Vincenz Knauer und Kontrapunkt: Unterschied zwischen den Seiten

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'''Vincenz Andreas Knauer''' [[w:Benediktiner|OSB]]  (* [[20. Juni]] [[1828]] in [[Wien]]; † [[20. Juli]] [[1894]] ebenda) war ein österreichischer [[Theologe]] und [[Philosoph]].
'''Kontrapunkt''' bezeichnet ursprünglich
* eine Lehre, mehrstimmige Musik zu organisieren, die ab dem 14. Jahrhundert ausgehend von Frankreich und Italien überliefert und weiterentwickelt worden ist,
* die Anwendung dieser Lehre in [[Improvisation]] und [[Komposition (Musik)|Komposition]] und
* deren Ergebnis (also eine Stimme oder einen mehrstimmigen Satz, die im Sinne der Lehre gemacht worden sind).
Das Wort entstammt dem lateinischen Ausdruck „punctum contra punctum ponere“:
{{Zitat|lang=la|Text=Contrapunctus non est nisi punctum contra punctum ponere vel notam contra notam ponere vel facere, et est fundamentum discantus.|Autor=Anon.|Quelle=''Cum notum sit'', um 1350.|Übersetzung=Kontrapunkt ist nichts anderes, als einen Punkt [sprich: eine Note] gegen einen Punkt zu setzen oder zu machen, und er ist das Fundament des Discantus.}}
Ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts wird der Begriff auch in einem weiteren Sinne als Stilbegriff verwendet. Dies hat u. a. dazu geführt, dass ‚Kontrapunkt‘ häufig mit ‚[[Polyphonie]]‘ gleichgesetzt wird.


== Leben ==
== Prinzipien ==
=== Note-gegen-Note-Satz ===
Die praktische Frage, der sich die Kontrapunktlehre zunächst widmet, lautet: Wie soll zu einer vorhandenen Tonfolge (dem sogenannten [[Cantus firmus]] oder ''Cantus prius factus'', z. B. einem [[Gregorianischer Choral|gregorianischen Choral]]) eine Gegenstimme improvisiert oder komponiert werden?


Knauer absolvierte nach dem [[w:Schottengymnasium|Schottengymnasium]] in Wien ein Studium der Philosophie an der [[w:Universität Wien|Universität Wien]] und danach von 1848 bis 1850 ein Theologiestudium am Priesterseminar in [[w:St. Pölten|St. Pölten]]. 1850 trat in das [[w:Schottenstift|Schottenstift]] (Benediktinerabtei unserer Lieben Frau zu den Schotten) ein und wurde 1853 zum Priester geweiht. Bis 1877 war er überwiegend in der pfarrlichen Seelsorge in Wien tätig, danach diente er zwischen 1877 und 1885 als Novizenmeister und Klerikerdirektor sowie von 1878 bis 1894 als Bibliothekar des Schottenstiftes.  
Grundlegend ist dabei eine Unterteilung der Intervalle in drei Kategorien: [[Konsonanz und Dissonanz#Kontrapunktlehre|vollkommene Konsonanzen, unvollkommene Konsonanzen und Dissonanzen]]. Gemäß dem Ausdruck „''punctum contra punctum ponere''“ konzentrieren sich die ältesten Kontrapunkttraktate darüber hinaus ausschließlich auf den Note-gegen-Note-Satz und schließen Dissonanzen dabei aus. Für die beiden anderen Kategorien gelten jeweils bestimmte Gebote und Verbote. So schreibt der einflussreiche Traktat ''Quilibet affectans'' (um 1330, [[Johannes de Muris]] zugeschrieben) vor:<ref>Sachs 1984, S.&nbsp;180.</ref>
* Abschnitte müssen mit einer vollkommenen Konsonanz beginnen und schließen.
* Vollkommene Konsonanzen dürfen nicht parallel geführt werden.
* Wird eine vollkommene Konsonanz in gerader Bewegung erreicht (also durch eine später so genannte [[verdeckte Parallele]]), muss eine Stimme dabei per Sekundschritt fortschreiten.
* Unvollkommene Konsonanzen sollten nicht mehr als viermal direkt nacheinander parallel geführt werden.
Besonders empfohlen werden außerdem Fortschreitungen zur nächstgelegenen Konsonanz, durch [[Gegenbewegung]] und mit [[Sekunde (Musik)|Sekundschritten]] in beiden Stimmen. Zwecks Abwechslung kann freilich häufig mindestens eine dieser Empfehlungen nicht berücksichtigt werden.


Seine universitäre Laufbahn begann Knauer 1867 mit der Promotion zum Doktor der Theologie in [[w:Tübingen|Tübingen]], 1878 wurde er Privatdozent für Philosophie an der [[w:Universität Innsbruck|Universität Innsbruck]]. Ab 1889 war Knauer als Privatdozent an der Universität Wien tätig.
'''Beispiel:''' [[Ludovico Zacconi]]: ''Prattica di musica''. Bd.&nbsp;2. Venedig 1622, S.&nbsp;69 (Cantus firmus in der Unterstimme):
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}


[[Rudolf Steiner]] erwähnte Knauer öfters. 1893 schrieb er über dessen philosophische Ansichten<ref>Literarischer Merkur, 13. Jg., Nr. 12; 25. März 1893</ref>:
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}


{{GZ|Alle wirklichen Philosophen waren
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freie Begriffskünstler. Bei ihnen wurden die menschlichen Ideen
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zum Kunstmateriale und die wissenschaftliche Methode zur künstlerischen
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Technik. Dadurch wird das abstrakte wissenschaftliche
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Bewußtsein zum konkreten Leben erhoben. Unsere Ideen werden
  >>
Lebensmächte. Wir haben nicht bloß ein Wissen von den Dingen,
  \layout {
sondern wir haben das Wissen zum realen, sich selbst beherrschenden
    \context {
Organismus gemacht; unser wirkliches, tätiges Bewußtsein
      \Score
hat sich über ein bloßes passives Aufnehmen von Wahrheiten
      \remove "Metronome_mark_engraver"
gestellt. Hierinnen suche ich den Sinn der Lassalleschen Worte.
    }
Mit dieser Auffassung der Philosophie sollten sich insbesondere
  }
jene durchdringen, die die historische Entwicklung derselben
  \midi { }
schriftstellerisch darstellen oder im akademischen Lehrvortrage vorbringen
}
wollen. Gegenüber mancher unerfreulichen Erscheinung
</score>
auf diesem Gebiete begrüßen wir mit Freuden ein eben erschienenes
Buch: «Die Hauptprobleme der Philosophie in ihrer Entwicklung
und teilweisen Lösung von Thaies bis Robert Hamerling.
Vorlesungen, gehalten an der K. K. Wiener Universität von Vinzenz
Knauer (Wien 1892).»


