin: ''Die historische Gesamtheit der italienischen Renaissance''. Verlag der Kunst, Dresden 1979.
* Johann Joseph Fux: ''Gradus ad Parnassum'' […]'' ins Teutsche übersetzt'' […]'' von Lorenz Christoph Mizler.'' Leipzig 1742, Reprint Hildesheim 1984.
* Ludwig Heinrich Heydenreich: ''Studien zur Architektur der Renaissance''. Fink, München 1981.
* Friedrich Wilhelm Marpurg: ''Abhandlung von der Fuge'' […]. Bd.&nbsp;1. Berlin 1753 ([http://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/goToPage/bsb10527403.html?pageNo=194 Digitalisat]).
* Ernst Gombrich: ''Zur Kunst der Renaissance. Ausgewählte Aufsätze''. 4 Bände. Klett-Cotta, Stuttgart 1985–1988.
* Adolf Bernhard Marx: ''Encyclopädie der gesammten musikalischen Wissenschaften oder Universal-Lexicon der Tonkunst'' Bd.&nbsp;4. Stuttgart 1837 ([http://opacplus.bsb-muenchen.de/title/BV010653758/ft/bsb10600492?page=190 Digitalisat]).
* Georg Kauffmann: ''Die Kunst des 16. Jahrhunderts''. Propyläen-Verlag, Berlin 1990.
* Heinrich Bellermann: ''Der Contrapunkt.'' Berlin 1862.
* Michael Jäger: ''Die Theorie des Schönen in der italienischen Renaissance''. DuMont, Köln 1990.
* Ernst Kurth: ''Grundlagen des linearen Kontrapunkts. Einführung in Stil und Technik von Bachʼs melodischer Polyphonie''. Dreschel, Bern 1917 ({{Digitalisat|IA=romantischeharmo00kurt}}).
* Johan Huizinga: ''Das Problem der Renaissance''. Wagenbach, Berlin 1991, ISBN 3-8031-5135-X.
* Knud Jeppesen: ''Kontrapunkt. Lehrbuch der klassischen Vokalpolyphonie.'' Leipzig 1956.
* Jörg Traeger: ''Renaissance und Religion. Die Kunst des Glaubens im Zeitalter Raphaels''. Beck, München 1997, ISBN 3-406-42801-0.
* Klaus-Jürgen Sachs: ''Der Contrapunctus im 14. und 15.&nbsp;Jahrhundert. Untersuchungen zum Terminus, zur Lehre und zu den Quellen.'' Franz Steiner, Stuttgart 1974, ISBN 3-515-01952-9.
* Thomas DaCosta Kaufmann: ''Höfe, Klöster und Städte. Kunst und Kultur in Mitteleuropa 1450–1800.'' DuMont, Köln 1998, ISBN 3-7701-3924-0.
* Diether de la Motte] ''Kontrapunkt. Ein Lese- und Arbeitsbuch.'' Kassel und München 1981, ISBN 3-423-30146-5.
* Boris von Brauchitsch (Hrsg.): ''Renaissance. Das 16. Jahrhundert, Galerie der großen Meister.'' DuMont, Köln 1999, ISBN 3-7701-4620-4.
* Klaus-Jürgen Sachs: ''Contrapunctus&nbsp;/ Kontrapunkt''. In: ''Handwörterbuch der musikalischen Terminologie''. Bd.&nbsp;2, hrsg. von Hans Heinrich Eggebrecht und Albrecht Riethmüller, Schriftleitung Markus Bandur, Steiner, Stuttgart 1982 ([http://daten.digitale-sammlungen.de/~db/0007/bsb00070510/images/index.html?fip=193.174.98.30&seite=163&pdfseitex= Digitalisat]).
* Volker Reinhardt: ''Die Renaissance in Italien. Geschichte und Kultur''. Beck, München 2002, ISBN 3-406-47991-X.
* Klaus-Jürgen Sachs: ''Die Contrapunctus-Lehre im 14. und 15. Jahrhundert''. In: Hans Heinrich Eggebrecht&nbsp;/ F. Alberto Gallo&nbsp;/ Max Haas&nbsp;/ Klaus-Jürgen Sachs: ''Die mittelalterliche Lehre von der Mehrstimmigkeit''. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1984, S.&nbsp;161–256.
* Anne Schunicht-Rawe, Vera Lüpkes (Hrsg.): ''Handbuch der Renaissance. Deutschland, Niederlande, Belgien, Österreich''. DuMont, Köln 2002, ISBN 3-8321-5962-2.
* Claus Ganter: ''Kontrapunkt für Musiker. Die Gestaltungsprinzipien der Vokal und Instrumentalpolyphonie'' […]. München und Salzburg 1994.
* Jacob Burckhardt: ''Die Kultur der Renaissance in Italien.'' Insel-Verlag, Frankfurt am Main 2003, ISBN 3-933203-89-9. (Das Werk erschien 1860; auch erschienen im Kröner Verlag 2009)
* Christoph Hohlfeld, Reinhard Bahr: ''Schule des musikalischen Denkens. Der Cantus-firmus-Satz bei Palestrina.'' Wilhelmshaven 1994.
* Manfred Wundram: ''Renaissance''. Reclam, Stuttgart 2004, ISBN 3-15-018173-9.
* Thomas Daniel: ''Kontrapunkt. Eine Satzlehre zur Vokalpolyphonie des 16.&nbsp;Jahrhunderts.'' Köln 1997, ISBN 3-925366-43-1.
* Erwin Panofsky: ''Die Renaissancen der europäischen Kunst''. Suhrkamp, Frankfurt/M. 2004.
* Ian Bent: ''Steps to Parnassus: Contrapuntal theory in 1725, precursors and successors''. In: Thomas Christensen (Hrsg.): ''The Cambridge History of Western Music Theory''. Cambridge University Press, Cambridge 2002, ISBN 978-0-521-62371-1, S.&nbsp;554–602.
* Jeffrey C. Smith: ''The Northern Renaissance''. Phaidon Books, London 2004, ISBN 0-7148-3867-5.
* Peter Schubert, Christoph Neidhöfer: ''Baroque counterpoint''. Pearson Prentice Hall, Upper Saddle River 2006, ISBN 978-0-13-183442-2.
* Peter Burke: ''Die europäische Renaissance. Zentren und Peripherien.'' Beck, München 2005, ISBN 3-406-52796-5.
* Peter Schubert: ''Modal Counterpoint, Renaissance Style''. 2.&nbsp;Auflage. Oxford University Press, New York&nbsp;/ Oxford 2008, ISBN 978-0-19-533194-3.
* Hubertus Günther: ''Was ist Renaissance? Eine Charakteristik der Architektur zu Beginn der Neuzeit.'' Primus, Darmstadt 2009, ISBN 978-3-89678-654-8.
* Johannes Menke: ''Kontrapunkt&nbsp;I: Die Musik der Renaissance''. Laaber-Verlag, Laaber 2015, ISBN 978-3-89007-825-0.
* Stephen Greenblatt: ''Die Wende. Wie die Renaissance begann''. München 2012, ISBN 978-3-88680-848-9.
* Johannes Menke: ''Kontrapunkt&nbsp;II: Die Musik des Barock''. Laaber-Verlag, Laaber 2017, ISBN 978-3-89007-826-7.
* [[Rudolf Steiner]]: ''Innere Entwicklungsimpulse der Menschheit. Goethe und die Krisis des neunzehnten Jahrhunderts'', [[GA 171]] (1984), ISBN 3-7274-1710-2 {{Vorträge|171}}
* [[Rudolf Steiner]]: ''Die großen Fragen der Zeit und die anthroposophische Geist-Erkenntnis'', [[GA 336]] (2005), ISBN 978-3727433603 {{Vorträge|336}}
 
