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imported>Joachim Stiller |
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| === Johann Wolfgang Goethe ===
| | Diese Kategorie enthält Unterkategorien und Artikel zum Thema '''Genossenschaftswesen'''. |
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| == Der Verfasser teilt die Geschichte seiner botanischen Studien mit ==
| | '''{{WikipediaDE|Kategorie:Genossenschaftswesen}}''' |
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| Um die Geschichte der Wissenschaften aufzuklä
| | [[Kategorie:Gemeinnützige Wirtschaft|G]] |
| ren, um den Gang derselben genau kennen zu lernen,
| | [[Kategorie:Genossenschaftswesen|!]] |
| pflegt man sich sorgfältig nach ihren ersten Anfängen
| | [[Kategorie:Wirtschaftsmodell|H]] |
| zu erkundigen; man bemüht sich zu forschen: wer zu
| | [[Kategorie:Wirtschaftsleben]] |
| erst irgendeinem Gegenstand seine Aufmerksamkeit
| | [[Kategorie:Wirtschaft]] |
| zugewendet, wie er sich dabei benommen, wo und zu
| |
| welcher Zeit man zuerst gewisse Erscheinungen in
| |
| Betracht gezogen, dergestalt, daß von Gedanke zu
| |
| Gedanken neue Ansichten sich hervorgetan, welche
| |
| durch Anwendung allgemein bestätigt endlich die
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| Epoche bezeichnen, worin das, was wir eine Ent
| |
| deckung, eine Erfindung nennen, unbezweifelt zutage
| |
| gekommen: eine Erörterung, welche den mannigfach
| |
| sten Anlaß gibt, die menschlichen Geisteskräfte zu
| |
| kennen und zu schätzen.
| |
| | |
| Vorstehender kleinen Schrift hat man die Auszeich
| |
| nung erwiesen, sich nach ihrer Entstehung zu erkundi
| |
| gen; man hat zu erfahren gewünscht: wie ein Mann
| |
| von mittlerem Alter, der als Dichter etwas galt und
| |
| außerdem von mannigfaltigen Neigungen und Pflich
| |
| ten bedingt erschien, sich habe können in das gren
| |
| zenloseste Naturreich begeben und dasselbe in dem
| |
| Maße studieren, daß er fähig geworden eine Maxime zu fassen, welche, zur Anwendung auf die mannigfal
| |
| tigsten Gestalten bequem, die Gesetzlichkeit aus
| |
| sprach, der zu gehorchen Tausende von Einzelnheiten
| |
| genötigt sind.
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| Der Verfasser gedachten Werkchens hat hierüber
| |
| schon in seinen morphologischen Heften Nachricht
| |
| gegeben, in dem er aber hier am Orte das Nötige und
| |
| Schickliche bei bringen möchte, bittet er sich die Er
| |
| laubnis aus, in der ersten Person einen bescheidenen
| |
| Vortrag zu eröffnen.
| |
| | |
| In einer ansehnlichen Stadt geboren und erzogen,
| |
| gewann ich meine erste Bildung in der Bemühung um
| |
| alte und neuere Sprachen, woran sich früh rhetorische
| |
| und poetische Übungen anschlossen. Hiezu gesellte
| |
| sich übrigens alles, was in sittlicher und religiöser
| |
| Hinsicht den Menschen auf sich selbst hinweist.
| |
| Eine weitere Ausbildung hatte ich gleichfalls grö
| |
| ßeren Städten zu danken, und es ergibt sich hieraus,
| |
| daß meine Geistestätigkeit sich auf das gesellig Sittli
| |
| che beziehen mußte und in Gefolg dessen auf das An
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| genehme, was man damals schöne Literatur nannte.
| |
| Von dem hingegen, was eigentlich äußere Natur
| |
| heißt, hatte ich keinen Begriff, und von ihren soge
| |
| nannten drei Reichen nicht die geringste Kenntnis.
| |
| Von Kindheit auf war ich gewohnt, in wohleingerich
| |
| teten Ziergärten den Flor der Tulpen, Ranunkeln und
| |
| Nelken bewundert zu sehen; und wenn außer den gewöhnlichen Obstsorten auch Aprikosen, Pfirschen
| |
| und Trauben wohl gerieten, so waren dies genügende
| |
| Feste den Jungen und den Alten. An exotische Pflan
| |
| zen wurde nicht gedacht, noch viel weniger daran,
| |
| Naturgeschichte in der Schule zu lehren.
| |
| | |
| Die ersten von mir herausgegebenen poetischen
| |
| Versuche wurden mit Beifall aufgenommen, welche
| |
| jedoch eigentlich nur den innern Menschen schildern,
| |
| und von den Gemütsbewegungen genugsame Kennt
| |
| nis voraussetzen. Hie und da mag sich ein Anklang
| |
| finden von einem leidenschaftlichen Ergötzen an länd
| |
| lichen Natur-Gegenständen, sowie von einem ernsten
| |
| Drange das ungeheure Geheimnis, das sich in steti
| |
| gem Erschaffen und Zerstören an den Tag gibt, zu er
| |
| kennen, ob sich schon dieser Trieb in ein unbestimm
| |
| tes, unbefriedigtes Hinbrüten zu verlieren scheint.
| |
| In das tätige Leben jedoch sowohl als in die Sphäre
| |
| der Wissenschaft trat ich eigentlich zuerst, als der
| |
| edle Weimarische Kreis mich günstig aufnahm; wo
| |
| außer andern unschätzbaren Vorteilen mich der Ge
| |
| winn beglückte, Stuben- und Stadtluft mit Land-,
| |
| Wald- und Garten-Atmosphäre zu vertauschen.
| |
| | |
| Schon der erste Winter gewährte die raschen gesel
| |
| ligen Freuden der Jagd, von welchen ausruhend man
| |
| die langen Abende nicht nur mit allerlei merkwürdi
| |
| gen Abenteuern der Wildbahn, sondern auch vorzüg
| |
| lich mit Unterhaltung über die nötige Holzkultur zubrachte. Denn die Weimarische Jägerei bestand aus
| |
| trefflichen Forstmännern, unter welchen der Name
| |
| Sckell in Segen bleibt. Eine Revision sämtlicher
| |
| Waldreviere, gegründet auf Vermessung, war bereits
| |
| vollbracht, und für lange Zeit eine Einteilung der jähr
| |
| lichen Schläge vorgesehn.
| |
| | |
| Auch die jüngeren Edelleute folgten wohlmeinend
| |
| dieser vernünftigen Spur, von denen ich hier nur den
| |
| Baron von Wedel nenne, welcher uns in seinen besten
| |
| Jahren leider entrissen ward. Er behandelte sein Ge
| |
| schäft mit gradem Sinn und großer Billigkeit; auch er
| |
| hatte schon in jener Zeit auf die Verringerung des
| |
| Wildstandes gedrungen, überzeugt, wie schädlich die
| |
| Hegung desselben nicht allein dem Ackerbau, sondern
| |
| der Forstkultur selbst werden müsse.
| |
| | |
| Hier tat sich nun der Thüringer Wald in Länge und
| |
| Breite vor uns auf; denn nicht allein die dortigen
| |
| schönen Besitztümer des Fürsten, sondern, bei guten
| |
| nachbarlichen Verhältnissen, sämtliche daranstoßen
| |
| den Reviere waren uns zugänglich; zumal da auch die
| |
| angehende Geologie in jugendlicher Bestrebsamkeit
| |
| sich bemühte, Rechenschaft von dem Grund und
| |
| Boden zu geben, worauf diese uralten Wälder sich an
| |
| gesiedelt. Nadelhölzer aller Art, mit ernstem Grün
| |
| und balsamischem Dufte, Buchenhaine von freudi
| |
| germ Anblick, die schwanke Birke und das niedere
| |
| namenlose Gesträuch, jedes hatte seinen Platz gesuchtund gewonnen. Wir aber konnten dies alles in großen,
| |
| meilenweiten, mehr oder weniger wohlbestandenen
| |
| Forsten überschauen und erkennen.
