Ludwig Boltzmann

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Ludwig Boltzmann (1902) Unterschrift von Ludwig Boltzmann

Ludwig Eduard Boltzmann (* 20. Februar 1844 in Wien; † 5. September 1906 in Duino, Österreich-Ungarn) war ein österreichischer Physiker und Philosoph. Er lehrte an den Universitäten von Wien, Graz, München und Leipzig. Seine bedeutendsten Leistungen liegen im Bereich der Thermodynamik und der statistischen Mechanik, wo er sich vor allem mit der Frage beschäftigte, wie die reversiblen mikroskopischen Bewegungen von Teilchen zu irreversiblen makroskopischen Prozessen führen können.

Als ein glühender Verfechter der Atomistik verteidigte er die reale, objektive Existenz von Atomen gegen die Angriffe von Ernst Mach und Wilhelm Ostwald. Er gilt als einer der Vollender der klassischen Physik des 19. Jahrhunderts, der an den revolutionären Neuerungen der Physik zu Beginn des 20. Jahrhunderts wie der Relativitätstheorie und der Quantentheorie zwar selber keinen Anteil mehr hatte, dessen Methoden jedoch in vieler Hinsicht zukunftsweisend waren.

Schwer krank und an Depressionen leidend nahm er sich im Alter von 62 Jahren das Leben.

Leben

Abstammung

Boltzmanns Großvater väterlicherseits, Gottfried Ludwig Boltzmann, wurde 1770 in Berlin geboren und ließ sich in Wien nieder, wo er eine Spieluhrenfabrik gründete. Gottfrieds Sohn Ludwig Georg Boltzmann (* 1802; † 22. Juni 1859) studierte Jus und wurde Finanzbeamter. 1837 heiratete er in Maria Plain bei Salzburg Maria Katharina Pauernfeind, die aus einer angesehenen und wohlhabenden Salzburger Handelsfamilie stammte; der Salzburger Bürgermeister Johann Christian Paurnfeind war ihr Urgroßvater. Ludwig Georg und Maria Katharina Boltzmann hatten drei Kinder, Ludwig Eduard und seine zwei jüngeren Geschwister, Albert (* 22. April 1846; † 14. Februar 1863) und Hedwig (* 12. Mai 1848; † 1890). Boltzmanns ebenfalls hochbegabter Bruder Albert war nach ihm der zweitbeste Schüler am Akademischen Gymnasium in Linz, starb jedoch schon mit 16 Jahren an einem Lungenleiden, wahrscheinlich Tuberkulose. Seine Schwester Hedwig blieb unverheiratet und starb in geistiger Umnachtung.

Kindheit und Jugend

Als kaiserlich-königlicher Verwaltungsbeamter wurde Boltzmanns Vater mehrmals versetzt, woraufhin die Familie an den jeweiligen Dienstort übersiedelte: von Salzburg nach Wien, wo Boltzmann geboren wurde, dann nach Wels und später nach Linz. Bis zu seinem 10. Lebensjahr wurde Boltzmann privat unterrichtet, im Jahr 1855 trat er in das Akademische Gymnasium Linz ein. Der Großteil der Lehrer gehörte dem geistlichen Stand an, 22 von 29 Klassenkollegen Boltzmanns gaben an, Theologie studieren zu wollen. Die Erziehung Boltzmanns war vom humanistischen Bildungsideal geprägt, große Bedeutung hatte die Musik in der Familie Boltzmann. Der junge Anton Bruckner war sein Klavierlehrer.

Als Boltzmann 15 Jahre alt war, starb sein Vater. Dieses Ereignis belastete ihn stark. Auch der Tod seines jüngeren Bruders vier Jahre später erschütterte ihn schwer. Trotzdem bestand er wenige Monate danach, im Sommer 1863, die Matura am akademischen Gymnasium mit Auszeichnung, kurz darauf übersiedelte die Familie nach Wien, um ihm das Studium zu ermöglichen. Seine wohlhabende Mutter konnte sein Studium aus ihrem eigenen Vermögen finanzieren.