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== Weblinks ==
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* {{Internetquelle| autor=Belkin, Alan| url=http://alanbelkinmusic.com/site/en/index.php/counterpoint/| titel=Principles of Counterpoint| datum=2000| zugriff=2018-07-19| sprache=en| offline=false }}
* [http://www.marcheworldwide.org/html/renaissance1.asp?lingua=de Frührenaissance]
* [http://musikanalyse.net/tutorials/kontrapunkt-einfuehrung/ Kontrapunkt (16. Jahrhundert) - Eine Einführung] auf [http://musikanalyse.net musikanalyse.net]
* [http://www.marcheworldwide.org/html/renaissance2.asp?lingua=de Hochrenaissance]
*  
* [http://www.arthistoricum.net/themen/portale/renaissance/ Die Renaissance und die Kunst des 15. und 16. Jahrhunderts] bei Arthistoricum.net
* [http://www.census.de/ Census of Antique Works of Art & Architecture Known in the Renaissance]
* H. C. Kuhn (Hrsg.): [http://www.phil-hum-ren.uni-muenchen.de/GGRENirDB/default.htm GGRENir: Internetography on Renaissance intellectual history], aktualisiert bis 2003.
* [[Joachim Stiller]]: [http://joachimstiller.de/philosophie6b.html Projekt Philosophie der Renaissance] PDF