| |
| | |
| Auch wenn von Benutzung die Rede war, mußte
| |
| man sich nach den Eigenschaften der Baumarten er
| |
| kundigen. Die Harzscharre, deren Mißbrauch man
| |
| nach und nach zu begrenzen suchte, ließ die feinen
| |
| balsamischen Säfte in Betrachtung ziehn, die einen
| |
| solchen Baum ins zweite Jahrhundert, von der Wurzel
| |
| bis zum Gipfel begleiteten, ernährten, ewig grün,
| |
| frisch und lebendig erhielten.
| |
| | |
| Hier zeigte sich denn auch die ganze Sippschaft der
| |
| Moose in ihrer größten Mannigfaltigkeit; sogar den
| |
| unter der Erde verborgenen Wurzeln wurde unsre
| |
| Aufmerksamkeit zugewendet. In jenen Waldgegenden
| |
| hatten sich nämlich, von den dunkelsten Zeiten her,
| |
| geheimnisvoll nach Rezepten arbeitende Laboranten
| |
| angesiedelt und vom Vater zum Sohn manche Arten
| |
| von Extrakten und Geisten bearbeitet, deren allgemei
| |
| ner Ruf von einer ganz vorzüglichen Heilsamkeit
| |
| durch emsige sogenannte Balsamträger erneuert, ver
| |
| breitet und genutzt ward. Hier spielte nun der Enzian
| |
| eine große Rolle, und es war eine angenehme Bemü
| |
| hung, dieses reiche Geschlecht nach seinen verschie
| |
| denen Gestalten als Pflanze und Blüte, vorzüglich
| |
| aber die heilsame Wurzel näher zu betrachten. Dieses
| |
| war das erste Geschlecht, welches mich im eigentlichen Sinne anzog, dessen Arten kennen zu ler
| |
| nen ich auch in der Folgezeit bemüht war.
| |
| | |
| Hiebei möchte man bemerken, daß der Gang mei
| |
| ner botanischen Bildung einigermaßen der Geschichte
| |
| der Botanik selbst ähnelte; denn ich war vom augen
| |
| fälligsten Allgemeinsten auf das Nutzbare, Anwend
| |
| bare, vom Bedarf zur Kenntnis gelangt, und welcher
| |
| Kenner wird bei obigem sich nicht jener Epoche der
| |
| Rhizotomen lächelnd erinnern?
| |
| | |
| Da nun aber gegenwärtig die Absicht bleibt zu
| |
| melden, wie ich mich der eigentlichen wissenschaftli
| |
| chen Botanik genähert, so hab' ich vor allen Dingen
| |
| eines Mannes zu gedenken, welcher in jeder Hinsicht
| |
| die Hochschätzung seiner Weimarischen Mitbürger
| |
| verdiente. Dr. Buchholz, Besitzer der damals einzigen
| |
| Apotheke, wohlhabend und lebenslustig, richtete mit
| |
| ruhmwürdiger Lernbegierde seine Tätigkeit auf Na
| |
| turwissenschaften. Er suchte sich zu seinen unmittel
| |
| baren pharmazeutischen Zwecken die tüchtigsten che
| |
| mischen Gehülfen, wie denn der treffliche Göttling
| |
| aus dieser Offizin als gebildeter Scheidekünstler her
| |
| vorging. Jede neue, vom Aus- oder Inland entdeckte
| |
| chemischphysische Merkwürdigkeit ward unter des
| |
| Prinzipals Leitung geprüft, und einer wißbegierigen
| |
| Gesellschaft uneigennützig vorgetragen.
| |
| | |
| Auch in der Folge, daß ich dieses zu seinen Ehren
| |
| vorausnehme, als die naturforschende Welt sich eifrig beschäftigte die verschiedenen Luftarten zu erkennen,
| |
| versäumte er nicht, jederzeit das Neueste experimen
| |
| tierend vor Augen zu bringen. So ließ er denn auch
| |
| eine der ersten Montgolfieren von unsern Terrassen,
| |
| zum Ergötzen der Unterrichteten, in die Höhe steigen,
| |
| indessen die Menge sich vor Erstaunen kaum zu fas
| |
| sen wußte, und in der Luft die verschüchterten Tau
| |
| ben scharenweise hin und wider flüchteten.
| |
| Hier aber habe ich vielleicht einem zu erwartenden
| |
| Vorwurfe zu begegnen, daß ich nämlich fremde Be
| |
| ziehungen in meinen Vortrag mit einmische. Sei mir
| |
| darauf zu erwidern erlaubt, daß ich von meiner Bil
| |
| dung im Zusammenhange nicht sprechen könnte,
| |
| wenn ich nicht der frühen Vorzüge des Weimarischen,
| |
| für jene Zeiten hochgebildeten Kreises dankbar ge
| |
| dächte, wo Geschmack und Kenntnis, Wissen und
| |
| Dichten gesellig zu wirken sich bestrebten, ernste
| |
| gründliche Studien und frohe rasche Tätigkeit unab
| |
| lässig miteinander wetteiferten.
| |
| | |
| Doch aber hängt, näher betrachtet, was ich hier zu
| |
| sagen habe, mit dem Vorgemeldeten zusammen. Che
| |
| mie und Botanik gingen damals vereint aus den ärztli
| |
| chen Bedürfnissen hervor, und wie der gerühmte Dr.
| |
| Buchholz von seinem Dispensatorium sich in die hö
| |
| here Chemie wagte, so schritt er auch aus den engen
| |
| Gewürzbeeten in die freiere Pflanzenwelt. In seinen
| |
| Gärten hatte er nicht die offizinellen Gewächse nur, sondern auch seltenere, neu bekannt gewordene Pflan
| |
| zen für die Wissenschaft zu pflegen unternommen.
| |
| Dieses Mannes Tätigkeit lenkte der junge, schon
| |
| früh den Wissenschaften sich hingebende Regent all
| |
| gemeinerem Gebrauch und Belehrung zu, indem er
| |
| große sonnige Gartenflächen, in der Nachbarschaft
| |
| von schattigen und feuchten Plätzen, einer botani
| |
| schen Anstalt widmete, wozu denn ältere wohlerfah
| |
| rene Hofgärtner mit Eifer sogleich die Hand boten.
| |
| Die noch vorhandenen Katalogen dieser Anstalt zeu
| |
| gen von dem Eifer, womit dergleichen Anfänge betrie
| |
| ben wurden.
