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=== Johann Wolfgang Goethe ===
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== Der Verfasser teilt die Geschichte seiner botanischen Studien mit ==
'''{{WikipediaDE|Kategorie:Genossenschaftswesen}}'''


Um die Geschichte der Wissenschaften aufzuklä
[[Kategorie:Gemeinnützige Wirtschaft|G]]
ren, um den Gang derselben genau kennen zu lernen,
[[Kategorie:Genossenschaftswesen|!]]
pflegt man sich sorgfältig nach ihren ersten Anfängen
[[Kategorie:Wirtschaftsmodell|H]]
zu erkundigen; man bemüht sich zu forschen: wer zu
[[Kategorie:Wirtschaftsleben]]
erst irgendeinem Gegenstand seine Aufmerksamkeit
[[Kategorie:Wirtschaft]]
zugewendet, wie er sich dabei benommen, wo und zu
welcher Zeit man zuerst gewisse Erscheinungen in
Betracht gezogen, dergestalt, daß von Gedanke zu
Gedanken neue Ansichten sich hervorgetan, welche
durch Anwendung allgemein bestätigt endlich die
Epoche bezeichnen, worin das, was wir eine Ent
deckung, eine Erfindung nennen, unbezweifelt zutage
gekommen: eine Erörterung, welche den mannigfach
sten Anlaß gibt, die menschlichen Geisteskräfte zu
kennen und zu schätzen.
 
Vorstehender kleinen Schrift hat man die Auszeich
nung erwiesen, sich nach ihrer Entstehung zu erkundi
gen; man hat zu erfahren gewünscht: wie ein Mann
von mittlerem Alter, der als Dichter etwas galt und
außerdem von mannigfaltigen Neigungen und Pflich
ten bedingt erschien, sich habe können in das gren
zenloseste Naturreich begeben und dasselbe in dem
Maße studieren, daß er fähig geworden eine Maxime zu fassen, welche, zur Anwendung auf die mannigfal
tigsten Gestalten bequem, die Gesetzlichkeit aus
sprach, der zu gehorchen Tausende von Einzelnheiten
genötigt sind.
 
Der Verfasser gedachten Werkchens hat hierüber
schon in seinen morphologischen Heften Nachricht
gegeben, in dem er aber hier am Orte das Nötige und
Schickliche bei bringen möchte, bittet er sich die Er
laubnis aus, in der ersten Person einen bescheidenen
Vortrag zu eröffnen.
 
In einer ansehnlichen Stadt geboren und erzogen,
gewann ich meine erste Bildung in der Bemühung um
alte und neuere Sprachen, woran sich früh rhetorische
und poetische Übungen anschlossen. Hiezu gesellte
sich übrigens alles, was in sittlicher und religiöser
Hinsicht den Menschen auf sich selbst hinweist.
Eine weitere Ausbildung hatte ich gleichfalls grö
ßeren Städten zu danken, und es ergibt sich hieraus,
daß meine Geistestätigkeit sich auf das gesellig Sittli
che beziehen mußte und in Gefolg dessen auf das An
genehme, was man damals schöne Literatur nannte.
Von dem hingegen, was eigentlich äußere Natur
heißt, hatte ich keinen Begriff, und von ihren soge
nannten drei Reichen nicht die geringste Kenntnis.
Von Kindheit auf war ich gewohnt, in wohleingerich
teten Ziergärten den Flor der Tulpen, Ranunkeln und
Nelken bewundert zu sehen; und wenn außer den gewöhnlichen Obstsorten auch Aprikosen, Pfirschen
und Trauben wohl gerieten, so waren dies genügende
Feste den Jungen und den Alten. An exotische Pflan
zen wurde nicht gedacht, noch viel weniger daran,
Naturgeschichte in der Schule zu lehren.
 
Die ersten von mir herausgegebenen poetischen
Versuche wurden mit Beifall aufgenommen, welche
jedoch eigentlich nur den innern Menschen schildern,
und von den Gemütsbewegungen genugsame Kennt
nis voraussetzen. Hie und da mag sich ein Anklang
finden von einem leidenschaftlichen Ergötzen an länd
lichen Natur-Gegenständen, sowie von einem ernsten
Drange das ungeheure Geheimnis, das sich in steti
gem Erschaffen und Zerstören an den Tag gibt, zu er
kennen, ob sich schon dieser Trieb in ein unbestimm
tes, unbefriedigtes Hinbrüten zu verlieren scheint.
In das tätige Leben jedoch sowohl als in die Sphäre
der Wissenschaft trat ich eigentlich zuerst, als der
edle Weimarische Kreis mich günstig aufnahm; wo
außer andern unschätzbaren Vorteilen mich der Ge
winn beglückte, Stuben- und Stadtluft mit Land-,
Wald- und Garten-Atmosphäre zu vertauschen.
 
Schon der erste Winter gewährte die raschen gesel
ligen Freuden der Jagd, von welchen ausruhend man
die langen Abende nicht nur mit allerlei merkwürdi
gen Abenteuern der Wildbahn, sondern auch vorzüg
lich mit Unterhaltung über die nötige Holzkultur zubrachte. Denn die Weimarische Jägerei bestand aus
trefflichen Forstmännern, unter welchen der Name
Sckell in Segen bleibt. Eine Revision sämtlicher
Waldreviere, gegründet auf Vermessung, war bereits
vollbracht, und für lange Zeit eine Einteilung der jähr
lichen Schläge vorgesehn.
 
Auch die jüngeren Edelleute folgten wohlmeinend
dieser vernünftigen Spur, von denen ich hier nur den
Baron von Wedel nenne, welcher uns in seinen besten
Jahren leider entrissen ward. Er behandelte sein Ge
schäft mit gradem Sinn und großer Billigkeit; auch er
hatte schon in jener Zeit auf die Verringerung des
Wildstandes gedrungen, überzeugt, wie schädlich die
Hegung desselben nicht allein dem Ackerbau, sondern
der Forstkultur selbst werden müsse.
 
Hier tat sich nun der Thüringer Wald in Länge und
Breite vor uns auf; denn nicht allein die dortigen
schönen Besitztümer des Fürsten, sondern, bei guten
nachbarlichen Verhältnissen, sämtliche daranstoßen
den Reviere waren uns zugänglich; zumal da auch die
angehende Geologie in jugendlicher Bestrebsamkeit
sich bemühte, Rechenschaft von dem Grund und
Boden zu geben, worauf diese uralten Wälder sich an
gesiedelt. Nadelhölzer aller Art, mit ernstem Grün
und balsamischem Dufte, Buchenhaine von freudi
germ Anblick, die schwanke Birke und das niedere
namenlose Gesträuch, jedes hatte seinen Platz gesuchtund gewonnen. Wir aber konnten dies alles in großen,
meilenweiten, mehr oder weniger wohlbestandenen
Forsten überschauen und erkennen.
 
