Kinderheirat: Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 2. August 2017, 07:29 Uhr

Kinderheirat (auch Kinderehe) bezeichnet die Heirat einer Person vor Erreichen des zulässigen Heiratsalters oder vor Erreichen der Ehemündigkeit.

Die meisten Länder sehen ein Mindestalter für Eheschließungen vor, doch werden in einigen traditionellen Gesellschaften die gesetzlichen Bestimmungen oft nicht eingehalten. Verheiratungen im Kindesalter, also vor Erreichen der offiziellen Ehemündigkeit und in Extremfällen sogar vor Beginn der Pubertät, sind bei Mädchen stärker verbreitet als bei Jungen.[1] Gründe für eine Kinderheirat können sein, dass Eltern ihre Tochter als Jungfrau verheiraten wollen, oder dass die Familie die Lebenshaltungskosten der Tochter möglichst früh einsparen will, denn diese werden vom Ehemann getragen, sobald die Ehefrau in seinen Haushalt zieht. Armut ist einer der wichtigsten treibenden Faktoren für Kinderehen.[2]

Davon abzugrenzen ist die Kinderverlobung, mit der Eltern für ihre Kinder schon im Alter von sechs Jahren oder noch früher Ehen „arrangieren“, die dann bei Erreichen des offiziellen Mindestalters oder später geschlossen werden, manchmal auch als Zwangsheirat. Eine Zwangsheirat bedeutet Heirat gegen den Willen eines oder beider Heiratenden.

Verbreitung

Welt

Mehr als 40.000 Mädchen werden weltweit pro Tag vor ihrem 18. Geburtstag verheiratet.[3] Mehr als 700 Millionen der heute lebenden Frauen wurden vor ihrem 18. Geburtstag verheiratet, etwa 250 Millionen sogar vor ihrem 15. Lebensjahr.[4] Kinderehen gibt es auf der ganzen Welt: auf jedem Kontinent, in jeder Kultur und in jeder Religion.[5]

Europa

Kinderehen waren in Europa lange Zeit üblich, wobei vor allem Mädchen früh verheiratet wurden.[6] Der Codex Iuris Canonici der katholischen Kirche sieht für die Ehe ein Mindestalter von 14 Jahren bei Mädchen und von 16 Jahren bei Jungen vor (Canon 1083, §1), empfiehlt aber in Canon 1072 das regional übliche Mindestalter („Die Seelsorger haben darum besorgt zu sein, daß Jugendliche von der Eheschließung abgehalten werden, solange sie nicht jenes Alter erreicht haben, in welchem die Ehe nach Landessitte geschlossen zu werden pflegt.“) und erlaubt es in Canon 1083, §2 den Bischofskonferenzen, „ein höheres Alter festzulegen“.[7] Die gesetzlichen Bestimmungen sind je nach Land unterschiedlich, ein Mindestalter von mindestens 16 Jahren ist allerdings mittlerweile üblich. In der griechischen Region Thrakien durften 2005 muslimische Mädchen bereits mit zehn Jahren verheiratet werden; das garantierte ein Sonderrecht.[8] Der den griechischen Kinderheiraten zugrundeliegende Vertrag von Lausanne (1923) bzw. bereits der drei Jahre ältere Vertrag von Sèvres (1920) hatte die Scharia ins griechische Familienrecht implementiert.

Nordamerika

In den USA ist das Mindestalter für Ehen je nach Bundesstaat unterschiedlich geregelt. In Massachusetts und Kansas liegt das Mindestalter bei 12 Jahren, in New Hampshire bei 13 Jahren und in einigen anderen Staaten bei 14 Jahren.[9][10]

Islamische Länder

Gesetzlich ist in den meisten islamischen Staaten eine Heirat mit Minderjährigen untersagt, und das Mindestheiratsalter für Mädchen liegt bei 16 bis 18 Jahren und für Jungen bei 18 Jahren.[11]

Nach den Bestimmungen orthodoxer islamischer Rechtsschulen dürfen Mädchen ab neun Jahren heiraten. Diese Rechtsschulen orientieren sich an der Ehe des Propheten Mohammeds mit seiner dritten Frau Aischa, die nach islamischer Überlieferung (Hadith) zum Zeitpunkt des Eheschließungsvertrages sechs Jahre und bei der Hochzeit neun Jahre alt gewesen sein soll. Bei Muslim ibn al-Haddschādsch heißt es als Aussage von Aischa: „Der Gesandte Gottes, Gottes Segen und Heil sei auf ihm, heiratete mich (tazawwaǧanī), als ich sechs (Jahre) war. Er führte mich in sein Haus (banā bī), als ich ein Mädchen von neun Jahren war.“[12] Es wird angenommen, dass die Ehe mit neun Jahren auch vollzogen wurde.