| |
| | |
| Unter solchen Umständen war auch ich genötigt,
| |
| über botanische Dinge immer mehr und mehr Aufklä
| |
| rung zu suchen. Linnés Terminologie, die Funda
| |
| mente, worauf das Kunstgebäude sich stützen sollte,
| |
| Johann Geßners Dissertationen zu Erklärung Linné
| |
| ischer Elemente, alles in Einem schmächtigen Hefte
| |
| vereinigt, begleiteten mich auf Wegen und Stegen;
| |
| und noch heute erinnert mich ebendasselbe Heft an
| |
| die frischen glücklichen Tage, in welchen jene gehalt
| |
| reichen Blätter mir zuerst eine neue Welt aufschlos
| |
| sen. Linnés Philosophie der Botanik war mein tägli
| |
| ches Studium, und so rückte ich immer weiter vor in
| |
| geordneter Kenntnis, indem ich mir möglichst anzu
| |
| eignen suchte, was mir eine allgemeinere Umsicht
| |
| über dieses weite Reich verschaffen konnte. Besonderen Vorteil aber brachte mir, wie in allem
| |
| Wissenschaftlichen, die Nähe der Akademie Jena, wo
| |
| die Wartung offizineller Pflanzen seit geraumer Zeit
| |
| mit Ernst und Fleiß behandelt wurde. Auch erwarben
| |
| sich die Professoren Prätorius, Schlegel und Rolfink
| |
| früher um die allgemeinere Botanik zeitgemäße Ver
| |
| dienste. Epoche machte jedoch Ruppes Flora Jenen
| |
| sis, welche 1718 erschien; hiernach wurde der bis
| |
| jetzt auf einen engen klösterlichen Garten einge
| |
| schränkten, bloß zu ärztlichem Zwecke dienenden
| |
| Pflanzenbetrachtung die ganze reiche Gegend eröffnet
| |
| und ein freies frohes Naturstudium eingeleitet.
| |
| Hieran von ihrer Seite Anteil zu nehmen beeiferten
| |
| sich aufgeweckte Landleute aus der Gegend, welche
| |
| schon für den Apotheker und Kräuter-Händler bisher
| |
| sich tätig erwiesen hatten, und eine nunmehr neuein
| |
| geführte Terminologie nach und nach einzulernen wu
| |
| ßten. In Ziegenhain hatte sich besonders eine Familie
| |
| Dietrich hervorgetan; der Stammvater derselben,
| |
| sogar von Linné bemerkt, hatte von diesem hochver
| |
| ehrten Manne ein eigenhändiges Schreiben aufzuwei
| |
| sen, durch welches Diplom er sich wie billig in den
| |
| botanischen Adelstand erhoben fühlte. Nach seinem
| |
| Ableben setzte der Sohn die Geschäfte fort, welche
| |
| hauptsächlich darin bestanden, daß die sogenannten
| |
| Lektionen, nämlich Bündel der jede Woche blühen
| |
| den Gewächse, Lehrenden und Lernenden von allen Seiten herangeschafft wurden. Die joviale Wirksam
| |
| keit des Mannes verbreitete sich bis nach Weimar,
| |
| und so ward ich nach und nach mit der Jenaischen rei
| |
| chen Flora bekannt.
| |
| | |
| Noch einen größern Einfluß aber auf meine Beleh
| |
| rung hatte der Enkel Friedrich Gottlieb Dietrich. Als
| |
| wohlgebauter Jüngling, von regelmäßig angenehmer
| |
| Gesichtsbildung, schritt er vor, mit frischer Jugend
| |
| kraft und Lust sich der Pflanzenwelt zu bemeistern;
| |
| sein glückliches Gedächtnis hielt alle die seltsamen
| |
| Benennungen fest, und reichte sie ihm jeden Augen
| |
| blick zum Gebrauche dar; seine Gegenwart sagte mir
| |
| zu, da ein offner freier Charakter aus Wesen und Tun
| |
| hervorleuchtete, und so ward ich bewogen auf einer
| |
| Reise nach Karlsbad ihn mit mir zu nehmen.
| |
| In gebirgigen Gegenden immer zu Fuße brachte er
| |
| mit eifrigem Spürsinn alles Blühende zusammen, und
| |
| reichte mir die Ausbeute wo möglich an Ort und Stel
| |
| le sogleich in den Wagen herein, und rief dabei nach
| |
| Art eines Herolds die Linnéischen Bezeichnungen,
| |
| Geschlecht und Art, mit froher Überzeugung aus,
| |
| manchmal wohl mit falscher Betonung. Hiedurch
| |
| ward mir ein neues Verhältnis zur freien herrlichen
| |
| Natur, indem mein Auge ihrer Wunder genoß und mir
| |
| zugleich wissenschaftliche Bezeichnungen des Einzel
| |
| nen, gleichsam aus einer fernen Studierstube, in das
| |
| Ohr drangen. In Karlsbad selbst war der junge rüstige Mann mit
| |
| Sonnenaufgang im Gebirge, reichliche Lektionen
| |
| brachte er mir sodann an den Brunnen, ehe ich noch
| |
| meine Becher geleert hatte; alle Mitgäste nahmen teil,
| |
| die, welche sich dieser schönen Wissenschaft beflei
| |
| ßigten, besonders. Sie sahen ihre Kenntnisse auf das
| |
| anmutigste angeregt, wenn ein schmucker Landknabe,
| |
| im kurzen Westchen, daherlief, große Bündel von
| |
| Kräutern und Blumen vorweisend, sie alle mit
| |
| Namen, griechischen, lateinischen, barbarischen Ur
| |
| sprungs, bezeichnend; ein Phänomen, das bei Män
| |
| nern, auch wohl bei Frauen, vielen Anteil erregte.
| |
| Sollte vorgesagtes dem eigentlich wissenschaftli
| |
| chen Manne vielleicht allzu empirisch vorkommen, so
| |
| melde ich hienächst, daß gerade dieses lebhafte Be
| |
| nehmen uns die Gunst und den Anteil eines in diesem
| |
| Fache schon geübteren Mannes erwerben konnte,
| |
| eines trefflichen Arztes nämlich, der, einen reichen
| |
| Vornehmen begleitend, seinen Badeaufenthalt eigent
| |
| lich zu botanischen Zwecken zu nutzen gedachte. Er
| |
| gesellte sich gar bald zu uns, die sich freuten ihm an
| |
| Handen zu gehen. Die meisten von Dietrich früh ein
| |
| gebrachten Pflanzen trachtete er sorgfältig einzulegen,
| |
| wo denn der Name hinzugeschrieben und auch sonst
| |
| manches bemerkt wurde. Hiebei konnt' ich nicht an
| |
| ders als gewinnen. Durch Wiederholung prägten sich
| |
| die Namen in mein Gedächtnis; auch im Analysieren gewann ich etwas mehr Fertigkeit, doch ohne bedeu
| |
| tenden Erfolg; Trennen und Zählen lag nicht in meiner
| |
| Natur.
| |
| | |
| Nun fand aber jenes fleißige Bemühen und Treiben
| |
| in der großen Gesellschaft einige Gegner. Wir mußten
| |
| öfters hören: die ganze Botanik, deren Studium wir so
| |
| emsig verfolgten, sei nichts weiter als eine Nomenkla
| |
| tur, und ein ganzes auf Zahlen, und das nicht einmal
| |
| durchaus, gegründetes System; sie könne weder dem
| |
| Verstand noch der Einbildungskraft genügen, und nie
| |
| mand werde darin irgendeine auslangende Folge zu
| |
| finden wissen. Ohngeachtet dieser Einwendung gin
| |
| gen wir getrost unsern Weg fort, der uns denn immer
| |
| tief genug in die Pflanzenkenntnis einzuleiten ver
| |
| sprach.
| |
| | |
| Hier aber will ich nur kürzlich bemerken, daß der
| |
| folgende Lebensgang des jungen Dietrich solchen An
| |
| fängen gleich blieb; er schritt unermüdet auf dieser
| |
| Bahn weiter, so daß er, als Schriftsteller rühmlichst
| |
| bekannt, mit der Doktorwürde geziert, den Großher
| |
| zoglichen Gärten in Eisenach bis jetzt mit Eifer und
| |
| Ehre vorsteht.
