Hans Vaihinger und Bruno Liebrucks: Unterschied zwischen den Seiten

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'''Bruno Liebrucks''' (* 12. Oktober 1911 in Budupönen, Kreis Ragnit, Ostpreußen; † 15. Januar 1986 in Frankfurt am Main) war ein deutscher [[Philosoph]].
'''Hans Vaihinger''' (* 25. September 1852 in Nehren bei Tübingen; † 18. Dezember 1933 in Halle (Saale)) war ein deutscher Philosoph und Kant-Forscher. Im ''Ueberweg'' wird Vaihingers Philosophie als „Idealistisch-pragmatischer Positivismus“ unter einer eigenen, vom [[Neukantianismus]] abgegrenzten Rubrik behandelt.<ref>Friedrich Ueberweg, Traugott Konstantin Oesterreich: ''Grundriss der Geschichte der Philosophie.'' 4. Teil. 12. Auflage, Mittler, Berlin 1923, S. 411–415, 712 {{IA|friedrichueberwe04uebe|410}}</ref>


== Leben und Wirken ==
== Leben ==
Vaihinger war der Sohn des evangelischen Pfarrers Johann Georg Vaihinger und seiner Frau Sophie geb. Haug (auch Hauck), eine Urenkelin von [[Balthasar Haug]].<ref>Dt Wirtschaftsverlag (Hg):
Liebrucks war der Sohn eines Volksschullehrers. Er besuchte das humanistische Gymnasium in Tilsit und Insterburg.<ref>Die Angaben zur Entwicklung bis 1945 stammen weitgehend aus Christian Tilitzki: Die deutsche Universitätsphilosophie in der Weimarer Republik und im Dritten Reich. Akademie, Berlin 2002, da die entsprechenden Informationen in der Selbstdarstellung und in den Nachrufen fehlen. Eine anders akzentuierte, die Verbindung mit dem Nationalsozialismus relativierende Darstellung, findet sich in Max Gottschlich: ''Leben, Werk und Wirkung von Bruno Liebrucks'' ([http://www.bruno-liebrucks.de/mediapool/113/1135270/data/Leben1_Werk_und_Wirkung_Text_fuer_Homepage_27.1.13.pdf PDF-Datei])</ref> Im Anschluss studierte er an der Albertina in Königsberg [[Germanistik]], [[Geschichtswissenschaft|Geschichte]], [[Theologie]] und [[Philosophie]]. Während des Studiums verbrachte er ein Semester in [[München]], wo er unter anderem bei dem [[Nationalsozialistische Rassenhygiene|Rassehygieniker]] [[Fritz Lenz]], aber auch Meereskunde, über [[Thomas Mann]] und bei [[Kurt Huber]] zur [[Kritik der Urteilskraft]] hörte sowie eine Italienexkursion unternahm.
''Reichshandbuch der dt Gesellschaft.'', Bd. 2, Berlin 1931, vgl. Nachdruck in Gerd Simon et al: ''Chronologie Vaihinger, Hans'', Stand 2013 [https://homepages.uni-tuebingen.de//gerd.simon/chrvai.pdf online], S. 337.</ref> Nach dem Besuch des Stuttgarter Gymnasiums studierte er zunächst Theologie, wechselte dann aber zur Philosophie. Studienorte waren Tübingen, wo er dem  [[Corps Borussia Tübingen]] beitrat, dann Leipzig und Berlin. 1874 promovierte er in Tübingen und wurde Repetent am [[Tübinger Stift]]. 1877 konnte er sich bei [[Ernst Laas]] Straßburg mit ''Logischen Untersuchungen. 1. Teil: Die Lehre von der wissenschaftlichen Fiktion'' habilitieren. Die Schrift gilt heute als Verschollen, soll jedoch lt. Vaihinger selbst in sein Hauptwerk, die ''Philosophie des Als Ob'', eingegangen sein.<ref>Gerd Simon ''„Weiße Juden“ sind nach wie vor verfemt'', [https://homepages.uni-tuebingen.de//gerd.simon/weissejuden.pdf online]</ref> In Straßburg wurde Vaihinger 1883 zum außerordentlichen Professor ernannt. 1884 folgte er einem Ruf nach Halle, wo er 1894 zum Ordinarius berufen wurde.  


Verheiratet war Vaihinger seit 1889 mit der aus einer Gelehrtenfamilie stammenden Elisabeth Alwine Schweigger (geb. 1865), der Tochter des Berliner Hofbuchhändlers Ernst Schweigger. 1892 wurde der Sohn Richard geboren, 1895 die Tochter Erna.
Am 7. Juli 1933 promovierte Liebrucks in Königsberg bei Albert Goedeckemeyer über ''Probleme der Subjekt-Objekt-Relation'' (u.&nbsp;a.) bei [[Immanuel Kant|Kant]], die mit dem Kant-Preis ausgezeichnet wurde. Von Mai 1933 bis 1936 war er in Königsberg Assistent bei Hans Heyse, der als Nachfolger von Georg Misch nach Göttingen ging und dem er 1937 folgte. Liebrucks trat am 28. Juni 1933 in die SA ein, wo er als Rottenführer der SA-Standarte 1, Sturm 54/1 tätig war. Zudem war er in Königsberg in Fachschaftslagern des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes (NSDStB) aktiv. Als Assistent arbeitete er an einem von Heyse veranstalteten Wissenschaftslager an der Albertina. Ein Bruch in seiner Karriere entstand 1936, als er einen Aufruf zugunsten des Germanisten Paul Hankamer unterzeichnete, dessen Vorlesungen immer wieder durch nationalsozialistische Studenten gestört wurden, weil sie Hankamer der [[Wikipedia:Katholische Aktion|Katholischen Aktion]] zurechneten. Die [[Wikipedia:Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei|NSDAP]] reagierte, indem sie ihn aus der SA ausschloss und sein Stipendium strich. 1936/37 leistete Liebrucks seinen Militärdienst. Im Mai 1937 gab der Stabschef der SA, Viktor Lutze, der Beschwerde Liebrucks statt mit der Auflage, „sich voll und ganz zu den Auffassungen des NSDStB zu bekennen und danach zu handeln.“<ref name="Tilitzki870">Christian Tilitzki: Die deutsche Universitätsphilosophie in der Weimarer Republik und im Dritten Reich. Akademie, Berlin 2002, 870.</ref> In der Folge wurde Liebrucks mit Wirkung zum 1. Mai 1937 Mitglied der NSDAP (Mitgl. Nr. 4.860.585).


