Sefer Jetzira und Auge: Unterschied zwischen den Seiten

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[[Datei:Yetzirah wheel bw.png|thumb|Jetzira - die ''Welt der Formgebung'', wie sie im [[Sefer Jetzira]] beschrieben wird.]]
[[Datei:Eye iris.jpg|thumb|200px|Das menschliche Auge]]
Das '''Sefer Jetzira''' ([[Hebräische Sprache|hebr.]]: &#1505;&#1508;&#1512; &#1497;&#1510;&#1497;&#1512;&#1492;, ''„Buch der Formgebung“''; auch übersetzt als ''Buch der Schöpfung''<ref name="Jetzira">Die gelegenlich gebrauchte Übersetzung als ''Buch der Schöpfung'' ist etwas irreführend, denn als [[Welt der Schöpfung]] ([[Hebräische Sprache|hebr.]] עולם בריאה, ''Olam Briah'') wird zu Recht die [[Astralwelt]] bezeichnet, in der sich die Ereignisse abspielen, die im ersten Schöpfungsbericht der [[Wikipedia:Genesis|Genesis]] geschildert werden. Das ''Sefer Jetzira'' bezieht sich hingegen auf Strukturen und Ereignisse in der [[Ätherwelt]].</ref>) gilt als das älteste eigenständig überlieferte Werk der [[Kabbala]]. [[Jetzira]] steht in der [[jüdisch]]en [[Geheimlehre]] für die [[Ätherwelt]]<ref name="Jetzira" />. Das Buch stellt die wesentlichen Elemente der [[Schöpfung]] in ihrer Entstehung ([[Kosmogonie]]) und ihrer Struktur ([[Kosmologie]]) dar. Diese Elemente sind die 10 Urziffern ([[Sephiroth]]) und die 22 Buchstaben des [[Hebräisches Alphabet|hebräischen Alphabets]].  
Das '''Auge''' ([[Latein|lat]]. ''oculus'', [[Wikipedia:Griechische Sprache|griech]]. ὤψ, ''ops'') ist ein [[Sinnesorgan]], das [[Tier]]en und dem [[Mensch]]en die [[visuelle Wahrnehmung]] ermöglicht, an der allerdings noch weitere [[Sinne]] mit beteiligt sind. So werden [[Form]]en erst durch den [[Eigenbewegungssinn]] des [[Wikipedia:Auge|Auge]]s wahrgenommen und durch den [[Gleichgewichtssinn]] auf die [[Wikipedia:Lotrichtung|Lotrechte]] bezogen und erst die koordinierte Bewegung beider Augen ermöglicht das [[Raum|räumliche]], [[Wikipedia:Stereoskopisches Sehen|steroskopische Sehen]].  


== Entstehung und Geschichte ==
== Auge und Licht ==


Nach [[Judentum|jüdischer]] [[Wikipedia:mündliche Überlieferung|mündlicher Tradition]] gilt als Autor des Werks der biblische [[Abraham]], der es bei seiner [[Einweihung]] durch [[Melchisedek]] empfangen habe<ref>{{Literatur
[[Datei:Eye scheme mulitlingual.svg|mini|350px|Schematische Darstellung des [[Wikipedia:Wirbeltierauge|Wirbeltierauge]]s:<br />
|Autor = Heinrich E. Benedikt
1. Lederhaut (Sclera)<br />
|Titel = Die Kabbala als jüdisch-christlicher Einweihungsweg
2. Aderhaut (''Choroidea'')<br />
|Band = Bd. 1.
3. Schlemm-Kanal (''Sinus venosus sclerae'')<br />
|Auflage = 3.
4. Arterieller Gefäßring (''Circulus arteriosus iridis major'')<br />
|Verlag = Hermann Bauer
5. Hornhaut (''Cornea'')<br />
|Jahr = 1991
6. Regenbogenhaut (''Iris'')<br />
|Seiten = 24
7. Pupille (''Pupilla'')<br />
|ISBN = 3-7626-0279-4
8. vordere Augenkammer (''Camera anterior bulbi'')<br />
}}</ref>. Der Text selbst nennt keinen Verfasser, erwähnt jedoch Abraham als den ersten, der die beschriebenen Wege der Weisheit gegangen ist, worauf sich die Annahme seiner Autorschaft stützt. Im letzten Absatz des ''Sefer Jetzira'' heißt es<ref>http://www.hermetik.ch/ath-ha-nour/site/kabbalajetzirah6.htm</ref>:
9. hintere Augenkammer (''Camera posterior bulbi'')<br />
10. Ziliarkörper (''Corpus ciliare'')<br />
11. Linse (''Lens'')<br />
12. Glaskörper (''Corpus vitreum'')<br />
'''13. Netzhaut (''Retina'')''' und Pigmentepithel<br />
14. Sehnerv (''Nervus opticus'')<br />
15. Zonulafasern (''Fibrae zonulares'')]]


{{Zitat|Und als Abraham gekommen war, unser Vater, Friede sei mit ihm, da schaute er, betrachtete, forschte und verstand dies, er hieb und zeichnete, bis er es erlangt hatte, dann offenbarte sich ihm der Herr des Alls, gesegnet sei sein Name, es setzte ihn auf seinen Schoss und küsste ihn auf das Haupt und nannte ihn  Abraham, seinen Freund. Er schloss ein Bündnis mit ihm und seinen Kindern, (denn so heisst es:) er glaubte an [[JHVH]], dies wurde ihm zur Gerechtigkeit angerechnet. Er setzte das Bündniszeichen zwischen die zehn Finger seiner Hände, dies ist die Zunge ({{HeS|לָשׁוֹן}}, ''laschon'', bedeutet auch: ''Sprache''), und zwischen die zehn Zehen seiner Füsse, dies ist die Beschneidung ({{HeS|מִלָּה}}, ''mila'', bedeutet auch: ''Wort'').<br><br>
Das Auge, so war schon [[Goethe]] mit Recht überzeugt, wurde durch das [[Licht]] und für das Licht durch die Natur geschaffen, und es ist daher das präziseste Instrument, um ''Hell'' und ''Dunkel'' und die Welt der [[Farben]]erscheinungen kennen zu lernen:  
Er band ihm die zweiundzwanzig Buchstaben der Torah an die Zunge und der Heilige, gesegnet sei er, offenbarte ihm ihre Geheimnisse: Und er machte sie zur Zugkraft des Wassers, zum Brennen des Feuers und zum Rauschen des Windes, er machte sie zur Leuchtkraft der sieben Sterne und zur Führungskraft der zwölf Sternbilder.|Sefer Jetzira 6}}
 
Die Autorschaft Abrahams ist wohl nich wörtlich in dem Sinn zu nehmen, als hätte er unmittelbar den überlieferten Text verfasst, aber richtig ist, dass die Lehren der [[Kabbala]] ganz aus dem Geist des abrahamitischen Zeitalters entspringen. [[Abraham]] war der erste, dessen [[physisch]]es [[Gehirn]] so beschaffen war, dass er das, was ehemals durch das ursprüngliche [[Hellsehen]] erlebt wurde, nun in klare [[Gedanke|gedankliche]] [[Begriff]]e fassen konnte. Dazu gehört vor allem auch die [[Erkenntnis]] von dem [[Wesen]] der [[Zahlen]] und ihrem gesetzmäßigen Zusammenwirken. Der Überlieferung nach gilt Abraham daher auch als "Erfinder" des [[Wikipedia:Zählen|Zählen]]s und [[Wikipedia:Rechnen|Rechnen]]s, der [[Wikipedia:Arithmetik|Arithmetik]] überhaupt. Heute, wo wir mit dem Ablauf des [[Kali Yuga]]s bzw. mit dem Beginn des dritten Jahrtausends gleichsam in das umgekehrte abrahamitische Zeitalter einlaufen, stehen wir vor der gegenteiligen Aufgabe: Wir müssen aus den klar gefassten [[spirituell]]en, aber an den logischen [[Verstand]] gebundenen Gedanken allmählich wieder die [[Imagination]]en entbinden und so von der [[sinnlich]]en wieder zur direkten geistigen [[Wahrnehmung]] aufsteigen. In diesem Sinne kann heute die [[Kabbala]] in zeitgemäßer Form studiert werden.