| |
| | |
| August Carl Batsch, der Sohn eines in Weimar
| |
| durchaus geliebten und geschätzten Vaters, hatte
| |
| seine Studienzeit in Jena sehr wohl benutzt, sich den
| |
| Naturwissenschaften eifrig ergeben und es so weit ge
| |
| bracht, daß er nach Köstritz berufen wurde, um die ansehnliche Gräflich Reußische Naturaliensammlung
| |
| zu ordnen und ihr eine Zeitlang vorzustehen. Sodann
| |
| kehrte er nach Weimar zurück, wo ich ihn denn, im
| |
| harten pflanzenfeindlichen Winter, auf der Schritt
| |
| schuhbahn, damals dem Versammlungsort guter Ge
| |
| sellschaft, mit Vergnügen kennen lernte, seine zarte
| |
| Bestimmtheit und ruhigen Eifer gar bald zu schätzen
| |
| wußte, und in freier Bewegung mich mit ihm über hö
| |
| here Ansichten der Pflanzenkunde und über die ver
| |
| schiedenen Methoden, dieses Wissen zu behandeln,
| |
| freimütig und anhaltend besprach.
| |
| | |
| Seine Denkweise war meinen Wünschen und For
| |
| derungen höchst angemessen, die Ordnung der Pflan
| |
| zen nach Familien, in aufsteigendem, sich nach und
| |
| nach entwickelnden Fortschritt, war sein Augenmerk.
| |
| Diese naturgemäße Methode, auf die Linné mit from
| |
| men Wünschen hindeutet, bei welcher französische
| |
| Botaniker theoretisch und praktisch beharrten, sollte
| |
| nun einen unternehmenden jüngeren Mann zeitlebens
| |
| beschäftigen, und wie froh war ich meinen Teil daran
| |
| aus der ersten Hand zu gewinnen.
| |
| Aber nicht allein von zwei Jünglingen, sondern
| |
| auch von einem bejahrten vorzüglichen Manne sollte
| |
| ich unbeschreiblich gefördert werden. Hofrat Büttner
| |
| hatte seine Bibliothek von Göttingen nach Jena ge
| |
| bracht, und ich, durch das Vertrauen meines Fürsten,
| |
| der diesen Schatz sich und uns angeeignet hatte, beauftragt, Anordnung und Aufstellung, nach dem ei
| |
| genen Sinne des im Besitz bleibenden Sammlers, ein
| |
| zuleiten, unterhielt mit demselben ein fortwährendes
| |
| Verkehr. Er, eine lebendige Bibliothek, bereitwillig
| |
| auf jede Frage umständliche, auslangende Antwort
| |
| und Auskunft zu geben, unterhielt sich über Botanik
| |
| mit Vorliebe.
| |
| | |
| Hier verleugnete er nicht, sondern bekannte viel
| |
| mehr sogar leidenschaftlich, daß er, als Zeitgenosse
| |
| Linnés, gegen diesen ausgezeichneten, die ganze Welt
| |
| mit seinem Namen erfüllenden Mann in stillem Wett
| |
| eifer, dessen System niemals angenommen, vielmehr
| |
| sich bemüht habe, die Anordnung der Gewächse nach
| |
| Familien zu bearbeiten, von den einfachsten fast un
| |
| sichtbaren Anfängen in das Zusammengesetzteste und
| |
| Ungeheuerste fortschreitend. Ein Schema hiervon
| |
| zeigte er gern, mit eigner Hand zierlich geschrieben,
| |
| worin die Geschlechter nach diesem Sinne gereiht er
| |
| schienen, mir zu großer Erbauung und Beruhigung.
| |
| Vorgesagtem nachdenkend, wird man die Vorteile
| |
| nicht verkennen, die mir meine Lage zu dergleichen
| |
| Studien gewährte: große Gärten, sowohl an der Stadt
| |
| als an Lustschlössern, hie und da in der Gegend
| |
| Baum- und Gebüsch-Anlagen nicht ohne botanische
| |
| Rücksicht, dazu die Beihülfe einer in der Nachbar
| |
| schaft längst durchgearbeiteten wissenschaftlichen
| |
| Lokalflora, nebst der Einwirkung einer stets fortschreitenden Akademie, alles zusammengenom
| |
| men gab einem aufgeweckten Geiste genugsame För
| |
| dernis zur Einsicht in die Pflanzenwelt.
| |
| Indessen sich dergestalt meine botanischen Kennt
| |
| nisse und Einsichten in lebenslustiger Geselligkeit er
| |
| weiterten, ward ich eines einsiedlerischen Pflanzen
| |
| freundes gewahr, der mit Ernst und Fleiß sich diesem
| |
| Fache gewidmet hatte.
| |
| | |
| Wer wollte nicht dem im höchsten Sinne verehrten
| |
| Johann Jacob Rousseau auf seinen einsamen Wande
| |
| rungen folgen, wo er, mit dem Menschengeschlecht
| |
| verfeindet, seine Aufmerksamkeit der Pflanzen- und
| |
| Blumenwelt zuwendet, und in echter gradsinniger
| |
| Geisteskraft sich mit den still reizenden Naturkindern
| |
| vertraut macht.
| |
| | |
| Aus seinen frühern Jahren ist mir nicht bekannt,
| |
| daß er zu Blumen und Pflanzen andere Anmutungen
| |
| gehabt als solche, welche eigentlich nur auf Gesin
| |
| nung, Neigung, zärtliche Erinnerungen hindeuteten;
| |
| seinen entschiedenen Äußerungen aber zufolge mag er
| |
| erst nach einem stürmischen Autor-Leben, auf der St.
| |
| Peters-Insel, im Bieler See, auf dies Naturreich in sei
| |
| ner Fülle aufmerksam geworden sein. In England
| |
| nachher, bemerkt man, hat er sich schon freier und
| |
| weiter umgesehn; sein Verhältnis zu Pflanzenfreunden
| |
| und - kennern, besonders zu der Herzogin von Port
| |
| land, mag einen Scharfblick mehr in die Breite gewiesen haben, und ein Geist wie der seinige, der
| |
| den Nationen Gesetz und Ordnung vorzuschreiben
| |
| sich berufen fühlt, mußte doch zur Vermutung gelan
| |
| gen, daß in dem unermeßlichen Pflanzenreiche keine
| |
| so große Mannigfaltigkeit von Formen erscheinen
| |
| könnte, ohne daß ein Grundgesetz, es sei auch noch
| |
| so verborgen, sie wieder sämtlich zur Einheit zurück
| |
| brächte. Er versenkt sich in dieses Reich, nimmt es
| |
| ernstlich in sich auf, fühlt, daß ein gewisser methodi
| |
| scher Gang durch das Ganze möglich sei, getraut sich
| |
| aber nicht damit hervorzutreten. Wie er sich selbst
| |
| darüber ausspricht, wird immer ein Gewinn sein zu
| |
| vernehmen.