Studium und Assistenzprofessur in Wien (1863–1869)

Ludwig Boltzmann im Alter von 24 Jahren (1869)

Boltzmann begann an der Universität Wien das Studium der Mathematik und Physik. Das Physikalische Institut war erst 1849 von Christian Doppler gegründet worden. Es befand sich in der Erdbergstraße 15 in Wien-Landstraße und wurde von Dopplers Nachfolger Andreas von Ettingshausen geleitet. Boltzmanns Lehrer waren neben Ettinghausen vor allem Josef Stefan, der Mathematiker Josef Petzval und August Kunzek. Boltzmann war zunächst „außerordentlicher Zögling“ und ab dem Sommersemester 1865 „ordentlicher Zögling“ am Physikalischen Institut. 1866 wurde Stefan als Nachfolger Ettingshausens Direktor des Physikalischen Instituts, im Oktober 1866 wurde Boltzmann sein Assistent. Noch vor Abschluss des Studiums veröffentlichte er zwei wissenschaftliche Arbeiten. Boltzmann schloss sein Doktoratsstudium mit den drei vorgeschriebenen Rigorosen ab und wurde am 19. Dezember 1866 zum Doktor der Philosophie promoviert. Eine Dissertation war damals nicht erforderlich.

1866 trat Josef Loschmidt in das Physikalische Institut ein. Stefan, der nur neun Jahre älter war als Boltzmann, und der wesentlich ältere Loschmidt waren für Boltzmann die prägenden Lehrergestalten, mit denen er auch freundschaftlich verbunden war. Boltzmann legte die Lehramtsprüfung für Mathematik und Physik an Obergymnasien ab und absolvierte im Studienjahr 1867/68 das vorgeschriebene Probejahr am Akademischen Gymnasium. Am 21. Dezember 1867 reichte er ein Gesuch um die venia docendi ein, die ihm am 19. März 1868 erteilt wurde. Bis zum 31. Juli 1869 lehrte er als Privatdozent und hielt eine Vorlesung Über die Grundprinzipien der mechanischen Wärmelehre.

Erste Grazer Professur (1869–1873)

Der Lehrstuhl für mathematische Physik an der Universität Graz war vakant, seit 1867 der bisherige Ordinarius Ernst Mach an die Universität Prag berufen worden war. Der neu ernannte Ordinarius für allgemeine und experimentelle Physik, August Toepler, setzte sich für eine Neubesetzung ein. Die Bewerbung Boltzmanns wurde von Stefan unterstützt, und am 17. Juli 1869 ernannte Kaiser Franz Joseph I. Boltzmann zum ordentlichen Professor der mathematischen Physik an der Universität Graz.

Boltzmann war in Graz höchst erfolgreich, vermisste jedoch den Kontakt zur internationalen Fachwelt. Auch seinen verehrten Lehrern Stefan und Loschmidt warf er die Isoliertheit von der Fachwelt vor: „Weder Stefan noch Loschmidt machten meines Wissens eine Reise außerhalb des österreichischen Vaterlandes. Jedenfalls besuchten sie nie eine Naturforscherversammlung, traten nie mit fremden Gelehrten in innigere persönliche Beziehungen. Ich kann dies nicht billigen; ich glaube, daß sie bei geringerer Abgeschlossenheit noch mehr hätten leisten können. Wenigstens hätten sie ihre Leistungen rascher bekannt und daher fruchtbringender gemacht.“ Im März 1870 reichte er ein Urlaubsgesuch ein und unternahm im April und Mai 1870 die erste seiner zahlreichen Auslandsreisen, die ihn nach Heidelberg zu Robert Bunsen, Gustav Robert Kirchhoff und Leo Koenigsberger führte. Im Wintersemester 1871/72 besuchte er Hermann von Helmholtz an der Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin. 1872 veröffentlichte er eine seiner bedeutendsten Arbeiten zur statistischen Mechanik, Weitere Studien über das Wärmegleichgewicht unter Gasmolekülen.