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"Wir haben nun gesehen bei meinem letzten Besuche hier, wie das erste Jahrtausend bei seinem Abschlusse eine Art Ersatz brachte für das Hineinschauen in die geistigen Welten, jenen Ersatz, der dadurch dem Menschen gegeben war, daß eine besondere Individualität, Abraham, ausersehen worden ist - die jene Einrichtung im physischen Gehirn besonders hatte -, ohne die alten Fähigkeiten dennoch zu einem Bewußtsein von der geistigen Welt kommen zu können. Deshalb nennen wir den ersten Teil des Kali Yuga in der Geisteswissenschaft vorzugsweise das abrahamitische Zeitalter, jenes Zeitalter, in dem der Mensch zwar den unmittelbaren Ausblick in die höheren geistigen Welten verliert, in dem ihm aber etwas erwächst wie ein Gottesbewußtsein, das nach und nach immer mehr und mehr in sein Ich hereinwächst, so daß er immer mehr und mehr den Gott vorstellt als verwandt mit dem Ich-Bewußtsein, dem menschlichen Ich-Bewußtsein. Wie das Welten-Ich, so erscheint die Gottheit demjenigen Zeitalter, dem ersten Jahrtausend im Kali Yuga, das wir an seinem Abschluß das abrahamitische Zeitalter nennen können.
"Das Auge hat sein Dasein dem Licht zu danken. Aus gleichgültigen tierischen Hilfsorganen ruft sich das Licht ein Organ hervor, das seinesgleichen werde; und so bildet sich das Auge am Lichte fürs Licht, damit das innere Licht dem äußeren entgegentrete.  
Hierbei erinnern wir uns der alten ionischen Schule, welche mit so großer Bedeutsamkeit immer wiederholte: nur von Gleichem werde Gleiches erkannt, wie auch der Worte eines alten Mystikers, die wir in deutschen Reimen folgendermaßen ausdrücken möchten:


[...]
<center><table><tr><td><poem>
Wär' nicht das Auge sonnenhaft,
Wie könnten wir das Licht erblicken?
Lebt' nicht in uns des Gottes eigne Kraft,
Wie könnt' uns Göttliches entzücken?
</poem></td></tr></table></center>


Die Bedeutung des abrahamitischen Zeitalters war, daß sozusagen das alte Hellsehen geschwunden ist, daß dem Menschen ein Gottesbewußtsein gegeben ward, das mit den menschlichen Fähigkeiten eng zusammenhängt. Alles, was die Menschheit aus diesem Gottesbewußtsein, das an das menschliche Gehirn gebunden ist, gewinnen konnte, ist nach und nach ausgeschöpft worden, und nur wenig ist noch auf dem Weg dieser Fähigkeiten für das Gottesbewußtsein der Menschen zu gewinnen, wenig nur noch. Dagegen gehen wir den genau umgekehrten Weg in dem neuen abrahamitischen Zeitalter. Wir gehen den Weg, der die Menschheit wiederum hinausführt aus dem bloß physisch-sinnlichen Anschauen, aus dem Kombinieren der physischsinnlichen Merkmale; wir gehen den Weg, der die Menschen wiederum zurückführt in jene Regionen, in denen sie einmal vor dem abrahamitischen Zeitalter waren. Wir gehen den Weg, der die Menschen wieder eintreten lassen wird in Zustände natürlichen Hellsehens, natürlich hellseherischer Kräfte. In dem Zeitalter Kali Yuga war es ja nur die Einweihung, die hinaufführen konnte in regelrechter Weise in die geistigen Welten. Natürlich führt die Einweihung in hohe Stufen hinauf, die von den Menschen in sehr ferner Zukunft erst erklommen werden können, aber die ersten Spuren eines erneuerten Hellsehens, das auftreten wird wie eine natürliche menschliche Fähigkeit, werden sich verhältnismäßig bald zeigen, je mehr wir in die Erneuerung des abrahamitischen Zeitalters hinübergehen."
Jene unmittelbare Verwandtschaft des Lichtes und des Auges wird niemand leugnen, aber sich beide zugleich als eins und dasselbe zu denken, hat mehr Schwierigkeit. Indessen wird es fasslicher, wenn man behauptet, im Auge wohne ein ruhendes Licht, das bei der mindesten Veranlassung von innen oder von außen erregt werde. Wir können in der Finsternis durch Forderungen der Einbildungskraft uns die hellsten Bilder hervorrufen. Im Traume erscheinen uns die Gegenstände wie am vollen Tage. Im wachenden Zustande wird uns die leiseste äußere Lichteinwirkung bemerkbar, ja wenn das Organ einen mechanischen Anstoß erleidet, so springen Licht und Farben hervor.{{Lit|Goethe: ''Zur Farbenlehre'', Einleitung}}
{{Lit|GA 118, S 110ff}}
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Im ''Pardes Rimmonim'' (1548) vertritt [[Moses Cordovero]] (1522–1570) die Meinung, das ''Sefer Jetzira'' gehe zwar auf Abraham zurück, wäre aber in der  vorliegenden überlieferten Form von [[Wikipedia:Rabbi Akiba|Rabbi Akiba]] redigiert worden<ref>[http://www.maqom.com/journal/paper14.pdf Christopher P. Benton: ''An Introduction to the Sefer Yetzirah'']</ref>.
[[Rudolf Steiner]] hat diese Aussage Goethes noch weiter vertieft:


Die wissenschaftliche Erforschung der Entstehungsgeschichte des ''Sefer Jetzira'' hat zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen geführt. Von einigen Forschern wird das Werk in die [[Wikipedia:Hellenismus|hellenistisch]]-römische Antike eingeordnet. [[Wikipedia:Heinrich Graetz|H. Graetz]] sah darin zunächst eine Antwort auf die [[Gnosis]] und datierte es in das 2. oder 3.&nbsp;Jahrhundert, ebenso wie [[Wikipedia:Gershom Scholem|Gershom Scholem]]. Neuere Forschungen sehen jedoch eine Abhängigkeit von [[Islam|islamischen]] Traditionen und setzen die Entstehung demzufolge erst nach dem 7.&nbsp;Jahrhundert an. Aber auch diesen Theorien ist unter Hinweis auf Parallelen zur Philosophie [[Wikipedia:Philon von Alexandria|Philos von Alexandria]] widersprochen worden, woraus eine Frühdatierung sogar ins 1. Jahrhundert  folgt.<ref> Zur Datierung vgl. K. Herrmann, ''Sefer Jezira'', Seiten 184 bis 204</ref> Abschließende Antworten auf die Frage nach der historischen Einordnung sind nicht möglich, jedoch ist eine Entstehung jedenfalls vor dem 10.&nbsp;Jahrhundert sicher. 
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"Das Auge, das schon
Ab dem 10. Jahrhundert ist das ''Sefer Jetzira'' in der jüdischen Tradition reich kommentiert worden. Dabei stand zunächst der philosophisch-wissenschaftliche Zugang im Vordergrund. Später wurde es vermehrt mystisch-spekulativ interpretiert und so die Bedeutung des Buches für die [[Kabbala]] begründet.   
fertig ist, sieht die Vorderseite des Lichtes, das Physische. Aber das
 
