Baba Wanga und Kontrapunkt: Unterschied zwischen den Seiten

Aus AnthroWiki
(Unterschied zwischen Seiten)
imported>Joachim Stiller
 
imported>Joachim Stiller
 
Zeile 1: Zeile 1:
[[Datei:Vanga.jpg|mini|Wanga]]
'''Kontrapunkt''' bezeichnet ursprünglich
'''Wanga''' ({{bgS|Ванга}}), eigentlich '''Ewangelia Pandewa Guschterowa''' (mak. Вангелија Пандева Гуштерова) geborene '''Dimitrowa''' (* [[31. Januar]] [[1911]] in [[Strumica (Stadt)|Ostromdscha]],<ref>{{Literatur |Titel=Archäologisch-epigraphische Mitteilungen aus Österreich-Ungarn |Band=9-12 |Verlag=C. Gerold's Sohn |Datum=1885 |ISBN= |Seiten=84 |Online={{Google Buch | BuchID=fUBFAAAAYAAJ | Seite=84 | Hervorhebung=Strumica Ostromdscha }}}}</ref><ref>{{Literatur |Autor=[[Leonhard Schultze-Jena]] |Titel=Makedonien Landschafts- und Kulturbilder |Verlag=Verlag Gustav Fischer |Datum=1927 |ISBN= |Seiten=217 |Online={{Google Buch | BuchID=yZQhPDD98DgC | Seite=217 | Hervorhebung="ihn stellte also die Straße Serres — Demirhissar — Petric — Strumica (Ostromdscha) her" }}}}</ref> [[Osmanisches Reich]] (heute Strumica, [[Mazedonien]]); † [[11. August]] [[1996]] in [[Sofia]], [[Bulgarien]]), war die berühmteste [[Seher]]in Bulgariens<ref name="flkl">Petko Ivanov, Valentina Izmirlieva: ''Betwixt and Between: The Cult of Living Saints in Contemporary Bulgaria.'' In: ''Folklorica. Journal of the Slavic and East European Folklore Association.'' Volume VIII, Number 1, Spring 2003, S. 33–53 [https://journals.ku.edu/index.php/folklorica/article/viewFile/3733/3572 Link zur Internetausgabe]</ref><ref name="mpr">Galia Valtchinova: ''Constructing the Bulgarian Pythia.'' In: Frances Pine, Deema Kaneff,Haldis Haukanes (Hrsg.): ''Memory, Politics and Religion. The Past Meets the Present in Europe.'' Lit Verlag, Münster, 2004, S. 179–183, In: [[Christopher Hann]], Richard Rottenburg, Burkhard Schepel, Shingo Shimada (Genhrsg.): ''Hall Studies in the Anthropology of Eurasia'' des [[Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung|Max-Planck-Instituts für ethnologische Forschung]]</ref> der jüngeren Vergangenheit und wurde als „lebende Heilige“ verehrt.<ref name="flkl" /> Unter den Bezeichnungen ''Baba Wanga'' (bulg. Баба Ванга, dt. etwa ''Großmutter Wanga'' oder die ''Alte Wanga'') und die ''Seherin von Petritsch'' war sie außer in Bulgarien vor allem im früheren [[Jugoslawien]] und in der ehemaligen [[Sowjetunion]] bekannt.<ref name="100fr">Diana Karabinova: ''Wanga Vangelija Pandova Guscherova.'' In: Lojze Wieser (Hrsg.): ''Die 100 bedeutendsten Frauen des europäischen Ostens.'' Wieser Verlag, Klagenfurt 2003, S. 290–296.</ref>
* eine Lehre, mehrstimmige Musik zu organisieren, die ab dem 14.&nbsp;Jahrhundert ausgehend von Frankreich und Italien überliefert und weiterentwickelt worden ist,
* die Anwendung dieser Lehre in [[Improvisation]] und [[Komposition (Musik)|Komposition]] und
* deren Ergebnis (also eine Stimme oder einen mehrstimmigen Satz, die im Sinne der Lehre gemacht worden sind).
Das Wort entstammt dem lateinischen Ausdruck „punctum contra punctum ponere“:
{{Zitat|lang=la|Text=Contrapunctus non est nisi punctum contra punctum ponere vel notam contra notam ponere vel facere, et est fundamentum discantus.|Autor=Anon.|Quelle=''Cum notum sit'', um 1350.|Übersetzung=Kontrapunkt ist nichts anderes, als einen Punkt [sprich: eine Note] gegen einen Punkt zu setzen oder zu machen, und er ist das Fundament des Discantus.}}
Ab der zweiten Hälfte des 17.&nbsp;Jahrhunderts wird der Begriff auch in einem weiteren Sinne als Stilbegriff verwendet. Dies hat u.&nbsp;a. dazu geführt, dass ‚Kontrapunkt‘ häufig mit ‚[[Polyphonie]]‘ gleichgesetzt wird.


== Leben und Wirken ==
== Prinzipien ==
=== Kindheit und Jugend bis 1940 ===
=== Note-gegen-Note-Satz ===
Nach Angabe ihrer Nichte, der Orientalistin Krasimira Stojanowa, waren Wangas Eltern arme Bauern,<ref name="wdp">Kasimira Stojanowa: ''Wanga – Das Phänomen.'' Ennsthaler Verlag, Steyr 2004.</ref> deren ethnische Herkunft schwierig zu bestimmen ist.<ref name="mpr" /> Der Vater Pande Surtschew<ref name="wdp" /> engagierte sich in der probulgarischen [[Innere Mazedonische Revolutionäre Organisation|Inneren Mazedonischen Revolutionären Organisation]], die Mutter starb früh.<ref name="mpr" />
Die praktische Frage, der sich die Kontrapunktlehre zunächst widmet, lautet: Wie soll zu einer vorhandenen Tonfolge (dem sogenannten [[Cantus firmus]] oder ''Cantus prius factus'', z.&nbsp;B. einem [[Gregorianischer Choral|gregorianischen Choral]]) eine Gegenstimme improvisiert oder komponiert werden?


Als Wanga zwölf Jahre alt war, zogen die verarmten Dimitrows von Strumica nach [[Novo Selo (Mazedonien)|Novo Selo]] (heute [[Mazedonien]]),<ref name="wdp" /> dem nahe gelegenen Heimatdorf des Vaters, und lebten im größeren Familienverband. Dort wurde sie mit 13 Jahren in einem Wirbelsturm schwer verletzt. Trotz medizinischer Behandlung verlor sie zunehmend ihr [[Augenlicht]] bis zu ihrer völligen [[Blindheit|Erblindung]] im Alter von 16 Jahren. Dieses Ereignis wird gemeinhin als Auslöser ihrer [[Erscheinung|visionären]] Erfahrungen angesehen.<ref name="mpr" />
Grundlegend ist dabei eine Unterteilung der Intervalle in drei Kategorien: [[Konsonanz und Dissonanz#Kontrapunktlehre|vollkommene Konsonanzen, unvollkommene Konsonanzen und Dissonanzen]]. Gemäß dem Ausdruck „''punctum contra punctum ponere''“ konzentrieren sich die ältesten Kontrapunkttraktate darüber hinaus ausschließlich auf den Note-gegen-Note-Satz und schließen Dissonanzen dabei aus. Für die beiden anderen Kategorien gelten jeweils bestimmte Gebote und Verbote. So schreibt der einflussreiche Traktat ''Quilibet affectans'' (um 1330, [[Johannes de Muris]] zugeschrieben) vor:<ref>Sachs 1984, S.&nbsp;180.</ref>
* Abschnitte müssen mit einer vollkommenen Konsonanz beginnen und schließen.
* Vollkommene Konsonanzen dürfen nicht parallel geführt werden.
* Wird eine vollkommene Konsonanz in gerader Bewegung erreicht (also durch eine später so genannte [[verdeckte Parallele]]), muss eine Stimme dabei per Sekundschritt fortschreiten.
* Unvollkommene Konsonanzen sollten nicht mehr als viermal direkt nacheinander parallel geführt werden.
Besonders empfohlen werden außerdem Fortschreitungen zur nächstgelegenen Konsonanz, durch [[Gegenbewegung]] und mit [[Sekunde (Musik)|Sekundschritten]] in beiden Stimmen. Zwecks Abwechslung kann freilich häufig mindestens eine dieser Empfehlungen nicht berücksichtigt werden.