Auch wenn von Benutzung die Rede war, mußte
man sich nach den Eigenschaften der Baumarten er
kundigen. Die Harzscharre, deren Mißbrauch man
nach und nach zu begrenzen suchte, ließ die feinen
balsamischen Säfte in Betrachtung ziehn, die einen
solchen Baum ins zweite Jahrhundert, von der Wurzel
bis zum Gipfel begleiteten, ernährten, ewig grün,
frisch und lebendig erhielten.
 
Hier zeigte sich denn auch die ganze Sippschaft der
Moose in ihrer größten Mannigfaltigkeit; sogar den
unter der Erde verborgenen Wurzeln wurde unsre
Aufmerksamkeit zugewendet. In jenen Waldgegenden
hatten sich nämlich, von den dunkelsten Zeiten her,
geheimnisvoll nach Rezepten arbeitende Laboranten
angesiedelt und vom Vater zum Sohn manche Arten
von Extrakten und Geisten bearbeitet, deren allgemei
ner Ruf von einer ganz vorzüglichen Heilsamkeit
durch emsige sogenannte Balsamträger erneuert, ver
breitet und genutzt ward. Hier spielte nun der Enzian
eine große Rolle, und es war eine angenehme Bemü
hung, dieses reiche Geschlecht nach seinen verschie
denen Gestalten als Pflanze und Blüte, vorzüglich
aber die heilsame Wurzel näher zu betrachten. Dieses
war das erste Geschlecht, welches mich im eigentlichen Sinne anzog, dessen Arten kennen zu ler
nen ich auch in der Folgezeit bemüht war.
 
Hiebei möchte man bemerken, daß der Gang mei
ner botanischen Bildung einigermaßen der Geschichte
der Botanik selbst ähnelte; denn ich war vom augen
fälligsten Allgemeinsten auf das Nutzbare, Anwend
bare, vom Bedarf zur Kenntnis gelangt, und welcher
Kenner wird bei obigem sich nicht jener Epoche der
Rhizotomen lächelnd erinnern?
 
Da nun aber gegenwärtig die Absicht bleibt zu
melden, wie ich mich der eigentlichen wissenschaftli
chen Botanik genähert, so hab' ich vor allen Dingen
eines Mannes zu gedenken, welcher in jeder Hinsicht
die Hochschätzung seiner Weimarischen Mitbürger
verdiente. Dr. Buchholz, Besitzer der damals einzigen
Apotheke, wohlhabend und lebenslustig, richtete mit
ruhmwürdiger Lernbegierde seine Tätigkeit auf Na
turwissenschaften. Er suchte sich zu seinen unmittel
baren pharmazeutischen Zwecken die tüchtigsten che
mischen Gehülfen, wie denn der treffliche Göttling
aus dieser Offizin als gebildeter Scheidekünstler her
vorging. Jede neue, vom Aus- oder Inland entdeckte
chemischphysische Merkwürdigkeit ward unter des
Prinzipals Leitung geprüft, und einer wißbegierigen
Gesellschaft uneigennützig vorgetragen.
 
Auch in der Folge, daß ich dieses zu seinen Ehren
vorausnehme, als die naturforschende Welt sich eifrig beschäftigte die verschiedenen Luftarten zu erkennen,
versäumte er nicht, jederzeit das Neueste experimen
tierend vor Augen zu bringen. So ließ er denn auch
eine der ersten Montgolfieren von unsern Terrassen,
zum Ergötzen der Unterrichteten, in die Höhe steigen,
indessen die Menge sich vor Erstaunen kaum zu fas
sen wußte, und in der Luft die verschüchterten Tau
ben scharenweise hin und wider flüchteten.
Hier aber habe ich vielleicht einem zu erwartenden
Vorwurfe zu begegnen, daß ich nämlich fremde Be
ziehungen in meinen Vortrag mit einmische. Sei mir
darauf zu erwidern erlaubt, daß ich von meiner Bil
dung im Zusammenhange nicht sprechen könnte,
wenn ich nicht der frühen Vorzüge des Weimarischen,
für jene Zeiten hochgebildeten Kreises dankbar ge
dächte, wo Geschmack und Kenntnis, Wissen und
Dichten gesellig zu wirken sich bestrebten, ernste
gründliche Studien und frohe rasche Tätigkeit unab
lässig miteinander wetteiferten.
 
Doch aber hängt, näher betrachtet, was ich hier zu
sagen habe, mit dem Vorgemeldeten zusammen. Che
mie und Botanik gingen damals vereint aus den ärztli
chen Bedürfnissen hervor, und wie der gerühmte Dr.
Buchholz von seinem Dispensatorium sich in die hö
here Chemie wagte, so schritt er auch aus den engen
Gewürzbeeten in die freiere Pflanzenwelt. In seinen
Gärten hatte er nicht die offizinellen Gewächse nur, sondern auch seltenere, neu bekannt gewordene Pflan
zen für die Wissenschaft zu pflegen unternommen.
Dieses Mannes Tätigkeit lenkte der junge, schon
früh den Wissenschaften sich hingebende Regent all
gemeinerem Gebrauch und Belehrung zu, indem er
große sonnige Gartenflächen, in der Nachbarschaft
von schattigen und feuchten Plätzen, einer botani
schen Anstalt widmete, wozu denn ältere wohlerfah
rene Hofgärtner mit Eifer sogleich die Hand boten.
Die noch vorhandenen Katalogen dieser Anstalt zeu
gen von dem Eifer, womit dergleichen Anfänge betrie
ben wurden.
 