Ordinariat für Mathematik an der Universität Wien (1873–1876)

Boltzmann bewarb sich 1873 um den durch die Emeritierung von Franz Moth freigewordenen Lehrstuhl für Mathematik an der Universität Wien. Seine Ernennung zum ordentlichen Professor für Mathematik erfolgte am 30. August 1873. Als Professor für Mathematik beschäftigte sich Boltzmann ebenfalls mit Physik, er hielt eine Vorlesung über Mechanische Wärmelehre und arbeitete in Wien und Graz auch experimentell. 1875 erhielt er ein Angebot des Eidgenössischen Polytechnikums Zürich für eine Professur auf Lebenszeit, das er zwar ablehnte, aber das ihm dazu verhalf, dem Ministerium gegenüber ein höheres Gehalt und bessere Bedingungen auszuhandeln. Ein Angebot einer Professur in Freiburg schlug er aus.

Zweite Grazer Professur (1876–1890) und gescheiterte Berufung nach Berlin

Boltzmann im Kreis von Kollegen in Graz 1887. Stehend von links: Walther Nernst, Heinrich Streintz, Svante Arrhenius, Richard Hiecke; sitzend von links: Eduard Aulinger, Albert von Ettingshausen, Ludwig Boltzmann, Ignaz Klemenčič, Viktor Hausmanninger

1875 wurde der Grazer Ordinarius für Experimentalphysik, August Toepler, an das Königlich Sächsische Polytechnikum Dresden berufen und Boltzmann zu seinem Nachfolger als Ordinarius und Leiter des Physikalischen Instituts der Universität Graz ernannt. Im Studienjahr 1878/79 war Boltzmann Dekan der Philosophischen Fakultät und im Studienjahr 1887/88 Rektor.

Die Grazer Jahre zählten zu den glücklichsten und produktivsten in Boltzmanns Leben. Hier kamen vier seiner Kinder auf die Welt, und er bezog ein Anwesen auf der Platte in Oberkroisbach im Grazer Umland (heute im Grazer Stadtteil Mariatrost), wo er sich sehr wohl fühlte. Trotzdem war diese Zeit von gesundheitlichen und psychischen Problemen überschattet. Nach dem Tod seiner Mutter am 23. Jänner 1885 durchlebte Boltzmann eine schwere psychische Krise. Als 1889 sein ältester Sohn Hugo starb, machte er sich schwere Vorwürfe, weil dessen Blinddarmentzündung zu spät diagnostiziert worden war.

Anfang 1888 erhielt Boltzmann einen Ruf als Professor für theoretische Physik an die Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin. Dieser Lehrstuhl war nach dem Tod Gustav Robert Kirchhoff im Oktober 1887 vakant geworden. Boltzmann sagte zu und wurde am 19. März zum ordentlichen Professor für theoretische Physik ernannt. Am 24. Juni 1888 sagte er überraschend wieder ab, wobei er sich auf ärztliche Gutachten berief, die seine Sehschwäche attestierten. Am 27. Juni schickte er ein Telegramm, um die Absage wieder rückgängig zu machen, was ihm jedoch trotz weiterer Interventionen nicht gelang, da der Lehrstuhl inzwischen an Max Planck vergeben war.

Professur in München (1890–1894)

Nach dem Scheitern der Berliner Professur wollte Boltzmann weg von Graz. Er entschied sich schließlich, eine Professur an der Ludwig-Maximilians-Universität in München anzunehmen, wo er im Wintersemester 1890/1891 seine Lehrtätigkeit aufnahm. Boltzmann genoss die im Vergleich zu Graz erweiterten Möglichkeiten zu wissenschaftlichem Austausch und die Diskussionen mit zahlreichen Fachkollegen. In München bahnten sich jedoch die ersten Auseinandersetzungen mit Wilhelm Ostwald und der „Energetik“ an. 1892 besuchte er die 300-Jahr-Feier des Trinity College in Dublin und 1894 die Universität Oxford.

Einen Ruf nach Wien lehnte er 1892/93 noch ab. Als nach dem Tod Josef Stefans Anfang 1893 dessen Lehrstuhl zu besetzen war, entschloss sich Boltzmann trotz der fruchtbaren wissenschaftlichen Tätigkeit in München zur Rückkehr nach Wien.

