Das Lied von der Glocke

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Prachteinband von Alexander von Liezen-Mayer
Die fertige Glocke (Illustration von Liezen-Mayer)

Das Lied von der Glocke ist ein im Jahr 1799 von Friedrich Schiller veröffentlichtes Gedicht. Es gehörte lange Zeit zum Kanon der deutschen Literatur und ist eines der bekanntesten, am meisten zitierten und parodierten deutschen Gedichte.

Entstehung

Münster in Schaffhausen
Schillerglocke in Schaffhausen

Schiller kam schon als Schüler mit dem Handwerk des Glockengießens in Kontakt, denn Georg Friderich Neubert, der Sohn des Ludwigsburger Glockengießers, war Schillers Schulkamerad auf der Lateinschule, und die Familie Schiller wohnte nur einige Häuser vom Gießhaus entfernt. Es gilt auch als sicher, dass Schiller während seines Aufenthalts in Ludwigsburg 1793/94 die Familie Neubert wieder besuchte.

Wie Schillers Schwägerin Caroline von Wolzogen berichtet, besuchte Friedrich Schiller schon im Jahr 1788 mehrfach die Glockengießerei Mayer in Rudolstadt[1] und schrieb in einem Brief an Christian Gottfried Körner „Zu einem lyrischen Gedicht habe ich einen sehr begeisternden Stoff ausgefunden, den ich mir für meine schönsten Stunden zurücklege“ (Körner[2]). Dieses Zitat wird allgemein auf „Das Lied von der Glocke“ bezogen, doch erst im Jahr 1797 scheint das Projekt konkrete Formen angenommen zu haben. Von der ersten Konzeption des Gedichts bis zur Fertigstellung vergingen mehr als zehn Jahre.

Zu Caroline von Wolzogen und Charlotte von Lengefeld sprach Schiller 1787 von einem geplanten „Glockengießerlied“ als von einer Dichtung, von der er besondere Wirkung erwarte. Nachdem Schiller Homers Odyssee und Ilias in deutschen Übertragungen wieder gelesen hatte, strebte er danach, der nationale Epiker seiner Zeit zu werden. Dieses Ideal eines Volkssängers wurde von Schiller selbst in der Rezension der Gedichte Gottfried August Bürgers in der „Allgemeinen Literatur-Zeitung“ von 1790 dahingehend präzisiert, dass „ein Künstler der wahre Volksdichter werden könne bei glücklicher Wahl des Stoffes und höchster Simplizität in Behandlung desselben“ (Bürger[3]). Zu diesem Zweck schaute er sich die Arbeitsabläufe in einer Glockengießerei genau an. In der Familie des Rudolstädter Glockengießers Johann Mayer wird von Generation zu Generation weitererzählt, „[…] wie Schiller wiederholt die Gießhütte besucht und den Gussmeister ausgefragt hat, wie der Ahnherr zunächst gar nicht besonders erbaut war über die Störung der Arbeit, dass der bleiche Gelehrte aber rücksichtsvoll in dem hochlehnigen Stuhl an der Wand Platz genommen hat, um die Arbeit nicht zu stören“ (Glockengiesser Mayer[4]).

Die von Schiller selbst genannte Quelle war die 1788 in Brünn erschienene Oeconomische Encyclopädie von Johann Georg Krünitz. Hier fand Schiller die präzise beschriebenen Arbeitsabläufe und Fachbegriffe wie Schwalch, Glockenspeise oder Damm. Ebenso entnahm er diesem Werk das vorangestellte Motto: „Eine große Glocke ist auch auf dem Münster der Stadt Schaffhausen, in der Schweitz, befindlich, welche 1486 gegossen worden, und 29 Schuh im Umfange hat. […] Die Umschrift ist: Vivos voco, mortuos plango, fulgura frango“ (Krünitz[2], deutsch: „Die Lebenden rufe ich, die Toten beklage ich, die Blitze breche ich.“) Dass Glockengeläut Blitze vertreibt, beruht auf einem alten Volksglauben, von dem Krünitz ebenfalls berichtet. Dort findet sich auch die Inschrift der 1486 in Basel gegossenen Glocke des Schaffhauser Münsters, die er zum Motto wählte.

Vermutlich kannte Schiller aber dieses Motto schon lange, denn der Ludwigsburger Glockengießer Neubert hatte seine Lehrzeit in Schaffhausen verbracht und sicher die dortige Münsterglocke gekannt. Das Haus, in dem sich die Ludwigsburger Gießerei befand, ziert eine Gedenktafel mit der Inschrift[4]:

Steh, Wanderer, still! Denn hier entstand,
daß keine zweite möglich werde,
gebaut durch Schillers Meisterhand,
die größte Glockenform der Erde.

