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Epidemiologie

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Die Epidemiologie (von griech. ἡ νούσος επιδημια epidēmíā nósos „Epidemie, Volkskrankheit“,[1] wörtlich „über das ganze Volk verbreitete Krankheit“, und -logie) ist jene wissenschaftliche Disziplin, die sich mit der Verbreitung sowie den Ursachen und Folgen von gesundheitsbezogenen Zuständen und Ereignissen in Bevölkerungen oder Populationen beschäftigt. Das unterscheidet die Epidemiologie von der klinischen Medizin, bei der es darum geht, einem einzelnen Menschen in einem konkreten Krankheitsfall zu helfen. Auch wenn sich bereits zuvor einzelne Mediziner mit der Verbreitung und den Ursachen von Krankheiten beschäftigt haben, wird der Beginn der Epidemiologie allgemein auf die Mitte des 19. Jahrhunderts datiert.

Zwei der wichtigsten Beobachtungsgrößen für das Auftreten und die Verbreitung von Krankheiten in einer Population sind die Inzidenz und die Prävalenz. Die Epidemiologie untersucht weiter die Faktoren, die zu Gesundheit und Krankheit von Individuen und Populationen beitragen, und legt damit die quantitative Basis vieler Maßnahmen, die im Interesse der Gesundheit der Bevölkerung unternommen werden. Epidemiologische Methoden bilden die Grundlage klinischer Studien. Epidemiologische Untersuchungen spielen auch in der Soziologie und Psychologie eine Rolle, z. B. bei Verhaltensstörungen, Autismus und Selbsttötungen. So können Zusammenhänge mit der Verbreitung dieser Erscheinungen erfasst und ggf. beeinflusst werden. Die Veterinärepidemiologie oder Epizootiologie untersucht die Verbreitung von Krankheiten in Tierpopulationen.

„Epidemisch nennt man eine zu derselben Zeit in derselben Gegend besonders häufige Krankheit. Das Gegentheil davon bilden die sporadischen Krankheiten.“[1]Diese alte Definition der Epidemie von Hippokrates (zitiert nach Galenos von Pergamon) gilt nicht mehr für die heutige Epidemiologie. Hier wird die Häufigkeit aller Krankheiten analysiert.

Tätigkeiten der Epidemiologie

Epidemiologische Untersuchungen sind generell in beschreibende, analytische und experimentelle Tätigkeiten unterteilt. Die Epidemiologie befasst sich heute mit allen Arten von Krankheiten und mit den Faktoren, die Gesundheit und Krankheit beeinflussen, und nicht mehr nur mit Epidemien[2] als zeit­lich und räum­lich be­grenz­te Zu­nahme des Vor­kom­mens v. a. von Infektionskrankheiten.[3] Der veraltete Begriff Loimologie für Infektionsepidemiologie bzw. Seuchenlehre legte diese Begrenzung ebenfalls nahe.[4]

Der Epidemiologe leistet praktische Arbeit in der Untersuchung einer Epidemie, von Umwelteinflüssen und in der Gesundheitsförderung. Theoretische Aspekte sind statistische Erfassung von Krankheiten und deren Auslösern, die Entwicklung mathematischer Modelle und Methoden (→ Mathematische Modellierung der Epidemiologie) sowie die Klärung [[Phiphilosophischer und ethischer Aspekte. Um dies zu erreichen, wird mit beobachtenden oder experimentellen Studien gearbeitet. So können zum Beispiel Beziehungen zwischen möglichen Ursachen wie Ernährung, sozialem Status, Stress und Umweltchemikalien sowie Folgen wie Krankheit und Wohlbefinden objektiv festgehalten werden.

Mathematische Modelle sind sehr wichtig, um die Wahrscheinlichkeit von zukünftigen Epidemien und deren Verlauf zu bestimmen. Ebenso helfen sie bei der Planung der Impfkampagnen. Siehe dazu auch .