== Einzelnachweise ==
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<references />
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Version vom 3. Juli 2019, 18:33 Uhr

Kontrapunkt bezeichnet ursprünglich

  • eine Lehre, mehrstimmige Musik zu organisieren, die ab dem 14. Jahrhundert ausgehend von Frankreich und Italien überliefert und weiterentwickelt worden ist,
  • die Anwendung dieser Lehre in Improvisation und Komposition und
  • deren Ergebnis (also eine Stimme oder einen mehrstimmigen Satz, die im Sinne der Lehre gemacht worden sind).

Das Wort entstammt dem lateinischen Ausdruck „punctum contra punctum ponere“:

„Contrapunctus non est nisi punctum contra punctum ponere vel notam contra notam ponere vel facere, et est fundamentum discantus.“

„Kontrapunkt ist nichts anderes, als einen Punkt [sprich: eine Note] gegen einen Punkt zu setzen oder zu machen, und er ist das Fundament des Discantus.“

Anon.: Cum notum sit, um 1350.

Ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts wird der Begriff auch in einem weiteren Sinne als Stilbegriff verwendet. Dies hat u. a. dazu geführt, dass ‚Kontrapunkt‘ häufig mit ‚Polyphonie‘ gleichgesetzt wird.

Prinzipien

Note-gegen-Note-Satz

Die praktische Frage, der sich die Kontrapunktlehre zunächst widmet, lautet: Wie soll zu einer vorhandenen Tonfolge (dem sogenannten Cantus firmus oder Cantus prius factus, z. B. einem gregorianischen Choral) eine Gegenstimme improvisiert oder komponiert werden?

Grundlegend ist dabei eine Unterteilung der Intervalle in drei Kategorien: vollkommene Konsonanzen, unvollkommene Konsonanzen und Dissonanzen. Gemäß dem Ausdruck „punctum contra punctum ponere“ konzentrieren sich die ältesten Kontrapunkttraktate darüber hinaus ausschließlich auf den Note-gegen-Note-Satz und schließen Dissonanzen dabei aus. Für die beiden anderen Kategorien gelten jeweils bestimmte Gebote und Verbote. So schreibt der einflussreiche Traktat Quilibet affectans (um 1330, Johannes de Muris zugeschrieben) vor:[1]

  • Abschnitte müssen mit einer vollkommenen Konsonanz beginnen und schließen.
  • Vollkommene Konsonanzen dürfen nicht parallel geführt werden.
  • Wird eine vollkommene Konsonanz in gerader Bewegung erreicht (also durch eine später so genannte verdeckte Parallele), muss eine Stimme dabei per Sekundschritt fortschreiten.
  • Unvollkommene Konsonanzen sollten nicht mehr als viermal direkt nacheinander parallel geführt werden.

Besonders empfohlen werden außerdem Fortschreitungen zur nächstgelegenen Konsonanz, durch Gegenbewegung und mit Sekundschritten in beiden Stimmen. Zwecks Abwechslung kann freilich häufig mindestens eine dieser Empfehlungen nicht berücksichtigt werden.