Auge wird von dem Geistigen, von dem Seelischen des Lichtes, von
=== Überlieferte Textfassungen ===
dem, was dahinter liegt, gebildet. So müßte man sagen, wenn man den
Die Textüberlieferung des Werkes ist unübersichtlich. Es existieren handschriftliche Kurz- und Langfassungen, deren Verhältnis zueinander jedoch unklar und umstritten ist. Die Kurzfassung umfasst ungefähr 1300 Worte, die Langfassung etwa das Doppelte. Zur Langfassung gehört vor allem die Handschrift ''Ms. Vatikan 299'' aus dem [[Wikipedia:10. Jahrhundert|10. Jahrhundert]], zur Kurzfassung die Handschrift ''Ms. London 6577'' aus dem 14.&nbsp;Jahrhundert. Dazu kommt eine frühe Textversion aus dem 10. Jahrhundert, die sogenannte ''Sa'adjanische Rezension'', für die der jüdische Gelehrte [[Wikipedia:Saadia Gaon|Saadia Gaon]] († 942) die Langfassung neu arangierete und kommentierte. Im [[Wikipedia:16. Jahrhundert|16. Jahrhundert]] bearbeitete [[Isaak Luria]] den Text, um ihn mit dem [[Sohar]] zu harmonisieren. Die weitere Bearbeitung durch [[Wikipedia:Gaon von Wilna|Gaon von Wilna]] im [[Wikipedia:18. Jahrhundert|18. Jahrhundert]] ist als ''Gra Version'' bekannt geworden.
Goetheschen Satz verstanden hat: Das Auge sieht das Licht, wird aber
 
gebildet durch die Seele, durch den Geist des Lichtes, bevor es hier auf
Der erste Druck − in [[Latein|lateinischer]] Übersetzung − wurde 1552 in [[Wikipedia:Paris|Paris]] gefertigt. Die erste gedruckte hebräische Ausgabe erfolgte 1562 in [[Wikipedia:Mantua|Mantua]]. Es liegen heute verschiedene Ausgaben vor, die teilweise auch implizite kommentierende Texte umfassen.
dieser Erde physische Wesenheit annimmt." {{Lit|{{G|218|319}}}}
 
</div>
== Inhalt ==
Das ''Sefer Jetzira'' hat selbst in den umfangreichsten Fassungen kaum mehr als 2000 Worte. Es stellt '''[[32 Pfade der Weisheit]]''' dar, die sich zusammensetzen aus den 10 [[Sephiroth]] und den 22 [[Hebräisches Alphabet|hebräischen Buchstaben]], die den 22 Pfaden entsprechen, welche die 10 Sephiroth miteinander verbinden.
 
{{Zitat|In zweiunddreißig geheimnisvollen Pfaden der Weisheit zeichnete JAH, JHVH Zabaoth, Gott Israels, lebendiger Elohim, König der Welt, allmächtig, barmherzig und gnädig, hoch und erhaben, waltend in Ewigkeit, heilig ist sein Name, und schuf seine Welt mit drei Sefarim ({{HeS|םפרים}}): Erzählung ({{HeS|סִפּוּר}},''sippur''), Zahl ({{HeS|סִפְרָה}}, ''sefar'', Ziffer) und  Zeichen ({{HeS|סֵפֶר}}, ''sefer''; Buchstabe).|Sefer Jezirah 1,2}}
 
Das sind die Kräfte, die den [[Baum des Lebens]] bilden: der [[Zahlenäther]] und der [[Wortäther|Wort]]- oder [[Lebensäther]]. Die Verfügung über diese [[ätherisch]]en Kräfte wurde dem [[Mensch]]en nach dem [[Sündenfall]] und der Vertreibung aus dem [[Paradies]] entzogen. Bis zum Ende der [[Erdentwicklung]] soll er die Herrschaft darüber mit Hilfe des [[Christus]] neu und [[Bewusstsein|vollbewusst]] wieder gewinnen.
 
{{Zitat|Zehn Zahlen aus dem Nichts und zweiundzwanzig Buchstaben, die Fundamente allen Seins: drei Mütter, sieben Einfache und zwölf Doppelte.|Sefer Jezirah 1,2}}
 
=== [[Sephiroth]] ===


Der Begriff ''[[Sephiroth]]'' (hebr. ספרות, Singular: ''Sephira'' - ספרה) ist eine Neuschöpfung des Buches Jetzira. Er geht auf den hebräischen Verbalstamm s-f-r (ספר, vgl. Sefer Jezirah §&nbsp;1) zurück, der „zählen“, „schreiben“, „erzählen“ und als Nomen auch „Buch“ (''sefer'') bedeuten kann, entlehnt aus [[Wikipedia:Arabisch|arabisch]] ''sifr'' „[[Null]], [[leer]]“, was wiederum lehnübersetzt ist von [[Wikipedia:altindisch|altindisch]] ''[[sunya]]'' „Null, leer“. Meist wird ''Sephira'' als „Zahl“ übersetzt. Es ist [[Wikipedia:Etymologie|etymologisch]] aber auch verwandt mit dem griechischen Wort σφαιρα und wird daher auch als „Sphäre“ oder „Element“ wiedergegeben.<ref>K. Herrmann, ''Sefer Jezira'', Seite 226</ref>
== Das Auge als modifiziertes kleines Gehirn ==


Im ''Sefer Jetzira'' werden die 10 Sephiroth immer mit dem selben stehenden Ausdruck genannt, meist übersetzt als: ''"Zehn Zahlen ohne etwas"'' ({{HeS|עֶשֶׂר ספרות בלימה}}, 'esser sefirot ''belima''). ''Belima'' ({{HeS|בלימה}}) bedeutet wörtlich ''ohne etwas'' bzw. ''Nichts'' und wird mit dem zentralen Begriff der [[Kabbala]], dem [[Ain Soph]] ([[Hebräische Sprache|hebr.]] אין סוף, ''nicht endlich''), in Verbindung gebracht; ''belima'' wäre dann auch zu übersetzten als ''ohne Ende'', oder, wenn man den Ursprung der Sephiroth aus dem ''Unbegrenzten'', aus dem ''Nichts'', betonen will, als: ''aus dem Nichts''.
Steiner hat darüber hinaus deutlich gemacht, dass ''jedes'' Sinnesorgan im Grunde ein modifiziertes kleines [[Gehirn]] ist:
 
Die Zahl [[0]] (okkult gelesen als Ei) bezeichnet die Vollendung und vollständige Vergeistigung eines vorangegangenen Entwicklungszyklus {{Lit|GA 110, S 187}}, aus dem mit der [[10]] (okkult gelesen als [[Eins aus dem Ei]]) die neue [[Schöpfung]] hervorbricht. 10 entspricht auch dem hebräischen Buchstaben [[Jod (Hebräisch)|Jod]] (י), der für das schöpferische göttliche [[Ich]] steht, von dem auch ein Funke im [[Mensch]]en wohnt. Sehr nachdrücklich wird daher im ''Sefer Jetzira'' betont, dass es 10 Sephiroth gibt, nicht mehr und nicht weniger:
 
{{Zitat|Zehn Zahlen aus dem Nichts, zehn und nicht neun, zehn und nicht elf, begreife diese Weisheit, verstehe dieses Wissen, forsche danach und erwäge es, fasse es in Klarheit und folge dem Schöpfer wieder zu seinem Thron.|Sefer Jezirah 1,4}}
 
Das Sefer Jetzira nennt noch keine Namen der Sephiroth, wie sie später im [[Sephiroth|Sephiroth- oder Lebensbaum]] verwendet werden. Die Namen werden den zehn Ziffern erst ab dem 13.&nbsp; Jahrhundert im [[Sohar]] und daran anschließenden kabbalistischen Werken zugeordnet. Ihr Wesen wird aber grundlegend charakterisiert, wenn es heißt:
 
{{Zitat|Zehn Zahlen aus dem Nichts: <br>Eins: Geist des lebendigen Gottes. <br>Zwei: Wind aus dem heiligen Geist. <br>Drei: Wasser aus Wind. <br>Vier: Feuer aus Wasser.<br>Oben,<br>Unten,<br>Osten,<br>Westen,<br>Norden<br>und Süden.|Sefer Jetzira, §11}}
 
Ihr Ursprung liegt im Geist des lebendigen Gottes, dann folgen die 3 [[Mütter (Kabbala)|Mütter]] (siehe unten) bzw. [[Elemente]] [[Luft]], [[Wasser]] und [[Feuer]] und die sechs Richtungen des ([[Seele]]n-)[[Raum]]es, die den [[Raumwürfel]] (siehe unten) aufbauen.
 