Unter solchen Umständen war auch ich genötigt,
über botanische Dinge immer mehr und mehr Aufklä
rung zu suchen. Linnés Terminologie, die Funda
mente, worauf das Kunstgebäude sich stützen sollte,
Johann Geßners Dissertationen zu Erklärung Linné
ischer Elemente, alles in Einem schmächtigen Hefte
vereinigt, begleiteten mich auf Wegen und Stegen;
und noch heute erinnert mich ebendasselbe Heft an
die frischen glücklichen Tage, in welchen jene gehalt
reichen Blätter mir zuerst eine neue Welt aufschlos
sen. Linnés Philosophie der Botanik war mein tägli
ches Studium, und so rückte ich immer weiter vor in
geordneter Kenntnis, indem ich mir möglichst anzu
eignen suchte, was mir eine allgemeinere Umsicht
über dieses weite Reich verschaffen konnte.    Besonderen Vorteil aber brachte mir, wie in allem
Wissenschaftlichen, die Nähe der Akademie Jena, wo
die Wartung offizineller Pflanzen seit geraumer Zeit
mit Ernst und Fleiß behandelt wurde. Auch erwarben
sich die Professoren Prätorius, Schlegel und Rolfink
früher um die allgemeinere Botanik zeitgemäße Ver
dienste. Epoche machte jedoch Ruppes Flora Jenen
sis, welche 1718 erschien; hiernach wurde der bis
jetzt auf einen engen klösterlichen Garten einge
schränkten, bloß zu ärztlichem Zwecke dienenden
Pflanzenbetrachtung die ganze reiche Gegend eröffnet
und ein freies frohes Naturstudium eingeleitet.
Hieran von ihrer Seite Anteil zu nehmen beeiferten
sich aufgeweckte Landleute aus der Gegend, welche
schon für den Apotheker und Kräuter-Händler bisher
sich tätig erwiesen hatten, und eine nunmehr neuein
geführte Terminologie nach und nach einzulernen wu
ßten. In Ziegenhain hatte sich besonders eine Familie
Dietrich hervorgetan; der Stammvater derselben,
sogar von Linné bemerkt, hatte von diesem hochver
ehrten Manne ein eigenhändiges Schreiben aufzuwei
sen, durch welches Diplom er sich wie billig in den
botanischen Adelstand erhoben fühlte. Nach seinem
Ableben setzte der Sohn die Geschäfte fort, welche
hauptsächlich darin bestanden, daß die sogenannten
Lektionen, nämlich Bündel der jede Woche blühen
den Gewächse, Lehrenden und Lernenden von allen Seiten herangeschafft wurden. Die joviale Wirksam
keit des Mannes verbreitete sich bis nach Weimar,
und so ward ich nach und nach mit der Jenaischen rei
chen Flora bekannt.
 
Noch einen größern Einfluß aber auf meine Beleh
rung hatte der Enkel Friedrich Gottlieb Dietrich. Als
wohlgebauter Jüngling, von regelmäßig angenehmer
Gesichtsbildung, schritt er vor, mit frischer Jugend
kraft und Lust sich der Pflanzenwelt zu bemeistern;
sein glückliches Gedächtnis hielt alle die seltsamen
Benennungen fest, und reichte sie ihm jeden Augen
blick zum Gebrauche dar; seine Gegenwart sagte mir
zu, da ein offner freier Charakter aus Wesen und Tun
hervorleuchtete, und so ward ich bewogen auf einer
Reise nach Karlsbad ihn mit mir zu nehmen.
In gebirgigen Gegenden immer zu Fuße brachte er
mit eifrigem Spürsinn alles Blühende zusammen, und
reichte mir die Ausbeute wo möglich an Ort und Stel
le sogleich in den Wagen herein, und rief dabei nach
Art eines Herolds die Linnéischen Bezeichnungen,
Geschlecht und Art, mit froher Überzeugung aus,
manchmal wohl mit falscher Betonung. Hiedurch
ward mir ein neues Verhältnis zur freien herrlichen
Natur, indem mein Auge ihrer Wunder genoß und mir
zugleich wissenschaftliche Bezeichnungen des Einzel
nen, gleichsam aus einer fernen Studierstube, in das
Ohr drangen.    In Karlsbad selbst war der junge rüstige Mann mit
Sonnenaufgang im Gebirge, reichliche Lektionen
brachte er mir sodann an den Brunnen, ehe ich noch
meine Becher geleert hatte; alle Mitgäste nahmen teil,
die, welche sich dieser schönen Wissenschaft beflei
ßigten, besonders. Sie sahen ihre Kenntnisse auf das
anmutigste angeregt, wenn ein schmucker Landknabe,
im kurzen Westchen, daherlief, große Bündel von
Kräutern und Blumen vorweisend, sie alle mit
Namen, griechischen, lateinischen, barbarischen Ur
sprungs, bezeichnend; ein Phänomen, das bei Män
nern, auch wohl bei Frauen, vielen Anteil erregte.
Sollte vorgesagtes dem eigentlich wissenschaftli
chen Manne vielleicht allzu empirisch vorkommen, so
melde ich hienächst, daß gerade dieses lebhafte Be
nehmen uns die Gunst und den Anteil eines in diesem
Fache schon geübteren Mannes erwerben konnte,
eines trefflichen Arztes nämlich, der, einen reichen
Vornehmen begleitend, seinen Badeaufenthalt eigent
lich zu botanischen Zwecken zu nutzen gedachte. Er
gesellte sich gar bald zu uns, die sich freuten ihm an
Handen zu gehen. Die meisten von Dietrich früh ein
gebrachten Pflanzen trachtete er sorgfältig einzulegen,
wo denn der Name hinzugeschrieben und auch sonst
manches bemerkt wurde. Hiebei konnt' ich nicht an
ders als gewinnen. Durch Wiederholung prägten sich
die Namen in mein Gedächtnis; auch im Analysieren gewann ich etwas mehr Fertigkeit, doch ohne bedeu
tenden Erfolg; Trennen und Zählen lag nicht in meiner
Natur.
 
Nun fand aber jenes fleißige Bemühen und Treiben
in der großen Gesellschaft einige Gegner. Wir mußten
öfters hören: die ganze Botanik, deren Studium wir so
emsig verfolgten, sei nichts weiter als eine Nomenkla
tur, und ein ganzes auf Zahlen, und das nicht einmal
durchaus, gegründetes System; sie könne weder dem
Verstand noch der Einbildungskraft genügen, und nie
mand werde darin irgendeine auslangende Folge zu
finden wissen. Ohngeachtet dieser Einwendung gin
gen wir getrost unsern Weg fort, der uns denn immer
tief genug in die Pflanzenkenntnis einzuleiten ver
sprach.
 
Hier aber will ich nur kürzlich bemerken, daß der
folgende Lebensgang des jungen Dietrich solchen An
fängen gleich blieb; er schritt unermüdet auf dieser
Bahn weiter, so daß er, als Schriftsteller rühmlichst
bekannt, mit der Doktorwürde geziert, den Großher
zoglichen Gärten in Eisenach bis jetzt mit Eifer und
Ehre vorsteht.
 