Eine weitere Anregung zur Abfassung des Liedes war die Beschreibung des Gusses des Perseus in Benvenuto Cellinis Autobiographie, deren vorletzte Sendung der Übersetzer Goethe ihm am 1. Februar 1797 für die Zeitschrift Die Horen gesandt hatte. Jetzt entwickelte Schiller einen klaren Plan für Das Lied von der Glocke.

In einem Brief vom 7. Juli 1797 teilt er Goethe mit, er sei „jetzt an mein Glockengießerlied gegangen und studire seit gestern in Krünitz Encyklopaedie, wo ich sehr viel profitire. Dieses Gedicht liegt mir sehr am Herzen, es wird mir aber mehrere Wochen kosten, weil ich so vielerley verschiedene Stimmungen dazu brauche und eine große Masse zu verarbeiten ist“ (Schiller[2]).

In einem Brief an Goethe vom 23. Februar 1798 schreibt Schiller, wobei er auf Goethes Aufsatz über Laokoon anspielt: „Bei der Art, wie Sie jetzt Ihre Arbeiten treiben – (gemeint ist ) –, haben Sie immer den schönen doppelten Gewinn, erstlich die Einsicht in den Gegenstand und dann zweitens in die Operation des Geistes, gleichsam eine Philosophie des Geschäftes, und der letzte ist fast der größere Gewinn, weil eine Kenntnis der Geisteswerkzeuge und eine deutliche Erkenntnis der Methode den Menschen schon gewissermaßen zum Herrn über alle Gegenstände macht“ (Schiller[3]).

Das Gedicht wurde nicht rechtzeitig zum Redaktionsschluss des Musenalmanachs fertig. Schiller schreibt am 22. September 1797 an Goethe: „Mein letzter Brief hat Ihnen schon gemeldet, daß ich die Glocke liegen lassen mußte. Ich gestehe daß mir dieses, da es einmal so seyn mußte, nicht so ganz unlieb ist. Denn indem ich diesen Gegenstand noch ein Jahr mit mir herumtrage und warm halte, muß das Gedicht, welches wirklich keine kleine Aufgabe ist, erst seine wahre Reife erhalten. Auch ist dieses einmal das Balladenjahr, und das nächste hat schon ziemlich den Anschein das Liederjahr zu werden, zu welcher Klasse auch die Glocke gehört“ (Schiller[2]).

Doch auch das Jahr 1798 verging, ohne dass Schiller sein Lied von der Glocke beendete. Erst im September 1799 nahm er das Gedicht wieder auf und schloss es rasch ab. Vermutlich waren die so genannten Meistersprüche zuerst fertig. Der ursprüngliche Name des Gedichts war „Glockengießerlied“. „Das Lied von der Glocke“ hieß es erst seit seinem Erscheinen im Musenalmanach.

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Das Lied von der Glocke: Inhalt - Artikel in der deutschen Wikipedia

Das Lied von der Glocke (Schiller)

Fest gemauert in der Erden
Steht die Form, aus Lehm gebrannt.
Heute muß die Glocke werden,
Frisch, Gesellen, seid zur Hand.
Von der Stirne heiß
Rinnen muß der Schweiß,
Soll das Werk den Meister loben,
Doch der Segen kommt von oben.

Zum Werke, das wir ernst bereiten,
Geziemt sich wohl ein ernstes Wort;
Wenn gute Reden sie begleiten,
Dann fließt die Arbeit munter fort.
So laßt uns jetzt mit Fleiß betrachten,
Was durch die schwache Kraft entspringt,
Den schlechten Mann muß man verachten,
Der nie bedacht, was er vollbringt.
Das ists ja, was den Menschen zieret,
Und dazu ward ihm der Verstand,
Daß er im innern Herzen spüret,
Was er erschafft mit seiner Hand.

Nehmet Holz vom Fichtenstamme,
Doch recht trocken laßt es sein,
Daß die eingepreßte Flamme
Schlage zu dem Schwalch hinein.
Kocht des Kupfers Brei,
Schnell das Zinn herbei,
Daß die zähe Glockenspeise
Fließe nach der rechten Weise.

Was in des Dammes tiefer Grube
Die Hand mit Feuers Hülfe baut,
Hoch auf des Turmes Glockenstube
Da wird es von uns zeugen laut.
Noch dauern wirds in späten Tagen
Und rühren vieler Menschen Ohr
Und wird mit dem Betrübten klagen
Und stimmen zu der Andacht Chor.
Was unten tief dem Erdensohne
Das wechselnde Verhängnis bringt,
Das schlägt an die metallne Krone,
Die es erbaulich weiterklingt.

