Echte Feige (Ficus carica)

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Feigenbaum im Frühjahr
James Tissot: Der verfluchte Feigenbaum (zwischen 1886 und 1894)

Der Feigenbaum (hebr. תְּאֵנָה teenâh), genauer die Echte Feige (Ficus carica) mit ihren charakteristischen süßen Scheinfrüchten, den Feigen, ist die bekannteste Art aus der Gattung der Feigen, die zur Familie der Maulbeergewächse aus der Ordnung der Rosenartigen zählen. Der Feigenbaum steht nach Rudolf Steiner in enger Beziehung zu den Kräften des alten, naturhaften Hellsehens, ebenso wie auch der verwandte Bodhibaum, unter dem der Buddha seine Erleuchtung erfuhr, der allerdings eine andere Feigenart, nämlich den Pappel-Feigen (Ficus religiosa) angehört.

Beschreibung

Die Echte Feige wächst als sommergrüner, laubabwerfender Strauch oder auch als kleiner Baum mit wechselständig angeordneten, drei- bis fünflappigen, an den Rändern unregelmäßig gezähnten Laubblättern, den Feigenblättern. Die Rinde ist hellgrau und glatt, der Stamm meist knorrig gedreht oder gebogen. Die ganze Pflanze ist von Milchsaft durchzogen. Jährlich bilden sich drei Generationen von Blütenständen; die erste im Februar oder März, dann im Mai und Juni und die letzte im August und September. Die männlichen Blüten haben vier bis fünf Kelchzähne und meist drei, selten ein, vier oder fünf Staubblätter. Die weiblichen Blüten treten in zwei Erscheinungsformen auf, nämlich als sterile „Gallblüten“ mit kurzem Griffel oder als fertile Blüten mit langem Griffel. Diese drei Blütenformen sind auf zwei Varietäten der Kulturfeige verteilt, die beide für den Befruchtungsvorgang zusammenwirken müssen.

  • Die Haus- oder Essfeige (var domestica), die die essbaren Früchte trägt, verfügt nur über die langgriffeligen weiblichen Blüten und kann sich mangels männlicher Blüten nicht eigenständig vermehren.
  • Die einhäusige Holz- oder Bocksfeige (var. caprificus) trägt männliche und kurzgriffelige, sterile weibliche Blüten.

Innerhalb von drei bis fünf Monaten nach der Bestäubung, die durch die Feigenwespen erfolgt, die sich in den unfruchtbaren Gallblüten aus den dort abgelegten Wespeneiern entwickeln, reifen die grün bis dunkelviolett gefärbten, kugel- oder birnenförmigen Feigen heran. Die Feige ist eine Scheinfrucht, die aus einem ganzen Steinfruchtverband besteht. Die Steinfrüchte machen sich als kleine harte linsenförmige Kerne in der Feige bemerkbar.

Die Echte Feige wird im ganzen Mittelmeerraum angebaut und zählt zu den ältesten domestizierten Pflanzen und ist auch die erste Pflanze, die in der Bibel - im Zusammenhang mit dem Sündenfall - namentlich genannt wird: Nachdem Adam und Eva, von Luzifer verführt, vom Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen gegessen hatten, erkannten sie, dass sie nackt waren und bedeckten ihre Blöße mit einem Feigenblatt (1 Mos 3,7 LUT).

Siehe auch

Veredlung der wilden Feigen

Ficus carica (Malaga)
Echter Feigenbaum mit Blättern und Früchten
Typisches Laubblatt der Echten Feige
Feige bicolor
Reife blaue und weiße Feigen
Die reife Scheinfrucht im Längsschnitt

"In südlicheren Gegenden, namentlich in Griechenland, spielt die Feigenzucht eine große Rolle. Nun gibt es sogenannte wilde Feigen, die zwar etwas süß sind, aber sie sind so, daß manche Menschen eine noch leckerere Zunge haben und noch süßere Feigen haben möchten, als die wilden Feigen eben Süßigkeit haben. Was tun nun diese Leute?