Vaihinger litt an einer Augenkrankheit, die zur völligen Erblindung führte; ihretwegen ließ er sich 1906 emeritieren.
1938 wechselte Liebrucks zu Alfred Baeumler nach Berlin, wo er seinen Unterhalt teilweise mit Lateinstunden verdiente. Über den Grund des Wechsels liegen keine Informationen vor. Seine Arbeiten für die Habilitation hatte Liebrucks mit einer Untersuchung über den Unterschied des antiken und modernen Wirklichkeitsbewusstseins mit dem Titel „Das Problem der [[Seele]] in der [[Zeit]] von [[Platon|Plato]] bis [[Augustinus]]“ bei Heyse begonnen. In seinem DFG-Antrag für ein neues Stipendium veränderte er das Thema als eine Untersuchung zur „Klärung des Unterschiedes des nordisch-griechischen Welt- und Wirklichkeitsverständnisses“, wobei er durch die „geistige Manifestation einer uns rassisch verwandten Haltung“ zur Auseinandersetzung des [[Nationalsozialismus]] mit den „überstaatlichen und internationalen Mächten“ beitragen wolle.<ref name="Tilitzki870" /> Neben Baeumler befürworteten die Förderung auch der Rassenideologe Hans F. K. Günther sowie der Historiker Wilhelm Weber, der ihm bescheinigte, „daß ein junger Philosoph sich für die anthropologisch-rassische Fundierung seiner Gedanken interessiert.“<ref>Christian Tilitzki: ''Die deutsche Universitätsphilosophie in der Weimarer Republik und im Dritten Reich''. Akademie, Berlin 2002, S. 871.</ref> Trotzdem wurde der Antrag zunächst abgelehnt, bis Liebrucks auch noch eine positive Stellungnahme des [[Nationalsozialistischer Deutscher Dozentenbund|Dozentenbundes]] erhielt. Im März 1939 wurde er von Baeumler zur Tagung der NS-Philosophen auf [[Schloss Buderose]] bei [[Guben]] eingeladen. Das neue 1939 zugesagte Stipendium konnte er nur kurze Zeit nutzen, da er mit [[Polenfeldzug|Beginn des Krieges]] zum Militärdienst eingezogen wurde. Baeumler kündigte zwar 1940 eine neue Interpretation Platons an, doch die Fertigstellung der Arbeit verzögerte sich. Nach Angaben Liebrucks waren seine sämtlichen Unterlagen einschließlich umfangreicher Übersetzungen zu [[Platonischer Dialog|Platons Dialogen]] während des Krieges vollständig verloren gegangen.<ref>Bruno Liebrucks: ''Selbstdarstellung''. In: ''Philosophie in Selbstdarstellungen'' II, hrsg. von Ludwig Pongratz, Hamburg 1975, S. 170–223, hier 200-201.</ref> Im Jahr 1943 erhielt er einen dreimonatigen Habilitationsurlaub, in dem er eine wesentlich verkürzte Fassung seiner ursprünglich geplanten Arbeit mit dem Titel „Über das Problem des [[Eleaten|Eleatismus]] bei Platon“ erstellte. Erstgutachter zu dieser Arbeit über die Dialoge [[Parmenides (Platon)|Parmenides]] und [[Sophistes]] war [[Nicolai Hartmann]], zu dem er schnell einen guten Zugang fand.<ref>Bruno Liebrucks:'' Philosophische Freundschaft. Zum Briefwechsel zwischen N. Hartmann und H. Heimsoeth.'' In: ''Kant-Studien'' 73, 1982, S. 82–86.</ref> Zur Prüfungskommission, die ihm die [[Venia legendi]] erteilte, gehörten [[Hermann Grapow]] und [[Wolfgang Schadewaldt]]. Nach einer schweren Verletzung endete die Militärzeit im Mai 1944.


Im Mittelpunkt seiner Arbeit stand die Kantforschung. Vaihinger verfasste einen ''Kommentar zu Kants Kritik der reinen Vernunft'' (1881/92). Außerdem stellte er die Kantforschung auf einen sicheren organisatorischen Boden, indem er zum einen die [[Kant-Studien]] (seit 1897), zum anderen die [[Kant-Gesellschaft]] gründete, letztere 1904, im hundertsten Todesjahr Kants. Gemeinsam mit seinem Schüler [[Raymund Schmidt]] gab er von 1919 bis 1930 die ''Annalen der Philosophie'' und von 1922 bis 1932 die ''Bausteine zu einer Philosophie des Als Ob'' heraus.
Von 1945 bis 1950 lehrte Liebrucks als Privatdozent in Göttingen. Nach dem Tode Hartmanns holte ihn [[Heinz Heimsoeth]] als nichtbeamteten ao. Professor 1950 nach [[Universität zu Köln|Köln]]. Ab 1952 hatte er einen besoldeten Lehrauftrag („[[Privatdozent|Diätendozentur]]). Im Jahr 1959 erhielt er ein Ordinariat für Philosophie an der [[Johann Wolfgang Goethe-Universität|Goethe-Universität Frankfurt]] und war bis zu seiner Emeritierung Direktor des philosophischen Seminars. Zu seinen Schülern gehören der bekannte Bonner Sprachphilosoph [[Josef Simon (Philosoph)|Josef Simon]] und die Ästhetikspezialistin Brigitte Scheer.


Vaihinger galt als Schüler und Fortführer des Werks des Kantianers [[F. A. Lange]], von dem er sich jedoch abgrenzte, in dem er bentonte, das der [[Kritizismus]] eher als Methode denn als Lehrgebäude zu verstehen sei.<ref>Vgl. Traugott Oesterreich, ''Friedrich Ueberwegs Grundriss der Geschichte der Philosophie'', 4. Teil, 12.Aufl, S. 411. Mittler&Sohn Berlin 1923.</ref>
Sein Sohn Edgar Liebrucks ist Strafverteidiger in Frankfurt am Main.<ref>http://www.sueddeutsche.de/kultur/kunstraub-unfassbar-1.424403</ref>
Vaihinger war auch einer der ersten akademischen Philosophen, die sich mit der Philosophie [[Friedrich Nietzsche]]s auseinandersetzten. Er war seit deren Gründung bis zu seinem Tode Vorstandsmitglied der [[Nietzsche-Archiv|Stiftung Nietzsche-Archiv]].


Von der [[Technische Universität Dresden|Technischen Hochschule Dresden]] erhielt er die Ehrendoktorwürde.<ref>{{Internetquelle |hrsg=Technische Universität Dresden |url=http://tu-dresden.de/die_tu_dresden/zentrale_einrichtungen/ua/navpoints/archiv/doku/ehrendok#V |titel=Ehrenpromovenden der TH/TU Dresden |zugriff=2015-01-28}}</ref>
== Lehre ==
Bruno Liebrucks hat in seiner Habilitation eine Entwicklung in [[Platon]]s Denken von der [[Eleaten|eleatischen]] Starre in den frühen Schriften zu einer [[Dialektik|dialektischen]] Vorgehensweise im Spätwerk postuliert.