Teilgebiete

Auflistung der Arbeitsgruppen der Dt. Ges. für Epidemiologie (DGEpi): Infektionsepidemiologie, Epidemiologie allergischer und dermatologischer Erkrankungen, Epidemiologie der Arbeitswelt, Epidemiologische Methoden, Ernährungsepidemiologie, Genetische Epidemiologie, Herz-Kreislauf-Epidemiologie, Krebsepidemiologie, Statistische Methoden in der Epidemiologie, Umweltmedizin. Weitere Teilgebiete sind die Oralepidemiologie, die Pharmakoepidemiologie und die Sozialepidemiologie.

Epidemiologische Kennzahlen

Prävalenz

Die Prävalenz (von lat. praevalēre „sehr stark sein“) oder Krankheitshäufigkeit gibt an, welcher Anteil einer Population gegebener Größe zu einem bestimmten Zeitpunkt erkrankt ist (die sog. Punktprävalenz). Sie wird in der Regel aufgrund von Stichproben abgeschätzt. Bei zeitlich enger begrenzten Erkrankungen, wie beispielsweise einer Grippewelle, ist oft die auf einen bestimmten Zeitraum, etwa „die letzten sieben Tage“, bezogene Periodenprävalenz zu bevorzugen.

Inzidenz

Die Inzidenz (von lat. incidere „vorfallen“) gibt an, wie viele Menschen in einem bestimmten Zeitraum neu erkranken und unterscheidet sich dadurch von der Prävalenz. Im einfachsten Fall wird sie durch die Anzahl der Neuerkrankungen ausgewiesen, die in einem Jahr pro 100.000 Menschen auftreten. In der COVID-19-Pandemie wird häufig eine Sieben-Tage-Inzidenz (auch 7-Tages-Inzidenz) als Richtwert verwendet. Ab einem Wert von 50 werden entsprechende Schutzmaßnahmen verordnet bzw. verschärft.

Risiko

Zur Risikoabschätzung dient die kumulative Inzidenz (eng. cumulative incidence, CI). Sie gibt die Anzahl der Menschen an, die in einer definierten Zeitspanne mindestens einmal von der Krankheit betroffen werden, bezogen auf die Anzahl der gesunden Personen zu Beobachtungsbeginn.[5][6]

Die kummulative Inzidenz CI entspricht damit der Wahrscheinlichkeit, mit der eine Person im gegebenen Zeitraum erkrankt[7]. Dieses Risiko bzw. Inzidenzrisiko ist eine dimensionslose Zahl, die zwischen 0 und 1 liegt. Ist der Zeitraum nicht gesondert ausgewiesen, ist ein Jahr gemeint.

Mortalität

Die Inzidenz von Todesfällen wird Mortalität (von lat. mortalitas „Sterblichkeit“), Mortalitätsrate, Sterblichkeit oder Sterberate genannt.

Kontagiosität und Infektiosität

Ein Maß für die Überragungsfähigkeit eines Erregers auf den erregertypischen Infektionswegen ist die Kontagiosität. Sie wird u. a. durch die im Labor gemessene Anzahl neuer Pathogene pro Zelle ermittelt. Die Infektiosität gibt hingegen jenen Anteil an, bei dem es nach erfolgter Übertragung zu einer immunologisch nachweisbaren Infektion kommt. unabhängig davon ob diese in der Folge auch zu einer tatsächlichen Erkrankung führt. Dies wird durch den Manifestationsindex angegeben. Der Zeitraum zwischen der Infektion und dem Auftreten der ersten Symptome der manifesten Krankheit wird als Inkubationszeit (von lat. incubare „ausbrüten“) bezeichnet. Findet eine Immunisierung ohne Krankheitsausbruch oder Impfung statt, spricht man von einer stillen Feiung.