Die Heirat mit jungen Mädchen tritt insbesondere in ländlich-traditionellen Gegenden auf und wird dort von Traditionalisten als Sunna (nach dem prophetischen Vorbild) angesehen. Gründe für diese frühe Verheiratung können wirtschaftliche Nöte oder die Sorge um den Erhalt des guten Rufes der Familie sein.[13]

Bezüglich der Türkei stellte 2008 die UNDP-Studie „Human Development Report – Youth in Turkey“ fest, dass vor allem in ländlichen Gebieten die Furcht vor der Verletzung der Ehre eines Mädchens häufig die Grundlage für Kinderheiraten und sogar für Ehrenmorde ist.[14]

Im Jemen wurde 1999 das Schutzalter, welches das Erreichen der Einwilligungsfähigkeit für sexuelle Handlungen festlegt, von 15 Jahren auf den Beginn der Pubertät gesenkt; in der Regel versteht man dort darunter ein Alter von neun Jahren.[15] Es kommen aber auch Ehen mit noch jüngeren Mädchen vor, die auch vollzogen werden. Für Aufsehen sorgte im April 2008 der Fall eines damals achtjährigen jemenitischen Mädchens Nojoud Ali, das vor Gericht die Scheidung von ihrem 22 Jahre älteren Mann durchsetzte, mit dem sie gegen ihren Willen verheiratet worden war. Allerdings musste sie ihrem Ex-Mann dafür eine Entschädigung von umgerechnet 500 Dollar bezahlen.[16]

In Saudi-Arabien wurde im August 2008 der Fall einer Zwangsheirat zwischen einem minderjährigen Mädchen und einem 75-jährigen Scheich bekannt. Ein Berater des Justizministeriums in Saudi-Arabien forderte, den Vater des minderjährigen Mädchens vor Gericht zu stellen.[17]

Auf ähnliche Verhältnisse in Afghanistan machte 2007 das „UNICEF-Foto des Jahres“ aufmerksam, es zeigte einen 40-jährigen Afghanen neben seiner 11-jährigen Braut.[18] Der Dokumentarfilm von Nima Sarvestani Ich war 50 Schafe wert prangerte 2010 anhand mehrerer Einzelschicksale den Handel mit Mädchen und ihre Zwangsverheiratung in Afghanistan an.[19] Im Paschtunwali, dem Rechts- und Ehrenkodex der Paschtunen (größter Volksstamm Afghanistans), ist Kinderheirat erlaubt (auch Gruppenvergewaltigung als Strafaktion).[20]

Südasien

In Südasien ist die Kinderheirat vor allem in ländlichen Bereichen nach wie vor verbreitet, obwohl sie gesetzlich verboten ist. Ein gesetzliches Verbot der Kinderheirat war ein Anliegen vieler indischer Sozialreformer wie Ram Mohan Roy, Ishwar Chandra Vidyasagar und Mahatma Gandhi. Bereits 1929 wurde mit dem Child Marriage Restraint Act ein Gesetz verabschiedet, das für Mädchen ein Heiratsalter von mindestens 18 Jahren und für Jungen von 21 Jahren vorschreibt.[21]

Nach Angaben des Rapid Household Survey, der in ganz Indien durchgeführt wird, wurden im Bundesstaat Bihar 58,9 % der Frauen vor Erreichen des 18. Lebensjahrs verheiratet, in Rajasthan 55,5 %, in Westbengalen 54,9 %. Die niedrigsten Raten weisen Jammu und Kashmir (hoher Anteil muslimischer Bevölkerung) mit 3,4 %, Himachal Pradesh mit 3,5 % und Goa mit 4,1 % auf. In Kerala trifft dies auf 10 % zu.[22] Die ökonomisch unterentwickelten Bundesstaaten in Nordindien weisen somit deutlich höhere Raten auf.

Siehe auch

Literatur

Weblinks

  • Helmut Lukas, Vera Schindler, Johann Stockinger: Kinderheirat. In: Interaktives Online-Glossar: Ehe, Heirat und Familie. Institut für Kultur- und Sozialanthropologie, Universität Wien, 1997, abgerufen am 7. Oktober 2014 (vertiefende Anmerkungen, mit Quellenangaben).
  • Kinderehen - fünf Fragen - fünf Antworten. In: Blog der Stiftung Weltbevölkerung. Abgerufen am 21. Juli 2015.

