Alexander von Humboldt und Wiener Klassik: Unterschied zwischen den Seiten

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[[Datei:AvHumboldt.jpg|mini|Alexander von Humboldt<br />Gemälde von [[Joseph Karl Stieler|Joseph Stieler]], 1843]]
[[Datei:1808PerformanceOfHaydnCreation.jpg|mini|300px|Aufführung von [[Joseph Haydn]]s ''Schöpfung'' (unter Leitung von Antonio Salieri) in der Alten Universität Wien im Jahr 1808 (Der bereits sehr gebrechliche Komponist ist in der Mitte vorne sitzend zu sehen)]]
[[Datei:Alexander von Humboldt signature.svg|rechts|rahmenlos|Humboldts Unterschrift]]
Als '''Wiener Klassik''' (ca. 1770 – ca. 1825) bezeichnet man eine besondere Ausprägung der musikalischen Epoche der Klassik, als deren Hauptvertreter die u.&nbsp;a. in [[Wien]] wirkenden Komponisten [[Joseph Haydn]], [[Wolfgang Amadeus Mozart]] und [[Ludwig van Beethoven]] gelten. In einem weiteren Sinn ist mit diesem Begriff auch manchmal die „Zeit der Wiener Klassik“ gemeint, und es werden oft auch andere Wiener oder österreichische Komponisten wie [[Wikipedia:Antonio Salieri|Antonio Salieri]], [[Wikipedia:Muchael Haydn|Michael Haydn]] oder [[Wikipedia:Carl Ditters von Dittersdorf|Carl Ditters von Dittersdorf]] und teilweise auch [[Franz Schubert]] hinzugerechnet.<ref>[https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-476-03481-6_9 springer.com: Haydn, Mozart und Beethoven — und Franz Schubert: 1755/1781 bis 1828]</ref><ref>[https://rp-online.de/kultur/musik/sinfonien-von-franz-schubert_aid-35052847 rp-online.de: Wiener Klassik: Franz Schubert und die Brandstifter]</ref>


'''Friedrich Wilhelm Heinrich Alexander von Humboldt''' (* [[Wikipedia:14. September|14. September]] [[Wikipedia:1769|1769]] in [[Wikipedia:Berlin|Berlin]]; † [[Wikipedia:6. Mai|6. Mai]] [[Wikipedia:1859|1859]] ebenda) war ein [[Wikipedia:Deutschland|deutscher]] [[Wikipedia:Naturgeschichte|Naturforscher]] mit weit über [[Europa]] hinausreichendem Wirkungsfeld. In seinem sich über einen Zeitraum von mehr als sieben Jahrzehnten entstandenen Gesamtwerk schuf er „einen neuen Wissens- und Reflexionsstand des Wissens von der Welt“<ref>Ette: ''Alexander von Humboldt und die Globalisierung: Das Mobile des Wissens'' 2009, S. 13.</ref> und wurde zum Mitbegründer der [[Geographie]] als [[Wikipedia:Empirie|empirischer Wissenschaft]]. Er war der jüngere Bruder von [[Wilhelm von Humboldt]].
Der (Wiener) Klassik entspricht in [[Kunst]] und [[Architektur]] die Epoche des [[Klassizismus]].


Seine mehrjährigen [[Wikipedia:Forschungsreise|Forschungsreise]]n führten ihn nach [[Wikipedia:Lateinamerika|Lateinamerika]], in die [[Wikipedia:Vereinigte Staaten|USA]] sowie nach [[Wikipedia:Zentralasien|Zentralasien]]. Wissenschaftliche [[Wikipedia:Feldstudie|Feldstudie]]n betrieb er unter anderem in den Bereichen [[Physik]], [[Chemie]], [[Geologie]], [[Mineral]]ogie, [[Wikipedia:Vulkanologie|Vulkanologie]], [[Wikipedia:Botanik|Botanik]], [[Wikipedia:Vegetationsgeographie|Vegetationsgeographie]], [[Wikipedia:Zoologie|Zoologie]], [[Wikipedia:Klimatologie|Klimatologie]], [[Wikipedia:Meereskunde|Ozeanographie]] und [[Astronomie]], aber auch zu Fragen der [[Wikipedia:Wirtschaftsgeographie|Wirtschaftsgeographie]], der [[Wikipedia:Ethnologie|Ethnologie]] und der [[Wikipedia:Demografie|Demographie]]. Zudem korrespondierte er bei seinem publizistischen Werk mit zahlreichen international bedeutenden Spezialisten der verschiedenen Fachrichtungen und schuf so ein wissenschaftliches Netzwerk eigener Prägung.
== Eigenschaften der Musik ==
[[Datei:Joseph Haydn.jpg|miniatur|hochkant=0.6|Joseph Haydn 1791, Ölgemälde von Thomas Hardy]]


In Deutschland erlangte er vor allem mit den ''Ansichten der Natur'' und dem ''[[Wikipedia:Kosmos (Humboldt)|Kosmos]]'' außerordentliche Popularität. Sein bereits bei Lebzeiten hohes Ansehen spiegelt sich in Bezeichnungen wie „der zweite Kolumbus“, „wissenschaftlicher Wiederentdecker Amerikas“, „Wissenschaftsfürst“ und „der neue [[Aristoteles]](Gedenkmünze der Pariser Akademie der Wissenschaften). Er wurde in zahlreiche Akademien aufgenommen, unter anderem in die [[Wikipedia:Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina|Leopoldinisch-Karolinische Akademie der Naturforscher]], in die [[Wikipedia:Königlich-Preußische Akademie der Wissenschaften|Preußische Akademie der Wissenschaften]], in die [[Wikipedia:Bayerische Akademie der Wissenschaften|Bayerische Akademie der Wissenschaften]], in die [[Wikipedia:American Academy of Arts and Sciences|American Academy of Arts and Sciences]] und in die [[Wikipedia:Akademie gemeinnütziger Wissenschaften|Akademie gemeinnütziger Wissenschaften]].
Die drei großen Meister der Wiener Klassik gelten als führende Komponisten ihrer Zeit, die musikalische Meisterwerke schufen, die an formaler und [[Ästhetik|ästhetischer]] Qualität, an Gehalt und Ausdruckskraft die Werke vieler anderer Zeitgenossen übertrafen. Ihre Werke gelten als besonders formvollendet und vereinen die Beherrschung, Perfektionierung und Sublimierung der unterschiedlichsten Musikarten und Kompositionsweisen vom [[Lied]] bis zu [[Fuge (Musik)|imitativen]] Techniken des [[Kontrapunkt]]s. Stilistisch vereinen sie Eigenschaften des [[Galante Musik|galanten]] und des [[Empfindsamer Stil|empfindsamen Stils]] und führen verschiedene deutsche, französische und italienische Einflüsse in einer Vielfalt von Gattungen zusammen. Zu den wichtigsten Vorgängern der Wiener Klassiker zählen die Komponisten der [[Mannheimer Schule]].
[[Datei:Martini bologna mozart 1777.jpg|miniatur|hochkant=0.6|links|W. A. Mozart im Alter von 21 mit dem Orden vom Goldenen Sporn]]


== Leben ==
Typisch für den Zeitstil der Klassik (auch außerhalb Wiens und Österreichs) ist eine Vorliebe für helle [[Dur]]<nowiki/>tonarten und für eine in der Grundtendenz eher heiter beschwingte Musik, die streckenweise zu dramatisch-monumentalen Ausbrüchen tendiert und von starken Kontrasten lebt. Ein im Vergleich zu [[Barockmusik|Barock]] oder [[Romantik]] eher rationaler Grundton entspricht den Idealen der [[Aufklärung]] und dem Klassizismus in der Kunst. Besonders die Musik von Haydn und Mozart zeichnet sich oft durch einen gewissen [[Witz]] und [[Humor]] aus, die zur großen Popularität ihrer Werke beitrugen und -tragen.<ref>Für Haydn siehe: H. C. Robbins Landon: ''Joseph Haydn - sein Leben in Bildern und Dokumenten'', Verlag Fritz Molden, Wien et. al., 1981, S. 12</ref> Hinzu kommt ein auffällig fantasievoller Umgang mit [[Harmonik]], [[Wikipedia:Modulation (Musik)|Modulation]] und [[Chromatik]], sowie eine relativ starke Einbeziehung von [[Moll]]-tonarten, wodurch ausdrucksmäßig tiefere Bereiche erreicht werden, als dies in der zeitgenössischen Musik oft üblich war. Dies gilt vor allem für die Zeit vor 1800.
=== Anfänge (1769–1790) ===
[[Datei:Beethoven.jpg|miniatur|hochkant=0.6|Ludwig van Beethoven (1770–1827), Gemälde von Joseph Karl Stieler, 1820]]
[[Datei:Gedenktafel Jägerstr 22-23 (Mitte) Friedrich Wilhelm Alexander von Humboldt.JPG|mini|Berliner Gedenktafel für den Standort des nicht mehr vorhandenen Geburtshauses von Alexander von Humboldt in Berlin-Mitte]]
Insgesamt werden das Heitere und das Ernste, das Leichte und das [[Intellektuell]]e in einer charakteristischen Weise durchmischt, wodurch die Musik im Sprachgebrauch der Epoche sowohl „für Kenner und für Liebhaber“<ref>''"Für Kenner und Liebhaber"'' ist der Titel einer sechsbändigen Sammlung von Clavierwerken, die der einflussreiche Carl Philipp Emanuel Bach zwischen 1779 und 1787 herausgab, also zeitgleich mit Mozart und Haydn, die ihn sehr schätzten (Neuausgabe bei Breitkopf und Härtel). </ref> ansprechend wird.<ref>Ähnlich Landon über Haydns Musik: H. C. Robbins Landon: ''Joseph Haydn – sein Leben in Bildern und Dokumenten'', Verlag Fritz Molden, Wien et. al., 1981, S. 12</ref> Dabei muss betont werden, dass einige typisch klassische Gattungen wie [[Divertimento]] oder [[Serenade]] mehr der Unterhaltung dienen, während das noch ganz neue [[Streichquartett]], als dessen eigentlicher Vater und größter Meister Joseph Haydn gilt, die intellektuellste Gattung der Zeit ist; Sinfonien oder Konzerte liegen im Anspruch etwa in der Mitte.


Alexander von Humboldts aus [[Provinz Pommern|Pommern]] stammender Vater [[Alexander Georg von Humboldt|Alexander Georg]] war [[Preußen|preußischer]] Offizier und wurde wegen seiner Verdienste im [[Siebenjähriger Krieg|Siebenjährigen Krieg]] zum [[Kammerherr]]n der Kronprinzessin ernannt. Er heiratete 1766 die Witwe [[Marie-Elisabeth von Humboldt|Marie Elizabeth von Holwede, geb. Colomb]], Tochter einer wohlhabenden Familie teils [[Hugenotten|hugenottischer]] Herkunft. Aus dieser Ehe gingen zwei Söhne hervor, [[Wilhelm von Humboldt|Wilhelm]] (*&nbsp;1767 in Potsdam) und Alexander, der am 14. September 1769 in Berlin geboren wurde.
Typisch für die Kompositionsweise der Wiener Klassik sind drei Verfahren: [[Wikipedia:Begleitung (Musik)#Obligates Akkompagnement|obligates Accompagnement]], [[durchbrochener Stil]] und besonders [[motivisch-thematische Arbeit]]. Diese Kompositionsverfahren werden in den meisten Gattungen angewandt, nachdem sie hauptsächlich in der [[Kammermusik]] (Streichquartett, [[Sonate]] u.&nbsp;a.) und in der Orchestermusik ([[Sinfonie]]) vornehmlich von Joseph Haydn entwickelt worden sind. Auch in der geistlichen Musik und z. T. selbst in der [[Oper]] bestimmen sie die Faktur des Komponierten. Ein entscheidendes Merkmal im Gegensatz zur vorangehenden galanten Epoche und der Musik der Vorklassik ist die Einbeziehung kontrapunktischer und [[Polyphonie|polyphoner]] Techniken, die zuvor (außer in kirchlicher Musik) völlig aus der Mode waren und oft als Rückgriff auf den Barock verstanden werden.


==== Ausbildung bei Hauslehrern ====
Besonders die [[Instrumentalmusik]] erfuhr durch die Wiener Klassiker eine Aufwertung zur autonomen Kunst. Formal war für [[Instrumentalkonzert|Konzerte]] nach wie vor die seit dem Barock bekannte Dreisätzigkeit typisch, in der Reihenfolge: schnell - langsam - schnell. Für Sinfonien und Quartette wurde ab den 1760er Jahren die Viersätzigkeit typisch, meist mit der Abfolge: schnell - langsam - [[Menuett]] - schnell. Haydn verwendete schon seit den 1770er Jahren gelegentlich eine langsame Einleitung (z.&nbsp;B. in Sinfonien Nr. [[50. Sinfonie (Haydn)|50]], [[57. Sinfonie (Haydn)|57]] u.a). Die beiden Mittelsätze können auch umgekehrt erscheinen und das Menuett entwickelte sich unter Haydn inhaltlich und vom Tempo her immer mehr in Richtung [[Scherzo]], das er in den Quartetten op. 30 (1781) zum ersten Mal namentlich verwendet (später aber wieder Menuette). Als ein besonders typisches Merkmal der Wiener Klassik gilt die [[Sonatenhauptsatzform]] vieler [[Kopfsatz|Kopfsätze]]. Sie wurde jedoch keinesfalls schematisch, sondern phantasievoll und individuell angewendet, als Rahmen für eine dialektische, thematisch bestimmte Kompositionsweise. Der [[Finale|Final]]<nowiki/>satz ist sehr häufig ein [[Rondo (Musik)|Rondo]] oder eine Mischung aus Sonatensatz und Rondo. Beliebt waren auch [[Variation (Musik)|Variation]]<nowiki/>ssätze, sowohl beim langsamen Satz (v.&nbsp;a. bei Haydn, oder in Mozarts Klavierkonzerten Nr. [[15. Klavierkonzert (Mozart)|15]] und [[18. Klavierkonzert (Mozart)|18]]), als auch im Finale (z. B. Mozart, Klavierkonzerte Nr. [[17. Klavierkonzert (Mozart)|17]] oder [[24. Klavierkonzert (Mozart)|24]]).
Die Stellung des Vaters begründete ein spezifisches Verhältnis der Humboldt-Brüder zum preußischen Königshaus, zumal der [[Kronprinz]], der nachmalige [[Friedrich Wilhelm II. (Preußen)|Friedrich Wilhelm II.]], einer der Taufpaten Alexanders war. Die Ehe des Thronfolgers aber wurde 1769 geschieden, sodass der nun seiner bisherigen Aufgaben ledige Kammerherr von Humboldt sich ins Privatleben auf Gut und [[Schloss Tegel]] zurückziehen konnte. Sein Hauptaugenmerk galt nun der bestmöglichen Erziehung und Ausbildung der Söhne, für die er sich um [[Hauslehrer]] bemühte, die [[Aufklärung|aufklärerischem]] Denken nahestanden. So übte in zwei Phasen von 1769 bis 1773 und im Jahr 1775 in Tegel der von [[Jean Jacques Rousseau|Rousseau]] pädagogisch inspirierte [[Joachim Heinrich Campe]] als Hauslehrer und Erzieher wesentlichen Einfluss auf die Brüder aus, ab 1777 dann [[Gottlob Johann Christian Kunth]], der bald zum engsten Vertrauten des Hausherrn und nach dessen plötzlichem Tod 1779 auch seiner Witwe wurde.


Alexander erschien seinen Erziehern lange Zeit als eher wenig befähigter, lernunwilliger Kopf. Dennoch mutete man ihm zu, denselben in zeittypischer Weise großteils abstrakt aufbereiteten Lernstoff zu verarbeiten, den sein zwei Jahre älterer Bruder Wilhelm vergleichsweise mühelos erfasste. Früh schon zeigte Alexander jedoch besonderes Interesse an Naturgegenständen, und da er gern Insekten, Steine und Pflanzen sammelte, galt er bald als „der kleine Apotheker“ (Scurla).
Auf dem Gebiet der Oper leistete vor allem Mozart Herausragendes, der Schwerpunkt der beiden anderen liegt deutlicher auf Instrumental- und geistlicher Musik.
[[Datei:Alexander von Humboldt and Mother.jpg|mini|Der Jüngling Alexander, einen Barometer haltend, mit seiner verwitweten Mutter]]
[[Datei:Schmidt Alexander v Humboldt@Goethe-Museum Frankfurt a.M.20170819.jpg|mini|Alexander von Humboldt, porträtiert von [[Johann Heinrich Schmidt (Maler, 1749)|Johann Heinrich Schmidt]] 1784]]
Diesen Interessen ging er zusätzlich zum Unterricht der Hauslehrer nach, sodass er sogar ein noch größeres Stoffpensum absolvierte als Wilhelm und sich so einen auf eigene Weise profilierten Horizont bildete. Dazu gehörte auch sein Zeichen- und Maltalent, das unter Anleitung [[Daniel Chodowiecki|Chodowieckis]] im [[Kupferstich|Kupferstechen]] und [[Radierung|Radieren]] geschult wurde und mit dem er sich bereits 1786 in der ersten Kunstausstellung der Berliner Akademie der Öffentlichkeit vorstellte. Die erstaunliche Qualität der Illustrationen seines späteren Reisewerks mag hier ihren Ursprung gehabt haben.


Auf die optimale Ausbildung der Söhne für bedeutende Posten im Staatsdienst war der ganze Erziehungsplan der nun zweifach verwitweten Frau von Humboldt ausgerichtet, die bei verhältnismäßig bescheidener eigener Lebensführung zu diesem Zweck bedeutende Mittel aufwandte. So haben die Brüder nicht allein eine gründliche Unterweisung in alten und neuen Sprachen&nbsp;– mit oft quälenden Vokabel- und Grammatikpensen&nbsp;– erhalten, sondern wurden unter Kunths umsichtiger Führung von einer ganzen Reihe Spezialisten auf universitätsähnlichem Niveau unterrichtet. Dazu gehörten unter anderem Geheimrat [[Christian Konrad Wilhelm von Dohm|Christian Wilhelm von Dohm]], der [[Nationalökonomie]] mit geographischem Schwerpunkt lehrte, Kammergerichtsrat [[Ernst Ferdinand Klein]] für [[Naturrecht]] und Professor Engel für Philosophie. Auch zu den experimentell gestützten philosophisch-physikalischen Vorträgen des von [[Immanuel Kant|Kant]] beeinflussten Arztes [[Marcus Herz]] schickte Kunth seine Schützlinge. Infolgedessen gelangten diese auch in den [[Literarischer Salon|Salon]] von [[Henriette Herz]] und traten so mit der von [[Moses Mendelssohn]] geprägten jüdischen [[Berliner Aufklärung]] in engen Kontakt.
Die Grenzen zu vorhergehenden und nachfolgenden Epochen bzw. Stilen sind eher verschwommen. Als ein Meilenstein, wo alle Merkmale der Wiener Klassik voll und idealtypisch ausgeprägt sind, gelten u.&nbsp;a. Haydns Quartette op. 20 von 1772, doch schließt dies nicht aus, dass er auch in den 1760er Jahren bereits vollausgereifte Werke schrieb.<br>
Die Musik der Wiener Klassiker ist selbst bei jedem einzelnen Komponisten stilistisch nicht völlig einheitlich oder statisch, sondern lässt eine Entwicklung erkennen, die von frühklassischen und sogenannten „Sturm und Drang“-Tendenzen (1770er Jahre) bis hin zu einer Art monumentalem musikalischem [[Empire (Stilrichtung)|Empire]] (um und nach 1800) und [[Frühromantik|frühromantischen]] Anklängen vor allem bei Beethoven führen. Die reifsten Werke von Schubert zählen bereits zur Frühromantik.


==== Studium ====
== Wien als Musikstadt ==
Mit Blick auf die vorgesehenen Karrieren im Staatsdienst schickte die Mutter 1787 ihre Söhne zum Studium nach [[Frankfurt (Oder)]] an die [[Brandenburgische Universität Frankfurt|Viadrina]]. Wilhelm sollte dort Jura studieren, Alexander die weniger renommierte [[Kameralwissenschaft]] (Staatswirtschaftslehre). Nebenbei hörte Alexander [[Altertumswissenschaft]]en, [[Medizin]], [[Physik]] und [[Mathematik]].
[[Datei:Hoftheater naechst der Burg.jpg|mini|hochkant|das „Hoftheater naechst der Burg“ in Wien]]


Mit dem Theologiestudenten Wilhelm Gabriel Wegener schloss er im Februar 1788 einen „ewigen Freundschaftsbund“. Unter anderem deswegen und weil Humboldt bis zu seinem Lebensende [[Junggeselle]] blieb, wird in einem Teil der Forschungsliteratur die Ansicht vertreten, dass Alexander von Humboldt [[Homosexualität|latent homosexuell]] gewesen sei. So sieht zum Beispiel [[Bernd-Ulrich Hergemöller]] Anhaltspunkte für homoerotische Beziehungen nicht nur mit Wegener, sondern auch mit Israel (Johannes) Stieglitz, [[Johann Carl Freiesleben]], dem Offizier Reinhard von Haeften sowie in Paris mit dem Chemiker [[Joseph Louis Gay-Lussac]], mit dem er vier Jahre in einer Wohnung lebte, und mit dem Maler [[Carl von Steuben]].<ref>Bernd-Ulrich Hergemöller: ''Alexander von Humboldt''  in ''Mann für Mann. Ein Biographisches Lexikon'', Frankfurt am Main 2001.</ref>
Raum und Hintergrund für diese Entwicklungen gab Wien als Haupt- und kaiserliche Residenzstadt der [[Habsburgermonarchie|Habsburger]], die selber schon seit dem 17. Jahrhundert als besondere Liebhaber und Kenner der Musik galten.<ref>Ferdinand III., Leopold I., Josef I. und Karl VI. gelten als "Musikkaiser" und komponierten gelegentlich. Auch Maria Theresia und ihre Kinder hatten eine musikalische Ausbildung und traten in höfischen Theateraufführungen auf. Elisabeth Hilscher: ''Mit Leier und Schwert - Die Habsburger und die Musik'', Styria, Graz/Wien/Köln 2000, S. 111–184</ref> Kaiser [[Joseph II.]] spielte Cello und Tasteninstrumente, machte täglich mit ausgewählten Musikern Kammermusik und soll eine Vorliebe für [[Fuge (Musik)|Fugen]] und polyphone Musik gehabt haben (wie sein Großvater [[Karl VI. (HRR)|Karl VI.]]).<ref>Elisabeth Hilscher: ''Mit Leier und Schwert - Die Habsburger und die Musik'', Styria, Graz/Wien/Köln 2000, S. 170</ref> Zu Beethovens Schülern und größten Förderern gehörte der musikalische [[Rudolph von Österreich (Kardinal)|Erzherzog Rudolf]].<ref>Elisabeth Hilscher: ''Mit Leier und Schwert - Die Habsburger und die Musik'', Styria, Graz/Wien/Köln 2000, S. 199–203</ref> Verschiedene Adlige des Kaiserhofs hielten sich eine eigene Hofkapelle, darunter auch Haydns Arbeitgeber, die Fürsten [[Esterházy|Eszterházy]].