August Carl Batsch, der Sohn eines in Weimar
durchaus geliebten und geschätzten Vaters, hatte
seine Studienzeit in Jena sehr wohl benutzt, sich den
Naturwissenschaften eifrig ergeben und es so weit ge
bracht, daß er nach Köstritz berufen wurde, um die ansehnliche Gräflich Reußische Naturaliensammlung
zu ordnen und ihr eine Zeitlang vorzustehen. Sodann
kehrte er nach Weimar zurück, wo ich ihn denn, im
harten pflanzenfeindlichen Winter, auf der Schritt
schuhbahn, damals dem Versammlungsort guter Ge
sellschaft, mit Vergnügen kennen lernte, seine zarte
Bestimmtheit und ruhigen Eifer gar bald zu schätzen
wußte, und in freier Bewegung mich mit ihm über hö
here Ansichten der Pflanzenkunde und über die ver
schiedenen Methoden, dieses Wissen zu behandeln,
freimütig und anhaltend besprach.
 
Seine Denkweise war meinen Wünschen und For
derungen höchst angemessen, die Ordnung der Pflan
zen nach Familien, in aufsteigendem, sich nach und
nach entwickelnden Fortschritt, war sein Augenmerk.
Diese naturgemäße Methode, auf die Linné mit from
men Wünschen hindeutet, bei welcher französische
Botaniker theoretisch und praktisch beharrten, sollte
nun einen unternehmenden jüngeren Mann zeitlebens
beschäftigen, und wie froh war ich meinen Teil daran
aus der ersten Hand zu gewinnen.
Aber nicht allein von zwei Jünglingen, sondern
auch von einem bejahrten vorzüglichen Manne sollte
ich unbeschreiblich gefördert werden. Hofrat Büttner
hatte seine Bibliothek von Göttingen nach Jena ge
bracht, und ich, durch das Vertrauen meines Fürsten,
der diesen Schatz sich und uns angeeignet hatte, beauftragt, Anordnung und Aufstellung, nach dem ei
genen Sinne des im Besitz bleibenden Sammlers, ein
zuleiten, unterhielt mit demselben ein fortwährendes
Verkehr. Er, eine lebendige Bibliothek, bereitwillig
auf jede Frage umständliche, auslangende Antwort
und Auskunft zu geben, unterhielt sich über Botanik
mit Vorliebe.
 
Hier verleugnete er nicht, sondern bekannte viel
mehr sogar leidenschaftlich, daß er, als Zeitgenosse
Linnés, gegen diesen ausgezeichneten, die ganze Welt
mit seinem Namen erfüllenden Mann in stillem Wett
eifer, dessen System niemals angenommen, vielmehr
sich bemüht habe, die Anordnung der Gewächse nach
Familien zu bearbeiten, von den einfachsten fast un
sichtbaren Anfängen in das Zusammengesetzteste und
Ungeheuerste fortschreitend. Ein Schema hiervon
zeigte er gern, mit eigner Hand zierlich geschrieben,
worin die Geschlechter nach diesem Sinne gereiht er
schienen, mir zu großer Erbauung und Beruhigung.
Vorgesagtem nachdenkend, wird man die Vorteile
nicht verkennen, die mir meine Lage zu dergleichen
Studien gewährte: große Gärten, sowohl an der Stadt
als an Lustschlössern, hie und da in der Gegend
Baum- und Gebüsch-Anlagen nicht ohne botanische
Rücksicht, dazu die Beihülfe einer in der Nachbar
schaft längst durchgearbeiteten wissenschaftlichen
Lokalflora, nebst der Einwirkung einer stets fortschreitenden Akademie, alles zusammengenom
men gab einem aufgeweckten Geiste genugsame För
dernis zur Einsicht in die Pflanzenwelt.
Indessen sich dergestalt meine botanischen Kennt
nisse und Einsichten in lebenslustiger Geselligkeit er
weiterten, ward ich eines einsiedlerischen Pflanzen
freundes gewahr, der mit Ernst und Fleiß sich diesem
Fache gewidmet hatte.
 
Wer wollte nicht dem im höchsten Sinne verehrten
Johann Jacob Rousseau auf seinen einsamen Wande
rungen folgen, wo er, mit dem Menschengeschlecht
verfeindet, seine Aufmerksamkeit der Pflanzen- und
Blumenwelt zuwendet, und in echter gradsinniger
Geisteskraft sich mit den still reizenden Naturkindern
vertraut macht.
 
Aus seinen frühern Jahren ist mir nicht bekannt,
daß er zu Blumen und Pflanzen andere Anmutungen
gehabt als solche, welche eigentlich nur auf Gesin
nung, Neigung, zärtliche Erinnerungen hindeuteten;
seinen entschiedenen Äußerungen aber zufolge mag er
erst nach einem stürmischen Autor-Leben, auf der St.
Peters-Insel, im Bieler See, auf dies Naturreich in sei
ner Fülle aufmerksam geworden sein. In England
nachher, bemerkt man, hat er sich schon freier und
weiter umgesehn; sein Verhältnis zu Pflanzenfreunden
und - kennern, besonders zu der Herzogin von Port
land, mag einen Scharfblick mehr in die Breite gewiesen haben, und ein Geist wie der seinige, der
den Nationen Gesetz und Ordnung vorzuschreiben
sich berufen fühlt, mußte doch zur Vermutung gelan
gen, daß in dem unermeßlichen Pflanzenreiche keine
so große Mannigfaltigkeit von Formen erscheinen
könnte, ohne daß ein Grundgesetz, es sei auch noch
so verborgen, sie wieder sämtlich zur Einheit zurück
brächte. Er versenkt sich in dieses Reich, nimmt es
ernstlich in sich auf, fühlt, daß ein gewisser methodi
scher Gang durch das Ganze möglich sei, getraut sich
aber nicht damit hervorzutreten. Wie er sich selbst
darüber ausspricht, wird immer ein Gewinn sein zu
vernehmen.
 