Während eines zweijährigen Sanatoriumsaufenthalts in [[Zemun#Geschichte|Zemun]] bei [[Belgrad]] erlernte sie die für Haushaltsführung nötigen Fähigkeiten wieder. Ab ihrem 18. Lebensjahr führte Wanga das familiäre Hauswesen und zog ihre Geschwister auf,<ref name="mpr" /> da die Stiefmutter kurz zuvor gestorben war.<ref name="wdp" /> Als 1940 auch der Vater starb, befand sich die Familie am unteren Ende der sozialen Leiter.<ref name="mpr" /> Nach Aussagen von Verwandten gab sie seit dieser Zeit an, dass sie mit Heiligen kommuniziere.
'''Beispiel:''' [[Ludovico Zacconi]]: ''Prattica di musica''. Bd.&nbsp;2. Venedig 1622, S.&nbsp;69 (Cantus firmus in der Unterstimme):
<score raw="1" vorbis="1">
\version "2.14.2"
\header {
  tagline = ##f
        }
upper = \relative c' {
\set Score.skipBars = ##t
\autoBeamOff
  \time 2/2 \override Staff.TimeSignature.style = #'mensural
  \tempo 2 = 88
        { d1 \bar "" c f \bar "" e d \bar "" c e \bar "" fis g \bar "" g d \bar "" e d \bar "" cis \override NoteHead.style = #'baroque d\longa \bar "||" }
}


[[Datei:Gr Petrich kushtata na baba Vanga v grada.jpg|250px|mini|Wangas Wohnhaus in Petritsch]]
lower = \relative c' {
  \clef bass
  \time 2/2 \override Staff.TimeSignature.style = #'mensural
        { g1 a d, g d a' a a g c, g' e f e \override NoteHead.style = #'baroque d\longa }
}


=== Beginn ihrer „Visionen“ ===
\score {
Bei ihrer ersten öffentlich gemachten Prophezeiung Anfang April 1941 offenbarte ihr angeblich ein „strahlender Reiter“ in mehreren Visionen, dass bald „schreckliche Dinge“ geschehen würden. Am 6. April begann der [[Balkanfeldzug (1941)|Feldzug der deutschen Wehrmacht]] gegen Jugoslawien, zu dem dieser Teil [[Makedonien]]s damals gehörte. Es wird berichtet, dass Wanga sich in der darauf folgenden Zeit stark verändert und begonnen habe, Nachbarn und Verwandten von deren abwesenden Angehörigen im Krieg zu berichten.<ref>Kasimira Stojanowa: ''Wanga – Das Phänomen.'' Ennsthaler Verlag, Steyr 2004, S. 19–21.</ref>
  \new PianoStaff <<
    \new Staff = "upper" \upper
    \new Staff = "lower" \lower
  >>
  \layout {
    \context {
      \Score
      \remove "Metronome_mark_engraver"
    }
  }
  \midi { }
}
</score>


Das Gerücht über Wangas angebliche Hellsichtigkeit verbreitete sich, und so wurde sie während des Krieges von Soldaten der bulgarischen Besatzungsmacht und lokalen Kleinbauern als Seherin und Heilerin<ref>Claudia Schwamberger: ''Heilerwesen in Bulgarien: Traditionelle Heilerinnen versus Psychotherapeutinnen.'' Waxmann Verlag, Münster 2004, ISBN 978-3-8309-8022-3. S. 79–83, 146.</ref> konsultiert. Einer von ihnen war Dimitar Guschterow, den sie 1942 heiratete. Wanga zog mit ihm in seine rund 50 Kilometer weiter östlich gelegene bulgarische Heimatstadt [[Petritsch]]. Unter der Bezeichnung „die Hellseherin von Petritsch“ (''petričkata gledarica'') erlangte sie rasch Ansehen, sodass sie 1943 auch der bulgarische König [[Boris III. (Bulgarien)|Boris III.]] aufsuchte, dessen vorzeitigen Tod sie angeblich vorhersagte.<ref>Valtchinova gibt als Quelle an: Kasimira Stojanowa: ''Vanga.'' Nauka i Izkustovo, Sofia 1989 und Z. Kostadinova: ''Prorochestvata na Vanga.'' Trud, Sofia 1989, S. 12. Laut Valtchinova wird diese Begegnung in unterschiedlichen Berichten während der Jahre des Kommunismus erwähnt, alle setzten Wanga mit der [[Pythia|delphischen Pythia]] gleich.</ref><ref>Kasimira Stojanowa: ''Wanga – Das Phänomen.'' Ennsthaler Verlag, Steyr 2004, S. 21–25.</ref>
=== Dissonanzen ===
Indem nun in der Gegenstimme mittels kürzerer Notenwerte und überwiegend schrittweiser Bewegung Sprünge ausgefüllt und Schritte umspielt werden, ergibt sich eine vielfältigere Satzart, die auch Dissonanzen enthält. Diese werden aber zunächst kaum näher thematisiert, sondern geraten erst durch [[Johannes Tinctoris]] (1477) ausdrücklich ins Blickfeld der Lehre. Dieser erweitert die Bedeutung des Worts ''contrapunctus'', indem er die Satzart Note gegen Note, also den ‚Kontrapunkt‘ im ursprünglichen Sinne, als ''contrapunctus simplex'' (einfacher Kontrapunkt) bezeichnet, und ihm den ''contrapunctus diminutus'' (verkleinerter Kontrapunkt) gegenüberstellt.


=== Repression ab Ende der 1940er Jahre ===
Tinctoris fordert, dass Dissonanzen „maßvoll“ (''cum ratione moderata'') verwendet werden,<ref>Tinctoris 1477, Buch&nbsp;2, Kap.&nbsp;23.</ref> indem sie entweder auf unbetonter Taktposition stehen und schrittweise erreicht und verlassen werden (also als [[Durchgangsnote|Durchgangs-]] oder [[Wechselnote]]n gelten können), oder aber als [[Synkopendissonanz]], bevorzugt unmittelbar vor Kadenzen, verwendet werden. Abspringende Nebennoten sollen von einem Terzsprung gefolgt (die später so genannten [[Wechselnote#Fuxsche Wechselnote|Fuxschen Wechselnoten]]) und sparsam verwendet werden.<ref>Tinctoris 1477, Buch&nbsp;2, Kap.&nbsp;32.</ref>
Ab Ende der 1940er Jahre musste Wanga sich den neuen sozialen Regeln des kommunistischen Regimes anpassen, das nach Modernisierung und [[Nation|nationaler]] [[Homogenität]] strebte. Die lokalen Parteistrukturen versuchten ihre Tätigkeit zu unterbinden; sie wurde von der Polizei überwacht. Um 1950 war Baba Wanga angeblich die beliebteste Person der Region und so bekannt, dass sie Leute aus ganz Bulgarien anzog. Nach dem Tod ihres Mannes 1962 ließ parallel zum familiären Druck auch die polizeiliche Kontrolle nach.<ref name="mpr" />


=== Rehabilitierung und wissenschaftliche Untersuchungen ===
In seiner Lehre der Dissonanzbehandlung orientiert sich Tinctoris an Kompositionen von u.&nbsp;a. [[John Dunstable]], [[Guillaume Dufay]], [[Gilles Binchois]] und [[Johannes Ockeghem]], die für ihn eine neue Epoche eingeläutet haben.<ref>Siehe Tinctoris: ''Proportionale musices'', um 1472–1475 ([http://www.chmtl.indiana.edu/tml/15th/TINPRO online]).</ref>
Während der 1960er Jahre änderten sich die Bedingungen für Wangas Aktivitäten grundlegend. Zunehmend interessierten sich in Bulgarien gebildete Personen und die neue sozialistische [[Intelligenzija]] für sie.<ref>Valtchinova gibt als Quelle an: Sheila Ostrander, Lynn Schroeder: ''Psychic Discoveries behinde the Iron Curtain.'' Bantam Books, Toronto 1971, S. 279.</ref>


Ab 1967 war Wanga Staatsangestellte am Institut für Suggestologie, das an der bulgarischen Akademie der Wissenschaften eingerichtet worden war. Um die Fähigkeiten der Seherin zu untersuchen, wurde abgeschieden im Gebiet Rupite, 15&nbsp;Kilometer entfernt von Petritsch, ein Gebäude errichtet, in dem sie die Ratsuchenden empfing.<ref name="mpr" /> Untersuchungen von Wangas prophetischen Vorhersagen – vor allem beim Auffinden vermisster Angehöriger – ergaben angeblich eine „Trefferquote“ von 80&nbsp;Prozent,<ref>{{Webarchiv|url=http://www.osaarchivum.org/files/holdings/300/8/3/text/8-11-33.shtml|wayback=20120528215923|text=''Ideological Drive Against Paraperception''}} (Web.archiv.org) [[Radio Free Europe]] Research, Background Report/60(Bulgaria), 24. März 1983.</ref> während andere Hellseher nur 20&nbsp;Prozent erreichen würden.<ref name="100fr" />
== Kontrapunkt als Synonym von Satzlehre ==
[[Datei:Rupite Church St. Petka Bulgarska.JPG|mini|Die Kirche ''Sweta Petka Balgarska'' in Rupite]]
Die Lehre des zweistimmigen ''contrapunctus diminutus'' wird von Tinctoris und späteren Autoren auf den mehr als zweistimmigen Satz übertragen. Bis ins 18.&nbsp;Jahrhundert wird Kontrapunkt somit gleichbedeutend mit Satzlehre. Erweitert werden die Traktate, indem sie neben den kontrapunktischen Grundprinzipien auch Satztechniken wie [[Imitation (Musik)|Imitation]], [[Fuge (Musik)|Fuge]] und [[Kanon (Musik)|Kanon]], sowie doppelten und mehrfachen Kontrapunkt behandeln. Der ''contrapunctus simplex'' bleibt dabei jedoch die systematische und didaktische Vorstufe der gesamten Kompositionslehre. Eine besonders prominente Kontrapunktlehre, die noch im 17. und 18.&nbsp;Jahrhundert eine zentrale Rolle spielt, ist der dritte Teil der ''Istitutioni armoniche'' von [[Gioseffo Zarlino]] (1558).
Das staatliche Management kümmerte sich um den geregelten Ablauf und zog von den, wie Angehörige behaupten, bis zu 100&nbsp;täglichen Besuchern<ref>Kasimira Stojanowa: ''Wanga – Das Phänomen.'' Ennsthaler Verlag, Steyr 2004, S. 8.</ref> die Gebühren ein. In den 1980er Jahren war es fast unmöglich, ohne Beziehungen zur Seherin zu gelangen, die offizielle Wartezeit betrug ungefähr ein Jahr. Während der letzten Jahre des Kommunismus gehörte es vor allem für die Parteielite, die Intelligenzija und Persönlichkeiten aus der Hauptstadt zum guten Ton, sich mit Wanga in der Öffentlichkeit zu zeigen.<ref name="mpr" />