Sowohl Alexander als auch sein Bruder Wilhelm waren in Frankfurt (Oder) offenbar akademisch unterfordert und verließen die Universität nach einem Semester wieder. Alexander ging anschließend zurück nach Berlin, wo er sich von [[Carl Ludwig Willdenow]] in der Botanik ausbilden ließ.
Wien blickte in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts besonders im Bereich der Oper auf eine lange Tradition zurück<ref>Elisabeth Hilscher: ''Mit Leier und Schwert - Die Habsburger und die Musik'', Styria, Graz/Wien/Köln 2000, S. 92 f, S. 115–164</ref> und verfügte auch sonst über eine vielschichtige Musikkultur. Es gehörte neben [[Neapel]], [[Paris]] und [[London]] (öffentliches Konzert) zu den tonangebenden Musikstädten Europas und war ein bedeutender Anziehungspunkt, vor allem für Musiker und Komponisten aus den von den Habsburgern regierten Gebieten, zu denen damals ganz besonders auch weite Teile [[Oberitalien|Norditaliens]] ([[Herzog von Mailand|Mailand]], [[Großherzogtum Toskana|Toskana]]) und [[Böhmen]] gehörten.


Am 25.&nbsp;April 1789 immatrikulierte er sich, seinem Bruder folgend, an der [[Georg-August-Universität Göttingen|Universität Göttingen]], dem damaligen Zentrum aufklärerischer Wissenschaft in Deutschland, für Naturwissenschaften. Neben dem Physiker [[Georg Christoph Lichtenberg]] war hier für Alexander vor allem der Anatom und Zoologe [[Johann Friedrich Blumenbach]] wegweisend, der die Forschungsreise als bedeutende Erkenntnisquelle für [[Anthropologie]] und [[Biologie]] schätzte und einen interdisziplinären Kreis ambitionierter Nachwuchswissenschaftler um sich scharte.
[[Datei:Antonio Salieri 2.jpg|mini|hochkant=0.5|Antonio Salieri]]
Zu den direkten Wegbereitern der Wiener Klassik gehörten [[Georg Christoph Wagenseil]] und [[Georg Matthias Monn]] (siehe auch: [[Wiener Schule (Vorklassik)]]), die stilistisch noch zur Frühklassik zählen, so wie auch die Musik Joseph Haydns in seinem Frühwerk noch frühklassische Züge aufweist. Zu Haydns und Mozarts wichtigsten Wiener Kollegen gehörten auch einige böhmische Komponisten, wie [[Johann Baptist Vanhal]] oder [[Leopold Koželuh]]. Der Organist und Domkapellmeister [[Johann Georg Albrechtsberger]] war ein Lehrer von Beethoven. Etwa mit dem Beginn der Wiener Klassik fällt die 1771 erfolgte Gründung der [[Wiener Tonkünstler-Orchester|Tonkünstler-Sozietät]] zusammen, die „öffentliche“ Konzerte veranstaltete, die freilich in erster Linie von der aristokratischen und gehobenen bürgerlichen Gesellschaft Wiens besucht wurden.


Humboldt aber drängte es nun vor allem, die Bekanntschaft [[Johann Georg Adam Forster|Georg Forsters]] zu machen, der als Naturforscher mit Weltumsegelungserfahrung wohl den von ihm selbst angestrebten Typus verkörperte. Geologische [[Forschungsfrage]]n stellten den Kontakt zwischen beiden her, der dann, nachdem Humboldt im Februar 1790 das Manuskript seiner ersten größeren Publikation ''Mineralogische Beobachtungen über einige Basalte am Rhein'' abgeschlossen hatte, in das Projekt einer gemeinsamen Forschungsreise von Ende März bis Juli 1790&nbsp;mündete. Sie führte von Mainz über den Niederrhein nach England<ref>Während des Aufenthalts  in [[Königreich Großbritannien|England]] traf Humboldt mit [[Joseph Banks|Sir Joseph Banks]], ''President of the [[Royal Society]]'', welcher mit [[James Cook|Captain Cook]] reiste, zusammen. Banks präsentierte Humboldt seine umfangreiche Pflanzensammlung, mit vor allem Arten aus dem [[Südpazifik]] (M. Nicolson: ''Alexander von Humboldt and the Geography of Vegetation.'' In: A. Cunningham, N. Jardine (Hrsg.): ''Romanticism and the Sciences.'' Cambridge University Press, 1990, S.&nbsp;xvi) Diese wissenschaftlich-orientierte Freundschaft hielt bis zum Tode von Banks im Jahre 1820 an. Neben dem Austausch von gesammelten Pflanzenproben bestand ein umfangreicher Briefwechsel.</ref><ref>In London traf er 1791 auch den aus Göttinger stammenden Arzt und Chemiker [[Christoph Girtanner]]. Girtanner machte Humboldt auf die dominierende Rolle der Naturwissenschaften in Frankreich aufmerksam, insbesondere auch auf [[Antoine Laurent de Lavoisier]]s [[Phlogiston|antiphlogistische]] neue Chemie.</ref> und über Paris zurück. In den ''Mineralogischen Beobachtungen'' positionierte Humboldt sich im damaligen „Basaltstreit“ zu der Frage, ob der [[Basalt]] ein [[Magmatisches Gestein|magmatisches]] oder ein [[Sedimentgestein|sedimentäres Gestein]] sei, an der Seite der [[Neptunismus|Neptunisten]], die letztere Auffassung vertraten. Später wurde er durch Forschungsergebnisse auf seiner Amerikareise zum [[Plutonismus (historisch)|Plutonisten]].
[[Datei:Joseph II of Habsburg Lorraine and sisters.jpg|mini|140px|Joseph II. am Cembalo oder Pianoforte mit zwei Schwestern, 1778]]
Am Kaiserhof wirkten im Zeitraum von 1760 bis 1790 die bedeutenden Opernkomponisten [[Christoph Willibald Gluck]], [[Florian Leopold Gassmann]] und [[Antonio Salieri]] (die beiden letzteren gehörten auch zum privaten Quartettzirkel Josephs II.)<ref>Elisabeth Hilscher: ''Mit Leier und Schwert - Die Habsburger und die Musik'', Styria, Graz/Wien/Köln 2000, S. 170, 174 f</ref>. Zur gleichen Zeit wirkte auch [[Vincenzo Righini]] in Wien. Überhaupt hatte die italienische Oper in Wien einen ungewöhnlich hohen Stellenwert im Vergleich zu den meisten anderen Regionen in Deutschland und auf dem Programm der Wiener Hofoper wurden regelmäßig Werke der international bekanntesten Komponisten gespielt, von denen einige, wie [[Giovanni Paisiello]], [[Domenico Cimarosa]] oder [[Vicente Martín y Soler]]<ref>„Mozart und das Theater seiner Zeit – Die Oper in Wien in den 1780er Jahren“, in: H.C. Robbins Landon: ''Das Mozart Kompendium'', Droemer Knaur, München 1991, S. 425–430, besonders 428 ff (Aufstellung der beliebtesten Komponisten und Opern in Wien 1781–1791)</ref> auch vorübergehend in Wien wirkten – der letztere arbeitete in den 1780er Jahren mit Mozarts Librettist [[Lorenzo Da Ponte|Lorenzo da Ponte]] zusammen, genau wie auch Salieri. Einen besonderen Erfolg hatte zu dieser Zeit die [[Opera buffa]], die mit ihrem Witz und Esprit auch auf die Instrumentalmusik besonders von Haydn und Mozart einen nicht zu unterschätzenden Einfluss ausübte. Haydn kannte das Buffa-Repertoire sehr gut, da er an der Hofoper in [[Schloss Esterházy (Fertőd)|Eszterháza]] in den 1770er und 1780er Jahren nicht nur seine eigenen Opern aufführte, sondern auch zahlreiche Werke der italienischen Starkomponisten.<ref>H. C. Robbins Landon: ''Joseph Haydn – sein Leben in  Bildern und Dokumenten'', Verlag Fritz Molden, Wien et. al., 1981, S. 73–74</ref> In Wien selber förderte Kaiser Joseph II. ab 1776 das [[Singspiel|Deutsche Nationalsingspiel]], für das u.&nbsp;a. Mozart seine ''[[Die Entführung aus dem Serail|Entführung aus dem Serail]]'' schrieb; das kaiserliche Singspielprojekt hatte jedoch nicht den erhofften Erfolg beim Publikum und musste nach einigen Jahren schließen.<ref>Elisabeth Hilscher: ''Mit Leier und Schwert - Die Habsburger und die Musik'', Styria, Graz/Wien/Köln 2000, S. 175</ref>


Anders als Forster, der als glühender Anhänger der [[Französische Revolution|Französischen Revolution]] in Paris blieb, setzte der ebenfalls für die revolutionären Ideale und die allgemeinen [[Menschenrechte]] eintretende Humboldt seine [[Kameralistik|kameralistische]] Ausbildung in Handelswissenschaften sowie in Volks- und Weltwirtschaft an der Hamburger [[Johann Georg Büsch|Büsch]]-Akademie fort, die ihm auch zu Geographie und Reiseliteratur vielerlei Vertiefungsmöglichkeiten bot.
Joseph Haydn lebte zwar in Kindheit und Jugend in Wien, war jedoch von 1761 bis 1790 eigentlich fast ständig in den Residenzen der Esterházy in [[Eisenstadt]] und [[Fertőd|Fertöd]],<ref>H. C. Robbins Landon: ''Joseph Haydn – sein Leben in Bildern und Dokumenten'', Verlag Fritz Molden, Wien et. al., 1981, S. 73</ref> und zwischen 1791 und 1795 war er die meiste Zeit in London.<ref>H. C. Robbins Landon: ''Joseph Haydn – sein Leben in Bildern und Dokumenten'', Verlag Fritz Molden, Wien et. al., 1981, S. 95–146</ref> Er gehörte also zu dieser Zeit eigentlich nur am Rande zum Wiener Musikleben. Aufgrund zahlreicher Kopien und Drucke waren seine Werke (besonders Quartette und Sinfonien) jedoch nicht nur in Wien und Deutschland, sondern in ganz Europa bekannt, und Haydn war aufgrund der außergewöhnlichen Qualität seiner geistsprühenden Musik spätestens ab den 1770er Jahren eine internationale musikalische Berühmtheit. Schon ab Anfang der 1780er Jahre wollte man ihn nach London holen<ref>H. C. Robbins Landon: ''Joseph Haydn – sein Leben in Bildern und Dokumenten'', Verlag Fritz Molden, Wien et. al., 1981, S. 87</ref> und er bekam Kompositionsaufträge aus Paris ''([[Pariser Sinfonien]])'' und Spanien ''([[Die sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze]]).'' Seine perfekt durchorganisierte und dabei ästhetisch ansprechende und unterhaltsame Instrumentalmusik war Vorbild für viele Komponisten auch außerhalb österreichischer Lande, darunter neben Mozart und Beethoven junge Musiker wie [[Joseph Martin Kraus]], dessen Sinfonien Haydn selber in [[Schloss Esterházy (Fertőd)|Eszterháza]] aufführte, [[Antonio Rosetti]] oder [[Adalbert Gyrowetz]], von dem eine Sinfonie unter Haydns Namen veröffentlicht wurde.<ref>H. C. Robbins Landon: ''Joseph Haydn – sein Leben in Bildern und Dokumenten'', Verlag Fritz Molden, Wien et. al., 1981, S. 84–85</ref> [[Ignaz Pleyel]] war ein Schüler Haydns und wurde sogar von Mozart geschätzt. Selbst der aus einem ganz anderen musikalischen Milieu stammende [[Luigi Boccherini]] – einer der bedeutendsten Kammermusikkomponisten der Zeit, der zwar in seiner Jugend einige Jahre in Wien verbracht hatte,<ref>Remigio Coli: ''Luigi Boccherini'' (Italienisch), Maria Pacini Fazzi editore, Lucca 2005, S. 28–35 (Aufenthalte von Boccherini in Wien 1758 und 1760–1761)</ref> aber seinen sehr persönlichen Stil mehr aus italienischen, französischen und spanischen Inspirationsquellen kreierte – nahm Anregungen aus Haydns Werken an.<ref>Remigio Coli: ''Luigi Boccherini'' (Italienisch), Maria Pacini Fazzi editore, Lucca 2005, S. 119 u. v. a. (Einfluss Haydns auf Werke Boccherinis), S. 122–124 (Briefwechsel)</ref>


=== Blitzkarriere im Staatsdienst (1791–1796) ===
Mozart erreichte während seines kurzen Lebens trotz seiner Reisen in Jugendjahren nicht annähernd eine solch internationale Berühmtheit als Komponist, sondern war nach seinem Umzug nach Wien 1781 eher eine lokale Größe. Erst nach seinem frühen Tode fanden seine Werke eine weitere Verbreitung und es setzte nach und nach eine Glorifizierung seiner Person ein. Als entscheidend für die Konstitution einer „Wiener Klassik“ werden vor allem die Jahre nach Mozarts Übersiedelung nach Wien angesehen, obwohl er (wie Haydn) schon vorher Werke komponiert hatte, die dem entsprechenden Maßstab gerecht wurden. Doch bildete sich nach 1781 bis zu einem gewissen Grad eine kompositorische Interaktion zwischen Joseph Haydn und Mozart heraus, unter anderem mit der Anregung, die von Haydns neuartigen [[Liste der Streichquartette Haydns|Streichquartetten]] (op. 33, 1781) und seinen Symphonien vor allem auf den jüngeren Komponisten ausging, dann aber auch inspirierend auf Haydn zurückwirkte.
[[Datei:Büste von Alexander v. Humboldt.jpg|mini|Büste von Alexander von Humboldt im Kurpark [[Bad Steben]]]]


Im Mai 1791 schlug Humboldt mit dem Anstellungsgesuch beim preußischen [[Oberberghauptmann]] [[Friedrich Anton von Heynitz|von Heinitz]] den Weg in den [[Staatsdienst]] als [[Bergbeamter]]  ein, dem zunächst ein Studium an der [[Technische Universität Bergakademie Freiberg|Bergakademie Freiberg]] vorangehen sollte. Seinem Betätigungsdrang entgegen kam der praktische Bergmannsdienst, zu dem täglich um sechs Uhr das Einfahren mit den anderen Bergleuten in die Gruben gehörte; nachmittags nahm er an bis zu sechs Studienkollegs (u.&nbsp;a. bei [[Abraham Gottlob Werner]]) teil. Nebenbei befasste er sich mit der Pflanzenwelt untertage (daraus entstand später seine viel beachtete Publikation ''Florae Fribergensis Specimen'') sowie mit aktuellen chemischen Problemen der Verbrennung ([[Antoine Laurent de Lavoisier#Das Prinzip der Oxidation|Prinzip der Oxidation]]).
[[Datei:Johann Nepomuk Hummel - Schabblatt Franz Wrenk nach Zeichnung Escherich2.jpg|mini|hochkant=0.5|rechts|Johann Nepomuk Hummel]]
Der junge Beethoven gehörte bereits in Bonn zu den Hofmusikern von Erzherzog [[Maximilian Franz von Österreich|Maximilian Franz]] (ein Bruder Josephs II.) und kam dadurch schon früh mit einem typisch wienerischen Repertoire in Kontakt. Er reiste zuerst kurzfristig 1787 nach Wien; wieder zurück in Bonn wurde er 1790 von dem durchreisenden Haydn persönlich ermuntert, zum Studium nach Wien zu kommen.<ref>Elisabeth Hilscher: ''Mit Leier und Schwert - Die Habsburger und die Musik'', Styria, Graz/Wien/Köln 2000, S. 179 f</ref> Beethoven vereinte in seinem Werk Einflüsse von Haydn und Mozart, wie es auch sein Gönner [[Ferdinand Ernst von Waldstein-Wartenberg|Graf Ferdinand Ernst Gabriel von Waldstein]] in einem (nicht ganz stimmigen) [[Bonmot]] formulierte: {{"|Durch ununterbrochenen Fleiß erhalten Sie: Mozarts Geist aus Haydns Händen.}}


Das für den Regelstudenten in drei Jahren zu absolvierende Pensum nahm er in acht Monaten auf. Am 6. März 1792 erhielt er ein [[Assessor]]-Patent als Bergassessor und wurde wenig später mit der Untersuchung des gerade zu Preußen gekommenen [[Fürstentum Bayreuth|fränkischen]] Bergbaus mit dem [[Lotharheiler Schiefer]] betraut. Auf seinem Weg dorthin inspizierte er den Kamsdorf-Könitzer Bergbau und revolutionierte die Abbauverfahren von [[Alaunschiefer]]gestein im Schmiedefelder „Vitriolwerk“ am Schwefelloch (das heutige [[Morassina|Schaubergwerk Morassina]]). Aufgrund seines beispielhaft erhellenden Berichtes erfolgte bereits nach einem halben Dienstjahr die Beförderung zum Oberbergmeister mit dem Auftrag der Sanierung des Bergbaues im [[Fichtelgebirge]] und [[Frankenwald]]. Daran erinnert das [[Goldbergbaumuseum Goldkronach]] und die [[Naturparkinformationsstelle Kleiner Johannes]] in Arzberg.
Komponisten, die zu Beethovens Zeit eine nicht ganz unwichtige Rolle im Wiener Musikleben spielten, waren (nach wie vor) sein Lehrer Salieri, der nach seiner Opernkarriere auf geistliche Musik umstieg, und der Klaviervirtuose und Komponist [[Johann Nepomuk Hummel]], der auch ein Schüler von Mozart war. Andere wichtige Klavierkomponisten (aber nicht nur) waren [[Anton Diabelli]] und [[Joseph Czerny]]. Einige Jahre lang gehörte auch der italienische Gitarrist [[Mauro Giuliani]] zum Wiener Musikleben der Beethovenzeit. Ein erfolgreicher Opernkomponist war [[Joseph Weigl]]. Auch [[Peter von Winter]] schrieb einige Werke für Wiener Bühnen, wo zu Beginn des 18. Jahrhunderts nach wie vor italienische Opern beliebt waren, unter anderem von [[Giovanni Simone Mayr]], der zwar in Italien wirkte, aber ein Verehrer der Wiener Klassiker war und in der Instrumentierung seiner Opern von ihnen beeinflusst war. Nach ca. 1815 wurden auch Werke von [[Gioachino Rossini|Rossini]] in Wien gespielt und waren beim Wiener Publikum sehr beliebt; der taube Beethoven hat sie jedoch nie gehört und Rossini hatte keinen nennenswerten Einfluss auf die Wiener Klassik (aber sehr wohl auf die Wiener Tanzmusik des Biedermeier von [[Joseph Lanner]] und [[Johann Strauss (Vater)|Johann Strauss Vater]]).


Konkretes Beispiel seiner Tätigkeit ist die Anlage des [[Friedrich-Wilhelm-Stollen]]s. Nach [[Zell im Fichtelgebirge]] führte ihn das Gelbkreidebergwerk bei der [[Saalequelle]] und mit dem [[Haidberg (Zell)|Haidberg]] die Entdeckung eines sogenannten [[Magnetberg]]es. Humboldt modernisierte die Abbauverfahren von [[Silber]], [[Nickel]], [[Zinn]] und [[Eisen]] sowie von Alaunschiefergestein in der Region Bayreuth. Insbesondere um den Goldbergbau in Goldkronach machte er sich verdient. Binnen kurzer Zeit gelang es ihm, die jährlichen Erträge um ein Vielfaches zu steigern.<ref>{{Literatur |Autor=Wilhelm Kießling |Hrsg=Friedrich Wilhelm Singer |Titel=„Alexander von Humboldt – Ein Gast in unserer Stadt“ |Ort=Arzber/Oberfranken: Stadt Arzber |Datum=1999}}</ref> Verschiedene grundsätzliche Verbesserungen der Arbeitsbedingungen durch Modernisierungen und eine verbesserte soziale Absicherung trugen zum nachhaltigen Erfolg bei.<ref>{{Literatur |Autor=Ursula Klein |Titel=„The Prussian Mining Officer Alexander von Humboldt“ |Sammelwerk=Annals of Science |Band=69 |Nummer=1 |Datum=2012-01}}</ref>
== Einflüsse von außerhalb Wiens ==
[[Datei:Carl Philipp Emanuel Bach.jpg|mini|hochkant=0.5|Carl Philipp Emanuel Bach]]


Auf der Basis seiner chemischen Analysen der [[Grubenwetter]] entwickelte er einen Vorläufer der Atemschutzmaske und eine verbesserte [[Grubenlampe]] für die Bergleute. Bei der Erprobung dieser Grubenlampe im Selbstversuch fiel er wegen giftiger Grubengase in Ohnmacht, die Lampe aber half ihn zu retten.<ref>{{Literatur |Autor=Humboldt an Karl Freiesleben |Titel=Jugendbriefe |Ort=Bayreuth |Datum=1794-10-20}}</ref> Aus eigenen Mitteln gründete er ohne Rücksprache mit den vorgesetzten Behörden zuerst in Steben eine Bergschule, die erste Arbeiter-Berufsschule in Deutschland, offen für die Altersstufen von 12 bis 30 Jahren. Gelehrt wurden nach der Schicht und bis 23&nbsp;Uhr unter anderem Mineralienkunde, bergmännisches Rechnen und Bergrecht, Maschinen- und [[Kompass]]kunde. Die Lehrbücher dafür schrieb Humboldt selbst. Seine Wohnorte waren 1792 bis 1795 [[Bad Steben|Steben]], [[Arzberg (Oberfranken)|Arzberg]] und [[Goldkronach]].<ref>Über seine Zeit in Goldkronach äußerte sich Alexander von Humboldt in einem Brief an seinen Vertrauten Karl Freiesleben überschwänglich: ''... mit dem Bergbau geht es überhaupt jetzt schnell hier vorwärts. In Goldkronach besonders bin ich glücklicher, als ich je wagen durfte zu glauben.“'' ({{Literatur |Autor=Humboldt an Karl Freiesleben |Titel=Jugendbriefe, S. 532 f. |Ort=Bayreuth |Datum=1796-10-18}}) Der im Jahr 2008 gegründete Verein „Alexander von Humboldt-Kulturforum Schloss Goldkronach e. V.“ hat es sich zur Aufgabe gemacht, an Leben und Werk Alexander von Humboldts vornehmlich in Franken zu erinnern. In einer Ausstellung, die auch über die Internetseite ''[http://www.humboldt-kulturforum.de/ humboldt-kulturforum.de]'' abgerufen werden kann, werden ausführliche Informationen über das Universalgenie dargestellt.</ref> Sein Wissensdrang war ebenso universell wie unermüdlich; für Forschung, Aufzeichnungen und Korrespondenz machte er die Nacht zum Tage und schlief selten länger als vier Stunden.
Neben den insgesamt bereits reichen Einflüssen des Wiener Musiklebens hatten alle drei Wiener Klassiker auch andere Vorbilder. So wies Haydn selber darauf hin, dass er in seinem eigenen Clavierstil stark von [[Carl Philipp Emanuel Bach]] beeinflusst wurde,<ref>H. C. Robbins Landon: ''Joseph Haydn - sein Leben in Bildern und Dokumenten'', Verlag Fritz Molden, Wien et. al., 1981, S. 22 und 37</ref> und für seine kontrapunktischen Spielereien dürfte sein Studium des ''Gradus ad Parnassum'' von [[Johann Joseph Fux|Fux]]<ref>H. C. Robbins Landon: ''Joseph Haydn - sein Leben in Bildern und Dokumenten'', Verlag Fritz Molden, Wien et. al., 1981, S. 36</ref> prägend gewirkt haben. Haydn scheint auch teilweise aus österreichisch-volkstümlichen Quellen zu schöpfen<ref>H. C. Robbins Landon: ''Joseph Haydn - sein Leben in Bildern und Dokumenten'', Verlag Fritz Molden, Wien et. al., 1981, S. 12</ref> und vor allem in einigen Quartetten findet man gelegentlich Einflüsse ungarischer Volks- oder Zigeunermusik. Insgesamt war Haydn ein ungewöhnlich origineller und progressiver Komponist, der viel experimentierte und noch im Alter von über 60, in seiner Londoner Zeit, offen für neue Ideen und Anregungen war.


