Amphibrachys und Anapäst: Unterschied zwischen den Seiten

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'''Amphibrachys''' ({{ELSalt|ἀμφίβραχυς}} „beidseits kurz“; Plural ''Amphibrachys''<ref>[http://www.duden.de/rechtschreibung/Amphibrachys Duden-Eintrag ''Amphibrachys'']</ref> oder auch ''Amphibrachien'') bezeichnet in der antiken [[Verslehre]] einen einfachen, dreigliedrigen [[Versfuß]], bei dem zwei [[Elementum breve|Kürzen]] eine [[Elementum longum|Länge]] umschließen nach dem [[Metrisches Schema|Schema]] {{Vers|-/-}}.  
Der '''Anapäst''' [{{IPA|anaˈpɛːst}}] (Plural: ''Anapäste''; {{ELSalt|ἀνάπαιστος}} ''anápaistos'' „rückwärts geschlagen“; {{laS|''anapaestus''}}; in [[Metrische Notation|metrischer Formelnotation]] mit {{Versmaß|an}} bezeichnet) ist in der antiken [[Verslehre]] ein [[Versfuß]], der
aus einem ''[[Elementum biceps]]'' (Symbol {{Vers|$}}) gefolgt von einem ''[[Elementum longum]]'' ({{Vers|/}}) besteht, im [[Metrisches Schema|metrischen Schema]] wird er demnach mit
{{Vers|$/}}
[[Metrische Notation|notiert]].


Als eigenständiger Versfuß ist der Amphibrachys sowohl in der antiken als auch in der modernen Dichtung sehr selten, obwohl er als [[Wortfuß]] zum Beispiel im Deutschen häufig ist („entstanden“, „gelaufen“ etc.), da ein amphibrachyscher Vers auch [[Anapäst|anapästisch]] oder [[Daktylus|daktylisch]] interpretiert werden kann. Beispiel:
Der Fuß wird in der [[Quantitierendes Versprinzip|quantitierenden]] antiken Dichtung meist durch [[Doppelkürze]], gefolgt von einer langen Silbe realisiert ({{Vers|--/'}}), kann aber auch durch zwei Längen, also [[Spondeus|spondeisch]] ({{Vers|//'}}) gebildet werden.
:{{Vers|-/-\f-/-\f-/-}} (amphybrachisch)
Außerdem sind die relativ seltenen Realisierungen mit [[Längenspaltung]] ({{Vers|---'-}}, auch als [[Prokeleusmatikos]] bezeichnet) sowie mit Zusammenziehung der Doppelkürze zur Länge und Spaltung der Länge ({{Vers|/-'-}}, ''anapästischer Daktylus'') möglich.
:{{Vers|-/\f--/\f--/\f-}} ([[Hyperkatalexe|hyperkatalektisch]] [[Akephaler Vers|akephal]] anapästisch bzw. [[Jambus]] gefolgt von Anapästen)
In allen Fällen ist die Länge des Anapäst vier [[Mora (Einheit)|Moren]].
:{{Vers|-\f/--\f/--\f/-}} ([[Katalexe|katalektisch]] daktylisch mit Auftakt)


Daher kann in der modernen Lyrik von einem Gebrauch des Amphibrachys sinnvoll nur dann gesprochen werden, wenn eine Absicht der Nachbildung des antiken Maßes angenommen werden kann. Belege finden sich vereinzelt im Deutschen bei [[Johann Wolfgang Goethe]], [[Friedrich von Matthisson]], [[Ernst Moritz Arndt]], [[Conrad Ferdinand Meyer]] (''Lied der Toten'') sowie im Englischen bei [[George Gordon Byron|Byron]] (''Song of the Soldiers within'').  
Das metrische Gegenteil des Anapäst ist der [[Daktylus]] ({{Vers|/$}}). Der Anapäst ist also gewissermaßen eine gespiegelte Version des wesentlich häufigeren Daktylus, worauf auch der griechische Name („rückwärts geschlagen“) verweist.
Als Beispiel für ein Gedicht mit amphibrachyschem Rhythmus sei das ''[[Parzenlied]]'' Goethes aus der Tragödie [[Iphigenie auf Tauris]] zitiert<ref>Goethe: ''Iphigenie auf Tauris'' IV,5 ([http://www.zeno.org/nid/20004850769 online])</ref>:
{{Vers|:Es fü_rchte die Gö_tter
:Das Me_nschengeschle_cht\!
:Sie ha_lten die He_rrschaft
:In e_wigen Hä_nden,
:Und kö_nnen sie bra_uchen,
:Wie\'s i_hnen gefä_llt.}}