Ein Jahr nach dem politischen Wandel gab die Seherin ihren Beschluss bekannt, in [[Rupite]] eine Kirche bauen zu lassen, die 1994 unter dem Namen ''Sweta Petka Balgarska'' geweiht wurde. Wanga starb am 11. August 1996 in Sofia und wurde bei „ihrer Kirche“ begraben.<ref name="mpr" /> In ihrem Wohnhaus in Petritsch ist seit dem 5. Mai 2008 ein Museum zu ihrem Andenken eingerichtet.<ref name=":0">Magdalena Rahn: ''[http://www.sofiaecho.com/article/prophetess-baba-vanga-s-petrich-house-becomes-museum/id_29132/catid_70 Prophetess Baba Vanga’s Petrich house becomes museum].'' auf sofiaecho.com, 6. Mai 2008.</ref>
Gewisse Veränderungen erfährt die Lehre angesichts stilistischer Entwicklungen, u.&nbsp;a. im Bereich der Dissonanzbehandlung. Mit der Entstehung der [[Dur-Moll-Tonalität]] werden Intervallfortschreitungen über die überlieferten kontrapunktischen Prinzipien hinaus außerdem so organisiert, dass sie eine Dur- oder Molltonart zum Ausdruck bringen.


== Haltung der bulgarischen und russischen orthodoxen Kirche ==
== Kontrapunkt als Stilbegriff ==
Die bulgarische und russische orthodoxe Kirche lehnt das Wirken Wangas strikt ab.<ref>{{Literatur |Titel=За Дънов, Ванга и православния фанатизъм • Православие.БГ |Sammelwerk=Православие.БГ |Datum=2011-03-17 |Online=https://www.pravoslavie.bg/%D0%B0%D0%BD%D0%B0%D0%BB%D0%B8%D0%B7%D0%B8/%D0%B7%D0%B0-%D0%B4%D1%8A%D0%BD%D0%BE%D0%B2-%D0%B2%D0%B0%D0%BD%D0%B3%D0%B0-%D0%B8-%D0%BF%D1%80%D0%B0%D0%B2%D0%BE%D1%81%D0%BB%D0%B0%D0%B2%D0%BD%D0%B8%D1%8F-%D1%84%D0%B0%D0%BD%D0%B0%D1%82%D0%B8%D0%B7/ |Abruf=2018-08-06}}</ref> Sie habe unter anderem den Glauben an die Wiedergeburt gelehrt, Geister von Verstorbenen gerufen und Formen der Hexerei praktiziert, die unvereinbar mit dem christlichen Glauben seien.
Angesichts seines Ursprungs als Lehre des Note-gegen-Note-Satzes schließt Kontrapunkt [[Homophonie (Musik)|Homophonie]] keineswegs aus. Die heute verbreitete Verwendung von ‚kontrapunktisch‘ im Sinne von ‚[[Polyphonie|polyphon]]‘ stammt aus dem 19.&nbsp;Jahrhundert:<ref>Sachs 1982, S.&nbsp;32&nbsp;f.</ref>
 
{{Zitat| Kontrapunkt, eine aus dem Lateinischen […] hergenommene Benennung für polyphone Schreibart, d.&nbsp;h. solche, die zwei oder mehr melodisch ausgebildete Stimmen gleichzeitig mit einander verbindet und fortführt, wie z.&nbsp;B. in der Fuge und anderen Kunstformen. […]. Bestimmter verstehen wir darunter […] den Satz, welcher zwei oder mehr wahrhaft selbständige (nach den Grundsätzen der Melodik ausgebildete) Stimmen mit einander verbindet.|Autor=[[Adolf Bernhard Marx]]|Quelle=''Encyclopädie der gesammten musikalischen Wissenschaften oder Universal-Lexicon der Tonkunst'' Bd.&nbsp;4. Stuttgart 1837, S.&nbsp;188&nbsp;f.}}
 
Allerdings wurde das Wort schon ab der zweiten Hälfte des 17.&nbsp;Jahrhunderts als Stilbegriff verwendet, im Hinblick auf die Kirchenmusik des späten 16.&nbsp;Jahrhunderts und insbesondere auf die Musik von [[Giovanni Pierluigi da Palestrina]].<ref>Sachs 1982, S.&nbsp;30.</ref> Entscheidend verstärkt wurde diese Tendenz durch das Lehrwerk ''[[Gradus ad Parnassum]]'' von [[Johann Joseph Fux]] (1725), das die Pflege dieses Stils bezweckt.
 
Im 19.&nbsp;Jahrhundert wurde außer dem Palestrina-Stil auch die Musik von [[Johann Sebastian Bach]] zu einem Gipfelpunkt von ‚Kontrapunkt‘ stilisiert. In ihr sah [[Ernst Kurth (Musikwissenschaftler)|Ernst Kurth]] die Idee eines „linearen Kontrapunkts“ optimal verwirklicht, bei dem „der Wille zur Linienstruktur, der horizontale Entwurf […] immer das Primäre und der tragende Grundzug“ sei.<ref>Kurth 1917, S.&nbsp;98.</ref>
 
== Gattungskontrapunkt ==
Zu Übungszwecken wurde oft versucht, beim Improvisieren oder Komponieren eines Kontrapunkts zu einem Cantus firmus bestimmte rhythmische Muster in dieser Gegenstimme konsequent beizubehalten.<ref>Siehe Bent 2002.</ref> Diesen Ansatz hat [[Johann Joseph Fux]] in seiner Kompositionslehre ''[[Gradus ad Parnassum]]'' (1725) zu einem Parcours aus fünf sogenannten „''species''“ oder „Gattungen“ systematisiert. Dieser Aufbau erlaubt es u.&nbsp;a., verschiedene Formen der Dissonanzbehandlung Schritt für Schritt einzuführen:
* 1.&nbsp;Gattung: Note gegen Note
* 2.&nbsp;Gattung: Zwei Noten gegen eine
:Einführung der Durchgangsnote
* 3.&nbsp;Gattung: Vier Noten gegen eine
:Einführung der [[Wechselnote#Fuxsche Wechselnote|Fuxschen Wechselnote]] und der halbschweren Durchgangsnote
* 4.&nbsp;Gattung: durchgängige [[Synkope (Musik)|Synkopen]]
:Einführung der Synkopendissonanz
* 5.&nbsp;Gattung („''contrapunctus floridus''“, der „blühende Kontrapunkt“): gemischte Notenwerte
 
Der Cantus firmus besteht hierbei stets aus ganzen Noten. Das Verfahren wird von der Zweistimmigkeit bis zur Vierstimmigkeit gesteigert, wobei der Cantus firmus in jeder Stimme liegen kann. Allerdings ist in der Regel stets nur eine Stimme im Sinne einer Gattung organisiert:
 
'''Beispiel:''' 4.&nbsp;Gattung in der Dreistimmigkeit mit Cantus firmus in der Oberstimme:<ref>Fux 1725, S.&nbsp;108.</ref>
<score vorbis="1">
\new ChoirStaff <<
  \new Staff <<
    \set Score.tempoHideNote = ##t
    \tempo 2 = 88
    \time 2/2
    \set Score.skipBars = ##t
        \relative c'
        { d1^"Cantus firmus" f e d g f a g f e \override NoteHead.style = #'baroque d\breve \bar "||" }
          >>
 
    \new Staff <<
              \clef "bass"
              \relative c { d1 d' g, g b a f c' a g \override NoteHead.style = #'baroque fis\breve }
    >>
 
    \new Staff <<
              \clef "bass"
              \relative c { r1 r2 d ~ d c ~ c b ~ b e ~ e d ~ d f ~ f e ~ e d ~ d cis \override NoteHead.style = #'baroque d\breve }
    >>
>>
</score>
Fuxʼ Konzept des Gattungskontrapunkts beeinflusst die Kontrapunktdidaktik bis heute. Zahlreiche spätere Musiktheoretiker haben es übernommen, so u.&nbsp;a. [[Johann Georg Albrechtsberger]], [[Luigi Cherubini]], [[Heinrich Bellermann]], [[Heinrich Schenker]] und Knud Jeppesen.
 