Im englischen Sprachraum - und daher auch in vielen wissenschaftlichen Veröffentlichungen - werden die Begriffe Kontagiosität (eng. contagiosity) und Infektiosität (eng. infectivity) in gleicher Bedeutung verwendet. Der Kontagiositätsindex oder Kontagionsindex (von lat. contagium „Ansteckung“ und index „Anzeiger“) gibt entsprechend den Anteil einer Population an, bei der es zu einer Infektion kommt. Er wird entweder in Prozent oder als Zahl zwischen 0 und 1 angegeben. So haben etwa Masern eine sehr hohe Kontagiosität von etwa 0,98 (98%)[8], während die Poliomyelitis (kurz „Polio“) bei 0,001 bis 0,003 (01-0,3 %) liegt.

Gruppen- oder Herdenimmunität

Eine Gruppen- oder Herdenimmunität tritt auf, wenn bereits ein großer Anteil einer Population bzw. Herde gegen einen spezifischen Erreger immunisiert ist, sei es durch eine überwundene Infektion oder durch Impfung. Durch diesen Herdeneffekt (eng.herd effect) wird indirekt auch der nicht-immunisierte Anteil der Population geschützt, da die Infektionskette unterbrochen und so die Verbreitung des Erregers eingedämmt wird. Die für einen Herdeneffekt notwendige minimale Herdenimmunität (eng. herd immunity threshold, HIT) lässt sich aus der Basisreproduktionszahl errechnen. Unter idealen Bedingungen gilt:

Da in der Praxis keine idealen Bedingungen vorliegen, ist die zur Erzielung der Herdenimmunität nötige minimale Durchimpfungsrate meist größer als . Zur Berechnung ist daher noch ein Effizienzfaktor für die Wirksamkeit der gesetzten Maßnahmen zu berücksichtigen:

Basisreproduktionszahl

Die in der Epidemiologie gebräuchliche Basisreproduktionszahl oder Grundvermehrungsrate gibt an, wieviele Mitglieder einer nicht immunisierten Population durchschnittlich von einer infizierten Person angesteckt werden. Sie beträgt z. B. bei Poliomyelitis 6, bei Masern 15[9], bei Covid-19 schätzungsweise 2,4 bis 3,3[10].

Nettoreproduktionszahl

Die Nettoreproduktionszahl berücksicht auch den bereits zu einem bestimmten Zeitpunkt immunisierten Anteil der Population und errechnet sich aus der Basisreproduktionszahl wie folgt:

Um die weitere epidemische Verbreitung eines Infekts zu verhindern und diesen langfristig ganz auszurotten, muss durch geeignete Schutzmaßnahmen auf einen Wert kleiner 1 gesenkt werden.

Endemie, Epidemie und Pandemie

Die Endemie ist das normale, übliche Auftreten einer bestimmten Krankheit in einer bestimmten Population. So ist ein gewisser Anteil von Grippe-Erkrankungen in der Bevölkerung üblich, und wird eine bestimmte Grenze überschritten – bei Grippe etwa 10 % – so spricht man von einer Epidemie. Aus der Definition der Endemie folgt also, dass die Epidemie das unüblich starke und zeitlich begrenzte Auftreten einer Krankheit ist.

Die Pandemie ist ebenso wie die Epidemie ein heftiger Ausbruch einer Krankheit, jedoch ist die Epidemie immer noch auf bestimmte Gebiete beschränkt. Pandemien sind dagegen länder- und kontinentübergreifend. Ihrer Vorbeugung und ggf. Eindämmung dient seit 1999 die Pandemieplanung der Weltgesundheitsorganisation (WHO)[11] und darauf aufbauend idealerweise jeweils je Staat ein nationaler Pandemieplan (vergl. Nationaler Pandemieplan für Deutschland).

Man beachte, dass für die Einordnung von Erkrankungen als Endemie, Epidemie oder Pandemie ausschließlich die Auftretenshäufigkeit ausschlaggebend ist und nicht der Verlauf oder die Schwere der Erkrankungen.