Die Verse zwei und sechs sind [[katalektisch]].
In der [[Akzentuierendes Versprinzip|akzentuierenden]] Dichtung moderner Sprachen, insbesondere in der deutschen Dichtung, wird der Anapäst meist durch zwei [[Hebung (Verslehre)|Senkungen]] (unbetonte Silben) gefolgt von einer [[Hebung (Verslehre)|Hebung]] (betonte Silbe) gebildet ({{Vers|x x x'}}).
Da man dem Anapäst ähnlich wie dem [[Jambus]] einen steigenden Rhythmus zuschreibt, wurde er nach einem Vorschlag von [[Ivo Braak]] auch als '''Doppelsteiger''' bezeichnet.<ref>Ivo Braak: ''Poetik in Stichworten.'' 8. Aufl. Stuttgart 2001, S. 82.</ref>


Der bei einer (unerwünschten) Zäsur im Hexameter nach dem vierten [[Trochäus]] (gr. {{lang|grc|κατὰ τέταρτον τροχαῖον}}, ''katá tétarton trochaíon'', siehe [[Hermannsche Brücke]]) verbleibende Teil wird auch als '''Amphibrachienschaukel''' bezeichnet:
{{Anker|Versmaß}}
:{{Vers|/$/$/$/-!!-/--/-}}
== Anapästische Versmaße ==
 
{{Anker|Antike}}
=== Antike Dichtung ===
In der griechischen Metrik galt für den Anapäst [[Dipodie]], d. h. das [[Metron]], das Grundelement anapästischer Versmaße, besteht aus zwei Füßen.
 
Anapästische [[Versmaß]]e sind in der antiken Metrik:
 
{{Anker|Dipodie}}
* Anapästische [[Dipodie]] ({{Versmaß|an|2}}) bzw. anapästischer [[Dipodie|Binar]]:
:{{Vers|$/\f$\i}}
 
{{Anker|Tripodie}}
* Anapästische [[Tripodie]] ({{Versmaß|an|3}}), eine Form des [[Prosodiakos]]:
:{{Vers|$/--/!--/}}
 
{{Anker|Quaternar}}
* Anapästischer [[Quaternar]] ({{Versmaß|an|4}}) bzw. anapästischer [[Dimeter]] ({{Versmaß|an|d}}):
:{{Vers|$/\f$/\f$/\f$\i}}
:In der römischen Komödie häufig von [[Plautus]] verwendet.
 
* [[Katalektisch]]er anapästischer Quaternar ({{Versmaß|an|4c}}), besser bekannt als [[Parömiakos]]:
:{{Vers|$/\f$/\f$/\f\i}}
 
{{Anker|Trimeter}}
* Katalektischer anapästischer [[Trimeter]] ({{Versmaß|an|tc}}):
:{{Vers|$/\f$/\f$\i!!$/\f$/\f\i}}
 
{{Anker|Septenar}}
* Anapästischer [[Septenar]] ({{Versmaß|an|7}}):
:{{Vers|$/\f$/\f$/\f$\i!!$/\f$/\f$/\f\i}}
 
{{Anker|Oktonar}}
* Anapästischer [[Oktonar]] ({{Versmaß|an|8}}) bzw. anapästischer [[Tetrameter]]:
:{{Vers|$/\f$/\f$/\f$\i!!$/\f$/\f$/\f$\i}}
 
Entsprechend dem stark ausgeprägten Takt und dem drängenden, bewegten Rhythmus erscheint er schon früh in Marsch- und Schlachtlieder (Parömiakos, [[Enoplios]]), in Prozessionsliedern ([[Prosodion|Prosodia]]), dann im Drama in [[Griechische Tragödie#Aufbau|Parodos]] und [[Exodos]], so bei [[Euripides]], und sehr häufig vor allem in den Komödien des [[Aristophanes]]. Typisch ist eine Folge von [[Tetrapodie]]n mit einem Parömiakos als Schlussvers.
 