Beispiel: Ludovico Zacconi: Prattica di musica. Bd. 2. Venedig 1622, S. 69 (Cantus firmus in der Unterstimme): <score raw="1" vorbis="1"> \version "2.14.2" \header {

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Dissonanzen

Indem nun in der Gegenstimme mittels kürzerer Notenwerte und überwiegend schrittweiser Bewegung Sprünge ausgefüllt und Schritte umspielt werden, ergibt sich eine vielfältigere Satzart, die auch Dissonanzen enthält. Diese werden aber zunächst kaum näher thematisiert, sondern geraten erst durch Johannes Tinctoris (1477) ausdrücklich ins Blickfeld der Lehre. Dieser erweitert die Bedeutung des Worts contrapunctus, indem er die Satzart Note gegen Note, also den ‚Kontrapunkt‘ im ursprünglichen Sinne, als contrapunctus simplex (einfacher Kontrapunkt) bezeichnet, und ihm den contrapunctus diminutus (verkleinerter Kontrapunkt) gegenüberstellt.

Tinctoris fordert, dass Dissonanzen „maßvoll“ (cum ratione moderata) verwendet werden,[2] indem sie entweder auf unbetonter Taktposition stehen und schrittweise erreicht und verlassen werden (also als Durchgangs- oder Wechselnoten gelten können), oder aber als Synkopendissonanz, bevorzugt unmittelbar vor Kadenzen, verwendet werden. Abspringende Nebennoten sollen von einem Terzsprung gefolgt (die später so genannten Fuxschen Wechselnoten) und sparsam verwendet werden.[3]

In seiner Lehre der Dissonanzbehandlung orientiert sich Tinctoris an Kompositionen von u. a. John Dunstable, Guillaume Dufay, Gilles Binchois und Johannes Ockeghem, die für ihn eine neue Epoche eingeläutet haben.[4]

Kontrapunkt als Synonym von Satzlehre

Die Lehre des zweistimmigen contrapunctus diminutus wird von Tinctoris und späteren Autoren auf den mehr als zweistimmigen Satz übertragen. Bis ins 18. Jahrhundert wird Kontrapunkt somit gleichbedeutend mit Satzlehre. Erweitert werden die Traktate, indem sie neben den kontrapunktischen Grundprinzipien auch Satztechniken wie Imitation, Fuge und Kanon, sowie doppelten und mehrfachen Kontrapunkt behandeln. Der contrapunctus simplex bleibt dabei jedoch die systematische und didaktische Vorstufe der gesamten Kompositionslehre. Eine besonders prominente Kontrapunktlehre, die noch im 17. und 18. Jahrhundert eine zentrale Rolle spielt, ist der dritte Teil der Istitutioni armoniche von Gioseffo Zarlino (1558).

Gewisse Veränderungen erfährt die Lehre angesichts stilistischer Entwicklungen, u. a. im Bereich der Dissonanzbehandlung. Mit der Entstehung der Dur-Moll-Tonalität werden Intervallfortschreitungen über die überlieferten kontrapunktischen Prinzipien hinaus außerdem so organisiert, dass sie eine Dur- oder Molltonart zum Ausdruck bringen.

Kontrapunkt als Stilbegriff

Angesichts seines Ursprungs als Lehre des Note-gegen-Note-Satzes schließt Kontrapunkt Homophonie keineswegs aus. Die heute verbreitete Verwendung von ‚kontrapunktisch‘ im Sinne von ‚polyphon‘ stammt aus dem 19. Jahrhundert:[5]

„Kontrapunkt, eine aus dem Lateinischen […] hergenommene Benennung für polyphone Schreibart, d. h. solche, die zwei oder mehr melodisch ausgebildete Stimmen gleichzeitig mit einander verbindet und fortführt, wie z. B. in der Fuge und anderen Kunstformen. […]. Bestimmter verstehen wir darunter […] den Satz, welcher zwei oder mehr wahrhaft selbständige (nach den Grundsätzen der Melodik ausgebildete) Stimmen mit einander verbindet.“

Adolf Bernhard Marx: Encyclopädie der gesammten musikalischen Wissenschaften oder Universal-Lexicon der Tonkunst Bd. 4. Stuttgart 1837, S. 188 f.

Allerdings wurde das Wort schon ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts als Stilbegriff verwendet, im Hinblick auf die Kirchenmusik des späten 16. Jahrhunderts und insbesondere auf die Musik von Giovanni Pierluigi da Palestrina.[6] Entscheidend verstärkt wurde diese Tendenz durch das Lehrwerk Gradus ad Parnassum von Johann Joseph Fux (1725), das die Pflege dieses Stils bezweckt.