Weiße Blasen seh ich springen,
Wohl! die Massen sind im Fluß.
Laßts mit Aschensalz durchdringen,
Das befördert schnell den Guß.
Auch von Schaume rein
Muß die Mischung sein,
Daß vom reinlichen Metalle
Rein und voll die Stimme schalle.

Denn mit der Freude Feierklange
Begrüßt sie das geliebte Kind
Auf seines Lebens erstem Gange,
Den es in Schlafes Arm beginnt;
Ihm ruhen noch im Zeitenschoße
Die schwarzen und die heitern Lose,
Der Mutterliebe zarte Sorgen
Bewachen seinen goldnen Morgen. –
Die Jahre fliehen pfeilgeschwind.
Vom Mädchen reißt sich stolz der Knabe,
Er stürmt ins Leben wild hinaus,
Durchmißt die Welt am Wanderstabe.
Fremd kehrt er heim ins Vaterhaus,
Und herrlich, in der Jugend Prangen,
Wie ein Gebild aus Himmelshöhn,
Mit züchtigen, verschämten Wangen
Sieht er die Jungfrau vor sich stehn.
Da faßt ein namenloses Sehnen
Des Jünglings Herz, er irrt allein,
Aus seinen Augen brechen Tränen,
Er flieht der Brüder wilden Reihn.
Errötend folgt er ihren Spuren
Und ist von ihrem Gruß beglückt,
Das Schönste sucht er auf den Fluren,
Womit er seine Liebe schmückt.
O! zarte Sehnsucht, süßes Hoffen,
Der ersten Liebe goldne Zeit,
Das Auge sieht den Himmel offen,
Es schwelgt das Herz in Seligkeit.
O! daß sie ewig grünen bliebe,
Die schöne Zeit der jungen Liebe!

Wie sich schon die Pfeifen bräunen!
Dieses Stäbchen tauch ich ein,
Sehn wirs überglast erscheinen,
Wirds zum Gusse zeitig sein.
Jetzt, Gesellen, frisch!
Prüft mir das Gemisch,
Ob das Spröde mit dem Weichen
Sich vereint zum guten Zeichen.

Denn wo das Strenge mit dem Zarten,
Wo Starkes sich und Mildes paarten,
Da gibt es einen guten Klang.
Drum prüfe, wer sich ewig bindet,
Ob sich das Herz zum Herzen findet!
Der Wahn ist kurz, die Reu ist lang.
Lieblich in der Bräute Locken
Spielt der jungfräuliche Kranz,
Wenn die hellen Kirchenglocken
Laden zu des Festes Glanz.
Ach! des Lebens schönste Feier
Endigt auch den Lebensmai,
Mit dem Gürtel, mit dem Schleier
Reißt der schöne Wahn entzwei.
Die Leidenschaft flieht!
Die Liebe muß bleiben,
Die Blume verblüht,
Die Frucht muß treiben.
Der Mann muß hinaus
Ins feindliche Leben,
Muß wirken und streben
Und pflanzen und schaffen,
Erlisten, erraffen,
Muß wetten und wagen,
Das Glück zu erjagen.
Da strömet herbei die unendliche Gabe,
Es füllt sich der Speicher mit köstlicher Habe,
Die Räume wachsen, es dehnt sich das Haus.
Und drinnen waltet
Die züchtige Hausfrau,
Die Mutter der Kinder,
Und herrschet weise
Im häuslichen Kreise,
Und lehret die Mädchen
Und wehret den Knaben,
Und reget ohn Ende
Die fleißigen Hände,
Und mehrt den Gewinn
Mit ordnendem Sinn.
Und füllet mit Schätzen die duftenden Laden,
Und dreht um die schnurrende Spindel den Faden,
Und sammelt im reinlich geglätteten Schrein
Die schimmernde Wolle, den schneeigten Lein,
Und füget zum Guten den Glanz und den Schimmer,
Und ruhet nimmer.

Und der Vater mit frohem Blick
Von des Hauses weitschauendem Giebel
Überzählet sein blühend Glück,
Siehet der Pfosten ragende Bäume
Und der Scheunen gefüllte Räume
Und die Speicher, vom Segen gebogen,
Und des Kornes bewegte Wogen,
Rühmt sich mit stolzem Mund:
Fest, wie der Erde Grund,
Gegen des Unglücks Macht
Steht mir des Hauses Pracht!
Doch mit des Geschickes Mächten
Ist kein ewger Bund zu flechten,
Und das Unglück schreitet schnell.

Wohl! Nun kann der Guß beginnen,
Schön gezacket ist der Bruch.
Doch, bevor wirs lassen rinnen,
Betet einen frommen Spruch!
Stoßt den Zapfen aus!
Gott bewahr das Haus.
Rauchend in des Henkels Bogen
Schießts mit feuerbraunen Wogen.