Epidemiologisches Beziehungsnetz

Die Epidemiologie betrachtet auch das soziale, geografische und ökonomische Umfeld von Erkrankungen, während sich die Medizin meistens nur auf unmittelbare Faktoren wie etwa Viren und Körperverletzungen beschränkt. In der Epidemiologie ist die alleinige Feststellung nicht ausreichend, dass der Erreger HI-Virus die Krankheit AIDS auslöst. Epidemiologen untersuchen das weitere Umfeld, in welchem jeder Zustand weitere Faktoren beeinflusst.

Zum Beispiel:

  • Hierzulande ermöglicht das Klima den Anbau von Lebensmitteln, was Mangelernährung verhindert. Sind die Menschen einmal mit guter Ernährung gesünder geworden, können sie öfter die Schule besuchen, anstelle krank zuhause zu bleiben.
  • Eine verbesserte Schulbildung kann für die Kinder zur Folge haben, dass sie als Erwachsene bessere Arbeitsplätze erhalten und mehr verdienen, was ihnen ermöglicht, bessere Gesundheitspflege zu empfangen oder in ein Gebiet zu ziehen, in welchem zum Beispiel keine Malaria vorkommt.
  • Eine kostenlose Gesundheitsversorgung für alle ermöglicht es den Eltern, den gesamten Nachwuchs pflegen zu lassen anstatt nur den ältesten Sohn, welcher in Zukunft den Betrieb des Vaters erben wird. Epidemiologen versuchen in Entwicklungsländern oft, die Gesundheitspflege so zu gestalten, dass die Familie als Ganzes möglichst produktiv bleibt.

Geschichte

Karte des Cholera-Ausbruchs, erstellt von Dr. Snow.
Polar-Area-Diagramm, mit dessen Hilfe Florence Nightingale die Todesursachen während des Krimkrieges darstellte:
blau: an Infektionskrankheiten Verstorbene
rot: an Verwundungen Verstorbene
schwarz: andere Todesursachen

Während der Pestepidemie 1483/84 erwies sich Konrad Schwestermüller (um 1450–1520), der Leibarzt von Johann Cicero von Brandenburg, als hervorragender Epidemiologe, der auch vom Mecklenburger Hof (unter den Herzögen Magnus und Balthasar) als Berater während der Epidemie von 1490/92 hinzugezogen wurde. Er verfasste 1484 eine auch an die gesamte Bevölkerung gerichtete, noch im 17. Jahrhundert von der städtischen Seuchenprophylaxe in Berlin berücksichtigte Pestschrift[12] zur Vorbeugung und differenzierten Behandlung der Seuche.[13]

Im frühen 18. Jahrhundert führte Giovanni Maria Lancisi (1654–1720), der in Rom als Leibarzt des Papstes wirkte, den Rückgang von diversen Erkrankungen – darunter Malaria – auf verbesserte Hygiene und die Trockenlegung von Sümpfen zurück. Dieser Rückgang der Infektionskrankheiten infolge von Hygienemaßnahmen wird auch als erster Epidemiologischer Übergang bezeichnet.

