Keplersche Gesetze und Naturphilosophie: Unterschied zwischen den Seiten

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[[Datei:Kepler laws diagram.svg|miniatur|hochkant=1.5|Grafische Veranschaulichung der drei Keplerschen Gesetze:<br />
Die '''Naturphilosophie''' ({{ELSalt|φιλοσοφία φυσική}} ''philosophia physiké''; [[lat.]] ''philosophia naturalis'') versucht das [[Wesen]] der [[Natur]] ([[Latein|lat.]]: ''natura'', von ''nasci'' „entstehen, geboren werden“; {{ELSalt|φύσις}}, ''physis'', „das Gewachsene“) in ihrer Gesamtheit zu ergründen. Sie hat ihre Wurzeln in der in der etwa ab dem [[Wikipedia:6. Jahrhundert v. Chr.|6. Jahrhundert v. Chr.]] entstandenen [[Wikipedia:Ionische Naturphilosophie|ionischen Naturphilosophie]]. Damals begann sich erstmals das innere [[seelisch]]-[[Gedanke|gedankliche]] Leben vom Erleben der [[sinnlich]]-[[physisch]]-[[ätherisch]]en Welt zu sondern.
1. Zwei ellipsenförmige Umlaufbahnen, Brennpunkte ƒ<sub>1</sub> und ƒ<sub>2</sub> für Planet&nbsp;1, ƒ<sub>1</sub> und ƒ<sub>3</sub> für Planet&nbsp;2. Die Sonne (sun) in ƒ<sub>1</sub>.<br />
2. Die beiden grauen Sektoren A1 und A2, die in derselben Zeit überstrichen werden, haben dieselbe Fläche.<br />
3. Große Halbachsen a<sub>1</sub> und a<sub>2</sub>. Die Gesamtumlaufzeiten der Planeten&nbsp;1 und&nbsp;2 verhalten sich wie a<sub>1</sub><sup>3/2</sup> : a<sub>2</sub><sup>3/2</sup>.]]


Die drei '''Keplerschen Gesetze''' beschreiben [[Mathematik|mathematisch]] die Gesetzmäßigkeiten, nach denen sich die [[Planeten]] um die [[Sonne]] bewegen. Sie wurden in den Jahren von [[Wikipedia:1609|1609]] bis [[Wikipedia:1618|1618]] von [[Johannes Kepler]] (1571-1630) entdeckt und erforscht. Kepler selbst bezeichnete sie allerdings niemals als „Gesetze“, vielmehr waren sie ihm Ausdruck der [[Weltharmonie]], nach der [[Gott]] die Welt erschaffen hatte.
== Die ionische Naturphilosophie der Vorsokratiker ==


Kepler fand die Gesetzmäßigkeiten rein [[Empirie|empirisch]] aus den beobachteten Daten der Planetenbewegungen ohne, wie später [[Wikipedia:Isaak Newton|Isaak Newton]], theoretische Erwägungen über die [[physik]]alischen Ursachen der [[Bewegung]]en zugrundezulegen. Die Basis dafür bildetenn die [[Wikipedia:Rudolfinische Tafeln|Rudolfinischen Tafeln]], die auf [[Tycho Brahe]]s Beobachtungen und seinen eigenen als dessen Assistent beruhten. Insbesondere aus den Daten der Marsbahn war ihm bald klar, dass die Bewegungen offenbar von der idealen Kreisbahn abwichen, von der auch noch [[Kopernikus]] ausgegangen war. Als nächste Möglichkeit boten sich elliptische Bahnen an. Die ersten beiden Gesetze konnte Kepler realtiv rasch formulieren und veröffentlichte sie [[Wikipedia:1609|1609]] in seiner ''Astronomia Nova'' („Neue Astronomie“). Die Suche nach dem dritten Gesetz erwies sich als weitaus schwieriger. Erst als er [[musik]]alische [[Harmonie]]n im Sinne einer umfassenden [[Sphärenharmonie]] einbezog, eröffnete sich ihm der richtige Weg. Mitte [[Wikipedia:1618|1618]] konnte er auch das dritte Gesetz mathematisch formulieren und veröffentlichte es im folgenden Jahr in seiner ''Harmonice mundi'' („[[Weltharmonie]]“).
{{GZ|An [[Pherekydes]] und [[Pythagoras]] enthüllt sich, wie die
gedanklich erlebte Weltanschauung in der Menschenseele
ihren Ursprung nimmt. Im Herausringen aus älteren Vorstellungarten
kommen diese Persönlichkeiten zu innerem,
selbständigem Erfassen der «Seele», zum Unterscheiden
derselben von der äußeren «Natur». Was an diesen beiden
Persönlichkeiten anschaulich ist, das Sich-Herausringen
der Seele aus den alten Bildvorstellungen, das spielt sich
mehr im Seelen-Untergrunde ab bei den anderen Denkern,
mit denen gewöhnlich der Anfang gemacht wird in
der Schilderung der griechischen Weltanschauungsentwikkelung.
Es werden zunächst gewöhnlich genannt [[Thales von Milet]] (624—546 v. Chr.), [[Anaximander]] (611—550
v. Chr.), [[Anaximenes]] (der zwischen 585 und 525 v. Chr.
seine Blütezeit hatte) und [[Heraklit]] (etwa 540—480 v. Chr.
zu Ephesus).|18|51}}


