Turksprachen

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Heutiges Verbreitungsgebiet der Turksprachen

Die Turksprachen – auch türkische Sprachen oder Türksprachen genannt – bilden eine in Eurasien weit verbreitete Sprachfamilie von rund 40 relativ nah verwandten Sprachen mit etwa 180 bis 200 Mio. Sprechern.[1] Sie gliedern sich in eine südwestliche (oghusische), südöstliche (karlukische oder uigurische), westliche (kiptschakische) und nordöstliche (sibirische) Gruppe, außerdem in die Zweige Arghu und Bolgar-Türkisch.

Allgemeines

Einige neuere Theorien gehen davon aus, dass die Urheimat der Turksprachen in der südwestlichen Mandschurei liegt.[2] Aus anthroposophisch-geisteswissenschaftlicher Sicht ist ihr eigentlicher Ursprung bei den Ur-Turaniern zu suchen, die im Zug der nacheiszeitlichen Überflutungen von der Atlantis nach Asien auswanderten. Ihre Nachfahren waren die Turanier, die sich im nordöstlich des heutigen Iran gelegenen Turan ausbreiteten. Sie verfügten noch über ein dekatentes astrales Hellsehen und standen im Gegensatz zu der von Zarathustra[3] inspirierten urpersischen Kultur (5067 - 2907 v. Chr.)

Mit den mongolischen, tungusischen und manchmal auch mit den koreanischen und japanischen Sprachen werden die Turksprachen zur Gruppe der altaischen Sprachen zusammengefasst[4]. Ob „Altaisch“ eine genetische oder nur eine areale Einheit bildet, ist bis heute ungeklärt. Die Mehrheit der Forscher geht von einem arealen Sprachbund aus.[5]

Die Turksprachen haben viele Lehnwörter aus den Iranischen Sprachen, vor allem dem Sogdischen sowie dem Persischen, übernommen. Das Sogdische war die weit verbreitete dominante Sprache in Zentralasien und entlang der Seidenstraße nach China, bevor sie durch später eindringende Turksprachen ersetzt wurde.[6][7][8] Umgekehrt wurden auch die iranischen Sprachen, auch das Neupersische, von den Turksprachen beeinflusst[9]. Einige Lehnwörter wurden auch aus den Chinesischen Sprachen übernommen. So zeigen die Turksprachen frühen Sprachkontakt mit sinitischen Sprachen auf, bevor die Westwanderung einsetzte.[10]

Zur Terminologie: Turksprachen – türkische Sprachen – Dialekte etc.

Die Turksprachen werden auch als Türksprachen und türkische Sprachen bezeichnet, die Einzelsprachen, z. B. Usbekisch oder Aserbaidschanisch erscheinen auch mit Bezeichnungen wie usbekisches bzw. aserbaidschanisches Türkisch. Solche Bezeichnungen sind insbesondere in der türkischen Turkologie üblich, in der die Einzelsprachen als Dialekte bezeichnet werden[11]. Dies darf nicht dahin missverstanden werden, dass die Turksprachen mit der Einzelsprache Türkisch identisch wäre, die nur eine – allerdings die sprecherreichste – von etwa 40 Sprachen dieser Sprachengruppe darstellt, oder dass es sich bei den Turksprachen um Dialekte des Türkischen handele. Tatsächlich wird bei einer solchen Benennungspraxis auch das Türkische regelmäßig mit einem besonderen Attribut wie Türkei-Türkisch oder Osmanisch-Türkisch versehen. Die Bezeichnung der Einzelsprachen als Dialekte ist historisch bedingt, weil bis zum Ende des 19. Jahrhunderts die Turksprachen mit Ausnahme ferner stehender Idiome, wie dem Tschuwaschischen oder räumlich isolierten Idiomen wie dem Jakutischen, ein Dialektkontinuum bildeten, mit an einigen Grenzlinien deutlicheren Brüchen, im Regelfall aber sanften Übergängen. So ist die Sprache von Istanbul (stilbildend für die türkische Sprache) deutlich verschieden von der Sprache von Baku (maßgeblich für die aserbaidschanische Sprache), dazwischen findet sich aber keine ausgeprägte Sprachgrenze[12] und auch diese Sprachen sind untereinander gerade noch verständlich. Über diesen gesprochenen Sprachen existierten in Zentralasien und im Wolgaraum mit dem Tschagataitürkischen eine einheitliche Literatursprache[13], deren Eigenbezeichnung turki lautete. Die Entwicklung lokaler Standardsprachen aus den lokalen Dialekten war eine auch politisch beeinflusste Entwicklung des 20. Jahrhunderts. Dabei kam es auch zu systemwidrigen Entscheidungen. So sollte Zentralasien 1924 nach linguistisch-ethnischen Gesichtspunkten gegliedert werden. Bei der Befragung der Bevölkerung nach ihrer Selbstidentifizierung wurden die Antworten dann mitunter nach anderen, etwa wirtschaftgeographischen Kriterien gegeben und die Grenze entsprechend gezogen[14]

Familie der Turksprachen

Verteilungsdiagramm der Turksprachen in Einzelsprachen

Mit insgesamt etwa 40 Sprachen, die von 180 Millionen Menschen als Muttersprache gesprochen werden (bis zu 200 Millionen mit Zweitsprechern), bildet die Familie der Turksprachen die mit Abstand größte und bedeutendste der drei Untergruppen des Altaischen.[15] Sie ist – nach der Zahl ihrer Sprecher – die siebtgrößte Sprachfamilie weltweit (nach Indogermanisch, Sinotibetisch, Niger-Kongo, Afroasiatisch, Austronesisch und Drawidisch).