| |
| | |
| »Was mich betrifft, ich bin in diesem Studium ein
| |
| Schüler und nicht gegründet; indem ich herborisiere,
| |
| denk' ich mehr mich zu zerstreuen und zu vergnügen
| |
| als zu unterrichten, und ich kann bei meinen zögern
| |
| den Betrachtungen den anmaßlichen Gedanken nicht
| |
| fassen, andere zu unterrichten in dem, was ich selbst
| |
| nicht weiß.«
| |
| | |
| »Doch ich gestehe, die Schwierigkeiten, die ich bei
| |
| dem Studium der Pflanzen fand, führten mich auf ei
| |
| nige Vorstellungen, wie sich wohl Mittel finden lie
| |
| ßen dasselbe zu erleichtern und andern nützlich zu
| |
| machen, und zwar indem man den Faden eines Pflan
| |
| zensystems durch eine mehr schritthaltende, weniger
| |
| den Sinnen entrückte Methode zu verfolgen wüßte alses Tournefort getan und alle seine Nachfolger, selbst
| |
| Linné nicht ausgenommen. Vielleicht ist mein Gedan
| |
| ke nicht ausführbar; wir sprechen darüber, wenn ich
| |
| die Ehre habe Sie wieder zu sehen.«
| |
| Also schrieb er im Anfange des Jahrs 1770; allein
| |
| es hatte ihm unterdessen keine Ruhe gelassen; schon
| |
| im August 1771 unternimmt er, bei einem freundli
| |
| chen Anlaß, die Pflicht andere zu belehren, ja, was er
| |
| weiß und einsieht, Frauen vorzutragen, nicht etwa zu
| |
| spielender Unterhaltung, sondern sie gründlich in die
| |
| Wissenschaft einzuleiten.
| |
| | |
| Hier gelingt es ihm nun, sein Wissen auf die ersten
| |
| sinnlich vorzuweisenden Elemente zurückzuführen; er
| |
| legt die Pflanzenteile einzeln vor, lehrt sie unterschei
| |
| den und benennen. Kaum aber hat er hierauf die ganze
| |
| Blume aus den Teilen wiederhergestellt und sie be
| |
| nannt, teils durch Trivialnamen kenntlich gemacht,
| |
| teils die Linnéische Terminologie ehrenhaft, ihren
| |
| ganzen Wert bekennend, eingeführt; so gibt er also
| |
| bald eine breitere Übersicht ganzer Massen. Nach und
| |
| nach führt er uns vor: Liliaceen, Siliquosen und Sili
| |
| kulosen, Rachen- und Maskenblumen, Umbellen und
| |
| Kompositen zuletzt, und indem er auf diesem Wege
| |
| die Unterschiede in steigender Mannigfaltigkeit und
| |
| Verschränkung anschaulich macht, führt er uns un
| |
| merklich einer vollständigen erfreulichen Übersicht
| |
| entgegen. Denn da er an Frauenzimmer zu reden hat, versteht er, mäßig und gehörig, auf Gebrauch, Nutzen
| |
| und Schaden hinzuweisen, und dies um so schickli
| |
| cher und leichter, da er, alle Beispiele zu seiner Lehre
| |
| aus der Umgebung nehmend, nur von dem Einheimi
| |
| schen spricht und auf die exotischen Pflanzen, wie sie
| |
| auch gekannt sein und gepflegt werden mögen, keine
| |
| Ansprüche macht.
| |
| | |
| Im Jahr 1822 gab man unter dem Titel La Bota
| |
| nique de Rousseau sämtliche von ihm über diese Ge
| |
| genstände verfaßten Schriften in klein Folio sehr an
| |
| ständig heraus, begleitet mit farbigen Bildern, nach
| |
| dem vortrefflichen Redoute alle diejenigen Pflanzen
| |
| vorstellend, von welchen er gesprochen hatte. Bei
| |
| deren Überblick bemerkt man mit Vergnügen, wie
| |
| einheimisch ländlich er bei seinen Studien verfahren,
| |
| indem nur Pflanzen vorgestellt sind, welche er auf sei
| |
| nen Spaziergängen unmittelbar konnte gewahr wer
| |
| den.
| |
| | |
| Seine Methode: das Pflanzenreich ins Engere zu
| |
| bringen, neigt sich, wie wir oben gesehen haben, of
| |
| fenbar zur Einteilung nach Familien; und da ich in
| |
| jener Zeit auch schon zu Betrachtungen dieser Art
| |
| hingeleitet war, so machte sein Vortrag auf mich
| |
| einen desto größern Eindruck.
| |
| | |
| Und so wie die jungen Studierenden sich auch am
| |
| liebsten an junge Lehrer halten, so mag der Dilettant
| |
| gern vom Dilettanten lernen. Dieses wäre freilich in Absicht auf Gründlichkeit bedenklich, wenn nicht die
| |
| Erfahrung gäbe, daß Dilettanten zum Vorteil der Wis
| |
| senschaft vieles beigetragen. Und zwar ist dieses ganz
| |
| natürlich: Männer vom Fach müssen sich um Voll
| |
| ständigkeit bemühen und deshalb den weiten Kreis in
| |
| seiner Breite durchforschen; dem Liebhaber dagegen
| |
| ist darum zu tun, durch das Einzelne durchzukommen,
| |
| und einen Hochpunkt zu erreichen, von woher ihm
| |
| eine Übersicht, wo nicht des Ganzen, doch des Mei
| |
| sten gelingen könnte.
| |
| | |
| Von Rousseaus Bemühungen bring' ich nur soviel
| |
| nach, daß er eine sehr anmutige Sorgfalt für das
| |
| Trocknen der Pflanzen und Anlegen von Herbarien
| |
| beweist, und den Verlust desselben innigst bedauert,
| |
| wenn irgendeins zugrunde geht, ob er gleich auch
| |
| hier, im Widerspruch mit sich selbst, weder Geschick
| |
| noch anhaltende Sorgsamkeit haben mochte, um be
| |
| sonders bei seinen vielfachen Wanderungen auf Er
| |
| haltung genau zu achten; deswegen er auch derglei
| |
| chen Gesammeltes nur immer als Heu angesehen wis
| |
| sen will.
| |
| | |
| Behandelt er aber, einem Freund zuliebe, die
| |
| Moose mit billiger Sorgfalt, so erkennen wir aufs leb
| |
| hafteste, welchen gründlichen Anteil ihm die Pflan
| |
| zenwelt abgewonnen habe; welches besonders die
| |
| Fragmens pour un Dictionnaire des termes d'usage en
| |
| Botanique vollkommen bestätigen. Soviel sei hier gesagt, um einigermaßen anzudeu
| |
| ten, was wir ihm in jener Epoche unsrer Studien
| |
| schuldig geworden.
| |
| | |
| Wie er sich nun, befreit von allem nationalen Starr
| |
| sinn, an die auf jeden Fall vorschreitenden Wirkungen
| |
| Linnés hielt, so dürfen wir auch wohl von unsrer Seite
| |
| bemerken, daß es ein großer Vorteil sei, wenn wir
| |
| beim Eintreten in ein für uns neues wissenschaftliches
| |
| Fach es in einer Krise und einen außerordentlichen
| |
| Mann beschäftigt finden, hier das Vorteilhafte durch
| |
| zuführen. Wir sind jung mit der jungen Methode,
| |
| unsre Anfänge treffen in eine neue Epoche, und wir
| |
| werden in die Masse der Bestrebsamen wie in ein Ele
| |
| ment aufgenommen, das uns trägt und fördert.
| |
| Und so ward ich mit meinen übrigen Zeitgenossen
| |
| Linnés gewahr, seiner Umsicht, seiner alles hinreißen
| |
| den Wirksamkeit. Ich hatte mich ihm und seiner
| |
| Lehre mit völligem Zutrauen hingegeben; demunge
| |
| achtet mußt' ich nach und nach empfinden, daß mich
| |
| auf dem bezeichneten eingeschlagenen Wege man
| |
| ches, wo nicht irremachte, doch zurückhielt.