Erstes Ordinariat für Theoretische Physik an der Universität Wien (1894–1900)

Gedenktafel am Haus Türkenstraße 3, in dem sich von 1875 bis 1913 das Physikalische Institut der Universität Wien befand, in dem Boltzmann arbeitete.

Am 1. September 1894 trat Boltzmann seinen Dienst an. Die Professur in Wien war mit einer beträchtlichen Erhöhung seines Einkommens verbunden. Die Altersvorsorge und die Absicherung des Auskommens seiner Familie im Fall seines Ablebens war einer der Beweggründe für Boltzmanns Rückkehr nach Wien gewesen. 1895 besuchte Boltzmann die Naturforscherversammlung in Lübeck, wo es zu einem Streitgespräch mit den Energetikern Ostwald und Georg Helm kam. Arnold Sommerfeld verglich das Streitgespräch mit einem Stierkampf, in dem Boltzmann dem Stier glich, aber „der Stier den Torero besiegte.“

Anlässlich einer Einladung an die Clark University in Worcester, Massachusetts unternahm Boltzmann 1899 die erste seiner drei Amerikareisen. Die Hinfahrt auf der Kaiser Wilhelm der Große führte von Bremerhaven über Cherbourg und Southampton nach New York. Boltzmann reiste über Boston nach Worcester weiter und besuchte Montreal, die Niagarafälle, Buffalo, Pittsburgh, Washington, Baltimore und Philadelphia. Nach vier Wochen in den USA trat er am 25. Juli 1899 die Heimfahrt auf der Trave des Norddeutschen Lloyd an.

Nach anfänglicher Euphorie fühlte Boltzmann sich jedoch in Wien bald wieder unwohl und nahm daher das Angebot einer Professur in Leipzig an. Trotz aller wissenschaftlichen Gegensätze hatte sich Ostwald intensiv für Boltzmanns Berufung eingesetzt. Er verließ Wien für viele überraschend und ohne sich von seinen Kollegen zu verabschieden.

Professur in Leipzig (1900–1902)

Am 1. September 1900 trat Boltzmann seine Professur in Leipzig an, wo er sich jedoch von Anfang an nicht wohl fühlte. Er litt unter der Angst, dass ihn während der Vorlesung das Gedächtnis verlassen könnte und sagte daher sogar zeitweise seine Vorlesungen ab. Im Sommer 1901 unternahm er mit seinem Sohn Arthur eine ausgedehnte Schiffsreise, die ihn von Hamburg aus über Gibraltar ins Mittelmeer führte. Boltzmann litt jedoch sehr unter der Hitze, die erhoffte Besserung seines Gesundheitszustands trat nicht ein. Zwar pflegten die Familien Boltzmann und Ostwald freundschaftlichen Kontakt – so spielte Boltzmann an Musikabenden bei Ostwald Klavier –, die wissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit Ostwald belasteten ihn jedoch. Wegen seiner Nervenleiden und Suizidgedanken konsultierte er den Psychiater Paul Flechsig. Als sich eine Gelegenheit zur Rückkehr nach Wien bot, ergriff er sie, ohne zu zögern.

Zweites Ordinariat für Theoretische Physik an der Universität Wien (1902–1906)

Lussinpiccolo (heute Mali Lošinj) um 1900, wo Boltzmann 1903 zur Sommerfrische weilte.
Gedenktafel an Boltzmanns Wohnhaus in der Haizingergasse 26 in Wien-Währing

Zum 1. Oktober 1902 wurde Boltzmann zum ordentlichen Professor der theoretischen Physik an der Universität Wien ernannt. In der „Sommerfrische“ am Meer 1902 und 1903 konnte er sich erholen, sein psychischer und physischer Zustand besserte sich für einige Zeit. Er stand in höchstem Ansehen: er wurde von Kaiser Franz Joseph empfangen und zum Hofrat ernannt. Er bezog eine neue Wohnung in der Haizingergasse in Wien-Währing und stürzte sich mit Eifer in seine Arbeit. Er arbeitete am zweiten Band der Vorlesungen über die Prinzipe der Mechanik und besuchte Göttingen und Kassel, wo er eine „äußerst lebhafte Meinungsverschiedenheit“ mit David Hilbert hatte. Weitere Reisen führten ihn nach England, zum Southport Meeting der British Association for the Advancement of Science, und nach Paris.