Während seiner Tätigkeit im Staatsdienst kam er in Kontakt mit gleichfalls in der Bergverwaltung hochrangig beschäftigten und bei den späteren [[Preußische Reformen|preußischen Reformen]] führenden Persönlichkeiten: dem [[Heinrich Friedrich Karl vom und zum Stein|Freiherrn vom Stein]] und [[Karl August von Hardenberg|Hardenberg]], die seine Fähigkeiten ebenso erkannten und für ihre Zwecke dienstbar zu machen suchten sowie sein Ressortminister von Heinitz, der ihn 1794 zum [[Bergvogt (Bergbau)|Bergrat]] und 1795 zum Oberbergrat (die höchstmögliche Position unterhalb des Ministeriums, ([[Bergakademie Berlin]])) beförderte. Doch weder dies noch ungewöhnliche Gehalts- und Freistellungsangebote vermochten Humboldt im Amt zu halten.
[[Datei:Michaelhaydn1.jpg|mini|links|hochkant=0.5|Michael Haydn]]
Wolfgang Amadeus Mozart erhielt seine Grundprägung durch sein Salzburger Umfeld, namentlich durch seinen Vater [[Leopold Mozart]]. In Salzburg wirkte auch Joseph Haydns Bruder [[Michael Haydn|Michael]], der ein bedeutender Komponist mit einem eigenen Stil war und besonders für seine Kammermusik und Geistliche Werke bekannt war – sein Bruder Joseph bezeichnete ihn als den größten Kirchenmusikkomponisten seiner Zeit.
Mozart lernte auf seinen Reisen aber schon früh viele Komponisten und deren Musik kennen und war daher völlig international geprägt. Schon [[Teodor de Wyzewa]] und [[Georges de Saint-Foix]] ergründeten in ihrem großen Mozart-Werk (1936–1946) die vielfältigen Spuren davon. Zu nennen sind etliche italienische Komponisten (u.&nbsp;a. [[Giovanni Battista Sammartini]] und [[Niccolò Piccinni]])<ref>H.C. Robbins Landon: ''Das Mozart Kompendium'', Droemer Knaur, München 1991, S. 109</ref>, der in Italien wirkende Böhme [[Josef Mysliveček]]<ref>H.C. Robbins Landon: ''Das Mozart Kompendium'', Droemer Knaur, München 1991, S. 59–60</ref> und die Meister der [[Mannheimer Schule]]. In der Mozartliteratur wird besonders Mozarts herzliches Verhältnis und der Einfluss des „Londoner“ [[Johann Christian Bach]] betont, der auch gelegentlich als „Vater und Erfinder“ der Wiener Klassik bezeichnet wurde.<ref>{{Literatur |Titel=Verkannte Genies: Schaut hin, sie leben! |Sammelwerk=ZEIT ONLINE |Online=https://www.zeit.de/2015/02/klassiker-verkannte-genies-kanon |Abruf=2018-10-05}}</ref>


Als Humboldt am 26.&nbsp;März 1795 den preußischen König um die Entlassung aus dem Dienst als [[Oberbergmeister]] bat, um seinen Jugendtraum von Forschungsreisen in die Welt zu verwirklichen, hatte er den Bergbau in der Region nahezu neu erfunden.<ref>{{Literatur |Autor=Humboldt an König Friedrich Wilhelm II. von Preußen |Titel=Jugendbriefe |Ort=Bayreuth |Datum=1795-03-26}}</ref>
[[Datei:Johann Christian Bach by Thomas Gainsborough.jpg|mini|hochkant=0.5|Johann Christian Bach]]
Schließlich sind auch die indirekten Einflüsse [[Georg Friedrich Händel]]s ([[Oratorium|Oratorien]] wie ''[[Messiah]]'') und [[Johann Sebastian Bach]]s (Fugen und Motetten) zu nennen, die Mozart jedoch erst in den 1780er Jahren in Wien kennenlernte.


=== Biologische Arbeiten ===
All das übernahm Beethoven direkt oder indirekt durch Joseph Haydns und Mozarts Kompositionen. Einflüsse von außerhalb Wiens kamen neben der bereits erwähnten italienischen Oper auch aus Frankreich, zu Mozarts Zeit beispielsweise von einigen beliebten Opern [[André-Ernest-Modeste Grétry]]s, sowie von der französischen Orchestermusik (z.&nbsp;B. von [[François-Joseph Gossec]] oder [[Étienne-Nicolas Méhul]]). Beethoven war besonders von den dramatischen Tendenzen französischer [[Französische Revolution|Revolution]]<nowiki/>smusik und der sogenannten ''[[Schreckensoper]]'' beeinflusst und rühmte [[Luigi Cherubini]] als unmittelbares Vorbild (für Sinfonien und die Oper ''[[Fidelio]]''). Auch der Klaviervirtuose [[Muzio Clementi]], der während eines kurzen Wienaufenthaltes auf Veranlassung von Kaiser [[Joseph II.]] einen Klavierwettstreit mit Mozart austragen musste, übte später einen gewissen Einfluss auf Beethovens Klavierstil und -technik aus.
[[Datei:Weimarer Klassik.jpg|mini|Schiller, Wilhelm und Alexander von Humboldt sowie Goethe in [[Jena]]]]
In seiner Freiberger Zeit beschäftigte sich Humboldt auch mit der [[Mykologie]]. Die Flechten- und Pilzarten, die er in den Freiberger Bergwerken gefunden hatte, beschrieb er in der Publikation ''Floriae Fribergensis specimen'', worin er auch einige Erstbeschreibungen von Arten der Gattungen [[Agaricus]], Peziza und [[Boletus]] einsetzte.<ref>Humboldts offizielles [[Autorenkürzel der Botaniker und Mykologen|botanisches Autorenkürzel]] lautet „<span class="Person">Humb.</span>“.</ref><ref>Kurt-Reinhard Biermann: ''Alexander von Humboldt.'' 3. Auflage. Leipzig 1983, S.&nbsp;23.</ref> Er beschrieb nicht nur die Morphologie der [[kryptogame]]n Pflanzen, sondern auch die Abhängigkeit von ihren Umweltbedingungen. Für die Flechten stellte er eine Verwandtschaftstafel („Tabula affinitatum“) auf, die aber noch nicht auf stammesgeschichtlicher Zugehörigkeit, sondern nur auf äußerer Ähnlichkeit beruhte. Schon in diesem Werk betonte er programmatisch, dass er die [[Pflanzengeographie]] als Teil einer umfassenden Erdkunde betrachtete im Unterschied zur herkömmlichen „[[Naturgeschichte]].<ref>[[Ilse Jahn]]: ''Dem Leben auf der Spur. Die biologischen Forschungen Alexander von Humboldts.'' Urania Verlag, Leipzig 1969, S.&nbsp;22–23.</ref>


Des Weiteren untersuchte er experimentell den Einfluss verschiedener Bestandteile der Luft auf das Pflanzenwachstum, wobei er den Aspekt der wirtschaftlichen Nutzung für die Pflanzenproduktion im Auge hatte.<ref>Ilse Jahn: ''Dem Leben auf der Spur.'' Urania Verlag, Leipzig 1969, S.&nbsp;29.</ref> Zwar gelang es ihm nicht, die Rolle von Sauerstoff und Kohlenstoffdioxid im Stoffwechsel der Pflanzen richtig aufzuklären, er vertrat aber die Auffassung, dass der Kohlenstoff der Pflanzen aus der Luft und nicht aus der Erde stammt.<ref>Ilse Jahn: ''Dem Leben auf der Spur.'' Urania Verlag, Leipzig 1969, S.&nbsp;39.</ref> Weiterhin erkannte er, dass die [[Spaltöffnungen]] auch für den Wasserhaushalt der Pflanzen von Bedeutung sind, konnte die genaue Funktion aber nicht klären.<ref>Ilse Jahn: ''Dem Leben auf der Spur.'' Urania Verlag, Leipzig 1969, S.&nbsp;50.</ref>
== Andere Klassiker ==


Danach wandte er sich dem seinerzeit aktuellen Forschungsgebiet der „[[Galvanismus|tierischen Elektrizität]]“ zu in Fortführung der Versuche von [[Luigi Galvani|Galvani]] und [[Alessandro Volta|Volta]].<ref>Ilse Jahn: ''Dem Leben auf der Spur.'' Urania Verlag, Leipzig 1969, S.&nbsp;51–52.</ref> Umfangreiche Studien mit Tausenden von Tierexperimenten<ref>Kurt-Reinhard Biermann: ''Alexander von Humboldt.'' 3. Auflage. Leipzig 1983, S.&nbsp;29.</ref> zum Einfluss der Elektrizität, zum Teil mit seinem Bruder Wilhelm, teilweise auch als Selbstversuch am eigenen Körper durchgeführt, belegten unter anderem den Verbrauch von Sauerstoff bei der Muskelbewegung und die Wirkung der Feuchtigkeit auf die elektrische Leitfähigkeit.<ref>Ilse Jahn: ''Dem Leben auf der Spur.'' Urania Verlag, Leipzig 1969, S.&nbsp;65–66.</ref>
Grundsätzlich war die Klassik ein Zeitstil, der auch von anderen Musikern in anderen Regionen gepflegt wurde, die nicht der Wiener Klassik zugeordnet werden können und/oder in keiner direkten Verbindung zu den „drei großen Wienern“ stehen. Auch wenn diese Komponisten nicht in der gleichen Weise mit einer Perfektionierung von musikalischer Form und Struktur beschäftigt waren, bedeutet dies nicht zwangsläufig, dass sie keine bedeutenden Komponisten gewesen wären. Viele waren nicht nur zu ihrer Zeit hochangesehen, sondern z.&nbsp;T. auch sehr einflussreich, wie man den obigen Ausführungen bereits entnehmen kann.
Bei Selbstversuchen für seine Studie ''Versuche über die gereizte Muskel- und Nervenfaser''  brachte er künstlich erzeugte Wunden auf seinem Rücken mit [[Galvanische Zelle|galvanischen Zellen]]  aus Metallen wie Zink und Silber in Berührung.<ref>In diesen Zusammenhang gehört auch seine philosophische Allegorie ''Die Lebenskraft, oder der rhodische Genius'', 1795 für [[Friedrich Schiller]]s Zeitschrift ''[[Die Horen (Schiller)|Die Horen]]'' verfasst.</ref> Im Gegensatz zu Volta blieb Humboldt überzeugt von dem Konzept einer eigenen „tierischen Elektrizität“; den Kontaktmetallen schrieb er nur eine sekundäre Rolle zu.<ref>Ilse Jahn: ''Dem Leben auf der Spur.'' Urania Verlag, Leipzig 1969, S.&nbsp;69–70.</ref>


In der zeitgenössischen Fachliteratur wurden seine physiologischen Schriften oft zitiert.<ref>Ilse Jahn: ''Dem Leben auf der Spur.'' Urania Verlag, Leipzig 1969, S.&nbsp;71.</ref> Zu Beginn seiner experimentellen Studien teilte Humboldt die im seinerzeitigen wissenschaftlichen Mainstream liegende Überzeugung von einer, den Organismen innewohnenden „[[Lebenskraft]]“; allmählich gelangte er zu der Auffassung, dass alle Lebensäußerungen mit den bekannten Naturgesetzen zu erklären seien.<ref>Ilse Jahn: ''Dem Leben auf der Spur.'' Urania Verlag, Leipzig 1969, S.&nbsp;52.</ref>
=== Oper ===
In besonderem Maße gilt dies für Italien, dem Lande des [[Belcanto]], wo man in der Epoche der Klassik bereits fast ausschließlich auf die Oper konzentriert war. Der italienische Opernstil legte zu dieser Zeit das Gewicht besonders auf den hochentwickelten Gesang, der in der [[Opera seria]] ausgesprochen virtuos war (ähnlich den Partien der Königin der Nacht in Mozarts [[Die Zauberflöte|''Zauberflöte'']] oder der Konstanze in der [[Die Entführung aus dem Serail|''Entführung'']]), in der [[Opera buffa]] dagegen deutlich schlichter. Die Instrumentation trat vergleichsweise zurück, um die Stimmen nicht zu überdecken. Bläser wurden traditionell sparsamer eingesetzt, das Gewicht lag auf dem Streichersatz. Allein darin liegt ein bedeutender Unterschied zu den Opern Mozarts, der zwar stark italienisch beeinflusst war und auch in seinen deutschen Singspielen nicht auf virtuosen Koloraturgesang verzichtete, aber dessen Instrumentierung viel reichhaltiger und komplexer war als die der Italiener. Der Gesamteindruck der italienischen Opern ist dadurch generell durchsichtiger, die Musik von einer gewissen Zartheit und Weichheit. Viele Italiener wirkten auch im Ausland, wobei sie dann z.&nbsp;T. andere Einflüsse aufnahmen. Die Zeit um 1800 bis 1810 (bis zum Auftreten Rossinis) gilt als eine Art Krise der italienischen Oper.


Auf seiner Südamerika-Expedition setzte Humboldt seine galvanischen Versuche fort; bekannt wurde seine Untersuchung über den [[Zitteraal]] (Electrophorus electricus).<ref>Ilse Jahn: ''Dem Leben auf der Spur.'' Urania Verlag, Leipzig 1969, S.&nbsp;71–72.</ref> In seinen späteren Jahren unterstützte Humboldt die [[Elektrophysiologie|elektrophysiologischen]] Untersuchungen von [[Emil du Bois-Reymond]]. Deren Resultate, die die Muskelbewegung auslösende Nerventätigkeit messbar machen, fasste er als Weiterführung seiner Versuche auf.<ref>Ilse Jahn: ''Dem Leben auf der Spur.'' Urania Verlag, Leipzig 1969, S.&nbsp;117–119.</ref>
Neben den bereits genannten spätneapolitanischen Opernkomponisten Paisiello, Cimarosa und Piccini gehörten zu den erfolgreichsten Meistern der italienischen Oper der Klassik: [[Baldassare Galuppi]] (Spätwerk), [[Giuseppe Sarti]], [[Pasquale Anfossi]], [[Tommaso Traetta]], [[Antonio Sacchini]], [[Niccolò Zingarelli]], [[Giuseppe Nicolini (Komponist)|Giuseppe Nicolini]]. Der bereits erwähnte gebürtiger Bayer Giovanni Simone Mayr war ab etwa 1800 ebenfalls einer der erfolgreichsten Opernkomponisten Italiens und orientierte sich in der Instrumentierung an Mozart und Haydn. Auch Gioachino Rossini gehört mit seinem Frühwerk noch zur Spätklassik, und ebenso seine Epigonen [[Saverio Mercadante|Mercadante]], [[Giovanni Pacini|Pacini]] und [[Gaetano Donizetti|Donizetti]] und der Deutsche [[Giacomo Meyerbeer]] in seiner italienischen Phase. Rossini und die genannten Komponisten waren bereits alle mit Werken von Haydn und Mozart-Opern, teilweise auch mit Beethovensinfonien bekannt, und nahmen davon vor allem Anregungen für ihre Instrumentierung auf. Aus diesem Grunde warf man Rossini einen deutschen Einfluss vor.


=== Vorbereitung einer großen Expedition (1797–1798) ===
Die Italiener [[Luigi Cherubini]] (den Beethoven verehrte), [[Ferdinando Paer]] und [[Gaspare Spontini]] wirkten in Frankreich (oder Deutschland) und waren von Gluck beeinflusst. Sie gehören zu den Hauptmeistern der französischen Oper der späten Klassik.
„Jeder Mann hat die Pflicht, in seinem Leben den Platz zu suchen, von dem aus er seiner Generation am besten dienen kann“, heißt es in einem Schreiben Humboldts an den französischen Astronomen [[Jean-Baptiste Joseph Delambre|Delambre]]. Sobald Alexander von Humboldt im November 1796 durch den Tod der Mutter zum vermögenden Erben geworden war, schied er aus dem Staatsdienst aus, um sich als Naturforscher und Wissenschaftler unabhängig zu machen. Als Ziel schwebte ihm eine „physique du monde“ vor, eine Darstellung des gesamten physisch-geographischen Wissens der Zeit, zu dem er auf Forschungsreisen selbst entscheidend beitragen wollte. Bereits Ende 1796 entwickelte er brieflich seine trotz mancher Widrigkeiten, mehrfacher Anläufe und Umwege konsequent verfolgten Pläne: „Meine Reise ist unerschütterlich gewiß. Ich präpariere mich noch einige Jahre und sammle Instrumente, ein bis anderthalb Jahr bleibe ich in Italien, um mich mit Vulkanen genau bekannt zu machen, dann geht es über Paris nach England, wo ich leicht auch wieder ein Jahr bleiben könnte […], und dann mit englischen Schiffen nach Westindien“, das im damaligen Verständnis den ganzen Raum von [[Mexiko]] bis zum [[Amazonas]] umfasste.


Schon durch Campe war Alexander die Faszination der Welt in Übersee vermittelt worden. [[Johann Gottfried Herder|Johann Gottfried von Herder]] hatte auf die kontrastierend miteinander verbundenen Naturräume der [[Anden]] und des [[Amazonasbecken]]s hingewiesen und zu deren Erforschung aufgerufen, indem unter anderem die Höhen der (damals als höchste der Welt geltenden) Berge ermittelt, die Bodenbeschaffenheit bestimmt sowie die örtlichen Abweichungen der Magnetnadel und die je lokalen Temperaturen gemessen werden sollten&nbsp;– alles Bestandteile des dann von Humboldt noch ausgeweiteten Forschungsprogramms.
=== Instrumentalmusik ===


In den Jahren der Vorbereitung nutzte er jede Möglichkeit zur systematischen Vertiefung seiner Kenntnisse, nicht nur durch das Studium der einschlägigen Reiseberichte und neuesten Forschungsergebnisse, sondern auch durch seinen persönlichen Kontakt mit den führenden Zoologen, Botanikern und Astronomen der Zeit sowie durch die ständige praktische Erprobung von Messinstrumenten in den verschiedenen Landschaften und Naturräumen (z.&nbsp;B. in den Alpen). Zudem entwickelte er ein spezifisches Aufzeichnungsverfahren zur Erfassung seiner jeweiligen Forschungsergebnisse, die „[[Pasigrafie|Pasigraphie]]“, eine Schriftzeichensprache, die die geographischen Erscheinungen durch Buchstaben, Richtungspfeile, Symbole und Abkürzungen für Formationen und Gesteine festhielt.
In der Instrumentalmusik war der bereits erwähnte [[Luigi Boccherini]] neben Haydn und Mozart der bedeutendste Komponist der Epoche, besonders in der Kammermusik. Er wirkte in Spanien und sein Stil ist von großer Weichheit, Klangschönheit und lyrischer Idylle geprägt, fließender und gefühlsbetonter als die Wiener Musik, aber dabei von hoher Qualität.


Im Mai 1798 begab sich Alexander von Humboldt in die seinerzeitige Weltwissenschaftsmetropole Paris, wo er in Vorträgen und Debatten sein bereits beachtliches Renommee als Wissenschaftler festigte und seine Ausstattung mit Messinstrumenten vervollständigte. Hier fand er in dem Botaniker [[Aimé Bonpland]] schließlich auch jenen fachkundigen Reisegefährten, dessen Mitarbeit ihm die Durchführung seiner komplexen Forschungsvorhaben erst ermöglichen sollte.
Bedeutende Violinvirtuosen der Epoche waren [[Gaetano Pugnani]], der auch Sinfonien schrieb, und [[Giovanni Battista Viotti]], dessen Konzerte einen ganz eigenen Stil aufweisen, und der formal andere Wege geht als die Wiener Klassiker. Viotti nahm an den Haydn-Konzerten in London teil und Mozart schrieb einige zusätzliche Bläserstimmen für Viottis e-moll-Konzert Nr. 16. Einige seiner späten Werke sind von hinreißender Schönheit und auch teilweise schon von frühromantischer Tragik durchzogen (vor allem Nr. 22 in a-moll). Viotti hatte großen Einfluss auf die französischen Violinkomponisten [[Pierre Rode]], [[Rodolphe Kreutzer]], [[Pierre Baillot]] und auf [[Nicolò Paganini]] – der letztere gehört jedoch bereits zur Romantik. Der deutsche Violinist [[Louis Spohr]] zählt zumindest in seinem Frühwerk noch zur Spätklassik.


=== Amerikanische Forschungsreise (1799–1804) ===
Im Bereich der Klaviermusik gab es mehrere bedeutende und einflussreiche Meister, die zwar zur Klassik zählen, jedoch nicht wienerisch waren: [[Muzio Clementi]], der Böhme [[Johann Ladislaus Dussek]], [[John Field]]. Ihre Werke reichen von der Klassik zur Frühromantik und sie alle spielten neben Beethoven bei der Entwicklung eines frühromantischen Klavierstils eine wichtige Rolle. Der in Dänemark wirkende und für seine melodieschönen Sonatinen bekannte [[Friedrich Kuhlau]] war stark von Mozart und Haydn beeinflusst.
==== Vorbereitung ====
Mehrfach hatte Humboldt während der Vorbereitungszeit seine Pläne wegen politischer und kriegerischer Verwicklungen im Zeichen des aufstrebenden Generals [[Napoleon Bonaparte]] ändern und bereits begonnene Reiseaktivitäten abbrechen müssen, zuletzt (im Dezember 1798) auch den Versuch, von Südfrankreich aus auf ein Schiff zu gelangen, das Bonpland und ihm den Anschluss an die [[ägyptische Expedition]] Napoleons hätte ermöglichen sollen. Stattdessen machten sich nun beide mit sämtlichen für die Forschungsreise vorgesehenen Instrumenten auf den Weg nach [[Madrid]]&nbsp;– meist zu Fuß neben dem Wagen einhergehend&nbsp;–, um für das amerikanische Forschungsunternehmen womöglich die Unterstützung der spanischen Krone zu erlangen. Die Vielzahl der unterwegs erhobenen Messdaten brachte erstmals geographischen Aufschluss über die Gestalt der innerspanischen Hochebene.