=== Deutsche Dichtung ===
Es gibt aufgrund der Stammsilbenbetonung relativ wenig Wörter, die für sich ein Anapäst sind. Beispiele sind „Zaube<u>rei</u>“, Fremdwörter wie „Direk<u>tion</u>“, „Harmo<u>nie</u>“ und auch das Wort „Ana<u>päst</u>“ selbst ist ein Anapäst, also [[Autologie|autolog]]. Diese Seltenheit anapästischer Wörter stellt aber kein wesentliches Problem für die Bildung von [[Wortfuß|Wortfüßen]] dar, denn durch die Kombination aus unbetontem Funktionswort (zum Beispiel [[Artikel (Wortart)|Artikel]]) und einem auf der zweiten Silbe betonten Wort (zum Beispiel mit unbetontem [[Präfix]]) lassen sich leicht anapästische Rhythmen bilden:
:Das Be<u>dürf</u>nis des <u>Dich</u>ters ist <u>rein</u>lichster <u>Reim</u>.
 
Dass der Anapäst in der deutschen Dichtung erst am Ende des 18. Jahrhunderts eine (kleine) Rolle zu spielen beginnt, kann also nicht am Versfuß liegen, sondern muss eher mit sich aus dem Versmaß ergebenden rhythmischen Schwierigkeiten zusammenhängen. Als Beispiel dafür kann ein bekannter Vers aus [[Friedrich Schiller]]s [[Ballade]] ''[[Der Taucher]]'' (1797) dienen<ref>Friedrich Schiller: ''[[s:Der Taucher|Der Taucher]]''. In: ''Musen-Almanach für das Jahr 1798.'' S. 121.</ref>:
 
:''Und es <u>wal</u>let und <u>sie</u>det und <u>brau</u>set und <u>zischt</u>''
: {{Vers|--/\f--/\f--/\f--/}}
Betrachtet man nur den Anfang, so würde man zunächst „<u>Und</u> es <u>wal</u>let“ betonen, also trochäisch ansetzen, erst der Vers als Ganzes mit dem starken, durch Wiederholung von „und“ betonten Rhythmus in der zweiten Hälfte („und <u>sie</u>det und <u>brau</u>set und <u>zischt</u>“) etabliert den anapästischen Rhythmus.
Dieser Widerstand gegen den Anapäst rührt aus dem Widerstreben, zwei Silben am Anfang einer Periode unbetont zu lassen. Ähnliche Beispiele finden sich in [[August Wilhelm Schlegel]]s Schauspiel ''Ion'' (1803):
:''Auf den <u>Lip</u>pen die <u>pur</u>purnen <u>Blü</u>ten der <u>Lust</u>, […]''
:''So um<u>hauch</u>test du <u>mich</u> mit be<u>rausch</u>endem <u>Wahn</u>''<ref>August Wilhelm von Schlegel: ''Ausgewählte Werke.'' Berlin 1922, 4. Akt, 1. Auftritt, S. 128, [http://www.zeno.org/nid/20005615135 online].</ref>
Auch hier ist entsprechend der natürlichen Betonung die erste Silbe stärker und daher besteht die Tendenz, trochäisch anzusetzen.
Die Lösung des Problems ist häufig, den ersten Fuß [[Akephaler Vers|akephal]] zu verkürzen, das heißt am Versanfang erscheint nur eine Senkung. Ein Beispiel für beide Varianten liefern die folgenden Verse aus [[Johann Wolfgang Goethe|Goethes]] Stück ''[[Pandora (Goethe)|Pandora]]'' (1807):
<poem style="margin-left:2em;font-style:italic;">Alle blinken die Sterne mit zitterndem Schein,
Alle laden zu Freuden der Liebe mich ein,
Zu suchen, zu wandeln den duftigen Gang,
Wo gestern die Liebste mir wandelt' und sang</poem>
In den ersten beiden Versen wäre der natürlichen Betonung wieder jambisch oder mit Auslassung des „e“ sogar [[Spondeus|spondeisch]] („<u>All'</u> <u>blin</u>ken die <u>Ster</u>ne …“) anzusetzen. Die beiden folgenden Verse dagegen beginnen akephal ({{Vers|-/--/--/--/}}).
Aus dieser häufig geübten Praxis, anapästische Verse akephal (und [[katalektisch]]) zu gestalten, entsteht dann eine Ambivalenz zwischen anapästischer und [[Amphibrachysches Versmaß|amphybrachischer]] Interpretation. Das sieht man am Beispiel von [[Paul Celan]]s berühmtem Gedicht ''[[Todesfuge]]'' (1944/1945):
{|
|-
|<u>Schwar</u>ze <u>Milch</u> der <u>Frü</u>he wir <u>trin</u>ken sie <u>a</u>bends
| {{Vers|/-/-/--/--/-}}
|-
|wir <u>trin</u>ken sie <u>mit</u>tags und <u>mor</u>gens wir <u>trin</u>ken sie <u>nachts</u>
| {{Vers|-/--/--/--/--/}}
|-
|wir <u>trin</u>ken und <u>trin</u>ken
| {{Vers|-/--/-}}
|-
|wir <u>schau</u>feln ein <u>Grab</u> in den <u>Lüf</u>ten da <u>liegt</u> man nicht <u>eng</u>
| {{Vers|-/--/--/--/--/}}
|}
Hier kann der dritte Vers zum Beispiel als akephal [[hyperkatalektisch]] anapästischer Zweiheber ({{Vers|-/\f--/\f-}}) gelesen werden oder als rein amphibrachysch ({{Vers|-/-\f-/-}}), der zweite Vers ebenso anapästisch als {{Vers|-/\f--/\f--/\f--/\f--/}} oder katalektisch amphibrachysch als {{Vers|-/-\f-/-\f-/-\f-/-\f-/}}.
 
