Werden

Aus AnthroWiki
Version vom 10. April 2013, 21:06 Uhr von imported>Odyssee

Werden ist Entstehen, Verwandeln und Vergehen und als solches der grundlegende Prozess der Schöpfung. Alles Sein entspringt aus dem Nichts, verdichtet sich bis zum physischen Dasein und verschwindet wieder ins Nichts. Mit dem Werden tritt zugleich die Zeit hervor.

Bereits der griechische Philosoph Heraklit betonte im Gegensatz zu Parmenides, dass das Wesen alles Seins im Werden begründet ist. Er vergleicht das Sein mit einem Fluss, in den man kein zweites Mal steigen könne: "Wir steigen in denselben Fluss und doch nicht in denselben, wir sind es und wir sind es nicht." (Lit.: Heraklit, S 132[1]). Der spätantike Aristoteles-Kommentator Simplikios[2] fasste das später zusammen in die berühmte Kurzformel "panta rhei" (griech. πάντα ῥεῖ, „Alles fließt“).

Rudolf Steiner bemerkte dazu:

"... daß alles dasjenige, was wir als das Sein bezeichnen, oder was wir als das Sein den Dingen, den Wesen beilegen, in einem lebendigen Verhältnis zum Werden steht, und zwar in einem eigentümlichen Verhältnis zum Werden. In Wahrheit ist weder der alte Satz des Parmenides von dem starren Sein, noch der Satz des Heraklit von dem Werden, wahr. Es ist in der Welt Sein und Werden, aber nur: Das Werden ist lebendig, das Sein ist immer tot; und jedes Sein ist ein Leichnam des Werdens. Finden Sie irgendwo ein Sein, zum Beispiel in der sich um uns ausbreitenden Natur, so antwortet Ihnen die Geisteswissenschaft darauf: Dieses Sein — lesen Sie das in der «Geheimwissenschaft» - ist dadurch entstanden, daß einmal ein Werden war, und dieses Werden hat seinen Leichnam zurückgelassen, dasjenige, was uns gegenwärtig als Sein umgibt. Das Sein ist das Tote, das Werden ist das Lebendige!" (Lit.: GA 176, S. 182)

Hegel setzte zwar als Anfang das Sein, dem sich aber das Nichts entgegensetzt; die höhere Einheit beider, ihre Synthese, ist das Werden. In seiner Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften schreibt er:

"§86 Das reine Sein macht den Anfang, weil es sowohl reiner Gedanke als das unbestimmte, einfache Unmittelbare ist, der erste Anfang aber nichts Vermitteltes und weiter Bestimmtes sein kann [...]

§87 Dieses reine Sein ist nun die reine Abstraktion, damit das Absolut-Negative, welches, gleichfalls unmittelbar genommen, das Nichts ist [...]

§88 Das Nichts ist als dieses unmittelbare, sich selbst gleiche, ebenso umgekehrt dasselbe, was das Sein ist. Die Wahrheit des Seins sowie des Nichts ist daher die Einheit beider; diese Einheit ist das Werden." (Lit.: Hegel, S 182ff.)

Der Begriff des Werdens steht im Gegensatz zu dem des Gewordenen. Ersterer bezieht sich primär auf die lebendige Welt des Ätherischen, letzterer auf die physische Welt, die das Insgesamt des Gewordenen darstellt. Um einen wirklichkeitsgemäßen Begriff des Werdens zu fassen, genügt es nicht, Veränderungen des Gewordenen aus dem gesetzmäßigen Zusammenwirken von Teilelementen des Gewordenen abzuleiten. Damit kommt man aus dem Bereich des Gewordenen nicht heraus; das Gewordene bleibt ein Gewordenes, auch wenn es sich im Zeitenlauf gesetzmäßig verändert. Erst dort, wo etwas in den Bereich des Gewordenen hereintritt, das zuvor nicht vorhanden war und auch nicht aus dem Vorhandenen abgeleitet werden kann, beginnt das lebendige Werden. Das Ätherische, das die Quelle des Werdens ist, erscheint aber aus der Sicht des Physischen als Nichts, als etwas nicht Vorhandenes, nicht Daseiendes. Der Begriff des Werdens leitet zu dem der Schöpfung aus dem Nichts über, allerdings noch nicht im absoluten Sinn. Schreitet man nämlich vom Ätherischen weiter zum Astralischen, so erscheint das Ätherische, allerdings nun in einem höheren und lebendigeren Sinn, ebenfalls wieder als etwas Gewordenes. Ähnlich ist es, wenn man vom Astralischen zum Geistigen vordringt; dann erscheint selbst das Astralische als etwas Geschaffenes. Erst im Geistigen selbst hat man die wahre Quelle alles Werdens. Das Geistige entsteht aus nichts anderem, als aus sich selbst. Erst im Geistigen haben wir es mit einem reinen Schaffen zu tun, das auf kein Geschaffenes mehr zurückgreift. Hier erst verwirklicht sich die Schöpfung aus dem Nichts im absoluten Sinn.

Anmerkungen

  1. Das Fragment 49a gilt allerdings nur als vage Anlehnung an den Originaltext, der gesamte zweite Teil ist nicht authentisch; vgl. Held: Heraklit, Parmenides und der Anfang von Philosophie und Wissenschaft, S. 326
  2. Hermann Diels: Simplicius, In Aristotelis physicorum libros quattuor posteriores commentaria. Reimer, Berlin 1895 (Nachdr. de Gruyter 1954), (Commentaria in Aristotelem Graeca 10) S. 1313.

Literatur

  1. Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke. Band 8, Frankfurt a. M. 1979
  2. Heraklit: Fragment 49a DK, Übersetzung nach Wilhelm Capelle, Die Vorsokratiker, S 132
  3. Rudolf Steiner: Menschliche und menschheitliche Entwicklungswahrheiten, GA 176 (1982), ISBN 3-7274-1760-9 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.

Weblinks

  1. Werden - Artikel in der deutschen Wikipedia.