== Philosophie des Als-Ob ==
Die Dialektik und die in ihr liegende [[Logik]] ist auch ein wichtiger methodischer Ansatz in Liebrucks Nachkriegsphilosophie, in der er sich stark an [[Georg Wilhelm Friedrich Hegel|Hegel]] anlehnte. In seiner Philosophie entwickelte er kein eigenes System, hat aber in der [[Sprache]] einen eigenen systematischen Ansatz gefunden.<ref>Erstmals in Form von 15 Thesen vorgetragen auf dem Bremer Philosophiekongress 1950, abgedruckt in: ''Zeitschrift für philosophische Forschung'' V, Heft 4, 465-484.</ref> Liebrucks versuchte, entlang der Sprache den [[mensch]]lichen [[Welt]]umgang und die Wirklichkeit in philosophische Gedanken zu fassen. Der Rahmen seiner Untersuchungen reicht dabei vom [[Mythos]] bis zur modernen [[Analytische Philosophie|analytischen Philosophie]].<ref>Brigitte Scheer: ''Zum Gedächtnis an Bruno Liebrucks.'' In: ''Zeitschrift für philosophische Forschung'', 41, 2/1987, 299-305.</ref>
{{Hauptartikel|Die Philosophie des Als Ob}}


Nicht nur in seinem 1876 bis 1878 entstandenen, aber erst 1911 veröffentlichten eigenständigen Hauptwerk, der ''Philosophie des Als Ob'', finden sich Tendenzen, die Lebenspraxis suchen. Gegen die vorherrschende Meinung sowohl der idealistischen wie der realistischen Flügel des [[Neukantianismus]], dass Wahrheit als Entsprechung zwischen Erkenntnis und Wirklichkeit zu verstehen sei, ist das Ziel der Erkenntnis bei Vaihinger die Bewältigung der Außenwelt durch das Subjekt. Dabei spielt eine Korrespondenz zwischen Gedanken und Überzeugungen und der Wirklichkeit eine dem Erfolg des Handelns untergeordnete Rolle. Vaihingers Haltung nährt sich dabei Positionen von [[Schopenhauer]] und [[Friedrich Nietzsche]] an, ein wichtiger Einfluss ist zudem [[Charles Darwin]].
In seinem mehrbändigen Hauptwerk ''Sprache und Bewußtsein'' (1964 bis 1979) hat er das Problem der Sprache und der dialektischen Logik auf breiter Basis unter systematischen und historischen Aspekten untersucht. Er kommentierte zunächst im Einleitungsband eine Reihe von Sprachphilosophen wie [[Giambattista Vico|Vico]], [[Johann Gottfried Herder|Herder]], [[Johann Georg Hamann|Hamann]], [[Ernst Cassirer|Cassirer]] und [[Arnold Gehlen|Gehlen]] bis hin zu [[Karl Bühler]], dann in einem einzelnen Band [[Wilhelm von Humboldt]]. Es folgte die Auseinandersetzung mit [[Immanuel Kant|Kants]] ''[[Kritik der praktischen Vernunft]]'' und der ''[[Kritik der Urteilskraft]]'' sowie der [[Rechtsphilosophie]] Hegels. Die Frage der [[Transzendentale Logik|transzendentalen Logik]] Kants steht im Mittelpunkt des vierten Bandes. Bei Kant sah Liebrucks eine erste Revolution der Denkart, die in einer zweiten Revolution in Hegels Philosophie fortgesetzt wurde, der der fünfte Band gewidmet ist. Hegels Logik kommentierte Liebrucks in drei Teilbänden, die den sechsten Band des Hauptwerks bilden. Der Abschlussband stellt das Wort „und“ sowie [[Friedrich Hölderlin|Hölderlin]] in den Fokus.


Ausgangsfrage seiner ''Philosophie des Als-Ob'' ist, wie sich Richtiges (erfolgreiches Handeln, Problemlösen) mit falschen Annahmen erreichen lässt. Erkennen heißt bei Vaihinger, Unbekanntes mit Bekanntem zu vergleichen; das Ende der Erkenntnis sieht Vaihinger darin, Unbekanntes nicht mehr auf Bekanntes reduzieren zu können.
Sprache ist das Medium, durch dessen Vermittlung der Mensch der Welt begegnet. Eine unmittelbare, von der Sprache abgelöste Begegnung mit der Wirklichkeit gibt es nicht. Sprache ist ein dialektisches [[Phänomen]]: „Im täglichen Sprachgebrauch haben wir nicht auf der einen Seite das Phänomen der deutschen Sprache als eines objektiven Gebildes und dann eines zweiten Phänomen des sich in dieser Sprache bewegenden [[Subjekt (Philosophie)|Subjekts]], sondern indem der hörende Partner im inneren Sprechen das Gesagte miterzeugt, ist das Phänomen des Sprachgeschehens aller nur im ‚[[Begriff]]‘ und nicht in der Wirklichkeit getrennten Seiten.“<ref>Bruno Liebrucks: ''Erkenntnis und Dialektik: Zur Einführung in eine Philosophie von der Sprache.'' Den Haag 1972, 7.</ref> Die Erlebnisseite der Sprache ist Gegenstand der [[Sprachpsychologie]], die lexikalisch-grammatische Struktur der [[Linguistik]] und die künstlerischen Ausdrucksformen der [[Literaturwissenschaft]]. Die Philosophie fragt hingegen nach der Rolle und dem Einfluss der Sprache auf das Wesen des Menschen.


Atome, ebenso wie Gott und Seele erklärt Vaihinger als [[nützliche Fiktion]]en. Sie erlangen Bedeutung, »als ob« sie wahr seien, auch wenn sie der Denkkonstruktion bewusst widersprechen. Nützliche Fiktionen erhalten ihre Legitimation durch den lebenspraktischen Zweck. Auf dem Umweg des Als-ob erreicht man "das Gegebene", so lange bis  durch ein neues Modell von Wirklichkeit ein kürzerer Weg gefunden wird. Dies ist jedoch ein unabschließbarer Prozess. In dieser Hinsicht ergibt sich eine Nähe oder Vergleichbarkeit zum zeitgleich entstehenden amerikanischen [[Pragmatismus]].
Indem der Mensch sich [[Intentionalität|intentional]] mit der Sprache auf die Welt bezieht, stellt er eine Beziehung zu sich selbst her, das heißt, er kann über die Welt nichts ohne Bezug zu sich selbst aussprechen. Und insoweit der Mensch die Sprache selbst zum Gegenstand seines Sprechens macht, stellt er einen Selbstbezug der Sprache zu ihr selbst her. „In dem Masse, in dem Sprache und Bewußtsein sich als Ineinander beider Seiten begreifen, können sie – wir sagen nicht mit Hegel, den Massstab – aber den Aufweis ihrer lebendigen und geschichtlichen Struktur in sich finden.“<ref>Bruno Liebrucks: ''Erkenntnis und Dialektik: Zur Einführung in eine Philosophie von der Sprache.'' Den Haag 1972, 8-9.</ref>