Wohltätig ist des Feuers Macht,
Wenn sie der Mensch bezähmt, bewacht,
Und was er bildet, was er schafft,
Das dankt er dieser Himmelskraft,
Doch furchtbar wird die Himmelskraft,
Wenn sie der Fessel sich entrafft,
Einhertritt auf der eignen Spur
Die freie Tochter der Natur.
Wehe, wenn sie losgelassen
Wachsend ohne Widerstand
Durch die volkbelebten Gassen
Wälzt den ungeheuren Brand!
Denn die Elemente hassen
Das Gebild der Menschenhand.
Aus der Wolke
Quillt der Segen,
Strömt der Regen,
Aus der Wolke, ohne Wahl,
Zuckt der Strahl!
Hört ihrs wimmern hoch vom Turm?
Das ist Sturm!
Rot wie Blut
Ist der Himmel,
Das ist nicht des Tages Glut!
Welch Getümmel
Straßen auf!
Dampf wallt auf!
Flackernd steigt die Feuersäule,
Durch der Straße lange Zeile
Wächst es fort mit Windeseile,
Kochend wie aus Ofens Rachen
Glühn die Lüfte, Balken krachen,
Pfosten stürzen, Fenster klirren,
Kinder jammern, Mütter irren,
Tiere wimmern
Unter Trümmern,
Alles rennet, rettet, flüchtet,
Taghell ist die Nacht gelichtet,
Durch der Hände lange Kette
Um die Wette
Fliegt der Eimer, hoch im Bogen
Sprützen Quellen, Wasserwogen.
Heulend kommt der Sturm geflogen,
Der die Flamme brausend sucht.
Prasselnd in die dürre Frucht
Fällt sie, in des Speichers Räume,
In der Sparren dürre Bäume,
Und als wollte sie im Wehen
Mit sich fort der Erde Wucht
Reißen, in gewaltger Flucht,
Wächst sie in des Himmels Höhen
Rießengroß!
Hoffnungslos
Weicht der Mensch der Götterstärke,
Müßig sieht er seine Werke
Und bewundernd untergehen.

Leergebrannt
Ist die Stätte,
Wilder Stürme rauhes Bette,
In den öden Fensterhöhlen
Wohnt das Grauen,
Und des Himmels Wolken schauen
Hoch hinein.

Einen Blick
Nach dem Grabe
Seiner Habe
Sendet noch der Mensch zurück –
Greift fröhlich dann zum Wanderstabe,
Was Feuers Wut ihm auch geraubt,
Ein süßer Trost ist ihm geblieben,
Er zählt die Häupter seiner Lieben,
Und sieh! ihm fehlt kein teures Haupt.

In die Erd ists aufgenommen,
Glücklich ist die Form gefüllt,
Wirds auch schön zutage kommen,
Daß es Fleiß und Kunst vergilt?
Wenn der Guß mißlang?
Wenn die Form zersprang?
Ach! vielleicht, indem wir hoffen,
Hat uns Unheil schon getroffen.

Dem dunkeln Schoß der heilgen Erde
Vertrauen wir der Hände Tat,
Vertraut der Sämann seine Saat
Und hofft, daß sie entkeimen werde
Zum Segen, nach des Himmels Rat.
Noch köstlicheren Samen bergen
Wir traurend in der Erde Schoß
Und hoffen, daß er aus den Särgen
Erblühen soll zu schönerm Los.

Von dem Dome,
Schwer und bang,
Tönt die Glocke
Grabgesang.
Ernst begleiten ihre Trauerschläge
Einen Wandrer auf dem letzten Wege.

Ach! die Gattin ists, die teure,
Ach! es ist die treue Mutter,
Die der schwarze Fürst der Schatten
Wegführt aus dem Arm des Gatten,
Aus der zarten Kinder Schar,
Die sie blühend ihm gebar,
Die sie an der treuen Brust
Wachsen sah mit Mutterlust –
Ach! des Hauses zarte Bande
Sind gelöst auf immerdar,
Denn sie wohnt im Schattenlande,
Die des Hauses Mutter war,
Denn es fehlt ihr treues Walten,
Ihre Sorge wacht nicht mehr,
An verwaister Stätte schalten
Wird die Fremde, liebeleer.

Bis die Glocke sich verkühlet,
Laßt die strenge Arbeit ruhn,
Wie im Laub der Vogel spielet,
Mag sich jeder gütlich tun.
Winkt der Sterne Licht,
Ledig aller Pflicht
Hört der Pursch die Vesper schlagen,
Meister muß sich immer plagen.

