Nordische Mysterien

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Die nordischen Mysterien, die vor allem von germanischen Stämmen im Norden Europas und namentlich in Skandinavien gepflegt wurden und von denen auch Tacitus berichtet, waren anders geartet als die südlichen Mysterien. Während sich das Bewusstsein in den südlichen Mysterien unmittelbar in die kosmischen Weiten richtete, erlebte man in den nordischen Mysterien - ganz besonders in der Winterzeit - die in den Tiefen der Erde wirkenden kosmischen Kräfte. In den südlichen Mysterien wurde ein Weg für das Verständnis des kosmischen Christus gebahnt, wie es vor allem auch in vielen Strömungen der Gnosis, die mit dem Urchristentum eng verwoben waren, gesucht wurde. Weniger Verständnis konnte man allerdings in den südlichen Mysterien für die reale Inkarnation Christi entwickeln. Dafür den Boden zu bereiten, war Aufgabe der nordischen Mysterien. Hier konnte man tiefer das Geheimnis des Jesus erfassen, in dem sich der Christus inkarnieren sollte. Von hier aus empfing darum auch das Erleben und Gestalten des Weihnachtsfestes seine wesentlichsten Impulse.

„Das Menschengeheimnis in seinem Zusammenhang mit allen Geheimnissen des Kosmos, wie es sich abspielt, wenn der Mensch hier auf der physischen Erde in sein physisches Dasein tritt, das liegt in einer gewissen Zeit der Erdenentwickelung so tief, wie sonst nirgends diesen alten nordischen Mysterien, zugrunde.

Aber man muß weit zurückgehen, ungefähr bis in das 3. Jahrtausend, vielleicht noch weiter zurück, um das zu verstehen, was in den Gemütern lebte, welche später die Jesus-Empfindung aufnahmen. Dort ungefähr, wo die jütische Halbinsel mit dem heutigen Dänemark ist, da war das Zentrum, von dem in jenen alten Zeiten bedeutende Mysterienimpulse ausgingen. Und diese Mysterienimpulse hingen damit zusammen - das mag der heutige Verstand beurteilen, wie er will -, daß noch im 3. Jahrtausend vor unserer christlichen Zeitrechnung in diesem Norden bei bestimmten Stämmen nur derjenige als ein wirklich erdenwürdiger Mensch angesehen wurde, der in gewissen Wochen der Winterszeit geboren war. Das kam daher, daß von jener geheimnisvollen Mysterienstätte auf der jütischen Halbinsel unter den Stämmen, die sich damals die Ingävonen nannten, oder von den Römern wenigstens, von Tacitus, die Ingävonen genannt wurden, der Tempelpriester den Impuls gab, daß nur zu einer bestimmten Zeit - im ersten Viertel des Jahres - die geschlechtliche Verbindung der Menschen stattfinden sollte. Jede geschlechtliche Verbindung der Menschen außer der Zeit, die von dieser Mysterienstätte aus verfügt wurde, war verpönt; und derjenige war ein minderwertiger Mensch innerhalb dieses Stammes der Ingävonen, der nicht in der Zeit der finstersten Nächte, in der kältesten Zeit, gegen unser Neujahr hin geboren wurde. Denn der Impuls von jener Mysterienstätte ging aus in der Zeit, in welcher der erste Vollmond nach der Frühlingssonnenwende war. Da nur durfte unter jenen Menschen, die sich wirklich verbunden glauben sollten mit den geistigen Welten, so wie es des Menschen würdig war, in dieser Zeit allein durfte eine geschlechtliche Verbindung stattfinden. Dadurch, daß die Kräfte, die in eine solche geschlechtliche Verbindung hineingehen, in der ganzen übrigen Zeit für die Kraftentwickelung des Menschen aufgespart wurden, wurde jene eigentümliche Stärke entwickelt, welche - wenigstens noch in den Nachklängen - Tacitus zu bewundern hatte, der ein Jahrhundert nach dem Stattfinden des Mysteriums von Golgatha schrieb.

So erlebten jene, die dem Stamme der Ingävonen angehörten, in besonders intensiver Weise - die andern germanischen Stämme in abgeschwächter Art - in der ersten Vollmondzeit nach der Frühlingssonnenwende den Vorgang der Empfängnis: nicht im Wachbewußtsein, sondern in einer Art von Traumverkündung. Sie wußten jedoch, was das zu bedeuten hat im Zusammenhange des Menschengeheimnisses mit den Himmelsgeheimnissen. Ein geistiges Wesen erschien der Empfangenden und verkündete ihr wie in einem Gesichte den Menschen, der durch sie auf die Erde kommen sollte. Kein Bewußtsein gab es, sondern nur ein Halbbewußtsein in der Sphäre, welche die Menschenseelen erlebten, wenn das Hereintreten des Menschen in die physisch-irdische Welt sich vollzieht. Unterbewußt wußte man sich regiert von Göttern, die dann den Namen der «Wanen» erhielten, was zusammenhängt mit «wähnen», mit demjenigen, was nicht bei äußerem vollen intellektuellen Bewußtsein verläuft, sondern in «wissendem Traumesbewußtsein».

Dasjenige, was zu einer Zeit da war, und was für diese Zeit angemessen war, das erhält sich oftmals in späteren Zeiten in äußeren Symbolen. Und so hat die Tatsache, daß in diesen alten Zeiten das heilige Geheimnis der Menschwerdung ins Unterbewußte gehüllt war und dazu geführt hat, daß alle Geburten zusammengedrängt waren in einen bestimmten Teil der Winterszeit, so daß es wie sündhaft angesehen wurde, wenn auch zu einer andern Zeit ein Mensch geboren wurde, sich gewissermaßen erhalten in dem, wovon im Grunde genommen nur Splitter in das spätere Bewußtsein übergegangen sind, Splitter, deren Sinn bisher keine Gelehrsamkeit enthüllt hat. Ja, diese gesteht offen ihre Ohnmacht ein, sie zu enthüllen. Splitter haben sich erhalten in der sogenannten Herta- oder Erda- oder Nertus-Sage.“ (Lit.:GA 173, S. 230f)

Literatur

  1. Rudolf Steiner: Zeitgeschichtliche Betrachtungen. Das Karma der Unwahrhaftigkeit – Erster Teil, GA 173 (1978), ISBN 3-7274-1730-7 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
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