Sein Ruf als Wissenschaftler und Bergminenexperte (diese Privatexpedition konnte sich für Spanien unter Umständen lohnen; tatsächlich führten später seine Beschreibungen der mexikanischen Silberminen in dem „Versuch über den politischen Zustand des [[Vizekönigreich Neuspanien|Königreichs Neu-Spanien]]“ zu massiven ausländischen [[Investition]]en), sein diplomatisches Geschick und sein von der exzellenten Beherrschung des Spanischen unterstütztes Auftreten bei Hofe verschafften Humboldt schon bald Empfehlungen und einen so privilegierten Forscher-Reisepass, wie ihn nach seiner eigenen Einschätzung kein Ausländer je erhalten hatte. Er sicherte ihm volle Handlungsfreiheit und das Entgegenkommen aller Gouverneure und Beamten im gesamten spanischen Kolonialgebiet.
== Diskussion des Begriffes ==
Während die englischsprachige Musikwissenschaft den Begriff „Wiener Klassik“ eher vermeidet und einen umfassenderen Klassikbegriff pflegt, diskutiert ihn die deutsche Musikwissenschaft kontrovers. [[Ludwig Finscher]] möchte ihn, Gedanken [[Raphael Georg Kiesewetter]]s von 1834 folgend, auf die Werke Joseph Haydns und Mozarts zwischen 1781 und 1803 begrenzen. [[Hans Heinrich Eggebrecht]] belegte durch umfangreiche, ins musikalische Detail gehende Analysen seine Haydn, Mozart und Beethoven umfassende Definition. [[Carl Dahlhaus]] dagegen führte Friedrich Blumes Gedanken weiter, Klassik und [[Romantik]] bildeten eine gemeinsame klassisch-romantische Epoche. Diese dialektische Verbindung zwischen Wiener Klassik und [[Musik der Romantik|Romantik]] offenbart sich besonders deutlich im Vergleich Beethovens und [[Franz Schubert|Schuberts]]. [[Thrasybulos Georgiades]] ordnete Schubert in seinen Analysen von dessen Vokal- und Instrumentalmusik den drei Großen der „Wiener Klassik“ zu und zeigte Schuberts klassische Kompositionsverfahren besonders in dessen Liedern und der „[[Sinfonie in h-Moll (Schubert)|Unvollendeten]]“ auf – die allerdings vom Geiste her bereits frühromantisch geprägt sind.


==== Überfahrt ====
== Siehe auch ==
[[Datei:Map Alexander von Humboldt expedition-de.svg|mini|500px|Verlauf der Amerikareise]]
* {{WikipediaDE|Kategorie:Wiener Klassik}}
Abreisedatum mit der spanischen Fregatte ''Pizarro'' von [[A Coruña|La Coruña]] war der 5.&nbsp;Juni 1799. Humboldt schreibt in einem Brief vom selben Tag: „Ich werde Pflanzen und Fossilien sammeln, mit vortrefflichen Instrumenten astronomische Beobachtungen machen können […] Das alles ist aber nicht Hauptzweck meiner Reise. Und auf das Zusammenwirken der Kräfte, den Einfluß der unbelebten Schöpfung auf die belebte Tier- und Pflanzenwelt, auf diese Harmonie sollen stets meine Augen gerichtet sein!“
* {{WikipediaDE|Wiener Klassik}}
 
* {{WikipediaDE|Vorklassik}}
Die Überquerung des Atlantik verlief insgesamt problemlos.<ref>{{Biolib|1=humboldt/suedamerika/index.html|2=Alexander von Humboldt: ''Durch das tropische Südamerika'' (1926) Leipzig}}</ref> Mit an Bord nahm Humboldt rund 50 der modernsten Instrumente, darunter [[Sextant]]en, [[Quadrant (Astronomie)|Quadranten]], [[Teleskop]]e, diverse [[Fernrohr]]e, eine [[Längenuhr]], ein [[Inklinatorium]], ein [[Deklinatorium]], ein [[Cyanometer]], [[Eudiometer]], [[Aräometer]], ein [[Niederschlagsmesser|Hyetometer]], [[Elektroskop|Elektrometer]], [[Hygrometer]], [[Barometer]] und [[Thermometer]].
* {{WikipediaDE|Mannheimer Schule}}
 
* {{WikipediaDE|Neapolitanische Schule (Musik)}}
Bereits den einwöchigen Zwischenaufenthalt auf der Kanareninsel [[Teneriffa]] im Juni 1799 nutzten Humboldt und Bonpland zu Aktivitäten, die sie dann in der [[Neue Welt|Neuen Welt]] vielfach wiederholen sollten: Sie bestiegen den [[Teide|Pico del Teide]], registrierten die Vegetationszonen, übernachteten in einer Höhle unterhalb des Gipfels und untersuchten tags darauf den Krater des Vulkans.
* {{WikipediaDE|Wiener Schule (Vorklassik)}}
 
* {{WikipediaDE|Klassische Musik}}
Nach der anschließenden 22-tägigen Überfahrt landeten sie am 16.&nbsp;Juli 1799 in [[Cumaná]] ([[Venezuela]]). Dort beobachtete Humboldt in der Nacht vom 11. auf den 12.&nbsp;November 1799 einen [[Meteor]]schauer der [[Leoniden]]&nbsp;– seine Beschreibung legte später den Grundstein für die Erkenntnis, dass solche Himmelsereignisse periodisch auftreten. Ein nachhaltiger Eindruck ganz anderer Art war der [[Sklaverei|Sklavenmarkt]] von Cumaná. Die grausame Behandlung der Sklaven entsetzte ihn so sehr, dass er zu einem entschiedenen Fürsprecher des [[Abolitionismus]] wurde.<ref>Andrea Wulf: ''Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur''. C. Bertelsmann, München 2016, S. 79.</ref> Von Cumaná aus reisten Humboldt und Bonpland nach gründlicher Erforschung der Umgebung und einer Reihe von Exkursionen weiter nach [[Caracas]].
* {{WikipediaDE|Burgtheater}} (Abschnitt über das Alte Burgtheater)
 
* {{WikipediaDE|Theater am Kärntnertor}}
Humboldts amerikanische Forschungsreise lässt im Ganzen drei Phasen dynamisch vorwärts gerichteter Geländeexploration unterscheiden, die jeweils eingebettet waren in eher stationäre Phasen der Materialsichtung, -auswertung und -sicherung.
 
==== Erste Expedition: Zwischen Orinoco und Rio Negro ====
[[Datei:Eduard Ender - Alexander von Humboldt und Aime Bonpland.jpg|mini|Alexander von Humboldt und Aimé Bonpland am Orinoco, Gemälde von [[Eduard Ender]], 1856<ref>[https://rumphius.hypotheses.org/tag/eduard-ender Naturforschung&nbsp;– mit Muße oder Mühe?] von Maria-Theresia Leuker, 2016.</ref> ]]
[[Datei:Alexandre humboldt.jpg|mini|Alexander von Humboldt, Gemälde von [[Friedrich Georg Weitsch]], 1806]]
[[Datei:Maranonrivermap.png|mini|Das Einzugsgebiet des Amazonas (gelb); sein Quellfluss [[Marañón]] ist lila markiert.]]
Die erste große Expedition führte im Februar 1800 von Caracas zum Fluss [[Río Apure|Apure]] und auf diesem in das Strombett des [[Orinoco]], das stromaufwärts so weit wie möglich in südlicher Richtung befahren, dann aber verlassen wurde, um über den Rio Atabapo weiter südlich zum [[Rio Negro (Amazonas)|Rio Negro]], dem Amazonaszufluss, vorzustoßen. Man befuhr die Flüsse auf einer [[Piroge]], einem mit Axt und Feuer ausgehöhlten Baumstamm von etwa 13 Metern Länge und knapp einem Meter Breite. Sie wurde von einem Steuermann und vier indianischen Ruderern betrieben. Im Bereich des Hecks war ein niedriges Blätterdach installiert, an dessen tragfähigen Teilen Käfige mit eingefangenen Vögeln und Affen hingen. Die mitgeführten größeren Messinstrumente schränkten die Bewegungsfreiheit zusätzlich ein.
 
Auf dem Rio Negro konnte dann die Einmündung des nordöstlich vom Orinoco direkt zufließenden [[Brazo Casiquiare|Rio Casiquiare]] erreicht und mit dessen Befahrung in ganzer Länge flussaufwärts der Nachweis geführt werden, dass entgegen der verbreiteten Lehrmeinung, wonach zwischen den großen Stromgebieten der Erde nirgendwo natürliche Verbindungen existierten, eine solche zwischen Orinoco und Amazonas eben doch vorhanden ist. Am 20. Mai 1800 erreichte die Piroge wie erwartet die Stelle, an der sich der Orinoco in zwei Arme gabelt. Durch diese Bestätigung der [[Flussbifurkation|Gabelteilung]] des Orinoco war das wichtigste Forschungsziel dieser Expedition erreicht und die Reisenden konnten sich für den Rückweg nun flussabwärts auf dem Orinoco fortbewegen. Sie folgten seinem Lauf bis Angostura ([[Ciudad Bolívar]]) und schlugen sich dann in der quälenden Hitze der [[Llanos]] nordwärts zur Küstenstadt [[Barcelona (Venezuela)|Nueva Barcelona]] durch, die sie am 23. Juli 1800 erreichten.
 
Dass sie dieses 2775 Kilometer lange Unternehmen heil überstanden (Bonpland war allerdings noch zuletzt in Angostura dem Fiebertod nahegekommen), war erstaunlich genug. Dazu trugen außer der glücklichen Wendung mancher Gefahrensituation ihre Entschlossenheit und strapazierfähige Physis bei. Der in jungen Jahren oft kränkelnde Alexander meldete nach Hause: „Die Tropenwelt ist mein Element, und ich bin nie so ununterbrochen gesund gewesen als in den letzten zwei Jahren. […] Am Atabapo, wo die Wilden stets am Faulfieber leiden, widerstand meine Gesundheit unbegreiflich gut.“
 
Den Gesamterfolg der amerikanischen Reise ermöglichte zudem ein unerschütterliches Durchhaltevermögen&nbsp;– ständig war Humboldt mit Ortsbestimmungen und Messungen aller Art beschäftigt, Bonpland mit dem Botanisieren, beide zusammen mit Skizzen und Aufzeichnungen&nbsp;– auch unter widrigsten Bedingungen: „Vier Monate hindurch schliefen wir in Wäldern, umgeben von Krokodilen, Boas und Jaguaren […], nichts genießend als Reis, Ameisen, [[Maniok|Manioc]], [[Dessertbanane|Pisang]], Orenocowasser und bisweilen Affen. […] In [[Ciudad Guayana|Guayana]], wo man wegen der Mosquiten, die die Luft verfinstern, Kopf und Hände stets verdeckt haben muß, ist es fast unmöglich am Tageslicht zu schreiben; man kann die Feder nicht ruhig halten, so wütend schmerzt das Gift der Insekten. Alle unsere Arbeit mußte daher beim Feuer, in einer indianischen Hütte, vorgenommen werden, wo kein Sonnenstrahl eindringt, und in welcher man auf dem Bauche kriechen muß. Hier aber erstickt man wieder von Rauch, wenn man auch weniger von den Mosquiten leidet.“
 
==== Zweite Expedition: Von Cartagena nach Lima ====
Die zweite große Südamerika-Expedition begann nach einem Zwischenaufenthalt in [[Havanna]] (wo Humboldt das Material für seinen geographischen ''Essai politique sur l′île de Cuba'' erarbeitete) am 30. März 1801 in [[Cartagena (Kolumbien)|Cartagena]] an der kolumbianischen Karibik-Küste. Humboldt hatte erfahren, dass er sich der französischen Weltumsegelungsexpedition unter Kapitän [[Nicolas Baudin]] an der peruanischen Küste würde anschließen können. Auf dem Wege dahin drängte sich die Umsetzung des lang erwogenen Anden-Forschungsprojekts geradezu auf.
 
Von Barancas Nuevas ab befuhren Humboldt und Bonpland den [[Río Magdalena]] flussaufwärts: „Unsere Magdalena-Reise bildete eine schreckliche Tragödie; von den zwanzig dunklen Ruderknechten ließen wir acht auf dem Wege zurück, ebensoviel langten gleich und mit stinkenden Geschwüren in [[Honda (Kolumbien)|Honda]] an.“ Nach viertägigem steilen Aufstieg erreichten sie die Anden-Hochebene und konnten in [[Bogotá]] in regen wissenschaftlichen Austausch mit dem sie aufwendig empfangenden Botaniker [[José Mutis]] treten.<ref>Humboldt besuchte Mutis im Juli des Jahres 1801 in [[Santa Fe de Bogotá]] während seiner Amerikaexpedition. Bartolomé Ribas Ozonas: ''José Celestino Mutis, amistad y colaboración con A. v. Humboldt.'' S.&nbsp;151–172, [https://www.analesranf.com/index.php/mono/article/download/958/955 online] in ''analesranf.com''.</ref> Für den spanischen Vizekönig erstellte Humboldt unter anderem ein Gutachten über die Silbergruben und die Goldproduktion Kolumbiens. Die Fortsetzung des Weges über die Anden gestaltete sich äußerst beschwerlich: „Dicke Wälder liegen zwischen Morästen; die Maultiere sinken bis auf den halben Leib ein; und man muß durch so tiefe und enge Schlüchte, daß man in Stollen eines Bergwerks zu kommen glaubt. Auch sind die Wege mit den Knochen der Maultiere bepflastert, die hier vor Kälte oder Mattigkeit umfielen.“
 
Um von Bogotá nach [[Quito]] zu gelangen, benötigten die Reisenden vom 19.&nbsp;September 1801&nbsp;– mit einem Zwischenaufenthalt in [[Popayán]]&nbsp;– bis zum 6.&nbsp;Januar 1802. In Quito kamen sie im Hause des Herzogs Juan Pío Montúfar y Larrea unter; dessen Sohn [[Carlos de Montúfar y Larrea-Zurbano|Carlos de Montúfar]] (1780–1816)<ref>s.&nbsp;a. [[Wo ist Carlos Montúfar?]] von Daniel Kehlmann</ref> sollte fortan an der amerikanischen Expedition Humboldts teilnehmen, um danach in Spanien die Offiziersausbildung zu vollenden. Sowohl er als auch [[Simón Bolívar]], den Humboldt nach seiner Rückkehr 1804 in Paris und 1805 in Rom traf, dürften Humboldts kritische Haltung zu [[Kolonialismus|Kolonialregimen]] aller Art eingehend kennengelernt haben, die er offiziellen Stellen gegenüber nach Lage der Dinge nicht äußern konnte.
 
[[Datei:Humboldt-Bonpland Chimborazo.jpg|mini|Humboldt und Bonpland am Fuß des Vulkans [[Chimborazo]], Gemälde von Friedrich Georg Weitsch (1810)]]
[[Datei:EL CHIMBORAZO.jpg|mini|Der Chimborazo in [[Ecuador]]]]
 
Zum Forschungsschwerpunkt wurden nun neuerlich Vulkane in einem Gebiet [[Ecuador]]s, das Humboldt wegen deren Vielzahl als „[[Allee der Vulkane]]“ bezeichnete. Der Nachweis der vulkanischen Herkunft von [[Gestein]] ([[Plutonismus (historisch)|Plutonismus]]), das bislang für eine Unterwasserablagerung gehalten worden war, widerlegte die [[Hypothese]] des sogenannten [[Neptunismus]]. Den [[Pichincha]] bestieg Humboldt nach einem ersten abgebrochenen Versuch gleich zweimal, zuletzt begleitet von einem heftigen Erdbeben, dessen Stöße er sorgfältig protokollierte. Nicht ganz bis zum Gipfel gelangten Humboldt, Bonpland und Montúfar am 23.&nbsp;Juni 1802 bei der Besteigung des [[Chimborazo]] (6.310 Meter) wegen einer unpassierbaren Felsspalte 400 bis 800 Meter unterhalb des Kraters. Gleichwohl blieb dies auf 30 Jahre ein Höhenweltrekord für Bergsteiger, eine in Anbetracht der Unzulänglichkeiten von Schuhwerk, Bekleidung und Ausrüstung nach wie vor kaum glaubliche Leistung. Dabei litten sie unter den Symptomen der [[Höhenkrankheit]]: Schwindel und Brechreiz, Blutungen aus Lippen und Zahnfleisch.
 
Bald darauf erforschte die Expedition nach rasantem Abstieg den Oberlauf des [[Marañón]] im [[Amazonas#Quellflüsse|Quellgebiet des Amazonas]] und nach neuerlichem Aufstieg in die Anden die Überreste der [[Inka]]stätten in der Umgebung von [[Cajamarca]]. Wie die Messungen ergaben, entdeckten und überquerten sie dabei den [[Erdmagnetfeld#Magnetischer Äquator|magnetischen Äquator]].
 
Als sie nach ihrer vierten Andenüberquerung am 23.&nbsp;Oktober 1802 in [[Lima]] ankamen, war auch dieses zweite große Forschungsunternehmen erfolgreich beendet. Zwischen zehn Grad nördlicher und zehn Grad südlicher Breite waren die Klima- und [[Vegetationsstufen]] des tropischen Hochgebirges in mannigfaltiger Weise durchmessen und erfasst worden. Indem Humboldt in Limas Hafen [[Callao]] am 9.&nbsp;November 1802 den Durchgang des [[Merkur (Planet)|Merkur]] observierte, gelang es ihm, den [[Längengrad]], auf dem Lima sich befindet, genauer als bis dahin zu bestimmen, in der Folge ein Richtwert für den ganzen südwestlichen Teil des neuen Kontinents. Auch studierte er die Düngeeigenschaften von [[Guano]] und leitete auf diese Weise die Einfuhr von Guano nach Europa ein.
 
==== Dritte Expedition: Mexiko ====
Bereits vor dem Aufbruch von [[Quito]] war die Information eingetroffen, dass der geplante Anschluss an die französische Weltumsegelungsexpedition von Kapitän [[Nicolas Baudin|Baudin]] wegen dessen Routenänderung nicht mehr möglich sei. Erneut musste also umdisponiert werden. Nach einem Zwischenaufenthalt in [[Guayaquil]], bei dem Humboldt durch Temperaturmessungen die nach ihm benannte [[Meeresströmung]] nachwies, begann am 23.&nbsp;März 1803 in [[Acapulco]] der letzte große Abschnitt von Humboldts amerikanischer Forschungsreise, während deren er mit Bonpland und Montúfar ein Jahr in [[Mexiko]] verbrachte. Dabei wurde der Reiseweg von Acapulco über [[Mexiko-Stadt]] (mit gut neunmonatigem Erkundungsaufenthalt) bis [[Veracruz (Veracruz)|Veracruz]] an der Atlantikküste [[Barometer|barometrisch]] vermessen und so ein Höhenquerschnittsprofil Mexikos für diesen wichtigen Bereich angelegt. In Mexiko-Stadt sammelte Humboldt Material für sein landeskundliches Werk über das [[Vizekönigreich Neuspanien|Königreich Neu-Spanien]] (mit Beschreibungen der politischen, sozialen und ökonomischen Bedingungen sowie weitreichenden Bevölkerungsstatistiken), das dann ebenso zu einem Grundstein der modernen wissenschaftlichen Geographie werden sollte wie das über [[Kuba]], für das die Vorstudien im März/April 1804 in [[Havanna]] zu Ende geführt wurden.<ref>[[Franz Tichy]]: ''Die Mexiko-Reise Alexander von Humboldts 1803–1804.'' In: José Manuel López de Abiada, [[Titus Heydenreich]] (Hrsg.): ''Iberoamérica – Homenaje a Gustav Siebenmann''. Wilhelm Fink, München 1983, ISBN 3-7705-2154-4, Bd, 2, S. 963–988.</ref>
 
Abgeschlossen wurde die große Amerika-Expedition mit einem Besuch in den [[USA]], wo Humboldt, auch aufgrund seiner intensiven Reisekorrespondenz, bereits höchste Anerkennung als Forscher und Wissenschaftler genoss und unter anderem drei Wochen als Gast des Präsidenten [[Thomas Jefferson]] in [[Washington, D.C.]] und [[Philadelphia]] verbrachte.
 
Am 3.&nbsp;August 1804 betraten Humboldt und Bonpland in [[Bordeaux]] wieder europäischen Boden. Dass ein Privatmann eine solche Forschungsreise gänzlich aus eigenen Mitteln bestritten hatte, war beispiellos. Humboldts Vermögen war um ein Drittel vermindert, und es sollte in den drei folgenden Jahrzehnten, in denen er sein Reisewerk in 30 Bänden verfasste und in Druck gab&nbsp;– das größte je erschienene private Reisewerk überhaupt – gänzlich aufgebraucht werden.
 
=== Als Naturforscher in Paris und Berlin (1805–1828) ===
[[Datei:Zentralbibliothek Zürich - Ideen zu einer Geographie der Pflanzen nebst einem Naturgemälde der Tropenländer - 000012142.jpg|mini|400px|Abbildung aus ''Ideen zu einer Geographie der Pflanzen nebst einem Naturgemälde der Tropenländer'', Paris 1805]]
 
==== Empfang in Paris ====
In Paris, wo er den Anschluss an die wissenschaftliche Entwicklung der vergangenen fünf Jahre suchte und fand, wurde ihm von seinen Forscherkollegen ein grandioser Empfang bereitet und jede Unterstützung bei der Klärung fachwissenschaftlicher Probleme zugesagt.
 
Humboldt nutzte für die Erstellung seines Reiseberichts ein ganzes Wissensnetzwerk; denn sein Darstellungsansatz sah, wie sich nachlesen lässt, mehr vor als nur die Schilderung eigener Erlebnisse, Eindrücke und Messergebnisse. Wo er zum Beispiel auf Getreideanbau, Kakao- und Kaffeeernte in der Ereignischronologie der Orinoco-Expedition einging, war dies meist verbunden mit einer Einordnung der angetroffenen Verhältnisse in die geographischen und wirtschaftlichen Verhältnisse der ganzen bekannten Welt, in Kenntniszusammenhänge also, die er überhaupt nur mit Hilfe anderer herstellen konnte. Dafür und auch für die bestmögliche verlegerische Qualität des Reisewerks war Paris der geeignetste Ort (und deshalb ist es auch nur in französischer Sprache vollständig erschienen).
 