»Was mich betrifft, ich bin in diesem Studium ein
Schüler und nicht gegründet; indem ich herborisiere,
denk' ich mehr mich zu zerstreuen und zu vergnügen
als zu unterrichten, und ich kann bei meinen zögern
den Betrachtungen den anmaßlichen Gedanken nicht
fassen, andere zu unterrichten in dem, was ich selbst
nicht weiß.«
 
»Doch ich gestehe, die Schwierigkeiten, die ich bei
dem Studium der Pflanzen fand, führten mich auf ei
nige Vorstellungen, wie sich wohl Mittel finden lie
ßen dasselbe zu erleichtern und andern nützlich zu
machen, und zwar indem man den Faden eines Pflan
zensystems durch eine mehr schritthaltende, weniger
den Sinnen entrückte Methode zu verfolgen wüßte alses Tournefort getan und alle seine Nachfolger, selbst
Linné nicht ausgenommen. Vielleicht ist mein Gedan
ke nicht ausführbar; wir sprechen darüber, wenn ich
die Ehre habe Sie wieder zu sehen.«
Also schrieb er im Anfange des Jahrs 1770; allein
es hatte ihm unterdessen keine Ruhe gelassen; schon
im August 1771 unternimmt er, bei einem freundli
chen Anlaß, die Pflicht andere zu belehren, ja, was er
weiß und einsieht, Frauen vorzutragen, nicht etwa zu
spielender Unterhaltung, sondern sie gründlich in die
Wissenschaft einzuleiten.
 
Hier gelingt es ihm nun, sein Wissen auf die ersten
sinnlich vorzuweisenden Elemente zurückzuführen; er
legt die Pflanzenteile einzeln vor, lehrt sie unterschei
den und benennen. Kaum aber hat er hierauf die ganze
Blume aus den Teilen wiederhergestellt und sie be
nannt, teils durch Trivialnamen kenntlich gemacht,
teils die Linnéische Terminologie ehrenhaft, ihren
ganzen Wert bekennend, eingeführt; so gibt er also
bald eine breitere Übersicht ganzer Massen. Nach und
nach führt er uns vor: Liliaceen, Siliquosen und Sili
kulosen, Rachen- und Maskenblumen, Umbellen und
Kompositen zuletzt, und indem er auf diesem Wege
die Unterschiede in steigender Mannigfaltigkeit und
Verschränkung anschaulich macht, führt er uns un
merklich einer vollständigen erfreulichen Übersicht
entgegen. Denn da er an Frauenzimmer zu reden hat, versteht er, mäßig und gehörig, auf Gebrauch, Nutzen
und Schaden hinzuweisen, und dies um so schickli
cher und leichter, da er, alle Beispiele zu seiner Lehre
aus der Umgebung nehmend, nur von dem Einheimi
schen spricht und auf die exotischen Pflanzen, wie sie
auch gekannt sein und gepflegt werden mögen, keine
Ansprüche macht.
 
Im Jahr 1822 gab man unter dem Titel La Bota
nique de Rousseau sämtliche von ihm über diese Ge
genstände verfaßten Schriften in klein Folio sehr an
ständig heraus, begleitet mit farbigen Bildern, nach
dem vortrefflichen Redoute alle diejenigen Pflanzen
vorstellend, von welchen er gesprochen hatte. Bei
deren Überblick bemerkt man mit Vergnügen, wie
einheimisch ländlich er bei seinen Studien verfahren,
indem nur Pflanzen vorgestellt sind, welche er auf sei
nen Spaziergängen unmittelbar konnte gewahr wer
den.
 
Seine Methode: das Pflanzenreich ins Engere zu
bringen, neigt sich, wie wir oben gesehen haben, of
fenbar zur Einteilung nach Familien; und da ich in
jener Zeit auch schon zu Betrachtungen dieser Art
hingeleitet war, so machte sein Vortrag auf mich
einen desto größern Eindruck.
 
Und so wie die jungen Studierenden sich auch am
liebsten an junge Lehrer halten, so mag der Dilettant
gern vom Dilettanten lernen. Dieses wäre freilich in Absicht auf Gründlichkeit bedenklich, wenn nicht die
Erfahrung gäbe, daß Dilettanten zum Vorteil der Wis
senschaft vieles beigetragen. Und zwar ist dieses ganz
natürlich: Männer vom Fach müssen sich um Voll
ständigkeit bemühen und deshalb den weiten Kreis in
seiner Breite durchforschen; dem Liebhaber dagegen
ist darum zu tun, durch das Einzelne durchzukommen,
und einen Hochpunkt zu erreichen, von woher ihm
eine Übersicht, wo nicht des Ganzen, doch des Mei
sten gelingen könnte.
 
Von Rousseaus Bemühungen bring' ich nur soviel
nach, daß er eine sehr anmutige Sorgfalt für das
Trocknen der Pflanzen und Anlegen von Herbarien
beweist, und den Verlust desselben innigst bedauert,
wenn irgendeins zugrunde geht, ob er gleich auch
hier, im Widerspruch mit sich selbst, weder Geschick
noch anhaltende Sorgsamkeit haben mochte, um be
sonders bei seinen vielfachen Wanderungen auf Er
haltung genau zu achten; deswegen er auch derglei
chen Gesammeltes nur immer als Heu angesehen wis
sen will.
 
Behandelt er aber, einem Freund zuliebe, die
Moose mit billiger Sorgfalt, so erkennen wir aufs leb
hafteste, welchen gründlichen Anteil ihm die Pflan
zenwelt abgewonnen habe; welches besonders die
Fragmens pour un Dictionnaire des termes d'usage en
Botanique vollkommen bestätigen.    Soviel sei hier gesagt, um einigermaßen anzudeu
ten, was wir ihm in jener Epoche unsrer Studien
schuldig geworden.
 