Schon aus der Darstellung der Geschichte der Philosophie von
=== Dissonanzen ===
demselben Verfasser (Geschichte der Philosophie mit besonderer
Indem nun in der Gegenstimme mittels kürzerer Notenwerte und überwiegend schrittweiser Bewegung Sprünge ausgefüllt und Schritte umspielt werden, ergibt sich eine vielfältigere Satzart, die auch Dissonanzen enthält. Diese werden aber zunächst kaum näher thematisiert, sondern geraten erst durch [[Johannes Tinctoris]] (1477) ausdrücklich ins Blickfeld der Lehre. Dieser erweitert die Bedeutung des Worts ''contrapunctus'', indem er die Satzart Note gegen Note, also den ‚Kontrapunkt‘ im ursprünglichen Sinne, als ''contrapunctus simplex'' (einfacher Kontrapunkt) bezeichnet, und ihm den ''contrapunctus diminutus'' (verkleinerter Kontrapunkt) gegenüberstellt.
Berücksichtigung der Neuzeit. Zweite verbesserte Auflage. 1882)
haben wir den Eindruck erhalten, daß wir in Vinzenz Knauer mit
einer philosophischen Natur im wahrsten Sinne des Wortes zu tun
haben. Nicht ein äußerlicher Betrachter, sondern ein in der Ideenwelt
lebender Mann schildert da die Erscheinungen der Philosophie
in alter und neuer Zeit. Und durch das neue Buch sind wir
in dieser Überzeugung nur bestärkt worden. Die Vorlesungen sind
in hohem Grade geeignet, das philosophische Denken anzuregen.
Wir haben es nicht mit dem Historiker zu tun, der über ein
System nach dem andern ein Referat bringt und dann von irgendeinem
Standpunkte eine Kritik anfügt — solche Künste haben
J. H. Kirchmann, Thilo und andere bis zum Ekel getrieben —, sondern
mit einem Philosophen, der die Probleme lebendig seinen
Zuhörern und Lesern entwickelt.


Es gibt Leute, die es für Objektivität halten, wenn sie den von
Tinctoris fordert, dass Dissonanzen „maßvoll“ (''cum ratione moderata'') verwendet werden,<ref>Tinctoris 1477, Buch&nbsp;2, Kap.&nbsp;23.</ref> indem sie entweder auf unbetonter Taktposition stehen und schrittweise erreicht und verlassen werden (also als [[Durchgangsnote|Durchgangs-]] oder [[Wechselnote]]n gelten können), oder aber als [[Synkopendissonanz]], bevorzugt unmittelbar vor Kadenzen, verwendet werden. Abspringende Nebennoten sollen von einem Terzsprung gefolgt (die später so genannten [[Wechselnote#Fuxsche Wechselnote|Fuxschen Wechselnoten]]) und sparsam verwendet werden.<ref>Tinctoris 1477, Buch&nbsp;2, Kap.&nbsp;32.</ref>
ihnen behandelten Problemen so äußerlich wie möglich gegenüberstehen.
Sie wollen alles aus der Vogelperspektive betrachten.
Solche sogenannte Objektivität bringt es aber zu keiner wahrhaften
Vergegenwärtigung ihres Gegenstandes. Knauer hat eine andere,
die echte Objektivität; er dringt in die Ideen eines Philosophen so
tief ein, daß er sie vor unserem Geiste in möglichst unverfälschter
Weise wieder auferstehen läßt. Er weiß das dramatische Element,
das den Ideengängen jedes wahren Philosophen eignet, wieder zu
beleben. Wo wir so oft nur «der Herren eigenen Geist» verspüren,
da führt uns Knauer wirklich in den «Geist der Zeiten» ein.
All das ist natürlich nur möglich bei jenem hohen Maße von
Beherrschung des Stoffes, die wir an Knauer bewundern. Jeder
Satz zeugt für ein langes, gründliches Einleben in die philosophischen
Weltanschauungen.


Ganz uneingeschränkt möchte ich dieses Lob dem ersten Teile
In seiner Lehre der Dissonanzbehandlung orientiert sich Tinctoris an Kompositionen von u.&nbsp;a. [[John Dunstable]], [[Guillaume Dufay]], [[Gilles Binchois]] und [[Johannes Ockeghem]], die für ihn eine neue Epoche eingeläutet haben.<ref>Siehe Tinctoris: ''Proportionale musices'', um 1472–1475 ([http://www.chmtl.indiana.edu/tml/15th/TINPRO online]).</ref>
des Buches, den ich bis zu Thomas von Aquino ausdehne, zuerkennen.
Von Thomas von Aquino ab scheint mir die Hinneigung
Knauers zu dualistischen und pluralistischen Vorstellungen die
freie historische Darstellung zu beeinträchtigen. Ich für meine
Person habe das in dem zweiten Teile schmerzlich empfunden. Ich
zähle Knauers Darstellung der aristotelischen Philosophie zu den
klarsten, durchsichtigsten und richtigsten, die es gibt; seine Behandlung
der modernen Philosophie scheint mir noch nicht so
weit von scholastischen Begriffen frei zu sein, um der monistischen
Philosophie gerecht werden zu können. Knauer verkennt
den Unterschied zwischen abstraktem und konkretem Monismus.
Der erstere sucht eine Einheit neben und über den Einzeldingen
des Kosmos. Dieser Monismus kommt immer in Verlegenheit,
wenn er die Vielheit der Dinge aus der verabsolutierten Einheit
ableiten und begreiflich machen soll. Die Folge ist gewöhnlich,
daß er die Vielheit für Schein erklärt, was eine vollständige Verflüchtigung
der gegebenen Wirklichkeit zur Folge hat. Schopenhauers
und Schellings erstes System sind Beispiele für diesen abstrakten
Monismus. Der konkrete Monismus verfolgt das einheitliche
Weltprinzip in der lebendigen Wirklichkeit. Er sucht keine
metaphysische Einheit neben der gegebenen Welt, sondern er ist
überzeugt, daß diese gegebene Welt die Entwickelungsmomente
enthält, in die sich das einheitliche Weltprinzip in sich selbst gliedert
und auseinanderlegt.