== {{Anker|Doppelter Kontrapunkt}} Doppelter und mehrfacher Kontrapunkt ==
Doppelter Kontrapunkt bezeichnet im allgemeinen Sinne die besondere Beschaffenheit eines zweistimmigen Satzes, aus dem durch Versetzung einer der Stimmen ein weiterer kontrapunktisch gültiger Satz abgeleitet werden kann.<ref>Schubert 2008, S.&nbsp;186: „Double counterpoint is the broad term for making a new combination out of an original. We maintain the same melodies, in the same temporal relationship, but we transpose one or both. Invertible counterpoint is a special case of double counterpoint in which the relative positions of the parts are reversed.“</ref> Doppelter Kontrapunkt der Sexte liegt z.&nbsp;B. vor, wenn eine der Stimmen einer zweistimmigen Kombination um eine Sexte versetzt werden kann:
 
'''Beispiel:''' Camillo Angleria: ''La regola del contraponto della musical compositione''. Mailand 1622, S.&nbsp;97:
<score vorbis="1">
\new ChoirStaff <<
  \new Staff <<
    \set Score.tempoHideNote = ##t
    \tempo 2 = 88
    \time 4/2
    \override Staff.TimeSignature.transparent = ##t
    \hide Staff.BarLine
    \set Score.skipBars = ##t
        \relative c''
        { r2 f2. e4 d c b a g2 c a d2. e4 f g a2. g4 f2 e d cis1 d \undo \hide Staff.BarLine \bar "||" }
          >>
 
    \new Staff <<
              \clef "bass"
              \override Staff.TimeSignature.transparent = ##t
              \hide Staff.BarLine
              \relative c { d1 f g a bes a f g a \undo \hide Staff.BarLine d, }
    >>
 
>>
</score>
 
<score vorbis="1">
\new ChoirStaff <<
  \new Staff <<
    \set Score.tempoHideNote = ##t
    \tempo 2 = 88
    \time 4/2
    \override Staff.TimeSignature.transparent = ##t
    \hide Staff.BarLine
    \set Score.skipBars = ##t
        \relative c''
        { r2 a2. g4 f e d c b2 e c f2. g4 a b c2. b4 a2 g f e1 fis \undo \hide Staff.BarLine \bar "||" }
          >>
 
    \new Staff <<
              \clef "bass"
              \override Staff.TimeSignature.transparent = ##t
              \hide Staff.BarLine
              \relative c { d1 f g a bes a f g a \undo \hide Staff.BarLine d, }
    >>
 
>>
</score>
 
Meist wird der Begriff doppelter Kontrapunkt aber in einem engeren Sinne für ''umkehrbaren'' Kontrapunkt verwendet. Hierbei gerät die Tonfolge der Oberstimme durch die Versetzung in die Unterstimme und umgekehrt. Die gängigsten Formen des umkehrbaren doppelten Kontrapunkts sind der doppelte Kontrapunkt der Oktave, der Duodezime und der Dezime. Die satztechnischen Bedingungen, die dabei einzuhalten sind, werden traditionell aus Tabellen abgeleitet, die zeigen, wie sich die Intervalle durch die Versetzung verändern.<ref>Siehe z.&nbsp;B. Marpurg 1753, S.&nbsp;166.</ref>
 
So zeigt die Tabelle für den doppelten Kontrapunkt der Oktave:
{| class="wikitable" style="text-align:center"
|-
| class="hintergrundfarbe6" | '''Intervall in der Ausgangskombination''' || 1 || 2 || 3 || 4 || class="hintergrundfarbe5"| '''5''' || 6 || 7 || 8
|-
| class="hintergrundfarbe6" | '''Intervall nach Versetzung''' || 8 || 7 || 6 || 5 || class="hintergrundfarbe5"| '''4''' || 3 || 2 || 1
|-
|}
 
dass Quinten durch die Versetzung zu Quarten werden. Daraus folgt, dass ein zweistimmiger Satz die Bedingungen des doppelten Kontrapunkts der Oktave erfüllt, wenn die Quinte dort behandelt wird, als sei sie eine Dissonanz.
 
Die Tabelle für den doppelten Kontrapunkt der Duodezime zeigt u.&nbsp;a., dass hier die Sexte wie eine Dissonanz behandelt werden muss, da sie in der Verkehrung zur Septime wird:
{| class="wikitable" style="text-align:center"
|-
| class="hintergrundfarbe6" | '''Intervall in der Ausgangskombination''' || 1 || 2 || 3 || 4 || 5 || class="hintergrundfarbe5"| '''6''' || 7 || 8 || 9 || 10 || 11 || 12
|-
| class="hintergrundfarbe6" | '''Intervall nach Versetzung''' || 12 || 11 || 10 || 9 || 8 || class="hintergrundfarbe5"| '''7''' || 6 || 5 || 4 || 3 || 2 || 1
|-
|}
 
'''Beispiel:''' [[Wolfgang Amadeus Mozart]]: [[Requiem (Mozart)|Requiem]], ''Kyrie'':
 
<score vorbis="1">
\new PianoStaff <<
  \new Staff <<
    \set Score.tempoHideNote = ##t
    \time 4/4
    \tempo 4 = 96
    \set Score.currentBarNumber = #49
            \relative c' { \bar "" r1^"Alt" r8 e e e f16 g f e f g e f g a g f g a f g a8 bes16 a g f e d cis8 e a g f s4. \bar "||" \set Score.currentBarNumber = #64 s2 c'4.^"Sopran" c8 a4 d e,4. e8 f4 r8 f g4. f16 g a8 g16 a bes8 a16 bes c8 bes a g fis4 \bar "||" }
              \addlyrics { "3" _ _ "3" "4" "3" "2" }
          >>
<<
    \new Staff = "staff" {
    \new Voice = "bass" {
    \clef bass
          \relative c' { a4._"Bass" a8 f4 bes cis,4. cis8 d4 r8 d e4. d16 e f8 e16 f g8 f16 g a8 g f e d s4. \bar "||" s2 s2_"Bass" s2 r8 c c c d16 e d c d e c d e f e d e f d e f8 g16 f e d c bes a8 c f es d}
    }
    }
    \new Lyrics \with { alignAboveContext = "staff" } {
      \lyricsto "bass" { _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ "10" _ _ "10" "9" "10" "11" }
    }
    >>
>>
</score>
 
Gegenüber dem Abschnitt in T.&nbsp;49&nbsp;f. erscheint ab T.&nbsp;64 die Melodie des Basses eine Dezime höher im Sopran und die Melodie der Altstimme eine Dezime tiefer im Bass. Dadurch ändern sich die vertikalen Intervalle so, wie wenn nur der Bass eine Duodezime nach oben oder nur die Oberstimme eine Duodezime nach unten versetzt worden wäre.
 
''Mehrfacher'' (dreifacher, vierfacher,&nbsp;…) Kontrapunkt der Oktave liegt vor, wenn alle Stimmen eines Satzes mit entsprechender Stimmenzahl durch Oktavierung beliebig vertauscht werden können.
 
== {{Anker|Kontrasubjekt}} Beibehaltener Kontrapunkt ==
Im Hinblick auf [[Fuge (Musik)|Fugen]] ist von einem beibehaltenen Kontrapunkt oder ''Kontrasubjekt'' die Rede, wenn das Fugenthema wiederholt von der (bis auf kleine Veränderungen) gleichen Gegenstimme kontrapunktiert wird. Wenn der beibehaltene Kontrapunkt sowohl ober- als unterhalb des Themas erklingt, ist doppelter Kontrapunkt im Spiel.
 