=== [[Hebräisches Alphabet|Buchstaben]] ===
[[Datei:Jetzira.gif|thumb|300px|Gliederung der Buchstaben des [[Hebräisches Alphabet|hebräischen Alphabets]] in 3 Mütter, 7 doppelte und 12 einfache.]]
Der weitaus größte Teil des Buches widmet sich den Bedeutungen und Beziehungen der [[Hebräisches Alphabet|hebräischen Buchstaben]]. Die 22 Buchstaben werden in Gruppen zusammengefasst und den grundlegenden Dimensionen von Zeit, Welt und Mensch zugeordnet:
 
{{Zitat|Zweiundzwanzig Buchstaben, drei Mütter, sieben doppelte und zwölf einfache, sind gezeichnet in der Stimme, gehauen im Geiste und geheftet im Munde, an fünf Orten, am Halse ([[Wikipedia:Gutturaler Laut|Gutturale]]) אהחע, am Gaumen ([[Wikipedia:Palatal|Palatal]]e) גיכק, an der Zunge ([[Wikipedia:Lingual|Lingual]]e) דטלנת, an den Zähnen ([[Wikipedia:Dental|Dental]]e) זשסרץ, an den Lippen ([[Wikipedia:Labial|Labial]]e) בומף.|Sefer Jetzira 2,3}}
 
{| class="prettytable"
|-
! Gruppe
! Buchstaben
! Zuordnung
|-
| 3 [[Mütter (Kabbala)|Mütter]]
| <big>&#1513;&nbsp;&nbsp;&#1502;&nbsp;&nbsp;&#1488;</big><br />
Aleph, Mem, Schin
| Luft ([[Seele]]) – Wasser ([[Materie]], [[Leib]]) – Feuer ([[Geist]])<br/>
[[Dreigliederung des menschlichen Organismus]]: [[Kopf]] (ש) - [[Brust]] (א) - [[Bauch]] (מ)<br/>
Die drei [[Seelenkräfte]] [[Denken]] (ש), [[Fühlen]] (א) und [[Wollen]] (מ)<br/>
Von den drei [[Säulen der Manifestation]] wird der rechten, weißen Säule [[Jachin]] das [[Shin]] zugeordnet, der mittleren [[Säule der Milde]] das [[Aleph]] und der linken, schwarzen Säule [[Boas]] das [[Mem]].<br/>
Von den [[Weltentwicklungsstufen]] enspricht ''Shin'' dem [[Alter Saturn|alten Saturn]], ''Aleph'' der [[Alte Sonne|alten Sonne]] und ''Mem'' dem [[Alter Mond|alten Mond]].
|-
| 7 Doppelte<ref>Doppelt heißen sie, weil sie [[Wikipedia:Aspiration (Phonetik)|aspiriert]] oder unbehaucht ausgesprochen werden können, z.B. ב (Beth) als B oder behaucht als W.</ref>
| <big>&#1514;&nbsp;&nbsp;&#1512;&nbsp;&nbsp;&#1508;&nbsp;&nbsp;&#1499;&nbsp;&nbsp;&#1491;&nbsp;&nbsp;&#1490; &nbsp;&nbsp;&#1489;</big><br />
Beth, Gimel, Daleth, Kaph, Peh, Resch, Thaw
| 7 Planeten von [[Saturn]] bis [[Mond]] <ref name="doppelte">Verschiedene Textausgaben geben dazu unterschiedliche Zuordnungen. Alle frühen Ausgaben, die Kurzfassung (ausgenommen das erste Manuskript, das keine explizite Zuordnung erwähnt), die Langfassung und auch die Saadia-Ausgabe geben übereinstimmend die [[geozentrisch]]e [[okkulte Reihenfolge der Planeten]]: [[Saturn]] ({{HeS|שַׁבְּתַאי}}, ''Shabatai''), [[Jupiter]] ({{HeS|צֶדֶק}}, ''Tsedeq''), [[Mars]] ({{HeS|מַאְדִּים}}, ''Meadim''), [[Sonne]] ({{HeS|חמה}}, ''Chamah''; auch ''Zorn''; abgeleitet von: חַם, ''heiß''), [[Venus]] ({{HeS|נֹגַהּ}}, ''Nogah''), [[Merkur]] ({{HeS|כוכב}}, ''Kawkab''; auch ''Gestirn''), [[Mond]] ({{HeS|לבֿנה}}, ''Lavanah''). Die Gra-Version gibt, wie der [[Sohar]], die davon abweichende Reihung: ''Mond, Mars, Sonne, Venus, Merkur, Saturn, Jupiter''. Die Fassung des [[Golden Dawn]] reiht: ''Merkur, Mond, Venus, Jupiter, Mars, Sonne, Saturn.''</ref>, 7 Wochentage, 7 Pforten der Sinne am menschlichen Haupt: zwei Augen, zwei Ohren, zwei Nasenlöcher, Mund.
|-
| 12 Einfache
|  <big>&#1511;&nbsp;&nbsp;&#1510;&nbsp;&nbsp;&#1506;&nbsp;&nbsp;&#1505;&nbsp;&nbsp;&#1504;&nbsp;&nbsp;&#1500;&nbsp;&nbsp;&#1497;&nbsp;&nbsp;&#1496;&nbsp;&nbsp;&#1495;&nbsp;&nbsp;&#1494; &nbsp;&nbsp;&#1493;&nbsp;&nbsp;&#1492;</big><br />
Heh, Waw, Sajin, Cheth, Tet, Jod, Lamed, Nun, Samech, Ajin, Zade, Qoph
| 12 [[Tierkreis]]zeichen von [[Widder (Sternbild)|Widder]] ({{HeS|טָלֶה}}, Taleh, ''Lamm'') bis [[Fische (Sternbild)|Fische]] ({{HeS|דגים}}, Daghim), 12 Monate, 12 Organe des menschlichen Körpers.<ref name="einfache">Bezüglich der Zuordnung zu den Sternbildern stimmen die meisten Ausgaben überein - im Gegensatz zur Zuordnung der Planeten.</ref>
|}
 
{{Zitat|Ein Beweis dafür und wahre Zeugen sind: Welt, Jahr und Körper. Zwölf sind unten, sieben auf diesen und drei auf diesen sieben. Auf den dreien gründete er seine Wohnung und alles geht von Eins aus. Dies ist ein Zeichen dafür, dass er einer ist und nicht einen zweiten (neben sich) hat. Er ist der einzige König in der Welt, er ist einzig und sein Name ist einzig.|Sefer Jetzira 6,1}}
 
=== Die Roulette der Buchstaben ===
 
Aus dem Wort wurde die Schöpfung hervorgebracht und in Worten lässt sie sich beschreiben. Die 22 Buchstaben des hebräischen Alphabets geben zunächst die Grundformen, aus denen die Schöpfung gemeisselt ist. Kombiniert man systematisch diese Buchstaben paarweise, so kommt man zu sprachlichen Grundwurzeln, die weitere Bereiche der Schöpfung in imaginativen Bildern beschreiben können. Aus 22 Buchstaben ergeben sich 231 paarweise Kombinationen, die 231 Pforten genannt, wenn dabei die Reihenfolge keine Rolle spielt.
 