Die meisten Turksprachen sind sich in der Phonologie, Morphologie und Syntax sehr ähnlich, allerdings weichen Tschuwaschisch, Chaladsch und die nordsibirischen Turksprachen Jakutisch und Dolganisch nicht unerheblich von den übrigen ab. Zwischen den Sprechern der meisten Turksprachen ist eine partielle wechselseitige Verständigung möglich, vor allem wenn sie zur gleichen Untergruppe gehören (zur Klassifikation vgl. den nächsten Abschnitt). Diese relativ große Ähnlichkeit der Sprachen erschwert die klare Festlegung von Sprachgrenzen, zumal zwischen Nachbarsprachen meist Übergangsdialekte bestehen. (Häufig werden diese Grenzen künstlich durch politische Entscheidungen und Zugehörigkeiten gezogen.) Auch die innere genetische Gliederung der Turksprachen ist wegen ihrer Ähnlichkeit und intensiven wechselseitigen Beeinflussung problematisch, was zu unterschiedlichen Klassifikationsansätzen geführt hat.

Geographische Verbreitung

Gebiete mit mindestens einer Turksprache als offizieller Amtssprache

Die Turksprachen sind über ein riesiges Gebiet in Ost- und Südosteuropa sowie West-, Zentral- und Nordasien verbreitet (siehe Verbreitungskarte). Dieses Gebiet reicht vom Balkan bis nach China, von Zentralpersien bis zum Nordmeer. In rund dreißig Ländern Eurasiens werden eine oder mehrere Turksprachen in nennenswertem Umfang gesprochen, bemerkenswert ist der hohe Anteil Türkischsprechender in Deutschland und im sonstigen Westeuropa aufgrund der Migrationen der letzten Jahrzehnte.

Wichtigste Turksprachen

Die drei mit Abstand größten Turksprachen sind:

  • Türkisch: 70 Mio. Sprecher, mit Zweitsprechern 80 Mio.: Türkei, Balkanstaaten; auch West- und Mitteleuropa (durch rezente Migration)
  • Aserbaidschanisch (Aseri): 30 Mio. Sprecher: Aserbaidschan und Nordwestiran, auch in der Osttürkei und im Nordirak
  • Usbekisch: 24 Mio. Sprecher: Usbekistan, Nordafghanistan, Tadschikistan und Westchina (w:XinjiangXinjiang)

Weitere Turksprachen mit mehr als einer Million Sprecher:

  • Kasachisch: 11 Mio. Sprecher: Kasachstan, Usbekistan, China, Russland
  • Uigurisch: 8 Mio. Sprecher: hauptsächlich im Uigurischen Autonomen Gebiet Xinjiang der Volksrepublik China
  • Turkmenisch: 6,8 Mio. Sprecher: Turkmenistan, Nordiran
  • Tatarisch: 5,5 Mio.(2010) Sprecher: (ethnisch 6,6 Mio.) von Zentralrussland bis Westsibirien[16]
  • Kirgisisch: 4,5 Mio. Sprecher: Kirgisistan, Usbekistan, Kasachstan, Tadschikistan, Westchina
  • Tschuwaschisch: 1,8 Mio. Sprecher: im europäischen Teil Russlands
  • Baschkirisch: 1,8 Mio. Sprecher: in der russischen autonomen Republik Baschkirien
  • Kaschgaisch: 1,5 Mio. Sprecher: in den iranischen Provinzen Fars und Chuzestan

Die Sprecherzahlen stammen vom März 2006 aus diversen geprüften Quellen. 5 % bis 10 % höhere Werte sind durch den zeitlichen Abstand zwischen Ermittlung und Veröffentlichung möglich.

Enge Verwandtschaft der Turksprachen

Wie eng die Turksprachen miteinander verwandt sind – wenn man von Tschuwaschisch, Chaladsch und den nordsibirischen Turksprachen absieht – zeigt bereits ein Blick auf die folgende Tabelle, die einige Wortgleichungen des Grundwortschatzes für die Sprachen Alttürkisch (der ersten schriftlich überlieferten Turksprache, die jedoch kein direkter Vorfahr des Türkei-Türkischen ist), Türkisch, Aserbaidschanisch, Turkmenisch, Tatarisch, Kasachisch, Usbekisch und Uigurisch enthält.