Im folgenden Beispiel ([[Johann Sebastian Bach]]: ''[[Das Wohltemperierte Klavier]]'' Band&nbsp;1, Fuge in c-Moll ([[Bach-Werke-Verzeichnis|BWV]]&nbsp;847, T.&nbsp;2–3 und T.&nbsp;7–8) ist das Thema rot und der beibehaltene Kontrapunkt blau eingefärbt. Die Kombination beider Stimmen erfüllt die Bedingungen des doppelten Kontrapunkts der Oktave:
<score raw="1" vorbis="1">
\version "2.14.2"
\header {
  tagline = ##f
        }
upper = \relative c''' {
  \key c \minor
  \override Staff.TimeSignature.transparent = ##t
  \tempo 4 = 88
      <<
        {
          \voiceOne
          r8 \override NoteHead.color = #red \override Stem.color = #red \override Beam.color = #red \override Accidental.color = #red g16 fis g8 c, es g16 fis g8 a d, g16 fis g8 a c,16 d es4 d16 c bes8
        }
        \new Voice {
          \voiceTwo
          s16 \override NoteHead.color = #blue \override Stem.color = #blue \override Beam.color = #blue \override Accidental.color = #blue c b a g f es d c8 es' d c bes a bes c fis, g a fis g4
        }
      >>
                }
\score {
    \new Staff = "upper" \upper
  \layout {
    \context {
      \Score
      \remove "Metronome_mark_engraver"
    }
  }
  \midi { }
}
</score>
 
<score raw="1" vorbis="1">
\version "2.14.2"
\header {
  tagline = ##f
        }
upper = \relative c'' {
  \clef treble
  \override Staff.TimeSignature.transparent = ##t
  \key c \minor
  \tempo 4 = 88
      <<
        {
          \voiceOne
          \override NoteHead.color = #blue \override Stem.color = #blue \override Beam.color = #blue \override Accidental.color = #blue f8 es16 d c bes as g f8 as' g f es d es f b, c d b c
        }
        \new Voice {
          \voiceTwo
          c4 r r8 f es d r as g f g f16 es f8 d g4
        }
      >>
                }
 
lower = \relative c' {
  \clef bass
  \override Staff.TimeSignature.transparent = ##t
  \key c \minor
 
        {
          \voiceOne
          r8 \override NoteHead.color = #red \override Stem.color = #red \override Beam.color = #red \override Accidental.color = #red c16 b c8 g as c16 b c8 d g, c16 b c8 d f,16 g as4 g16 f es
        }
}
 
\score {
  \new PianoStaff <<
    \new Staff = "upper" \upper
    \new Staff = "lower" \lower
  >>
  \layout {
    \context {
      \Score
      \remove "Metronome_mark_engraver"
    }
  }
  \midi { }
}
</score>


== Siehe auch ==
== Siehe auch ==
* {{WikipediaDE|Baba Wanga}}
* {{WikipediaDE|Kategorie:Kontrapunkt}}
* {{WikipediaDE|Kontrapunkt}}


== Literatur ==
== Literatur ==
* Galia Valtchinova: ''State Management of the Seer Vanga: Power, Medicine, and the “Remaking” of Religion in Socialist Bulgaria.'' In: Bruce R. Berglund (Hrsg.): ''Christianity and modernity in Eastern Europe.'' CEU Press, Budapest 2010, ISBN 978-963-9776-65-4, S. 245. (englisch)
-- chronologisch --
* Galia Valtchinova: ''Between ordinary pain and extraordinary knowledge : the seer Vanga in the everyday life of Bulgarians during socialism.'' In: ''Aspasia.'' Band 3 (2009), Berghahn Books, New York 2009, {{ISSN|1933-2882}}, S. 106–130. (englisch)
* Johannes Tinctoris: ''Liber de arte contrapuncti'' (Hs.) 1477.
* John R. Eidson (Hrsg.): Frances Pine, Deema Kaneff, Haldis Haukanes: ''Memory, Politics and Religion''. The Past Meets the Present in Europe. In: ''Halle Studies in the Anthropology of Eurasia''. Band 4. Lit, Münster 2004, ISBN 3-8258-8051-6. (englisch)
* Johann Joseph Fux: ''Gradus ad Parnassum'' […]. Wien 1725.
* Kasimira Stojanowa: ''Wanga. Das Phänomen – die Seherin von Petritsch.'' Aus dem Bulgarischen übersetzt von Ines Sebesta. Ennsthaler, Steyr 2004, ISBN 3-85068-618-3.
* Johann Joseph Fux: ''Gradus ad Parnassum'' […]'' ins Teutsche übersetzt'' […]'' von Lorenz Christoph Mizler.'' Leipzig 1742, Reprint Hildesheim 1984.
* Helena Verdel, Traude Kogoj, Diana Karabinova, Lojze Wieser (Hrsg.): ''Die 100 bedeutendsten Frauen des europäischen Ostens''. Wieser, Klagenfurt 2003, ISBN 3-85129-421-1.
* Friedrich Wilhelm Marpurg: ''Abhandlung von der Fuge'' […]. Bd.&nbsp;1. Berlin 1753 ([http://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/goToPage/bsb10527403.html?pageNo=194 Digitalisat]).
* Deema Kaneff: ''Why People Don’t Die „Naturally“ Any More. Changing Relations Between „The Individual“ and „The State“ in Post-Socialist Bulgaria.'' In: ''The Journal of the Royal Anthropological Institute''. Bd. 8, Heft 1, Wiley-Blackwell, Oxford, März 2002, {{ISSN|1359-0987}}, S. 89–105. (englisch)
* Adolf Bernhard Marx: ''Encyclopädie der gesammten musikalischen Wissenschaften oder Universal-Lexicon der Tonkunst'' Bd.&nbsp;4. Stuttgart 1837 ([http://opacplus.bsb-muenchen.de/title/BV010653758/ft/bsb10600492?page=190 Digitalisat]).
* Ilia Iliev: ''[http://www.iwm.at/wp-content/uploads/jc-10-03.pdf The Social Construction of a Saintly Woman in Bulgaria].'' In: A Captured Moment in Time: IWM Junior Visiting Fellows Conferences, Vol. 10, 2000.
* Heinrich Bellermann: ''Der Contrapunkt.'' Berlin 1862.
* Sheila Ostrander, Lynn Schroeder: ''PSI – Die wissenschaftliche Erforschung und praktische Nutzung übersinnlicher Kräfte des Geistes und der Seele im Ostblock''. Scherz Verlag, Bern/ München 1975, ISBN 3-502-13538-X.
* Ernst Kurth: ''Grundlagen des linearen Kontrapunkts. Einführung in Stil und Technik von Bachʼs melodischer Polyphonie''. Dreschel, Bern 1917 ({{Digitalisat|IA=romantischeharmo00kurt}}).
* Knud Jeppesen: ''Kontrapunkt. Lehrbuch der klassischen Vokalpolyphonie.'' Leipzig 1956.
* Klaus-Jürgen Sachs: ''Der Contrapunctus im 14. und 15.&nbsp;Jahrhundert. Untersuchungen zum Terminus, zur Lehre und zu den Quellen.'' Franz Steiner, Stuttgart 1974, ISBN 3-515-01952-9.
* Diether de la Motte] ''Kontrapunkt. Ein Lese- und Arbeitsbuch.'' Kassel und München 1981, ISBN 3-423-30146-5.
* Klaus-Jürgen Sachs: ''Contrapunctus&nbsp;/ Kontrapunkt''. In: ''Handwörterbuch der musikalischen Terminologie''. Bd.&nbsp;2, hrsg. von Hans Heinrich Eggebrecht und Albrecht Riethmüller, Schriftleitung Markus Bandur, Steiner, Stuttgart 1982 ([http://daten.digitale-sammlungen.de/~db/0007/bsb00070510/images/index.html?fip=193.174.98.30&seite=163&pdfseitex= Digitalisat]).
* Klaus-Jürgen Sachs: ''Die Contrapunctus-Lehre im 14. und 15. Jahrhundert''. In: Hans Heinrich Eggebrecht&nbsp;/ F. Alberto Gallo&nbsp;/ Max Haas&nbsp;/ Klaus-Jürgen Sachs: ''Die mittelalterliche Lehre von der Mehrstimmigkeit''. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1984, S.&nbsp;161–256.
* Claus Ganter: ''Kontrapunkt für Musiker. Die Gestaltungsprinzipien der Vokal und Instrumentalpolyphonie'' […]. München und Salzburg 1994.
* Christoph Hohlfeld, Reinhard Bahr: ''Schule des musikalischen Denkens. Der Cantus-firmus-Satz bei Palestrina.'' Wilhelmshaven 1994.
* Thomas Daniel: ''Kontrapunkt. Eine Satzlehre zur Vokalpolyphonie des 16.&nbsp;Jahrhunderts.'' Köln 1997, ISBN 3-925366-43-1.
* Ian Bent: ''Steps to Parnassus: Contrapuntal theory in 1725, precursors and successors''. In: Thomas Christensen (Hrsg.): ''The Cambridge History of Western Music Theory''. Cambridge University Press, Cambridge 2002, ISBN 978-0-521-62371-1, S.&nbsp;554–602.
* Peter Schubert, Christoph Neidhöfer: ''Baroque counterpoint''. Pearson Prentice Hall, Upper Saddle River 2006, ISBN 978-0-13-183442-2.
* Peter Schubert: ''Modal Counterpoint, Renaissance Style''. 2.&nbsp;Auflage. Oxford University Press, New York&nbsp;/ Oxford 2008, ISBN 978-0-19-533194-3.
* Johannes Menke: ''Kontrapunkt&nbsp;I: Die Musik der Renaissance''. Laaber-Verlag, Laaber 2015, ISBN 978-3-89007-825-0.
* Johannes Menke: ''Kontrapunkt&nbsp;II: Die Musik des Barock''. Laaber-Verlag, Laaber 2017, ISBN 978-3-89007-826-7.


