Indische Schriften

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Indische Bundesstaaten und einige Nachbarländer in jeweils regionaler Schriftart
Schriftregionen der Welt

Unter dem indischen Schriftenkreis versteht man die Abkömmlinge der Brahmi-Schrift. Sie werden häufig als „indische Schriften“ bezeichnet, auch wenn einige davon außerhalb Indiens heimisch sind.

Südasien und das sich östlich anschließende Südostasien (einschließlich Indonesien) sind die Weltregion, in der heute die meisten unterschiedlichen Schriften verwendet werden. Dies gilt vor allem für den indischen Subkontinent mit den Ländern Bangladesch, Bhutan, Indien, Malediven, Nepal, Pakistan und Sri Lanka.

In Indien und anderen südasiatischen Ländern werden unter anderem die folgenden indischen Schriften verwendet: Bengalische Schrift, Devanagari, Gujarati-Schrift, Gurmukhi-Schrift, Kannada-Schrift, Malayalam-Schrift, Oriya-Schrift, singhalesische Schrift, Tamil-Schrift und Telugu-Schrift. Außerhalb des indischen Subkontinents werden beispielsweise die balinesische Schrift, die birmanische (Myanmar) Schrift, die Khmer-Schrift, die laotische Schrift, die thailändische Schrift und die tibetische Schrift verwandt.

Abgrenzung

Im Verbreitungsgebiet des indischen Schriftenkreises kommen insgesamt Schriftarten aus folgenden Gruppen vor:

Während die Brahmi-Abkömmlinge sowie Ol Chiki und Thaana autochthon sind, sind die arabische und die lateinische Schrift importiert.

Genealogie

Die Abkömmlinge der Brahmi-Schrift gemäß Hauptartikel Genealogie der vom Protosemitischen abgeleiteten Alphabete (zur Darstellung siehe dort die Hinweise):

Brahmi-Schrift – ca. 250 v. Chr. (Indien, Sri Lanka)

  • Cham-Schrift – ca. 200 n. Chr. (Vietnam, Kambodscha)
  • Gupta-Schrift – ca. 400 n. Chr. (Nordindien)
    • Siddham – ca. 600 (Nordindien)
      • Tibetische Schrift – ca. 650 (Tibet)
        • Phagpa-Schrift – 1269 (Mongolei)
        • Lepcha-Schrift – ca. 1700 (Bhutan)
          • Limbu-Schrift – ca. 1740 (Sikkim)
    • Nagari-Schrift – ca. 750 (Indien)
      • Bengalische Schrift – ca. 1050 (Ostindien, Bangladesch)
        • Oriya-Schrift – ca. 1100 (Ostindien)
      • Devanagari – ca. 1100 (Indien)
        • Newari-Schrift (Ranjana) – ca. 1150 (Nepal)
          • Sojombo-Schrift – ca. 1686 (Mongolei)
        • Modi-Schrift – ca. 1600 (Indien)
        • Gujarati-Schrift – ca. 1600 (Indien)
    • Sharada-Schrift – ca. 770 (Pakistan)
      • Gurmukhi-Schrift – ca. 1539 (Pakistan, Nordindien)
  • Vatteluttu – ca. 400 (Südindien)
    • Khmer-Schrift – ca. 600 (Kambodscha)
      • Thailändische Schrift – 1283 (Thailand)
        • Laotische Schrift – ca. 1350 (Laos)
    • Mon-Schrift – ca. 700 (Thailand, Burma)
      • Birmanische Schrift – ca. 1050 (Burma)
      • Lanna-Schrift – ca. 1350 (Thailand)
    • Alt-Kawi Abugida – ca. 775 (Indonesien)
      • Javanische Schrift – ca. 900 (Indonesien)
      • Balinesische Schrift – ca. 1000 (Indonesien)
      • Altsundanesische Schrift – ca. 1300 (Indonesien)
        • Formal Sundanese script – 1997 (Indonesien)
      • Batak – ca. 1300 (Indonesien)
      • Baybayin – ca. 1300 (Philippinen)
      • Buhid-Schrift – ca. 1300 (Philippinen)
      • Hanunó'o-Schrift – ca. 1300 (Philippinen)
      • Tagbanuwa-Schrift – ca. 1300 (Philippinen)
      • Lontara – ca. 1600 (Indonesien)
      • Rejang-Schrift – ? (Indonesien)
      • Lampung – ? (Indonesien)
      • Kerinci-Schrift – ? (Indonesien)
  • Kadamba Abugida – ca. 450 (Südindien)
    • Kannada-Schrift – ca. 1500 (Südindien)
    • Telugu-Schrift – ca. 1500 (Südindien)
  • Kalinga-Schrift – ca. 500 (Ostindien)
  • Grantha – ca. 500 (Südindien)
    • Singhalesische Schrift – ca. 700 (Sri Lanka)
      • Dhives Akuru – ca. 1100 (Malediven)
    • Tamil-Schrift – ca. 700 (Indien, Sri Lanka)
      • Saurashtra – ca. 1900 (Südindien)
    • Malayalam-Schrift – ca. 1100 (Südindien)
  • Tocharisch – ca. 500 (Westchina)
  • Ahom – ca. 1250 (Ostindien)