Der Beginn der modernen Epidemiologie wird jedoch auf die Mitte des 19. Jahrhunderts datiert: 1854 bekämpfte John Snow einen Cholera-Ausbruch im Londoner Soho-Bezirk erfolgreich, weil er aufgrund einer Kartierung der Erkrankungsfälle erkannte, dass eine öffentliche Wasserfassung die Infektionsquelle war. Er ließ den verschmutzten Brunnen sperren, die Zahl der Krankheitsfälle nahm danach signifikant ab.[14] Snows Erkenntnisse über die Ursache der Cholera, die er gemeinsam mit dem Arzt und Mikrobiologen Arthur Hill Hassall entwickelt hatte, wurden erst nach Snows Tod weit akzeptiert.[15] Maßgeblich beteiligt daran war unter anderem der britische Statistiker William Farr. Zum Umfeld von William Farr gehörte auch Florence Nightingale (1820–1910), die als eine der Begründerinnen der westlichen Krankenpflege gilt.[16] Sie stellte während des Krimkrieges in Scutari, dem zentralen britischen Militärhospital während dieses Krieges in der Selimiye-Kaserne, einen rudimentären Krankenhausbetrieb sicher und fand dabei unter anderem heraus, dass die Mehrzahl der britischen Opfer des Krimkrieges nicht auf Verwundungen, sondern auf Infektionskrankheiten zurückzuführen war. Den Ruhm, den ihr ihr Krimkrieg-Einsatz einbrachte, nutzte sie, um auf zahlreiche britische Gesundheitsreformen Einfluss zu nehmen. Auf Grund einer Erkrankung, die sie sich während des Krimkrieges zugezogen hatte, war sie außerstande, sich gegebenenfalls selbst ein Bild von der Situation in einer Kaserne, einem Kranken- oder Armenhaus zu machen. Sie konzentrierte sich daher darauf, Daten zu sammeln, diese aufzubereiten und zu analysieren, um dann daraus Schlüsse zu ziehen. Ein wesentliches Arbeitsmittel waren für sie Fragebögen, daneben griff sie auf bereits vorhandene Daten zurück, wie die als Blaubücher bezeichneten offiziellen Regierungsberichte sowie Stellungnahmen britischer Behörden.[17] Sie belegte unter anderem gravierende Probleme bei der militärischen Gesundheitsfürsorge: Obwohl britische Soldaten normalerweise zwischen 20 und 35 Jahre alt waren und damit einer Altersgruppe mit geringer Sterblichkeitsrate angehörten, wiesen sie in Friedenszeiten eine fast doppelt so hohe Sterblichkeitsrate wie Zivilisten auf. In ihrem Bericht an die britische Regierung fand Nightingale dafür deutliche Worte. Wenn jährlich von 1000 Zivilisten 11 sterben würden, aber 17, 19 und 20 von 1000 Soldaten der in England stationierten Linieninfanterie, Artillerie und Garde, dann sei das ähnlich kriminell wie jährlich 1100 Mann auf die Salisbury Plain zu führen und dort zu erschießen.[18] Florence Nightingale gilt als eine der Pionierin der grafischen Datenaufbereitung solcher Daten.

Andere Pioniere waren der dänische Arzt Peter Anton Schleisner, der 1849 daran arbeitete, die Tetanus-neonatorum-Epidemie auf den Westmännerinseln durch vorbeugende Maßnahmen zu beenden, und der ungarische Arzt Ignaz Semmelweis, der 1847 das oftmals tödliche Kindbettfieber durch Einführung konsequenter Hygienemaßnahmen abschaffte. Die Erkenntnisse von Semmelweis wurden von der Fachschaft nicht akzeptiert, denn damals galt die Annahme, dass es krankmachende Kleinstlebewesen – nämlich Bakterien – gebe, als lächerlich.

Die ersten Mediziner, die die Vorgehensweise der Epidemiologie nicht nur auf Infektionskrankheiten, sondern auf Krebserkrankungen anwendeten, waren gegen Ende der 1870er Jahre Walther Hesse und Friedrich Härting.[19] Walther Hesse wurde 1877 zum Bezirksarzt des Kreises Schwarzenberg im Erzgebirge ernannt. In seinen Verantwortungsbereich fielen unter anderem 83 Dörfer, in denen vor allem Bergarbeiter lebten. Hesse war schockiert über ihren schlechten Gesundheitszustand und das geringe Lebensalter, das Bergleute typischerweise erreichten.[20] Bereits Paracelsus hatte 1567 für dieses Gebiet das Auftreten von Lungenkrankheiten beschrieben, die er als Bergsucht bezeichnete.[21] Die Ursache der Erkrankung war jedoch unbekannt. Gemeinsam mit dem Bergwerksarzt Härting begann Hesse, einzelne Krankheitsfälle zusammenzutragen, Bergleute zu interviewen, Umweltmessungen vorzunehmen und letztlich auch 20 Autopsien durchzuführen. Am Ende ihrer Untersuchung stand eindeutig fest, dass es unter den Bergleuten zu einer Häufung von Krebsfällen kam, deren Ursache in Zusammenhang mit ihrer Arbeit stand. Hesse und Härting vermuteten als Auslöser der sogenannten Schneeberger Krankheit Asbeststäube, erst spätere Wissenschaftler konnten nachweisen, dass Auslöser die aufgrund der besonderen Geologie des Ortes eng mit den BiCoNi-Erzen verwachsenen Uranerze waren. Die Arbeit, die Hesse und Härting in Schneeberg geleistet hatte, waren beispielgebend für eine Reihe weiterer Wissenschaftler – am bekanntesten darunter ist die Leistung von Ludwig Rehn, der 1895 nachweisen konnte, dass ein Zusammenhang zwischen der Arbeit in einer anilinverarbeitenden Industrie und dem Auftreten von Blasenkrebs bestand.[19]