[[Wolfgang Kayser]] plädierte dafür, auf die Unterscheidung daktylisch/anapästisch/amphibrachysch ganz zu verzichten und Verse mit doppelten Binnensenkungen generell als daktylisch zu bezeichnen. Will man auf die Unterscheidung zwischen daktylisch und anapästisch nicht verzichten, so kann man als ''anapästisch'' oder ''gemischt anapästisch'' Verse bezeichnen, die mit einer Senkung beginnen und mindestens eine doppelte Binnensenkung enthalten, als ''rein anapästisch'' jene, die nur doppelte Binnensenkungen enthalten, daktylisch wären dagegen jene, die mit einer Hebung beginnen.
 
Zu nennen sind schließlich noch die Nachbildung des antiken Septenars in den Chorstrophen von [[August von Platen]]s Komödien und ''Die politische Wochenstube'' von [[Robert Eduard Prutz]]<ref>Robert Eduard Prutz: ''Die politische Wochenstube.'' Verlag des literarischen Comptoirs, Zürich und Winterthur 1845. Abgedruckt in: ''Der deutsche Michel, Revolutionskomödien der Achtundvierziger.'' Stuttgart 1971, [http://www.zeno.org/nid/20005495822 online].</ref>, außerdem das exemplarische Gedicht ''Der Anapäst'' von [[Josef Weinheber]].
 
=== Englische Dichtung ===
In der englischen Dichtung erscheint der Anapäst ab der Renaissance in volkstümlicher Dichtung, ab dem 18. Jahrhundert auch bei Dichtern wie [[William Cowper (Dichter)|William Cowper]] (''Verses Supposed to be Written by Alexander Selkirk'', 1782<ref>[http://quod.lib.umich.edu/e/ecco/004792651.0001.000/1:15?rgn=div1;view=fulltext Verses Supposed to be Written by Alexander Selkirk] (Text)</ref>) und [[Walter Scott]].
Aus dem Gedicht ''[[s:en:The Destruction of Sennacherib|The Destruction of Sennacherib]]'' von [[George Gordon Byron|Lord Byron]] (1815) ein Beispiel anapästischer Vierheber:
 
<poem style="margin-left:2em;font-style:italic;">The As<u>syr</u>ian came <u>down</u> like a <u>wolf</u> on the <u>fold</u>
And his <u>co</u>horts were <u>gleam</u>ing in <u>purp</u>le and <u>gold</u>
And the <u>sheen</u> of their <u>spears</u> was like <u>stars</u> on the <u>sea</u>
When the <u>blue</u> wave rolls <u>night</u>ly on <u>deep</u> Gali<u>lee</u>.
</poem>
Anapästische Verse erscheinen bei
[[Robert Browning]] (''[[s:en:How they Brought the Good News from Ghent to Aix|How they Brought the Good News from Ghent to Aix]]'', 1845),
[[William Morris]]
und dann vor allem bei [[Algernon Swinburne|Swinburne]] zum Beispiel in ''[[s:en:Dolores (Notre-Dame des Sept Douleurs)|Dolores]]'' (1866) und in ''A Song in Time of Revolution'' (1866).
[[William Butler Yeats]] verwendet in seinem epischen Gedicht ''[[s:en:The Wanderings of Oisin|The Wanderings of Oisin]]'' (1889) wie viele andere Dichter der viktorianischen Zeit gemischt jambisch-anapästische Verse.
Bei den zeitgenössischen Dichtern ist zu nennen Daryl Hine mit seinem langen Gedicht ''In and Out'' (1975/1989) und [[Annie Finch]].
 