Textbeispiele

Die Formenvielfalt der indischen Schriften wird besonders deutlich, wenn man ein und denselben Satz (hier einen Sanskrit-Satz) in verschiedenen Schriften wiedergibt:

Der Satz „Hohe Bäume wachsen an den Straßen“ in verschiedenen indischen Schriftarten

Schriftliche Überlieferung

Das indische Klima ist der Konservierung alter Schriften und Texte nicht förderlich; so bleiben den landestypischen Schreibmaterialien, Palmblättern und Baumrinden, nur wenige Jahre, bevor sie verfallen. Überliefert sind daher hauptsächlich Schriften auf Münzen, Felsen und Bauwerken; die ältesten Manuskripte setzen erst mit dem 11. Jahrhundert n. Chr. ein. Traditionell gilt die schriftliche Überlieferung in Indien gegenüber der mündlichen als die unsicherere.

Die verwendeten Schreibmaterialien haben teilweise die Form der Zeichen beeinflusst.

Besonderheiten

Die indischen Schriften sind rechtsläufig und kennen keine Groß- und Kleinschreibung.

Alle indischen Schriften gehören (zusammen mit wenigen anderen, zum Beispiel der äthiopischen Schrift) zu einem Schrifttyp, der zwischen Silbenschriften und Alphabetschriften steht:

  • Vokale werden nur im Silbenanlaut voll geschrieben. Nach Konsonant stehen nur Vokaldiakritika. Deren Verwendung ist jedoch zwingend erforderlich (Gegensatz zu Konsonantenschriften wie Arabisch und Hebräisch).
  • Das „kurze a“ wird nach Konsonant nicht geschrieben (Null-Graph, auch als „inhärenter Vokal“ bezeichnet).
  • Stattdessen wird die Vokallosigkeit eines Konsonanten durch ein zusätzliches Diakritikum („Virama“ oder „Halant“ genannt) angezeigt. In einigen neuindoarischen Sprachen (wie Hindi und Bengalisch) wird Halant nicht konsequent verwendet. Im Panjabi kommt Halant überhaupt nicht vor, so dass nicht zu erkennen ist, ob nach einem Konsonanten ein „a“ zu sprechen ist oder nicht.
  • Aufeinanderfolgende vokallose Konsonanten werden meist zu Ligaturen zusammengezogen.

Die Bezeichnung für diese Schriften ist nicht einheitlich. Oft wird einfach die Bezeichnung Silbenschrift gewählt, die aber nicht nur diesen speziellen Typ umfasst; neuere Prägungen sind Abugida und „Alphasyllabar“.

Transliteration indischer Schriften

Die ältesten Sanskrit-Texte wurden zunächst mündlich weitergegeben. Erst in der Zeit um 400300 v. Chr. wurden Kharoshti und Brahmi zur Darstellung des gesprochenen Wortes entwickelt. Obwohl diese sich zur Darstellung des Mittelindoarischen (MIA) eigneten, reichten sie nicht für die phonetische Darstellung des klassischen Sanskrits aus und wurden später diesbezüglich modifiziert. Obwohl Sanskrit in allen Abkömmlingen der Brahmi-Schrift dargestellt werden kann und wird, so hat sich doch Devanagari als Schriftform für die Darstellung des Sanskrit durchgesetzt. Sprachforscher des 19. Jahrhunderts haben Sanskrit in Devanagari wiedergeben lassen. Die von Friedrich Max Müller herausgegebene editio princeps des Rigveda war in Devanagari, ein Akt zur damaligen Zeit, da die Typographen erst den Satz herstellen mussten.