Dieser konkrete Monismus sucht nicht die Einheit in der Vielheit,
== Kontrapunkt als Synonym von Satzlehre ==
sondern er will die Vielheit als Einheit begreifen. Der dem
Die Lehre des zweistimmigen ''contrapunctus diminutus'' wird von Tinctoris und späteren Autoren auf den mehr als zweistimmigen Satz übertragen. Bis ins 18.&nbsp;Jahrhundert wird Kontrapunkt somit gleichbedeutend mit Satzlehre. Erweitert werden die Traktate, indem sie neben den kontrapunktischen Grundprinzipien auch Satztechniken wie [[Imitation (Musik)|Imitation]], [[Fuge (Musik)|Fuge]] und [[Kanon (Musik)|Kanon]], sowie doppelten und mehrfachen Kontrapunkt behandeln. Der ''contrapunctus simplex'' bleibt dabei jedoch die systematische und didaktische Vorstufe der gesamten Kompositionslehre. Eine besonders prominente Kontrapunktlehre, die noch im 17. und 18.&nbsp;Jahrhundert eine zentrale Rolle spielt, ist der dritte Teil der ''Istitutioni armoniche'' von [[Gioseffo Zarlino]] (1558).
konkreten Monismus zugrunde liegende Begriff der Einheit faßt
die letztere als substantielle, die den Unterschied in sich selbst
setzt. Ihr steht gegenüber jene Einheit, welche überhaupt unterschiedslos
in sich, also absolut einfach ist (die Herbartschen Realen),
und jene, welche von den in diesen Dingen enthaltenen Gleichheiten
die ersteren zusammenfaßt zu einer formalen Einheit, etwa
wie wir zehn Jahre zu einem Dezennium zusammenfassen. Nur
die beiden letzteren Einheitsbegriffe kennt Knauer. Der erstere
kann, da er die unterschiedenen Dinge der Wirklichkeit nur aus
dem Zusammenwirken vieler einfacher Realen erklären kann, zum
Pluralismus führen; der letztere kommt zum abstrakten Monismus,
weil seine Einheit keine den Dingen immanente, sondern
eine neben und über denselben existierende ist. Knauer neigt zum
Pluralismus hin. Die konkret-monistischen Elemente der neueren
Philosophie übersieht er. Deswegen erscheint mir dieser Teil seiner
Vorlesungen mangelhaft.


Ich bekenne mich zum konkreten Monismus. Mit seiner Hilfe
Gewisse Veränderungen erfährt die Lehre angesichts stilistischer Entwicklungen, u.&nbsp;a. im Bereich der Dissonanzbehandlung. Mit der Entstehung der [[Dur-Moll-Tonalität]] werden Intervallfortschreitungen über die überlieferten kontrapunktischen Prinzipien hinaus außerdem so organisiert, dass sie eine Dur- oder Molltonart zum Ausdruck bringen.
bin ich imstande, die Ergebnisse der neueren Naturwissenschaft,
namentlich der Goethe-Darwin-Haeckelschen Organik, zu verstehen.
Hätte Knauer die Wissenschaft vom Organischen bei seinen
Auseinandersetzungen ebenso berücksichtigt, wie er es mit
vollem Recht mit der des Unorganischen (Wärmeäquivalent, Erhaltung
der Kraft, zweiter Hauptsatz der mechanischen Wärmetheorie)
tut, so hätte er die Schwierigkeit der Anwendung des
Pluralismus durchschauen müssen. Es ist unmöglich, die Entwickelungslehre
(und ihre Konsequenzen: Vererbungs-, Anpassungstheorie
und biogenetisches Grundgesetz) mit Hilfe des Zusammenwirkens
unterschiedener einfacher Realen widerspruchslos
zu begreifen.


Diese Einwände sollen mich aber durchaus nicht abhalten, die
== Kontrapunkt als Stilbegriff ==
große Bedeutung auch des zweiten Teiles des Knauerschen Buches
Angesichts seines Ursprungs als Lehre des Note-gegen-Note-Satzes schließt Kontrapunkt [[Homophonie (Musik)|Homophonie]] keineswegs aus. Die heute verbreitete Verwendung von ‚kontrapunktisch‘ im Sinne von ‚[[Polyphonie|polyphon]]‘ stammt aus dem 19.&nbsp;Jahrhundert:<ref>Sachs 1982, S.&nbsp;32&nbsp;f.</ref>
anzuerkennen. Neben der klaren, originellen Auseinandersetzung
über die Herbartschen Gedankengänge sehe ich diese Bedeutung
in der umfassenden und gerechten Behandlung des Hamerlingschen
Philosophierens. Daß Hamerling in so vorurteilsfreier, rückhaltsloser
Weise der Reihe der Philosophen angegliedert erscheint,
ist ein nicht hoch genug anzuschlagendes Verdienst, das sich
Knauer durch diese Vorlesungen erworben hat. Er hat damit als
Philosophiehistoriker ein Wort zuerst gesprochen. Wer nur die
von jedermann anerkannten philosophischen Systeme in einer
neuen Weise zusammenstellt und auseinanderentwickelt, der läßt
sich gar nicht vergleichen mit demjenigen, welcher als erster die
Bedeutung einer Erscheinung erkennt. Das an diesen Vorlesungen
anzuerkennen, hindert mich der Umstand nicht, daß ich selbst
mich ganz anders zu Hamerling stelle als Knauer. Ich schätze die
philosophische Auffassung des Dichterphilosophen wegen der vielen
monistischen Elemente, die sie trotz der Hinneigung zur dualistischen
und pluralistischen Weltanschauung hat. Dieser Umstand
kann meiner Auffassung nach so lange nicht richtig beurteilt
werden, als sich die deutsche Philosophie in der den freien Blick
in die Weltverhältnisse vollständig trübenden Abhängigkeit von
Kant befindet. Die Kantsche Philosophie ist eine dualistische. Sie
gründet den Dualismus auf die Einrichtung des menschlichen Erkenntnis-
Organismus. Und daß die Sätze, die Kant für die Subjektivität
des Erkennens beigebracht hat, in mehr oder weniger modifizierter
Gestalt unantastbar seien, gilt heute sozusagen als Grunddogma
der Philosophie.|30|328}}


== Werke (Auswahl) ==
{{Zitat| Kontrapunkt, eine aus dem Lateinischen […] hergenommene Benennung für polyphone Schreibart, d.&nbsp;h. solche, die zwei oder mehr melodisch ausgebildete Stimmen gleichzeitig mit einander verbindet und fortführt, wie z.&nbsp;B. in der Fuge und anderen Kunstformen. […]. Bestimmter verstehen wir darunter […] den Satz, welcher zwei oder mehr wahrhaft selbständige (nach den Grundsätzen der Melodik ausgebildete) Stimmen mit einander verbindet.|Autor=[[Adolf Bernhard Marx]]|Quelle=''Encyclopädie der gesammten musikalischen Wissenschaften oder Universal-Lexicon der Tonkunst'' Bd.&nbsp;4. Stuttgart 1837, S.&nbsp;188&nbsp;f.}}
* Die Hauptprobleme der Philosophie in ihrer Entwicklung und Theilweisen Lösung von [[Thales]] bis [[Robert Hamerling]], 1892
 
