Die Pest und Joseph Levine: Unterschied zwischen den Seiten

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'''Die Pest''' (franz. ''La Peste'') ist ein Roman von [[Albert Camus]] aus dem Jahr 1947.
'''Joseph Levine''' (* [[Wikipedia:17. Januar|17. Januar]] [[Wikipedia:1952|1952]]) ist ein US-amerikanischer [[Philosoph]] der vor allem im Fachbereich der [[Philosophie des Geistes]] tätig ist.


Nach fünfjähriger Arbeit stellte Albert Camus am Ende des ersten Nachkriegsjahres 1946 seinen Roman „Die Pest“ fertig. Bereits kurz nach der [[Veröffentlichung]] im Juni 1947 wurde das Werk ein großer Erfolg. Als einer der bedeutendsten Romane der [[Résistance]] und der französischen Nachkriegsliteratur ist die Chronik zum Allgemeingut der europäischen Kultur und damit weltberühmt geworden. Sie gehört insbesondere in [[Frankreich]] zur Pflichtlektüre an den Schulen.
== Leben ==


Werkhintergrund sind Camus’ persönliche Erfahrungen – insbesondere die des [[Zweiter Weltkrieg|Zweiten Weltkriegs]]. Somit ist „Die Pest“ eine Reflexion aus distanziertem Blickwinkel über den Widerstand der Menschen gegen physische und moralische Zerstörung, bildet jedoch gleichzeitig einen wichtigen Bestandteil in Camus’ Philosophie, der Auseinandersetzung mit der [[Absurdität]]. Da die Handlungsgeschichte die Struktur eines [[Drama]]s mit fünf Akten aufweist, wurde das Werk in vielen Ländern auch als Theaterstück aufgeführt.
Levine studierte [[Philosophie]] an der [[Wikipedia:University of California, Los Angeles|University of California, Los Angeles]], wo er 1975 seinen [[Wikipedia:Bachelor of Arts|Bachelor of Arts]] erhielt. Sein weiteres Studium an der [[Wikipedia:Harvard University|Harvard University]] schloss er 1981 mit dem [[Wikipedia:Ph.D.|Ph.D.]] ab. Danach war er an verschiedenen amerikanischen Universitäten tätig. Seit 2006 lehrt Levine Philosophie an der [[Wikipedia:University of Massachusetts Amherst|University of Massachusetts Amherst]].


== Zur Entstehung des Romans ==
== Erklärungslücke ==


Die biographischen Besonderheiten Albert Camus’ spiegeln sich wie in vielen seiner Werke auch im Roman „Die Pest“ wider. Der relativ lange Entstehungszeitraum von fünf Jahren, in [[Biographie]]n häufig als „Pestjahre“ oder „[[Exil]]“ bezeichnet, bietet inhaltlich viel Material:
{{Hauptartikel|Erklärungslücke}}


Im September 1939, nach Ausbruch des Krieges, meldet sich Camus freiwillig zum Militärdienst. Aufgrund seiner [[Tuberkulose]]erkrankung wird er jedoch abgewiesen. Nachdem er seine Redaktionsstelle verloren hat, reist der Autor nach [[Oran]], in die Heimat seiner zweiten Frau Francine Faure. Im März 1940 erhält er eine Stelle als Redaktionssekretär bei dem erfolgreichen Abendblatt „Paris-Soir“, welche den Umzug nach [[Paris]] fordert. Zunächst fällt ihm die Trennung von seiner Heimat [[Algier]] recht schwer, da er in Paris noch ein Unbekannter ist. Dennoch beendet er innerhalb kürzester Zeit seine erste Werkgruppe, welche aus dem Roman „[[Der Fremde]]“, dem Essay „[[Der Mythos des Sisyphos]]“ und dem krönenden Drama „[[Caligula (Camus)|Caligula]]“ besteht. Diese Trilogie verschafft ihm den Durchbruch. Im gleichen Jahr beginnt er die Arbeit an seinem Roman „Die Pest“.
Bekannt wurde Levine vor allem für sein 1983 formuliertes Argument der [[Erklärungslücke]] ({{EnS|''explanatory gap''}}), die zwischen dem bewussten Erleben der sog. [[Qualia]] und der materiellen Grundlage des [[Bewusstsein]]s bestehe.


Sein rastloses Leben während des Weltkrieges spielt sich zwischen Frankreich und Algerien ab. Nach der großen Anstrengung für die Fertigstellung seiner Trilogie bricht 1942 seine Lungenerkrankung erneut aus; es folgt eine Kur in Südfrankreich, woraufhin er nach Paris zurückkehrt und wenig später die Arbeit bei der Widerstandszeitung „Le Combat“ in Paris aufnimmt. Im letzten Kriegsjahr wird er Vater von Zwillingen – Catherine und Jean.
Levine argumentiert auf materialistischer Grundlage. Angenommen es gibt eine innere Verbindung zwischen dem Feuern von [[C-Faser]]n, die für die Schmerzempfindung zuständig sind, und dem subjektiven Erlebnis des [[Schmerz]]es. Nun sei aber theoretisch auch ein physisch oder funktional ganz anders als der Mensch gebautes [[Lebewesen]] denkbar. Faktisch mag es wahr wahr oder falsch sein, dass auch dieses Lebewesen ein subjektives Schmerzempfinden hat. [[Erkenntnistheorie|Erkenntnistheoretisch]] kann das aber aufgrund der Erklärungslücke nicht abgeklärt werden. Solange die Erklärungslücke nicht geschlossen werden kann, wird folglich das [[Leib-Seele-Problem]] weiter bestehen.