== Wirkungsgeschichte ==
Der vermittelte Zugang zur Wirklichkeit durch die Sprache bedeutet, dass menschliche [[Erkenntnis]] durch die Sprache bestimmt ist. „Das strukturbildende Movens aller menschlichen Erkenntnis heißt Sprache. Diese hat ihre Bewegung in dem, was Kant [[Subreption]], Erschleichung, genannt hat.“<ref>Bruno Liebrucks: Sprache und Bewußtsein, Band 1, Einleitung, Spannweite des Problems : von den undialektischen Gebilden zur dialektischen Bewegung. Akademie, Frankfurt 1964, 15.</ref>
Sprache ist [[Medium]] der [[Kommunikation]] und enthält jeweils etwas von dem Aussagenden, etwas von dem Angesprochenen und etwas von der besprochenen Sache ([[Organon-Modell|dreifache Relation von Sender, Empfänger und Sachverhalt]] nach [[Karl Bühler|Bühler]]). Nur im Zusammenerfassen dieser dreifachen Beziehung ist die Struktur von Sprache erfassbar. Bäume und Regen können den Menschen nichts lehren (Sokrates im [[Kratylos]]). [[Bedeutung]] über das [[Zeichen]]hafte hinaus entsteht erst in der Dreistrahligkeit der [[Semantik|semantischen]] Sprachrelation.


Das über achthundert Seiten starke Hauptwerk Vaihingers wurde in zwölf Sprachen, unter anderem auch ins Japanische, übersetzt und erschien auf deutsch bis 1928 in 10 Auflagen, darunter auch zwei gekürzte Volksausgaben und eine von Kultusminister Adolf Grimme in die Wege geleitete Schulausgabe für preußische Gymnasien.
Es gehört zum [[Wesen]] der Sprache, dass man dieses nicht direkt aussprechen, sondern nur mühsam umschreiben kann. Dies beinhaltet, dass man das einzelne Konkrete nur umschreiben und durch die [[Abstraktion]] im Begriff ansprechen kann. Ohne das universale Moment der Sprache, das in der Abstraktion liegt, wäre eine Verständigung nicht möglich, da der Versuch einer Darstellung eines Augenblicks der Wirklichkeit nicht die Beschränkung durch die Wirklichkeit überwinden könnte. Die Zeichenhaftigkeit der Sprache bedeutet zugleich, dass alles Reden [[Metapher|metaphorisch]] ist und dies ist der Grund für die Fruchtbarkeit von Sprache.<ref>Bruno Liebrucks: Sprache und Bewußtsein, Band 1, Einleitung, Spannweite des Problems : von den undialektischen Gebilden zur dialektischen Bewegung. Akademie, Frankfurt 1964, 481.</ref>


== Schriften ==
== Werke (Auswahl) ==
=== „Philosophie des Als-Ob“ ===
* ''Probleme der Subjekt-Objektrelation'', (Phil. Diss.) Königsberg 1933.
;Ausgaben
* ''Platons Entwicklung zur Dialektik. Untersuchungen zum Problem des Eleatismus''. Klostermann, Frankfurt a. M. 1949 (Habil.-Schr., Berlin 1943).
* Hans Vaihinger: ''Die Philosophie des Als Ob. System der theoretischen, praktischen und religiösen Fiktionen der Menschheit auf Grund eines idealistischen Positivismus; mit einem Anhang über Kant und Nietzsche.'' Reuther & Reichard, Berlin 1911.
* ''Sprache und Bewußtsein'', Bde. 1 bis 5, 6,1-6,3 u. 7, Akad. Verl.-Ges., Frankfurt (Bände 1–5) und Lang, Bände 6 und 7, 1964 bis 1979.
* 2. Aufl. ersch. bei Reuther & Reichard, Berlin 1913.
* ''Erkenntnis und Dialektik'', Nijhoff, Den Haag 1972. (Aufsatzsammlung)
* 3. Aufl. ersch. bei Felix Meiner, Leipzig 1918.
* ''Bruno Liebrucks''. In: Ludwig Pongratz, Hrsg., ''Philosophie in Selbstdarstellungen'' (3 Bde.), Band 2, Meiner, Hamburg 1975-'77.
* 4. Aufl. ersch. bei Felix Meiner, Leipzig 1920.
* ''Irrationaler Logos und rationaler Mythos''. Königshausen und Neumann, Würzburg 1982. (Aufsatzsammlung)
* 5. u. 6. Aufl. ersch. bei Felix Meiner, Leipzig 1920 (eingeschränkter elektronischer Zugang,
* 7. u. 8. Aufl. ersch. bei Felix Meiner, Leipzig 1922 ({{Digitalisat|IA=DiePhilosophieDesAlsOb}} im Internet Archive).
* 9. u. 10. Aufl. ersch. bei Felix Meiner, Leipzig 1927 (hiervon Neudr. bei Scientia, Aalen 1986).
* Volksausg. ersch. bei Felix Meiner, Leipzig 1923 (hiervon 2. Aufl. 1924, {{Digitalisat|IA=diephilosophiede00vaih}} im Internet Archive).
;Übersetzungen
* Englisch: ''The Philosophy of "As If". A System of the Theoretical, Practical and Religious Fictions of Mankind.'' Aus dem Deutschen von Charles Kay Ogden. Kegan Paul, Trench, Trubner & Co., London 1924; 2. Aufl. 1935 (hiervon Neudr. u. a. bei Routledge, London 2002, ISBN 0-415-22529-9).
* Italienisch: ''La filosofia del "come se". Sistema delle finzioni scientifiche, etico-pratiche e religiose del genere umano.'' Aus dem Deutschen von Franco Voltaggio. Ubaldini, Rom 1967.
* Französisch: ''La philosophie du comme si'' (= ''Philosophia scientiae.'' Band 8). Aus dem Deutschen von Christophe Bouriau. Éditions Kimé, Paris 2008, ISBN 978-2-84174-462-6.
* Portugiesisch: ''A filosofia do como se. Sistema das ficções teóricas, práticas e religiosas da humanidade, na base de um positivismo idealista; com um anexo sobre Kant e Nietzsche'' (= ''Grandes temas.'' Band 15). Aus dem Deutschen von Johannes Kretschmer. Argos, Chapecó 2011, ISBN 978-85-7897-036-9.
;Vaihinger zum Werk und zu seiner Person
* ''"Die Philosophie des Als Ob." Mitteilungen über ein unter diesem Titel soeben erschienenes neues Werk. Von dessen Herausgeber H. Vaihinger.'' In: ''Kant-Studien.'' Band 16, Heft 1–3, Januar 1911, {{ISSN|1613-1134}}, S. 108–115 ({{DOI|10.1515/kant-1911-0127}}).
* ''Erklärung betr. meine Autorschaft an der "Philosophie des Als Ob".'' In: ''Kant-Studien.'' Band 16, Heft 1–3, Januar 1911, {{ISSN|1613-1134}}, S. 522–523 ({{DOI|10.1515/kant-1911-01151}}).
* ''Wie die Philosophie des Als Ob entstand.'' In: Raymund Schmidt (Hrsg.): ''Die Philosophie der Gegenwart in Selbstdarstellungen. Band 2.'' Felix Meiner, Leipzig 1921, S. 175–203 (hiervon 2. verb. Aufl. ebd. 1923, dort S. 183–212).
* ''Mein Lebenslauf in fünf Etappen.'' In: ''Berliner Börsenzeitung.'' Ausgabe vom 8. August 1924, Nr. 369, S. 3 ({{Digitalisat|http://zefys.staatsbibliothek-berlin.de/kalender/auswahl/date/1924-08-08/2436020X/}} im Zeitungsinformationssystem ZEFYS der Staatsbibliothek zu Berlin; Nachdruck in: ''Besinnung. Illustrierte Monatsschrift für Deutsches Kulturgut.'' Band 1, 1925, S. 89–92).