Wie er sich nun, befreit von allem nationalen Starr
sinn, an die auf jeden Fall vorschreitenden Wirkungen
Linnés hielt, so dürfen wir auch wohl von unsrer Seite
bemerken, daß es ein großer Vorteil sei, wenn wir
beim Eintreten in ein für uns neues wissenschaftliches
Fach es in einer Krise und einen außerordentlichen
Mann beschäftigt finden, hier das Vorteilhafte durch
zuführen. Wir sind jung mit der jungen Methode,
unsre Anfänge treffen in eine neue Epoche, und wir
werden in die Masse der Bestrebsamen wie in ein Ele
ment aufgenommen, das uns trägt und fördert.
Und so ward ich mit meinen übrigen Zeitgenossen
Linnés gewahr, seiner Umsicht, seiner alles hinreißen
den Wirksamkeit. Ich hatte mich ihm und seiner
Lehre mit völligem Zutrauen hingegeben; demunge
achtet mußt' ich nach und nach empfinden, daß mich
auf dem bezeichneten eingeschlagenen Wege man
ches, wo nicht irremachte, doch zurückhielt.
Soll ich nun über jene Zustände mit Bewußtsein
deutlich werden, so denke man mich als einen gebor
nen Dichter, der seine Worte, seine Ausdrücke unmit
telbar an den jedesmaligen Gegenständen zu bilden
trachtet, um ihnen einigermaßen genugzutun. Ein sol
cher sollte nun eine fertige Terminologie ins Gedächtnis aufnehmen, eine gewisse Anzahl Wörter
und Beiwörter bereit haben, damit er, wenn ihm ir
gendeine Gestalt vorkäme, eine geschickte Auswahl
treffend, sie zu charakteristischer Bezeichnung anzu
wenden und zu ordnen wisse. Dergleichen Behand
lung erschien mir immer als eine Art von Mosaik, wo
man einen fertigen Stift neben den andern setzt, um
aus tausend Einzelnheiten endlich den Schein eines
Bildes hervorzubringen; und so war mir die Forde
rung in diesem Sinne gewissermaßen widerlich.
Sah ich nun aber auch die Notwendigkeit dieses
Verfahrens ein, welches dahin zweckte, sich durch
Worte, nach allgemeiner Übereinkunft, über gewisse
äußerliche Vorkommenheiten der Pflanzen zu verstän
digen, und alle schwer zu leistende und oft unsichre
Pflanzenabbildungen entbehren zu können; so fand
ich doch bei der versuchten genauen Anwendung die
Hauptschwierigkeit in der Versatilität der Organe.
Wenn ich an demselben Pflanzenstengel erst rundli
che, dann eingekerbte, zuletzt beinahe gefiederte Blät
ter entdeckte, die sich alsdann wieder zusammenzo
gen, vereinfachten, zu Schüppchen wurden und zu
letzt gar verschwanden, da verlor ich den Mut ir
gendwo einen Pfahl einzuschlagen, oder wohl gar eine
Grenzlinie zu ziehen.
 
Unauflösbar schien mir die Aufgabe, Genera mit
Sicherheit zu bezeichnen, ihnen die Spezies unterzuordnen. Wie es vorgeschrieben war, las ich
wohl, allein wie sollt, ich eine treffende Bestimmung
hoffen, da man bei Linnés Lebzeiten schon manche
Geschlechter in sich getrennt und zersplittert ja sogar
Klassen aufgehoben hatte; woraus hervorzugehn
schien: der genialste, scharfsichtigste Mann selbst
habe die Natur nur en gros gewältigen und beherr
schen können Wurde nun dabei meine Ehrfurcht für
ihn im geringsten nicht geschmälert, so mußte deshalb
ein ganz eigener Konflikt entstehen, und man denke
sich die Verlegenheit, in der sich ein autodidaktischer
Tiro abzumühen und durchzukämpfen hatte.
Ununterbrochen jedoch mußt' ich meinen übrigen
Lebensgang verfolgen, dessen Pflichten und Erholun
gen glücklicherweise meist in der freien Natur ange
wiesen waren Hier drang sich nun dem unmittelbaren
Anschauen gewaltig auf: wie jede Pflanze ihre Gele
genheit sucht, wie sie eine Lage fordert, wo sie in
Fülle und Freiheit erscheinen könne. Bergeshöhe, Ta
lestiefe, Licht, Schatten, Trockenheit, Feuchte, Hitze,
Wärme, Kälte, Frost und wie die Bedingungen alle
heißen mögen! Geschlechter und Arten verlangen sie,
um mit völliger Kraft und Menge hervorzusprießen.
Zwar geben sie an gewissen Orten, bei manchen Gele
genheiten, der Natur nach, lassen sich zur Varietät
hinreißen, ohne jedoch das erworbene Recht an Ge
stalt und Eigenschaft völlig aufzugeben. Ahnungen hievon berührten mich in der freien Welt, und neue
Klarheit schien mir aufzugehen über Gärten und Bü
cher.
 
Der Kenner, der sich in das Jahr 1786 zurückzu
versetzen geneigt wäre, möchte sich wohl einen Be
griff meines Zustandes ausbilden können, in welchem
ich mich nun schon zehn Jahre befangen fühlte, ob es
gleich selbst für den Psychologen eine Aufgabe blei
ben würde, indem ja, bei dieser Darstellung, meine
sämtlichen Obliegenheiten, Neigungen, Pflichten und
Zerstreuungen mit aufzunehmen wären.
Hier gönne man mir eine ins Ganze greifende Be
merkung so einzuschalten: daß alles, was uns von Ju
gend auf umgab, jedoch nur oberflächlich bekannt
war und blieb, stets etwas Gemeines und Triviales für
uns behält, das wir als gleichgültig neben uns beste
hend ansehen, worüber zu denken wir gewissermaßen
unfähig werden. Dagegen finden wir, daß neue Ge
genstände in auffallender Mannigfaltigkeit, indem sie
den Geist erregen, uns erfahren lassen, daß wir eines
reinen Enthusiasmus fähig sind; sie deuten auf ein
Höheres, welches zu erlangen uns wohl gegönnt sein
dürfte. Dies ist der eigentlichste Gewinn der Reisen,
und jeder hat nach seiner Art und Weise genugsamen
Vorteil davon. Das Bekannte wird neu durch unerwar
tete Bezüge, und erregt, mit neuen Gegenständen ver
knüpft, Aufmerksamkeit, Nachdenken und Urteil.
 
In diesem Sinne ward meine Richtung gegen die
Natur, besonders gegen die Pflanzenwelt, bei einem
schnellen Übergang über die Alpen lebhaft angeregt:
Der Lärchenbaum, häufiger als sonst, die Zirbelnuß,
eine neue Erscheinung, machten sogleich auf klimati
schen Einfluß dringend aufmerksam. Andere Pflan
zen, mehr oder weniger verändert, blieben bei eiligem
Vorüberrollen nicht unbemerkt. Am mehrsten aber er
kannt' ich die Fülle einer fremden Vegetation, als ich
in den botanischen Garten von Padua hineintrat, wo
mir eine hohe und breite Mauer mit feuerroten
Glocken der Bignonia radicans zauberisch entgegen
leuchtete.
 