Die von Camus erlebte Geschichte des Zweiten Weltkriegs, der [[Nationalsozialismus|nationalsozialistischen]] [[Konzentrationslager]] und der [[Judenvernichtung]], der Stalinschen [[Schauprozess]]e sowie des ersten [[Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki|Atombombenabwurfs]] forderte für ihn eine Reflexion. „Die Pest“ bietet ihm entsprechende Möglichkeiten, die persönlichen Elemente seines Belagerungszustandes in Oran, die lange Trennung von seiner Frau und auch seine Erfahrungen der monatelangen Krankenhausaufenthalte wegen seiner Tuberkulose zu verarbeiten.  
Kritisiert wurden Levines Argumente u.a. von dem englischen Philosophen [[Wikipedia:David Papineau|David Papineau]] (* 1947), der sich als [[Naturalist]] versteht und von der vollkommenen [[Identität]] der objektiven neuronalen Zustände und der subjektiv erlebten Qualia ausgeht; daher gäbe es hier gar nichts zu erklären und folglich auch keine Erklärungslücke.  


{{Zitat|Il n’y a rien de plus ignoble que la maladie.|Übersetzung= Es gibt nichts Schändlicheres als die [[Krankheit]].|Autor=Albert Camus|Quelle=Todd, Oliver: Albert Camus. Une vie. (Kap. 21 „Halte à Oran“) S. 269}}
Der australische Philosoph [[David Chalmers]] sieht hingegen in der Erklärungslücke eine Bestätigung dafür, dass eine rein materialistische Erklärung des Bewusstseins scheitern muss und schlägt daher einen [[Eigenschaftsdualismus]] vor. Demnach gebe es zwar nur eine einheitliche [[Substanz|Grundsubstanz]] der Welt (Substanzmonismus), doch diese habe nicht nur materielle, sondern auch nicht-materielle mentale Eigenschaften.


Durch die Hauptfigur Rieux entdeckt er während seines Schreibens an dem Roman eine neue Art des [[Humanismus]], welche mit [[Solidarität]] gleichgesetzt werden kann. Dadurch spannt Camus den Bogen vom Absurden über die Revolte bis hin zum Humanismus.
Letztlich beruht das ganze Problem auf der von [[John Locke]] (1632-1704) propagierten Unterscheidung [[Primäre und sekundäre Sinnesqualitäten|primärer und sekundärer Sinnesqualitäten]], von denen nur ersteren eine äußerlich objektive [[Realität]] entspräche. [[Rudolf Steiner]] hat darauf hingewiesen, dass aber gerade die primären Qualitäten innerlich erlebt werden, indem wir uns etwa durch den [[Gleichgewichtssinn]] und den [[Eigenbewegungssinn]] in der [[raumzeit]]lichen Welt orientieren. Die sekundären Qualitäten (Farben, Töne usw.) erleben wir hingegen in der Außenwelt. Durch unsere Sinne erleben wir sie zunächst nur als Bilder; ihre eigentliche Wirklichkeit liegt in der seelisch-geistigen Außenwelt.


== Bedeutung innerhalb der Philosophie Camus’ ==
{{GZ|Mit Bezug auf die Sinneswahrnehmungen ist man
aber in eine wahre wissenschaftliche Verwirrung gekommen.
Die Menschen meinen vielfach - die Physiologen
haben sich in dieser Beziehung sogar den Erkenntnistheoretikern
und Philosophen im 19. Jahrhundert angeschlossen
-, wenn wir zum Beispiel Rot sehen, so ist
der äußere Vorgang irgendein Schwingungsvorgang, der
sich fortpflanzt bis zu unserem Sehorgan, bis zum Gehirn.
Dann wird ausgelöst das eigentliche Rot-Erlebnis.
Oder es wird durch den äußeren Schwingungsvorgang
ausgelöst der Ton Cis auf dieselbe Weise. Hier ist man in
Verwirrung geraten, weil man dasjenige, was in uns, in
unserer Körperbegrenzung lebt, gar nicht mehr von dem
Äußeren unterscheiden kann. Hier spricht man durchaus
davon, daß alle Sinnesqualitäten, Farben, Töne, Wärmequalitäten,
eigentlich nur subjektiv seien; daß das äußere
Objektive etwas ganz anderes sei.


Auch innerhalb seiner [[Philosophie]] stellt der Roman eine Weiterentwicklung Camus’ dar. In seinem Essay „[[Der Mythos des Sisyphos]]“ (1942, franz.: „Le mythe de Sisyphe“), dem Bühnenstück „[[Caligula (Camus)|Caligula]]“ (Uraufführung 1945) und in „[[Der Fremde]]“ entwickelt Camus seine Philosophie des [[Absurdität|Absurden]], die einige Anklänge zum [[Existentialismus]] besitzt. Camus wehrte sich jedoch sein ganzes Leben lang gegen diese Zuschreibung.
Wenn wir nun geradeso, wie wir die drei Raumesdimensionen
zunächst aus uns heraus bilden, um sie an
und in den Dingen wieder zu finden, wenn wir ebenso
dasjenige, was in uns sonst als Sinnesempfindung auftritt,
aus uns selbst schöpfen und dann außer uns versetzen
könnten, dann würden wir das erst in uns Gefundene
in den Dingen ebenso finden, ja, auf uns zurückschauend,
es wiederfinden, wie wir das als Raum in uns
Erlebte in der Außenwelt finden und auf uns zurückschauend,
uns selbst diesem Räume angehörend finden.
Wir würden, wie wir die Raumeswelt um uns haben, eine
Welt von ineinanderfließenden Farben und Tönen um
uns haben. Wir würden sprechen von einer objektivierten
farbigen, tönenden Welt, einer flutenden, farbigen,
tönenden Welt, so wie wir von dem Raume um uns
herum sprechen.