| |
| Soll ich nun über jene Zustände mit Bewußtsein
| |
| deutlich werden, so denke man mich als einen gebor
| |
| nen Dichter, der seine Worte, seine Ausdrücke unmit
| |
| telbar an den jedesmaligen Gegenständen zu bilden
| |
| trachtet, um ihnen einigermaßen genugzutun. Ein sol
| |
| cher sollte nun eine fertige Terminologie ins Gedächtnis aufnehmen, eine gewisse Anzahl Wörter
| |
| und Beiwörter bereit haben, damit er, wenn ihm ir
| |
| gendeine Gestalt vorkäme, eine geschickte Auswahl
| |
| treffend, sie zu charakteristischer Bezeichnung anzu
| |
| wenden und zu ordnen wisse. Dergleichen Behand
| |
| lung erschien mir immer als eine Art von Mosaik, wo
| |
| man einen fertigen Stift neben den andern setzt, um
| |
| aus tausend Einzelnheiten endlich den Schein eines
| |
| Bildes hervorzubringen; und so war mir die Forde
| |
| rung in diesem Sinne gewissermaßen widerlich.
| |
| Sah ich nun aber auch die Notwendigkeit dieses
| |
| Verfahrens ein, welches dahin zweckte, sich durch
| |
| Worte, nach allgemeiner Übereinkunft, über gewisse
| |
| äußerliche Vorkommenheiten der Pflanzen zu verstän
| |
| digen, und alle schwer zu leistende und oft unsichre
| |
| Pflanzenabbildungen entbehren zu können; so fand
| |
| ich doch bei der versuchten genauen Anwendung die
| |
| Hauptschwierigkeit in der Versatilität der Organe.
| |
| Wenn ich an demselben Pflanzenstengel erst rundli
| |
| che, dann eingekerbte, zuletzt beinahe gefiederte Blät
| |
| ter entdeckte, die sich alsdann wieder zusammenzo
| |
| gen, vereinfachten, zu Schüppchen wurden und zu
| |
| letzt gar verschwanden, da verlor ich den Mut ir
| |
| gendwo einen Pfahl einzuschlagen, oder wohl gar eine
| |
| Grenzlinie zu ziehen.
| |
| | |
| Unauflösbar schien mir die Aufgabe, Genera mit
| |
| Sicherheit zu bezeichnen, ihnen die Spezies unterzuordnen. Wie es vorgeschrieben war, las ich
| |
| wohl, allein wie sollt, ich eine treffende Bestimmung
| |
| hoffen, da man bei Linnés Lebzeiten schon manche
| |
| Geschlechter in sich getrennt und zersplittert ja sogar
| |
| Klassen aufgehoben hatte; woraus hervorzugehn
| |
| schien: der genialste, scharfsichtigste Mann selbst
| |
| habe die Natur nur en gros gewältigen und beherr
| |
| schen können Wurde nun dabei meine Ehrfurcht für
| |
| ihn im geringsten nicht geschmälert, so mußte deshalb
| |
| ein ganz eigener Konflikt entstehen, und man denke
| |
| sich die Verlegenheit, in der sich ein autodidaktischer
| |
| Tiro abzumühen und durchzukämpfen hatte.
| |
| Ununterbrochen jedoch mußt' ich meinen übrigen
| |
| Lebensgang verfolgen, dessen Pflichten und Erholun
| |
| gen glücklicherweise meist in der freien Natur ange
| |
| wiesen waren Hier drang sich nun dem unmittelbaren
| |
| Anschauen gewaltig auf: wie jede Pflanze ihre Gele
| |
| genheit sucht, wie sie eine Lage fordert, wo sie in
| |
| Fülle und Freiheit erscheinen könne. Bergeshöhe, Ta
| |
| lestiefe, Licht, Schatten, Trockenheit, Feuchte, Hitze,
| |
| Wärme, Kälte, Frost und wie die Bedingungen alle
| |
| heißen mögen! Geschlechter und Arten verlangen sie,
| |
| um mit völliger Kraft und Menge hervorzusprießen.
| |
| Zwar geben sie an gewissen Orten, bei manchen Gele
| |
| genheiten, der Natur nach, lassen sich zur Varietät
| |
| hinreißen, ohne jedoch das erworbene Recht an Ge
| |
| stalt und Eigenschaft völlig aufzugeben. Ahnungen hievon berührten mich in der freien Welt, und neue
| |
| Klarheit schien mir aufzugehen über Gärten und Bü
| |
| cher.
| |
| | |
| Der Kenner, der sich in das Jahr 1786 zurückzu
| |
| versetzen geneigt wäre, möchte sich wohl einen Be
| |
| griff meines Zustandes ausbilden können, in welchem
| |
| ich mich nun schon zehn Jahre befangen fühlte, ob es
| |
| gleich selbst für den Psychologen eine Aufgabe blei
| |
| ben würde, indem ja, bei dieser Darstellung, meine
| |
| sämtlichen Obliegenheiten, Neigungen, Pflichten und
| |
| Zerstreuungen mit aufzunehmen wären.
| |
| Hier gönne man mir eine ins Ganze greifende Be
| |
| merkung so einzuschalten: daß alles, was uns von Ju
| |
| gend auf umgab, jedoch nur oberflächlich bekannt
| |
| war und blieb, stets etwas Gemeines und Triviales für
| |
| uns behält, das wir als gleichgültig neben uns beste
| |
| hend ansehen, worüber zu denken wir gewissermaßen
| |
| unfähig werden. Dagegen finden wir, daß neue Ge
| |
| genstände in auffallender Mannigfaltigkeit, indem sie
| |
| den Geist erregen, uns erfahren lassen, daß wir eines
| |
| reinen Enthusiasmus fähig sind; sie deuten auf ein
| |
| Höheres, welches zu erlangen uns wohl gegönnt sein
| |
| dürfte. Dies ist der eigentlichste Gewinn der Reisen,
| |
| und jeder hat nach seiner Art und Weise genugsamen
| |
| Vorteil davon. Das Bekannte wird neu durch unerwar
| |
| tete Bezüge, und erregt, mit neuen Gegenständen ver
| |
| knüpft, Aufmerksamkeit, Nachdenken und Urteil.
| |
| | |
| In diesem Sinne ward meine Richtung gegen die
| |
| Natur, besonders gegen die Pflanzenwelt, bei einem
| |
| schnellen Übergang über die Alpen lebhaft angeregt:
| |
| Der Lärchenbaum, häufiger als sonst, die Zirbelnuß,
| |
| eine neue Erscheinung, machten sogleich auf klimati
| |
| schen Einfluß dringend aufmerksam. Andere Pflan
| |
| zen, mehr oder weniger verändert, blieben bei eiligem
| |
| Vorüberrollen nicht unbemerkt. Am mehrsten aber er
| |
| kannt' ich die Fülle einer fremden Vegetation, als ich
| |
| in den botanischen Garten von Padua hineintrat, wo
| |
| mir eine hohe und breite Mauer mit feuerroten
| |
| Glocken der Bignonia radicans zauberisch entgegen
| |
| leuchtete.
| |
| | |
| Ferner sah ich hier im Freien manchen seltenen
| |
| Baum emporgewachsen, den ich nur in unsern Glas
| |
| häusern überwintern gesehen. Auch die mit einer ge
| |
| ringen Bedeckung gegen vorübergehenden Frost,
| |
| während der strengern Jahrszeit, geschützten Pflanzen
| |
| standen nunmehr im Freien und erfreuten sich der
| |
| wohltätigen Himmelsluft. Eine Fächerpalme zog
| |
| meine ganze Aufmerksamkeit auf sich; glücklicher
| |
| weise standen die einfachen, lanzenförmigen ersten
| |
| Blätter noch am Boden, die sukzessive Trennung
| |
| derselben nahm zu, bis endlich das Fächerartige in
| |
| vollkommener Ausbildung zu sehen war. Aus einer
| |
| spathagleichen Scheide zuletzt trat ein Zweiglein mit
| |
| Blüten hervor, und erschien als ein sonderbares, mit dem vorhergehenden Wachstum in keinem Verhältnis
| |
| stehendes Erzeugnis, fremdartig und überraschend.