Bleiben anapästische Versmaße in der „ernsthaften“ englischen Lyrik so wie auch im Deutschen eher randständig, so sind sie in der komischen Dichtung prominent.
Beispiele sind hier ''[[The Hunting of the Snark]]'' von [[Lewis Carroll]] oder [[T. S. Eliot]]s ''Old Possum's Book of Practical Cats'' (1939).
 
Das jedermann bekannte Beispiel eines anapästischen Versmaßes aber ist der Vers des [[Limerick (Gedicht)|Limerick]], der durch die Limericks in [[Edward Lear]]s ''Book of Nonsense'' (1846) populär wurde. Ein Beispiel aus dieser Sammlung ist:
<poem style="margin-left:2em;font-style:italic;">There was a Young Lady of Clare,
Who was sadly pursued by a bear;
When she found she was tired,
She abruptly expired,
That unfortunate Lady of Clare.<ref>Edward Lear: ''A Book of Nonsense.'' 1846, [[s:en:There was a Young Lady of Clare|Nr. 112]].</ref>
</poem>
Auch beim Limerick wird durch häufig auftretende Akephalie und Katalexe das Versmaß ambivalent anapästisch-amphibrachysch.
Ein entsprechendes deutsches Beispiel ist:<ref>Christian Wagenknecht: ''Deutsche Metrik. Eine historische Einführung.'' Beck, München 1981, ISBN 3-406-07947-4, S. 76.</ref>
<poem style="margin-left:2em;font-style:italic;">[[Helmut Kreuzer]], Professor in Siegen
Versteht sich auf's Messen und Wiegen.
Auch des Limericks Bau,
Er kennt ihn genau
Und zählt seine Füße wie Fliegen.</poem>


== Siehe auch ==
== Siehe auch ==
* {{WikipediaDE|Amphibrachys}}
* {{WikipediaDE|Anapäst}}


== Literatur ==
== Literatur ==
* Otto Knörrich: ''Lexikon lyrischer Formen'' (= ''Kröners Taschenausgabe.'' Band 479). 2., überarbeitete Auflage. Kröner, Stuttgart 2005, ISBN 3-520-47902-8, S. 10.
* Sandro Boldrini: ''Prosodie und Metrik der Römer.'' Teubner, Stuttgart & Leipzig 1999, ISBN 3-519-07443-5, S. 118–123.
* Fritz Schlawe: ''Die deutschen Strophenformen. Systematisch-chronologische Register zur deutschen Lyrik 1600–1950.'' Repertorien zur deutschen Literaturgeschichte Bd. 5. Metzler, Stuttgart 1972, ISBN 3-476-00243-8.
* Dieter Burdorf, Christoph Fasbender, Burkhard Moennighoff (Hrsg.): ''Metzler Lexikon Literatur. Begriffe und Definitionen.'' 3. Aufl. Metzler, Stuttgart 2007, ISBN 978-3-476-01612-6, S. 23.
* Günther Schweikle, Dieter Burdorf (Hrsg.): ''Metzler Lexikon Literatur. Begriffe und Definitionen.'' Metzler, Stuttgart 2007, ISBN 978-3-476-01612-6, S. 19.
* Otto Knörrich: ''Lexikon lyrischer Formen'' (= ''Kröners Taschenausgabe.'' Band 479). 2., überarbeitete Auflage. Kröner, Stuttgart 2005, ISBN 3-520-47902-8, S. 11f.
* Gero von Wilpert: ''Sachwörterbuch der Literatur.'' 8. Auflage. Kröner, Stuttgart 2013, ISBN 978-3-520-84601-3, S.&nbsp;23.
* Gero von Wilpert: ''Sachwörterbuch der Literatur'' (= ''Kröners Taschenausgabe.'' Band 231). 8., verbesserte und erweiterte Auflage. Kröner, Stuttgart 2001, ISBN 3-520-23108-5, S. 27.
 