Ferner sah ich hier im Freien manchen seltenen
Baum emporgewachsen, den ich nur in unsern Glas
häusern überwintern gesehen. Auch die mit einer ge
ringen Bedeckung gegen vorübergehenden Frost,
während der strengern Jahrszeit, geschützten Pflanzen
standen nunmehr im Freien und erfreuten sich der
wohltätigen Himmelsluft. Eine Fächerpalme zog
meine ganze Aufmerksamkeit auf sich; glücklicher
weise standen die einfachen, lanzenförmigen ersten
Blätter noch am Boden, die sukzessive Trennung
derselben nahm zu, bis endlich das Fächerartige in
vollkommener Ausbildung zu sehen war. Aus einer
spathagleichen Scheide zuletzt trat ein Zweiglein mit
Blüten hervor, und erschien als ein sonderbares, mit dem vorhergehenden Wachstum in keinem Verhältnis
stehendes Erzeugnis, fremdartig und überraschend.
Auf mein Ersuchen schnitt mir der Gärtner die Stu
fenfolge dieser Veränderungen sämtlich ab, und ich
belastete mich mit einigen großen Pappen, um diesen
Fund mit mir zu führen. Sie liegen, wie ich sie damals
mitgenommen, noch wohlbehalten vor mir und ich
verehre sie als Fetische, die, meine Aufmerksamkeit
zu erregen und zu fesseln völlig geeignet, mir eine gedeihliche Folge meiner Bemühungen zuzusagen schienen.
 
Das Wechselhafte der Pflanzengestalten, dem ich
längst auf seinem eigentümlichen Gange gefolgt, er
weckte nun bei mir immer mehr die Vorstellung: die
uns umgebenden Pflanzenformen seien nicht ur
sprünglich determiniert und festgestellt, ihnen sei viel
mehr, bei einer eigensinnigen, generischen und spezi
fischen Hartnäckigkeit, eine glückliche Mobilität und
Biegsamkeit verliehen, um in so viele Bedingungen,
die über dem Erdkreis auf sie einwirken, sich zu
fügen und darnach bilden und umbilden zu können.
Hier kommen die Verschiedenheiten des Bodens in
Betracht; reichlich genährt durch Feuchte der Täler,
verkümmert durch Trockne der Höhen, geschützt vor
Frost und Hitze in jedem Maße, oder beiden unaus
weichbar bloßgestellt, kann das Geschlecht sich zur
Art, die Art zur Varietät, und diese wieder durch andere Bedingungen ins Unendliche sich verändern;
und gleichwohl hält sich die Pflanze abgeschlossen in
ihrem Reiche, wenn sie sich auch nachbarlich an das
harte Gestein, an das beweglichere Leben hüben und
drüben anlehnt. Die allerentferntesten jedoch haben
eine ausgesprochene Verwandtschaft, sie lassen sich
ohne Zwang untereinander vergleichen.
Wie sie sich nun unter einen Begriff sammeln las
sen, so wurde mir nach und nach klar und klärer, daß
die Anschauung noch auf eine höhere Weise belebt
werden könnte: eine Forderung, die mir damals unter
der sinnlichen Form einer übersinnlichen Urpflanze
vorschwebte. Ich ging allen Gestalten, wie sie mir
vorkamen, in ihren Veränderungen nach, und so
leuchtete mir am letzten Ziel meiner Reise, in Sizilien,
die ursprüngliche Identität aller Pflanzenteile voll
kommen ein, und ich suchte diese nunmehr überall zu
verfolgen und wieder gewahr zu werden.
 
Hieraus entstand nun eine Neigung, eine Leiden
schaft, die durch alle notwendigen und willkürlichen
Geschäfte und Beschäftigungen auf meiner Rückreise
durchzog. Wer an sich erfuhr, was ein reichhaltiger
Gedanke, sei er nun aus uns selbst entsprungen, sei er
von andern mitgeteilt oder eingeimpft, zu sagen hat,
muß gestehen, welch eine leidenschaftliche Bewegung
in unserm Geiste hervorgebracht werde, wie wir uns
begeistert fühlen, indem wir alles dasjenige in Gesamtheit vorausahnen, was in der Folge sich mehr
und mehr entwickeln, wozu das Entwickelte weiter
führen solle. Und so wird man mir zugeben, daß ich,
von einem solchen Gewahrwerden wie von einer Lei
denschaft eingenommen und getrieben, mich, wo nicht
ausschließlich, doch durch alles übrige Leben hin
durch, damit beschäftigen mußte.
 
So sehr nun aber auch diese Neigung mich inner
lichst ergriffen hatte, so war doch an kein geregeltes
Studium nach meiner Rückkehr in Rom zu denken;
Poesie, Kunst und Altertum, jedes forderte mich ge
wissermaßen ganz, und ich habe in meinem Leben
nicht leicht operosere, mühsamer beschäftigte Tage
zugebracht. Männern vom Fach wird es vielleicht gar
zu naiv vorkommen, wenn ich erzähle, wie ich tagtäg
lich, in einem jeden Garten, auf Spaziergängen, klei
nen Lustfahrten, mich der neben mir bemerkten Pflan
zen bemächtigte. Besonders bei der eintretenden Sa
menreife war es mir wichtig, die Art zu beobachten,
wie manche derselben, der Erde anvertraut, an das Tageslicht wieder hervortraten. So wendete ich meine
Aufmerksamkeit auf das Keimen der während ihres
Wachstums unförmlichen Cactus opuntia, und sah mit
Vergnügen, daß sie ganz unschuldig dikotyledonisch
sich in zwei zarten Blättchen enthüllte, sodann aber
bei fernerem Wuchse, die künftige Unform entwickel
te.    Auch mit Samenkapseln begegnete mir etwas Auf
fallendes. Ich hatte derselben mehrere von Acanthus
mollis nach Hause getragen und in einem offnen Käst
chen niedergelegt; nun geschah es in einer Nacht, daß
ich ein Knistern hörte und bald darauf das Umher
springen an Decke und Wände wie von kleinen Kör
pern. Ich erklärte mir's nicht gleich, fand aber nachher
meine Schoten aufgesprungen und die Samen umher
zerstreut. Die Trockne des Zimmers hatte die Reife
bis zu solcher Elastizität in wenigen Tagen vollendet.
Unter den vielen Samen, die ich auf diese Weise
beobachtete, muß ich einiger noch erwähnen, weil sie
zu meinem Andenken kürzer oder länger in dem alten
Rom fortwuchsen. Pinienkerne gingen gar merkwür
dig auf, sie huben sich, wie in einem Ei eingeschlos
sen, empor, warfen aber diese Haube bald ab und
zeigten in einem Kranze von grünen Nadeln schon die
Anfänge ihrer künftigen Bestimmung. Vor meiner
Abreise pflanzte ich das schon einigermaßen erwach
sene Vorbildchen eines künftigen Baumes in den Gar
ten der Madame Angelika, wo es zu einer ansehnli
chen Höhe durch manche Jahre gedieh. Teilnehmende
Reisende erzählten mir davon zu wechselseitigem
Vergnügen. Leider fand der nach ihrem Ableben ein
tretende Besitzer es wunderlich auf seinen Blumen
beeten eine Pinie ganz unörtlich hervorgewachsen zu
sehen, und verbannte sie sogleich.    Glücklicher waren einige Dattelpflanzen, die ich
aus Kernen gezogen hatte; wie ich denn überhaupt die
Entwickelung derselben an mehreren Exemplaren be
obachtete. Ich übergab sie einem römischen Freunde,
der sie in einen Garten pflanzte, wo sie noch gedei
hen, wie mir ein erhabener Reisender zu versichern
die Gnade hatte. Sie sind bis zur Manneshöhe heran
gewachsen. Mögen sie dem Besitzer nicht unbequem
werden, und fernerhin fortwachsen und gedeihen.
Galt das Bisherige der Fortpflanzung durch Samen,
so ward ich auf die Fortpflanzung durch Augen nicht
weniger aufmerksam gemacht, und zwar durch Rat
Reiffenstein, der auf allen Spaziergängen, hier und
dort einen Zweig abreißend, bis zur Pedanterie be
hauptete: in die Erde gesteckt müsse jeder sogleich
fortwachsen. Zum entscheidenden Beweis zeigte er
dergleichen Stecklinge gar wohl angeschlagen in sei
nem Garten. Und wie bedeutend ist nicht in der Fol
gezeit eine solche allgemein versuchte Vermehrung
für die botanisch-merkantile Gärtnerei geworden, die
ich ihm wohl zu erleben gewünscht hätte.
Am auffallendsten war mir jedoch ein strauchartig
in die Höhe gewachsener Nelkenstock. Man kennt die
gewaltige Lebens- und Vermehrungskraft dieser
Pflanze; Auge ist über Auge an ihren Zweigen ge
drängt, Knoten in Knoten hineingetrichtert; dieses
war nun hier durch Dauer gesteigert und die Augen aus unerforschlicher Enge zur höchstmöglichen Ent  wickelung getrieben, so daß selbst die vollendete
Blume wieder vier vollendete Blumen aus ihrem
Busen hervorbrachte.
 