=== Weitere Werke ===
== Literatur ==
* ''Die neueren Bewußtseinstheorien.'' Diss. Tübingen 1874 (nicht im Druck erschienen).
* Bruno Liebrucks: ''Selbstdarstellung''. in: Philosophie in Selbstdarstellungen II, hrsg. Von Ludwig Pongratz, Meiner, Hamburg 1975, 170-223.
* [http://books.google.com/books?id=tW1BAAAAYAAJ&pg=PA1 ''Goethe als Ideal universeller Bildung. Festrede''], gehalten in der ersten gemeinschaftlichen Sitzung der »Vereinigten wissenschaftlichen Vereine« der Universität Leipzig, 1875.
* Heinz Röttges, Brigitte Scheer und Josef Simon (Hrsg.): ''Sprache und Begriff. Festschrift für Bruno Liebrucks''. Anton Hain, Meisenheim am Glan 1974.
* ''Eduard von Hartmann, Eugen Dühring und Friedrich Albert Lange. Zur Geschichte der deutschen Philosophie im XIX. Jahrhundert. Ein kritischer Essay''. Julius Theodor Baedeker, Iserlohn 1876. [http://sammlungen.ulb.uni-muenster.de/urn/urn:nbn:de:hbz:6:1-74293 ULB Münster]
* Brigitte Scheer, Günter Wohlfahrt (Hrsg.): ''Dimensionen der Sprache in der Philosophie des Deutschen Idealismus. Festschrift für Bruno Liebrucks.'' Königshausen & Neumann, Würzburg 1982.
* ''Die drei Phasen des Czolbeschen Naturalismus.'' In: Philosophische Monatshefte, Band XII, 1876.
* Franz Ungler, ''Bruno Liebrucks' "Sprache und Bewußtsein". Vorlesung vom WS 1988'', mit einem Geleitwort von Josef Simon, aus dem Nachlass herausgegeben und eingeleitet von Max Gottschlich, Alber, Freiburg/München 2014
* ''Der Begriff des Absoluten (mit Rücksicht auf H. Spencer).'' In: ''Vierteljahresschrift für wissenschaftliche Philosophie 2'' (1878), 188–221.
* Max Gottschlich (Hrsg.), ''Die drei Revolutionen der Denkart. Systematische Beiträge zum Denken von Bruno Liebrucks'', Alber, Freiburg/München 2013
* ''Das Entwicklungsgesetz der Vorstellungen über das Reale, in: Vierteljahresschrift für wissenschaftliche Philosophie 2'' (1878), 298–313, 415–448.
* Christian Tilitzki: ''Die deutsche Universitätsphilosophie in der Weimarer Republik und im Dritten Reich''. Akademie, Berlin 2002. [http://www.zeit.de/2002/24/Von_der_Einfuehlung_des_Gedankens Rezension]
* ''Commentar zu Kants Kritik der reinen Vernunft. Zum 100jährigen Jubiläum desselben herausgegeben''. [http://books.google.com/books?id=JDMNAAAAYAAJ&printsec=frontcover Band I]: 1881 / Band 2: 1892 (Zweite Aufl. Band 1, 2 u. Ergänzungsband, hrsg. von Raymund. Schmidt, 1922; Neudruck der zweiten Auflage: 1970).
* ''Zu Kants Widerlegung des Idealismus.'' In: Straßburger Abhandlungen zur Philosophie. Eduard Zeller zu seinem 70. Geburtstag, 1884, 85–164.
* ''Mitteilungen aus dem kantischen Nachlaß.'' In: Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik N.F., Band 96 (1888), 1–26.
* * 1889 [http://books.google.com/books?id=Bqc_AAAAYAAJ&pg=PR1 ''Naturforschung und Schule. Eine Zurückweisung der Angriffe Preyers auf das Gymnasium vom Standpunkte der Entwicklungslehre. Vortrag''], 1889.
* ''Königin Luise als Erzieherin. Eine Gedächtnisrede'', 1894.
* ''Zur Einführung [der Kantstudien].'' In: Kant-Studien, Band 1 (1897), 1–8.
* ''Siebzig textkritische Randglossen zur Analytik [Kants].'' In: Kant-Studien, Band 4 (1900), 452–463.
* ''Kant - ein Metaphysiker?'' In: Philosophische Abhandlungen. Christoph Sigwart zu seinem 70. Geburtstag von einer Reihe von Fachgenossen gewidmet, 1900, 133–158.
* ''Nietzsche als Philosoph'', 1902 (Zweite Auflage 1902; Dritte Auflage 1905; Vierte Auflage 1916; Fünfte Auflage 1930 = Bausteine zu einer Philosophie des Als Ob. N.F. H. 1).
* ''Annalen der Philosophie.'' [zusammen mit Raymund Schmidt] Leipzig, Felix Meiner, 1919 ff; Bde. I-VIII.