* Grundlinien zur aristotelisch-thomistischen Psychologie, 1885
Allerdings wurde das Wort schon ab der zweiten Hälfte des 17.&nbsp;Jahrhunderts als Stilbegriff verwendet, im Hinblick auf die Kirchenmusik des späten 16.&nbsp;Jahrhunderts und insbesondere auf die Musik von [[Giovanni Pierluigi da Palestrina]].<ref>Sachs 1982, S.&nbsp;30.</ref> Entscheidend verstärkt wurde diese Tendenz durch das Lehrwerk ''[[Gradus ad Parnassum]]'' von [[Johann Joseph Fux]] (1725), das die Pflege dieses Stils bezweckt.
* William Shakespeare: Der Philosoph der sittlichen Weltordnung, 1879
 
* Geschichte der Philosophie. Mit besonderer Berücksichtigung der Neuzeit, 1876
Im 19.&nbsp;Jahrhundert wurde außer dem Palestrina-Stil auch die Musik von [[Johann Sebastian Bach]] zu einem Gipfelpunkt von ‚Kontrapunkt‘ stilisiert. In ihr sah [[Ernst Kurth (Musikwissenschaftler)|Ernst Kurth]] die Idee eines „linearen Kontrapunkts“ optimal verwirklicht, bei dem „der Wille zur Linienstruktur, der horizontale Entwurf […] immer das Primäre und der tragende Grundzug“ sei.<ref>Kurth 1917, S.&nbsp;98.</ref>
 
== Gattungskontrapunkt ==
Zu Übungszwecken wurde oft versucht, beim Improvisieren oder Komponieren eines Kontrapunkts zu einem Cantus firmus bestimmte rhythmische Muster in dieser Gegenstimme konsequent beizubehalten.<ref>Siehe Bent 2002.</ref> Diesen Ansatz hat [[Johann Joseph Fux]] in seiner Kompositionslehre ''[[Gradus ad Parnassum]]'' (1725) zu einem Parcours aus fünf sogenannten „''species''“ oder „Gattungen“ systematisiert. Dieser Aufbau erlaubt es u.&nbsp;a., verschiedene Formen der Dissonanzbehandlung Schritt für Schritt einzuführen:
* 1.&nbsp;Gattung: Note gegen Note
* 2.&nbsp;Gattung: Zwei Noten gegen eine
:Einführung der Durchgangsnote
* 3.&nbsp;Gattung: Vier Noten gegen eine
:Einführung der [[Wechselnote#Fuxsche Wechselnote|Fuxschen Wechselnote]] und der halbschweren Durchgangsnote
* 4.&nbsp;Gattung: durchgängige [[Synkope (Musik)|Synkopen]]
:Einführung der Synkopendissonanz
* 5.&nbsp;Gattung („''contrapunctus floridus''“, der „blühende Kontrapunkt“): gemischte Notenwerte
 
Der Cantus firmus besteht hierbei stets aus ganzen Noten. Das Verfahren wird von der Zweistimmigkeit bis zur Vierstimmigkeit gesteigert, wobei der Cantus firmus in jeder Stimme liegen kann. Allerdings ist in der Regel stets nur eine Stimme im Sinne einer Gattung organisiert:
 
'''Beispiel:''' 4.&nbsp;Gattung in der Dreistimmigkeit mit Cantus firmus in der Oberstimme:<ref>Fux 1725, S.&nbsp;108.</ref>
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Fuxʼ Konzept des Gattungskontrapunkts beeinflusst die Kontrapunktdidaktik bis heute. Zahlreiche spätere Musiktheoretiker haben es übernommen, so u.&nbsp;a. [[Johann Georg Albrechtsberger]], [[Luigi Cherubini]], [[Heinrich Bellermann]], [[Heinrich Schenker]] und Knud Jeppesen.
 
== {{Anker|Doppelter Kontrapunkt}} Doppelter und mehrfacher Kontrapunkt ==
Doppelter Kontrapunkt bezeichnet im allgemeinen Sinne die besondere Beschaffenheit eines zweistimmigen Satzes, aus dem durch Versetzung einer der Stimmen ein weiterer kontrapunktisch gültiger Satz abgeleitet werden kann.<ref>Schubert 2008, S.&nbsp;186: „Double counterpoint is the broad term for making a new combination out of an original. We maintain the same melodies, in the same temporal relationship, but we transpose one or both. Invertible counterpoint is a special case of double counterpoint in which the relative positions of the parts are reversed.“</ref> Doppelter Kontrapunkt der Sexte liegt z.&nbsp;B. vor, wenn eine der Stimmen einer zweistimmigen Kombination um eine Sexte versetzt werden kann:
 
'''Beispiel:''' Camillo Angleria: ''La regola del contraponto della musical compositione''. Mailand 1622, S.&nbsp;97:
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Meist wird der Begriff doppelter Kontrapunkt aber in einem engeren Sinne für ''umkehrbaren'' Kontrapunkt verwendet. Hierbei gerät die Tonfolge der Oberstimme durch die Versetzung in die Unterstimme und umgekehrt. Die gängigsten Formen des umkehrbaren doppelten Kontrapunkts sind der doppelte Kontrapunkt der Oktave, der Duodezime und der Dezime. Die satztechnischen Bedingungen, die dabei einzuhalten sind, werden traditionell aus Tabellen abgeleitet, die zeigen, wie sich die Intervalle durch die Versetzung verändern.<ref>Siehe z.&nbsp;B. Marpurg 1753, S.&nbsp;166.</ref>
 
So zeigt die Tabelle für den doppelten Kontrapunkt der Oktave:
{| class="wikitable" style="text-align:center"
|-
| class="hintergrundfarbe6" | '''Intervall in der Ausgangskombination''' || 1 || 2 || 3 || 4 || class="hintergrundfarbe5"| '''5''' || 6 || 7 || 8
|-
| class="hintergrundfarbe6" | '''Intervall nach Versetzung''' || 8 || 7 || 6 || 5 || class="hintergrundfarbe5"| '''4''' || 3 || 2 || 1
|-
|}
 
dass Quinten durch die Versetzung zu Quarten werden. Daraus folgt, dass ein zweistimmiger Satz die Bedingungen des doppelten Kontrapunkts der Oktave erfüllt, wenn die Quinte dort behandelt wird, als sei sie eine Dissonanz.
 
Die Tabelle für den doppelten Kontrapunkt der Duodezime zeigt u.&nbsp;a., dass hier die Sexte wie eine Dissonanz behandelt werden muss, da sie in der Verkehrung zur Septime wird:
{| class="wikitable" style="text-align:center"
|-
| class="hintergrundfarbe6" | '''Intervall in der Ausgangskombination''' || 1 || 2 || 3 || 4 || 5 || class="hintergrundfarbe5"| '''6''' || 7 || 8 || 9 || 10 || 11 || 12
|-
| class="hintergrundfarbe6" | '''Intervall nach Versetzung''' || 12 || 11 || 10 || 9 || 8 || class="hintergrundfarbe5"| '''7''' || 6 || 5 || 4 || 3 || 2 || 1
|-
|}
 
'''Beispiel:''' [[Wolfgang Amadeus Mozart]]: [[Requiem (Mozart)|Requiem]], ''Kyrie'':
 
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              \addlyrics { "3" _ _ "3" "4" "3" "2" }
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    }
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    }
    >>
>>
</score>
 
Gegenüber dem Abschnitt in T.&nbsp;49&nbsp;f. erscheint ab T.&nbsp;64 die Melodie des Basses eine Dezime höher im Sopran und die Melodie der Altstimme eine Dezime tiefer im Bass. Dadurch ändern sich die vertikalen Intervalle so, wie wenn nur der Bass eine Duodezime nach oben oder nur die Oberstimme eine Duodezime nach unten versetzt worden wäre.
 