Ernst Mach hatte in Wien einen Lehrstuhl für Philosophie inne, konnte aber nach einem Schlaganfall 1901 seiner Lehrverpflichtung nicht mehr nachkommen. Im Wintersemester 1903/04 übernahm Boltzmann seine Vorlesung über Naturphilosophie. Er bereitete sich gründlich darauf vor und kontaktierte brieflich den Philosophen Franz Brentano, den er 1905 in Florenz besuchte. Neben seiner intensiven Beschäftigung mit Philosophie und seiner Lehrtätigkeit kam seine wissenschaftliche Arbeit fast zum Erliegen: Nach 1900 publizierte er nur mehr zwei Arbeiten.

Vom 21. August bis zum 8. Oktober 1904 unternahm Boltzmann in Begleitung seines Sohnes Arthur Ludwig seine zweite Amerikareise, um am St. Louis Mathematics Congress teilzunehmen. Die Strapazen der Reise setzten Boltzmann sehr zu. Er empfand die Belgravia der Hamburg-Amerika-Linie als „sehr minder“ und unbequem. Die Reise führte von New York über Philadelphia, Washington, die Großen Seen mit Detroit, den Niagarafällen und Chicago nach St. Louis. Die Rückreise erfolgte auf der Deutschland.

Im Juni 1905 brach Boltzmann zu seiner dritten und letzten Amerikareise auf, die ihn nach Berkeley führte. Nach einem kurzen Aufenthalt in Leipzig schiffte er sich in Bremen auf der Kronprinz Wilhelm ein. Von New York führte ihn der Express-Zug in vier Tagen und Nächten nach San Francisco. Besonders beeindruckt zeigte er sich vom Lick-Observatorium. Seine Vorlesungen in Berkeley waren nur mäßig erfolgreich, was vor allem an seinem nur schwer verständlichen Englisch lag. Die Rückfahrt erfolgte auf der Kaiser Wilhelm II. Diese Reise ist durch Boltzmanns humorvollen Bericht Reise eines deutschen Professors ins Eldorado bekannt geworden. Die heitere, unbeschwerte Grundstimmung dieses Reiseberichts wird nur selten getrübt, Boltzmann lässt nur wenig von den Beschwerden ahnen, die ihn damals schon quälten. In bester Stimmung kehrte Boltzmann zurück, doch wenige Monate später erfolgte der Zusammenbruch: Sein Gesundheitszustand verschlechterte sich so sehr, dass im Frühjahr 1906 klar wurde, dass Boltzmann seinen Lehrverpflichtungen nicht mehr nachkommen konnte.

Tod in Duino

Seit langem war Boltzmanns Gesundheitszustand sehr schlecht. Wegen „Neurasthenie“ (Nervenschwäche) war er mehrmals in psychiatrischer Behandlung. Er litt unter extremen Stimmungsschwankungen, Zustände höchster Erregung wechselten mit tiefster Niedergeschlagenheit. Boltzmann selbst erzählte dazu, dass er „in der Nacht zwischen Fastnacht und Aschermittwoch geboren sei, und dieser Kontrast spiegle sich in seinem ganzen Leben wider.“ Er war extrem kurzsichtig, bereits 1873 äußerte er die Befürchtung bald zu erblinden. Um 1900 hatte sein Sehvermögen bereits so sehr nachgelassen, dass er eine Dame anstellte, die ihm wissenschaftliche Literatur vorlas. Seine eigenen Arbeiten diktierte er seiner Frau. Er litt unter Asthma, Nasenpolypen, Kopfschmerzen, Nieren- und Blasenleiden und verschiedenen anderen körperlichen Beschwerden, von denen mehrere besorgte Briefe seiner Frau in den Jahren 1902 und 1903 an die Tochter Ida in Leipzig zeugen.