Munter fördert seine Schritte
Fern im wilden Forst der Wandrer
Nach der lieben Heimathütte.
Blökend ziehen
Heim die Schafe,
Und der Rinder
Breitgestirnte, glatte Scharen
Kommen brüllend,
Die gewohnten Ställe füllend.
Schwer herein
Schwankt der Wagen,
Kornbeladen,
Bunt von Farben
Auf den Garben
Liegt der Kranz,
Und das junge Volk der Schnitter
Fliegt zum Tanz.
Markt und Straße werden stiller,
Um des Lichts gesellge Flamme
Sammeln sich die Hausbewohner,
Und das Stadttor schließt sich knarrend.
Schwarz bedecket
Sich die Erde,
Doch den sichern Bürger schrecket
Nicht die Nacht,
Die den Bösen gräßlich wecket,
Denn das Auge des Gesetzes wacht.

Heilge Ordnung, segenreiche
Himmelstochter, die das Gleiche
Frei und leicht und freudig bindet,
Die der Städte Bau gegründet,
Die herein von den Gefilden
Rief den ungesellgen Wilden,
Eintrat in der Menschen Hütten,
Sie gewöhnt zu sanften Sitten
Und das teuerste der Bande
Wob, den Trieb zum Vaterlande!

Tausend fleißge Hände regen,
Helfen sich in munterm Bund,
Und in feurigem Bewegen
Werden alle Kräfte kund.
Meister rührt sich und Geselle
In der Freiheit heilgem Schutz.
Jeder freut sich seiner Stelle,
Bietet dem Verächter Trutz.
Arbeit ist des Bürgers Zierde,
Segen ist der Mühe Preis,
Ehrt den König seine Würde,
Ehret uns der Hände Fleiß.

Holder Friede,
Süße Eintracht,
Weilet, weilet
Freundlich über dieser Stadt!
Möge nie der Tag erscheinen,
Wo des rauhen Krieges Horden
Dieses stille Tal durchtoben,
Wo der Himmel,
Den des Abends sanfte Röte
Lieblich malt,
Von der Dörfer, von der Städte
Wildem Brande schrecklich strahlt!

Nun zerbrecht mir das Gebäude,
Seine Absicht hats erfüllt,
Daß sich Herz und Auge weide
An dem wohlgelungnen Bild.
Schwingt den Hammer, schwingt,
Bis der Mantel springt,
Wenn die Glock soll auferstehen,
Muß die Form in Stücken gehen.

Der Meister kann die Form zerbrechen
Mit weiser Hand, zur rechten Zeit,
Doch wehe, wenn in Flammenbächen
Das glühnde Erz sich selbst befreit!
Blindwütend mit des Donners Krachen
Zersprengt es das geborstne Haus,
Und wie aus offnem Höllenrachen
Speit es Verderben zündend aus;
Wo rohe Kräfte sinnlos walten,
Da kann sich kein Gebild gestalten,
Wenn sich die Völker selbst befrein,
Da kann die Wohlfahrt nicht gedeihn.

Weh, wenn sich in dem Schoß der Städte
Der Feuerzunder still gehäuft,
Das Volk, zerreißend seine Kette,
Zur Eigenhilfe schrecklich greift!
Da zerret an der Glocke Strängen
Der Aufruhr, daß sie heulend schallt
Und, nur geweiht zu Friedensklängen,
Die Losung anstimmt zur Gewalt.

Freiheit und Gleichheit! hört man schallen,
Der ruhge Bürger greift zur Wehr,
Die Straßen füllen sich, die Hallen,
Und Würgerbanden ziehn umher,
Da werden Weiber zu Hyänen
Und treiben mit Entsetzen Scherz,
Noch zuckend, mit des Panthers Zähnen,
Zerreißen sie des Feindes Herz.
Nichts Heiliges ist mehr, es lösen
Sich alle Bande frommer Scheu,
Der Gute räumt den Platz dem Bösen,
Und alle Laster walten frei.
Gefährlich ists, den Leu zu wecken,
Verderblich ist des Tigers Zahn,
Jedoch der schrecklichste der Schrecken,
Das ist der Mensch in seinem Wahn.
Weh denen, die dem Ewigblinden
Des Lichtes Himmelsfackel leihn!
Sie strahlt ihm nicht, sie kann nur zünden
Und äschert Städt und Länder ein.

Freude hat mir Gott gegeben!
Sehet! wie ein goldner Stern
Aus der Hülse, blank und eben,
Schält sich der metallne Kern.
Von dem Helm zum Kranz
Spielts wie Sonnenglanz,
Auch des Wappens nette Schilder
Loben den erfahrnen Bilder.

Herein! herein!
Gesellen alle, schließt den Reihen,
Daß wir die Glocke taufend weihen,
Concordia soll ihr Name sein,
Zur Eintracht, zu herzinnigem Vereine
Versammle sie die liebende Gemeine.