==== Aufenthalt in Berlin ====
[[Datei:Alexander von humboldt 1807 225-91-1-PB.jpeg|mini|Humboldt 1807 in Berlin]]
Obwohl Humboldt also im Grunde wenig Neigung verspürte, „die Türme Berlins wiederzusehen“, folgte er letztlich doch den Mahnungen des Bruders, den er im Sommer 1805 in Rom besuchte, und dem werbenden Druck des preußischen Königshauses: Bereits während seiner Amerika-Reise war er zum außerordentlichen Mitglied der Akademie der Wissenschaften ernannt worden, unmittelbar nach seiner Rückkehr mit einer zu nichts verpflichtenden Pension von 2500 Talern bedacht und bald darauf zum königlichen Kammerherrn ernannt worden, ebenfalls ohne konkrete Verwendung. Von November 1805 an setzte er seine wissenschaftliche Arbeit in Berlin fort.<ref>In diese Zeit fällt auch der erste briefliche Kontakt Humboldts zu [[Friedrich Wilhelm Joseph Schelling]]. Beider Korrespondenz kann zwischen 1805 und 1854 belegt werden. Der von seiner Amerika-Reise zurückgekehrte Humboldt war von Schellings Versuch angezogen, eine [[Naturphilosophie]] zu schaffen.</ref>
 
Nach dem militärischen Zusammenbruch Preußens bei [[Schlacht bei Jena und Auerstedt|Jena und Auerstedt 1806]] erlebte er die Besetzung Berlins durch die Franzosen und die Plünderung von Schloss Tegel, das im Zuge der Erbteilung dem Bruder Wilhelm zugefallen war. Alexanders Berliner Wohnung befand sich zu dieser Zeit in der Friedrichstraße 189. Gute Kontakte zur französischen Seite nutzte Alexander sowohl zur Schadensbegrenzung für eigene familiäre Besitzungen als auch zur Abmilderung mancher Härten der Besatzungspolitik im öffentlichen Raum.
 
==== Wechsel nach Paris ====
Als die französischen Forderungen nach Kriegsentschädigung Preußen in den Ruin zu treiben drohten, veranlasste der als Reformer an die Regierungsspitze berufene [[Heinrich Friedrich Karl vom und zum Stein|Freiherr vom Stein]] im November 1807 eine diplomatische Gesandtschaft nach Paris unter Führung des [[Wilhelm von Preußen (1783–1851)|Prinzen Wilhelm]], Bruder [[Friedrich Wilhelm III. (Preußen)|Friedrich Wilhelms III]]. Zum Berater des Prinzen bei dieser Mission wurde Alexander von Humboldt berufen, der so Gelegenheit erhielt, die Arbeit an seinem Reisewerk am bestgeeigneten Ort wieder aufzunehmen. Und er erhielt für ebendiesen Zweck nach dem endgültigen Scheitern der diplomatischen Bemühungen des Prinzen sogar die Erlaubnis, in Paris zu bleiben, die er mit Konsequenz und Geschick über fast 20 Jahre verteidigte. So schlug er zum Beispiel eine durch [[Karl August von Hardenberg|Hardenberg]] veranlasste Berufung zum preußischen Kultusminister 1809 aus, erhielt sich aber die Gunst des Königs, indem er diesem als glänzender Gesellschafter und kundiger Führer bei Auslandsaufenthalten gelegentlich zu dienen wusste, so 1814 im Zuge eines Paris-Besuchs des Monarchen nach dem Sieg der [[Sechster Koalitionskrieg|Koalition]] über Napoleon I. oder 1822 anlässlich eines Kongresses in [[Verona]], verbunden mit Besichtigungen Venedigs und Roms.
 
An der Pariser Wissenschaftsszene nahm Humboldt mitgestaltend Anteil. So wurde er bereits 1807 unter den Gründungsmitgliedern der [[Société d’Arcueil]] aufgeführt. Dieser Forschungsgemeinschaft schloss sich neben anderen 1809 auch der [[Katalonien|katalanische]] Physiker [[François Arago]] an, mit dem Humboldt fortan in enger freundschaftlicher Verbindung stand. Mit [[Simón Bolívar]], den Humboldt hier ebenfalls traf, entwickelte sich eine briefliche Korrespondenz.<ref>Karl Heinrich Panhorst: ''Simón Bolívar und Alexander von Humboldt.'' Ibero-amerikanisches Archiv Vol. 4, No. 1 (1930), S.&nbsp; 35–47.</ref><ref>Charles Minguet: ''Las relaciones entre Alexander von Humboldt y Simón de Bolívar.'' In: Alberto Filippi (Hrsg.): ''Bolívar y Europa en las crónicas, el pensamiento político y la historiografía.''  Ediciones de la Presidencia de la República, Caracas 1986, Band 1, S.&nbsp;743–754.</ref>
 
==== Neue Reisepläne ====
Parallel zu den Arbeiten am amerikanischen Reisewerk äußerte Humboldt beständig seine Absichten, seinen naturkundlichen Forschungen in der [[Westliche und östliche Hemisphäre|westlichen Hemisphäre]] durch eine asiatische Expedition ein östliches Pendant folgen zu lassen, um dann im Vergleichen und Differenzieren ein ganzheitliches Bild aus der Vielgestaltigkeit der Erde und ihrer Bewohner zu gewinnen. Hauptsächlich interessierten ihn [[Indien]], der [[Himalaya]] und [[Tibet]]. Als er 1811 bereits das zweite Angebot zur Beteiligung an einer russischen Expedition bekam, antwortete er: „Es kostet mir viel, die Hoffnung aufzugeben, die Ufer des Ganges mit ihren Bananenbäumen und Palmen zu sehen; ich bin jetzt 42 Jahre alt und wünsche eine Expedition zu unternehmen, welche 7–8 Jahre dauert; aber um die Aequinoctialgegenden Asiens zu opfern, ist es nötig, daß der Plan, den man mir vorzeichnen wird, ausgedehnt und breit sei. Der Kaukasus zieht mich weniger an, als der [[Baikalsee]] und die Vulkane der Halbinsel [[Kamtschatka]]. Kann man nach [[Kabul]], [[Samarkand]] und [[Kaschmir]] eindringen?“ Napoleons [[Russlandfeldzug 1812|Russland-Feldzug]] 1812 machte die Weiterverfolgung solcher Pläne hinfällig.
 
Eine neue vielversprechende Möglichkeit auf der Linie von Alexanders Primärinteressen eröffnete sich 1817/18, als sein Bruder Wilhelm preußischer Gesandter in London war. Bei mehreren England-Aufenthalten erreichte Alexander die Unterstützung des Prinzregenten (des späteren [[Georg IV. (Vereinigtes Königreich)|Georg IV.]]) und [[George Canning]] für seine Pläne, dazu eine Finanzierungszusage Friedrich Wilhelms III. in gewünschter Größenordnung. Mehr als zweijährige intensive Vorbereitungen schlossen sich an diese Zusagen an, ehe auch dieses Projekt scheiterte, vermutlich an Widerständen innerhalb der [[Britische Ostindien-Kompanie|Britischen Ostindien-Kompanie]], in der Humboldts kritischer Blick auf koloniale Verhältnisse gefürchtet sein mochte.<ref>Andrea Wulf: ''Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur.'' C. Bertelsmann, München 2016, S.&nbsp;211/212, 216, 221, 222, 227.</ref>
 
==== Aufarbeitung der Amerikareise ====
Unterdessen war das amerikanische Reisewerk weit über die ursprüngliche Konzeption hinaus angewachsen. Nach einem Prospekt vom Juni 1817<ref>Sammlung W. D. Grün</ref> waren ursprünglich 8 Bände in [[Buchformat|Folio]]- und 11 Bände in [[Quarto (Papierformat)|Quartformat]] geplant; tatsächlich erschienen zwischen 1805 und 1834 10 Bände in Folio und 20 Bände in Quart, trotzdem blieb das Werk unvollendet.
 
Gegliedert werden sollte das Werk folgendermaßen:
 
* Erster Teil:
: Erste Abteilung: ''Relation historique du Voyage aux régions équinoctiales du Nouveau Continent [...]'' Paris 1814, 1819 und 1825: 4 Textbände in Quart (erschienen sind schließlich 3, die aber nur etwa ein Drittel der Reiseroute behandeln!) und 3 Atlasbände in Folio
: Zweite Abteilung: ''Vue des Cordillères'' oder ''Atlas pittoresque'', 2 Bände in Folio
 
* Zweiter Teil: ''Zoologie et Anatomie comparée.'' 2 Bände in Quart
* Dritter Teil: ''Essai politique de la Nouvelle-Espagne.'' 2 Bände in Quart und 1 Atlasband in Folio
* Vierter Teil: ''Astronomie, ou Recueil d’Observations astronomiques, d’Opérations trigonométriques et de Mesures barométriques faites pendant le cours du voyage.'' 2 Bände in Quart
* Fünfter Teil: ''Physique générale.'' enthaltend ''Traité sur les climats, la Géographie des Plantes et les Observations magnétiques'', 1 Band in Quart
* Sechster Teil (''Botanique''):
: Erste Abteilung: ''Plantes équinoxiales.'' 2 Bände in Folio.
: Zweite Abteilung: &nbsp;1. ''Les Melastomes'', 1 Band in Folio. &nbsp;2. ''Les Rexia'', 1&nbsp;Band in Folio.
 
Neben einer bedeutenden Anzahl Gelehrter der verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen, die Humboldt inhaltlich zuarbeiteten, waren an die 50 Spezialisten mit bildlichen Darstellungen (davon allein 1452 Kupferstiche) beschäftigt, darunter Maler, Zeichner, Kartographen und Schriftkünstler. Was seinen Qualitätsansprüchen nicht genügte, ließ Humboldt auf eigene Kosten neu fertigen, darunter bereits vollendete Kupferplatten, fertige Textdrucke bis hin zu einem ganzen Band.
 
==== Rückkehr nach Berlin ====
[[Datei:Gedenktafel Unter den Linden 6 (Mitte) Alexander von Humboldt.jpg|mini|Gedenktafel im Haus Unter den Linden 6 in [[Berlin-Mitte]] zu Humboldts Vorlesungen 1827/28]]
 
1827 schließlich, da sich die Vorarbeiten für die Gesamtpublikation dem Ende neigten, entfiel aus Berliner Sicht der Grund für den Daueraufenthalt Humboldts in Paris: Der König beorderte seinen Kammerherrn nach Berlin zurück. 1829 ernannte er ihn zum [[Wirklicher Geheimer Rat|Wirklichen Geheimen Rat]] mit dem Prädikat ''[[Exzellenz (Titel)|Exzellenz]]''.<ref>Biermann, Jahn, Lange 1983, S.&nbsp;49.</ref>
 
Daheim wurde er sogleich zum Motor und Kristallisationskern einer aufstrebenden Wissenschaftsszene. Seine an der Universität begonnenen Vorlesungen im Rahmen eines sehr weit gefassten geographischen Horizonts waren so stark besucht und nachgefragt, dass er sie alsbald in dem tausend Zuhörer fassenden [[Sing-Akademie zu Berlin#Das Haus der Sing-Akademie|Haus der Sing-Akademie]] als freie Vorträge fortsetzte. Unter seinen Hörern war hier vom König bis zum Handwerker ein breites gesellschaftliches Spektrum vertreten, Damenbeteiligung inklusive. Wie in seinen 20 Jahre zuvor erschienenen ''Ansichten der Natur'' gelang es ihm, sein deutsches Publikum in allgemeinverständlicher, bildreicher Sprache zu faszinieren und das Interesse für erdkundliche und naturwissenschaftliche Fragen anzufachen. Ähnliche Ausstrahlung auf anderer Ebene entwickelte Humboldt als Organisator und Präsident des hochkarätig zusammengesetzten [[Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte|Naturforscherkongresses 1828]] in Berlin, der unter anderem mit seinem Tagungsmodus in Fachabteilungen für künftige derartige Veranstaltungen Maßstäbe setzte.
 
=== Russlandexpedition (1829) ===
Nicht lange nach seiner Rückkehr aus Paris, für das er auch künftig pro Jahr einen viermonatigen Aufenthalt bewilligt bekam, und zur Zeit seiner glänzenden Erfolge als Kommunikator der [[Naturwissenschaft#Geschichte der Naturwissenschaft|Naturforschung]] in Berlin ergriff Humboldt die Chance, doch noch zu seiner östlichen Forschungsreise zu kommen. Ausgangspunkt war eine Bitte des russischen Finanzministers [[Georg Cancrin]], Humboldt möge zur geplanten Einführung einer [[Platinrubel|Platin-Währung]] in Russland Stellung nehmen, die dann trotz Humboldts Warnung tatsächlich bis zu ihrem Scheitern 1845 verwirklicht wurde. Cancrin war aber auch an dem [[Geognosie|Geognosten]] (= ''Geologen'') und Bergbauexperten Humboldt interessiert und stellte ihm eine Forschungsreise zum Ural und darüber hinaus in Aussicht, um Aufschlüsse über ausbeutbare Minenvorkommen zu erhalten.
 
Obwohl er hier Interessen der russischen Regierung zu berücksichtigen haben würde und sich der Charakter dieser Expedition schon dadurch wesentlich von der amerikanischen unterscheiden musste, bei der Humboldt gänzlich frei hatte disponieren können, zögerte er nicht lange. Die Beziehungen zwischen den gekrönten Häuptern Preußens und Russlands waren gerade besser denn je, und auf eigene Mittel für eine solche Unternehmung konnte Alexander von Humboldt nicht mehr rechnen. In diese Expedition sollte sein 60. Geburtstag fallen; er war also etwa doppelt so alt wie zu Beginn der Amerika-Reise.
 
Zu Begleitern, die für ihre Fachdisziplin auch jeweils die wissenschaftliche Auswertung der Expedition vornehmen sollten, wählte er den Mediziner, Zoologen und Botaniker [[Christian Gottfried Ehrenberg]] und den Chemiker und Mineralogen [[Gustav Rose]]. So konnte Humboldt sich vorwiegend geomagnetischen und astronomischen Beobachtungen widmen und die physische Geographie im Überblick studieren.
 
Am Anfang der Forschungsreise stand ein dreiwöchiger Aufenthalt bei Hofe in St. Petersburg, wo Humboldt die Zarin unter anderem mit Vorhersagen über zu erwartende –&nbsp;und noch während der Reise tatsächlich eingetretene&nbsp;– Diamantfunde im Ural fesselte. Die Fortbewegung im Gelände vom 20. Mai 1829 an fand in drei gefederten Wagen statt, die von 16 Pferden gezogen wurden. Mit von der Partie waren hier&nbsp;– in deutlichem Kontrast zu den drei amerikanischen Erkundungsreisen&nbsp;– ein Koch und Humboldts Diener Seifert.
 
Die abgesprochene Expeditionsroute sollte über [[Moskau]], [[Kasan]] und [[Perm (Stadt)|Perm]] zunächst [[Jekaterinburg]] am [[Ural]] erreichen; auf einer nördlichen Schleife sollten hier nähere Untersuchungen stattfinden, die zu einer reichhaltigen geologischen Materialsammlung führten. [[Tobolsk]] an der Einmündung des Tobol in den Irtysch hätte nach den Vorfestlegungen der östliche Umkehrpunkt der Expedition werden sollen. Humboldt wollte aber weiter zum [[Altai]]-Gebirge und zur chinesischen Grenze. Er ließ Cancrin wissen, dass die Expedition der Zeitplanung weit voraus sei, und stellte ihn mit einer beträchtlichen Ausweitung der Reiseroute hier&nbsp;– und dann später noch einmal beim Vorstoß die Wolga entlang zum [[Kaspisches Meer|Kaspischen Meer]]&nbsp;– vor vollendete Tatsachen. Humboldts inoffizieller Kommentar zu der lästigen Überwachungspraxis lautete: „Kein Schritt, ohne dass man ganz wie ein Kranker unter der Achsel geführt wird“. Seine Eigenmächtigkeit wurde gleichwohl vom zaristischen Regime hingenommen.
 
Tatsächlicher Umkehrpunkt der Reise wurde daher nach Inspektion der Silbergruben im Altai und Kontaktaufnahme mit chinesischen Grenzposten der Ort Baty. Der Rückweg führte von [[Semei|Semipalatinsk]] über Omsk und Miask nach Orenburg am südlichen Ausgang des Ural-Gebirges und –&nbsp;nach dem zweiten programmwidrigen Abstecher&nbsp;– von Astrachan über Woronesch und Moskau zurück nach St. Petersburg, das am 13. November 1829 erreicht wurde.
 
Während eines knappen halben Jahres hatten die Forschungsreisenden mehr als 15.000 Kilometer zurückgelegt, gezogen von über 12.000 Pferden. Zar [[Nikolaus I. (Russland)|Nikolaus&nbsp;I.]] und sein Finanzminister hatten Humboldt in diskreter Kenntnis seiner unterdessen prekären Finanzsituation für die Expedition mit 20.000 Rubeln großzügig ausgestattet, ohne dass er darüber hätte Rechenschaft ablegen sollen. Gleichwohl hat Humboldt das gute Drittel dieser Mittel, das nicht verbraucht worden war, zurückgegeben. Seine Anregung, das Geld für weitere Forschungsunternehmen zu verwenden, wurde dann auch befolgt. In die gleiche Richtung zielte der die Expeditionserfahrungen zusammenfassende Vortrag Humboldts am 28. November 1829 vor der russischen Wirtschaftselite in Gegenwart des Königs und anderer Honoratioren, in dem er unter anderem appellierte: „Ein Land, das sich über mehr als 135 Längengrade erstreckt, von der fruchtbaren Zone der Olivenbäume bis zu den Landstrichen, wo der Boden nur noch mit flechtenartigen Pflanzen bedeckt ist, kann mehr als jedes andere das Studium der Atmosphäre, die Erkenntnisse über die durchschnittliche Jahrestemperatur und, was noch wichtiger für den Zyklus der Vegetation ist, das Studium der Verteilung der Jahreswärme auf die verschiedenen Jahreszeiten vorantreiben. […] Wenn die variierenden Isothermen oder Linien gleicher Wärme auf Grund präziser Beobachtungen aufgezeichnet werden und dies mindestens fünf Jahre lang im europäischen Russland und in [[Sibirien]] fortgeführt wird, wenn sie verlängert werden bis zu den westlichen Küsten Amerikas […], dann wird die Wissenschaft von der Verteilung der Wärme auf der Erdoberfläche und in den Schichten, die unserer Forschung zugänglich sind, auf soliden Grundlagen basieren.“
 
Tatsächlich ließ die russische Regierung in der Folge ein Netz von Messstationen anlegen, die unter anderem Luftdruck, Temperatur, Windrichtung und Niederschlagsmengen erfassten. Die so ermittelten Daten dienten Humboldt dann wiederum als empirische Grundlage für die einschlägigen Betrachtungen in seinem 1843 erschienenen Werk über Zentralasien.
 
=== Gratwanderer zwischen Hofdienst und Wissenschaftsbetrieb (1830–1859) ===
[[Datei:Pickersgill humboldt.jpg|mini|Alexander von Humboldt,<br />Gemälde von H.&nbsp;W. Pickersgill (1831)]]
 
Die Rückkehr von der russischen Expedition nach Berlin dürfte Alexander von Humboldt erneut nicht leichtgefallen sein. Das Lebenswerk als reisender Feldforscher lag nun hinter ihm; vor ihm die Perspektive, neben seiner wissenschaftlichen Arbeit die höfische Gesellschaft, die Tafel des Königs mit seinen Kenntnissen und Anekdoten geistvoll unterhalten zu sollen. Als aufklärerischer Liberaler stieß er in solcher Gesellschaft auf mancherlei politisch und religiös bedingte Anfeindung und Engstirnigkeit, die ihm ungeachtet seiner stets gewahrten Contenance und rhetorischen Brillanz schwer erträglich waren. Jahrzehntelang hatte der königliche Kammerherr diese Lage in Paris meiden können. 1822 hatte er dem Bruder sogar von Plänen geschrieben, seine späten Jahre in einem dann republikanisch gewordenen Mexiko als Leiter eines transamerikanischen Forschungsinstituts zu gestalten. Nun war dies alles hinfällig; Alexander von Humboldt musste sich mit Berlin abfinden, was ihm noch schwerer fiel, als 1835 der ihm doch wohl am nächsten stehende Bruder Wilhelm starb. Bei Hofe beruhte Alexanders Stellung allein darauf, dass er die Gunst seiner Könige besaß. Seine politischen Ansichten wurden zwar auch von ihnen belächelt (immerhin erreichte Humboldt noch, dass auf preußischem Boden jeglicher Sklavenstatus erlosch), seine Leistungen und sein Renommee als Vorzeigewissenschaftler aber hochgeschätzt.
 
Humboldt machte aus seiner Lage weiterhin das Beste&nbsp;– unterdessen bereits für die nachfolgenden Generationen&nbsp;–, indem er nicht nur seine wissenschaftliche und publizistische Arbeit fortsetzte, sondern aufgrund seines enorm verzweigten Beziehungsgeflechts weit über Preußen und Deutschland hinaus zum wichtigsten Koordinator wissenschaftlichen Mäzenatentums und der Förderung von [[Nachwuchsforscher]]n wurde; so unterstützte er zum Beispiel den Forscher [[Hermann Burmeister]] auf dessen Südamerika-Reisen finanziell. Für diese Funktion war die Nähe des Königs von ausschlaggebender Bedeutung. 1827 ernannte Friedrich Wilhelm III. Alexander von Humboldt zum Präsidenten einer Kommission zur Prüfung der Unterstützungsgesuche von Gelehrten und Künstlern. Als Friedrich Wilhelm IV. 1842 den [[Pour le Mérite#Pour le Mérite für Wissenschaften und Künste|Orden „Pour le mérite“ für Wissenschaften und Künste]] stiftete, machte er Humboldt zu dessen Kanzler und folgte bei der Berufung der 30 deutschen und 25 ausländischen Mitglieder zumeist seinen Vorschlägen. Und so zeigte sich Humboldts fördernder Einfluss im Großen wie im Kleinen; es konnte den Anschein haben, als bekleide er das Amt eines „europäischen Kultusministers“ (Hanno Beck).
 
Nicht nur 1807/08, sondern insgesamt achtmal bis 1848 wurde Alexander von Humboldt von seinen Königen auch zu diplomatischen Missionen herangezogen und wäre, wenn er denn gewollt und sich dadurch nicht von seinen selbstgesetzten Zielen abgelenkt gesehen hätte, schon 1815 preußischer Botschafter in Paris geworden. Sein bekannt weltmännisches und verbindliches Auftreten, seine Sprachmächtigkeit und fesselnde Erzählkunst ließen ihn rasch zum Mittelpunkt jeder Gesellschaft werden, in die er sich begab. Sein Wissenshorizont und die Fähigkeit, ihn zu vermitteln, müssen in höchstem Maße faszinierend gewesen sein, wenn [[Johann Wolfgang von Goethe|Goethe]] seinem Herzog schrieb: „Man könnte in 8 Tagen nicht aus Büchern herauslesen, was er einem in einer Stunde vorträgt.“ Dass er das Instrument seiner Schlagfertigkeit, seines phänomenalen Gedächtnisses und einer unverwüstlichen Frische (Werner Rübe) nicht nur in blendenden Komplimenten spielen ließ, sondern teilweise über dieselben Personen anderwärts deftig-ironisch oder sarkastisch-abschätzig urteilte, wird nur befremdlich finden, wer seine politisch und menschlich prekäre Situation bei Hofe außer Acht lässt. Nicht etwa, dass er Selbstmitleid kultiviert hätte; aber Anflüge von Bitterkeit über das Los seiner späten Jahre hat er dann und wann eben doch erkennen lassen.
 