Zu Aufbewahrung dieser Wundergestalt kein Mittel
vor mir sehend, übernahm ich es, sie genau zu zeich
nen, wobei ich immer zu mehrerer Einsicht in den
Grundbegriff der Metamorphose gelangte. Allein die
Zerstreuung durch so vielerlei Obliegenheiten ward
nur desto hinderlicher, und mein Aufenthalt in Rom,
dessen Ende ich voraussah, immer peinlicher und be
lasteter.
 
Auf der Rückreise verfolgte ich unablässig diese
Gedanken, ich ordnete mir im stillen Sinne einen an
nehmlichen Vortrag dieser meiner Ansichten, schrieb
ihn bald nach meiner Rückkehr nieder und ließ ihn
drucken. Er kam 1790 heraus und ich hatte die Ab
sicht, bald eine weitere Erläuterung mit den nötigen
Abbildungen nachfolgen zu lassen. Das fortrau
schende Leben jedoch unterbrach und hinderte meine
guten Absichten, daher ich denn gegenwärtiger Ver
anlassung des Wiederabdrucks jenes Versuchs mich
um so mehr zu erfreuen habe, als sie mich auffordert
mancher Teilnahme an diesen schönen Studien seit
vierzig Jahren zu gedenken.
 
Nachdem ich im vorstehenden, so viel nur möglich
war, anschaulich zu machen gesucht habe, wie ich in meinen botanischen Studien verfahren, auf die ich ge  leitet, getrieben, genötigt und, durch Neigung daran
festgehalten, einen bedeutenden Teil meiner Le
benstage verwendet; so möchte doch vielleicht der
Fall eintreten, daß irgendein sonst wohlwollender
Leser hiebei tadeln könnte: als habe ich mich zu viel
und zu lange bei Kleinigkeiten und einzelnen Persön
lichkeiten aufgehalten; deshalb wünsche ich denn hier
zu erklären, daß dieses absichtlich und nicht ohne
Vorbedacht geschehen sei, damit mir nach so vielem
Besondern einiges Allgemeine beizubringen erlaubt
sein möge.
 
Seit länger als einem halben Jahrhundert kennt man
mich, im Vaterlande und auch wohl auswärts, als
Dichter und läßt mich allenfalls für einen solchen gel
ten; daß ich aber mit großer Aufmerksamkeit mich um
die Natur in ihren allgemeinen physischen und ihren
organischen Phänomenen emsig bemüht und ernstlich
angestellte Betrachtungen stetig und leidenschaftlich
im stillen verfolgt, dieses ist nicht so allgemein be
kannt, noch weniger mit Aufmerksamkeit bedacht
worden.
 
Als daher mein seit vierzig Jahren in deutscher
Sprache abgedruckter Versuch: wie man die Gesetze
der Pflanzenbildung sich geistreich vorzustellen
habe, nunmehr besonders in der Schweiz und Frank
reich näher bekannt wurde; so konnte man sich nicht genug verwundern, wie ein Poet, der sich bloß mit
sittlichen, dem Gefühl und der Einbildungskraft an
heimgegebenen Phänomenen gewöhnlich befasse, sich
einen Augenblick von seinem Wege abwenden und, in
flüchtigem Vorübergehen, eine solche bedeutende
Entdeckung habe gewinnen können.
 
Diesem Vorurteil zu begegnen, ist eigentlich vor
stehender Aufsatz verfaßt; er soll anschaulich ma
chen: wie ich Gelegenheit gefunden einen großen Teil
meines Lebens mit Neigung und Leidenschaft auf Na
turstudien zu verwenden.
 
Nicht also durch eine außerordentliche Gabe des
Geistes, nicht durch eine momentane Inspiration,
noch unvermutet und auf einmal, sondern durch ein
folgerechtes Bemühen bin ich endlich zu einem so er
freulichen Resultate gelangt.
Zwar hätte ich gar wohl der hohen Ehre, die man
meiner Sagazität erweisen wollen, ruhig genießen und
mich allen falls damit brüsten können; da es aber im
Verfolg wissenschaftlichen Bestrebens gleich schäd
lich ist, ausschließlich der Erfahrung, als unbedingt
der Idee zu gehorchen, so habe ich für meine Schul
digkeit gehalten das Ereignis, wie es mir begegnet,
historisch treu, obgleich nicht in aller Ausführlichkeit,
ernsten Forschern darzulegen.
 
[[Kategorie:Goethe (Text)]]

Version vom 28. Dezember 2021, 09:06 Uhr

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