''Mehrfacher'' (dreifacher, vierfacher,&nbsp;…) Kontrapunkt der Oktave liegt vor, wenn alle Stimmen eines Satzes mit entsprechender Stimmenzahl durch Oktavierung beliebig vertauscht werden können.
 
== {{Anker|Kontrasubjekt}} Beibehaltener Kontrapunkt ==
Im Hinblick auf [[Fuge (Musik)|Fugen]] ist von einem beibehaltenen Kontrapunkt oder ''Kontrasubjekt'' die Rede, wenn das Fugenthema wiederholt von der (bis auf kleine Veränderungen) gleichen Gegenstimme kontrapunktiert wird. Wenn der beibehaltene Kontrapunkt sowohl ober- als unterhalb des Themas erklingt, ist doppelter Kontrapunkt im Spiel.
 
Im folgenden Beispiel ([[Johann Sebastian Bach]]: ''[[Das Wohltemperierte Klavier]]'' Band&nbsp;1, Fuge in c-Moll ([[Bach-Werke-Verzeichnis|BWV]]&nbsp;847, T.&nbsp;2–3 und T.&nbsp;7–8) ist das Thema rot und der beibehaltene Kontrapunkt blau eingefärbt. Die Kombination beider Stimmen erfüllt die Bedingungen des doppelten Kontrapunkts der Oktave:
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== Siehe auch ==
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* {{WikipediaDE|Kontrapunkt}}


== Literatur ==
== Literatur ==
* {{BLKÖ|Knauer, Vincenz|12|139|139|}}
-- chronologisch --
* Adolf Hinrichsen: ''Das literarische Deutschland''. 1892.
* Johannes Tinctoris: ''Liber de arte contrapuncti'' (Hs.) 1477.
* {{ÖBL|3|433|433|Knauer, P. Vinzenz (Andreas)}}
* Johann Joseph Fux: ''Gradus ad Parnassum'' […]. Wien 1725.
* Christine Mann: ''Zwischen Tradition und Moderne: Der Güntherianer Vinzenz A. Knauer (1828-1894) auf der Suche nach Wahrheit in Freiheit''. (= Religion, Kultur, Recht 14). Lang, Frankfurt/Main 2010, ISBN 3631601298.
* Johann Joseph Fux: ''Gradus ad Parnassum'' […]'' ins Teutsche übersetzt'' […]'' von Lorenz Christoph Mizler.'' Leipzig 1742, Reprint Hildesheim 1984.
* Rudolf Steiner: ''Methodische Grundlagen der Anthroposophie'', [[GA 30]] (1989), ISBN 3-7274-0300-4 {{Vorträge|030}}
* Friedrich Wilhelm Marpurg: ''Abhandlung von der Fuge'' […]. Bd.&nbsp;1. Berlin 1753 ([http://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/goToPage/bsb10527403.html?pageNo=194 Digitalisat]).
 
* Adolf Bernhard Marx: ''Encyclopädie der gesammten musikalischen Wissenschaften oder Universal-Lexicon der Tonkunst'' Bd.&nbsp;4. Stuttgart 1837 ([http://opacplus.bsb-muenchen.de/title/BV010653758/ft/bsb10600492?page=190 Digitalisat]).
{{GA}}
* Heinrich Bellermann: ''Der Contrapunkt.'' Berlin 1862.
* Ernst Kurth: ''Grundlagen des linearen Kontrapunkts. Einführung in Stil und Technik von Bachʼs melodischer Polyphonie''. Dreschel, Bern 1917 ({{Digitalisat|IA=romantischeharmo00kurt}}).
* Knud Jeppesen: ''Kontrapunkt. Lehrbuch der klassischen Vokalpolyphonie.'' Leipzig 1956.
* Klaus-Jürgen Sachs: ''Der Contrapunctus im 14. und 15.&nbsp;Jahrhundert. Untersuchungen zum Terminus, zur Lehre und zu den Quellen.'' Franz Steiner, Stuttgart 1974, ISBN 3-515-01952-9.
* Diether de la Motte] ''Kontrapunkt. Ein Lese- und Arbeitsbuch.'' Kassel und München 1981, ISBN 3-423-30146-5.
* Klaus-Jürgen Sachs: ''Contrapunctus&nbsp;/ Kontrapunkt''. In: ''Handwörterbuch der musikalischen Terminologie''. Bd.&nbsp;2, hrsg. von Hans Heinrich Eggebrecht und Albrecht Riethmüller, Schriftleitung Markus Bandur, Steiner, Stuttgart 1982 ([http://daten.digitale-sammlungen.de/~db/0007/bsb00070510/images/index.html?fip=193.174.98.30&seite=163&pdfseitex= Digitalisat]).
* Klaus-Jürgen Sachs: ''Die Contrapunctus-Lehre im 14. und 15. Jahrhundert''. In: Hans Heinrich Eggebrecht&nbsp;/ F. Alberto Gallo&nbsp;/ Max Haas&nbsp;/ Klaus-Jürgen Sachs: ''Die mittelalterliche Lehre von der Mehrstimmigkeit''. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1984, S.&nbsp;161–256.
* Claus Ganter: ''Kontrapunkt für Musiker. Die Gestaltungsprinzipien der Vokal und Instrumentalpolyphonie'' […]. München und Salzburg 1994.
* Christoph Hohlfeld, Reinhard Bahr: ''Schule des musikalischen Denkens. Der Cantus-firmus-Satz bei Palestrina.'' Wilhelmshaven 1994.
* Thomas Daniel: ''Kontrapunkt. Eine Satzlehre zur Vokalpolyphonie des 16.&nbsp;Jahrhunderts.'' Köln 1997, ISBN 3-925366-43-1.
* Ian Bent: ''Steps to Parnassus: Contrapuntal theory in 1725, precursors and successors''. In: Thomas Christensen (Hrsg.): ''The Cambridge History of Western Music Theory''. Cambridge University Press, Cambridge 2002, ISBN 978-0-521-62371-1, S.&nbsp;554–602.
* Peter Schubert, Christoph Neidhöfer: ''Baroque counterpoint''. Pearson Prentice Hall, Upper Saddle River 2006, ISBN 978-0-13-183442-2.
* Peter Schubert: ''Modal Counterpoint, Renaissance Style''. 2.&nbsp;Auflage. Oxford University Press, New York&nbsp;/ Oxford 2008, ISBN 978-0-19-533194-3.
* Johannes Menke: ''Kontrapunkt&nbsp;I: Die Musik der Renaissance''. Laaber-Verlag, Laaber 2015, ISBN 978-3-89007-825-0.
* Johannes Menke: ''Kontrapunkt&nbsp;II: Die Musik des Barock''. Laaber-Verlag, Laaber 2017, ISBN 978-3-89007-826-7.