Im 19. Jahrhundert wurde außer dem Palestrina-Stil auch die Musik von Johann Sebastian Bach zu einem Gipfelpunkt von ‚Kontrapunkt‘ stilisiert. In ihr sah Ernst Kurth die Idee eines „linearen Kontrapunkts“ optimal verwirklicht, bei dem „der Wille zur Linienstruktur, der horizontale Entwurf […] immer das Primäre und der tragende Grundzug“ sei.[7]

Gattungskontrapunkt

Zu Übungszwecken wurde oft versucht, beim Improvisieren oder Komponieren eines Kontrapunkts zu einem Cantus firmus bestimmte rhythmische Muster in dieser Gegenstimme konsequent beizubehalten.[8] Diesen Ansatz hat Johann Joseph Fux in seiner Kompositionslehre Gradus ad Parnassum (1725) zu einem Parcours aus fünf sogenannten „species“ oder „Gattungen“ systematisiert. Dieser Aufbau erlaubt es u. a., verschiedene Formen der Dissonanzbehandlung Schritt für Schritt einzuführen:

  • 1. Gattung: Note gegen Note
  • 2. Gattung: Zwei Noten gegen eine
Einführung der Durchgangsnote
  • 3. Gattung: Vier Noten gegen eine
Einführung der Fuxschen Wechselnote und der halbschweren Durchgangsnote
Einführung der Synkopendissonanz
  • 5. Gattung („contrapunctus floridus“, der „blühende Kontrapunkt“): gemischte Notenwerte

Der Cantus firmus besteht hierbei stets aus ganzen Noten. Das Verfahren wird von der Zweistimmigkeit bis zur Vierstimmigkeit gesteigert, wobei der Cantus firmus in jeder Stimme liegen kann. Allerdings ist in der Regel stets nur eine Stimme im Sinne einer Gattung organisiert:

Beispiel: 4. Gattung in der Dreistimmigkeit mit Cantus firmus in der Oberstimme:[9] <score vorbis="1"> \new ChoirStaff <<

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    >>
   \new Staff <<
             \clef "bass"
             \relative c { r1 r2 d ~ d c ~ c b ~ b e ~ e d ~ d f ~ f e ~ e d ~ d cis \override NoteHead.style = #'baroque d\breve }
    >>
>>

</score> Fuxʼ Konzept des Gattungskontrapunkts beeinflusst die Kontrapunktdidaktik bis heute. Zahlreiche spätere Musiktheoretiker haben es übernommen, so u. a. Johann Georg Albrechtsberger, Luigi Cherubini, Heinrich Bellermann, Heinrich Schenker und Knud Jeppesen.

Doppelter und mehrfacher Kontrapunkt

Doppelter Kontrapunkt bezeichnet im allgemeinen Sinne die besondere Beschaffenheit eines zweistimmigen Satzes, aus dem durch Versetzung einer der Stimmen ein weiterer kontrapunktisch gültiger Satz abgeleitet werden kann.[10] Doppelter Kontrapunkt der Sexte liegt z. B. vor, wenn eine der Stimmen einer zweistimmigen Kombination um eine Sexte versetzt werden kann:

Beispiel: Camillo Angleria: La regola del contraponto della musical compositione. Mailand 1622, S. 97: <score vorbis="1"> \new ChoirStaff <<

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    >>
>>

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    >>
>>

</score>

Meist wird der Begriff doppelter Kontrapunkt aber in einem engeren Sinne für umkehrbaren Kontrapunkt verwendet. Hierbei gerät die Tonfolge der Oberstimme durch die Versetzung in die Unterstimme und umgekehrt. Die gängigsten Formen des umkehrbaren doppelten Kontrapunkts sind der doppelte Kontrapunkt der Oktave, der Duodezime und der Dezime. Die satztechnischen Bedingungen, die dabei einzuhalten sind, werden traditionell aus Tabellen abgeleitet, die zeigen, wie sich die Intervalle durch die Versetzung verändern.[11]

So zeigt die Tabelle für den doppelten Kontrapunkt der Oktave:

Intervall in der Ausgangskombination 1 2 3 4 5 6 7 8
Intervall nach Versetzung 8 7 6 5 4 3 2 1

dass Quinten durch die Versetzung zu Quarten werden. Daraus folgt, dass ein zweistimmiger Satz die Bedingungen des doppelten Kontrapunkts der Oktave erfüllt, wenn die Quinte dort behandelt wird, als sei sie eine Dissonanz.