{{Zitat|Zweiundzwanzig Grundbuchstaben sind in der Art einer Mauer im Kreis gebettet, an zweihunderteinunddreissig Pforten. Es dreht sich der Kreis vorwärts und dies bedeutet Glück oder rückwärts und dies bedeutet Unglück. Wie verband, wog und versetzte Er sie? א Aleph mit allen und alle mit א Aleph, ב Beth mit allen und alle mit ב Beth, ג Gimmel mit allen und alle mit ג Gimmel und sie alle wenden sich rückwärts<ref>d.h. sie kehren im geschlossenen Kreis in sich selbst zurück.</ref>. So ergibt es sich, dass sie durch zweihunderteinunddreissig Pforten hinausgehen und so findet es sich, dass die ganze Schöpfung und die ganze Sprache aus einem Namen hervorgeht.|Sefer Jetzira 2,4}}
 
Alle zusammen, alle Worte der [[Wikipedia:Tora|Tora]] überhaupt, bilden den vollständigen Namen Gottes, aus dem die ganze Schöpfung hervorgegangen ist - das ist eine der Grundüberzeugungen der Kabbalisten. Das System erinnert, wenn auch mit deutlichen Einschränkungen gegenüber der kabbalistischen Kombinatorik, an die um [[Wikipedia:1305|1305]] vollendete [[Ars magna|Ars magna]] des [[Ramon Llull|Ramon Llull]] (Raimundus Lullus) zur Kombination von [[Begriff]]en. Dazu sagt [[Rudolf Steiner]]:


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"Und von diesem Gesichtspunkte aus ist die sogenannte «Ars magna» des Raimundus Lullus zu beurteilen. Er sagte
"Was ist das Auge? Das Auge ist ein kleines Gehirn, das von unserem
sich: Wenn der Mensch spricht, so ist im Sprechen eigentlich auch ein
Geiste so bearbeitet ist, daß der eigentliche Nervenapparat zurückgeschoben
Mikrokosmos gegeben. Dasjenige, was der Mensch spricht, ist eigentlich der ganze Mensch, konzentriert auf die Sprachorgane. Aber das
ist an die hintere Wand, wo sie zur Netzhaut des
Geheimnis jedes Wortes liegt im ganzen Menschen, und wiederum,
Auges geworden ist. So arbeiten die Baumeister der Natur, die Bildner
weil es im ganzen Menschen liegt, liegt es eigentlich in der Welt.
der Formen. So formen sie. Im Grunde genommen herrscht ein Bauplan
Und so kam er darauf, daß man eigentlich das Geheimnis der
in allen menschlichen Organen, der nur im einzelnen, je nach
Sprache erst im Menschen suchen müsse, indem man tief untertaucht von den bloßen Sprachorganen zu der Gesamtorganisation
Bedarf, abgeändert wird. Wenn ich wochenlang sprechen könnte,
des Menschen, und dann im Kosmos, indem man wiederum die
würde ich Ihnen zeigen, wie jedes Sinnesorgan nichts anderes ist als
Gesamtorganisation des Menschen aus dem Kosmos heraus begreift.
ein abgeändertes kleines Gehirn, und das Gehirn wiederum ein Sinnesorgan
Zum Beispiel, sagen wir, jemand wolle den Laut A in seiner wirklichen Bedeutung begreifen. Da handelt es sich darum, daß der
auf einer höheren Stufe. Aus dem Geiste heraus ist der ganze
Mensch darauf kommt, daß der Laut A, der im geformten Aushauch
menschliche Organismus aufgebaut." {{Lit|{{G|115|66}}}}
zum Vorschein kommt, auf einer gewissen inneren Attitüde des
Ätherleibes beruht, auf einer Attitüde des Ätherleibes, die Sie heute
kennenlernen können. Durch die Eurythmie sehen wir, auf welcher
Attitüde des Ätherleibes der Laut A beruht, denn diese Attitüde
wird auf den physischen Leib übertragen und gilt dann als die
eurythmische Geste für den A-Laut.
 
Ganz klar wurde das dem Raimundus Lullus nicht, sondern alles
blieb bei ihm Ahnung. Aber seine Ahnung kam so weit, daß er nun
die innere Attitüde, die innere Geste des Menschen gewissermaßen
hinausverfolgte in den Kosmos, zum Beispiel daß er sagte: Richtest
du die Blickrichtung nach dem Löwen, nach dem Sternbilde des
Löwen, und richtest du die Blickrichtung nach der Waage, dann gibt
dir der Zusammenhang der beiden Blickrichtungen das A. Richtest
du den Blick nach dem Saturn, so hält der Saturn deine Blickrichtung auf. Und wenn der Saturn zum Beispiel vor dem Widder steht,
so mußt du mit dem Saturn dich um den Widder herumdrehen. Das
gibt dir aus dem Kosmos heraus die Empfindung des O.
[[Datei:GA233a 037.gif|center|400px|]]
Und aus solchen Ahnungen heraus fand Raimundus Lullus
gewisse Figuren, an deren Ecken und Seiten er die Buchstaben
schrieb. Und nun war er sich klar darüber: Wenn man aus seinen
Empfindungen heraus Linien zieht in den Figuren, durch Diagonalen oder dergleichen meinetwegen in einem Fünfeck a b c d e
irgendwie verbindet - das ist nur schematisch -, dann muß man
darin Lautverbindungen sehen, und diese Lautverbindungen sprechen gewisse Geheimnisse des Weltenalls, des Kosmos aus.
[[Datei:GA233a 038.gif|center|200px|]]
Also Raimundus Lullus suchte eine Art Renaissance der Geheimnisse des Logos, wie sie üblich waren in den alten Mysterien." {{Lit|GA 233a, S 36ff}}  
</div>
</div>


=== Der [[Raumwürfel]] ===
== Die Entwicklung der Augen und des Sehens ==
[[Datei:Kabbala_Raumwuerfel.gif|thumb|300px|Der Raumwürfel der Kabbala]]
Der [[Raumwürfel]] ist ein grundlegendes, gegenüber dem bekannteren [[Sephirothbaum]] aber meist viel weniger beachtetes, aber schon im [[Sefer Jetzira]], dem ältesten überlieferten Werk der Kabbala, eingeführtes Grundkonzept der [[jüdisch]]en [[Kabbala]], das die [[Wikipedia:Würfel (Geometrie)|kubische]] Grundstruktur der [[Schöpfung]] symbolisiert. Wie beim Sephirothbaum werden auch dem Raumwürfel nach und nach die zehn [[Sephiroth]] und die 22 Buchstaben des [[Hebräisches Alphabet|hebräischen Alphabets]] gemäß ihrer Gliederung in 3 Mütter, 7 Doppelte und 12 Einfache zugeordnet.


Die Würfelgestalt der Welt darf dabei nicht im physisch-räumlichen Sinn missverstanden werden. Sie ergibt sich vielmehr aus einer systematischen Gliederung der [[Seelenwelt]] in verschiedene Gegensatzpaare, die nach ihrer [[seelisch]]-[[moral]]ischen [[Qualität]] zueinander in Beziehung gesetzt werden. ''Höhe'' und ''Tiefe'' etwa sind hier nicht primär räumlich aufzufassen, sondern eher im Sinn von ''moralisch Erhaben'' oder ''moralisch Niedrig''. Im ''Osten'' geht das geht das [[geist]]ige [[Licht]] auf, im ''Westen'' zieht es sich zurück usw. Die räumliche Struktur, die wir in der [[Sinnliche Welt|sinnlichen Welt]] erleben, ist nur das äußere schattenhafte Abbild dieser seelischen Beziehungen.
[[Evolution|Entwicklungsgeschichtlich]] wurde das Auge laut Steiner durch einen stark gemilderten [[Entzündung]]sprozess gebildet, durch den der [[Ätherleib]] der beständigen leisen Verwundung des [[Physischer Leib|physischen Organismus]] durch das Licht heilend entgegenwirkt. Der mit dieser Verwundung verbundene dumpfe [[Schmerz]], den dabei der [[Astralleib]] empfindet, differenziert sich dadurch allmählich zur Farbwahrnehmung.
 