== Weblinks ==
* {{Wiktionary}}


== Einzelnachweise ==
== Einzelnachweise ==
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{{Navigationsleiste Versfüße}}


{{SORTIERUNG:Anapast}}
[[Kategorie:Versfuß]]
[[Kategorie:Versfuß]]


{{Wikipedia}}
{{Wikipedia}}

Version vom 10. September 2019, 22:06 Uhr

Der Anapäst [anaˈpɛːst] (Plural: Anapäste; griech. ἀνάπαιστος anápaistos „rückwärts geschlagen“; lat. anapaestus; in metrischer Formelnotation mit an bezeichnet) ist in der antiken Verslehre ein Versfuß, der aus einem Elementum biceps (Symbol ◡◡) gefolgt von einem Elementum longum (—) besteht, im metrischen Schema wird er demnach mit ◡◡notiert.

Der Fuß wird in der quantitierenden antiken Dichtung meist durch Doppelkürze, gefolgt von einer langen Silbe realisiert (◡◡—́), kann aber auch durch zwei Längen, also spondeisch (——́) gebildet werden. Außerdem sind die relativ seltenen Realisierungen mit Längenspaltung (◡◡◡́◡, auch als Prokeleusmatikos bezeichnet) sowie mit Zusammenziehung der Doppelkürze zur Länge und Spaltung der Länge (—◡́◡, anapästischer Daktylus) möglich. In allen Fällen ist die Länge des Anapäst vier Moren.

Das metrische Gegenteil des Anapäst ist der Daktylus (—◡◡). Der Anapäst ist also gewissermaßen eine gespiegelte Version des wesentlich häufigeren Daktylus, worauf auch der griechische Name („rückwärts geschlagen“) verweist.

In der akzentuierenden Dichtung moderner Sprachen, insbesondere in der deutschen Dichtung, wird der Anapäst meist durch zwei Senkungen (unbetonte Silben) gefolgt von einer Hebung (betonte Silbe) gebildet (x x x́). Da man dem Anapäst ähnlich wie dem Jambus einen steigenden Rhythmus zuschreibt, wurde er nach einem Vorschlag von Ivo Braak auch als Doppelsteiger bezeichnet.[1]

Anapästische Versmaße

Antike Dichtung

In der griechischen Metrik galt für den Anapäst Dipodie, d. h. das Metron, das Grundelement anapästischer Versmaße, besteht aus zwei Füßen.

Anapästische Versmaße sind in der antiken Metrik:

◡◡—ˌ◡◡

◡◡—◡◡— | ◡◡—

◡◡—ˌ◡◡—ˌ◡◡—ˌ◡◡
In der römischen Komödie häufig von Plautus verwendet.
◡◡—ˌ◡◡—ˌ◡◡—ˌ

  • Katalektischer anapästischer Trimeter (antc):
◡◡—ˌ◡◡—ˌ◡◡ ‖ ◡◡—ˌ◡◡—ˌ

◡◡—ˌ◡◡—ˌ◡◡—ˌ◡◡ ‖ ◡◡—ˌ◡◡—ˌ◡◡—ˌ

◡◡—ˌ◡◡—ˌ◡◡—ˌ◡◡ ‖ ◡◡—ˌ◡◡—ˌ◡◡—ˌ◡◡

Entsprechend dem stark ausgeprägten Takt und dem drängenden, bewegten Rhythmus erscheint er schon früh in Marsch- und Schlachtlieder (Parömiakos, Enoplios), in Prozessionsliedern (Prosodia), dann im Drama in Parodos und Exodos, so bei Euripides, und sehr häufig vor allem in den Komödien des Aristophanes. Typisch ist eine Folge von Tetrapodien mit einem Parömiakos als Schlussvers.

Deutsche Dichtung

Es gibt aufgrund der Stammsilbenbetonung relativ wenig Wörter, die für sich ein Anapäst sind. Beispiele sind „Zauberei“, Fremdwörter wie „Direktion“, „Harmonie“ und auch das Wort „Anapäst“ selbst ist ein Anapäst, also autolog. Diese Seltenheit anapästischer Wörter stellt aber kein wesentliches Problem für die Bildung von Wortfüßen dar, denn durch die Kombination aus unbetontem Funktionswort (zum Beispiel Artikel) und einem auf der zweiten Silbe betonten Wort (zum Beispiel mit unbetontem Präfix) lassen sich leicht anapästische Rhythmen bilden:

Das Bedürfnis des Dichters ist reinlichster Reim.