Auch „Die Pest“ hat diese Philosophie als Basis, geht jedoch über sie hinaus. Camus führt hier das Element der ständigen Revolte gegen die Sinnlosigkeit der Welt ein, wie sie in seinem Essay „[[Der Mensch in der Revolte]]“ („l’homme révolté“, 1951) später voll entwickelt wird. Insbesondere kommen aber die Werte Solidarität, Freundschaft und Liebe als möglicher Ausweg hinzu, wenn auch die Absurdität nie ganz aufgehoben werden kann.
Das kann der Mensch aber durchaus erreichen, daß
er diese Welt, die sonst für ihn nur vorliegt als die Welt
der Wirkungen, kennenlernt als die Welt seiner eigenen
Bildung. Wie wir unbewußt, einfach aus unserer
menschlichen Natur heraus, uns die Raumesgestalt ausbilden,
um sie dann in der Welt wiederzufinden, indem
wir sie erst metamorphosiert haben, so kann der Mensch
durch gewisse Übung - das muß er jetzt bewußt ausführen
- dazu kommen, aus sich heraus den gesamten
Umfang der Qualitäten enthaltenden Welt zu finden, um
sie dann wiederzufinden in den Dingen, wiederzufinden
zurückschauend auf sich selbst.


An diesem Punkt ist festzuhalten, dass der Begriff „révolte“, welcher im Zusammenhang mit dem Absurden häufig als Lösungsansatz Camus’ genannt wird, nicht unbedingt mit den deutschen Übersetzungen „[[Revolte]], [[Aufstand|Rebellion]] oder [[Revolution]]“ gleichzusetzen ist, unter anderem da sich deren Inhalte ([[Revolution|Umwälzung]], [[Aufstand]] oder „Umkehrung“) außerhalb des Humanismus bewegen. Vielmehr bedeutete seine révolte, „zum Unabwendbaren ja zu sagen“ und „den uneingeschränkten Respekt vor dem anderen“ vorauszusetzen, mag er auch geächtet oder wegen einer verachtungswürdigen Tat verurteilt worden sein wie der Gefangene in seiner Erzählung „Der Gast“. Aus diesem Grund ist die révolte für Camus nicht von der Solidarität zu trennen.
Was ich Ihnen hier schildere, das ist das Aufsteigen zu
der sogenannten imaginativen Anschauung.|82|58f}}


== Inhalt und Aufbau ==
== Schriften ==
;Bücher


=== Inhalt ===
* ''Purple Haze. The Puzzle of Consciousness''. Oxford University Press 2001, ISBN 978-0195173086
Camus schildert den Verlauf der [[Pest]]seuche in der Stadt [[Oran]] an der algerischen Küste aus Sicht der Hauptfigur Dr. Bernard Rieux, der sich jedoch erst am Ende des Romans als „Verfasser der Chronik“ zu erkennen gibt. Die Geschichte beginnt im Jahre „194…“. Einige tote Ratten und ein paar harmlose Fälle einer unbekannten Krankheit sind die Anfänge einer schrecklichen Pestepidemie, welche die ganze Stadt in den [[Ausnahmezustand]] bringt, sie von der Außenwelt abschottet und mehrere tausend Todesopfer fordert. Die Pest bedroht das menschliche Dasein der Bevölkerung und wird somit zu ihrem gemeinsamen Gegner. Jeder nimmt diesen schier ausweglosen Kampf gegen den [[Schwarzer Tod|Schwarzen Tod]] auf seine Weise auf. Rieux kämpft als Arzt gleich dem [[Sisyphos]] gegen die Krankheit an und gerät unter anderem mit dem Pater Paneloux, welcher die Pest als Strafe Gottes zur Züchtigung des Menschen deutet, in einen Disput.


Das Absurde bleibt jedoch stetiger Begleiter. Unschuldige Kinder sterben genauso wie Menschen, die es verdient hätten, obwohl sich insgesamt das Prinzip erkennen lässt, dass die Pest nur Menschen ohne Solidarität tötet.
;Publikationen


=== Aufbau ===
* ''Materialism and Qualia: The Explanatory Gap''. In: ''Pacific Philosophical Quarterly''. Band 64, Nr. 4, Oktober 1983, S. 354–361 [http://course.sdu.edu.cn/G2S/eWebEditor/uploadfile/20140227112822014.pdf pdf]
Im Aufbau seines Romans hat sich Albert Camus stark am Schema des [[Klassisches Drama|klassischen Dramas]] orientiert. Die Entwicklung der Seuche geht gleichzeitig mit der Temperatur der Jahreszeiten (Hitze) einher. Vergleiche dazu die Tabelle:
* ''On Leaving Out What It's Like''. In: G. Humphreys und M. Davies (Hrsg.): ''Consciousness. Psychological and Philosophical Essays''. Basil Blackwell, Oxford 1993, S. 121–136. Nachdruck in: [[Wikipedia:Ned Block|N.J. Block]], O. Flanagan, and G. Güzeledere (Hrsg.): ''The Nature of Consciousness. Philosophical Debates''. MIT Press, Cambridge, Massachusetts 1997.
:{|
* ''Collective Responsibility and the Individual'', Essays in Philosophy. Vol. 10, no. 2, June 2009.
| 1. Frühling || I. Akt: [[Exposition (Literatur)|Exposition]] → Rieux findet Ratte, Pest beginnt
* ''Demonstrative Thought''. Mind and Language, Vol. 25, no. 2, 2010, pp. 169-195.
|-
* ''The Q Factor: Modal Rationalism vs. Modal Autonomism''. The Philosophical Review, Vol. 119, no. 3, 2010, pp. 365-380.
| 2. Sommer || II. Akt: [[Regeldrama#Akteinteilung|Steigerung]] → Pest wird stärker
* ''Phenomenal Experience: A Cartesian Theater Revival''. Philosophical Issues, 20, Philosophy of Mind, 2010.
|-
* ''On the Phenomenology of Thought''. In Bayne, T. & Montague, M. eds., Cognitive Phenomenology, Oxford University Press, 2011.
| 3. Spätsommer || III. Akt: [[Höhepunkt (Dramaturgie)|Höhepunkt]] → Pest erreicht ihren Höhepunkt
|-
| 4. Herbst || IV Akt: [[Retardierendes Moment]] → Personen sterben bzw. abfallende Handlung → Pest „fällt ab“
|-
| 5. Winter || V. Akt: Auflösung/[[Katastrophe]] → zurück zur Normalität
|}