Sanskrit-Text in verschiedenen Schriften geschrieben: «Das Shiva segnete, die Sprache der Götter.» (Kalidasa).

Seit dieser Zeit sahen Philologen die Notwendigkeit, Sanskrit auch mit lateinischen Buchstaben darzustellen. 1816 entwickelte Franz Bopp ein erstes Transliterationsschema, in dem die Vokallänge durch einen Zirkumflex (â, î, û) und die Aspiration durch einen spiritus asper (z. B. bʽ) dargestellt wurde. Die Sibilanten ṣ and ś wurden durch spiritus asper und lenis (sʽ, sʼ) dargestellt. Monier-Williams verwendete in seinem 1899 aufgelegten Wörterbuch ṡ und sh für ś and ṣ. Theodor Aufrecht veröffentlichte in seiner 1877 erschienenen Ausgabe das Rigveda in latinisiertem Sanskrit. Arthur Anthony Macdonell kam ebenfalls in seiner Grammatik des Vedischen (1917) ohne Devanagari aus. Fachpublikationen der Gegenwart nutzen zur Transliteration IAST und NLAC.

Schemata unter Verwendung von Diakritika

IAST

Das Internationale Alphabet der Sanskrit Transliteration (IAST) stellt den gebräuchlichsten akademischen Standard für die Darstellung des Sanskrit in lateinischen Buchstaben dar.

NLAC

Die National Library at Calcutta (NLAC) hat auf Basis des IAST einen Transliterationsstandard entwickelt, der für alle Indischen Schriften gilt – nicht nur für Sanskrit.

ISO 15919

ISA 15919 stellt einen Transliterationsstandard für alle Sprachen Südasiens dar. IAST und NLAC sind Subsets von ISO 159191/2001. ISO 15919 definiert die lateinische Darstellung in Unicode.

ISO 15919 Transliterationen sind plattformunabhängig und können somit auf allen Betriebssystemen identisch dargestellt werden. ISO 15919 verwendet Diakritika um Grapheme der Brahmi Schriften darzustellen

ASCII Schemata ohne Diakritika

ASCII Transliteration trifft man häufig im Internet an. Alle ASCII Schemata sind nicht offizielle Translisterationskonventionen.

Harvard-Kyoto

Das Harvard-Kyoto Schema ist ein Transliterationssystem, welches ASCII für die Darstellung von indischen Schriften wie Devanagari nutzt. Es nutzt keine Diakritika und wird nicht im akademischen Umfeld genutzt. Häufigstes Anwendungsgebiet: E-Mail und Internet.

ITRANS

Die „Indian languages TRANSliteration“ (ITRANS) ist ebenfalls ein ASCII Schema für indische Schriften (wie Devanāgarī). Entwickelt wurde es von Avinash Chopde. Es ist umfangreicher als Harvard-Kyoto, mit dem es zum Großteil identisch ist. Durch die Verbreitung von Unicode wird es ebenso wie andere ASCII-Schemata obsolet, ist aber im Internet noch weit verbreitet. Tabellen s. International Alphabet of Sanskrit Transliteration.

Alphabetische Anordnung

Die alphabetische Anordnung der Zeichen ist streng phonetisch und im Wesentlichen für alle Sprachen gleich. Diese systematische Darstellungsweise zeugt von den hervorragenden sprachwissenschaftlichen Fähigkeiten der „alten Inder“, die schon vor mehr als 2300 Jahren Phonetik und Phonologie ihrer Sprache klar erkannten und systematisch genau beschrieben.

Die alphabetische Anordnung indischer Schriften wird hier zunächst für die im Sanskrit verwendeten Zeichen in lateinischer Transliteration (nach ISO 15919) beschrieben. Dabei wird auf Angaben zur Aussprache verzichtet, da diese von Sprache zu Sprache variiert.

Die Zeichen werden in Silbenträger („Vokale“) und Konsonanten unterteilt:

  • Silbenträger („Vokale“)

Die Silbenträger werden meist als „Vokale“ bezeichnet, obwohl sie auch die silbischen Konsonanten [r] und [l] umfassen.