Und dies sei fortan ihr Beruf,
Wozu der Meister sie erschuf!
Hoch überm niedern Erdenleben
Soll sie in blauem Himmelszelt
Die Nachbarin des Donners schweben
Und grenzen an die Sternenwelt,
Soll eine Stimme sein von oben,
Wie der Gestirne helle Schar,
Die ihren Schöpfer wandelnd loben
Und führen das bekränzte Jahr.
Nur ewigen und ernsten Dingen
Sei ihr metallner Mund geweiht,
Und stündlich mit den schnellen Schwingen
Berühr im Fluge sie die Zeit,
Dem Schicksal leihe sie die Zunge,
Selbst herzlos, ohne Mitgefühl,
Begleite sie mit ihrem Schwunge
Des Lebens wechselvolles Spiel.
Und wie der Klang im Ohr vergehet,
Der mächtig tönend ihr entschallt,
So lehre sie, daß nichts bestehet,
Das alles Irdische verhallt.

Jetzo mit der Kraft des Stranges
Wiegt die Glock mir aus der Gruft,
Daß sie in das Reich des Klanges
Steige, in die Himmelsluft.
Ziehet, ziehet, hebt!
Sie bewegt sich, schwebt,
Freude dieser Stadt bedeute,
Friede sei ihr erst Geläute.

Zum Thema Rezeption siehe auch

Das Lied von der Glocke: Rezeption - Artikel in der deutschen Wikipedia

Parodien

Weit über 100 Parodien der Glocke lassen sich nachweisen.[2] Die Worte Schillers (und ihre Bekanntheit) waren stets Parodievorlagen, weil sie als bekannt vorausgesetzt werden konnten.[5] Die Parodien des 19. Jahrhunderts zeigen nicht unbedingt kritische Einstellung gegenüber dem Original, sondern eher von Bewunderung. Die meisten Autoren, die das Lied nachahmten, stellten also durchaus nicht dessen Qualität in Frage, sondern bedienten sich dieses allseits bekannten Liedes für eigene Zwecke. Die meisten Parodien bewahrten und bewahren bei Austausch des Inhalts die formale Struktur des Schillerschen Gedichtes und entsprechen damit einem traditionellen, vom frühen 19. Jahrhundert vertretenen Parodiebegriff.[6] Die Parodie eröffnet in diesem Sinn, auch Gebrauchsgegenstände oder -abläufe einzubeziehen.[2]

Wohltätig ist des Kaffees Macht
Wird mit Verstande er bedacht,
Der Heiterkeit und gutem Witz
Bereitet er im Herzen Sitz.

Im Schillerjahr 1905 nimmt ein „Secundus“ „[d]es deutschen Spießers Schillerfeier“ aufs Korn, indem er sich an Formulierungen aus dem Lied von der Glocke anlehnt:[2]

Holt den Rock mir aus dem Schranke,
Wohlgebürstet muß er sein,
Denn ich geh zur Schillerfeier,
Und das Publikum ist fein.

Im Ersten Weltkrieg wurde das Gedicht für die Kriegspropaganda genutzt. So dichtete ein S. H. Cramer:[2]

Fest gemauert in der Erden
Steht die Front in West und Ost,
Und zu Trümmern sieht man werden
Alles, wo der Sturm getost.

Bekannt ist eine komische Verkürzung, mit der das von Generationen in der Schule auswendig gelernte Gedicht auf vier Zeilen verdichtet wird. Dabei werden zugleich auch alle Regeln des Parodierens ignoriert.[6] Obwohl der anonyme Verfasser des auch Schiller für Eilige[5] genannten Textes Inhalte des Schiller-Textes durchaus beibehielt, ist es durch die gewählte äußere Form offenbar vermieden worden:

Loch in Erde,
Bronze rin.
Glocke fertig,
bim, bim, bim

In einer 1849 gedruckten österreichischen Glocke-Parodie Die Kanone wird die Auffassung vertreten, dass, wo die großen Worte versagen, Kanonen sprechen müssen:[2]

Nehmet Holz vom Stamm der Eiche,
Grober Klotz will groben Keil,
Spart für fein’ren Guß das Weiche,
Uns’re Rüstung fordert Eil.

Wohlthätig ist des Mundes Macht,
Wenn sein Besitzer ihn bewacht,
Denn was er redet, was er spricht,
Oft ist’s was Kluges, oft auch nicht.

Original Parodie

Ein süßer Trost ist ihm geblieben,
Er zählt die Häupter seiner Lieben
Und sieh! ihm fehlt kein theures Haupt.

Er zählt die Häupter seiner Lieben
Und sieh! es sind statt sechse, sieben.
Er zählt sie nochmal mit Bedacht,
Und sieh! es sind statt sieben, acht.