== Weblinks ==
== Weblinks ==
* Stephen Kinzer: ''[http://query.nytimes.com/gst/fullpage.html?res=990CEEDB1E39F936A35757C0A963958260 Rupite Journal; For a Revered Mystic, a Shrine Now of Her Own]'' in ''The New York Times'', 5. April 1995
{{Wiktionary}}
* ''{{Webarchiv | url=http://www.osa.ceu.hu/files/holdings/300/8/3/text/8-11-33.shtml | wayback=20080916184048 | text=Ideological Drive Against Paraperception}}'' Radio Free Europe, Background Report, 24. März 1983
* {{Internetquelle| autor=Belkin, Alan| url=http://alanbelkinmusic.com/site/en/index.php/counterpoint/| titel=Principles of Counterpoint| datum=2000| zugriff=2018-07-19| sprache=en| offline=false }}
* ''{{Webarchiv | url=http://www.bghelsinki.org/special/en/mr.html | wayback=20101209012102 | text=Changing the Symbols: The Media and Religions in Bulgaria}}'', Studie des bulgarischen Helsinkikomitees, 1995/1996
* [http://musikanalyse.net/tutorials/kontrapunkt-einfuehrung/ Kontrapunkt (16. Jahrhundert) - Eine Einführung] auf [http://musikanalyse.net musikanalyse.net]
* [https://journals.ku.edu/index.php/folklorica/article/viewFile/3733/3572 ''Folklorica''. Journal of the Slavic and East European Folklore Association, Volume VIII, Number 1, Spring 2003]
*
* Lucy Cooper: ''[http://www.sofiaecho.com/article/notes-from-history-baba-vanga/id_13025/catid_64 Notes from History: Baba Vanga]'' auf sofiaecho.com, 19. Dezember 2005


== Einzelnachweise ==
== Einzelnachweise ==
<references />
<references />


{{Normdaten|TYP=p|GND=119086050|LCCN=n/92/19530|VIAF=85697729}}
{{Normdaten|TYP=s|GND=4032307-9}}


[[Kategorie:Prophet]]
[[Kategorie:Musiktheorie]]
[[Kategorie:Mantik]]
[[Kategorie:Kuntrapunkt|!]]
[[Kategorie:Wahrsager]]
[[Kategorie:Bulgare]]
[[Kategorie:Geboren 1911]]
[[Kategorie:Gestorben 1996]]
[[Kategorie:Frau]]


{{Wikipedia}}
{{Wikipedia}}

Version vom 3. Juli 2019, 19:33 Uhr

Kontrapunkt bezeichnet ursprünglich

  • eine Lehre, mehrstimmige Musik zu organisieren, die ab dem 14. Jahrhundert ausgehend von Frankreich und Italien überliefert und weiterentwickelt worden ist,
  • die Anwendung dieser Lehre in Improvisation und Komposition und
  • deren Ergebnis (also eine Stimme oder einen mehrstimmigen Satz, die im Sinne der Lehre gemacht worden sind).

Das Wort entstammt dem lateinischen Ausdruck „punctum contra punctum ponere“:

„Contrapunctus non est nisi punctum contra punctum ponere vel notam contra notam ponere vel facere, et est fundamentum discantus.“

„Kontrapunkt ist nichts anderes, als einen Punkt [sprich: eine Note] gegen einen Punkt zu setzen oder zu machen, und er ist das Fundament des Discantus.“

Anon.: Cum notum sit, um 1350.

Ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts wird der Begriff auch in einem weiteren Sinne als Stilbegriff verwendet. Dies hat u. a. dazu geführt, dass ‚Kontrapunkt‘ häufig mit ‚Polyphonie‘ gleichgesetzt wird.

Prinzipien

Note-gegen-Note-Satz

Die praktische Frage, der sich die Kontrapunktlehre zunächst widmet, lautet: Wie soll zu einer vorhandenen Tonfolge (dem sogenannten Cantus firmus oder Cantus prius factus, z. B. einem gregorianischen Choral) eine Gegenstimme improvisiert oder komponiert werden?

Grundlegend ist dabei eine Unterteilung der Intervalle in drei Kategorien: vollkommene Konsonanzen, unvollkommene Konsonanzen und Dissonanzen. Gemäß dem Ausdruck „punctum contra punctum ponere“ konzentrieren sich die ältesten Kontrapunkttraktate darüber hinaus ausschließlich auf den Note-gegen-Note-Satz und schließen Dissonanzen dabei aus. Für die beiden anderen Kategorien gelten jeweils bestimmte Gebote und Verbote. So schreibt der einflussreiche Traktat Quilibet affectans (um 1330, Johannes de Muris zugeschrieben) vor:[1]

  • Abschnitte müssen mit einer vollkommenen Konsonanz beginnen und schließen.
  • Vollkommene Konsonanzen dürfen nicht parallel geführt werden.
  • Wird eine vollkommene Konsonanz in gerader Bewegung erreicht (also durch eine später so genannte verdeckte Parallele), muss eine Stimme dabei per Sekundschritt fortschreiten.
  • Unvollkommene Konsonanzen sollten nicht mehr als viermal direkt nacheinander parallel geführt werden.

Besonders empfohlen werden außerdem Fortschreitungen zur nächstgelegenen Konsonanz, durch Gegenbewegung und mit Sekundschritten in beiden Stimmen. Zwecks Abwechslung kann freilich häufig mindestens eine dieser Empfehlungen nicht berücksichtigt werden.

Beispiel: Ludovico Zacconi: Prattica di musica. Bd. 2. Venedig 1622, S. 69 (Cantus firmus in der Unterstimme): <score raw="1" vorbis="1"> \version "2.14.2" \header {

 tagline = ##f
       }

upper = \relative c' { \set Score.skipBars = ##t \autoBeamOff

 \time 2/2 \override Staff.TimeSignature.style = #'mensural
 \tempo 2 = 88
        { d1 \bar "" c f \bar "" e d \bar "" c e \bar "" fis g \bar "" g d \bar "" e d \bar "" cis \override NoteHead.style = #'baroque d\longa \bar "||" }

}

lower = \relative c' {

 \clef bass
 \time 2/2 \override Staff.TimeSignature.style = #'mensural
        { g1 a d, g d a' a a g c, g' e f e \override NoteHead.style = #'baroque d\longa }

}

\score {

 \new PianoStaff <<
   \new Staff = "upper" \upper
   \new Staff = "lower" \lower
 >>
 \layout {
   \context {
     \Score
     \remove "Metronome_mark_engraver"
   }
 }
 \midi { }

} </score>

Dissonanzen

Indem nun in der Gegenstimme mittels kürzerer Notenwerte und überwiegend schrittweiser Bewegung Sprünge ausgefüllt und Schritte umspielt werden, ergibt sich eine vielfältigere Satzart, die auch Dissonanzen enthält. Diese werden aber zunächst kaum näher thematisiert, sondern geraten erst durch Johannes Tinctoris (1477) ausdrücklich ins Blickfeld der Lehre. Dieser erweitert die Bedeutung des Worts contrapunctus, indem er die Satzart Note gegen Note, also den ‚Kontrapunkt‘ im ursprünglichen Sinne, als contrapunctus simplex (einfacher Kontrapunkt) bezeichnet, und ihm den contrapunctus diminutus (verkleinerter Kontrapunkt) gegenüberstellt.

Tinctoris fordert, dass Dissonanzen „maßvoll“ (cum ratione moderata) verwendet werden,[2] indem sie entweder auf unbetonter Taktposition stehen und schrittweise erreicht und verlassen werden (also als Durchgangs- oder Wechselnoten gelten können), oder aber als Synkopendissonanz, bevorzugt unmittelbar vor Kadenzen, verwendet werden. Abspringende Nebennoten sollen von einem Terzsprung gefolgt (die später so genannten Fuxschen Wechselnoten) und sparsam verwendet werden.[3]

In seiner Lehre der Dissonanzbehandlung orientiert sich Tinctoris an Kompositionen von u. a. John Dunstable, Guillaume Dufay, Gilles Binchois und Johannes Ockeghem, die für ihn eine neue Epoche eingeläutet haben.[4]

Kontrapunkt als Synonym von Satzlehre

Die Lehre des zweistimmigen contrapunctus diminutus wird von Tinctoris und späteren Autoren auf den mehr als zweistimmigen Satz übertragen. Bis ins 18. Jahrhundert wird Kontrapunkt somit gleichbedeutend mit Satzlehre. Erweitert werden die Traktate, indem sie neben den kontrapunktischen Grundprinzipien auch Satztechniken wie Imitation, Fuge und Kanon, sowie doppelten und mehrfachen Kontrapunkt behandeln. Der contrapunctus simplex bleibt dabei jedoch die systematische und didaktische Vorstufe der gesamten Kompositionslehre. Eine besonders prominente Kontrapunktlehre, die noch im 17. und 18. Jahrhundert eine zentrale Rolle spielt, ist der dritte Teil der Istitutioni armoniche von Gioseffo Zarlino (1558).

Gewisse Veränderungen erfährt die Lehre angesichts stilistischer Entwicklungen, u. a. im Bereich der Dissonanzbehandlung. Mit der Entstehung der Dur-Moll-Tonalität werden Intervallfortschreitungen über die überlieferten kontrapunktischen Prinzipien hinaus außerdem so organisiert, dass sie eine Dur- oder Molltonart zum Ausdruck bringen.