=== Personenkonstellationen: PEST → Absurdität ===
== Siehe auch ==


Wie im klassischen Drama üblich stellt Camus bereits im ersten Kapitel die wichtigsten Romanfiguren vor. Die Figuren sind im Einzelnen:
* {{WikipediaDE|Joseph Levine}}
* Rieux: Arzt, der die [[Nächstenliebe]] und [[Zivilcourage]] verkörpert. Er ist [[Atheismus|Atheist]].
* Grand: kleiner Rathausangestellter, der einen Roman schreiben will, jedoch nie über den ersten Satz hinauskommt.
* Paneloux: [[Jesuit]]<nowiki/>enpater, der die Pest als ''Strafe Gottes'' ansieht und dessen Predigten eine bedeutende Rolle für einen Großteil der Bevölkerung spielen.
* Tarrou: junger Mann und Nachbar Rieux’. Er ist politisch engagiert und gründet eine Schutzgruppe.
* Rambert: Journalist, der nach Algerien kam, um einen Artikel über die „[[Algerischer Unabhängigkeitskrieg|arabische Frage]]“ zu schreiben, es aber nie tut.
* Cottard: Rentner, der einen Selbstmordversuch begeht und aufgehört hat, am Leben teilzunehmen. Als Verurteilter und [[Schmuggel|Schmuggler]] profitiert er von der Pest, die ihn auch zurück ins Leben und die Gesellschaft bringt.
* Othon: Richter. Er und sein Sohn sterben im abklingenden Zeitraum an der Pest.
* Castel: Professor, der ein [[Immunserum|Serum]] gegen die Pest entwickelt.
* Der alte Spanier: Erbsen zählender [[Asthma]]tiker und Patient Rieux’.
* Einige Schmuggler und [[Menschenhändler|Menschenschieber]]: Raoul, Garcias.


In vielen Charakteren finden sich Verbindungen zu Camus’ eigener Biographie, angefangen bei Grands Schreibblockaden für seinen Roman, über das politische Engagement Tarrous, bis hin zu Rieuxs räumlicher Trennung von seiner Frau (wie Camus von Francine getrennt war) und den alle betreffenden Belagerungszustand durch die Pest, in Camus' Leben durch den Krieg, sowie natürlich seine ihn lebenslang beeinträchtigende Krankheit, die [[Tuberkulose]].
== Literatur ==
 
{| border="1"
!Charakter:
!Gestorben/überlebt:
!An der Pest erkrankt:
!→ Verbindung zu Camus Biographie
|-
!Rieux
|überlebt
|nein
|Enges Verhältnis zur Mutter, politisches Engagement; [[Kabylei]], lange zeitliche Trennung von seiner Frau
|-
!Tarrou
|gestorben
|ja
|Vater, politisches Engagement; [[Kabylei]]
|-
!Rambert
|überlebt
|nein
|Journalistenberuf; Exilzeit
|-
!Grand
|überlebt
|ja
|Schreibblockade
|-
!Cottard
|verrückt geworden
|nein
|Verbindung zu „[[Sisyphos]]“ ([[Selbstmordversuch]] als Absurdität)
|-
!Paneloux
|gestorben
|ja
|Der Atheist Camus bringt anhand der Figur des Jesuitenpaters seine ablehnende Haltung gegenüber der Religion zum Ausdruck.
|-
|}
 
=== Gruppierung in vier Phasen ===
 
Camus teilt in „Die Pest“ die Menschen in vier Gruppen ein. Zunächst verfolgt er, ähnlich wie in seiner ersten Werkstufe erstellten Gruppierung, drei Hauptgruppen: die der unwissenden Personen, jene, welche um [[Absurdität]] und [[Revolte]] wissen und diejenigen, welche die Phase der Revolte überwunden haben und solidarisch handeln. Schließlich krönt er die drei ersten Phasen durch die vierte, die der universalen [[Liebe]].
 
{| border="1"
! width="10%" | Phase 4
! width="10%" | -
! width="40%" | Universale Liebe : Rieux
|-
! Phase 3
!-
! Haben Phase der Revolte überwunden u. sind solidarisch:
Grand, Rambert, Castel
|-
!Phase 2
|style="text-align:center" |Tod
!Wissen um Absurdität und Revolte: Tarrou, Cottard
|-
!Phase 1
|style="text-align:center" |Tod
!Unwissende Personen
|}
 
Wenn man das oben aufgeführte Schaubild betrachtet, ist auffällig, dass nur Personen, welche die Phase 3 erreicht haben, also [[Solidarität|solidarisch]] handeln, überleben.
 