Feigenbaum
Feigenbaum

Nun denken Sie sich, da wäre ein wilder Feigenbaum. Dieser wilde Feigenbaum, der wird ganz besonders geliebt von einer bestimmten Wespenart, die da ihre Eier drinnen ablegt (siehe Zeichnung). Stellen wir uns also vor: Da wäre der wilde Feigenbaum, auf dem Ast eine solche wilde Feige, in die die Wespe ihr Ei ablegt.

Nun, der Feigenzüchter, der ist eigentlich in seiner Art ein ganz schlauer Kerl. Er läßt diese Wespen in den wilden Feigenbäumen, die er besonders dazu anzüchtet, ihre Eier ablegen. Nachher nimmt der Bursche zwei solche Feigen zunächst herunter in dem Zeitpunkte, wo die Wespenlarven drinnen noch nicht bis zu Ende sind, so daß die Wespen also noch lange nicht reif zum Ausschlüpfen sind, aber eine Zeit ihrer Entwickelung schon durchgemacht haben. Nun, was tut er weiter? Er nimmt einen Binsenhalm und bindet diese zwei Feigen, in denen er diese Wespenlarven nicht ganz zur Reife hat kommen lassen, mit diesem Binsenhalm zusammen, so daß sie halten. Jetzt geht er an einen Feigenbaum, bei dem er die Feigen veredeln will und hängt die zwei Feigen, die er mit dem Binsenhalm verbunden hat und worin die Wespen genistet haben, ihre Eier abgelegt haben, an den Feigenbaum an, den er veredeln will. Was geschieht nun?

veredelter Feigenbaum
veredelter Feigenbaum

Da geschieht folgendes: Die Wespen, die spüren das, weil diese Feigen, die er abgerissen hat, die nicht mehr auf dem Feigenbaum darauf sind, jetzt trocken werden; die trocknen aus, die haben nicht mehr den Saft vom Baum. Das spürt innerlich schon die noch gar nicht entwickelte Wespe. Selbst das Ei spürt das. Und die Folge davon ist, daß sich die Wespe mit ihrem Auskriechen furchtbar beeilt. So daß also der Züchter im Frühling anfängt, diese Prozedur zu machen: Er läßt zuerst die Wespe ihre Eier ablegen. Flugs, wenn es so zum Mai kommt, nimmt er diese zwei Feigen herunter und macht damit diese Prozedur. Donnerwetter, denkt sich das Tier, das da drinnen ist, jetzt muß ich mich beeilen! Jetzt kommt ja schon die Zeit, wo die Feige wieder trocken wird! - Das Tier beeilt sich furchtbar, schlüpft viel früher aus, als es sonst ausgeschlüpft wäre. Wäre die Feige hängengeblieben, wäre es im Spätsommer ausgeschlüpft. So muß es im Frühsommer ausschlüpfen. Die Folge aber ist, daß das Tier, weil es im Frühsommer ausschlüpft, eine zweite Brut machen muß, und es legt noch im Sommer Eier, während es sonst erst im Frühjahr gelegt hätte.

Mit diesen Eiern geht die Wespe jetzt an die Feigen, die an dem Baume sind, der veredelt werden soll. Dahinein legt sie die Eier, Späteier, die nicht bis zu ihrer Reife kommen, sich nur bis zu einem gewissen Grade entwickeln. Und was geschieht dadurch? Diese Feigen, in die da die zweite Brut hineingelegt ist, die werden doppelt so süß als die anderen wilden Feigen! Das nennt man die Veredelung der Feigen, daß sie doppelt so süß werden." (Lit.: GA 351, S. 206ff)

Rudolf Steiner hat diesen Prozess[1] mit der Honigbildung verglichen:

"In südlichen Gegenden hat man Feigenbäume. Man hat Feigenbäume, welche zunächst wilde Feigen hervorbringen und solche Feigenbäume, die besonders kultivierte Feigenfrüchte, süße Feigenfrüchte hervorbringen. Die Leute sind ziemlich raffiniert im Hervorbringen der süßen Feigenfrüchte. Sie tun das Folgende: Sie veranlassen eine gewisse Wespenart, die Eier hineinzulegen in eine Feigenfrucht, in eine gewöhnlich gewachsene Feigenfrucht. Dadurch wird aus dem Wespenkeim eine Wespenmade, die sich verpuppt. Dieser Prozeß wird nun unterbrochen von den Leuten, und es wird die junge Wespenart veranlaßt, ein zweites Mal im Jahr Eier abzulegen. Auf diese Weise, daß ein zweites Mal Eier abgelegt werden von der in demselben Jahr erzeugten Wespengeneration, wird in der Feige, in die hinein von der zweiten Generation das Ei gelegt wird, wesentliche Süßigkeit her vorgerufen. Die Leute im Süden machen das so, daß sie zunächst Feigen überhaupt, die schon nahe der Reife sind, nehmen, indem sie so mit Bast zwei Feigen zusammenbinden, an den Ast hängen. Also die Feige läßt man von den Wespen anstechen, die Reife der Frucht wird dadurch, daß sie schon abgeschnitten ist, sehr beschleunigt. Dadurch entwickelt sich auch die erste Wespengeneration sehr schnell, geht herüber in die andere Feige, die nicht abgepflückt ist, und die wird dadurch wesentlich versüßt.

Dieser Prozeß ist sehr wichtig, meine lieben Freunde, weil innerhalb der Natur selbst, innerhalb der fortlaufenden Feigensubstanz, dasselbe vor sich geht, zusammengezogen, was auseinandergezogen vor sich geht, wenn die Wespe oder meinetwegen die Biene den Honigsaft aus den Blumen nimmt, in den Stock einträgt und den Honig erzeugt. In der Tat, das, was bei der Biene auseinandergefaltet ist im Prozeß von den Blumen, deren Honigsaft die Bienen aufsaugen, bis zum Honigerzeugen im Stock, spielt sich innerhalb der Feige selber ab. Dadurch, daß der Südländer den Prozeß hervorruft, ruft er in der Feige, die er stechen läßt durch die junge Wespengeneration, einen honigerzeugenden Prozeß hervor. Diese Feige, die von der jungen Generation gestochen wird, bekommt einen honigerzeugenden Prozeß in sich. Sie haben hier die Metamorphose zweier Naturprozesse, von denen der eine auseinandergezogen abläuft, indem von den Bienen aus den entfernten Blumen der Honigsaft geholt und im Stock daraus Honig erzeugt wird. Der andere läuft ab in demselben Baum, in dem die beiden Feigen eingehängt werden, die schneller reifen, die Wespengeneration schneller entsteht, und eine andere Feige ansticht. Indem die andern Feigen angestochen werden, erscheinen überall süße Feigen." (Lit.: GA 316, S. 23f)

"Was ist denn da geschehen? Da ist das geschehen, daß die Wespen, die eben verwandte, aber andere Tiere sind als die Bienen, schon im Ei dasjenige aus der Pflanze herausgenommen haben, was zum Honig werden kann. Und wenn man in geschickter Weise, wie der Feigenzüchter, der da seine zwei wilden Feigen mit den Wespeneiern drinnen mit seinem Binsenhalm zusammenbindet und da hinaufschwingt auf den Baum, so daß sie da drinnen hängen, wenn man sie in geschickter Weise veranlaßt, auch wiederum in die Pflanze hineinzuweben, was sie aufgenommen haben aus der anderen Pflanze, so läßt er sie den Honig in die Pflanze, in die er sie gehängt hat, in diese veredelten Feigen, nun als Süßigkeit hineingeben. In diese veredelten Feigen kommt die Süßigkeit dadurch hinein, daß der Honig in ganz feiner Verteilung einfach durch die Wespe hineingetan worden ist. Das ist auf dem Umweg der Natur geschehen.