== Siehe auch ==
== Weblinks ==
* {{WikipediaDE|Hans Vaihinger}}
* {{DNB-Portal|118728202}}
* {{WikipediaDE|Fiktionalismus}}
* {{OL-Autor|OL131910A}}
 
* [http://www.ub.uni-frankfurt.de/archive/liebrucks.html Nachlass Bruno Liebrucks an der Uni Frankfurt]
== Literatur ==
* [http://www.bruno-liebrucks.de/ bruno-liebrucks.de Webseite]
* Klaus Ceynowa: ''Zwischen Pragmatismus und Fiktionalismus. Hans Vaihingers „Philosophie des Als Ob..'' Königshausen & Neumann, Würzburg 1993, ISBN 3-88479-751-4.
* Leben, Werk und Wirkung von Bruno Liebrucks von Max Gottschlich ([http://www.bruno-liebrucks.de/mediapool/113/1135270/data/Leben1_Werk_und_Wirkung_Text_fuer_Homepage_27.1.13.pdf http://www.bruno-liebrucks.de/mediapool/113/1135270/data/Leben1_Werk_und_Wirkung_Text_fuer_Homepage_27.1.13.pdf])
* {{BBKL|archiveurl=https://web.archive.org/web/20070629070408/http://www.bautz.de/bbkl/v/vaihingen_h.shtml |band=12|autor=Werner Raupp|spalten=1018-1026}}
* [http://www.mediathek.at/trefferliste/searchword/czoxNzoiIkJydW5vIExpZWJydWNrcyIiOw== Bruno Liebrucks im O-Ton] im Online-Archiv der Österreichischen Mediathek
* Richard Remmy: ''Wird durch die Als-Ob-Betrachtung bei Kant die Realität Gottes in Frage gestellt?'' Dissertation. Erlangen 1920.
* Otto Ritschl: ''Die doppelte Wahrheit in der Philosophie des Als Ob. Mit einem freundschaftlichen Eingangsschreiben an Herrn Geheimrat Vaihinger.'' 1925.
* Heinrich Scholz: ''Die Religionsphilosophie des Als-ob. Eine Nachprüfung Kants und des idealistischen Positivismus.'' 1921.
* Johannes Sperl: ''Die Kulturbedeutung des Als-Ob-Problems. Bausteine zu einer Philosophie des Als-Ob.'' Heft 2, Langensalza 1922.
* August Seidel (Hrsg.): ''Die Philosophie des Als Ob und das Leben.'' Festschrift zu Hans Vaihingers 80. Geburtstag. Reuther & Reichard, Berlin 1932.
* August Seidel: ''Wie die Philosophie des Als Ob entstand.'' In: ''Die Deutsche Philosophie der Gegenwart in Selbstdarstellungen.'' Band 2, Meiner, Leipzig 1921, S. 175–203.
* Andrea Wels: ''Die Fiktion des Begreifens und das Begreifen der Fiktion. Dimensionen und Defizite der Theorie der Fiktionen in Hans Vaihingers Philosophie des Als Ob.'' Lang, Frankfurt u. a. 1997, ISBN 3-631-32103-1.
* Stephanie Willrodt: ''Semifiktionen und Vollfiktionen in Vaihingers Philosophie des Als Ob.'' Hirzel, Leipzig 1934.
*  Yannik Behme: ''Die Korrespondenz Hans Vaihingers an [[Hermann Bahr|Bahr]].'' In: Martin Anton Müller, Claus Pias, Gottfried Schnödl (Hrsg.): ''Hermann Bahr – Österreichischer Kritiker europäischer Avantgarden.'' In: ''Jahrbuch für internationale Germanistik: Kongressberichte.'' Peter Lang, Bern u. a. 2014, S. 151–164.
* Traugott Konstantin Oesterreich: ''Friedrich Ueberwegs Grundriss der Geschichte der Philosophie.'' 4. Teil. 12. Auflage, Mittler, Berlin 1923, S. 411–415, 712. {{IA|friedrichueberwe04uebe||Typ=|Fragment=410|Blatt=|Ausgabe=}}


== Einzelnachweise ==
== Einzelnachweise ==
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* [http://homepages.uni-tuebingen.de/gerd.simon/chrvai.pdf Chronologie Hans Vaihinger] (PDF; 585 kB)
* [http://www.archive.org/details/DiePhilosophieDesAlsOb Die Philosophie des Als Ob - archive.org] (PDF; 28 MB)
 
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Version vom 13. August 2018, 04:49 Uhr

Bruno Liebrucks (* 12. Oktober 1911 in Budupönen, Kreis Ragnit, Ostpreußen; † 15. Januar 1986 in Frankfurt am Main) war ein deutscher Philosoph.

Leben

Liebrucks war der Sohn eines Volksschullehrers. Er besuchte das humanistische Gymnasium in Tilsit und Insterburg.[1] Im Anschluss studierte er an der Albertina in Königsberg Germanistik, Geschichte, Theologie und Philosophie. Während des Studiums verbrachte er ein Semester in München, wo er unter anderem bei dem Rassehygieniker Fritz Lenz, aber auch Meereskunde, über Thomas Mann und bei Kurt Huber zur Kritik der Urteilskraft hörte sowie eine Italienexkursion unternahm.

Am 7. Juli 1933 promovierte Liebrucks in Königsberg bei Albert Goedeckemeyer über Probleme der Subjekt-Objekt-Relation (u. a.) bei Kant, die mit dem Kant-Preis ausgezeichnet wurde. Von Mai 1933 bis 1936 war er in Königsberg Assistent bei Hans Heyse, der als Nachfolger von Georg Misch nach Göttingen ging und dem er 1937 folgte. Liebrucks trat am 28. Juni 1933 in die SA ein, wo er als Rottenführer der SA-Standarte 1, Sturm 54/1 tätig war. Zudem war er in Königsberg in Fachschaftslagern des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes (NSDStB) aktiv. Als Assistent arbeitete er an einem von Heyse veranstalteten Wissenschaftslager an der Albertina. Ein Bruch in seiner Karriere entstand 1936, als er einen Aufruf zugunsten des Germanisten Paul Hankamer unterzeichnete, dessen Vorlesungen immer wieder durch nationalsozialistische Studenten gestört wurden, weil sie Hankamer der Katholischen Aktion zurechneten. Die NSDAP reagierte, indem sie ihn aus der SA ausschloss und sein Stipendium strich. 1936/37 leistete Liebrucks seinen Militärdienst. Im Mai 1937 gab der Stabschef der SA, Viktor Lutze, der Beschwerde Liebrucks statt mit der Auflage, „sich voll und ganz zu den Auffassungen des NSDStB zu bekennen und danach zu handeln.“[2] In der Folge wurde Liebrucks mit Wirkung zum 1. Mai 1937 Mitglied der NSDAP (Mitgl. Nr. 4.860.585).