Am 5. Mai 1906 wurde Boltzmann wegen „schwerer Neurasthenie“ krankheitshalber beurlaubt, Stefan Meyer übernahm seine Vorlesungen. Den Sommer 1906 verbrachte Boltzmann mit seiner Familie an der Adria in Duino nördlich von Triest. Am 5. September 1906, einen Tag vor der geplanten Heimreise, erhängte er sich in seinem Hotelzimmer. Die Neue Freie Presse berichtete am 7. September: „Professor Boltzmann war seit längerer Zeit an Neurasthenie leidend und war zu seinem Sommeraufenthalte in Begleitung einer Tochter nach Duino gekommen. Als die Tochter ihn gestern früh nicht aus seinem Zimmer herauskommen sah, ging sie hinein und fand den Vater, der sich an einer Eisenstange des Fensters erhenkt hatte, tot auf.“ Am Tag darauf brachte die Neue Freie Presse Nachrufe auf Boltzmann von Ernst Mach und Franz-Serafin Exner.

Boltzmann hinterließ keinen Abschiedsbrief, der unmittelbare Anlass für seinen Suizid ist daher unbekannt. Von mehreren Autoren wird ein Zusammenhang zwischen Boltzmanns Depressionen und der Ablehnung seiner Atomistik vermutet. George Jaffé schreibt dazu: „I do not venture to guess what reasons led a scientist of his caliber to give up his life after what really was a wonderfully successful career. I cannot help feeling, however, that the scientific situation which I have tried to sketch was not altogether disconnected from his resolution.“ („Ich wage es nicht zu raten, was einen Wissenschaftler seines Formats dazu bewog, nach einer außerordentlich erfolgreichen Karriere seinem Leben ein Ende zu setzen. Ich kann mich jedoch des Eindrucks nicht erwehren, dass sein Entschluss nicht ganz ohne Zusammenhang mit den wissenschaftlichen Umständen, die ich zu skizzieren versuchte, war.“) Zwar ist es unbestritten, dass die Auseinandersetzungen mit den Energetikern Boltzmann schwer belasteten, es gibt jedoch keine Hinweise darauf, dass diese unmittelbar zu seinem Suizid beigetragen hätten. Entsprechende Vermutungen sind reine Spekulation. Boltzmann war jedenfalls keineswegs ein „verkanntes Genie“, das sich aus Verbitterung um das Unverständnis seiner Umwelt das Leben nahm. Er war ein hoch angesehener Wissenschaftler und hatte ebenso viele Unterstützer wie Gegner; mit wissenschaftlichen Gegnern wie Mach und Ostwald war er persönlich befreundet.

Zum wissenschaftlichen Werk siehe auch

Zum philosophischen Werk siehe auch

Zum Thema Auszeichnungen und Ehrungen siehe auch

Siehe auch

Schriften

Wissenschaftliche Originalarbeiten

Die 139 wissenschaftlichen Arbeiten Boltzmanns wurden nach seinem Tod von Fritz Hasenöhrl gesammelt und 1909 bei Johann Ambrosius Barth in drei Bänden veröffentlicht. Sie sind an der Universität Wien online zugänglich:

Das Exemplar der Universität Wien stammt aus dem Besitz Stefan Meyers und hat eine handschriftliche Widmung Fritz Hasenöhrls. 2012 wurden die Wissenschaftlichen Abhandlungen von Cambridge University Press nachgedruckt.

Boltzmanns letzte Arbeit, 1905 gemeinsam mit seinem Assistenten Josef Nabl verfasst, ist nicht in den gesammelten Abhandlungen enthalten und posthum 1907 erschienen:

Lehrbücher

Die handschriftlichen Unterlagen zu seinen Vorlesungen über Naturphilosophie befinden sich in Familienbesitz und wurden 1990 von seiner Enkelin Ilse Fasol-Boltzmann veröffentlicht:

  • Ilse M. Fasol-Boltzmann (Hrsg.): Ludwig Boltzmann Principien der Naturfilosofi: Lectures on Natural Philosophy 1903–1906. Springer, Berlin 1990, ISBN 3-540-51716-2.