Die Tabelle für den doppelten Kontrapunkt der Duodezime zeigt u. a., dass hier die Sexte wie eine Dissonanz behandelt werden muss, da sie in der Verkehrung zur Septime wird:

Intervall in der Ausgangskombination 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
Intervall nach Versetzung 12 11 10 9 8 7 6 5 4 3 2 1

Beispiel: Wolfgang Amadeus Mozart: Requiem, Kyrie:

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             \addlyrics { "3" _ _ "3" "4" "3" "2" }
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<<

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   }
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     \lyricsto "bass" { _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ "10" _ _ "10" "9" "10" "11" }
   }
    >>
>>

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Gegenüber dem Abschnitt in T. 49 f. erscheint ab T. 64 die Melodie des Basses eine Dezime höher im Sopran und die Melodie der Altstimme eine Dezime tiefer im Bass. Dadurch ändern sich die vertikalen Intervalle so, wie wenn nur der Bass eine Duodezime nach oben oder nur die Oberstimme eine Duodezime nach unten versetzt worden wäre.

Mehrfacher (dreifacher, vierfacher, …) Kontrapunkt der Oktave liegt vor, wenn alle Stimmen eines Satzes mit entsprechender Stimmenzahl durch Oktavierung beliebig vertauscht werden können.

Beibehaltener Kontrapunkt

Im Hinblick auf Fugen ist von einem beibehaltenen Kontrapunkt oder Kontrasubjekt die Rede, wenn das Fugenthema wiederholt von der (bis auf kleine Veränderungen) gleichen Gegenstimme kontrapunktiert wird. Wenn der beibehaltene Kontrapunkt sowohl ober- als unterhalb des Themas erklingt, ist doppelter Kontrapunkt im Spiel.

Im folgenden Beispiel (Johann Sebastian Bach: Das Wohltemperierte Klavier Band 1, Fuge in c-Moll (BWV 847, T. 2–3 und T. 7–8) ist das Thema rot und der beibehaltene Kontrapunkt blau eingefärbt. Die Kombination beider Stimmen erfüllt die Bedingungen des doppelten Kontrapunkts der Oktave: <score raw="1" vorbis="1"> \version "2.14.2" \header {

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 \override Staff.TimeSignature.transparent = ##t
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      <<
        {
          \voiceOne
          r8 \override NoteHead.color = #red \override Stem.color = #red \override Beam.color = #red \override Accidental.color = #red g16 fis g8 c, es g16 fis g8 a d, g16 fis g8 a c,16 d es4 d16 c bes8
        }
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          \voiceTwo
          s16 \override NoteHead.color = #blue \override Stem.color = #blue \override Beam.color = #blue \override Accidental.color = #blue c b a g f es d c8 es' d c bes a bes c fis, g a fis g4
        }
      >>
               }

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   \new Staff = "upper" \upper
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 tagline = ##f
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upper = \relative c {

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      <<
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          \override NoteHead.color = #blue \override Stem.color = #blue \override Beam.color = #blue \override Accidental.color = #blue f8 es16 d c bes as g f8 as' g f es d es f b, c d b c
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          c4 r r8 f es d r as g f g f16 es f8 d g4
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               }