| |
| Auf mein Ersuchen schnitt mir der Gärtner die Stu
| |
| fenfolge dieser Veränderungen sämtlich ab, und ich
| |
| belastete mich mit einigen großen Pappen, um diesen
| |
| Fund mit mir zu führen. Sie liegen, wie ich sie damals
| |
| mitgenommen, noch wohlbehalten vor mir und ich
| |
| verehre sie als Fetische, die, meine Aufmerksamkeit
| |
| zu erregen und zu fesseln völlig geeignet, mir eine gedeihliche Folge meiner Bemühungen zuzusagen schienen.
| |
| | |
| Das Wechselhafte der Pflanzengestalten, dem ich
| |
| längst auf seinem eigentümlichen Gange gefolgt, er
| |
| weckte nun bei mir immer mehr die Vorstellung: die
| |
| uns umgebenden Pflanzenformen seien nicht ur
| |
| sprünglich determiniert und festgestellt, ihnen sei viel
| |
| mehr, bei einer eigensinnigen, generischen und spezi
| |
| fischen Hartnäckigkeit, eine glückliche Mobilität und
| |
| Biegsamkeit verliehen, um in so viele Bedingungen,
| |
| die über dem Erdkreis auf sie einwirken, sich zu
| |
| fügen und darnach bilden und umbilden zu können.
| |
| Hier kommen die Verschiedenheiten des Bodens in
| |
| Betracht; reichlich genährt durch Feuchte der Täler,
| |
| verkümmert durch Trockne der Höhen, geschützt vor
| |
| Frost und Hitze in jedem Maße, oder beiden unaus
| |
| weichbar bloßgestellt, kann das Geschlecht sich zur
| |
| Art, die Art zur Varietät, und diese wieder durch andere Bedingungen ins Unendliche sich verändern;
| |
| und gleichwohl hält sich die Pflanze abgeschlossen in
| |
| ihrem Reiche, wenn sie sich auch nachbarlich an das
| |
| harte Gestein, an das beweglichere Leben hüben und
| |
| drüben anlehnt. Die allerentferntesten jedoch haben
| |
| eine ausgesprochene Verwandtschaft, sie lassen sich
| |
| ohne Zwang untereinander vergleichen.
| |
| Wie sie sich nun unter einen Begriff sammeln las
| |
| sen, so wurde mir nach und nach klar und klärer, daß
| |
| die Anschauung noch auf eine höhere Weise belebt
| |
| werden könnte: eine Forderung, die mir damals unter
| |
| der sinnlichen Form einer übersinnlichen Urpflanze
| |
| vorschwebte. Ich ging allen Gestalten, wie sie mir
| |
| vorkamen, in ihren Veränderungen nach, und so
| |
| leuchtete mir am letzten Ziel meiner Reise, in Sizilien,
| |
| die ursprüngliche Identität aller Pflanzenteile voll
| |
| kommen ein, und ich suchte diese nunmehr überall zu
| |
| verfolgen und wieder gewahr zu werden.
| |
| | |
| Hieraus entstand nun eine Neigung, eine Leiden
| |
| schaft, die durch alle notwendigen und willkürlichen
| |
| Geschäfte und Beschäftigungen auf meiner Rückreise
| |
| durchzog. Wer an sich erfuhr, was ein reichhaltiger
| |
| Gedanke, sei er nun aus uns selbst entsprungen, sei er
| |
| von andern mitgeteilt oder eingeimpft, zu sagen hat,
| |
| muß gestehen, welch eine leidenschaftliche Bewegung
| |
| in unserm Geiste hervorgebracht werde, wie wir uns
| |
| begeistert fühlen, indem wir alles dasjenige in Gesamtheit vorausahnen, was in der Folge sich mehr
| |
| und mehr entwickeln, wozu das Entwickelte weiter
| |
| führen solle. Und so wird man mir zugeben, daß ich,
| |
| von einem solchen Gewahrwerden wie von einer Lei
| |
| denschaft eingenommen und getrieben, mich, wo nicht
| |
| ausschließlich, doch durch alles übrige Leben hin
| |
| durch, damit beschäftigen mußte.
| |
| | |
| So sehr nun aber auch diese Neigung mich inner
| |
| lichst ergriffen hatte, so war doch an kein geregeltes
| |
| Studium nach meiner Rückkehr in Rom zu denken;
| |
| Poesie, Kunst und Altertum, jedes forderte mich ge
| |
| wissermaßen ganz, und ich habe in meinem Leben
| |
| nicht leicht operosere, mühsamer beschäftigte Tage
| |
| zugebracht. Männern vom Fach wird es vielleicht gar
| |
| zu naiv vorkommen, wenn ich erzähle, wie ich tagtäg
| |
| lich, in einem jeden Garten, auf Spaziergängen, klei
| |
| nen Lustfahrten, mich der neben mir bemerkten Pflan
| |
| zen bemächtigte. Besonders bei der eintretenden Sa
| |
| menreife war es mir wichtig, die Art zu beobachten,
| |
| wie manche derselben, der Erde anvertraut, an das Tageslicht wieder hervortraten. So wendete ich meine
| |
| Aufmerksamkeit auf das Keimen der während ihres
| |
| Wachstums unförmlichen Cactus opuntia, und sah mit
| |
| Vergnügen, daß sie ganz unschuldig dikotyledonisch
| |
| sich in zwei zarten Blättchen enthüllte, sodann aber
| |
| bei fernerem Wuchse, die künftige Unform entwickel
| |
| te. Auch mit Samenkapseln begegnete mir etwas Auf
| |
| fallendes. Ich hatte derselben mehrere von Acanthus
| |
| mollis nach Hause getragen und in einem offnen Käst
| |
| chen niedergelegt; nun geschah es in einer Nacht, daß
| |
| ich ein Knistern hörte und bald darauf das Umher
| |
| springen an Decke und Wände wie von kleinen Kör
| |
| pern. Ich erklärte mir's nicht gleich, fand aber nachher
| |
| meine Schoten aufgesprungen und die Samen umher
| |
| zerstreut. Die Trockne des Zimmers hatte die Reife
| |
| bis zu solcher Elastizität in wenigen Tagen vollendet.
| |
| Unter den vielen Samen, die ich auf diese Weise
| |
| beobachtete, muß ich einiger noch erwähnen, weil sie
| |
| zu meinem Andenken kürzer oder länger in dem alten
| |
| Rom fortwuchsen. Pinienkerne gingen gar merkwür
| |
| dig auf, sie huben sich, wie in einem Ei eingeschlos
| |
| sen, empor, warfen aber diese Haube bald ab und
| |
| zeigten in einem Kranze von grünen Nadeln schon die
| |
| Anfänge ihrer künftigen Bestimmung. Vor meiner
| |
| Abreise pflanzte ich das schon einigermaßen erwach
| |
| sene Vorbildchen eines künftigen Baumes in den Gar
| |
| ten der Madame Angelika, wo es zu einer ansehnli
| |
| chen Höhe durch manche Jahre gedieh. Teilnehmende
| |
| Reisende erzählten mir davon zu wechselseitigem
| |
| Vergnügen. Leider fand der nach ihrem Ableben ein
| |
| tretende Besitzer es wunderlich auf seinen Blumen
| |
| beeten eine Pinie ganz unörtlich hervorgewachsen zu
| |
| sehen, und verbannte sie sogleich. Glücklicher waren einige Dattelpflanzen, die ich
| |
| aus Kernen gezogen hatte; wie ich denn überhaupt die
| |
| Entwickelung derselben an mehreren Exemplaren be
| |
| obachtete. Ich übergab sie einem römischen Freunde,
| |
| der sie in einen Garten pflanzte, wo sie noch gedei
| |
| hen, wie mir ein erhabener Reisender zu versichern
| |
| die Gnade hatte. Sie sind bis zur Manneshöhe heran
| |
| gewachsen. Mögen sie dem Besitzer nicht unbequem
| |
| werden, und fernerhin fortwachsen und gedeihen.