Dass der Anapäst in der deutschen Dichtung erst am Ende des 18. Jahrhunderts eine (kleine) Rolle zu spielen beginnt, kann also nicht am Versfuß liegen, sondern muss eher mit sich aus dem Versmaß ergebenden rhythmischen Schwierigkeiten zusammenhängen. Als Beispiel dafür kann ein bekannter Vers aus Friedrich Schillers Ballade Der Taucher (1797) dienen[2]:

Und es wallet und siedet und brauset und zischt
◡◡—ˌ◡◡—ˌ◡◡—ˌ◡◡—

Betrachtet man nur den Anfang, so würde man zunächst „Und es wallet“ betonen, also trochäisch ansetzen, erst der Vers als Ganzes mit dem starken, durch Wiederholung von „und“ betonten Rhythmus in der zweiten Hälfte („und siedet und brauset und zischt“) etabliert den anapästischen Rhythmus. Dieser Widerstand gegen den Anapäst rührt aus dem Widerstreben, zwei Silben am Anfang einer Periode unbetont zu lassen. Ähnliche Beispiele finden sich in August Wilhelm Schlegels Schauspiel Ion (1803):

Auf den Lippen die purpurnen Blüten der Lust, […]
So umhauchtest du mich mit berauschendem Wahn[3]

Auch hier ist entsprechend der natürlichen Betonung die erste Silbe stärker und daher besteht die Tendenz, trochäisch anzusetzen. Die Lösung des Problems ist häufig, den ersten Fuß akephal zu verkürzen, das heißt am Versanfang erscheint nur eine Senkung. Ein Beispiel für beide Varianten liefern die folgenden Verse aus Goethes Stück Pandora (1807):

Alle blinken die Sterne mit zitterndem Schein,
Alle laden zu Freuden der Liebe mich ein,
Zu suchen, zu wandeln den duftigen Gang,
Wo gestern die Liebste mir wandelt' und sang

In den ersten beiden Versen wäre der natürlichen Betonung wieder jambisch oder mit Auslassung des „e“ sogar spondeisch („All' blinken die Sterne …“) anzusetzen. Die beiden folgenden Verse dagegen beginnen akephal (◡—◡◡—◡◡—◡◡—). Aus dieser häufig geübten Praxis, anapästische Verse akephal (und katalektisch) zu gestalten, entsteht dann eine Ambivalenz zwischen anapästischer und amphybrachischer Interpretation. Das sieht man am Beispiel von Paul Celans berühmtem Gedicht Todesfuge (1944/1945):

Schwarze Milch der Frühe wir trinken sie abends —◡—◡—◡◡—◡◡—◡
wir trinken sie mittags und morgens wir trinken sie nachts ◡—◡◡—◡◡—◡◡—◡◡—
wir trinken und trinken ◡—◡◡—◡
wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng ◡—◡◡—◡◡—◡◡—◡◡—

Hier kann der dritte Vers zum Beispiel als akephal hyperkatalektisch anapästischer Zweiheber (◡—ˌ◡◡—ˌ◡) gelesen werden oder als rein amphibrachysch (◡—◡ˌ◡—◡), der zweite Vers ebenso anapästisch als ◡—ˌ◡◡—ˌ◡◡—ˌ◡◡—ˌ◡◡— oder katalektisch amphibrachysch als ◡—◡ˌ◡—◡ˌ◡—◡ˌ◡—◡ˌ◡—.

Wolfgang Kayser plädierte dafür, auf die Unterscheidung daktylisch/anapästisch/amphibrachysch ganz zu verzichten und Verse mit doppelten Binnensenkungen generell als daktylisch zu bezeichnen. Will man auf die Unterscheidung zwischen daktylisch und anapästisch nicht verzichten, so kann man als anapästisch oder gemischt anapästisch Verse bezeichnen, die mit einer Senkung beginnen und mindestens eine doppelte Binnensenkung enthalten, als rein anapästisch jene, die nur doppelte Binnensenkungen enthalten, daktylisch wären dagegen jene, die mit einer Hebung beginnen.

Zu nennen sind schließlich noch die Nachbildung des antiken Septenars in den Chorstrophen von August von Platens Komödien und Die politische Wochenstube von Robert Eduard Prutz[4], außerdem das exemplarische Gedicht Der Anapäst von Josef Weinheber.