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        }

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Siehe auch

Literatur

-- chronologisch --

  • Johannes Tinctoris: Liber de arte contrapuncti (Hs.) 1477.
  • Johann Joseph Fux: Gradus ad Parnassum […]. Wien 1725.
  • Johann Joseph Fux: Gradus ad Parnassum […] ins Teutsche übersetzt […] von Lorenz Christoph Mizler. Leipzig 1742, Reprint Hildesheim 1984.
  • Friedrich Wilhelm Marpurg: Abhandlung von der Fuge […]. Bd. 1. Berlin 1753 (Digitalisat).
  • Adolf Bernhard Marx: Encyclopädie der gesammten musikalischen Wissenschaften oder Universal-Lexicon der Tonkunst Bd. 4. Stuttgart 1837 (Digitalisat).
  • Heinrich Bellermann: Der Contrapunkt. Berlin 1862.
  • Ernst Kurth: Grundlagen des linearen Kontrapunkts. Einführung in Stil und Technik von Bachʼs melodischer Polyphonie. Dreschel, Bern 1917 (Digitalisat).
  • Knud Jeppesen: Kontrapunkt. Lehrbuch der klassischen Vokalpolyphonie. Leipzig 1956.
  • Klaus-Jürgen Sachs: Der Contrapunctus im 14. und 15. Jahrhundert. Untersuchungen zum Terminus, zur Lehre und zu den Quellen. Franz Steiner, Stuttgart 1974, ISBN 3-515-01952-9.
  • Diether de la Motte] Kontrapunkt. Ein Lese- und Arbeitsbuch. Kassel und München 1981, ISBN 3-423-30146-5.
  • Klaus-Jürgen Sachs: Contrapunctus / Kontrapunkt. In: Handwörterbuch der musikalischen Terminologie. Bd. 2, hrsg. von Hans Heinrich Eggebrecht und Albrecht Riethmüller, Schriftleitung Markus Bandur, Steiner, Stuttgart 1982 (Digitalisat).
  • Klaus-Jürgen Sachs: Die Contrapunctus-Lehre im 14. und 15. Jahrhundert. In: Hans Heinrich Eggebrecht / F. Alberto Gallo / Max Haas / Klaus-Jürgen Sachs: Die mittelalterliche Lehre von der Mehrstimmigkeit. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1984, S. 161–256.
  • Claus Ganter: Kontrapunkt für Musiker. Die Gestaltungsprinzipien der Vokal und Instrumentalpolyphonie […]. München und Salzburg 1994.
  • Christoph Hohlfeld, Reinhard Bahr: Schule des musikalischen Denkens. Der Cantus-firmus-Satz bei Palestrina. Wilhelmshaven 1994.
  • Thomas Daniel: Kontrapunkt. Eine Satzlehre zur Vokalpolyphonie des 16. Jahrhunderts. Köln 1997, ISBN 3-925366-43-1.
  • Ian Bent: Steps to Parnassus: Contrapuntal theory in 1725, precursors and successors. In: Thomas Christensen (Hrsg.): The Cambridge History of Western Music Theory. Cambridge University Press, Cambridge 2002, ISBN 978-0-521-62371-1, S. 554–602.
  • Peter Schubert, Christoph Neidhöfer: Baroque counterpoint. Pearson Prentice Hall, Upper Saddle River 2006, ISBN 978-0-13-183442-2.
  • Peter Schubert: Modal Counterpoint, Renaissance Style. 2. Auflage. Oxford University Press, New York / Oxford 2008, ISBN 978-0-19-533194-3.
  • Johannes Menke: Kontrapunkt I: Die Musik der Renaissance. Laaber-Verlag, Laaber 2015, ISBN 978-3-89007-825-0.
  • Johannes Menke: Kontrapunkt II: Die Musik des Barock. Laaber-Verlag, Laaber 2017, ISBN 978-3-89007-826-7.

Weblinks

 Wiktionary: Kontrapunkt – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Sachs 1984, S. 180.
  2. Tinctoris 1477, Buch 2, Kap. 23.
  3. Tinctoris 1477, Buch 2, Kap. 32.
  4. Siehe Tinctoris: Proportionale musices, um 1472–1475 (online).
  5. Sachs 1982, S. 32 f.
  6. Sachs 1982, S. 30.
  7. Kurth 1917, S. 98.
  8. Siehe Bent 2002.
  9. Fux 1725, S. 108.
  10. Schubert 2008, S. 186: „Double counterpoint is the broad term for making a new combination out of an original. We maintain the same melodies, in the same temporal relationship, but we transpose one or both. Invertible counterpoint is a special case of double counterpoint in which the relative positions of the parts are reversed.“
  11. Siehe z. B. Marpurg 1753, S. 166.


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