Sie sehen also: Da haben wir aus der Natur gar nichts herausgenommen, sondern drinnengelassen die Honignatur. Die Wespe kann den Honig nicht so zubereiten wie die Biene, weil ihre Organisation dazu gar nicht taugt. Aber sie kann, wenn man sie zu diesem Umwege zwingt, von einer Feigenfrucht während ihrer Fortpflanzung in die andere Feigenfrucht die Süßigkeit ihres Honigseims herübertragen. Dann macht sie die zweite Feige, die veredelte, süß. Und es ist da drinnen eine Art von Honigsubstanz. Also Sie sehen: Da kommen wir auf etwas ganz Besonderes. Bei diesen Wespen stellt sich das heraus, daß sie einen Körper haben, der es nicht dazu bringt, der Natur den Honigseim wegzunehmen und ihn in ihrem eigenen Körper zu Honig umzuändern. Aber sie können in der Natur selber das befördern, daß von einer Feige zu der anderen hinüber eine Art Honigbildung stattfindet." (Lit.: GA 351, S. 208)

Der Feigenbaum als Symbol für das alte naturhafte Hellsehen

Reife Feigen

Das alte naturhafte Hellsehen, über das der Mensch in alten Zeiten verfügte, wurde durch die selben reinen Ätherkräfte gespeist, die auch der Fortpflanzung zugrunde liegen. Diese Kräfte werden durch den Feigenbaum bzw. durch das Feigenblatt angedeutet. Spätestens seit der Antike wurden daher die die Feigen, in denen, wie in allen Früchten, neben den Ätherkräften auch astrale Kräfte wirksam werden, immer wieder als Aphrodisiakum angesehen. Die Eingeweihten der vorchristlichen Zeit konnten sich für die Geistesschau der reinen Ätherkräfte bedienen. Das wird auch im Johannes-Evangelium durch das Gespräch des Christus mit Nathanael angedeutet:

„47 Jesus sah Nathanael kommen und sagt von ihm: Siehe, ein rechter Israelit, in dem kein Falsch ist. 48 Nathanael spricht zu ihm: Woher kennst du mich? Jesus antwortete und sprach zu ihm: Bevor Philippus dich rief, als du unter dem Feigenbaum warst, sah ich dich. 49 Nathanael antwortete ihm: Rabbi, du bist Gottes Sohn, du bist der König von Israel! 50 Jesus antwortete und sprach zu ihm: Du glaubst, weil ich dir gesagt habe, dass ich dich gesehen habe unter dem Feigenbaum. Du wirst noch Größeres als das sehen. 51 Und er spricht zu ihm: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ihr werdet den Himmel offen sehen und die Engel Gottes hinauf- und herabfahren über dem Menschensohn.“

Johannesevangelium: Joh 1,47-51 LUT

Dazu gibt Rudolf Steiner folgende Erläuterungen:

"Nun wissen wir, daß uns im Johannes-Evangelium gesagt wird, daß unter den ersten Jüngern des Christus Jesus auch Nathanael ist. Er wird dem Christus vorgeführt. Er ist nicht so hoch eingeweiht, daß er den Christus zu durchschauen vermöchte. Der Christus ist natürlich der Geist des umfassenden Wissens, der von einem Nathanael, einem im fünften Grade Eingeweihten, nicht durchschaut werden kann. Aber der Christus durchschaut den Nathanael. Das zeigt sich durch zwei Tatsachen. Wie bezeichnet er selbst ihn?

«Das ist ein rechter Israeliter!» (1, 47)

Da haben Sie die Bezeichnung nach dem Namen des Volkes. Wie man bei den Persern einen im fünften Grade Eingeweihten einen «Perser» nannte, so nannte man einen solchen bei den Israeliten einen «Israeliter». Daher nennt Christus den Nathanael einen «Israeliter». Und dann sagt er ihm:

«Ehe denn dich Philippus rief, da du unter dem Feigenbaum warest, sah ich dich!» (1, 48)