== Weblinks ==
== Weblinks ==
 
{{Wiktionary}}
* {{DNB-Portal|116250011}}
* {{Internetquelle| autor=Belkin, Alan| url=http://alanbelkinmusic.com/site/en/index.php/counterpoint/| titel=Principles of Counterpoint| datum=2000| zugriff=2018-07-19| sprache=en| offline=false }}
* [http://musikanalyse.net/tutorials/kontrapunkt-einfuehrung/ Kontrapunkt (16. Jahrhundert) - Eine Einführung] auf [http://musikanalyse.net musikanalyse.net]
*


== Einzelnachweise ==
== Einzelnachweise ==
<references />
<references />


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{{Wikipedia}}

Version vom 3. Juli 2019, 19:33 Uhr

Kontrapunkt bezeichnet ursprünglich

  • eine Lehre, mehrstimmige Musik zu organisieren, die ab dem 14. Jahrhundert ausgehend von Frankreich und Italien überliefert und weiterentwickelt worden ist,
  • die Anwendung dieser Lehre in Improvisation und Komposition und
  • deren Ergebnis (also eine Stimme oder einen mehrstimmigen Satz, die im Sinne der Lehre gemacht worden sind).

Das Wort entstammt dem lateinischen Ausdruck „punctum contra punctum ponere“:

„Contrapunctus non est nisi punctum contra punctum ponere vel notam contra notam ponere vel facere, et est fundamentum discantus.“

„Kontrapunkt ist nichts anderes, als einen Punkt [sprich: eine Note] gegen einen Punkt zu setzen oder zu machen, und er ist das Fundament des Discantus.“

Anon.: Cum notum sit, um 1350.

Ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts wird der Begriff auch in einem weiteren Sinne als Stilbegriff verwendet. Dies hat u. a. dazu geführt, dass ‚Kontrapunkt‘ häufig mit ‚Polyphonie‘ gleichgesetzt wird.

Prinzipien

Note-gegen-Note-Satz

Die praktische Frage, der sich die Kontrapunktlehre zunächst widmet, lautet: Wie soll zu einer vorhandenen Tonfolge (dem sogenannten Cantus firmus oder Cantus prius factus, z. B. einem gregorianischen Choral) eine Gegenstimme improvisiert oder komponiert werden?

Grundlegend ist dabei eine Unterteilung der Intervalle in drei Kategorien: vollkommene Konsonanzen, unvollkommene Konsonanzen und Dissonanzen. Gemäß dem Ausdruck „punctum contra punctum ponere“ konzentrieren sich die ältesten Kontrapunkttraktate darüber hinaus ausschließlich auf den Note-gegen-Note-Satz und schließen Dissonanzen dabei aus. Für die beiden anderen Kategorien gelten jeweils bestimmte Gebote und Verbote. So schreibt der einflussreiche Traktat Quilibet affectans (um 1330, Johannes de Muris zugeschrieben) vor:[1]

  • Abschnitte müssen mit einer vollkommenen Konsonanz beginnen und schließen.
  • Vollkommene Konsonanzen dürfen nicht parallel geführt werden.
  • Wird eine vollkommene Konsonanz in gerader Bewegung erreicht (also durch eine später so genannte verdeckte Parallele), muss eine Stimme dabei per Sekundschritt fortschreiten.
  • Unvollkommene Konsonanzen sollten nicht mehr als viermal direkt nacheinander parallel geführt werden.

Besonders empfohlen werden außerdem Fortschreitungen zur nächstgelegenen Konsonanz, durch Gegenbewegung und mit Sekundschritten in beiden Stimmen. Zwecks Abwechslung kann freilich häufig mindestens eine dieser Empfehlungen nicht berücksichtigt werden.

Beispiel: Ludovico Zacconi: Prattica di musica. Bd. 2. Venedig 1622, S. 69 (Cantus firmus in der Unterstimme): <score raw="1" vorbis="1"> \version "2.14.2" \header {

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Dissonanzen

Indem nun in der Gegenstimme mittels kürzerer Notenwerte und überwiegend schrittweiser Bewegung Sprünge ausgefüllt und Schritte umspielt werden, ergibt sich eine vielfältigere Satzart, die auch Dissonanzen enthält. Diese werden aber zunächst kaum näher thematisiert, sondern geraten erst durch Johannes Tinctoris (1477) ausdrücklich ins Blickfeld der Lehre. Dieser erweitert die Bedeutung des Worts contrapunctus, indem er die Satzart Note gegen Note, also den ‚Kontrapunkt‘ im ursprünglichen Sinne, als contrapunctus simplex (einfacher Kontrapunkt) bezeichnet, und ihm den contrapunctus diminutus (verkleinerter Kontrapunkt) gegenüberstellt.

Tinctoris fordert, dass Dissonanzen „maßvoll“ (cum ratione moderata) verwendet werden,[2] indem sie entweder auf unbetonter Taktposition stehen und schrittweise erreicht und verlassen werden (also als Durchgangs- oder Wechselnoten gelten können), oder aber als Synkopendissonanz, bevorzugt unmittelbar vor Kadenzen, verwendet werden. Abspringende Nebennoten sollen von einem Terzsprung gefolgt (die später so genannten Fuxschen Wechselnoten) und sparsam verwendet werden.[3]

In seiner Lehre der Dissonanzbehandlung orientiert sich Tinctoris an Kompositionen von u. a. John Dunstable, Guillaume Dufay, Gilles Binchois und Johannes Ockeghem, die für ihn eine neue Epoche eingeläutet haben.[4]

Kontrapunkt als Synonym von Satzlehre

Die Lehre des zweistimmigen contrapunctus diminutus wird von Tinctoris und späteren Autoren auf den mehr als zweistimmigen Satz übertragen. Bis ins 18. Jahrhundert wird Kontrapunkt somit gleichbedeutend mit Satzlehre. Erweitert werden die Traktate, indem sie neben den kontrapunktischen Grundprinzipien auch Satztechniken wie Imitation, Fuge und Kanon, sowie doppelten und mehrfachen Kontrapunkt behandeln. Der contrapunctus simplex bleibt dabei jedoch die systematische und didaktische Vorstufe der gesamten Kompositionslehre. Eine besonders prominente Kontrapunktlehre, die noch im 17. und 18. Jahrhundert eine zentrale Rolle spielt, ist der dritte Teil der Istitutioni armoniche von Gioseffo Zarlino (1558).