| |
| Galt das Bisherige der Fortpflanzung durch Samen,
| |
| so ward ich auf die Fortpflanzung durch Augen nicht
| |
| weniger aufmerksam gemacht, und zwar durch Rat
| |
| Reiffenstein, der auf allen Spaziergängen, hier und
| |
| dort einen Zweig abreißend, bis zur Pedanterie be
| |
| hauptete: in die Erde gesteckt müsse jeder sogleich
| |
| fortwachsen. Zum entscheidenden Beweis zeigte er
| |
| dergleichen Stecklinge gar wohl angeschlagen in sei
| |
| nem Garten. Und wie bedeutend ist nicht in der Fol
| |
| gezeit eine solche allgemein versuchte Vermehrung
| |
| für die botanisch-merkantile Gärtnerei geworden, die
| |
| ich ihm wohl zu erleben gewünscht hätte.
| |
| Am auffallendsten war mir jedoch ein strauchartig
| |
| in die Höhe gewachsener Nelkenstock. Man kennt die
| |
| gewaltige Lebens- und Vermehrungskraft dieser
| |
| Pflanze; Auge ist über Auge an ihren Zweigen ge
| |
| drängt, Knoten in Knoten hineingetrichtert; dieses
| |
| war nun hier durch Dauer gesteigert und die Augen aus unerforschlicher Enge zur höchstmöglichen Ent wickelung getrieben, so daß selbst die vollendete
| |
| Blume wieder vier vollendete Blumen aus ihrem
| |
| Busen hervorbrachte.
| |
| | |
| Zu Aufbewahrung dieser Wundergestalt kein Mittel
| |
| vor mir sehend, übernahm ich es, sie genau zu zeich
| |
| nen, wobei ich immer zu mehrerer Einsicht in den
| |
| Grundbegriff der Metamorphose gelangte. Allein die
| |
| Zerstreuung durch so vielerlei Obliegenheiten ward
| |
| nur desto hinderlicher, und mein Aufenthalt in Rom,
| |
| dessen Ende ich voraussah, immer peinlicher und be
| |
| lasteter.
| |
| | |
| Auf der Rückreise verfolgte ich unablässig diese
| |
| Gedanken, ich ordnete mir im stillen Sinne einen an
| |
| nehmlichen Vortrag dieser meiner Ansichten, schrieb
| |
| ihn bald nach meiner Rückkehr nieder und ließ ihn
| |
| drucken. Er kam 1790 heraus und ich hatte die Ab
| |
| sicht, bald eine weitere Erläuterung mit den nötigen
| |
| Abbildungen nachfolgen zu lassen. Das fortrau
| |
| schende Leben jedoch unterbrach und hinderte meine
| |
| guten Absichten, daher ich denn gegenwärtiger Ver
| |
| anlassung des Wiederabdrucks jenes Versuchs mich
| |
| um so mehr zu erfreuen habe, als sie mich auffordert
| |
| mancher Teilnahme an diesen schönen Studien seit
| |
| vierzig Jahren zu gedenken.
| |
| | |
| Nachdem ich im vorstehenden, so viel nur möglich
| |
| war, anschaulich zu machen gesucht habe, wie ich in meinen botanischen Studien verfahren, auf die ich ge leitet, getrieben, genötigt und, durch Neigung daran
| |
| festgehalten, einen bedeutenden Teil meiner Le
| |
| benstage verwendet; so möchte doch vielleicht der
| |
| Fall eintreten, daß irgendein sonst wohlwollender
| |
| Leser hiebei tadeln könnte: als habe ich mich zu viel
| |
| und zu lange bei Kleinigkeiten und einzelnen Persön
| |
| lichkeiten aufgehalten; deshalb wünsche ich denn hier
| |
| zu erklären, daß dieses absichtlich und nicht ohne
| |
| Vorbedacht geschehen sei, damit mir nach so vielem
| |
| Besondern einiges Allgemeine beizubringen erlaubt
| |
| sein möge.
| |
| | |
| Seit länger als einem halben Jahrhundert kennt man
| |
| mich, im Vaterlande und auch wohl auswärts, als
| |
| Dichter und läßt mich allenfalls für einen solchen gel
| |
| ten; daß ich aber mit großer Aufmerksamkeit mich um
| |
| die Natur in ihren allgemeinen physischen und ihren
| |
| organischen Phänomenen emsig bemüht und ernstlich
| |
| angestellte Betrachtungen stetig und leidenschaftlich
| |
| im stillen verfolgt, dieses ist nicht so allgemein be
| |
| kannt, noch weniger mit Aufmerksamkeit bedacht
| |
| worden.
| |
| | |
| Als daher mein seit vierzig Jahren in deutscher
| |
| Sprache abgedruckter Versuch: wie man die Gesetze
| |
| der Pflanzenbildung sich geistreich vorzustellen
| |
| habe, nunmehr besonders in der Schweiz und Frank
| |
| reich näher bekannt wurde; so konnte man sich nicht genug verwundern, wie ein Poet, der sich bloß mit
| |
| sittlichen, dem Gefühl und der Einbildungskraft an
| |
| heimgegebenen Phänomenen gewöhnlich befasse, sich
| |
| einen Augenblick von seinem Wege abwenden und, in
| |
| flüchtigem Vorübergehen, eine solche bedeutende
| |
| Entdeckung habe gewinnen können.
| |
| | |
| Diesem Vorurteil zu begegnen, ist eigentlich vor
| |
| stehender Aufsatz verfaßt; er soll anschaulich ma
| |
| chen: wie ich Gelegenheit gefunden einen großen Teil
| |
| meines Lebens mit Neigung und Leidenschaft auf Na
| |
| turstudien zu verwenden.
| |
| | |
| Nicht also durch eine außerordentliche Gabe des
| |
| Geistes, nicht durch eine momentane Inspiration,
| |
| noch unvermutet und auf einmal, sondern durch ein
| |
| folgerechtes Bemühen bin ich endlich zu einem so er
| |
| freulichen Resultate gelangt.
| |
| Zwar hätte ich gar wohl der hohen Ehre, die man
| |
| meiner Sagazität erweisen wollen, ruhig genießen und
| |
| mich allen falls damit brüsten können; da es aber im
| |
| Verfolg wissenschaftlichen Bestrebens gleich schäd
| |
| lich ist, ausschließlich der Erfahrung, als unbedingt
| |
| der Idee zu gehorchen, so habe ich für meine Schul
| |
| digkeit gehalten das Ereignis, wie es mir begegnet,
| |
| historisch treu, obgleich nicht in aller Ausführlichkeit,
| |
| ernsten Forschern darzulegen.
| |
| | |
| [[Kategorie:Goethe (Text)]] | |