Das ist eine symbolische Bezeichnung für einen Eingeweihten, geradeso wie das Sitzen Buddhas unter dem Bodhi-Baum. Der Feigenbaum ist ein Symbol der ägyptisch-chaldäischen Einweihung. Er will ihm damit sagen: Oh, ich weiß wohl, daß du ein in gewissem Sinne Eingeweihter bist und gewisse Dinge durchschauen kannst, denn ich sah dich. Und nun erkennt ihn Nathanael:

«Nathanael antwortet und spricht zu ihm: < Meister, du bist Gottes Sohn und ein König in Israel. >» (1, 49)

Das Wort «König» bedeutet in dieser Zusammensetzung: Du bist ein Höherer als ich, denn sonst könntest du nicht sagen: «Da du unter dem Feigenbaum saßest, sah ich dich.» Und der Christus antwortet darauf:

«Du glaubest mir, weil ich dir gesagt habe, daß ich dich gesehen habe unter dem Feigenbaum; du wirst noch Größeres denn das sehen.» (1, 50)

Die Worte «wahrlich, wahrlich» werden wir noch zu besprechen haben. Dann sagt er:

«Ich sage euch, ihr werdet die Engel des Himmels auf den Menschensohn auf- und niedersteigen sehen!» (1, 51)

Größeres, als sie schon gesehen haben, werden die noch sehen, die Christus zu erkennen vermögen." (Lit.: GA 103, S. 86f)

"Einer der ersten, die dem Christus Jesus zugeführt wurden im Sinne des Johannes-Evangeliums, war Nathanael. Die anderen, welche schon Bekenner des Christus Jesus sind, sagen nun dem Nathanael: «Wir haben den Meister gefunden, den, der in Jesus von Nazareth wohnt!», worauf ihnen Nathanael antwortet: «Was kann von Nazareth Gutes kommen?» Als man aber dem Christus den Nathanael entgegenführt, da sagt der Christus zu ihm; «Siehe, ein rechter Israeliter, in welchem kein Falsch ist!»

Ein rechter Israeliter, in dem die Wahrheit wohnt! Er sagt es, weil er weiß, in welchem Grade Nathanael eingeweiht ist. Und da erkennt Nathanael, daß er es zu tun hat mit einem, der ebensoviel weiß wie er, ja der ihn überschaut, der mehr weiß als er. Und der Christus sagt ihm, um noch anzudeuten, daß es sich wirklich um die Einweihung handelt: «Ich sah dich nicht erst, als du an mich herankämest, sondern ehe denn dich Philippus rief, da du unter dem Feigenbaume wärest, sähe ich dich!» (1, 41 ff.)

Und das Wort «Feigenbaum» ist hier ganz in demselben Sinne gebraucht wie bei Buddha: der Feigenbaum ist der Bodhi-Baum. Das ist das Zeichen für die Einweihung. Der Christus sagt ihm: Ich erkenne dich als einen im fünften Grade Eingeweihten! Daraus sehen Sie, wie der Schreiber des Johannes-Evangeliums andeutet, daß der Christus überschaut einen solchen, der bis zum fünften Grade eingeweiht ist. Ganz stufenweise führt uns der Schreiber des Johannes- Evangeliums, indem er zeigt, daß in dem Jesus von Nazareth-Leibe einer wohnt, der einen im fünften Grade Eingeweihten überschaut." (Lit.: GA 112, S. 190)

"Den Eingeweihten des fünften Grades nannte man in allen Geheimschulen mit dem Namen des Volkes, dem er angehörte, denn sein Bewußtsein hatte sich so erweitert, daß es das ganze Volk umfaßte. Er empfand alles Leid des Volkes als sein eigenes. Sein Bewußtsein war geläutert und erweitert zum allgemeinen Volksbewußtsein. Bei den Juden nannte man den Eingeweihten dieser Stufe einen Israeliten. Erst wenn wir diese Tatsache kennen, verstehen wir das Gespräch des Christus mit Nathanael (Kap. 1, 47-49). Dieser war ein Eingeweihter der fünften Stufe. Die auffallende Antwort des Christus, er habe den Nathanael unter dem Feigenbaum gesehen, deutet auf einen besonderen Vorgang der Initiation hin, nämlich auf das Empfangen der Bewußtseinsseele." (Lit.: GA 100, S. 229)