Kontrapunkt als Stilbegriff

Angesichts seines Ursprungs als Lehre des Note-gegen-Note-Satzes schließt Kontrapunkt Homophonie keineswegs aus. Die heute verbreitete Verwendung von ‚kontrapunktisch‘ im Sinne von ‚polyphon‘ stammt aus dem 19. Jahrhundert:[5]

„Kontrapunkt, eine aus dem Lateinischen […] hergenommene Benennung für polyphone Schreibart, d. h. solche, die zwei oder mehr melodisch ausgebildete Stimmen gleichzeitig mit einander verbindet und fortführt, wie z. B. in der Fuge und anderen Kunstformen. […]. Bestimmter verstehen wir darunter […] den Satz, welcher zwei oder mehr wahrhaft selbständige (nach den Grundsätzen der Melodik ausgebildete) Stimmen mit einander verbindet.“

Adolf Bernhard Marx: Encyclopädie der gesammten musikalischen Wissenschaften oder Universal-Lexicon der Tonkunst Bd. 4. Stuttgart 1837, S. 188 f.

Allerdings wurde das Wort schon ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts als Stilbegriff verwendet, im Hinblick auf die Kirchenmusik des späten 16. Jahrhunderts und insbesondere auf die Musik von Giovanni Pierluigi da Palestrina.[6] Entscheidend verstärkt wurde diese Tendenz durch das Lehrwerk Gradus ad Parnassum von Johann Joseph Fux (1725), das die Pflege dieses Stils bezweckt.

Im 19. Jahrhundert wurde außer dem Palestrina-Stil auch die Musik von Johann Sebastian Bach zu einem Gipfelpunkt von ‚Kontrapunkt‘ stilisiert. In ihr sah Ernst Kurth die Idee eines „linearen Kontrapunkts“ optimal verwirklicht, bei dem „der Wille zur Linienstruktur, der horizontale Entwurf […] immer das Primäre und der tragende Grundzug“ sei.[7]

Gattungskontrapunkt

Zu Übungszwecken wurde oft versucht, beim Improvisieren oder Komponieren eines Kontrapunkts zu einem Cantus firmus bestimmte rhythmische Muster in dieser Gegenstimme konsequent beizubehalten.[8] Diesen Ansatz hat Johann Joseph Fux in seiner Kompositionslehre Gradus ad Parnassum (1725) zu einem Parcours aus fünf sogenannten „species“ oder „Gattungen“ systematisiert. Dieser Aufbau erlaubt es u. a., verschiedene Formen der Dissonanzbehandlung Schritt für Schritt einzuführen:

  • 1. Gattung: Note gegen Note
  • 2. Gattung: Zwei Noten gegen eine
Einführung der Durchgangsnote
  • 3. Gattung: Vier Noten gegen eine
Einführung der Fuxschen Wechselnote und der halbschweren Durchgangsnote
Einführung der Synkopendissonanz
  • 5. Gattung („contrapunctus floridus“, der „blühende Kontrapunkt“): gemischte Notenwerte

Der Cantus firmus besteht hierbei stets aus ganzen Noten. Das Verfahren wird von der Zweistimmigkeit bis zur Vierstimmigkeit gesteigert, wobei der Cantus firmus in jeder Stimme liegen kann. Allerdings ist in der Regel stets nur eine Stimme im Sinne einer Gattung organisiert:

Beispiel: 4. Gattung in der Dreistimmigkeit mit Cantus firmus in der Oberstimme:[9] <score vorbis="1"> \new ChoirStaff <<

  \new Staff <<
   \set Score.tempoHideNote = ##t
   \tempo 2 = 88
   \time 2/2
   \set Score.skipBars = ##t
        \relative c'
        { d1^"Cantus firmus" f e d g f a g f e \override NoteHead.style = #'baroque d\breve \bar "||" }
         >>
   \new Staff <<
             \clef "bass"
             \relative c { d1 d' g, g b a f c' a g \override NoteHead.style = #'baroque fis\breve }
    >>
   \new Staff <<
             \clef "bass"
             \relative c { r1 r2 d ~ d c ~ c b ~ b e ~ e d ~ d f ~ f e ~ e d ~ d cis \override NoteHead.style = #'baroque d\breve }
    >>
>>

</score> Fuxʼ Konzept des Gattungskontrapunkts beeinflusst die Kontrapunktdidaktik bis heute. Zahlreiche spätere Musiktheoretiker haben es übernommen, so u. a. Johann Georg Albrechtsberger, Luigi Cherubini, Heinrich Bellermann, Heinrich Schenker und Knud Jeppesen.

Doppelter und mehrfacher Kontrapunkt

Doppelter Kontrapunkt bezeichnet im allgemeinen Sinne die besondere Beschaffenheit eines zweistimmigen Satzes, aus dem durch Versetzung einer der Stimmen ein weiterer kontrapunktisch gültiger Satz abgeleitet werden kann.[10] Doppelter Kontrapunkt der Sexte liegt z. B. vor, wenn eine der Stimmen einer zweistimmigen Kombination um eine Sexte versetzt werden kann:

Beispiel: Camillo Angleria: La regola del contraponto della musical compositione. Mailand 1622, S. 97: <score vorbis="1"> \new ChoirStaff <<

  \new Staff <<
   \set Score.tempoHideNote = ##t
   \tempo 2 = 88
   \time 4/2
   \override Staff.TimeSignature.transparent = ##t
   \hide Staff.BarLine
   \set Score.skipBars = ##t
        \relative c
        { r2 f2. e4 d c b a g2 c a d2. e4 f g a2. g4 f2 e d cis1 d \undo \hide Staff.BarLine \bar "||" }
         >>
   \new Staff <<
             \clef "bass"
             \override Staff.TimeSignature.transparent = ##t
             \hide Staff.BarLine
             \relative c { d1 f g a bes a f g a \undo \hide Staff.BarLine d, }
    >>
>>

</score>

<score vorbis="1"> \new ChoirStaff <<

  \new Staff <<
   \set Score.tempoHideNote = ##t
   \tempo 2 = 88
   \time 4/2
   \override Staff.TimeSignature.transparent = ##t
   \hide Staff.BarLine
   \set Score.skipBars = ##t
        \relative c
        { r2 a2. g4 f e d c b2 e c f2. g4 a b c2. b4 a2 g f e1 fis \undo \hide Staff.BarLine \bar "||" }
         >>
   \new Staff <<
             \clef "bass"
             \override Staff.TimeSignature.transparent = ##t
             \hide Staff.BarLine
             \relative c { d1 f g a bes a f g a \undo \hide Staff.BarLine d, }
    >>
>>

</score>

Meist wird der Begriff doppelter Kontrapunkt aber in einem engeren Sinne für umkehrbaren Kontrapunkt verwendet. Hierbei gerät die Tonfolge der Oberstimme durch die Versetzung in die Unterstimme und umgekehrt. Die gängigsten Formen des umkehrbaren doppelten Kontrapunkts sind der doppelte Kontrapunkt der Oktave, der Duodezime und der Dezime. Die satztechnischen Bedingungen, die dabei einzuhalten sind, werden traditionell aus Tabellen abgeleitet, die zeigen, wie sich die Intervalle durch die Versetzung verändern.[11]

So zeigt die Tabelle für den doppelten Kontrapunkt der Oktave:

Intervall in der Ausgangskombination 1 2 3 4 5 6 7 8
Intervall nach Versetzung 8 7 6 5 4 3 2 1

dass Quinten durch die Versetzung zu Quarten werden. Daraus folgt, dass ein zweistimmiger Satz die Bedingungen des doppelten Kontrapunkts der Oktave erfüllt, wenn die Quinte dort behandelt wird, als sei sie eine Dissonanz.

Die Tabelle für den doppelten Kontrapunkt der Duodezime zeigt u. a., dass hier die Sexte wie eine Dissonanz behandelt werden muss, da sie in der Verkehrung zur Septime wird:

Intervall in der Ausgangskombination 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
Intervall nach Versetzung 12 11 10 9 8 7 6 5 4 3 2 1

Beispiel: Wolfgang Amadeus Mozart: Requiem, Kyrie:

<score vorbis="1"> \new PianoStaff <<

  \new Staff <<
   \set Score.tempoHideNote = ##t
   \time 4/4
   \tempo 4 = 96
   \set Score.currentBarNumber = #49
           \relative c' { \bar "" r1^"Alt" r8 e e e f16 g f e f g e f g a g f g a f g a8 bes16 a g f e d cis8 e a g f s4. \bar "||" \set Score.currentBarNumber = #64 s2 c'4.^"Sopran" c8 a4 d e,4. e8 f4 r8 f g4. f16 g a8 g16 a bes8 a16 bes c8 bes a g fis4 \bar "||" }
             \addlyrics { "3" _ _ "3" "4" "3" "2" }
         >>

<<

   \new Staff = "staff" {
   \new Voice = "bass" {
   \clef bass
          \relative c' { a4._"Bass" a8 f4 bes cis,4. cis8 d4 r8 d e4. d16 e f8 e16 f g8 f16 g a8 g f e d s4. \bar "||" s2 s2_"Bass" s2 r8 c c c d16 e d c d e c d e f e d e f d e f8 g16 f e d c bes a8 c f es d}
    }
   }
   \new Lyrics \with { alignAboveContext = "staff" } {
     \lyricsto "bass" { _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ "10" _ _ "10" "9" "10" "11" }
   }
    >>
>>

</score>

Gegenüber dem Abschnitt in T. 49 f. erscheint ab T. 64 die Melodie des Basses eine Dezime höher im Sopran und die Melodie der Altstimme eine Dezime tiefer im Bass. Dadurch ändern sich die vertikalen Intervalle so, wie wenn nur der Bass eine Duodezime nach oben oder nur die Oberstimme eine Duodezime nach unten versetzt worden wäre.