[[Datei:Humboldt, Alexander von 1847.jpg|mini|[[Daguerreotypie]] von Alexander von Humboldt aus dem Jahr 1847]]
 
Im Januar 1848&nbsp;– also kurz vor Ausbruch der Pariser Februarrevolution&nbsp;– kehrte Humboldt von seiner letzten diplomatischen Mission aus Paris nach Berlin zurück. Hier wurde er Zeuge der [[Barrikadenaufstand|Berliner Märzrevolution]] und in sie involviert. Am 21. März, nach den Barrikadenkämpfen und dem Ritt Friedrich Wilhelms IV. mit einer schwarz-rot-goldenen Armbinde durch die Stadt, war es nach dem König und einigen Ministern, deren Ansprachen blass blieben, Alexander von Humboldt, den das Volk auf dem Balkon des Schlosses zu sehen wünschte. Humboldt erschien, hielt aber keine Rede, sondern verbeugte sich nur stumm. Am Folgetag reihte sich der bald Achtzigjährige in den Zug ein, der die 183 zivilen Opfer vom Gendarmenmarkt am Schloss vorbei zum [[Friedhof der Märzgefallenen]] geleitete. Die im [[Invalidensäule|Krieger-Denkmal im Invalidenpark]] bestatteten Soldaten ehrte er als die, „die für das Gesetz, die Ordnung und die Civilisation gefallen sind.“<ref>In einem Beitrag zum Album des Denkmals, siehe Friedrich Wilhelm Varchmin: ''Vor zwanzig Jahren''. Selbstverlag des Verfassers, Eisenach 1868, S. 213.</ref>
 
Ein reichliches Jahrzehnt später erlebte Berlin einen anderen Tag wirklicher Volkstrauer. Am 10. Mai 1859 fand im Berliner Dom ein Gottesdienst für den vier Tage zuvor verstorbenen Alexander von Humboldt statt, der seit dem 24. Januar 1856 [[Ehrenbürger]] von Berlin gewesen war. Die Menge, die dem Leichenzug von Humboldts letzter Wohnstätte in der Oranienburger Straße&nbsp;67 zum Dom folgte, war nach zeitgenössischen Berichten nur mit der zu vergleichen, die die Märzgefallenen begleitet hatte. Nach der Feier im Dom fand die Überführung des Sarges in den Park von Schloss Tegel statt, wo Alexander von Humboldt am Folgetag im Familiengrab beigesetzt wurde. Der Philologe [[August Böckh]] dürfte in seiner Akademie-Gedenkrede das Bewusstsein breiter gesellschaftlicher Schichten artikuliert haben: „Es ist ein glänzendes Gestirn im Reich des Geistes für diese Welt erloschen.“ Sein Grab ist als [[Liste der Ehrengräber in Berlin|Ehrengrab der Stadt Berlin]] gestaltet.
 
== ''Kosmos'' – die Lebenssumme ==
 
Die enorme Popularität, die Alexander von Humboldt über den Tod hinaus auszeichnete, lag nicht zuletzt in dem Werk begründet, dem er sich seit 1834 und in den ihm dann bleibenden zweieinhalb Jahrzehnten gewidmet hat: einer Gesamtschau der wissenschaftlichen Welterforschung, die 1845–1862 unter dem Titel ''[[Kosmos (Humboldt)|Kosmos]]'' in fünf Bänden erschienen ist. Damit gelang es ihm, die Vision zu verwirklichen, die ihm von Beginn seiner Naturforscher-Tätigkeit an vorschwebte und als Richtschnur seines Handelns alle wichtigen Entscheidungssituationen bestimmte. An [[Karl August Varnhagen von Ense|Varnhagen von Ense]], der ihn bei der sprachlichen Gestaltung beraten sollte, schrieb er 1834: „Ich habe den tollen Einfall, die ganze materielle Welt, alles, was wir heute von den Erscheinungen der Himmelsräume und des Erdenlebens, von den Nebelsternen bis zur Geographie der Moose auf den Granitfelsen wissen, alles in einem Werke darzustellen, und in einem Werke, das zugleich in lebendiger Sprache anregt und das Gemüt ergötzt.“
 
[[Datei:Berlin Gedenktafel Alexander von Humboldt Oranienburger Str 67 2009 09 20.JPG|mini|links|hochkant|Gedenktafel an Humboldts letztem Wohnhaus in Berlin]]
[[Datei:GesNat000 04.jpg|mini|hochkant|Dem „Grossmeister der Naturwissenschaften“]]
[[Datei:GesNat000 12.jpg|mini|hochkant|Handschrift A. v. Humboldts als Erwiderung auf die Widmung des Werkes [[:Datei:GesNat000Titel.jpg|''Die gesammten Naturwissenschaften'']] ]]
 
Er hatte allerdings für dieses Projekt einen so komplexen und ausgiebigen Anlauf genommen, dass z.&nbsp;B. der ältere Bruder Wilhelm zwar bereits früh viel von seinen Fähigkeiten hielt, über lange Zeit aber nicht viel auf seinen Forschungsansatz gab: „Man kommt der Natur darum nicht näher, wenn man aus der zivilisierten Welt herausgeht.“ Er ließ sich aber durch Alexander eines Besseren belehren und war schließlich seinerseits äußerst beeindruckt von dessen Vorträgen in der Singakademie, denen Wilhelm mit seiner Familie beiwohnte. Der Titel ''Kosmos'' für Alexanders Bilanzierungsvorhaben entsprang dem gemeinsamen Nachdenken beider. In der komplementären Breite ihres Wirkens ohnehin, hier aber auch in innerer Übereinstimmung haben sie „das Jahrhundert brüderlich in den Arm genommen“ (Rübe).
 
Längst vor dem Bruder hatte Alexander bei Begegnungen in Jena und Weimar [[Johann Wolfgang von Goethe|Goethe]] für seine Forschungsmethode gewonnen. Der schrieb ihm 1795: „Da Ihre Beobachtungen vom Element, die meinigen aber von der Gestalt ausgehen, so können wir nicht genug eilen, uns in der Mitte zu begegnen.“ Diesen Impuls hat der 20 Jahre Jüngere aufgenommen und im ''Kosmos'' schließlich glänzend zur Geltung gebracht: „Die Natur ist für die denkende Betrachtung Einheit in der Vielheit, Verbindung des Mannigfaltigen in Form und Mischung, Inbegriff der Naturdinge und Naturkräfte, als ein lebendiges Ganze. Das wichtigste Resultat des sinnigen physischen Forschens ist daher dieses: in der Mannigfaltigkeit die Einheit zu erkennen, von dem Individuellen alles zu umfassen, was die Entdeckungen der letzteren Zeitalter uns darbieten, die Einzelheiten prüfend zu sondern und doch nicht ihrer Masse zu unterliegen, der erhabenen Bestimmung des Menschen eingedenk, den Geist der Natur zu ergreifen, welcher unter der Decke der Erscheinungen verhüllt liegt. Auf diesem Wege reicht unser Bestreben über die enge Sinnenwelt hinaus, und es kann uns gelingen, die Natur begreifend, den rohen Stoff empirischer Anschauung gleichsam durch Ideen zu beherrschen.“ Die wissenschaftliche Naturforschung wird hier zusammengeführt mit dem Denken Goethes und des Bruders Wilhelm. Zugleich wird der Vorstellungshorizont der deutschen Klassik auf ein empirisches Fundament verwiesen: „Aus unvollständigen Beobachtungen und noch unvollständigeren Inductionen entstehen irrige Ansichten von dem Wesen der Naturkräfte, Ansichten, die, durch bedeutsame Sprachformen gleichsam verkörpert und erstarrt, sich, wie ein Gemeingut der Phantasie, durch alle Klassen der Nation verbreiten. Neben der wissenschaftlichen Physik bildet sich dann eine andere, ein System ungeprüfter, zum Theil gänzlich mißverstandener Erfahrungskenntnisse. Wenige Einzelheiten umfassend ist diese Art der Empirik um so anmaßender, als sie keine der Thatsachen kennt, von denen sie erschüttert wird. Sie ist in sich abgeschlossen, unveränderlich in ihren Axiomen, anmaßend wie alles Beschränkte; während die wissenschaftliche Naturkunde, untersuchend und darum zweifelnd, das fest Ergründete von dem bloß Wahrscheinlichen trennt, und sich täglich durch Erweiterung und Berichtigung ihrer Ansichten vervollkommnet.“
 
[[Datei:Baron Alexander von Humboldt by Julius Schrader 1859 retouched.jpg|mini|Das letzte Porträt von Alexander von Humboldt von [[Julius Schrader]] (1859). Im&nbsp;Hintergrund der [[Chimborazo]].]]
 
Damit sind die methodischen Grundpfeiler des Humboldtschen Forscherlebens wie seines Spätwerkes ''Kosmos'' erfasst, das mit einer damaligen Gesamtauflage von 87.000 Exemplaren auch als Bestseller Epoche machte. Manche der Einsichten, zu denen Alexander von Humboldt in seinem Spätwerk gelangt ist, gelten fort: „Wissen und Erkennen sind die Freude und die Berechtigung der Menschheit; sie sind Theile des Nationalreichthums, oft ein Ersatz für die Güter, welche die Natur in allzu kärglichem Maaße ausgetheilt hat. Diejenigen Völker, welche an der allgemeinen industriellen Thätigkeit, in Anwendung der Mechanik und technischen Chemie, in sorgfältiger Auswahl und Bearbeitung natürlicher Stoffe zurückstehen, bei denen die Achtung einer solchen Thätigkeit nicht alle Classen durchdringt, werden unausbleiblich von ihrem Wohlstande herabsinken. Sie werden es um so mehr, wenn benachbarte Staaten, in denen Wissenschaft und industrielle Künste in regem Wechselverkehr mit einander stehen, wie in erneuerter Jugendkraft vorwärts schreiten.“
 
Obwohl der Verkaufserfolg und die Rezeption des Werkes seine außerordentliche Popularität belegen, ist das Werk wegen seiner schwierigen Textgestaltung nur bedingt als ''populäres'' Werk anzusehen. „Der Text wies alle idealtypischen Merkmale der Wissenschaftsprosa auf: lange und oft fremdsprachige Zitate, Forschungsdiskussionen, Anmerkungen, etymologische Exkurse, eine große Menge von Daten und Zahlen und historische Einschübe bestimmen das Gesamtbild.“ Nachdem das Werk vorlag, erschienen ausgehend von diesem eine Vielzahl kürzerer popularisierender naturhistorischer Schriften, die oft den Begriff ''Kosmos'' im Titel trugen. Alexander von Humboldt selbst trug sich zeitweise mit dem Gedanken – vor allem aus finanziellen Gründen –, eine Kurzfassung als ''Microkosmos'' zu verfassen.<ref>Andreas Daum: ''Wissenschaftspopularisierung im 19. Jahrhundert.'' 2. Auflage. München 2002, S. 273–286.</ref>
 
== Weltwissenschaftler ==
 
Alexander von Humboldts Denken war in einem umfassenden Sinn auf die Welt im Ganzen gerichtet. Dabei unterscheidet der Humboldt-Forscher [[Ottmar Ette]] drei wesentliche Bedeutungsebenen, nämlich die auf das Weltall bezogene kosmische, dazu eine planetarische, die u.&nbsp;a. den Welthandel einschließt, sowie eine philosophisch-abstrakte Dimension, die etwa als Weltanschauung begegnet.<ref>Ette: ''Alexander von Humboldt und die Globalisierung: Das Mobile des Wissens'', 2009, S.&nbsp;193.</ref> Humboldts Forscherinteresse und Wissenschaftskonzeption waren nicht allein auf die jeweiligen Gegenstände gerichtet, sondern wurden zur kosmopolitischen Wissenschaft aufgrund ihrer ethischen Fundierung und der an den Interessen der gesamten Menschheit ausgerichteten politischen Verantwortlichkeit.<ref>Ette: ''Alexander von Humboldt und die Globalisierung: Das Mobile des Wissens'', 2009, S.&nbsp;18.</ref> Wissenschaftliche Interessen und die des Literaten gingen bei Humboldt nach eigenem Bekunden Hand in Hand. „Ästhetik“, so Ette, „ist für Humboldt keine bloße Zierde oder schöne Dreingabe, sondern ein eigenes spezifisches Verknüpfungswissen, das alles mit allem zu verbinden vermag.“<ref>Ottmar Ette: ''[http://www.tagesspiegel.de/wissen/das-universale-werk-des-grossen-forschers-der-bewegte-alexander-von-humboldt/12365024.html Unterwegs in allen Kulturen. Altamerikanistik bis Zoologie: Was der „Nomade“ Alexander von Humboldt mit seinen Reisen bewegt hat.]'' In: ''[[Der Tagesspiegel]]'', 25.&nbsp;September 2015, S.&nbsp;28.</ref>
 
Als Forscher setzte Humboldt auf weltweite Vernetzung und förderte sie nach Kräften durch eigene Korrespondenz und als Organisator von Begegnung und Ergebnisaustausch unter Wissenschaftlern. Seine vielfältigen Leistungen und Wirkungsbereiche trugen ihm höchste Anerkennung in aller Welt ein:
 
{{Zitat|In Frankreich, wo er jahrzehntelang an seinem Reisewerk arbeitete, erwarb er sich den Ruf, ‚der größte Gelehrte des Jahrhunderts‘ und ‚der Aristoteles der Moderne‘ zu sein; in Mexiko, wo er durch seinen Essai politique sur le Royaume de la Nouvelle-Espagne stark auf das nationale Selbstverständnis und die Unabhängigkeit von Spanien einwirkte, wurde er (als einziger Ausländer) kurz nach seinem Tod, im Juli 1859, von [[Benito Juárez]] zum ‚Benemérito de la Patria‘ erklärt; und in Deutschland, wo er schon bald nach seiner Rückkehr als ‚zweiter Entdecker Amerikas‘ gefeiert wurde, verehrte man in ihm die wissenschaftliche Autorität seiner Zeit.|ref=<ref>Ette: ''Alexander von Humboldt und die Globalisierung: Das Mobile des Wissens'', 2009, S.&nbsp;260.</ref>}}
 
Allerdings waren Wertschätzung und Rezeption Alexander von Humboldts in Deutschland schon zu Lebzeiten und so bis heute teils eingeschränkt, teils verzerrt. Neben der langzeitigen „Erbfeindschaft“ zwischen Deutschen und Franzosen haben dazu auch Volksausgaben der Schriften Humboldts beigetragen, die von den jeweiligen Kompilatoren sehr frei und mitunter sinnwidrig bearbeitet worden waren.<ref>Ette spannt einen Bogen der Missdeutungen vom Verdikt Friedrich Schillers (zit. n. Ette: ''Alexander von Humboldt und die Globalisierung: Das Mobile des Wissens'', 2009, S.&nbsp;305: „Über Alexandern habe ich noch kein rechtes Urtheil; ich fürchte aber, trotz aller seiner Talente und seiner rastlosen Thätigkeit wird er in seiner Wissenschaft nie etwas Großes leisten. […] Es ist der nackte, schneidende Verstand, der die Natur, die immer unfaßlich und in allen ihren Punkten ehrwürdig und unergründlich ist, schamlos ausgemessen haben will und mit einer Frechheit die ich nicht begreife, seine Formeln, die oft nur leere Formeln und immer nur enge Begriffe sind, zu ihrem Maßstab macht. Kurz, mir scheint er für seinen Gegenstand ein viel zu grobes Organ, und dabei ein viel zu beschränkter Verstandesmensch zu sein.“) bis zur jüngsten Romansatire [[Daniel Kehlmann]]s (Ette: ''Alexander von Humboldt und die Globalisierung: Das Mobile des Wissens'', 2009, S.&nbsp;305: „Die Vermessung der Welt lässt sich aus der rezeptionsgeschichtlichen Perspektive verstehen als das Ergebnis einer intensiven Kannibalisierung von Wissenschaft: Der Roman hat sich eine kleine Bibliothek nicht nur von Humboldt-Verschnitten, sondern auch von älterer Literatur über Humboldt einverleibt, sorgsam nach erzählerisch Verwertbarem durchforstet.“ Zu befürchten stehe, „dass manche der Stereotype, die man doch schon längst verbraucht wähnte, nun wieder fröhlich in der Öffentlichkeit zirkulieren werden.“) Angesichts dessen ruft Ette dazu auf, sich den neuerdings in seriösen deutschsprachigen Ausgaben vorliegenden Originalschriften Alexander von Humboldts zuzuwenden. (Ette: ''Alexander von Humboldt und die Globalisierung: Das Mobile des Wissens'' 2009, S.&nbsp;317)</ref>
 
=== Forschungshorizont ===
 
Zu den Wissenschaftsbereichen, zu denen Alexander von Humboldt Grundlegendes beigetragen hat, zählt Ette Anatomie, Altertumswissenschaft, Botanik, Geologie, Geschichtswissenschaft, Mathematik, Philologie, Astronomie und Zoologie. Zu den stark von Humboldt beeinflussten Persönlichkeiten, so [[Andrea Wulf]], gehört [[Charles Darwin]], der sich zur Vorbereitung seiner Beagle-Expedition auch in Humboldts Reiseberichte aus den Tropen einarbeitete.<ref>Andrea Wulf: ''Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur.'' München 2016, S.&nbsp;274–295.</ref> An Darwins Reise-Tagebüchern wurde eine große Ähnlichkeit sowohl der Art der Naturbetrachtung als auch der schriftstellerischen Ausführung bemerkt.<ref>Andrea Wulf: ''Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur.'' München 2016, S.&nbsp;285. Eine persönliche Begegnung zwischen Darwin und Humboldt am 29. Januar 1842 in London verlief jedoch für Darwin enttäuschend wegen Humboldts sehr monologisierender Art der Kommunikation. (Ebenda, S.&nbsp;303–304)</ref> Bezeichnend für Humboldts Forschungsansatz, heißt es bei Ette, sei disziplinenübergreifendes Querdenken und auf das Ganze gerichtetes Zusammendenken, das sich keineswegs im Messen und in der Datenerhebung zu statistischen Zwecken verloren habe.<ref>Ette: ''Alexander von Humboldt und die Globalisierung: Das Mobile des Wissens'', 2009, S.&nbsp;16 ff.</ref>
 
{{Zitat|Die Horizonte seines Denkens waren offen – so offen wie nur selten in der Geschichte des abendländischen Denkens. Wissenschaft und Bildung sollten keine Bildungsbrocken aufhäufen: Wirkliche Bildung zielte für Alexander von Humboldt vielmehr auf eine Kernkompetenz: die Fähigkeit zum Zusammendenken. Sie bildet die entscheidende Grundlage eines Zusammenlebens in wechselseitiger Achtung der Differenz. Nicht nur in der Natur ist für Humboldt alles Wechselwirkung.|ref=<ref>Ette: ''Alexander von Humboldt und die Globalisierung: Das Mobile des Wissens'', 2009, S.&nbsp;32.</ref>}}


Sein die Natur- und Geisteswissenschaften sowohl in ihren jeweiligen Forschungsmethoden respektierender als auch gezielt untereinander vernetzender Ansatz dürfte wohl am ehesten geeignet sein, wissenschaftlichem Arbeiten jene Problemlösungskompetenz und jenes öffentliche Gehör zu erschließen, ohne die es oft fruchtlos bleibt. Humboldts ''Kosmos'' erwuchs nicht zuletzt aus dem ständigen direkten und persönlichen Austausch über die Grenzen der Disziplinen hinweg und ermöglichte ihm die Einbeziehung spezialisierter Wissensbestände gerade auch solcher Fachrichtungen, deren Erkenntnisse ihm wichtig waren, obwohl er sie selbst nicht vertieft betreiben konnte. Bei aller Komplexität und ganzheitlichen Orientierung seines Forschens blieb Humboldt sich jedoch der Lückenhaftigkeit und Vorläufigkeit auch der eigenen Ergebnisse bewusst. So schreibt er im zweiten Band des Kosmos:
== Literatur ==
* Remigio Coli: ''Luigi Boccherini'', Maria Pacini Fazzi editore, Lucca 2005 (italienisch)
* Carl Dahlhaus: ''Klassische und romantische Musikästhetik.'' Laaber 1988
* Hans Heinrich Eggebrecht: ''Musik im Abendland, Prozesse und Stationen vom Mittelalter bis zur Gegenwart''. In ''Mn./Z'' 1991, S. 471–487
* Thrasybulos Georgiades: ''Schubert, Musik und Lyrik''. Göttingen 1967
* Raphael Georg Kiesewetter: ''Geschichte der europäisch- abendländischen oder unserer heutigen Musik''. Leipzig 1834
* H. C. Robbins Landon: ''Joseph Haydn – sein Leben in Bildern und Dokumenten'', Verlag Fritz Molden, Wien et. al., 1981
* H. C. Robbins Landon: ''Das Mozart Kompendium'', Droemer Knaur, München 1991
* Charles Rosen: ''Der klassische Stil. Haydn, Mozart, Beethoven.'' Bärenreiter, Kassel etc. 1983, ISBN 978-3-7618-1235-8
* Teodor de Wyzewa, G. de Saint-Foix: ''W.-A. [!] Mozart. Sa vie musicale et son oeuvre de l'enfance à la pleine maturité […] Essai de biographie critique suivi d'un nouveau catalogue chronologique de l'oeuvre complète de maitre […]''. 5 Bände, Paris 1936–1946


{{Zitat|Durch den Glanz neuer Entdeckungen angeregt, mit Hoffnungen genährt, deren Täuschung oft spät erst eintritt, wähnt sich jedes Zeitalter dem Culminationspunkt im Erkennen und Verstehen der Natur nahe gelangt zu sein. […] Belebender und der großen Idee von der Bestimmung unseres Geschlechtes angemessener ist die Überzeugung, daß der eroberte Besitz nur ein sehr unbeträchtlicher Theil von dem ist, was bei fortschreitender Thätigkeit und gemeinsamer Ausbildung die freie Menschheit in den kommenden Jahren erringen wird. Jedes Erforschte ist nur eine Stufe zu etwas Höherem in dem verhängnißvollen Laufe der Dinge.|ref=<ref>A. von Humboldt: ''Kosmos'' (1845–1862), Band 2, S.&nbsp;398&nbsp;f.; zit. n. Ette: ''Alexander von Humboldt und die Globalisierung: Das Mobile des Wissens'', 2009, S.&nbsp;248&nbsp;f.</ref>}}
== Weblinks ==
 
* {{Austriaforum|AEIOU/Wiener_Klassik}}
=== Vernetzungsprinzip ===
[[Datei:AlexanderVonHumboldtBriefsiegel.jpg|mini|Humboldts [[Siegel]] auf einem Brief]]
 