Der Raumwürfel der Kabbala ist ein Konzept, das die gegenwärtige [[Schöpfung]] in ihrem Sein und Werden beschreibt. In der [[Apokalypse des Johannes]] wird auf die künftige [[Planet|planetarische]] Verkörperung unserer [[Erde (Planet)|Erde]] hingewiesen, auf den [[Neuer Jupiter|neuen Jupiter]], der aber hier als das [[Neues Jerusalem|Neue Jerusalem]] bezeichnet und als vollkommener Würfel beschrieben wird {{Bibel|Offb|21|14|LUT}}.
 
In seinen Vorträgen über [[Apokalypse und Priesterwirken]] hat Rudolf Steiner sehr ausgeführlich geschildert, wie der Aufbau des Neuen Jerusalem - und damit die Umwandlung der alten Schöpfung in die neue - eigentlich im Menschen stattfindet. Bis zum [[Mysterium von Golgatha]] bzw. bis zur Zerstörung des alten Jerusalems überwog der Aufbau von unten aus den Naturkräften, seitdem ist der Aufbau von oben aus den geistigen Kräften wichtiger und das ist der Aufbau des geistigen neuen Jerusalems. Steiner schildert dabei, wie die mit der Nahrung aufgenommenen irdischen Stoffe tatsächlich nur die Organe des [[Nerven-Sinnes-System]]s aufbauen, nicht aber den [[Stoffwechsel-Gliedmaßen-System|Stoffwechsel-Gliedmaßen-Menschen]]. Das ist auch an der Umwandlung des [[Gehirn]]s abzulesen, durch die das Vorderhirn immer ähnlicher einem Verdauungsorgan wird. {{Lit|GA 346, S 132ff}}
 
In einem überlieferten Gespräch mit [[Johanna Gräfin Keyserlingk]] zeigt Steiner auch die Verbindung zur [[Gralsburg]] auf: Die Gralsburg existiere wirklich in der ätherischen Welt. Das neue Jerusalem sei das Urbild, wie es in Zukunft
sein werde.<ref>''Koberwitz 1924'', herausgegeben v. Adalbert Graf Keyserlingk Stuttgart 1974, S 82</ref>
 
Für eine ausführlichere Darstellung siehe auch: [[Raumwürfel]].
 
=== Der Drache ===
 
{{Zitat|Der Drache in der Welt ist wie ein König auf seinem Thron. Der Sternbilderkreis im Jahr ist wie ein König im Reich. Das Herz im Menschen ist wie ein König im Krieg.|Sefer Jetzira 6,6}}
[[Bild:Serpiente alquimica.jpg|thumb|250px|Ouroboros aus einem [[alchemist]]ischen Manuskript]]
Der [[Drache]] ({{HeS|תלי}}, Teli, ''geringelt''?) der Welt ist nach dem ''Sefer Jetzira'' der oberste Regent, der [[Tierkreis]] und das [[Herz]] sind ihm untergeordnet. Die Herkunft und Bedeutung des Wortes ''Teli'' ist aber unsicher. Im [[Wikipedia:Tanach|Tanach]] kommt es nur einmal vor in {{B|Gen|27|3}} und bezeichnet dort ein nicht näher beschriebenes Werkzeug zur Jagd. In den mittelalterlichen Kommentaren zum ''Sefer Jetzira'' wird ''Teli'' dann als ''Schlange'' oder ''Drache'' aufgefasst. So schreibt [[Schabbtai Donnolo|Schabbtai Donnolo]]:


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"Und wer ist der ''teli''? Als Gott das Himmelsgewölbe über uns, das in sieben Himmel eingeteilt ist, erschuf, erschuf er den ''teli'' aus Wasser und aus Feuer in Gestalt eines großen ''tannin'' ({{HeS|תנינ}}, Meeresungeheuer) {{Bibel|Gen|1|21}}, wie eine große gewundene Schlange und machte ihm Kopf und Schwanz und streckte ihn im vierten<ref>möglicherweise ein Hinweis auf [[Atziluth]], die oberste der [[Vier Welten]], die dem [[Devachan]] entspricht.</ref> Himmel [...] aus. Und alle Planeten und Leuchten und Sternbilder sind an ihm befestigt. Und er ist (zum) König über alle ernannt, sie zu leiten, sei es im Guten, sei es im Schlechten." {{Lit|zit. nach Herrmann, S 272}}
"Denn sehen Sie, Geisteswissenschaft weiß da etwas, was ausgesprochen
eben einfach den gegenwärtigen Menschen sehr schockiert,  
sie weiß, daß dasjenige, was vorgehen muß im menschlichen
Organismus, damit sich die Augen so bilden, wie sie sich eben in der
menschlichen Entwickelung bilden müssen — natürlich in einer
langen Entwicklungsgeschichte des Menschen —, eigentlich ein
fortdauernd ins Normale hinübergezogener, also nicht bis zum
Ausbruch gekommener Entzündungsprozeß ist. Denken Sie sich
dieselben Vorgänge, die im Entzündungsprozeß wirken, aufgehalten,
verlangsamt und zusammengeschoben, dann haben Sie den
Bildungsprozeß des menschlichen Auges im menschlichen Organismus.
So daß Sie sogar aus dem Anblick der Augen einen Eindruck
bekommen können vom Menschen, ob er zu entzündlichen Zuständen
neigt oder nicht. Sie werden das den Augen ansehen können,
wenn Sie sich darauf einschulen."
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Der Drache umlagert demnach die sichtbare Welt dort, wo der [[Kristallhimmel]] zu finden ist, wo die endliche räumliche Welt in die unendliche überräumliche Welt übergeht. Dem Lautbestand nach bedeutet ''Teli'' den ''«Einschlag ([[T]]) des lebendigen ([[L]]) Geistes, des göttlichen Ich ([[J]])»''. Man darf hier wohl auch an das Symbol des [[Ouroboros]] denken, der sich in den Schwanz beißenden Schlange, manchmal auch in Gestalt von ein oder zwei Drachen dargestellt, wobei die eine Hälfte des Tieres meist hell und die andere dunkel gefärbt ist und damit anzeigt, dass sich in ihm die Gegensätze vereinen, etwa [[Gut]] und [[Böse]], [[männlich]] und [[weiblich]] usw. Indem er sich in sich selbst zurückwindet, ist er zugleich ein Symbol für die [[Ewigkeit]].
== Die 2-blättrige Lotosblume als Urbild der beiden physischen Augen ==


== Bedeutung ==
Die durch unsere beiden physischen Augen ermöglichte Überkreuzung der Sehachsen trägt wesentlich dazu bei, dass wir unsere [[Ich-Vorstellung]] entwickeln können, wobei das gemeinsame [[Urbild]] der beiden materiellen Augen die hinter der Nasenwurzel gelegene [[zweiblättrige Lotosblume]] ist, die durch entsprechende [[geistige Übungen]] zum wesentlichsten Wahrnehmungsorgan für [[Imagination]]en herangebildet werden kann.  
Das ''Sefer Jetzira'' hat mit der Lehre über die 10 Sephiroth erheblichen Einfluss auf die kabbalistische Tradition im Judentum genommen. Die Sephiroth bilden die Elemente des [[Lebensbaum (Kabbala)|Lebensbaums]] und stellen damit das wohl wirkungsvollste Symbol der Kabbala überhaupt dar. Dafür zeugen auch die späteren Ausführungen zu ihrer Gestalt und ihren Beziehungen zueinander im [[Sohar]] und den sich daran anschließenden Lehr- und Lebenstraditionen.