Klöppel

Der Schriftsteller Eduard Boas stellt seinem Lied vom Glockenklöppel aus dem Jahr 1866 Schlegels Kritik eines Küsters bezüglich des fehlenden Klöppels als Motto voran und reimt:[2]

Meister! hab’ mich lang’ bezwungen,
Aber nun vernehmt mein Wort:
Eure Arbeit ist mißlungen,
Denn die hohe Glocke dort
Hänget starr entseelt,
Weil der Klang ihr fehlt.
Künftig seid nicht so vermessen!
Seht! der Klöpfel ist vergessen.

Der polnisch-deutsche Satiriker Alexander Moszkowski schrieb über Schillers Versäumnis, den Klöppel der Glocke zu erwähnen, ein Gedicht mit dem Titel Was Schiller vergessen hat (Das Lied vom Glockenklöppel)[2]:

Als er kam zu dieser Stelle:
„Friede sei ihr erst’ Geläut’“
Äußerte der Altgeselle:
Meister, Ihr seid zu zerstreut!
Fertig, glaubtet Ihr,
Wär’ die Glocke hier,
Und da habt Ihr unterdessen
Ja den Klöppel ganz vergessen!

Denn wo das Strenge mit dem Zarten,
Wo Starkes sich und Mildes paarten,
Da gibt es einen guten Klang;
Drum prüfe, eh’ die Zeit dahin ist,
Ob in der Glock’ ein Klöppel drin ist,
Sonst weiß man deinem Werk nicht Dank.

Gefährlich ist’s, den Leu zu wecken,
Verderblich ist des Nashorns Stoß,
jedoch der schrecklichste der Schrecken,
Das ist die Glocke, klöppellos,

Und wo man hinbringt eine Glocke,
Die inkomplett, da naht, o Graus,
Der Auftraggeber mit dem Stocke
Und ruft empört: „Der Mann muß ’raus!“

Denn was das Messer ohne Stiel ist,
Und was die Bühne ohne Spiel ist,
Und was der Ofen ohne Kohle,
Und was der Stiefel ohne Sohle,
Und was der Globus ohne Ax’ is,
Und was der Thurn ist ohne Taxis,
Und was Akustik ohne Schall is,
Und was die Schweiz ist ohne Wallis,
Und was die Zarin ohne Zar is,
Und was Helene ohne Paris,
Und was der Haushahn ohne Henn’ is,
Und was der Lawn ist ohne Tennis,
Und was der Walfisch ohne Thran is,
Und was der Piscis ohne Panis,
Und was das Hemd ist ohne Knöppel —
Das ist die Glocke ohne Klöppel!

Drum aus Eisen laßt uns machen
Einen Kloppstock, lang und schwer,
Daß er tönend möge krachen,
Wenn er baumelt hin und her.
So, jetzt ist er da,
Grüßt ihn mit Hurra!
Seid des höchsten Lobs gewärtig,
Denn jetzt ist die Glocke fertig!

Alexander Moszkowski erlaubte sich noch einen weiteren Scherz mit der Glocke, indem er eine „entzweigegangene Glocke“ präsentierte, in der Schillers Verse als angebliches „Resultat eines Unglücks in der Druckerei, durch welches Zeilen, Worte und Buchstaben im Satz durcheinandergerathen sind“, in veränderter Reihenfolge erscheinen:[2]

Vom Mädchen reißt sich stolz der Knabe,
Er stürmt ins Fremde liebeleer,
Durchmisst die Welt am Wanderstabe
Und zieht als Würgerband’ umher.
Und herrlich in der Jugend Prangen
Wie ein Gebild, den Leu zu wecken,
Sieht er sie steh’n mit zücht’gen Wangen,
Das ist der schrecklichste der Schrecken!
Da faßt ein namenloses Sehnen
Das Weib wird Hyäne!
Der Mann muß hinaus
Nach dem Grab seiner Habe,
Muß schaffen und pflanzen,
Mit Schnittern zu tanzen.

Der Komiker Heinz Erhardt schrieb einen kurzen Text zur Entstehung des Liedes von der Glocke, wonach Schiller in seinem Drang zum Schreiben die Unterstützung Goethes fand, welcher ihm mit seinem Gänsekiel aushalf. Nach zwei Stunden forderte Goethe sein Schreibutensil zurück („Denken Sie doch an all die lieben Schulkinderchen, die Ihre Glocke dermaleinst vielleicht werden auswendig lernen müssen!“) und verhinderte damit, dass Schiller auch noch den Klöppel beschreiben konnte.[7]

Auch aktuell lädt Schillers Glocke nach wie vor zu Parodien ein: Um 2015 wurde folgender Auszug in einem Internetportal gefunden.[8]

Original Parodie

In die Erd ist’s aufgenommen,
Glücklich ist die Form gefüllt,
Wird’s auch schön zutage kommen,
Daß es Fleiß und Kunst vergilt?
Wenn der Guß mißlang?
Wenn die Form zersprang?
Ach! vielleicht indem wir hoffen,
Hat uns Unheil schon getroffen.