Silbenträger

Monophthonge a ā i ī u ū
silbische Konsonanten r̥ r̥̄ l̥ (l̥̄)
„Diphthonge“ e ai o au

Bei Monophthongen und silbischen Konsonanten wird zwischen kurzen und langen Lauten unterschieden. Allerdings stellt das lange silbische „l“ nur ein Konstrukt dar, das von den altindischen Grammatikern aus Symmetriegründen postuliert wurde. Sein einziges Vorkommen ist sein Name!

‹e› und ‹o› sind im Sanskrit immer lang. Obwohl sie Monophthonge sind, werden sie als „Diphthonge“ bezeichnet und eingeordnet. Dies ist aus Gründen der Morphophonemik des Sanskrit sinnvoll.

Im Alphabet folgen Zusatzzeichen, die als Diakritika nach Vokalen verwendet werden. Sie werden daher ebenfalls mit den Vokalen aufgezählt:

ṁ (Anusvāra) m̐ (Anunāsika) ḥ (Visarga)

Anusvara und Anunasika bezeichnen die Nasalierung, Visarga einen stimmlosen, [h]-ähnlichen Nachklang von Vokalen.

Konsonanten

Die Verschlusslaute werden in einer Tabelle mit 5 Zeilen und 5 Spalten angeordnet. Die Zeilen entsprechen der Artikulationsstelle in der Reihenfolge velarpalatalretroflexdentallabial (das heißt in Richtung des Luftstroms beim Sprechen). Die Spalten entsprechen den Merkmalen der Artikulationsart stimmlos/stimmhaft, unaspiriert/aspiriert und nasal.

stimmhaft
aspiriert
nasal



+
+

+
+
+

+
Velare k kh g gh
Palatale c ch j jh ñ
Retroflexe ṭh ḍh
Dentale t th d dh n
Labiale p ph b bh m

Es folgt die Reihe der Sonoranten, auch als „Halbvokale“ bezeichnet:

y r l v

Aus heutiger Sicht sind nur ‹y› und ‹v› Halbvokale (richtiger: Approximanten). Man kann sie auch als nichtsilbisches Vorkommen der Vokale [i] und [u] ansehen. Wenn man silbisch vorkommendes [r] und [l] als Vokale bezeichnet, ist es logisch, deren nichtsilbisches Vorkommen als „Halbvokale“ zu bezeichnen. In der modernen Phonetik zählen [r] und [l] jedoch immer zu den Konsonanten, unabhängig davon, ob sie silbisch oder nichtsilbisch auftreten.

Die letzte Reihe enthält die Sibilanten (in der Reihenfolge palatalretroflexdental) und das glottale h:

ś s h

Von den altindischen Grammatikern wurden die Artikulationsstellen der Verschlusslaute wie folgt bezeichnet:

  • Velare: कण्ठ्य kaṇṭhya (< कण्ठ kaṇṭha Kehle, Hals)
  • Palatale: तालव्य tālavya (< तालु tālu Gaumen)
  • Retroflexe: मूर्धन्य mūrdhanya (< मूर्धन् mūrdhan Gipfel, höchste Stelle des Gaumens;auch: Stirn Schädel, Kopf, Spitze)
  • Dentale: दन्त्य dantya (< दन्त danta Zahn)
  • Labiale: ओष्ठ्य oṣṭhya (< ओष्ठ oṣṭha Lippe)

Auch heute noch begegnet man in der Indologie häufig den veralteten, ungenauen Bezeichnungen „Gutturale“ (lat.: guttur ‚Kehle‘) für Velare oder „Kakuminale“ (lat.: cacumen ‚Gipfel, höchster Punkt‘) und „Zerebrale“ (lat.: cerebrum ‚Gehirn‘) für Retroflexe.

Zum Thema "Devanagari als typologisches Beispiel" siehe auch

Zum Thema "Anpassung an Einzelsprachen" siehe auch

Zum Thema "Indischer Schriftenkreis in Unicode" siehe auch

Siehe auch

Literatur

  • George L. Campbell: Compendium of the World's Languages. London 1991, ISBN 0-415-02937-6.
  • Hans Jensen: Die Schrift in Vergangenheit und Gegenwart. Berlin 1969.
  • Colin P. Masica: The Indo-Aryan Languages. Cambridge 1991, ISBN 0-521-23420-4.

Weblinks

Einzelnachweise


Dieser Artikel basiert (teilweise) auf dem Artikel Indische Schriften aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Lizenz Creative Commons Attribution/Share Alike. In Wikipedia ist eine Liste der Autoren verfügbar.