Populäre Schriften

Ein Sammelband mit verschiedenen Aufsätzen aus den Jahren 1873 bis 1905 wurde 1905 unter dem Namen „Populäre Schriften“ veröffentlicht:

Die populären Schriften enthalten unter anderem Aufsätze zu wissenschaftlichen und philosophischen Themen (z. B. Über Maxwells Elektrizitätstheorie, Über die Unentbehrlichkeit der Atomistik in der Naturwissenschaft, Über eine These Schopenhauers), Nachrufe auf verstorbene Wissenschaftler (Gustav Robert Kirchhoff, Josef Stefan, Josef Loschmidt) und Berichte zu aktuellen Entwicklungen in Wissenschaft und Technik (Über Luftschiffahrt, Röntgens neue Strahlen). Häufig nachgedruckt wurde die Reise eines deutschen Professors ins Eldorado, ein humorvoller Bericht über seine Reise nach Kalifornien im Sommer 1905.

Briefe

Es wurden zwei Bände mit Boltzmanns Briefen veröffentlicht:

  • Walter Höflechner (Hrsg.): Ludwig Boltzmann. Leben und Briefe. Publikationen aus dem Archiv der Universität Graz 30 (= Ludwig Boltzmann Gesamtausgabe, Band 9), Akademische Druck- und Verlagsanstalt, Graz 1994, ISBN 3-201-01629-2.

Erich Zöllner, der Gatte von Boltzmanns Enkelin Maria Flamm, entdeckte zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt in Boltzmanns Wohnung in der Haizingergasse in Wien-Währing 125 Briefe, die zwischen Boltzmann und seiner späteren Gattin Henriette von Aigentler in der Zeit von 1873 bis zu ihrer Hochzeit im Juli 1876 gewechselt wurden.

  • Dieter Flamm (Hrsg.): Hochgeehrter Herr Professor! Innig geliebter Louis!. Ludwig Boltzmann, Henriette von Aigentler. Briefwechsel. Böhlau, Wien 1995, ISBN 3-205-98266-5.

Gesamtausgabe

In den 1980er Jahren wurde unter der Leitung von Roman Sexl mit der Herausgabe einer Gesamtausgabe von Boltzmanns Schriften begonnen. Bis 1982 erschienen drei Bände, Band 1 (Vorlesungen über Gastheorie), Band 2 (Vorlesungen über Maxwells Theorie der Elektricität und des Lichtes) und Band 8 (Ausgewählte Abhandlungen). Nach dem frühen Tod des Herausgebers geriet die Gesamtausgabe jedoch ins Stocken, bis 1998 erschienen lediglich zwei weitere Bände, Band 9 (Leben und Briefe, siehe oben) und Band 10 (Vorlesung über Experimentalphysik in Graz). Die Gesamtausgabe ist bis heute (2015) unvollendet.

Literatur

  • Engelbert Broda: Ludwig Boltzmann: Mensch • Physiker • Philosoph. Franz Deuticke, Wien 1955. Englische Übersetzung: Ludwig Boltzmann: Man–Physicist–Philosopher, Ox Bow Press 1983, ISBN 0-918024-24-2.
  • Wolfgang Stiller: Ludwig Boltzmann: Altmeister der klassischen Physik. Wegbereiter der Quantenphysik und Evolutionstheorie. Barth, Leipzig 1988.
  • Carlo Cercignani: Ludwig Boltzmann: The Man Who Trusted Atoms. Oxford 2006, ISBN 0-19-857064-3.
  • John T. Blackmore (Hrsg.): Ludwig Boltzmann: His Later Life and Philosophy, 1900-1906. A Documentary History. Kluwer Academic Publishers, Dordrecht 1995, ISBN 978-90-481-4492-1.
  • David Lindley: Boltzmanns Atom: The Great Debate That Launched A Revolution In Physics. Free Press 2001, ISBN 0-684-85186-5.
  • Ilse Maria Fasol-Boltzmann, Gerhard Ludwig Fasol (Hrsg.): Ludwig Boltzmann (1844–1906). Zum hundertsten Todestag. Springer, Wien/New York, ISBN 978-3-211-33140-8.

Weblinks

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