1938 wechselte Liebrucks zu Alfred Baeumler nach Berlin, wo er seinen Unterhalt teilweise mit Lateinstunden verdiente. Über den Grund des Wechsels liegen keine Informationen vor. Seine Arbeiten für die Habilitation hatte Liebrucks mit einer Untersuchung über den Unterschied des antiken und modernen Wirklichkeitsbewusstseins mit dem Titel „Das Problem der Seele in der Zeit von Plato bis Augustinus“ bei Heyse begonnen. In seinem DFG-Antrag für ein neues Stipendium veränderte er das Thema als eine Untersuchung zur „Klärung des Unterschiedes des nordisch-griechischen Welt- und Wirklichkeitsverständnisses“, wobei er durch die „geistige Manifestation einer uns rassisch verwandten Haltung“ zur Auseinandersetzung des Nationalsozialismus mit den „überstaatlichen und internationalen Mächten“ beitragen wolle.[2] Neben Baeumler befürworteten die Förderung auch der Rassenideologe Hans F. K. Günther sowie der Historiker Wilhelm Weber, der ihm bescheinigte, „daß ein junger Philosoph sich für die anthropologisch-rassische Fundierung seiner Gedanken interessiert.“[3] Trotzdem wurde der Antrag zunächst abgelehnt, bis Liebrucks auch noch eine positive Stellungnahme des Dozentenbundes erhielt. Im März 1939 wurde er von Baeumler zur Tagung der NS-Philosophen auf Schloss Buderose bei Guben eingeladen. Das neue 1939 zugesagte Stipendium konnte er nur kurze Zeit nutzen, da er mit Beginn des Krieges zum Militärdienst eingezogen wurde. Baeumler kündigte zwar 1940 eine neue Interpretation Platons an, doch die Fertigstellung der Arbeit verzögerte sich. Nach Angaben Liebrucks waren seine sämtlichen Unterlagen einschließlich umfangreicher Übersetzungen zu Platons Dialogen während des Krieges vollständig verloren gegangen.[4] Im Jahr 1943 erhielt er einen dreimonatigen Habilitationsurlaub, in dem er eine wesentlich verkürzte Fassung seiner ursprünglich geplanten Arbeit mit dem Titel „Über das Problem des Eleatismus bei Platon“ erstellte. Erstgutachter zu dieser Arbeit über die Dialoge Parmenides und Sophistes war Nicolai Hartmann, zu dem er schnell einen guten Zugang fand.[5] Zur Prüfungskommission, die ihm die Venia legendi erteilte, gehörten Hermann Grapow und Wolfgang Schadewaldt. Nach einer schweren Verletzung endete die Militärzeit im Mai 1944.

Von 1945 bis 1950 lehrte Liebrucks als Privatdozent in Göttingen. Nach dem Tode Hartmanns holte ihn Heinz Heimsoeth als nichtbeamteten ao. Professor 1950 nach Köln. Ab 1952 hatte er einen besoldeten Lehrauftrag („Diätendozentur“). Im Jahr 1959 erhielt er ein Ordinariat für Philosophie an der Goethe-Universität Frankfurt und war bis zu seiner Emeritierung Direktor des philosophischen Seminars. Zu seinen Schülern gehören der bekannte Bonner Sprachphilosoph Josef Simon und die Ästhetikspezialistin Brigitte Scheer.

Sein Sohn Edgar Liebrucks ist Strafverteidiger in Frankfurt am Main.[6]

Lehre

Bruno Liebrucks hat in seiner Habilitation eine Entwicklung in Platons Denken von der eleatischen Starre in den frühen Schriften zu einer dialektischen Vorgehensweise im Spätwerk postuliert.

Die Dialektik und die in ihr liegende Logik ist auch ein wichtiger methodischer Ansatz in Liebrucks Nachkriegsphilosophie, in der er sich stark an Hegel anlehnte. In seiner Philosophie entwickelte er kein eigenes System, hat aber in der Sprache einen eigenen systematischen Ansatz gefunden.[7] Liebrucks versuchte, entlang der Sprache den menschlichen Weltumgang und die Wirklichkeit in philosophische Gedanken zu fassen. Der Rahmen seiner Untersuchungen reicht dabei vom Mythos bis zur modernen analytischen Philosophie.[8]

In seinem mehrbändigen Hauptwerk Sprache und Bewußtsein (1964 bis 1979) hat er das Problem der Sprache und der dialektischen Logik auf breiter Basis unter systematischen und historischen Aspekten untersucht. Er kommentierte zunächst im Einleitungsband eine Reihe von Sprachphilosophen wie Vico, Herder, Hamann, Cassirer und Gehlen bis hin zu Karl Bühler, dann in einem einzelnen Band Wilhelm von Humboldt. Es folgte die Auseinandersetzung mit Kants Kritik der praktischen Vernunft und der Kritik der Urteilskraft sowie der Rechtsphilosophie Hegels. Die Frage der transzendentalen Logik Kants steht im Mittelpunkt des vierten Bandes. Bei Kant sah Liebrucks eine erste Revolution der Denkart, die in einer zweiten Revolution in Hegels Philosophie fortgesetzt wurde, der der fünfte Band gewidmet ist. Hegels Logik kommentierte Liebrucks in drei Teilbänden, die den sechsten Band des Hauptwerks bilden. Der Abschlussband stellt das Wort „und“ sowie Hölderlin in den Fokus.

Sprache ist das Medium, durch dessen Vermittlung der Mensch der Welt begegnet. Eine unmittelbare, von der Sprache abgelöste Begegnung mit der Wirklichkeit gibt es nicht. Sprache ist ein dialektisches Phänomen: „Im täglichen Sprachgebrauch haben wir nicht auf der einen Seite das Phänomen der deutschen Sprache als eines objektiven Gebildes und dann eines zweiten Phänomen des sich in dieser Sprache bewegenden Subjekts, sondern indem der hörende Partner im inneren Sprechen das Gesagte miterzeugt, ist das Phänomen des Sprachgeschehens aller nur im ‚Begriff‘ und nicht in der Wirklichkeit getrennten Seiten.“[9] Die Erlebnisseite der Sprache ist Gegenstand der Sprachpsychologie, die lexikalisch-grammatische Struktur der Linguistik und die künstlerischen Ausdrucksformen der Literaturwissenschaft. Die Philosophie fragt hingegen nach der Rolle und dem Einfluss der Sprache auf das Wesen des Menschen.