In das Blech ist’s aufgenommen,
Glücklich ist die Form gefüllt.
Wird’s auch schön zutage kommen,
Dass es Fleiß und Kunst vergilt?
Wenn der Kuchen misslang?
Wenn der Ofen zersprang?
Ach! Vielleicht indem wir hoffen
Hat uns Unheil schon getroffen.

Oft zitierte Kurzfassung als Parodie

Fest gemauert in der Erden
Steht die Form, aus Lehm gebrannt.
Heute muß die Glocke werden,
Frisch, Gesellen, seid zur Hand.
Von der Stirne heiß
Rinnen muß der Schweiß,
Soll das Werk den Meister loben,
Doch der Segen kommt von oben.
Bim, Bam; Bim, Bam.

Alternativ

Fest gemauert in der Erden
Steht die Form, aus Ton gebrannt.
Heute muß die Glocke werden,
Frisch, Gesellen, seid zur Hand.
Von der Stirne heiß
Rinnen muß der Schweiß,
Soll das Werk den Meister loben,
Doch der Segen kommt von oben.
Bim, Bam; Bim, Bam.

Die ultimative Kurzfassung von Joachim Stilelr

Das steht die Form aus Ton gebrannt,
Bim, Bam; Bim, Bam.

Siehe auch

Literatur

  • Robert Hippe: Erläuterungen zu Friedrich Schillers „Lied von der Glocke“. Bange, Hollfeld 1966.
  • Heribert Hoffmeister: Anekdotenschatz. Von der Antike bis auf unsere Tage. Peters, Berlin 1974.
  • Norbert Oellers (Hrsg.): Gedichte von Friedrich Schiller. Interpretationen. Reclam, Stuttgart 1996, ISBN 3-15-009473-9.
  • Wulf Segebrecht: Was Schillers Glocke geschlagen hat. Vom Nachklang und Widerhall des meistparodierten deutschen Gedichts. Hanser, München 2005, ISBN 3-446-20593-4.

Weblinks

Commons: Das Lied von der Glocke - Weitere Bilder oder Audiodateien zum Thema
 Wikisource: Das Lied von der Glocke – Quellen und Volltexte

Einzelnachweise

  1.  Margarete Schilling: Das Geschäft mit der Glocke. In: Kunst, Erz und Klang – die Werke der Glockengießerfamilien Ulrich und Schilling vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Henschel, Berlin 1992, ISBN 3-362-00617-5, S. 86–89 (-> S. 88). An der ehemaligen Gießerei Mayer in Rudolstadt befindet sich eine Tafel mit dem Spruch: Steh Wandrer still; denn hier erstand, dass keine andre möglich werde, gebaut von Schillers Meisterhand, die größte Glockenform der Erde.
  2. 2,00 2,01 2,02 2,03 2,04 2,05 2,06 2,07 2,08 2,09 2,10 2,11  Wulf Segebrecht: Was Schillers Glocke geschlagen hat. 1. Aufl. Auflage. Hanser Verlag, München 2005, ISBN 3446205934 (Rezension in literaturkritik.de).
  3. 3,0 3,1  Robert Hippe: Erläuterungen zu Friedrich Schillers „Lied von der Glocke“ (= Dr. Wilhelm Königs Erläuterungen zu den Klassikern). Bange, Hollfeld (Obfr.) 1966, DNB 730147118.
  4. 4,0 4,1 Rainer Apel: Schillerfest 1998: „Friede sei ihr erst Geläute“. Programm zu Schillers Geburtstag 1998. In: Dichterpflänzchen. Schiller-Institut, Vereinigung für Staatskunst e.V., abgerufen am 31. Oktober 2018.
  5. 5,0 5,1 Dieter Hildebrandt (Hrsg.): Loch in Erde, Bronze rin... – Schiller-Parodien oder Der Spottpreis der Erhabenheit. München: Sanssouci /Hanser, 2009, ISBN 3-8363-0163-6.
  6. 6,0 6,1 Nachwort, in: Christian Grawe (Hrsg.): Wer wagt es Knappersmann oder Ritt – Schiller-Parodien aus zwei Jahrhunderten. Stuttgart: J. E. Metzler Verlag 1990, ISBN 3-476-00684-0, S. 232–233.
  7. Heinz Erhardt: Die Entstehung der Glocke von Schiller oder Warum Schillers Glocke keinen Klöppel hat. In: Das große Heinz-Erhardt-Buch, Hannover 1970, ISBN 3-7716-1283-7, S. 18–21.
  8. Gefunden auf http://kamelopedia.mormo.org/index.php/Kuchen.