Das Prinzip der Pesterkrankung, lässt sich am Unterschied zwischen Rambert und Grand beim Betrachten von Schaubild 2 verdeutlichen. Beide überleben, da sie früh [[Solidarität]] gezeigt haben (- dritte Phase). Grand erkrankt jedoch an der Pest, wohingegen Rambert verschont bleibt. Der Journalist besitzt die Liebe zu seiner Frau und nimmt gleichzeitig den Kampf gegen die Pest auf, um ebendiese Liebe zu erhalten. Zunächst sagt er: „Ich habe genug von den Leuten, die für eine Idee sterben, mich interessiert nur noch, von dem zu leben und an dem zu sterben, was ich liebe“, und schließlich wird er vom [[Egoismus|Egoisten]] zum [[Altruismus|Altruisten]] bekehrt und tritt dem Hilfstrupp bei. Darum bleibt er gesund.
 
=== Das Erreichen von Phase 4 ===
Es gibt unterschiedliche Arten gegen die Pest zu kämpfen: Mit [[physik]]alischen Mitteln eines Mediziners oder mit [[metaphysisch]]en Mitteln, wie im Roman der [[Jesuit]]enpater Paneloux. Doch nur Rieux erreicht die vierte Phase.
 
Gegen Ende der Pestepidemie herrscht für Rieux eine „endgültige Niederlage, die die Kriege beendet und noch aus dem Frieden ein unheilbares Leiden macht. … er glaubte zu wissen, … daß für ihn selbst ein Friede niemals mehr möglich sein werde, so wie es für die Mutter, die ihren Sohn verloren hat, oder für den Mann, der seinen Freund begräbt, keinen Waffenstillstand gibt.“ (S. 343) Man möchte meinen, diese Einstellung sei mit einer [[Resignation]] (Phase 2) gleichzusetzen. Doch Dr. Bernard Rieux bediente sich nicht nur in seinem Kampf als Arzt der [[Revolte]] (nicht dt. [[Revolution]]), sondern indem sich die Figur am Ende als „Verfasser [dieser Chronik] … in der Rolle des sachlichen Zeugen bekennt“, erreicht er die höchste Phase – die universale Liebe. Um spätere Generationen vor dem Schlaf des Vergessens zu bewahren, hat Rieux die Aufzeichnungen gemacht. Er weiß, „daß der Pestbazillus niemals ausstirbt oder verschwindet … und daß vielleicht der Tag kommen wird, an dem die Pest zum Unglück und zur Belehrung der Menschen ihre Ratten wecken und erneut aussenden wird, damit sie in einer glücklichen Stadt sterben“ (S. 366), und steht damit auf höchster Stufe.


== Historischer Kontext ==
* Rudolf Steiner: ''Damit der Mensch ganz Mensch werde'', [[GA 82]] (1994), ISBN 3-7274-0820-0 {{Vorträge|082}}
* Rudolf Steiner: ''Der Entstehungsmoment der Naturwissenschaft in der Weltgeschichte und ihre seitherige Entwickelung'', [[GA 326]] (1977), ISBN 3-7274-3260-8 {{Vorträge|326}}


=== „Résistance-Interpretation“ ===
== Weblinks ==
Obwohl „Die Pest“ ein [[metaphysisch]]er Roman ist, in dem die Seuche das Böse symbolisiert, das jeder Mensch in sich trägt, ist eine Anspielung auf den [[Zweiter Weltkrieg|Zweiten Weltkrieg]] und das besetzte Frankreich unverkennbar. Da die [[Zeitgenosse|zeitgenössischen]] Leser genau das durchlebt hatten, was Albert Camus in seinem Roman am Bild von [[Oran]] beschreibt, war für sie dieser Aspekt sofort einleuchtend.
* [http://www.umass.edu/philosophy/member/joseph-levine Homepage von Joseph Levine] - [[Wikipedia:University of Massachusetts Amherst|University of Massachusetts Amherst]]
 
Bereits das im Roman vorangestellte Zitat von [[Daniel Defoe]]: „Es ist ebenso vernünftig, eine Art Gefangenschaft durch eine andere darzustellen, wie irgend etwas wirklich Vorhandenes durch etwas, das es nicht gibt.“ weist auf den [[Allegorie|allegorischen]] Charakter des Werkes hin.
 
Im ersten Satz: „Die seltsamen Ereignisse, denen diese Chronik gewidmet ist, haben sich 194… in Oran abgespielt.“ verwendet Camus eine ungenaue Zeitangabe, was einerseits auf die Zeitlosigkeit seiner Thematik hinweist, welche aussagt, dass die Pest/der Krieg zu jedem Zeitpunkt zurückkehren könnten. Andererseits ist „194…“ als eindeutige [[Anspielung]] auf die Kriegsjahre und die [[Okkupation]] zu verstehen. Sei es 1940, das Jahr, in dem Frankreich von den Deutschen besetzt wird und Albert Camus drei Monate in der Stadt Oran verbringt oder 1943, in dem die „Sperrstundenherrschaft“ sogar Paris ergriffen hat. Diese Daten deuten auf eine „Résistance-Interpretation“ beziehungsweise auf eine Betrachtungsweise, welche die Krankheit [[Pest]] nicht nur mit Krieg, sondern auch mit [[Totalitarismus]], [[Nazismus]], [[Faschismus]] und teilweise gar [[Kommunismus]] gleichsetzt.
 