Mehrfacher (dreifacher, vierfacher, …) Kontrapunkt der Oktave liegt vor, wenn alle Stimmen eines Satzes mit entsprechender Stimmenzahl durch Oktavierung beliebig vertauscht werden können.

Beibehaltener Kontrapunkt

Im Hinblick auf Fugen ist von einem beibehaltenen Kontrapunkt oder Kontrasubjekt die Rede, wenn das Fugenthema wiederholt von der (bis auf kleine Veränderungen) gleichen Gegenstimme kontrapunktiert wird. Wenn der beibehaltene Kontrapunkt sowohl ober- als unterhalb des Themas erklingt, ist doppelter Kontrapunkt im Spiel.

Im folgenden Beispiel (Johann Sebastian Bach: Das Wohltemperierte Klavier Band 1, Fuge in c-Moll (BWV 847, T. 2–3 und T. 7–8) ist das Thema rot und der beibehaltene Kontrapunkt blau eingefärbt. Die Kombination beider Stimmen erfüllt die Bedingungen des doppelten Kontrapunkts der Oktave: <score raw="1" vorbis="1"> \version "2.14.2" \header {

 tagline = ##f
       }

upper = \relative c {

 \key c \minor
 \override Staff.TimeSignature.transparent = ##t
 \tempo 4 = 88
      <<
        {
          \voiceOne
          r8 \override NoteHead.color = #red \override Stem.color = #red \override Beam.color = #red \override Accidental.color = #red g16 fis g8 c, es g16 fis g8 a d, g16 fis g8 a c,16 d es4 d16 c bes8
        }
        \new Voice {
          \voiceTwo
          s16 \override NoteHead.color = #blue \override Stem.color = #blue \override Beam.color = #blue \override Accidental.color = #blue c b a g f es d c8 es' d c bes a bes c fis, g a fis g4
        }
      >>
               }

\score {

   \new Staff = "upper" \upper
 \layout {
   \context {
     \Score
     \remove "Metronome_mark_engraver"
   }
 }
 \midi { }

} </score>

<score raw="1" vorbis="1"> \version "2.14.2" \header {

 tagline = ##f
       }

upper = \relative c {

 \clef treble
 \override Staff.TimeSignature.transparent = ##t
 \key c \minor
 \tempo 4 = 88
      <<
        {
          \voiceOne
          \override NoteHead.color = #blue \override Stem.color = #blue \override Beam.color = #blue \override Accidental.color = #blue f8 es16 d c bes as g f8 as' g f es d es f b, c d b c
        }
        \new Voice {
          \voiceTwo
          c4 r r8 f es d r as g f g f16 es f8 d g4
        }
      >>
               }

lower = \relative c' {

 \clef bass
 \override Staff.TimeSignature.transparent = ##t
 \key c \minor
        {
          \voiceOne
          r8 \override NoteHead.color = #red \override Stem.color = #red \override Beam.color = #red \override Accidental.color = #red c16 b c8 g as c16 b c8 d g, c16 b c8 d f,16 g as4 g16 f es
        }

}

\score {

 \new PianoStaff <<
   \new Staff = "upper" \upper
   \new Staff = "lower" \lower
 >>
 \layout {
   \context {
     \Score
     \remove "Metronome_mark_engraver"
   }
 }
 \midi { }

} </score>

Siehe auch

Literatur

-- chronologisch --

  • Johannes Tinctoris: Liber de arte contrapuncti (Hs.) 1477.
  • Johann Joseph Fux: Gradus ad Parnassum […]. Wien 1725.
  • Johann Joseph Fux: Gradus ad Parnassum […] ins Teutsche übersetzt […] von Lorenz Christoph Mizler. Leipzig 1742, Reprint Hildesheim 1984.
  • Friedrich Wilhelm Marpurg: Abhandlung von der Fuge […]. Bd. 1. Berlin 1753 (Digitalisat).
  • Adolf Bernhard Marx: Encyclopädie der gesammten musikalischen Wissenschaften oder Universal-Lexicon der Tonkunst Bd. 4. Stuttgart 1837 (Digitalisat).
  • Heinrich Bellermann: Der Contrapunkt. Berlin 1862.
  • Ernst Kurth: Grundlagen des linearen Kontrapunkts. Einführung in Stil und Technik von Bachʼs melodischer Polyphonie. Dreschel, Bern 1917 (Digitalisat).
  • Knud Jeppesen: Kontrapunkt. Lehrbuch der klassischen Vokalpolyphonie. Leipzig 1956.
  • Klaus-Jürgen Sachs: Der Contrapunctus im 14. und 15. Jahrhundert. Untersuchungen zum Terminus, zur Lehre und zu den Quellen. Franz Steiner, Stuttgart 1974, ISBN 3-515-01952-9.
  • Diether de la Motte] Kontrapunkt. Ein Lese- und Arbeitsbuch. Kassel und München 1981, ISBN 3-423-30146-5.
  • Klaus-Jürgen Sachs: Contrapunctus / Kontrapunkt. In: Handwörterbuch der musikalischen Terminologie. Bd. 2, hrsg. von Hans Heinrich Eggebrecht und Albrecht Riethmüller, Schriftleitung Markus Bandur, Steiner, Stuttgart 1982 (Digitalisat).
  • Klaus-Jürgen Sachs: Die Contrapunctus-Lehre im 14. und 15. Jahrhundert. In: Hans Heinrich Eggebrecht / F. Alberto Gallo / Max Haas / Klaus-Jürgen Sachs: Die mittelalterliche Lehre von der Mehrstimmigkeit. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1984, S. 161–256.
  • Claus Ganter: Kontrapunkt für Musiker. Die Gestaltungsprinzipien der Vokal und Instrumentalpolyphonie […]. München und Salzburg 1994.
  • Christoph Hohlfeld, Reinhard Bahr: Schule des musikalischen Denkens. Der Cantus-firmus-Satz bei Palestrina. Wilhelmshaven 1994.
  • Thomas Daniel: Kontrapunkt. Eine Satzlehre zur Vokalpolyphonie des 16. Jahrhunderts. Köln 1997, ISBN 3-925366-43-1.
  • Ian Bent: Steps to Parnassus: Contrapuntal theory in 1725, precursors and successors. In: Thomas Christensen (Hrsg.): The Cambridge History of Western Music Theory. Cambridge University Press, Cambridge 2002, ISBN 978-0-521-62371-1, S. 554–602.
  • Peter Schubert, Christoph Neidhöfer: Baroque counterpoint. Pearson Prentice Hall, Upper Saddle River 2006, ISBN 978-0-13-183442-2.
  • Peter Schubert: Modal Counterpoint, Renaissance Style. 2. Auflage. Oxford University Press, New York / Oxford 2008, ISBN 978-0-19-533194-3.
  • Johannes Menke: Kontrapunkt I: Die Musik der Renaissance. Laaber-Verlag, Laaber 2015, ISBN 978-3-89007-825-0.
  • Johannes Menke: Kontrapunkt II: Die Musik des Barock. Laaber-Verlag, Laaber 2017, ISBN 978-3-89007-826-7.

Weblinks

 Wiktionary: Kontrapunkt – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Sachs 1984, S. 180.
  2. Tinctoris 1477, Buch 2, Kap. 23.
  3. Tinctoris 1477, Buch 2, Kap. 32.
  4. Siehe Tinctoris: Proportionale musices, um 1472–1475 (online).
  5. Sachs 1982, S. 32 f.
  6. Sachs 1982, S. 30.
  7. Kurth 1917, S. 98.
  8. Siehe Bent 2002.
  9. Fux 1725, S. 108.
  10. Schubert 2008, S. 186: „Double counterpoint is the broad term for making a new combination out of an original. We maintain the same melodies, in the same temporal relationship, but we transpose one or both. Invertible counterpoint is a special case of double counterpoint in which the relative positions of the parts are reversed.“
  11. Siehe z. B. Marpurg 1753, S. 166.


Dieser Artikel basiert (teilweise) auf dem Artikel Kontrapunkt aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Lizenz Creative Commons Attribution/Share Alike. In Wikipedia ist eine Liste der Autoren verfügbar.