"Wenn der esoterische Schüler der christlichen Schule sein Wesen erkennen wollte, so mußte er auf dieses Bild hinblicken, daß der Mensch gestaltet ist gleich einem Baume, der in dem Geistigen wurzelt. Das verstand man mit dem Sitzen unter dem Feigenbaume oder des Buddha unter dem Bodhibaume. Wenn Jesus zu Nathanael sagte: «Als du unter dem Feigenbaume saßest, habe ich dich erkannt», so bedeutet das, daß Nathanael in solche Beziehung zur Umwelt sich gesetzt hatte. Auch Yggdrasil, die Weltesche in der altnordischen Mythologie, ist eine Darstellung dieses Baumes." (Lit.: GA 266a, S. 407f)

Der Feigenbaum oder Bodhibaum, wie er in der Imagination erscheint, ist dabei das astrale Spiegelbild des menschlichen Nervensystems:

"Wenn nun der Mensch den fünften Grad der Einweihung erlangt hat, dann sieht er immer ein Bild auf dem astralen Plan, das er früher nicht gesehen hat, nämlich das Bild eines Baumes, das Bild eines sich verästelnden weißen Baumes. Man nennt dieses Bild auf dem astralen Plan, das Sie als ein Sinnbild für die Einweihungsstufe des fünften Grades der Einweihung nehmen wollen, den Lebensbaum. Von dem, der es erreicht hat, wird gesagt, daß er unter dem Lebensbaume saß. So saß auch der Buddha unter dem Bodhibaum und Nathanael unter dem Feigenbaum. Das sind Ausdrücke für die Bilder auf dem astralen Plan. Das, was da gesehen werden kann, sind Spiegelungen für innere, jetzt auch körperlich innere Dinge. Dieser Bodhibaum ist nichts anderes als das astrale Spiegelbild des menschlichen Nervensystems. Der Mensch, der den Blick nach innen zu richten vermag durch die Einweihung, der sieht in die astrale Außenwelt sein Innenleben bis auf das Körperliche hineingespiegelt. Sie sehen, was hier gesagt werden soll, in diesem Kapitel des Johannes-Evangeliums: Nathanael soll angeredet werden als ein Sachverständiger. Es soll darauf hingewiesen werden: wir verstehen uns. «Jesus spricht zu ihm: Ehe denn dich Philippus rief, da du unter dem Feigenbaum warst, sah ich dich.» Das heißt: Wir sind Brüder des fünften Einweihungsgrades. Es ist eine Erkennungsszene der Eingeweihten. «Nathanael spricht zu ihm: Rabbi, du bist Gottes Sohn, du bist der König von Israel.» Sie sehen, die Erkennung ist vollzogen. Jesus antwortet ihm gleich darauf, daß er sich erweisen werde nicht nur im fünften Grade eingeweiht, sondern noch als ein anderer. Er sagt: «Du glaubest, weil ich dir gesagt habe, daß ich dich gesehen habe unter dem Feigenbaum; du wirst noch Größeres denn das sehen!»" (Lit.: GA 094, S. 211f)

Der verdorrte Feigenbaum

Adam und Eva, Albrecht Dürer, 1507
Feigenblatt

Durch die luziferische Versuchung wurden die Sinne geöffnet und die ursprünglich völlig bewusstlos erfolgende Fortpflanzung immer mehr von sinnlichen Begierden durchsetzt. Augustinus sprach es so aus: ficus foliis significantur pruritus libidinis - „Feigenblätter bedeuten das Jucken der Sinnlichkeit“.[2]. Durch die Sinnlichkeit wurde auch das alte Hellsehen immer mehr korrumpiert und begann dahinzuschwinden. Dafür trat der Egoismus immer mehr hervor. Zur Zeitenwende, mit dem Erdenleben des Christus, hatte das alte Hellsehen seine ursprüngliche Berechtigung verloren - der Feigenbaum - als Symbol dieses atavistischen Hellsehens - sollte verdorren, wie es auch im Evangelium angedeutet wird:

„12 Und am nächsten Tag, als sie von Betanien weggingen, hungerte ihn. 13 Und er sah einen Feigenbaum von ferne, der Blätter hatte; da ging er hin, ob er etwas darauf fände. Und als er zu ihm kam, fand er nichts als Blätter; denn es war nicht die Zeit für Feigen. 14 Da fing Jesus an und sprach zu ihm: Nun esse niemand mehr eine Frucht von dir in Ewigkeit! Und seine Jünger hörten das.“

Markusevangelium: Mk 11,12-14 LUT

Rudolf Steiner sagt dazu in seinen Vorträgen über das Markus-Evangelium:

"Eine besondere Stelle, wobei man wieder das Methodisch-Künstlerische kennenlernen kann, was das Evangelium an okkulten Tatsachen der Menschheitsevolution birgt, ist die folgende, die wieder eine Art von Crux für die Erklärer ist. «Und am folgenden Tage, als sie von Bethanien ausgezogen, hungerte ihn. Und er sah von weitem einen Feigenbaum, der Blätter hatte, und trat herzu, ob er etwas auf demselben finde. Und wie er hinkam, fand er nichts als Blätter; denn es war nicht die Zeit der Feigen. Und er hob an und sprach zu ihm: Nie mehr in Ewigkeit soll jemand von dir Frucht essen! Und seine Jünger hörten es.» (11, 12-14.)

Nun sollte doch jeder ehrlicherweise fragen: Ist es denn nach dem Evangelium nicht doch sonderbar von einem Gotte, daß er auf einen Feigenbaum losgeht, Feigen sucht, aber keine findet, daß man noch dazu den Grund angibt, warum er keine gefunden hat - denn es heißt ausdrücklich «es war nicht die Zeit der Feigen», das heißt also, daß er zur Zeit, da es keine Feigen gibt, zum Feigenbaume hingeht, Feigen sucht und keine findet -, und nachher sagt: «Nie mehr in Ewigkeit soll jemand von dir Frucht essen!»? Nun nehmen Sie die Erklärungen, die zu dieser Geschichte gewöhnlich gegeben werden, während trocken und nüchtern nichts anderes dasteht, als daß in sonderbarer Weise der Christus Jesus Hunger verspürt, zu einem Feigenbaume geht in einer Zeit, in welcher keine Feigen wachsen, keine Feigen findet und den Baum dann verflucht, daß in alle Ewigkeit keine Feigen mehr auf ihm wachsen sollen. Ja, was ist denn dann der Feigenbaum, und warum wird das Ganze hier erzählt? Wer okkulte Schriften lesen kann, wird in dem «Feigenbaume » - wie der Zusammenhang im Evangelium ist, werden wir noch sehen - zunächst dasselbe erkennen, wovon bei dem Buddha gesprochen wird, der unter dem «Bodhibaume» saß und die Erleuchtung zu der Predigt von Benares empfing. Unter dem «Bodhibaume» - das heißt auch: unter dem «Feigenbaume». Weltgeschichtlich war zur Zeit des Buddha in bezug auf das menschliche Hellsehen noch die « Zeit der Feigen », das heißt, man bekam, wie es bei Buddha der Fall war, unter dem Bodhibaume - unter dem Feigenbaume - die Erleuchtung. Jetzt war das nicht mehr so. Das sollten die Jünger lernen. Jetzt war die weltgeschichtliche Tatsache eingetreten, daß nicht mehr an jenem Baume, unter dem der Buddha die Erleuchtung empfangen hat, die Früchte da waren.

Und was in der ganzen Menschheit geschah, das spiegelte sich dazumal in der Seele des Christus. Sehen wir einen Repräsentanten der Menschheit in Empedokles von Sizilien, einen Repräsentanten für viele Menschen, die ähnlich hungerten, weil ihre Seele nicht mehr fand die Offenbarung, die ihr früher gegeben war und sich jetzt mit den Abstraktionen des Ich begnügen mußte, so kann man von dem hungernden Empedokles sprechen, kann sprechen von dem Hunger nach dem Geist, den alle Menschen der heranrückenden Zeit fühlten. Und der ganze Hunger der Menschheit lud sich ab in der Seele des Christus Jesus, bevor heranrückte das Mysterium von Golgatha.