Einzelnachweise

  1. UNICEF-Bericht: Ending Child Marriage - Progress and prospects., 2014, abgerufen am 21. Juli 2015.
  2. Artikel: Kinderehen - fünf Fragen - fünf Antworten., Stiftung Weltbevölkerung, abgerufen am 21. Juli 2015.
  3. Webseite: Heiraten ist kein Kinderspiel., Stiftung Weltbevölkerung, abgerufen am 21. Juli 2015.
  4. UNICEF-Bericht: Ending Child Marriage - Progress and prospects., 2014, abgerufen am 21. Juli 2015.
  5. Artikel: Kinderehen - fünf Fragen - fünf Antworten., Stiftung Weltbevölkerung, abgerufen am 21. Juli 2015.
  6. Erwin J. Haeberle: Die Sexualität des Menschen. Handbuch und Atlas. 2., erweiterte Auflage. Gruyter, Berlin, 1985, Kapitel 11.1.1: Die Geschichte der Ehe im Abendland (online auf hu-berlin.de; original 1978: The Sex Atlas).
  7. St. John Chrysostom, Philip Schaff (Hrsg.): Homily XVI: Rm IX. 1. — “I say the truth in Christ, I lie not”. In: Homilies On The Epistle To The Romans. 1889 (englisch; online auf clerus.org).
  8. Uta Keseling: Das verheiratete Kind. 25. Februar 2005, abgerufen am 6. Oktober 2014.
  9. Paul Salopek: Early Marriage Survives in the U.S. In: Chicago Tribune. 12. Dezember 2004, abgerufen am 7. Oktober 2014.
  10. Vgl. State-by-State Marriage "Age of Consent" Laws, abgerufen am 6. Dezember 2015.
  11. Institut für Islamfragen: Pressemitteilung zu Heiratsalter und Zwangsheirat in islamischen Ländern. Saudi-Arabien: 60-Jähriger will 10-jähriges Mädchen heiraten. Evangelische Allianzen in Deutschland, Österreich, Schweiz, Bonn 24. Juli 2008, abgerufen am 7. Oktober 2014.
  12. Muslim: Ṣaḥīḥ. Band 2, Edition Muḥammad Fuʾād ʿAbd al-Bāqī, Kairo 1955, S. 1038: Nr. 1422 (69); siehe dort auch S. 1039: Nr. 70–73.
  13. Institut für Islamfragen: Heiratsalter. Evangelische Allianzen in Deutschland, Österreich, Schweiz, Bonn 2013, abgerufen am 13. September 2013.
  14. United Nations Development Programme: Turkey 2008 – Human Development Report – Youth in Turkey. Human Development Report (HDR), 2008, S. 45 (PDF-Datei; 1,7 MB, 148 Seiten).
  15. Human Rights Watch: Yemen: Human Rights Developments. In: World Report 2001, abgerufen am 13. September 2013.
  16. Frederik Obermaier: Zwangsehen im Jemen: Acht Jahre alt und geschieden. In: Süddeutsche.de. 16. April 2008, abgerufen am 13. September 2013.
  17. Artikel: Braut in Saudi-Arabien: Widerstand gegen Kinderehe. (Memento vom 14. September 2008 im Internet Archive) In: n-tv.de. 25. August 2008, abgerufen am 13. September 2013.
  18. Preisträger: UNICEF Foto des Jahres 2007 – 1. Preis für Stephanie Sinclair „Kinderbräute“. In: unicef – Photo of the Year – international Award. Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, 17. Dezember 2007, abgerufen am 13. September 2013.
  19. Nima Sarvestani: Ich war 50 Schafe wert – Mädchenhandel in Afghanistan. Schweizer Radio und Fernsehen, Schweiz 2010 (53 Min.; Dokumentarfilm über Mädchenhandel und Zwangsheirat anhand von Einzelschicksalen; Vorlage:Youtube).
  20. Institut für Islamfragen: Pressemitteilung zur Situation der Menschenrechte in Afghanistan – Menschenrechte am Hindukusch: Afghanische Frauen sind „zweitrangig“. Evangelische Allianzen in Deutschland, Österreich, Schweiz, Bonn 11. April 2012, abgerufen am 13. September 2013.
  21. Child Marriage Restraint Act, 1929
  22. Indiatimes: Compulsory Registration of Marriages


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