Gewisse Veränderungen erfährt die Lehre angesichts stilistischer Entwicklungen, u. a. im Bereich der Dissonanzbehandlung. Mit der Entstehung der Dur-Moll-Tonalität werden Intervallfortschreitungen über die überlieferten kontrapunktischen Prinzipien hinaus außerdem so organisiert, dass sie eine Dur- oder Molltonart zum Ausdruck bringen.

Kontrapunkt als Stilbegriff

Angesichts seines Ursprungs als Lehre des Note-gegen-Note-Satzes schließt Kontrapunkt Homophonie keineswegs aus. Die heute verbreitete Verwendung von ‚kontrapunktisch‘ im Sinne von ‚polyphon‘ stammt aus dem 19. Jahrhundert:[5]

„Kontrapunkt, eine aus dem Lateinischen […] hergenommene Benennung für polyphone Schreibart, d. h. solche, die zwei oder mehr melodisch ausgebildete Stimmen gleichzeitig mit einander verbindet und fortführt, wie z. B. in der Fuge und anderen Kunstformen. […]. Bestimmter verstehen wir darunter […] den Satz, welcher zwei oder mehr wahrhaft selbständige (nach den Grundsätzen der Melodik ausgebildete) Stimmen mit einander verbindet.“

Adolf Bernhard Marx: Encyclopädie der gesammten musikalischen Wissenschaften oder Universal-Lexicon der Tonkunst Bd. 4. Stuttgart 1837, S. 188 f.

Allerdings wurde das Wort schon ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts als Stilbegriff verwendet, im Hinblick auf die Kirchenmusik des späten 16. Jahrhunderts und insbesondere auf die Musik von Giovanni Pierluigi da Palestrina.[6] Entscheidend verstärkt wurde diese Tendenz durch das Lehrwerk Gradus ad Parnassum von Johann Joseph Fux (1725), das die Pflege dieses Stils bezweckt.

Im 19. Jahrhundert wurde außer dem Palestrina-Stil auch die Musik von Johann Sebastian Bach zu einem Gipfelpunkt von ‚Kontrapunkt‘ stilisiert. In ihr sah Ernst Kurth die Idee eines „linearen Kontrapunkts“ optimal verwirklicht, bei dem „der Wille zur Linienstruktur, der horizontale Entwurf […] immer das Primäre und der tragende Grundzug“ sei.[7]

Gattungskontrapunkt

Zu Übungszwecken wurde oft versucht, beim Improvisieren oder Komponieren eines Kontrapunkts zu einem Cantus firmus bestimmte rhythmische Muster in dieser Gegenstimme konsequent beizubehalten.[8] Diesen Ansatz hat Johann Joseph Fux in seiner Kompositionslehre Gradus ad Parnassum (1725) zu einem Parcours aus fünf sogenannten „species“ oder „Gattungen“ systematisiert. Dieser Aufbau erlaubt es u. a., verschiedene Formen der Dissonanzbehandlung Schritt für Schritt einzuführen:

  • 1. Gattung: Note gegen Note
  • 2. Gattung: Zwei Noten gegen eine
Einführung der Durchgangsnote
  • 3. Gattung: Vier Noten gegen eine
Einführung der Fuxschen Wechselnote und der halbschweren Durchgangsnote
Einführung der Synkopendissonanz
  • 5. Gattung („contrapunctus floridus“, der „blühende Kontrapunkt“): gemischte Notenwerte

Der Cantus firmus besteht hierbei stets aus ganzen Noten. Das Verfahren wird von der Zweistimmigkeit bis zur Vierstimmigkeit gesteigert, wobei der Cantus firmus in jeder Stimme liegen kann. Allerdings ist in der Regel stets nur eine Stimme im Sinne einer Gattung organisiert:

Beispiel: 4. Gattung in der Dreistimmigkeit mit Cantus firmus in der Oberstimme:[9] <score vorbis="1"> \new ChoirStaff <<

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    >>
   \new Staff <<
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             \relative c { r1 r2 d ~ d c ~ c b ~ b e ~ e d ~ d f ~ f e ~ e d ~ d cis \override NoteHead.style = #'baroque d\breve }
    >>
>>

</score> Fuxʼ Konzept des Gattungskontrapunkts beeinflusst die Kontrapunktdidaktik bis heute. Zahlreiche spätere Musiktheoretiker haben es übernommen, so u. a. Johann Georg Albrechtsberger, Luigi Cherubini, Heinrich Bellermann, Heinrich Schenker und Knud Jeppesen.

Doppelter und mehrfacher Kontrapunkt

Doppelter Kontrapunkt bezeichnet im allgemeinen Sinne die besondere Beschaffenheit eines zweistimmigen Satzes, aus dem durch Versetzung einer der Stimmen ein weiterer kontrapunktisch gültiger Satz abgeleitet werden kann.[10] Doppelter Kontrapunkt der Sexte liegt z. B. vor, wenn eine der Stimmen einer zweistimmigen Kombination um eine Sexte versetzt werden kann:

Beispiel: Camillo Angleria: La regola del contraponto della musical compositione. Mailand 1622, S. 97: <score vorbis="1"> \new ChoirStaff <<

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    >>
>>

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    >>
>>

</score>

Meist wird der Begriff doppelter Kontrapunkt aber in einem engeren Sinne für umkehrbaren Kontrapunkt verwendet. Hierbei gerät die Tonfolge der Oberstimme durch die Versetzung in die Unterstimme und umgekehrt. Die gängigsten Formen des umkehrbaren doppelten Kontrapunkts sind der doppelte Kontrapunkt der Oktave, der Duodezime und der Dezime. Die satztechnischen Bedingungen, die dabei einzuhalten sind, werden traditionell aus Tabellen abgeleitet, die zeigen, wie sich die Intervalle durch die Versetzung verändern.[11]

So zeigt die Tabelle für den doppelten Kontrapunkt der Oktave:

Intervall in der Ausgangskombination 1 2 3 4 5 6 7 8
Intervall nach Versetzung 8 7 6 5 4 3 2 1

dass Quinten durch die Versetzung zu Quarten werden. Daraus folgt, dass ein zweistimmiger Satz die Bedingungen des doppelten Kontrapunkts der Oktave erfüllt, wenn die Quinte dort behandelt wird, als sei sie eine Dissonanz.