Ein wichtiger Meilenstein in der Geschichte der Epidemiologie (und auch der Parasitologie) ist die 1880 während des Baus des Gotthard-Eisenbahntunnels erfolgte Entdeckung des Hakenwurms, Ancylostoma duodenale, als Ursache der sogenannten Sankt-Gotthard-Krankheit – einer parasitären Anämie. Auf der Grundlage der epidemiologischen Erkenntnisse wurden dann die Arbeitsbedingungen und die hygienischen Verhältnisse verbessert.

Die Desinfektion wurde in der Medizin erst dann breit angewandt, als der britische Chirurg Joseph Lister antiseptische Mittel entdeckte, basierend auf Arbeiten von Louis Pasteur. Im frühen 20. Jahrhundert wurden mathematische Methoden in die Epidemiologie eingeführt, um das Auftreten von Krankheiten in Populationen zu beschreiben und zu prognostizieren.

Siehe auch

Literatur

  • K. J. Rothman: Epidemiology: An introduction. Oxford University Press, 2002, ISBN 0-19-513554-7.
  • M. Porta, S. Greenland, M. Hernán, I. dos Santos Silva, J. M. Last (Hrsg.): A dictionary of epidemiology. 6. Auflage, Oxford University Press, New York 2014, ISBN 978-0-19-997673-7.
  • Lothar Kreienbrock, Siegfried Schach: Epidemiologische Methoden. 4. Auflage. Spektrum Akademischer Verlag, 2005, ISBN 3-8274-1528-4.
  • Alexander Krämer, Ralf Reintjes (Hrsg.): Infektionsepidemiologie – Methoden, Surveillance, Mathematische Modelle, Global Public Health. Springer, Berlin 2003, ISBN 3-540-42764-3 (mit CD-ROM).
  • R. Beaglehole, R. Bonita, T. Kjellström: Einführung in die Epidemiologie. Huber, Bern 1997, ISBN 3-456-82767-9.
  • H. Checkoway, N. Pearce, D. J. Crawdorf-Brown: Research methods in occupational epidemiology. Oxford University Press, New York 1989, ISBN 0-19-505224-2.
  • P. Armitage, G. Berry: Statistical Methods in Medical Research. Blackwell Scientific Publications, Oxford 1987.
  • J. W. R. Twisk: Applied Longitudinal Data Analysis for Epidemiology. Cambridge University Press, Cambridge 2003, ISBN 0-521-52580-2.
  • J. Hardin, J. Hilbe: Generalized Linear Models and Extensions. Stata Press, College Station TX 2001.
  • Leon Gordis: Epidemiologie. Verlag im Kilian, ISBN 3-932091-63-9.
  • Wolfgang Ahrens, Iris Pigeot (Hrsg.): Handbook of Epidemiology. Springer, Berlin/ Heidelberg 2005, ISBN 3-540-00566-8.
  • Christel Weiß: Basiswissen Medizinische Statistik. 5. Auflage. (mit Epidemiologie). Springer, Berlin/ Heidelberg 2010, ISBN 978-3-642-11336-9.