Englische Dichtung

In der englischen Dichtung erscheint der Anapäst ab der Renaissance in volkstümlicher Dichtung, ab dem 18. Jahrhundert auch bei Dichtern wie William Cowper (Verses Supposed to be Written by Alexander Selkirk, 1782[5]) und Walter Scott. Aus dem Gedicht The Destruction of Sennacherib von Lord Byron (1815) ein Beispiel anapästischer Vierheber:

The Assyrian came down like a wolf on the fold
And his cohorts were gleaming in purple and gold
And the sheen of their spears was like stars on the sea
When the blue wave rolls nightly on deep Galilee.

Anapästische Verse erscheinen bei Robert Browning (How they Brought the Good News from Ghent to Aix, 1845), William Morris und dann vor allem bei Swinburne zum Beispiel in Dolores (1866) und in A Song in Time of Revolution (1866). William Butler Yeats verwendet in seinem epischen Gedicht The Wanderings of Oisin (1889) wie viele andere Dichter der viktorianischen Zeit gemischt jambisch-anapästische Verse. Bei den zeitgenössischen Dichtern ist zu nennen Daryl Hine mit seinem langen Gedicht In and Out (1975/1989) und Annie Finch.

Bleiben anapästische Versmaße in der „ernsthaften“ englischen Lyrik so wie auch im Deutschen eher randständig, so sind sie in der komischen Dichtung prominent. Beispiele sind hier The Hunting of the Snark von Lewis Carroll oder T. S. Eliots Old Possum's Book of Practical Cats (1939).

Das jedermann bekannte Beispiel eines anapästischen Versmaßes aber ist der Vers des Limerick, der durch die Limericks in Edward Lears Book of Nonsense (1846) populär wurde. Ein Beispiel aus dieser Sammlung ist:

There was a Young Lady of Clare,
Who was sadly pursued by a bear;
When she found she was tired,
She abruptly expired,
That unfortunate Lady of Clare.[6]

Auch beim Limerick wird durch häufig auftretende Akephalie und Katalexe das Versmaß ambivalent anapästisch-amphibrachysch. Ein entsprechendes deutsches Beispiel ist:[7]

Helmut Kreuzer, Professor in Siegen
Versteht sich auf's Messen und Wiegen.
Auch des Limericks Bau,
Er kennt ihn genau
Und zählt seine Füße wie Fliegen.

Siehe auch

Literatur

  • Sandro Boldrini: Prosodie und Metrik der Römer. Teubner, Stuttgart & Leipzig 1999, ISBN 3-519-07443-5, S. 118–123.
  • Dieter Burdorf, Christoph Fasbender, Burkhard Moennighoff (Hrsg.): Metzler Lexikon Literatur. Begriffe und Definitionen. 3. Aufl. Metzler, Stuttgart 2007, ISBN 978-3-476-01612-6, S. 23.
  • Otto Knörrich: Lexikon lyrischer Formen (= Kröners Taschenausgabe. Band 479). 2., überarbeitete Auflage. Kröner, Stuttgart 2005, ISBN 3-520-47902-8, S. 11f.
  • Gero von Wilpert: Sachwörterbuch der Literatur (= Kröners Taschenausgabe. Band 231). 8., verbesserte und erweiterte Auflage. Kröner, Stuttgart 2001, ISBN 3-520-23108-5, S. 27.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Ivo Braak: Poetik in Stichworten. 8. Aufl. Stuttgart 2001, S. 82.
  2. Friedrich Schiller: Der Taucher. In: Musen-Almanach für das Jahr 1798. S. 121.
  3. August Wilhelm von Schlegel: Ausgewählte Werke. Berlin 1922, 4. Akt, 1. Auftritt, S. 128, online.
  4. Robert Eduard Prutz: Die politische Wochenstube. Verlag des literarischen Comptoirs, Zürich und Winterthur 1845. Abgedruckt in: Der deutsche Michel, Revolutionskomödien der Achtundvierziger. Stuttgart 1971, online.
  5. Verses Supposed to be Written by Alexander Selkirk (Text)
  6. Edward Lear: A Book of Nonsense. 1846, Nr. 112.
  7. Christian Wagenknecht: Deutsche Metrik. Eine historische Einführung. Beck, München 1981, ISBN 3-406-07947-4, S. 76.


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