Die Spekulationen über die hebräischen Buchstaben und deren dreigliedrige Struktur haben ebenfalls größte Wirkung im Judentum und darüber hinaus in anderen [[Mystik|mystischen]] Traditionen erzielt. Das bekannteste Beispiel dafür ist der moderne [[Wikipedia:Tarot|Tarot]]. Die Zuordnung der 22 Karten der „Großen Arkana“ wurde von bekannten Tarot-Auslegern bis in Details hinein der Struktur der Buchstaben im Buch Jetzira nachgebildet.
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"... wir haben aus dem Grunde zwei Augen, weil,
wenn wir veranlagt wären, nur mit einem Auge zu sehen wie die Zyklopen,
wir niemals das Ich in einer sichtbaren Welt entwickeln könnten;
wir würden es nur in der Gefühlswelt entwickeln.
Helen Keller hat eine andere Gefühls-, eine andere Vorstellungswelt
als die anderen Menschen; sie kann sich nur verständigen, weil
ihr die Sprache klargemacht worden ist. Ohne diese würden wir nicht
eine Ich-Vorstellung entwickeln. Wir entwickeln sie ja dadurch, daß
wir die rechte Hand über die linke Hand legen können, insbesondere
wenn wir die symmetrischen Glieder übereinanderlegen. So entwickeln
wir auch eine feine Vorstellung vom Ich, weil wir mit den zwei Augen
die Augenachse kreuzen beim Visieren. Geradeso wie wir die Hände
kreuzen, so kreuzen wir die zwei Augenachsen. Immer, wenn wir
etwas anschauen, kreuzen wir die Augen.


== Anmerkungen ==
Die materiellen zwei Augen sind im Geistigen eines. Und das sitzt
<references />
hier hinter der Nasenwurzel, dieses eine Auge, dieses geistige, das sich
 
abbildet und zu den zwei Augen wird." {{Lit|{{G|214|156}}}}
== Kommentierte Textausgaben ==
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Hebräisch und Deutsch:
* [[Wikipedia:Lazarus Goldschmidt|Lazarus Goldschmidt]], ''Sefer Jesirah. Das Buch der Schöpfung'', Frankfurt 1894, Nachdruck Hamburg 2004 ISBN 3-937392-14-9
* Arjeh Kaplan, ''Sefer Jezira - Das Buch der Schöpfung in Theorie und Praxis'', Grevenbroich, 2007, ISBN 978-3-929588-25-5
* Guillaume Postel, Wolf P. Klein (Herausgeber), ''Sefer jezirah.'', Stuttgart, 1994, ISBN 3-7728-1623-1
Deutsch:
* Klaus Herrmann (Herausgeber), ''Sefer Jezira - Buch der Schöpfung.'', Verlag der Weltreligionen, Frankfurt a. M. und Leipzig, 2008, ISBN 978-3-458-70007-4
Hebräisch und Englisch:
* A. Peter Hayman, ''Sefer yeṣira: edition, translation, and text-critical commentary.'', Tübingen, 2004, ISBN 3-16-148381-2
 
== Textausgaben online==
;Hebräisch:
* [http://kabbalah.info/hebkab/yetzirah.htm Hebräisch]
* [http://faculty.biu.ac.il/~barilm/yezifra.html Hebräisch mit hebräischem Kommentar]
* [http://www.hebrewbooks.org/pdfpager.aspx?req=38753 Hebräisch-Englisch]
;Deutsch:
* [http://www.hermetik.ch/ath-ha-nour/site/kabbalajetzirah.htm Deutsch]
;Englisch:
* [http://www.psyche.com/psyche/txt/kaplan_sy_short.html Englische Übersetzung der Kurzfassung] (A. Kaplan)
* [http://www.sacred-texts.com/jud/yetzirah.htm Englisch] (W. Wescott)
* [http://www.holyebooks.org/judaism/sepher_yetzirah.html Englisch] (W.W. Wescott, 1887)
* [http://www.scribd.com/doc/3206349/sefer-yetzira Englisch] (Peter Hayman)
* [http://www.psyche.com/psyche/txt/scholem_sy.html Englisch] ([[Wikipedia:Gershom Scholem|Gershom Scholem]])
* [http://www.wbenjamin.org/saadia.html Englisch mit dem Kommentar von Saadja] (Scott J. Thompson & Dominique Marson)


== Literatur ==
== Literatur ==
#Rudolf Steiner: ''Das Ereignis der Christus-Erscheinung in der ätherischen Welt'', [[GA 118]] (1984) {{Vorträge|118}}
#Johann Wolfgang Goethe: ''Zur Farbenlehre'', Goethe-GA Bd. 16, S. 20
#Rudolf Steiner: ''Mysterienstätten des Mittelalters'', [[GA 233a]] (1991) {{Vorträge|233a}}
#Rudolf Steiner: ''Anthroposophie – Psychosophie – Pneumatosophie'', [[GA 115]] (2001), ISBN 3-7274-1150-3 {{Vorträge|115}}
#Rudolf Steiner: ''Das Geheimnis der Trinität'', [[GA 214]] (1999), ISBN 3-7274-2140-1 {{Vorträge|214}}
#Rudolf Steiner: ''Geistige Zusammenhänge in der Gestaltung des menschlichen Organismus'', [[GA 218]] (1992), ISBN 3-7274-2180-0 {{Vorträge|218}}
#Rudolf Steiner: ''Geisteswissenschaft und Medizin'', [[GA 312]] (1999), ISBN 3-7274-3120-2 {{Vorträge|312}}


{{GA}}
{{GA}}


== Weblinks ==
[[Kategorie:Organismus]] [[Kategorie:Sinne]]
;Deutsch:
* [http://www.rodurago.de/index.php?site=lebensbaum Kabbalistischer Lebensbaum (interaktiv)]
* http://www.hagalil.com/judentum/kabbala/jezirah0.htm
* [http://www.hermetik.ch/ath-ha-nour/site/kabbalaaleph.htm Das hebräische Alephbeth]
;Englisch:
* [http://www.scribd.com/doc/20191942/ISAAC-THE-BLINDS-COMMENTARY-ON-SEFER-YEZIRAH ISAAC THE BLIND'S COMMENTARY ON SEFER YEZIRAH]
* [http://www.rodurago.de/en/index.php?site=lebensbaum Sefirot Jezirah and the Tree Of Life] by E. Rodurago
* [http://www.psyche.com/psyche/cube/cube.html Sefer Yetzirah: Cube of Space]
* [http://www.psyche.com/psyche/yetsira/sy_astro.html Astrological Correspondences in the Sepher Yetsira]
* [http://www.wbenjamin.org/baeck.html Leo Baeck, "Sefer Yetzira"] [trans. Scott J. Thompson Walter Benjamin Research Syndicate]
* [http://www.wbenjamin.org/biblio_yetzirah.html Sefer Yetzirah Bibliography, ed. & trans. Scott J. Thompson] [Walter Benjamin Research Syndicate]
* [http://www.digital-brilliance.com/kab/karr/syie.pdf Notes on Editions of Sefer Yetzirah in English]
== Siehe auch ==
* [[Wikipedia:Dunasch ibn Tamim|Dunasch ibn Tamim]]
* [[Sefer ha-Bahir]]
* [[Sefer ha-Sohar]]
 
[[Kategorie:Kabbala]]
 
{{Wikipedia}}

Version vom 30. Mai 2017, 05:13 Uhr

Das menschliche Auge

Das Auge (lat. oculus, griech. ὤψ, ops) ist ein Sinnesorgan, das Tieren und dem Menschen die visuelle Wahrnehmung ermöglicht, an der allerdings noch weitere Sinne mit beteiligt sind. So werden Formen erst durch den Eigenbewegungssinn des Auges wahrgenommen und durch den Gleichgewichtssinn auf die Lotrechte bezogen und erst die koordinierte Bewegung beider Augen ermöglicht das räumliche, steroskopische Sehen.