Indem der Mensch sich intentional mit der Sprache auf die Welt bezieht, stellt er eine Beziehung zu sich selbst her, das heißt, er kann über die Welt nichts ohne Bezug zu sich selbst aussprechen. Und insoweit der Mensch die Sprache selbst zum Gegenstand seines Sprechens macht, stellt er einen Selbstbezug der Sprache zu ihr selbst her. „In dem Masse, in dem Sprache und Bewußtsein sich als Ineinander beider Seiten begreifen, können sie – wir sagen nicht mit Hegel, den Massstab – aber den Aufweis ihrer lebendigen und geschichtlichen Struktur in sich finden.“[10]

Der vermittelte Zugang zur Wirklichkeit durch die Sprache bedeutet, dass menschliche Erkenntnis durch die Sprache bestimmt ist. „Das strukturbildende Movens aller menschlichen Erkenntnis heißt Sprache. Diese hat ihre Bewegung in dem, was Kant Subreption, Erschleichung, genannt hat.“[11] Sprache ist Medium der Kommunikation und enthält jeweils etwas von dem Aussagenden, etwas von dem Angesprochenen und etwas von der besprochenen Sache (dreifache Relation von Sender, Empfänger und Sachverhalt nach Bühler). Nur im Zusammenerfassen dieser dreifachen Beziehung ist die Struktur von Sprache erfassbar. Bäume und Regen können den Menschen nichts lehren (Sokrates im Kratylos). Bedeutung über das Zeichenhafte hinaus entsteht erst in der Dreistrahligkeit der semantischen Sprachrelation.

Es gehört zum Wesen der Sprache, dass man dieses nicht direkt aussprechen, sondern nur mühsam umschreiben kann. Dies beinhaltet, dass man das einzelne Konkrete nur umschreiben und durch die Abstraktion im Begriff ansprechen kann. Ohne das universale Moment der Sprache, das in der Abstraktion liegt, wäre eine Verständigung nicht möglich, da der Versuch einer Darstellung eines Augenblicks der Wirklichkeit nicht die Beschränkung durch die Wirklichkeit überwinden könnte. Die Zeichenhaftigkeit der Sprache bedeutet zugleich, dass alles Reden metaphorisch ist und dies ist der Grund für die Fruchtbarkeit von Sprache.[12]

Werke (Auswahl)

  • Probleme der Subjekt-Objektrelation, (Phil. Diss.) Königsberg 1933.
  • Platons Entwicklung zur Dialektik. Untersuchungen zum Problem des Eleatismus. Klostermann, Frankfurt a. M. 1949 (Habil.-Schr., Berlin 1943).
  • Sprache und Bewußtsein, Bde. 1 bis 5, 6,1-6,3 u. 7, Akad. Verl.-Ges., Frankfurt (Bände 1–5) und Lang, Bände 6 und 7, 1964 bis 1979.
  • Erkenntnis und Dialektik, Nijhoff, Den Haag 1972. (Aufsatzsammlung)
  • Bruno Liebrucks. In: Ludwig Pongratz, Hrsg., Philosophie in Selbstdarstellungen (3 Bde.), Band 2, Meiner, Hamburg 1975-'77.
  • Irrationaler Logos und rationaler Mythos. Königshausen und Neumann, Würzburg 1982. (Aufsatzsammlung)

Literatur

  • Bruno Liebrucks: Selbstdarstellung. in: Philosophie in Selbstdarstellungen II, hrsg. Von Ludwig Pongratz, Meiner, Hamburg 1975, 170-223.
  • Heinz Röttges, Brigitte Scheer und Josef Simon (Hrsg.): Sprache und Begriff. Festschrift für Bruno Liebrucks. Anton Hain, Meisenheim am Glan 1974.
  • Brigitte Scheer, Günter Wohlfahrt (Hrsg.): Dimensionen der Sprache in der Philosophie des Deutschen Idealismus. Festschrift für Bruno Liebrucks. Königshausen & Neumann, Würzburg 1982.
  • Franz Ungler, Bruno Liebrucks' "Sprache und Bewußtsein". Vorlesung vom WS 1988, mit einem Geleitwort von Josef Simon, aus dem Nachlass herausgegeben und eingeleitet von Max Gottschlich, Alber, Freiburg/München 2014
  • Max Gottschlich (Hrsg.), Die drei Revolutionen der Denkart. Systematische Beiträge zum Denken von Bruno Liebrucks, Alber, Freiburg/München 2013
  • Christian Tilitzki: Die deutsche Universitätsphilosophie in der Weimarer Republik und im Dritten Reich. Akademie, Berlin 2002. Rezension

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Die Angaben zur Entwicklung bis 1945 stammen weitgehend aus Christian Tilitzki: Die deutsche Universitätsphilosophie in der Weimarer Republik und im Dritten Reich. Akademie, Berlin 2002, da die entsprechenden Informationen in der Selbstdarstellung und in den Nachrufen fehlen. Eine anders akzentuierte, die Verbindung mit dem Nationalsozialismus relativierende Darstellung, findet sich in Max Gottschlich: Leben, Werk und Wirkung von Bruno Liebrucks (PDF-Datei)
  2. 2,0 2,1 Christian Tilitzki: Die deutsche Universitätsphilosophie in der Weimarer Republik und im Dritten Reich. Akademie, Berlin 2002, 870.
  3. Christian Tilitzki: Die deutsche Universitätsphilosophie in der Weimarer Republik und im Dritten Reich. Akademie, Berlin 2002, S. 871.
  4. Bruno Liebrucks: Selbstdarstellung. In: Philosophie in Selbstdarstellungen II, hrsg. von Ludwig Pongratz, Hamburg 1975, S. 170–223, hier 200-201.
  5. Bruno Liebrucks: Philosophische Freundschaft. Zum Briefwechsel zwischen N. Hartmann und H. Heimsoeth. In: Kant-Studien 73, 1982, S. 82–86.
  6. http://www.sueddeutsche.de/kultur/kunstraub-unfassbar-1.424403
  7. Erstmals in Form von 15 Thesen vorgetragen auf dem Bremer Philosophiekongress 1950, abgedruckt in: Zeitschrift für philosophische Forschung V, Heft 4, 465-484.
  8. Brigitte Scheer: Zum Gedächtnis an Bruno Liebrucks. In: Zeitschrift für philosophische Forschung, 41, 2/1987, 299-305.
  9. Bruno Liebrucks: Erkenntnis und Dialektik: Zur Einführung in eine Philosophie von der Sprache. Den Haag 1972, 7.
  10. Bruno Liebrucks: Erkenntnis und Dialektik: Zur Einführung in eine Philosophie von der Sprache. Den Haag 1972, 8-9.
  11. Bruno Liebrucks: Sprache und Bewußtsein, Band 1, Einleitung, Spannweite des Problems : von den undialektischen Gebilden zur dialektischen Bewegung. Akademie, Frankfurt 1964, 15.
  12. Bruno Liebrucks: Sprache und Bewußtsein, Band 1, Einleitung, Spannweite des Problems : von den undialektischen Gebilden zur dialektischen Bewegung. Akademie, Frankfurt 1964, 481.


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