Die Tabelle für den doppelten Kontrapunkt der Duodezime zeigt u. a., dass hier die Sexte wie eine Dissonanz behandelt werden muss, da sie in der Verkehrung zur Septime wird:

Intervall in der Ausgangskombination 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
Intervall nach Versetzung 12 11 10 9 8 7 6 5 4 3 2 1

Beispiel: Wolfgang Amadeus Mozart: Requiem, Kyrie:

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             \addlyrics { "3" _ _ "3" "4" "3" "2" }
         >>

<<

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          \relative c' { a4._"Bass" a8 f4 bes cis,4. cis8 d4 r8 d e4. d16 e f8 e16 f g8 f16 g a8 g f e d s4. \bar "||" s2 s2_"Bass" s2 r8 c c c d16 e d c d e c d e f e d e f d e f8 g16 f e d c bes a8 c f es d}
    }
   }
   \new Lyrics \with { alignAboveContext = "staff" } {
     \lyricsto "bass" { _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ "10" _ _ "10" "9" "10" "11" }
   }
    >>
>>

</score>

Gegenüber dem Abschnitt in T. 49 f. erscheint ab T. 64 die Melodie des Basses eine Dezime höher im Sopran und die Melodie der Altstimme eine Dezime tiefer im Bass. Dadurch ändern sich die vertikalen Intervalle so, wie wenn nur der Bass eine Duodezime nach oben oder nur die Oberstimme eine Duodezime nach unten versetzt worden wäre.

Mehrfacher (dreifacher, vierfacher, …) Kontrapunkt der Oktave liegt vor, wenn alle Stimmen eines Satzes mit entsprechender Stimmenzahl durch Oktavierung beliebig vertauscht werden können.

Beibehaltener Kontrapunkt

Im Hinblick auf Fugen ist von einem beibehaltenen Kontrapunkt oder Kontrasubjekt die Rede, wenn das Fugenthema wiederholt von der (bis auf kleine Veränderungen) gleichen Gegenstimme kontrapunktiert wird. Wenn der beibehaltene Kontrapunkt sowohl ober- als unterhalb des Themas erklingt, ist doppelter Kontrapunkt im Spiel.

Im folgenden Beispiel (Johann Sebastian Bach: Das Wohltemperierte Klavier Band 1, Fuge in c-Moll (BWV 847, T. 2–3 und T. 7–8) ist das Thema rot und der beibehaltene Kontrapunkt blau eingefärbt. Die Kombination beider Stimmen erfüllt die Bedingungen des doppelten Kontrapunkts der Oktave: <score raw="1" vorbis="1"> \version "2.14.2" \header {

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Siehe auch

Literatur

-- chronologisch --

  • Johannes Tinctoris: Liber de arte contrapuncti (Hs.) 1477.
  • Johann Joseph Fux: Gradus ad Parnassum […]. Wien 1725.
  • Johann Joseph Fux: Gradus ad Parnassum […] ins Teutsche übersetzt […] von Lorenz Christoph Mizler. Leipzig 1742, Reprint Hildesheim 1984.
  • Friedrich Wilhelm Marpurg: Abhandlung von der Fuge […]. Bd. 1. Berlin 1753 (Digitalisat).
  • Adolf Bernhard Marx: Encyclopädie der gesammten musikalischen Wissenschaften oder Universal-Lexicon der Tonkunst Bd. 4. Stuttgart 1837 (Digitalisat).
  • Heinrich Bellermann: Der Contrapunkt. Berlin 1862.
  • Ernst Kurth: Grundlagen des linearen Kontrapunkts. Einführung in Stil und Technik von Bachʼs melodischer Polyphonie. Dreschel, Bern 1917 (Digitalisat).
  • Knud Jeppesen: Kontrapunkt. Lehrbuch der klassischen Vokalpolyphonie. Leipzig 1956.
  • Klaus-Jürgen Sachs: Der Contrapunctus im 14. und 15. Jahrhundert. Untersuchungen zum Terminus, zur Lehre und zu den Quellen. Franz Steiner, Stuttgart 1974, ISBN 3-515-01952-9.
  • Diether de la Motte] Kontrapunkt. Ein Lese- und Arbeitsbuch. Kassel und München 1981, ISBN 3-423-30146-5.
  • Klaus-Jürgen Sachs: Contrapunctus / Kontrapunkt. In: Handwörterbuch der musikalischen Terminologie. Bd. 2, hrsg. von Hans Heinrich Eggebrecht und Albrecht Riethmüller, Schriftleitung Markus Bandur, Steiner, Stuttgart 1982 (Digitalisat).
  • Klaus-Jürgen Sachs: Die Contrapunctus-Lehre im 14. und 15. Jahrhundert. In: Hans Heinrich Eggebrecht / F. Alberto Gallo / Max Haas / Klaus-Jürgen Sachs: Die mittelalterliche Lehre von der Mehrstimmigkeit. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1984, S. 161–256.
  • Claus Ganter: Kontrapunkt für Musiker. Die Gestaltungsprinzipien der Vokal und Instrumentalpolyphonie […]. München und Salzburg 1994.
  • Christoph Hohlfeld, Reinhard Bahr: Schule des musikalischen Denkens. Der Cantus-firmus-Satz bei Palestrina. Wilhelmshaven 1994.
  • Thomas Daniel: Kontrapunkt. Eine Satzlehre zur Vokalpolyphonie des 16. Jahrhunderts. Köln 1997, ISBN 3-925366-43-1.
  • Ian Bent: Steps to Parnassus: Contrapuntal theory in 1725, precursors and successors. In: Thomas Christensen (Hrsg.): The Cambridge History of Western Music Theory. Cambridge University Press, Cambridge 2002, ISBN 978-0-521-62371-1, S. 554–602.
  • Peter Schubert, Christoph Neidhöfer: Baroque counterpoint. Pearson Prentice Hall, Upper Saddle River 2006, ISBN 978-0-13-183442-2.
  • Peter Schubert: Modal Counterpoint, Renaissance Style. 2. Auflage. Oxford University Press, New York / Oxford 2008, ISBN 978-0-19-533194-3.
  • Johannes Menke: Kontrapunkt I: Die Musik der Renaissance. Laaber-Verlag, Laaber 2015, ISBN 978-3-89007-825-0.
  • Johannes Menke: Kontrapunkt II: Die Musik des Barock. Laaber-Verlag, Laaber 2017, ISBN 978-3-89007-826-7.

Weblinks

 Wiktionary: Kontrapunkt – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Sachs 1984, S. 180.
  2. Tinctoris 1477, Buch 2, Kap. 23.
  3. Tinctoris 1477, Buch 2, Kap. 32.
  4. Siehe Tinctoris: Proportionale musices, um 1472–1475 (online).
  5. Sachs 1982, S. 32 f.
  6. Sachs 1982, S. 30.
  7. Kurth 1917, S. 98.
  8. Siehe Bent 2002.
  9. Fux 1725, S. 108.
  10. Schubert 2008, S. 186: „Double counterpoint is the broad term for making a new combination out of an original. We maintain the same melodies, in the same temporal relationship, but we transpose one or both. Invertible counterpoint is a special case of double counterpoint in which the relative positions of the parts are reversed.“
  11. Siehe z. B. Marpurg 1753, S. 166.


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