Auge und Licht

Schematische Darstellung des Wirbeltierauges:
1. Lederhaut (Sclera)
2. Aderhaut (Choroidea)
3. Schlemm-Kanal (Sinus venosus sclerae)
4. Arterieller Gefäßring (Circulus arteriosus iridis major)
5. Hornhaut (Cornea)
6. Regenbogenhaut (Iris)
7. Pupille (Pupilla)
8. vordere Augenkammer (Camera anterior bulbi)
9. hintere Augenkammer (Camera posterior bulbi)
10. Ziliarkörper (Corpus ciliare)
11. Linse (Lens)
12. Glaskörper (Corpus vitreum)
13. Netzhaut (Retina) und Pigmentepithel
14. Sehnerv (Nervus opticus)
15. Zonulafasern (Fibrae zonulares)

Das Auge, so war schon Goethe mit Recht überzeugt, wurde durch das Licht und für das Licht durch die Natur geschaffen, und es ist daher das präziseste Instrument, um Hell und Dunkel und die Welt der Farbenerscheinungen kennen zu lernen:

"Das Auge hat sein Dasein dem Licht zu danken. Aus gleichgültigen tierischen Hilfsorganen ruft sich das Licht ein Organ hervor, das seinesgleichen werde; und so bildet sich das Auge am Lichte fürs Licht, damit das innere Licht dem äußeren entgegentrete. Hierbei erinnern wir uns der alten ionischen Schule, welche mit so großer Bedeutsamkeit immer wiederholte: nur von Gleichem werde Gleiches erkannt, wie auch der Worte eines alten Mystikers, die wir in deutschen Reimen folgendermaßen ausdrücken möchten:

Wär' nicht das Auge sonnenhaft,
Wie könnten wir das Licht erblicken?
Lebt' nicht in uns des Gottes eigne Kraft,
Wie könnt' uns Göttliches entzücken?

Jene unmittelbare Verwandtschaft des Lichtes und des Auges wird niemand leugnen, aber sich beide zugleich als eins und dasselbe zu denken, hat mehr Schwierigkeit. Indessen wird es fasslicher, wenn man behauptet, im Auge wohne ein ruhendes Licht, das bei der mindesten Veranlassung von innen oder von außen erregt werde. Wir können in der Finsternis durch Forderungen der Einbildungskraft uns die hellsten Bilder hervorrufen. Im Traume erscheinen uns die Gegenstände wie am vollen Tage. Im wachenden Zustande wird uns die leiseste äußere Lichteinwirkung bemerkbar, ja wenn das Organ einen mechanischen Anstoß erleidet, so springen Licht und Farben hervor.“ (Lit.: Goethe: Zur Farbenlehre, Einleitung)

Rudolf Steiner hat diese Aussage Goethes noch weiter vertieft:

"Das Auge, das schon fertig ist, sieht die Vorderseite des Lichtes, das Physische. Aber das Auge wird von dem Geistigen, von dem Seelischen des Lichtes, von dem, was dahinter liegt, gebildet. So müßte man sagen, wenn man den Goetheschen Satz verstanden hat: Das Auge sieht das Licht, wird aber gebildet durch die Seele, durch den Geist des Lichtes, bevor es hier auf dieser Erde physische Wesenheit annimmt." (Lit.: GA 218, S. 319)

Das Auge als modifiziertes kleines Gehirn

Steiner hat darüber hinaus deutlich gemacht, dass jedes Sinnesorgan im Grunde ein modifiziertes kleines Gehirn ist:

"Was ist das Auge? Das Auge ist ein kleines Gehirn, das von unserem Geiste so bearbeitet ist, daß der eigentliche Nervenapparat zurückgeschoben ist an die hintere Wand, wo sie zur Netzhaut des Auges geworden ist. So arbeiten die Baumeister der Natur, die Bildner der Formen. So formen sie. Im Grunde genommen herrscht ein Bauplan in allen menschlichen Organen, der nur im einzelnen, je nach Bedarf, abgeändert wird. Wenn ich wochenlang sprechen könnte, würde ich Ihnen zeigen, wie jedes Sinnesorgan nichts anderes ist als ein abgeändertes kleines Gehirn, und das Gehirn wiederum ein Sinnesorgan auf einer höheren Stufe. Aus dem Geiste heraus ist der ganze menschliche Organismus aufgebaut." (Lit.: GA 115, S. 66)

Die Entwicklung der Augen und des Sehens

Entwicklungsgeschichtlich wurde das Auge laut Steiner durch einen stark gemilderten Entzündungsprozess gebildet, durch den der Ätherleib der beständigen leisen Verwundung des physischen Organismus durch das Licht heilend entgegenwirkt. Der mit dieser Verwundung verbundene dumpfe Schmerz, den dabei der Astralleib empfindet, differenziert sich dadurch allmählich zur Farbwahrnehmung.

"Denn sehen Sie, Geisteswissenschaft weiß da etwas, was ausgesprochen eben einfach den gegenwärtigen Menschen sehr schockiert, sie weiß, daß dasjenige, was vorgehen muß im menschlichen Organismus, damit sich die Augen so bilden, wie sie sich eben in der menschlichen Entwickelung bilden müssen — natürlich in einer langen Entwicklungsgeschichte des Menschen —, eigentlich ein fortdauernd ins Normale hinübergezogener, also nicht bis zum Ausbruch gekommener Entzündungsprozeß ist. Denken Sie sich dieselben Vorgänge, die im Entzündungsprozeß wirken, aufgehalten, verlangsamt und zusammengeschoben, dann haben Sie den Bildungsprozeß des menschlichen Auges im menschlichen Organismus. So daß Sie sogar aus dem Anblick der Augen einen Eindruck bekommen können vom Menschen, ob er zu entzündlichen Zuständen neigt oder nicht. Sie werden das den Augen ansehen können, wenn Sie sich darauf einschulen."

Die 2-blättrige Lotosblume als Urbild der beiden physischen Augen

Die durch unsere beiden physischen Augen ermöglichte Überkreuzung der Sehachsen trägt wesentlich dazu bei, dass wir unsere Ich-Vorstellung entwickeln können, wobei das gemeinsame Urbild der beiden materiellen Augen die hinter der Nasenwurzel gelegene zweiblättrige Lotosblume ist, die durch entsprechende geistige Übungen zum wesentlichsten Wahrnehmungsorgan für Imaginationen herangebildet werden kann.

"... wir haben aus dem Grunde zwei Augen, weil, wenn wir veranlagt wären, nur mit einem Auge zu sehen wie die Zyklopen, wir niemals das Ich in einer sichtbaren Welt entwickeln könnten; wir würden es nur in der Gefühlswelt entwickeln. Helen Keller hat eine andere Gefühls-, eine andere Vorstellungswelt als die anderen Menschen; sie kann sich nur verständigen, weil ihr die Sprache klargemacht worden ist. Ohne diese würden wir nicht eine Ich-Vorstellung entwickeln. Wir entwickeln sie ja dadurch, daß wir die rechte Hand über die linke Hand legen können, insbesondere wenn wir die symmetrischen Glieder übereinanderlegen. So entwickeln wir auch eine feine Vorstellung vom Ich, weil wir mit den zwei Augen die Augenachse kreuzen beim Visieren. Geradeso wie wir die Hände kreuzen, so kreuzen wir die zwei Augenachsen. Immer, wenn wir etwas anschauen, kreuzen wir die Augen.

Die materiellen zwei Augen sind im Geistigen eines. Und das sitzt hier hinter der Nasenwurzel, dieses eine Auge, dieses geistige, das sich abbildet und zu den zwei Augen wird." (Lit.: GA 214, S. 156)

Literatur

  1. Johann Wolfgang Goethe: Zur Farbenlehre, Goethe-GA Bd. 16, S. 20
  2. Rudolf Steiner: Anthroposophie – Psychosophie – Pneumatosophie, GA 115 (2001), ISBN 3-7274-1150-3 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
  3. Rudolf Steiner: Das Geheimnis der Trinität, GA 214 (1999), ISBN 3-7274-2140-1 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
  4. Rudolf Steiner: Geistige Zusammenhänge in der Gestaltung des menschlichen Organismus, GA 218 (1992), ISBN 3-7274-2180-0 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
  5. Rudolf Steiner: Geisteswissenschaft und Medizin, GA 312 (1999), ISBN 3-7274-3120-2 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
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