Camus hatte 1942 in [[Le Chambon-sur-Lignon]] verbracht, einen Ort, der später dadurch weltweit bekannt wurde, dass seine Bewohner Tausende von Flüchtlingen vor den Nazis und den verbündeten [[Vichy-Regime|Vichy-Beamten]] versteckt haben und dadurch vielen das Leben retten konnten.
 
=== Symbole für den Krieg ===
 
„Die Pest“ enthält eine Reihe von [[Symbol]]en für den Krieg, welche sich sowohl auf einzelne Begriffe als auch auf ganze Situationsbeschreibungen beziehen. Die folgenden Textbeispiele sind aus der Karl Rauch Verlag-Ausgabe von 1958 gewählt:
Zu Beginn der Pestepidemie, kaum ist die Seuche beim Namen genannt, vergleicht Rieux Pest und Krieg miteinander und setzt die beiden Begriffe sogar gleich: „Es hat auf der Erde ebenso viele Pestseuchen gegeben wie Kriege. Und doch finden Pest und Krieg die Menschen immer gleich wehrlos.“ (S. 46). Daraufhin verurteilt er den Krieg als unsinnig, was als Anspielung auf den „Komischen Krieg“, den „[[Sitzkrieg|Drôle de guerre]]“ (dt. [[Sitzkrieg]]), zu verstehen ist. „Wenn ein Krieg ausbricht, sagen die Leute: ‚Es kann nicht lange dauern, es ist zu unsinnig.‘ Und ohne Zweifel ist ein Krieg wirklich zu unsinnig, aber das hindert ihn nicht daran, lang zu dauern. Dummheit ist immer beharrlich.“ (S. 46) Die Absurdität des Krieges wird mit diesem Gegensatz thematisiert. Der nachgestellte Satz könnte sich sowohl auf die Dummheit [[Nazideutschland]]s als auch auf die beharrliche Dummheit aller Kriegsführer beziehen. In jedem Fall sind die anfänglichen Zitate im Roman als deutliche Hinweise auf eine kriegsbezogene Interpretation zu begreifen.
 
Des Weiteren sind zahllose knappe Textbeispiele zu finden, bei deren Wortwahl der Leser unweigerlich an Krieg erinnert wird. Die Stichwörter beschreiben doppeldeutige Situationen, in denen Krieg und Pest beliebig austauschbar sind: Rationierung, Sperrstunde, [[Ausnahmezustand]], Patrouillen … usw. (S. 211) oder „Kanonendonner“ (S. 354) sind nur einige Beispiele.
 
Vor allem jedoch wird von „Trennung und Verbannung“ (S. 197), von den langen „… Stunden des Gefangenseins“ (S. 143) – dem „[[Belagerungszustand]]“ (S. 200) gesprochen, in welchem jeder zeigen kann, was für ein Mensch er in Wirklichkeit ist. Die Situation der hilflosen Bevölkerung in einem von der Welt abgeschnittenen Ort, in der jeder auf seine Art und Weise gegen die Pest ankämpft oder sie einfach nur erträgt wird deutlich: „… nicht die Nacht des Kampfes, sondern des Schweigens … [die Ruhe folgt] der Pest dem Angriff auf die Tore“ (S. 342).
 
== Schlussfolgerung ==
 
Letztendlich ist „Die Pest“ ein Roman über den Krieg, nicht etwa über kriegerische Handlungen an der [[Kriegsfront|Front]], „sondern über das Alltagsleben im [[Belagerungszustand]], über das Leben hinter dem Stacheldraht“. [[Gabriel García Marquez]] schreibt, Albert Camus irre sich nicht – das Dramatische seien nicht die mit Leichen voll gestopften Straßenbahnen, sondern die sich quälenden Lebenden, welche die Blumen niederlegen müssen; zwar habe Camus „die Pest nicht erlebt, aber er dürfte Blut und Wasser geschwitzt haben in jenen schrecklichen Nächten der Okkupation, in denen er in seinem Versteck in Paris geheime Leitartikel verfasste, während draußen die Schüsse der Nazis auf der Jagd nach Widerstandskämpfern zu hören waren“.
 
„Die Pest“ ist als [[Parabel (Sprache)|Parabel]] der [[Résistance]] ein [[Plädoyer]] für die [[Solidarität]] der Menschen im Kampf gegen Tod und Tyrannei.
 
Da die Absurdität niemals aufgehoben werden kann, werden die Pest, das Absurde (und damit der Krieg) im Roman als unabänderliche Schicksalsmächte angesehen. Diesbezüglich wurde oft auf die Gefahr hingewiesen, den Totalitarismus nicht als „biologische Tatsache“ zu verharmlosen. An dieser Stelle ist hervorzuheben, dass [[Albert Camus]], der zeit seines Lebens besonders auf politischer Ebene gegen alle Formen der Unterdrückung gekämpft hat, nicht zum Wortführer von Fremdenfeindlichkeitsproblematiken werden wollte. Die zwei unterschiedlichen Haltungen: „die Verteidigung von Menschen“ und „die Einwilligung in die Vernichtung von Menschen im Namen eines ideologischen Prinzips“ legt er in einem späteren Vorwort zu den Briefen (Lettre á un ami allemand/ Briefe an einen deutschen Freund) nicht nach nationalen Kriterien fest.
 
{{Zitat|Ich stelle zwei Haltungen einander gegenüber, nicht zwei Völker […]. Wenn der Verfasser dieser Briefe ‚ihr‘ sagt, meint er nicht ‚ihr Deutschen‘, sondern ‚ihr Nazi‘. Wenn er ‚wir‘ sagt, heißt das nicht immer ‚wir Franzosen‘, sondern ‚wir freien Europäer‘.|Albert Camus|Briefe an einen Deutschen Freund}}
 
[[Wikipedia:Solidarität|Solidarität]], Zusammenarbeit und eigenständiges Handeln (unabhängig von Religion) werden in Camus Philosophie als höchste menschliche Werte gesehen.
 