„Wenn unser Jetztzeitalter das Netzzeitalter ist“, schreibt Ette, „dann ist Alexander von Humboldt gewiß dessen wissenschaftlicher Vordenker.“<ref>Ette: ''Alexander von Humboldt und die Globalisierung: Das Mobile des Wissens'', 2009, S.&nbsp;16.</ref> Während der Zwanzigjährige sich noch als „Fremdling zwischen den Wissenschaften“ gesehen hatte,<ref>Ette: ''Alexander von Humboldt und die Globalisierung: Das Mobile des Wissens'', 2009, S.&nbsp;28.</ref> wurde er nach seiner Rückkehr von der Amerikareise zum unermüdlichen Kommunikator von Wechselbezügen zwischen den Disziplinen. Mehr als 30.000 Briefe Alexander von Humboldts zeugen davon, dass er weltweit wissenschaftliche Korrespondenzen unterhielt, die einerseits Zugang zu den jeweiligen regionalen Wissensbeständen und Forschungsergebnissen verschafften und die andererseits dazu dienten, das Spezialwissen einzelner Wissenschaftsbereiche zu sammeln und zu den Fragehorizonten der vielfältigen eigenen Forschung in Beziehung zu setzen.<ref>Ette: ''Alexander von Humboldt und die Globalisierung: Das Mobile des Wissens'', 2009, S.&nbsp;19.</ref>
 
Humboldts Publikationen zeigen, dass dieser aus vielen Quellen gespeiste Forschungsprozess auch dazu beitrug, einmal entwickelte Sichtweisen zu überprüfen und ggf. zu korrigieren: „Auf diese Weise entsteht ein offenes, neue Untersuchungsergebnisse und Einsichten möglichst rasch einbeziehendes Forschungs- und Diskussionsklima, in dem Wissen nicht als statischer Besitz eines einzelnen, sondern als dynamischer Prozess einer Gemeinschaft verstanden wird. Die Vielzahl unterschiedlicher Perspektivierungen und Ansichten der dargestellten Gegenstände wird ständig durch neue Einsichten angereichert, die durch eigene Untersuchungen oder durch die Forschungen anderer erzielt wurden.“<ref>Ette: ''Alexander von Humboldt und die Globalisierung: Das Mobile des Wissens'', 2009, S.&nbsp;250&nbsp;f.</ref>
 
Zu zeitgenössischen Sichtweisen, in denen die Kulturen der amerikanischen Völker als primitiv herabgewürdigt wurden, entwickelte Alexander von Humboldt ein nuanciertes Gegenbild. Zwar diente neuhumanistisch-zeittypisch auch ihm die antike griechische Kultur als maßstäbliches, unerreichbares Vorbild, doch gelang es ihm nach Ette, „das für eine bestimmte Region Spezifische herauszuarbeiten und mit Prozessen in Verbindung zu bringen, die für die ganze Menschheit von Bedeutung sind. […] Die [[Kulturvergleichende Sozialforschung|kulturvergleichende]] Perspektivik Humboldts ist transareal, das Verständnis der Kulturen selbst aber interkulturell geprägt.“<ref>Ette: ''Alexander von Humboldt und die Globalisierung: Das Mobile des Wissens'', 2009, S.&nbsp;218&nbsp;f.</ref>
 
Alexander von Humboldts Fähigkeit zum vernetzenden Denken und Forschen hat in seinem Schrifttum zu mancherlei überraschenden Vergleichen geführt, zu einer von Außenstehenden mitunter kritisierten „Vergleichswut“. So hat er beispielsweise Landwirtschaft und Bevölkerungsentwicklung Kubas zu den entsprechenden, aber ganz anderen Bedingungen unterliegenden Daten der Mark Brandenburg in Beziehung gesetzt, um daraus Schlussfolgerungen abzuleiten. Doch auch in so scheinbar willkürlichen Vergleichen liegt für Ette nicht ein bloßer Überschuss der Methode weltweiter Bezugnahmen, sondern ein rhetorisch-literarisches Mittel:
{{Zitat|Der kühne Vergleich zielt auf die Aktivierung der Leserschaft und beabsichtigt, diese selbst zum ständig vergleichenden Denken zu provozieren. Das Fremde soll durch die Kategorien des Eigenen bewusst verfremdet, das Eigene durch jenes Fremde so verändert werden, daß ein Art Außenblick auf das Eigene entsteht. Eigenes und Fremdes sind nicht klar voneinander geschieden: Alles ist vielmehr mit allem verbunden.|ref=<ref>Ette: ''Alexander von Humboldt und die Globalisierung: Das Mobile des Wissens'', 2009, S.&nbsp;153&nbsp;f.</ref>}}
 
=== Lebenswerk als offenes Buch ===
 
Charakteristisch für Humboldts Forschen und Schreiben ist, dass es an kein Ende gelangt. Vom Reisebericht der amerikanischen Forschungsreise, der nur etwa ein Drittel des gesamten Reiseverlaufs erfasst, über die ''Ansichten der Natur'', deren geplanter zweiter Band nicht erschien, die ''Relation historique'' und die ''Asie centrale'' bis hin zum ''Kosmos'' hat Humboldt keines seiner Hauptwerke abgeschlossen. Mitunter hat man das nicht nur bedauert, sondern ihm angekreidet, hat aber übergeordnete Gesichtspunkte Humboldts dabei außer Acht gelassen: Das ''Kosmos''-Projekt war früh und blieb immer das angestrebte Ziel und die ausstehende Summe aller seiner Forschungsaktivitäten und wissenschaftlichen Kontakte. Manches musste er dafür liegen lassen oder abbrechen, vieles anderen übertragen. Dass er mit dem ''Kosmos'' jenseits der beiden ersten Bände, die bereits den Umriss des Ganzen enthielten, nicht fertig wurde, hat die innere Logik für sich, dass der Autor sich der prinzipiellen Unabschließbarkeit wissenschaftlichen Erkenntniszuwachses nur zu bewusst war.
 
{{Zitat|Über mehr als sieben Jahrzehnte des Büchermachens entstand ein ebenso dichtes wie mobiles Netzwerk an wechselseitigen intratextuellen Bezügen, innerhalb dessen jedem Buch eine je eigene Position, zugleich aber auch eine jeweils spezifische ‚Machart‘, ein nicht selten experimentelles Verfertigtsein zukommt. Dieser über mehrere Generationen von Wissenschaftlern hinweg entstandene Gesamttext bildet gewiß so etwas wie eine intellektuelle Biographie Humboldts, zugleich aber – und vor allem – eine in stetiger Bewegung befindliche Gesamtheit, die nicht durch eine homogene Struktur, sondern vielmehr durch eine fraktale Strukturierung zusammengehalten wird. In jedem ‚Bruchstück‘ leuchtet die Gesamtheit auf.|ref=<ref>Ette: ''Alexander von Humboldt und die Globalisierung: Das Mobile des Wissens'', 2009, S.&nbsp;405&nbsp;f.</ref>}}
 
Zu stilistischen Merkmalen und Absichten seines Schreibens hat Alexander von Humboldt sich gegenüber [[Karl August Varnhagen von Ense|Varnhagen von Ense]] selbst geäußert:
{{Zitat|Die Hauptgebrechen meines Stils sind eine unglückliche Neigung zu allzu dichterischen Formen, eine lange Partizipial-Konstruktion und ein zu großes Konzentriren<!--sic--> vielfacher Ansichten, Gefühle in Einen<!--sic--> Periodenbau. Ich glaube, daß diese meiner Individualität anhangenden Radikal-Übel durch eine daneben bestehende ernste Einfachheit und Verallgemeinerung (ein Schweben über der Beobachtung, wenn ich eitel so sagen dürfte) gemindert werden. Ein Buch von der Natur muß den Eindruck wie die Natur selbst hervorbringen. Worauf ich aber besonders in meinen Ansichten der Natur geachtet, […] ich habe gesucht, immer wahr beschreibend, bezeichnend, selbst scientifisch wahr zu sein, ohne in die dürren Regionen des Wissens zu gelangen.|ref=<ref>Zit. n. Ette: ''Alexander von Humboldt und die Globalisierung: Das Mobile des Wissens'', 2009, S.&nbsp;377.</ref>}}
 
Das Fragmentarisch-Vorläufige seiner Forschung, die Nichtrealisierung weiterer Vorhaben und die Unabschließbarkeit der eigenen Schriften hat Humboldt selbst lebhaft empfunden und in einem wohl zwischen Genugtuung und Melancholie schwebenden Statement zur Sprache gebracht:
{{Zitat|Dies ist das Schicksal des Menschen: Man erreicht das Ende des eigenen Lebens und vergleicht, nicht ohne Traurigkeit, das Wenige, das man hervorgebracht hat, mit all jenem, was man hätte unternehmen wollen, um das Reich der Wissenschaften zu erweitern.|ref=<ref>Asie centrale, Band II, S. 439 f.; zit. n. Ette: ''Alexander von Humboldt und die Globalisierung: Das Mobile des Wissens'', 2009, S.&nbsp;327.</ref>}}
 
=== Vordenker einer globalisierten Wissenschaft ===
[[Datei:Alexander von Humboldt Denkmal - Humboldt Universität zu Berlin.jpg|mini|[[Denkmal Alexander von Humboldt (Berlin)|Denkmal vor dem Hauptgebäude der Humboldt-Universität]] in Berlin]]
 
Das aktuelle Orientierungspotential, das von Alexander von Humboldts Art zu forschen im Zeitalter eines beschleunigten Wandels der [[Ökonomie]], der [[Ökologie|Ökosysteme]] und der Gesellschaften sowie einer durchgreifenden [[Globalisierung]] ausgeht, ist ebenso vielfältig wie bedeutsam. Für „auch heute noch längst nicht abgegolten“ hält Ette die alle Einzelwissenschaften querende Wissenschaftskonzeption Alexander von Humboldts. Dessen von ständigen Bewegungen zwischen den Kontinenten und Kulturen, Sprachen und Spezialisierungen geprägter Wissenschaftsansatz sei vorbildlich geeignet zu einer Überwindung unfruchtbarer Abschließungstendenzen etwa zwischen Spezial- und Grundlagenforschung.<ref>Ette: ''Alexander von Humboldt und die Globalisierung: Das Mobile des Wissens'', 2009, S.&nbsp;359f. Ette wendet sich hier gegen [[Hans Blumenberg]]s Einschätzung, der die gesamte Wissenschaftskonzeption Alexander von Humboldts als „Anachronismus“ deutet und dabei auf dessen Einsamkeit nach Goethes Tod verweist. (Hans Blumenberg: ''Die Lesbarkeit der Welt'', Frankfurt am Main 1986, S. 296; zit. n. Ette: ''Alexander von Humboldt und die Globalisierung: Das Mobile des Wissens'', 2009, S.&nbsp;375)</ref>
 
Das von Humboldt weltweit vorangetriebene Netzwerk korrespondierender Wissenschaftler und die Schnelligkeit der Umsetzung eingeholter Informationen in Humboldts Schriften zeugten von der Effektivität dieses Forschungskonzepts. „Humboldt selbst überspielt dabei die raschen Veränderungen seines (veröffentlichten) Wissenstands keineswegs, sondern unterstreicht vielmehr den Charakter seines Buches als eines ‚work in progress‘, das den jeweils aktuellsten Forschung- und Reflexionsstand wiederzugeben versucht. […] Die wiederholte Betonung, ja geradezu Inszenierung der Vorläufigkeit und Unabgeschlossenheit aller Forschungsergebnisse ist bei Humboldt zweifellos ein Zeichen intellektueller Redlichkeit. Darüber hinaus aber ist sie nicht zufälliger, sondern programmatischer Natur. Humboldt gibt seiner Leserschaft Einblicke in die Entstehung von Wissensbeständen, liefert gleichsam Momentaufnahmen wissenschaftlicher Erkenntnisprozesse […].“<ref>Ette: ''Alexander von Humboldt und die Globalisierung: Das Mobile des Wissens'', 2009, S.&nbsp;252.</ref>
 
Popularisierung bzw. Demokratisierung wissenschaftlicher Erkenntnisweisen gehörten demnach gleichfalls zu den von Humboldt in seinen Schriften verfolgten Zielen. Neben vielfältiger Differenzierung bei der Untersuchung von Multiparametersystemen wie Klima oder Gebirgsbildung war Humboldt auf der Darstellungsebene stets bemüht, „komplexe Zusammenhänge möglichst einfach und in ihren Grundzügen überschaubar und nachvollziehbar zu machen – auch dies eine Vorgehensweise, an der die aktuelle Wissenschaftspraxis noch manches zu lernen hätte“.<ref>Ette: ''Alexander von Humboldt und die Globalisierung: Das Mobile des Wissens'', 2009, S.&nbsp;360.</ref>
 
== Zu den Themen Schriften und Literatur siehe auch ==
* {{WikipediaDE|Alexander von Humboldt}}
 
== Siehe auch ==
* {{WikipediaDE|Alexander von Humboldt}}


== Einzelnachweise ==
== Einzelnachweise ==
<references />
<references />


{{SORTIERUNG:Humboldt, Alexander Von}}
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[[Kategorie:Naturwissenschaftler]]
{{Normdaten|TYP=s|GND=4189851-5}}
[[Kategorie:Naturforscher]]
[[Kategorie:Goethezeit]]
[[Kategorie:Deutscher]]
[[Kategorie:Geboren 1769]]
[[Kategorie:Gestorben 1859]]
[[Kategorie:Mann]]


[[Kategorie:Wiener Klassik|!]]
[[Kategorie:Musik (Klassik)]]
{{Wikipedia}}
{{Wikipedia}}

Aktuelle Version vom 28. Februar 2021, 00:28 Uhr

Aufführung von Joseph Haydns Schöpfung (unter Leitung von Antonio Salieri) in der Alten Universität Wien im Jahr 1808 (Der bereits sehr gebrechliche Komponist ist in der Mitte vorne sitzend zu sehen)

Als Wiener Klassik (ca. 1770 – ca. 1825) bezeichnet man eine besondere Ausprägung der musikalischen Epoche der Klassik, als deren Hauptvertreter die u. a. in Wien wirkenden Komponisten Joseph Haydn, Wolfgang Amadeus Mozart und Ludwig van Beethoven gelten. In einem weiteren Sinn ist mit diesem Begriff auch manchmal die „Zeit der Wiener Klassik“ gemeint, und es werden oft auch andere Wiener oder österreichische Komponisten wie Antonio Salieri, Michael Haydn oder Carl Ditters von Dittersdorf und teilweise auch Franz Schubert hinzugerechnet.[1][2]

Der (Wiener) Klassik entspricht in Kunst und Architektur die Epoche des Klassizismus.

Eigenschaften der Musik

Joseph Haydn 1791, Ölgemälde von Thomas Hardy

Die drei großen Meister der Wiener Klassik gelten als führende Komponisten ihrer Zeit, die musikalische Meisterwerke schufen, die an formaler und ästhetischer Qualität, an Gehalt und Ausdruckskraft die Werke vieler anderer Zeitgenossen übertrafen. Ihre Werke gelten als besonders formvollendet und vereinen die Beherrschung, Perfektionierung und Sublimierung der unterschiedlichsten Musikarten und Kompositionsweisen vom Lied bis zu imitativen Techniken des Kontrapunkts. Stilistisch vereinen sie Eigenschaften des galanten und des empfindsamen Stils und führen verschiedene deutsche, französische und italienische Einflüsse in einer Vielfalt von Gattungen zusammen. Zu den wichtigsten Vorgängern der Wiener Klassiker zählen die Komponisten der Mannheimer Schule.

W. A. Mozart im Alter von 21 mit dem Orden vom Goldenen Sporn

Typisch für den Zeitstil der Klassik (auch außerhalb Wiens und Österreichs) ist eine Vorliebe für helle Durtonarten und für eine in der Grundtendenz eher heiter beschwingte Musik, die streckenweise zu dramatisch-monumentalen Ausbrüchen tendiert und von starken Kontrasten lebt. Ein im Vergleich zu Barock oder Romantik eher rationaler Grundton entspricht den Idealen der Aufklärung und dem Klassizismus in der Kunst. Besonders die Musik von Haydn und Mozart zeichnet sich oft durch einen gewissen Witz und Humor aus, die zur großen Popularität ihrer Werke beitrugen und -tragen.[3] Hinzu kommt ein auffällig fantasievoller Umgang mit Harmonik, Modulation und Chromatik, sowie eine relativ starke Einbeziehung von Moll-tonarten, wodurch ausdrucksmäßig tiefere Bereiche erreicht werden, als dies in der zeitgenössischen Musik oft üblich war. Dies gilt vor allem für die Zeit vor 1800.

Ludwig van Beethoven (1770–1827), Gemälde von Joseph Karl Stieler, 1820

Insgesamt werden das Heitere und das Ernste, das Leichte und das Intellektuelle in einer charakteristischen Weise durchmischt, wodurch die Musik im Sprachgebrauch der Epoche sowohl „für Kenner und für Liebhaber“[4] ansprechend wird.[5] Dabei muss betont werden, dass einige typisch klassische Gattungen wie Divertimento oder Serenade mehr der Unterhaltung dienen, während das noch ganz neue Streichquartett, als dessen eigentlicher Vater und größter Meister Joseph Haydn gilt, die intellektuellste Gattung der Zeit ist; Sinfonien oder Konzerte liegen im Anspruch etwa in der Mitte.

Typisch für die Kompositionsweise der Wiener Klassik sind drei Verfahren: obligates Accompagnement, durchbrochener Stil und besonders motivisch-thematische Arbeit. Diese Kompositionsverfahren werden in den meisten Gattungen angewandt, nachdem sie hauptsächlich in der Kammermusik (Streichquartett, Sonate u. a.) und in der Orchestermusik (Sinfonie) vornehmlich von Joseph Haydn entwickelt worden sind. Auch in der geistlichen Musik und z. T. selbst in der Oper bestimmen sie die Faktur des Komponierten. Ein entscheidendes Merkmal im Gegensatz zur vorangehenden galanten Epoche und der Musik der Vorklassik ist die Einbeziehung kontrapunktischer und polyphoner Techniken, die zuvor (außer in kirchlicher Musik) völlig aus der Mode waren und oft als Rückgriff auf den Barock verstanden werden.

Besonders die Instrumentalmusik erfuhr durch die Wiener Klassiker eine Aufwertung zur autonomen Kunst. Formal war für Konzerte nach wie vor die seit dem Barock bekannte Dreisätzigkeit typisch, in der Reihenfolge: schnell - langsam - schnell. Für Sinfonien und Quartette wurde ab den 1760er Jahren die Viersätzigkeit typisch, meist mit der Abfolge: schnell - langsam - Menuett - schnell. Haydn verwendete schon seit den 1770er Jahren gelegentlich eine langsame Einleitung (z. B. in Sinfonien Nr. 50, 57 u.a). Die beiden Mittelsätze können auch umgekehrt erscheinen und das Menuett entwickelte sich unter Haydn inhaltlich und vom Tempo her immer mehr in Richtung Scherzo, das er in den Quartetten op. 30 (1781) zum ersten Mal namentlich verwendet (später aber wieder Menuette). Als ein besonders typisches Merkmal der Wiener Klassik gilt die Sonatenhauptsatzform vieler Kopfsätze. Sie wurde jedoch keinesfalls schematisch, sondern phantasievoll und individuell angewendet, als Rahmen für eine dialektische, thematisch bestimmte Kompositionsweise. Der Finalsatz ist sehr häufig ein Rondo oder eine Mischung aus Sonatensatz und Rondo. Beliebt waren auch Variationssätze, sowohl beim langsamen Satz (v. a. bei Haydn, oder in Mozarts Klavierkonzerten Nr. 15 und 18), als auch im Finale (z. B. Mozart, Klavierkonzerte Nr. 17 oder 24).

Auf dem Gebiet der Oper leistete vor allem Mozart Herausragendes, der Schwerpunkt der beiden anderen liegt deutlicher auf Instrumental- und geistlicher Musik.

Die Grenzen zu vorhergehenden und nachfolgenden Epochen bzw. Stilen sind eher verschwommen. Als ein Meilenstein, wo alle Merkmale der Wiener Klassik voll und idealtypisch ausgeprägt sind, gelten u. a. Haydns Quartette op. 20 von 1772, doch schließt dies nicht aus, dass er auch in den 1760er Jahren bereits vollausgereifte Werke schrieb.
Die Musik der Wiener Klassiker ist selbst bei jedem einzelnen Komponisten stilistisch nicht völlig einheitlich oder statisch, sondern lässt eine Entwicklung erkennen, die von frühklassischen und sogenannten „Sturm und Drang“-Tendenzen (1770er Jahre) bis hin zu einer Art monumentalem musikalischem Empire (um und nach 1800) und frühromantischen Anklängen vor allem bei Beethoven führen. Die reifsten Werke von Schubert zählen bereits zur Frühromantik.

Wien als Musikstadt

das „Hoftheater naechst der Burg“ in Wien

Raum und Hintergrund für diese Entwicklungen gab Wien als Haupt- und kaiserliche Residenzstadt der Habsburger, die selber schon seit dem 17. Jahrhundert als besondere Liebhaber und Kenner der Musik galten.[6] Kaiser Joseph II. spielte Cello und Tasteninstrumente, machte täglich mit ausgewählten Musikern Kammermusik und soll eine Vorliebe für Fugen und polyphone Musik gehabt haben (wie sein Großvater Karl VI.).[7] Zu Beethovens Schülern und größten Förderern gehörte der musikalische Erzherzog Rudolf.[8] Verschiedene Adlige des Kaiserhofs hielten sich eine eigene Hofkapelle, darunter auch Haydns Arbeitgeber, die Fürsten Eszterházy.

Wien blickte in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts besonders im Bereich der Oper auf eine lange Tradition zurück[9] und verfügte auch sonst über eine vielschichtige Musikkultur. Es gehörte neben Neapel, Paris und London (öffentliches Konzert) zu den tonangebenden Musikstädten Europas und war ein bedeutender Anziehungspunkt, vor allem für Musiker und Komponisten aus den von den Habsburgern regierten Gebieten, zu denen damals ganz besonders auch weite Teile Norditaliens (Mailand, Toskana) und Böhmen gehörten.

Antonio Salieri

Zu den direkten Wegbereitern der Wiener Klassik gehörten Georg Christoph Wagenseil und Georg Matthias Monn (siehe auch: Wiener Schule (Vorklassik)), die stilistisch noch zur Frühklassik zählen, so wie auch die Musik Joseph Haydns in seinem Frühwerk noch frühklassische Züge aufweist. Zu Haydns und Mozarts wichtigsten Wiener Kollegen gehörten auch einige böhmische Komponisten, wie Johann Baptist Vanhal oder Leopold Koželuh. Der Organist und Domkapellmeister Johann Georg Albrechtsberger war ein Lehrer von Beethoven. Etwa mit dem Beginn der Wiener Klassik fällt die 1771 erfolgte Gründung der Tonkünstler-Sozietät zusammen, die „öffentliche“ Konzerte veranstaltete, die freilich in erster Linie von der aristokratischen und gehobenen bürgerlichen Gesellschaft Wiens besucht wurden.