Und die Jünger sollten teilnehmen an diesem Geheimnis und davon wissen. Der Christus führt sie hin zu dem Feigenbaum und sagt ihnen das Geheimnis von dem Bodhibaum. Er ließ aus, weil es bedeutungslos war, daß noch der Buddha die Früchte dieses Feigenbaumes gefunden hat. Aber jetzt war nicht mehr die Zeit der «Feigen», die Buddha zur Zeit der Predigt von Benares von dem Bodhibaume gehabt hat; sondern konstatieren mußte der Christus, daß bis in alle Ewigkeit an dem Baume, von dem heruntergeflossen ist das Licht von Benares, nicht mehr die Erkenntnisfrüchte reifen werden, sondern daß sie jetzt kommen werden von dem Mysterium von Golgatha.

Welche Tatsache haben wir vor uns? Die Tatsache, daß der Christus Jesus mit seinen Jüngern von Bethanien nach Jerusalem geht und daß bei dieser Gelegenheit in den Jüngern eine besonders starke Empfindung, eine besonders starke Kraft hervorgerufen wird, welche in den Seelen der Jünger hellseherische Kräfte hervorruft, so daß sie besonders zur Imagination geneigt sind. In den Jüngern werden hellseherische, imaginative Kräfte erweckt. Sie sehen hellseherisch den Bodhibaum, den Feigenbaum, und der Christus Jesus bewirkt in ihnen die Erkenntnis, daß von dem Bodhibaume nicht mehr die Früchte der Erkenntnis kommen können; denn es ist nicht mehr die Zeit der Feigen, das heißt der alten Erkenntnis. In alle Ewigkeit wird dieser Baum verdorrt sein, und ein neuer Baum muß erwachsen, der Baum, der aus dem toten Holze des Kreuzes besteht, und an dem nicht die Früchte reifen der alten Erkenntnis, sondern die Früchte, die der Menschheit aus dem Mysterium von Golgatha reifen können, das mit dem Kreuze von Golgatha als einem neuen Sinnbild verbunden ist. Hingestellt hat sich an die Stelle jener Szene der Weltgeschichte, die wir sehen in dem Sitzen des Buddha unter dem Bodhibaum, das Bild von Golgatha, wo ein anderer Baum, der Baum des Kreuzes, erhöht ist, an dem die lebendige Frucht des sich offenbarenden Menschengottes hing, damit von ihm ausstrahle die neue Erkenntnis des sich nun weiter ausbildenden Baumes, der in alle Ewigkeit die Früchte tragen soll." (Lit.: GA 139, S. 161ff)

Siehe auch

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.

Weblinks

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Einzelnachweise

  1. Im Brockhaus Konversationslexikon von 1894 wird dieser Veredelungsprozess so beschrieben:
    «Berühmt ist seit alten Zeiten die Kaprifikation der Feige. Es gibt nämlich eine kleine Gallwespe, die Feigengallwespe (Cynips psenes L.), die die Feige des wildwachsenden Baums ansticht, um ihre Eier hineinzulegen. Infolge davon wird die wild wachsende Feige viel größer und saftiger, auch zuckerreicher, als es sonst der Fall sein würde. Schon im Altertum hing man deshalb angestochene wilde Feigen an die Zweige der angebauten Feigenbäume, um deren Früchte durch die ausschlüpfenden Wespchen ebenfalls anstechen zu lassen, ein Verfahren, das jetzt in allen Ländern, wo man den Feigenbaum als Obstbaum anbaut, angewendet und als Kaprifikation bezeichnet wird, weil der wilde Feigenbaum Caprificus, d. i. Geißfeige, hieß.»
  2. Augustinus, PL. 38, S. 442