Vergleich einiger Grundwörter in wichtigen Turksprachen

Deutsch Alttürkisch Türkisch Aserbaid. Turkmenisch Tatarisch Kasachisch Usbekisch Uigurisch Kumykisch
Mutter ana anne/ana ana ene ana ana ona ana
Vater ata ata ata kaka ata ake ota ata ata
Fleisch et et et et it et goʻsht/eʻt et/gosh et
Gras ot ot ot үlən/ot ot ot/şöp oʻt ot/chöp od
Pferd at at at at at at/zhylqy ot ỷạt,at at
Feuer ot ateş atəş/ot ot ut ot oʻt/otash ot ot
Eis buz buz buz buz boz muz muz muz muz
Nase burun burun burun burun boryn murın burun burun murun
Arm qol kol qol qol qul qol qoʻl kol qol
Straße yol yol yol ýol jul jol yoʻl yol yol
fett semiz semiz semiz simyz semiz semiz semiz semiz semiz
Erde aşu toprak torpaq topraq tufrak topıraq tuproq tupraq
Blut qan kan qan gan kan qan qon qan qan
Asche kül kül kül köl kül kul kul kül kül
Wasser su su su suw syw suw suv su suw
hell yürüŋ ak ak ak aq oq aq aq
dunkel qara kara qara garä kara qara qora qara qara
rot kızıl kızıl qızıl qyzyl kyzyl qızıl qizil qizil qizil
blau/Himmel kök gök göy gök kük kök koʻk kök gök

Siehe auch

Literatur

Weblinks

Commons: Turkic languages - Weitere Bilder oder Audiodateien zum Thema
 Wiktionary: Turksprache – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Brigitte Moser, Michael Wilhelm Weithmann: Landeskunde Türkei: Geschichte, Gesellschaft und Kultur. Buske Verlag, 2008, S. 173.
  2. Johanson, Lars. 2010. "The high and low spirits of Transeurasian language studies" in Johanson and Robbeets (2010), 7–20.
  3. Rudolf Steiner spricht von ihm als einer früheren Inkarnation des historisch einigermaßen fassbaren Zarathustra.
  4. Altaic etymology : Query result. Abgerufen am 22. August 2018.
  5.  Martine Robbeets: Austronesian influence and Transeurasian ancestry in Japanese: A case of farming/language dispersal. In: Language Dynamics and Change. 7, 1. Januar 2017, S. 210–251, doi:10.1163/22105832-00702005 (https://www.researchgate.net/publication/320915864_Austronesian_influence_and_Transeurasian_ancestry_in_Japanese_A_case_of_farminglanguage_dispersal).
  6.  Rachel Lung: Interpreters in Early Imperial China. John Benjamins Publishing, 7. September 2011, ISBN 9789027284181 (https://books.google.com/books?id=Wa5xAAAAQBAJ&pg=PA151#v=onepage&q&f=false).
  7. Hanson, Valerie (2012). The Silk Road: A New History. Oxford University Press
  8. Roux, Jean-Paul (2000). Histoire des Turcs (in French).
  9. vgl. die Materialien bei Gerhard Doerfer, Türkische und mongolische Elemente im Neupersischen: unter besonderer Berücksichtigung älterer neupersischer Geschichtsquellen, vor allem der Mongolen- und Timuridenzeit, 4 Bände, Steiner, Wiesbaden, 1963–1975, mit den Bänden 2: Türkische Elemente im Neupersischen: alif bis tā, 1965, 3: Türkische Elemente im Neupersischen: ǧūm bis Kāf, 1967 und 4: Türkische Elemente im Neupersischen (Schluß) und Register zur Gesamtarbeit, 1975
  10.  Lirong MA: Sino-Turkish Cultural Ties under the Framework of Silk Road Strategy. In: Journal of Middle Eastern and Islamic Studies (in Asia). 8, Nr. 2, 2014, ISSN 1937-0679, S. 44–65, doi:10.1080/19370679.2014.12023242 (https://www.tandfonline.com/doi/pdf/10.1080/19370679.2014.12023242).
  11. Gerhard Doerfer: Die Stellung des Osmanischen im Kreise des Oghusischen und seine Vorgeschichte in: György Hazai (Hrsg.): Handbuch der türkischen Sprachwissenschaft, Bd.1 Harrassowitz, Wiesbaden 1990, ISBN 3-447-02921-8, S. 13–34, 18
  12. Gerhard Doerfer: Die Stellung des Osmanischen im Kreise des Oghusischen und seine Vorgeschichte in: György Hazai (Hrsg.): Handbuch der türkischen Sprachwissenschaft, Bd.1 Harrassowitz, Wiesbaden 1990, ISBN 3-447-02921-8, S. 13–34, 19
  13. Klaus Röhrborn: Pantürkismus und sprachliche Einheit der Türkvölker in: Klaus Heller und Herbert Jelitte (Hrsg.): Das mittlere Wolgagebiet in Geschichte und Gegenwart, Lang, Frankfurt am Main, Berlin 1994, ISBN 3-631-46921-7, 153–175, 155–156
  14. Ingeborg Baldauf: Some Thoughts on the Making of the Uzbek Nation. In: Cahiers du monde russe et soviétique.32, Nr. 1 1991, S. 79–95, S. 90 (Online).
  15. Sprachfamilien, Studienarbeit aus dem Jahr 2006 im Fachbereich Sprachwissenschaft/Sprachforschung, Johannes Gutenberg-Universität Mainz, S. 24.
  16. Ethnologue report
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