Joseph II. am Cembalo oder Pianoforte mit zwei Schwestern, 1778

Am Kaiserhof wirkten im Zeitraum von 1760 bis 1790 die bedeutenden Opernkomponisten Christoph Willibald Gluck, Florian Leopold Gassmann und Antonio Salieri (die beiden letzteren gehörten auch zum privaten Quartettzirkel Josephs II.)[10]. Zur gleichen Zeit wirkte auch Vincenzo Righini in Wien. Überhaupt hatte die italienische Oper in Wien einen ungewöhnlich hohen Stellenwert im Vergleich zu den meisten anderen Regionen in Deutschland und auf dem Programm der Wiener Hofoper wurden regelmäßig Werke der international bekanntesten Komponisten gespielt, von denen einige, wie Giovanni Paisiello, Domenico Cimarosa oder Vicente Martín y Soler[11] auch vorübergehend in Wien wirkten – der letztere arbeitete in den 1780er Jahren mit Mozarts Librettist Lorenzo da Ponte zusammen, genau wie auch Salieri. Einen besonderen Erfolg hatte zu dieser Zeit die Opera buffa, die mit ihrem Witz und Esprit auch auf die Instrumentalmusik besonders von Haydn und Mozart einen nicht zu unterschätzenden Einfluss ausübte. Haydn kannte das Buffa-Repertoire sehr gut, da er an der Hofoper in Eszterháza in den 1770er und 1780er Jahren nicht nur seine eigenen Opern aufführte, sondern auch zahlreiche Werke der italienischen Starkomponisten.[12] In Wien selber förderte Kaiser Joseph II. ab 1776 das Deutsche Nationalsingspiel, für das u. a. Mozart seine Entführung aus dem Serail schrieb; das kaiserliche Singspielprojekt hatte jedoch nicht den erhofften Erfolg beim Publikum und musste nach einigen Jahren schließen.[13]

Joseph Haydn lebte zwar in Kindheit und Jugend in Wien, war jedoch von 1761 bis 1790 eigentlich fast ständig in den Residenzen der Esterházy in Eisenstadt und Fertöd,[14] und zwischen 1791 und 1795 war er die meiste Zeit in London.[15] Er gehörte also zu dieser Zeit eigentlich nur am Rande zum Wiener Musikleben. Aufgrund zahlreicher Kopien und Drucke waren seine Werke (besonders Quartette und Sinfonien) jedoch nicht nur in Wien und Deutschland, sondern in ganz Europa bekannt, und Haydn war aufgrund der außergewöhnlichen Qualität seiner geistsprühenden Musik spätestens ab den 1770er Jahren eine internationale musikalische Berühmtheit. Schon ab Anfang der 1780er Jahre wollte man ihn nach London holen[16] und er bekam Kompositionsaufträge aus Paris (Pariser Sinfonien) und Spanien (Die sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze). Seine perfekt durchorganisierte und dabei ästhetisch ansprechende und unterhaltsame Instrumentalmusik war Vorbild für viele Komponisten auch außerhalb österreichischer Lande, darunter neben Mozart und Beethoven junge Musiker wie Joseph Martin Kraus, dessen Sinfonien Haydn selber in Eszterháza aufführte, Antonio Rosetti oder Adalbert Gyrowetz, von dem eine Sinfonie unter Haydns Namen veröffentlicht wurde.[17] Ignaz Pleyel war ein Schüler Haydns und wurde sogar von Mozart geschätzt. Selbst der aus einem ganz anderen musikalischen Milieu stammende Luigi Boccherini – einer der bedeutendsten Kammermusikkomponisten der Zeit, der zwar in seiner Jugend einige Jahre in Wien verbracht hatte,[18] aber seinen sehr persönlichen Stil mehr aus italienischen, französischen und spanischen Inspirationsquellen kreierte – nahm Anregungen aus Haydns Werken an.[19]

Mozart erreichte während seines kurzen Lebens trotz seiner Reisen in Jugendjahren nicht annähernd eine solch internationale Berühmtheit als Komponist, sondern war nach seinem Umzug nach Wien 1781 eher eine lokale Größe. Erst nach seinem frühen Tode fanden seine Werke eine weitere Verbreitung und es setzte nach und nach eine Glorifizierung seiner Person ein. Als entscheidend für die Konstitution einer „Wiener Klassik“ werden vor allem die Jahre nach Mozarts Übersiedelung nach Wien angesehen, obwohl er (wie Haydn) schon vorher Werke komponiert hatte, die dem entsprechenden Maßstab gerecht wurden. Doch bildete sich nach 1781 bis zu einem gewissen Grad eine kompositorische Interaktion zwischen Joseph Haydn und Mozart heraus, unter anderem mit der Anregung, die von Haydns neuartigen Streichquartetten (op. 33, 1781) und seinen Symphonien vor allem auf den jüngeren Komponisten ausging, dann aber auch inspirierend auf Haydn zurückwirkte.

Johann Nepomuk Hummel

Der junge Beethoven gehörte bereits in Bonn zu den Hofmusikern von Erzherzog Maximilian Franz (ein Bruder Josephs II.) und kam dadurch schon früh mit einem typisch wienerischen Repertoire in Kontakt. Er reiste zuerst kurzfristig 1787 nach Wien; wieder zurück in Bonn wurde er 1790 von dem durchreisenden Haydn persönlich ermuntert, zum Studium nach Wien zu kommen.[20] Beethoven vereinte in seinem Werk Einflüsse von Haydn und Mozart, wie es auch sein Gönner Graf Ferdinand Ernst Gabriel von Waldstein in einem (nicht ganz stimmigen) Bonmot formulierte: „Durch ununterbrochenen Fleiß erhalten Sie: Mozarts Geist aus Haydns Händen.“

Komponisten, die zu Beethovens Zeit eine nicht ganz unwichtige Rolle im Wiener Musikleben spielten, waren (nach wie vor) sein Lehrer Salieri, der nach seiner Opernkarriere auf geistliche Musik umstieg, und der Klaviervirtuose und Komponist Johann Nepomuk Hummel, der auch ein Schüler von Mozart war. Andere wichtige Klavierkomponisten (aber nicht nur) waren Anton Diabelli und Joseph Czerny. Einige Jahre lang gehörte auch der italienische Gitarrist Mauro Giuliani zum Wiener Musikleben der Beethovenzeit. Ein erfolgreicher Opernkomponist war Joseph Weigl. Auch Peter von Winter schrieb einige Werke für Wiener Bühnen, wo zu Beginn des 18. Jahrhunderts nach wie vor italienische Opern beliebt waren, unter anderem von Giovanni Simone Mayr, der zwar in Italien wirkte, aber ein Verehrer der Wiener Klassiker war und in der Instrumentierung seiner Opern von ihnen beeinflusst war. Nach ca. 1815 wurden auch Werke von Rossini in Wien gespielt und waren beim Wiener Publikum sehr beliebt; der taube Beethoven hat sie jedoch nie gehört und Rossini hatte keinen nennenswerten Einfluss auf die Wiener Klassik (aber sehr wohl auf die Wiener Tanzmusik des Biedermeier von Joseph Lanner und Johann Strauss Vater).

Einflüsse von außerhalb Wiens

Carl Philipp Emanuel Bach

Neben den insgesamt bereits reichen Einflüssen des Wiener Musiklebens hatten alle drei Wiener Klassiker auch andere Vorbilder. So wies Haydn selber darauf hin, dass er in seinem eigenen Clavierstil stark von Carl Philipp Emanuel Bach beeinflusst wurde,[21] und für seine kontrapunktischen Spielereien dürfte sein Studium des Gradus ad Parnassum von Fux[22] prägend gewirkt haben. Haydn scheint auch teilweise aus österreichisch-volkstümlichen Quellen zu schöpfen[23] und vor allem in einigen Quartetten findet man gelegentlich Einflüsse ungarischer Volks- oder Zigeunermusik. Insgesamt war Haydn ein ungewöhnlich origineller und progressiver Komponist, der viel experimentierte und noch im Alter von über 60, in seiner Londoner Zeit, offen für neue Ideen und Anregungen war.

Michael Haydn

Wolfgang Amadeus Mozart erhielt seine Grundprägung durch sein Salzburger Umfeld, namentlich durch seinen Vater Leopold Mozart. In Salzburg wirkte auch Joseph Haydns Bruder Michael, der ein bedeutender Komponist mit einem eigenen Stil war und besonders für seine Kammermusik und Geistliche Werke bekannt war – sein Bruder Joseph bezeichnete ihn als den größten Kirchenmusikkomponisten seiner Zeit. Mozart lernte auf seinen Reisen aber schon früh viele Komponisten und deren Musik kennen und war daher völlig international geprägt. Schon Teodor de Wyzewa und Georges de Saint-Foix ergründeten in ihrem großen Mozart-Werk (1936–1946) die vielfältigen Spuren davon. Zu nennen sind etliche italienische Komponisten (u. a. Giovanni Battista Sammartini und Niccolò Piccinni)[24], der in Italien wirkende Böhme Josef Mysliveček[25] und die Meister der Mannheimer Schule. In der Mozartliteratur wird besonders Mozarts herzliches Verhältnis und der Einfluss des „Londoner“ Johann Christian Bach betont, der auch gelegentlich als „Vater und Erfinder“ der Wiener Klassik bezeichnet wurde.[26]

Johann Christian Bach

Schließlich sind auch die indirekten Einflüsse Georg Friedrich Händels (Oratorien wie Messiah) und Johann Sebastian Bachs (Fugen und Motetten) zu nennen, die Mozart jedoch erst in den 1780er Jahren in Wien kennenlernte.

All das übernahm Beethoven direkt oder indirekt durch Joseph Haydns und Mozarts Kompositionen. Einflüsse von außerhalb Wiens kamen neben der bereits erwähnten italienischen Oper auch aus Frankreich, zu Mozarts Zeit beispielsweise von einigen beliebten Opern André-Ernest-Modeste Grétrys, sowie von der französischen Orchestermusik (z. B. von François-Joseph Gossec oder Étienne-Nicolas Méhul). Beethoven war besonders von den dramatischen Tendenzen französischer Revolutionsmusik und der sogenannten Schreckensoper beeinflusst und rühmte Luigi Cherubini als unmittelbares Vorbild (für Sinfonien und die Oper Fidelio). Auch der Klaviervirtuose Muzio Clementi, der während eines kurzen Wienaufenthaltes auf Veranlassung von Kaiser Joseph II. einen Klavierwettstreit mit Mozart austragen musste, übte später einen gewissen Einfluss auf Beethovens Klavierstil und -technik aus.

Andere Klassiker

Grundsätzlich war die Klassik ein Zeitstil, der auch von anderen Musikern in anderen Regionen gepflegt wurde, die nicht der Wiener Klassik zugeordnet werden können und/oder in keiner direkten Verbindung zu den „drei großen Wienern“ stehen. Auch wenn diese Komponisten nicht in der gleichen Weise mit einer Perfektionierung von musikalischer Form und Struktur beschäftigt waren, bedeutet dies nicht zwangsläufig, dass sie keine bedeutenden Komponisten gewesen wären. Viele waren nicht nur zu ihrer Zeit hochangesehen, sondern z. T. auch sehr einflussreich, wie man den obigen Ausführungen bereits entnehmen kann.

Oper

In besonderem Maße gilt dies für Italien, dem Lande des Belcanto, wo man in der Epoche der Klassik bereits fast ausschließlich auf die Oper konzentriert war. Der italienische Opernstil legte zu dieser Zeit das Gewicht besonders auf den hochentwickelten Gesang, der in der Opera seria ausgesprochen virtuos war (ähnlich den Partien der Königin der Nacht in Mozarts Zauberflöte oder der Konstanze in der Entführung), in der Opera buffa dagegen deutlich schlichter. Die Instrumentation trat vergleichsweise zurück, um die Stimmen nicht zu überdecken. Bläser wurden traditionell sparsamer eingesetzt, das Gewicht lag auf dem Streichersatz. Allein darin liegt ein bedeutender Unterschied zu den Opern Mozarts, der zwar stark italienisch beeinflusst war und auch in seinen deutschen Singspielen nicht auf virtuosen Koloraturgesang verzichtete, aber dessen Instrumentierung viel reichhaltiger und komplexer war als die der Italiener. Der Gesamteindruck der italienischen Opern ist dadurch generell durchsichtiger, die Musik von einer gewissen Zartheit und Weichheit. Viele Italiener wirkten auch im Ausland, wobei sie dann z. T. andere Einflüsse aufnahmen. Die Zeit um 1800 bis 1810 (bis zum Auftreten Rossinis) gilt als eine Art Krise der italienischen Oper.

Neben den bereits genannten spätneapolitanischen Opernkomponisten Paisiello, Cimarosa und Piccini gehörten zu den erfolgreichsten Meistern der italienischen Oper der Klassik: Baldassare Galuppi (Spätwerk), Giuseppe Sarti, Pasquale Anfossi, Tommaso Traetta, Antonio Sacchini, Niccolò Zingarelli, Giuseppe Nicolini. Der bereits erwähnte gebürtiger Bayer Giovanni Simone Mayr war ab etwa 1800 ebenfalls einer der erfolgreichsten Opernkomponisten Italiens und orientierte sich in der Instrumentierung an Mozart und Haydn. Auch Gioachino Rossini gehört mit seinem Frühwerk noch zur Spätklassik, und ebenso seine Epigonen Mercadante, Pacini und Donizetti und der Deutsche Giacomo Meyerbeer in seiner italienischen Phase. Rossini und die genannten Komponisten waren bereits alle mit Werken von Haydn und Mozart-Opern, teilweise auch mit Beethovensinfonien bekannt, und nahmen davon vor allem Anregungen für ihre Instrumentierung auf. Aus diesem Grunde warf man Rossini einen deutschen Einfluss vor.

Die Italiener Luigi Cherubini (den Beethoven verehrte), Ferdinando Paer und Gaspare Spontini wirkten in Frankreich (oder Deutschland) und waren von Gluck beeinflusst. Sie gehören zu den Hauptmeistern der französischen Oper der späten Klassik.

Instrumentalmusik

In der Instrumentalmusik war der bereits erwähnte Luigi Boccherini neben Haydn und Mozart der bedeutendste Komponist der Epoche, besonders in der Kammermusik. Er wirkte in Spanien und sein Stil ist von großer Weichheit, Klangschönheit und lyrischer Idylle geprägt, fließender und gefühlsbetonter als die Wiener Musik, aber dabei von hoher Qualität.

Bedeutende Violinvirtuosen der Epoche waren Gaetano Pugnani, der auch Sinfonien schrieb, und Giovanni Battista Viotti, dessen Konzerte einen ganz eigenen Stil aufweisen, und der formal andere Wege geht als die Wiener Klassiker. Viotti nahm an den Haydn-Konzerten in London teil und Mozart schrieb einige zusätzliche Bläserstimmen für Viottis e-moll-Konzert Nr. 16. Einige seiner späten Werke sind von hinreißender Schönheit und auch teilweise schon von frühromantischer Tragik durchzogen (vor allem Nr. 22 in a-moll). Viotti hatte großen Einfluss auf die französischen Violinkomponisten Pierre Rode, Rodolphe Kreutzer, Pierre Baillot und auf Nicolò Paganini – der letztere gehört jedoch bereits zur Romantik. Der deutsche Violinist Louis Spohr zählt zumindest in seinem Frühwerk noch zur Spätklassik.

Im Bereich der Klaviermusik gab es mehrere bedeutende und einflussreiche Meister, die zwar zur Klassik zählen, jedoch nicht wienerisch waren: Muzio Clementi, der Böhme Johann Ladislaus Dussek, John Field. Ihre Werke reichen von der Klassik zur Frühromantik und sie alle spielten neben Beethoven bei der Entwicklung eines frühromantischen Klavierstils eine wichtige Rolle. Der in Dänemark wirkende und für seine melodieschönen Sonatinen bekannte Friedrich Kuhlau war stark von Mozart und Haydn beeinflusst.

Diskussion des Begriffes

Während die englischsprachige Musikwissenschaft den Begriff „Wiener Klassik“ eher vermeidet und einen umfassenderen Klassikbegriff pflegt, diskutiert ihn die deutsche Musikwissenschaft kontrovers. Ludwig Finscher möchte ihn, Gedanken Raphael Georg Kiesewetters von 1834 folgend, auf die Werke Joseph Haydns und Mozarts zwischen 1781 und 1803 begrenzen. Hans Heinrich Eggebrecht belegte durch umfangreiche, ins musikalische Detail gehende Analysen seine Haydn, Mozart und Beethoven umfassende Definition. Carl Dahlhaus dagegen führte Friedrich Blumes Gedanken weiter, Klassik und Romantik bildeten eine gemeinsame klassisch-romantische Epoche. Diese dialektische Verbindung zwischen Wiener Klassik und Romantik offenbart sich besonders deutlich im Vergleich Beethovens und Schuberts. Thrasybulos Georgiades ordnete Schubert in seinen Analysen von dessen Vokal- und Instrumentalmusik den drei Großen der „Wiener Klassik“ zu und zeigte Schuberts klassische Kompositionsverfahren besonders in dessen Liedern und der „Unvollendeten“ auf – die allerdings vom Geiste her bereits frühromantisch geprägt sind.

Siehe auch

Literatur

  • Remigio Coli: Luigi Boccherini, Maria Pacini Fazzi editore, Lucca 2005 (italienisch)
  • Carl Dahlhaus: Klassische und romantische Musikästhetik. Laaber 1988
  • Hans Heinrich Eggebrecht: Musik im Abendland, Prozesse und Stationen vom Mittelalter bis zur Gegenwart. In Mn./Z 1991, S. 471–487
  • Thrasybulos Georgiades: Schubert, Musik und Lyrik. Göttingen 1967
  • Raphael Georg Kiesewetter: Geschichte der europäisch- abendländischen oder unserer heutigen Musik. Leipzig 1834
  • H. C. Robbins Landon: Joseph Haydn – sein Leben in Bildern und Dokumenten, Verlag Fritz Molden, Wien et. al., 1981
  • H. C. Robbins Landon: Das Mozart Kompendium, Droemer Knaur, München 1991
  • Charles Rosen: Der klassische Stil. Haydn, Mozart, Beethoven. Bärenreiter, Kassel etc. 1983, ISBN 978-3-7618-1235-8
  • Teodor de Wyzewa, G. de Saint-Foix: W.-A. [!] Mozart. Sa vie musicale et son oeuvre de l'enfance à la pleine maturité […] Essai de biographie critique suivi d'un nouveau catalogue chronologique de l'oeuvre complète de maitre […]. 5 Bände, Paris 1936–1946

Weblinks

Einzelnachweise

  1. springer.com: Haydn, Mozart und Beethoven — und Franz Schubert: 1755/1781 bis 1828
  2. rp-online.de: Wiener Klassik: Franz Schubert und die Brandstifter
  3. Für Haydn siehe: H. C. Robbins Landon: Joseph Haydn - sein Leben in Bildern und Dokumenten, Verlag Fritz Molden, Wien et. al., 1981, S. 12
  4. "Für Kenner und Liebhaber" ist der Titel einer sechsbändigen Sammlung von Clavierwerken, die der einflussreiche Carl Philipp Emanuel Bach zwischen 1779 und 1787 herausgab, also zeitgleich mit Mozart und Haydn, die ihn sehr schätzten (Neuausgabe bei Breitkopf und Härtel).
  5. Ähnlich Landon über Haydns Musik: H. C. Robbins Landon: Joseph Haydn – sein Leben in Bildern und Dokumenten, Verlag Fritz Molden, Wien et. al., 1981, S. 12
  6. Ferdinand III., Leopold I., Josef I. und Karl VI. gelten als "Musikkaiser" und komponierten gelegentlich. Auch Maria Theresia und ihre Kinder hatten eine musikalische Ausbildung und traten in höfischen Theateraufführungen auf. Elisabeth Hilscher: Mit Leier und Schwert - Die Habsburger und die Musik, Styria, Graz/Wien/Köln 2000, S. 111–184
  7. Elisabeth Hilscher: Mit Leier und Schwert - Die Habsburger und die Musik, Styria, Graz/Wien/Köln 2000, S. 170
  8. Elisabeth Hilscher: Mit Leier und Schwert - Die Habsburger und die Musik, Styria, Graz/Wien/Köln 2000, S. 199–203
  9. Elisabeth Hilscher: Mit Leier und Schwert - Die Habsburger und die Musik, Styria, Graz/Wien/Köln 2000, S. 92 f, S. 115–164
  10. Elisabeth Hilscher: Mit Leier und Schwert - Die Habsburger und die Musik, Styria, Graz/Wien/Köln 2000, S. 170, 174 f
  11. „Mozart und das Theater seiner Zeit – Die Oper in Wien in den 1780er Jahren“, in: H.C. Robbins Landon: Das Mozart Kompendium, Droemer Knaur, München 1991, S. 425–430, besonders 428 ff (Aufstellung der beliebtesten Komponisten und Opern in Wien 1781–1791)
  12. H. C. Robbins Landon: Joseph Haydn – sein Leben in Bildern und Dokumenten, Verlag Fritz Molden, Wien et. al., 1981, S. 73–74
  13. Elisabeth Hilscher: Mit Leier und Schwert - Die Habsburger und die Musik, Styria, Graz/Wien/Köln 2000, S. 175
  14. H. C. Robbins Landon: Joseph Haydn – sein Leben in Bildern und Dokumenten, Verlag Fritz Molden, Wien et. al., 1981, S. 73
  15. H. C. Robbins Landon: Joseph Haydn – sein Leben in Bildern und Dokumenten, Verlag Fritz Molden, Wien et. al., 1981, S. 95–146
  16. H. C. Robbins Landon: Joseph Haydn – sein Leben in Bildern und Dokumenten, Verlag Fritz Molden, Wien et. al., 1981, S. 87
  17. H. C. Robbins Landon: Joseph Haydn – sein Leben in Bildern und Dokumenten, Verlag Fritz Molden, Wien et. al., 1981, S. 84–85
  18. Remigio Coli: Luigi Boccherini (Italienisch), Maria Pacini Fazzi editore, Lucca 2005, S. 28–35 (Aufenthalte von Boccherini in Wien 1758 und 1760–1761)
  19. Remigio Coli: Luigi Boccherini (Italienisch), Maria Pacini Fazzi editore, Lucca 2005, S. 119 u. v. a. (Einfluss Haydns auf Werke Boccherinis), S. 122–124 (Briefwechsel)
  20. Elisabeth Hilscher: Mit Leier und Schwert - Die Habsburger und die Musik, Styria, Graz/Wien/Köln 2000, S. 179 f
  21. H. C. Robbins Landon: Joseph Haydn - sein Leben in Bildern und Dokumenten, Verlag Fritz Molden, Wien et. al., 1981, S. 22 und 37
  22. H. C. Robbins Landon: Joseph Haydn - sein Leben in Bildern und Dokumenten, Verlag Fritz Molden, Wien et. al., 1981, S. 36
  23. H. C. Robbins Landon: Joseph Haydn - sein Leben in Bildern und Dokumenten, Verlag Fritz Molden, Wien et. al., 1981, S. 12
  24. H.C. Robbins Landon: Das Mozart Kompendium, Droemer Knaur, München 1991, S. 109
  25. H.C. Robbins Landon: Das Mozart Kompendium, Droemer Knaur, München 1991, S. 59–60
  26.  Verkannte Genies: Schaut hin, sie leben!. In: ZEIT ONLINE. (https://www.zeit.de/2015/02/klassiker-verkannte-genies-kanon).
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