Weblinks

 Wiktionary: Epidemiologie – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 Ludwig August Kraus: Kritisch-etymologisches medicinisches Lexikon, 3. Auflage, Verlag der Deuerlich- und Dieterichschen Buchhandlung, Göttingen 1844, S. 371.
  2. Epidemie auf Psychyrembel online
  3. J.-B. du Prel1, B. Röhrig, G. Weinmayr1: Was ist Epidemiologie? auf thieme-connect.de
  4. Loimologie auf Pschyrembel online
  5. Lothar Sachs, Jürgen Hedderich: Angewandte Statistik: Methodensammlung mit R. 8., überarb. und erg. Auflage. Springer Spektrum, Berlin/ Heidelberg 2018, ISBN 978-3-662-56657-2, S. 197
  6. Uwe Truyen, Peter Valentin-Weigand: Tiermedizinische Mikrobiologie, Infektions- und Seuchenlehre. Georg Thieme Verlag (2015).
  7. Robert Koch-Institut: GBE-Glossar.
  8. H. W. Doerr, W. H. Gerlich (Hg.): Medizinische Virologie, 2. Auflage Stuttgart 2010 ISBN 978-3-13-113962-7 S. 549
  9. Klaus Krickeberg, Pham Thy My Hanh, Pham Van Trong, Epidemiology, Springer 2012, S. 45
  10. SARS-CoV-2 Steckbrief zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19), Robert-Koch-Institut, Szand vom 21. März 2020
  11. Influenza Pandemic Plan. The Role of WHO and Guidelines for National and Regional Planning. Auf: who.int, Genf, April 1999.
  12. Konrad Schwestermüller: Regiment und lere wider die swaren kranckheit der pestilentz.
  13. Wolfgang Wegner: Schwestermüller, Konrad. In: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. De Gruyter, Berlin, New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 1312.
  14. Stephanie J. Snow: Death by Water. John Snow and the cholera in the 19th century. (PDF; 204 kB) Abgerufen am 6. Mai 2014.
  15. Amanda J. Thomas: The Lambeth Cholera Outbreak of 1848–1849: The Setting, Causes, Course and Aftermath of an Epidemic in London. McFarland, 2009, ISBN 978-0-7864-5714-4, S. 37 f.
  16. Mark Bostridge: Florence Nightingale. Penguin Books, London 2009, ISBN 978-0-14-026392-3.
  17. Mark Bostridge: Florence Nightingale. Penguin Books, London 2009, ISBN 978-0-14-026392-3, S. 407.
  18. Im Original lautet dieses Zitat [It is just as criminal]… to have a mortality of 17, 19 and 20 per thousand in the Line, Artillery and Guards in England, when that of Civil life is only 11 per 1,000, as it would be to take 1,000 men per annum out upon Salisbury Plain and shoot them, Florence Nightingale in Notes on matters affecting…, zitiert nach Mark Bostridge: Florence Nightingale. Penguin Books, London 2009, ISBN 978-0-14-026392-3, S. 314.
  19. 19,0 19,1  Dan Fagin: Toms River: A Story of Science and Salvation. Bantam Books, New York 2014, ISBN 978-0-345-53861-1, S. 127.
  20. Dan Fagin: Toms River: A Story of Science and Salvation. Bantam Books, New York 2014, ISBN 978-0-345-53861-1. S. 125.
  21.  Theophrastus Paracelsus von Hohenheim: Von der Bergsucht oder Bergkranckheiten drey Bücher, inn dreyzehen Tractat verfast vnnd beschriben worden.. Darin̄en begryffen vom ursprung vnd herkom̄en derselbigen Kranckheiten, sampt jhren warhafftigen Preseruatiua vnnd Curen. Allen Ertz vnnd Bergleüten, Schmeltzern, Probierern, Müntzmaistern, Goldschmiden, vnnd Alchimisten, auch allen denē so inn Metallen vnd Mineralien arbayten, hoch nutzlich, tröstlich vnnd notturfftig.. Sebaldus Mayer, Dillingen 1567.
Dieser Artikel wurde am 16. Juli 2005 in dieser Version in die Liste der lesenswerten Artikel aufgenommen.


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