== Siehe auch ==
* {{WikipediaDE|Die Pest}}
 
== Literatur ==
;Primär
* ''La Peste.'' Librairie Éditions Gallimard, Paris 1947.
** Albert Camus: ''Die Pest.'' Übers. Guido G. Meister. Karl Rauch, Bad Salzig 1949.
** Übers. Uli Aumüller, rororo, Reinbek 1998, ISBN 978-3-499-22500-0.


;Sekundär
== Einzelnachweise ==
* Klaus Bahners: ''Albert Camus, Die Pest. Darstellung und Interpretationen.'' Joachim Beyer, Hollfeld 2000.
* Frauke Frausing-Vosshage: ''Albert Camus, Die Pest.'' Königs Erläuterungen und Materialien, 165. C. Bange Verlag, Hollfeld 2004, ISBN 978-3-8044-1799-1 Auch als E-Book, PDF beim Verlag (Vorgänger: Edgar Neis, ''Erläuterungen zu Albert Camus' Die Pest, Der Mythos von Sisyphos, Der Mensch in der Revolte.'' 5. neub. erw. Aufl. 1977, zuletzt 1996, ebd., ISBN 3-8044-0202-X).
* Bernd Lutz, Hrsg.: ''Metzler Philosophen Lexikon. Dreihundert biographisch-werkgeschichtliche Porträts von den Vorsokratikern bis zu den Neuen Philosophen.'' J. B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung, Stuttgart 1989.
* Stefan Neuhaus: ''Grundriss der Literaturwissenschaft.'' 2. üb. Auflage, A. Francke Verlag, Tübingen 2005.
* Knut Nievers: Art. ''La Peste,'' in Kindlers Neues Literaturlexikon, München 1996 ISBN 3463432005. Reprint Komet, 2001, ISBN 3-89836-214-0. Auf CD-Rom: United Soft Media, ISBN 3-634-99900-4.
* Emmett Parker: ''Albert Camus. The Artist in the Arena.'' University of Wisconsin Press. Madison, Milwaukee & London 1966.
* Brigitte Sändig: ''Albert Camus.'' Rowohlt, Reinbek 1995.
* Marie-Laure Wieacker-Wolff: ''Albert Camus.'' Reihe: dtv portrait. Deutscher Taschenbuchverlag, München 2003, ISBN 3-423-31070-7 (Biografie).
* Olivier Todd: ''Albert Camus. Une vie.'' Reihe NRF Biographies. Gallimard, Paris 1996.
** deutsch: ''Albert Camus. Ein Leben.'' Rowohlt, Reinbek 1999, ISBN 3-498-06516-5 (als TB ebd. 2001, ISBN 3-499-22919-6).


{{Normdaten|TYP=w|GND=4131560-1|VIAF=185447266}}
<references />


{{SORTIERUNG:Pest #Die}}
{{Normdaten|TYP=p|GND=|LCCN=n/99/285670|VIAF=61726640}}
[[Kategorie:Literarisches Werk von Camus]]
[[Kategorie:Literarisches Werk]]
[[Kategorie:Episches Werk]]
[[Kategorie:Albert Camus]]


{{Wikipedia}}
{{SORTIERUNG:Levine, Joseph}}
[[Kategorie:Philosoph]]
[[Kategorie:Vertreter der Philosophie des Geistes]]
[[Kategorie:US-Amerikaner]]
[[Kategorie:Geboren 1952]]
[[Kategorie:Mann]]

Version vom 5. Juli 2018, 13:20 Uhr

Joseph Levine (* 17. Januar 1952) ist ein US-amerikanischer Philosoph der vor allem im Fachbereich der Philosophie des Geistes tätig ist.

Leben

Levine studierte Philosophie an der University of California, Los Angeles, wo er 1975 seinen Bachelor of Arts erhielt. Sein weiteres Studium an der Harvard University schloss er 1981 mit dem Ph.D. ab. Danach war er an verschiedenen amerikanischen Universitäten tätig. Seit 2006 lehrt Levine Philosophie an der University of Massachusetts Amherst.

Erklärungslücke

Hauptartikel: Erklärungslücke

Bekannt wurde Levine vor allem für sein 1983 formuliertes Argument der Erklärungslücke (eng. explanatory gap), die zwischen dem bewussten Erleben der sog. Qualia und der materiellen Grundlage des Bewusstseins bestehe.

Levine argumentiert auf materialistischer Grundlage. Angenommen es gibt eine innere Verbindung zwischen dem Feuern von C-Fasern, die für die Schmerzempfindung zuständig sind, und dem subjektiven Erlebnis des Schmerzes. Nun sei aber theoretisch auch ein physisch oder funktional ganz anders als der Mensch gebautes Lebewesen denkbar. Faktisch mag es wahr wahr oder falsch sein, dass auch dieses Lebewesen ein subjektives Schmerzempfinden hat. Erkenntnistheoretisch kann das aber aufgrund der Erklärungslücke nicht abgeklärt werden. Solange die Erklärungslücke nicht geschlossen werden kann, wird folglich das Leib-Seele-Problem weiter bestehen.

Kritisiert wurden Levines Argumente u.a. von dem englischen Philosophen David Papineau (* 1947), der sich als Naturalist versteht und von der vollkommenen Identität der objektiven neuronalen Zustände und der subjektiv erlebten Qualia ausgeht; daher gäbe es hier gar nichts zu erklären und folglich auch keine Erklärungslücke.

Der australische Philosoph David Chalmers sieht hingegen in der Erklärungslücke eine Bestätigung dafür, dass eine rein materialistische Erklärung des Bewusstseins scheitern muss und schlägt daher einen Eigenschaftsdualismus vor. Demnach gebe es zwar nur eine einheitliche Grundsubstanz der Welt (Substanzmonismus), doch diese habe nicht nur materielle, sondern auch nicht-materielle mentale Eigenschaften.

Letztlich beruht das ganze Problem auf der von John Locke (1632-1704) propagierten Unterscheidung primärer und sekundärer Sinnesqualitäten, von denen nur ersteren eine äußerlich objektive Realität entspräche. Rudolf Steiner hat darauf hingewiesen, dass aber gerade die primären Qualitäten innerlich erlebt werden, indem wir uns etwa durch den Gleichgewichtssinn und den Eigenbewegungssinn in der raumzeitlichen Welt orientieren. Die sekundären Qualitäten (Farben, Töne usw.) erleben wir hingegen in der Außenwelt. Durch unsere Sinne erleben wir sie zunächst nur als Bilder; ihre eigentliche Wirklichkeit liegt in der seelisch-geistigen Außenwelt.

„Mit Bezug auf die Sinneswahrnehmungen ist man aber in eine wahre wissenschaftliche Verwirrung gekommen. Die Menschen meinen vielfach - die Physiologen haben sich in dieser Beziehung sogar den Erkenntnistheoretikern und Philosophen im 19. Jahrhundert angeschlossen -, wenn wir zum Beispiel Rot sehen, so ist der äußere Vorgang irgendein Schwingungsvorgang, der sich fortpflanzt bis zu unserem Sehorgan, bis zum Gehirn. Dann wird ausgelöst das eigentliche Rot-Erlebnis. Oder es wird durch den äußeren Schwingungsvorgang ausgelöst der Ton Cis auf dieselbe Weise. Hier ist man in Verwirrung geraten, weil man dasjenige, was in uns, in unserer Körperbegrenzung lebt, gar nicht mehr von dem Äußeren unterscheiden kann. Hier spricht man durchaus davon, daß alle Sinnesqualitäten, Farben, Töne, Wärmequalitäten, eigentlich nur subjektiv seien; daß das äußere Objektive etwas ganz anderes sei.

Wenn wir nun geradeso, wie wir die drei Raumesdimensionen zunächst aus uns heraus bilden, um sie an und in den Dingen wieder zu finden, wenn wir ebenso dasjenige, was in uns sonst als Sinnesempfindung auftritt, aus uns selbst schöpfen und dann außer uns versetzen könnten, dann würden wir das erst in uns Gefundene in den Dingen ebenso finden, ja, auf uns zurückschauend, es wiederfinden, wie wir das als Raum in uns Erlebte in der Außenwelt finden und auf uns zurückschauend, uns selbst diesem Räume angehörend finden. Wir würden, wie wir die Raumeswelt um uns haben, eine Welt von ineinanderfließenden Farben und Tönen um uns haben. Wir würden sprechen von einer objektivierten farbigen, tönenden Welt, einer flutenden, farbigen, tönenden Welt, so wie wir von dem Raume um uns herum sprechen.

Das kann der Mensch aber durchaus erreichen, daß er diese Welt, die sonst für ihn nur vorliegt als die Welt der Wirkungen, kennenlernt als die Welt seiner eigenen Bildung. Wie wir unbewußt, einfach aus unserer menschlichen Natur heraus, uns die Raumesgestalt ausbilden, um sie dann in der Welt wiederzufinden, indem wir sie erst metamorphosiert haben, so kann der Mensch durch gewisse Übung - das muß er jetzt bewußt ausführen - dazu kommen, aus sich heraus den gesamten Umfang der Qualitäten enthaltenden Welt zu finden, um sie dann wiederzufinden in den Dingen, wiederzufinden zurückschauend auf sich selbst.

Was ich Ihnen hier schildere, das ist das Aufsteigen zu der sogenannten imaginativen Anschauung.“ (Lit.:GA 82, S. 58f)

Schriften

Bücher
Publikationen
  • Materialism and Qualia: The Explanatory Gap. In: Pacific Philosophical Quarterly. Band 64, Nr. 4, Oktober 1983, S. 354–361 pdf
  • On Leaving Out What It's Like. In: G. Humphreys und M. Davies (Hrsg.): Consciousness. Psychological and Philosophical Essays. Basil Blackwell, Oxford 1993, S. 121–136. Nachdruck in: N.J. Block, O. Flanagan, and G. Güzeledere (Hrsg.): The Nature of Consciousness. Philosophical Debates. MIT Press, Cambridge, Massachusetts 1997.
  • Collective Responsibility and the Individual, Essays in Philosophy. Vol. 10, no. 2, June 2009.
  • Demonstrative Thought. Mind and Language, Vol. 25, no. 2, 2010, pp. 169-195.
  • The Q Factor: Modal Rationalism vs. Modal Autonomism. The Philosophical Review, Vol. 119, no. 3, 2010, pp. 365-380.
  • Phenomenal Experience: A Cartesian Theater Revival. Philosophical Issues, 20, Philosophy of Mind, 2010.
  • On the Phenomenology of Thought. In Bayne, T. & Montague, M. eds., Cognitive Phenomenology, Oxford University Press, 2011.

Siehe auch

Literatur

Weblinks

Einzelnachweise