Die drei Keplerschen Gesetze lauten:
Die äußeren Naturprozesse wurden von diesen ersten Naturphilosophen noch so ähnlich empfunden wie die inneren Seelenvorgänge. Sie fühlten noch - halbunbewusst - den Zusammenhang der [[Vier-Elemente-Lehre|Elemente]] [[Feuer]], [[Wasser]], [[Luft]] und [[Erde (Element)|Erde]] mit dem innerlich erlebtem [[Temperament]].


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{{GZ|Man wird sich zum Beispiel
; 1.&nbsp;Keplersches Gesetz (Ellipsensatz)
das Vorstellen des Thales ganz sicher irrtümlich zurechtlegen,
: Planeten bewegen sich auf [[Wikipedia:Ellipse|elliptischen]] Bahnen, in deren einem gemeinsamen Brennpunkt die Sonne steht.
wenn man denkt, daß er als Kaufmann, Mathematiker,
; 2.&nbsp;Keplersches Gesetz (Flächensatz)
Astronom über Naturvorgänge nachgedacht
: Ein von der Sonne zum Planeten gezogener ''Fahrstrahl'' überstreicht in gleichen Zeiten gleich große Flächen.
habe und dann in unvollkommener Art, aber doch so wie
; 3.&nbsp;Keplersches Gesetz
ein moderner Forscher seine Erkenntnisse in den Satz zusammengefaßt
: Die Quadrate der Umlaufzeiten zweier Planeten verhalten sich zueinander wie die Kuben der großen Halbachse der Ellipse.
habe: «Alles stammt aus dem Wasser».
</div>
Mathematiker, Astronom usw. sein, bedeutete in jener
alten Zeit ''praktisch'' mit den entsprechenden Dingen zu tun
zu haben, ganz nach Art des Handwerkers, der sich auf
Kunstgriffe stützt, nicht auf ein gedanklich-wissenschaftliches
Erkennen.


Nach [[Rudolf Steiner]] waren die Keplerschen Gesetze die Frucht einer früheren [[Inkarnation]] Keplers in der [[Ägyptisch-Chaldäische Kultur|ägyptischen Zeit]], in der er als [[Astrologie|Astrologe]] tätig gewesen war.
Dagegen muß für einen Mann wie ''[[Thales]]'' vorausgesetzt
werden, daß er die äußeren Naturprozesse noch ähnlich
erlebte wie die inneren Seelenprozesse. Was sich ihm in den
Vorgängen mit und an dem Wasser - dem flüssigen,
schlammartigen, erdig-bildsamen -, als Naturvorgänge
darstellte, das war ihm gleich dem, was er seelisch-leiblich
innerlich erlebte. In minderem Grade als die Menschen der
Vorzeit erlebte er - aber doch erlebte er so - die Wasserwirkung
in sich und in der Natur, und beide waren ihm
eine Kraftäußerung. Man darf darauf hinweisen, daß noch
eine spätere Zeit die äußeren Naturwirkungen in ihrer
Verwandtschaft mit den innerlichen Vorgängen dachte, so
daß von einer «Seele» im gegenwärtigen Sinne, die abgesondert
vom Leibe vorhanden ist, nicht die Rede war. In
der Ansicht von den Temperamenten ist dieser Gesichtspunkt
noch in einem Nachklange festgehalten in die Zeiten
der gedanklichen Weltanschauung hinein. Man nannte
das melancholische Temperament das erdige, das phlegmatische
das wässerige, das sanguinische luftartig, das cholerische
feurig. Das sind nicht bloße Allegorien. Man empfand
nicht ein völlig abgetrenntes Seelisches; man erlebte
in sich ein Seelisch-Leibliches als Einheit, und in dieser
Einheit den Strom der Kräfte, welche zum Beispiel durch
eine phlegmatische Seele gehen, wie dieselben Kräfte
außen in der Natur durch die Wasserwirkungen gehen.
Und diese äußeren Wasserwirkungen schaute man als dasselbe,
was man in der Seele erlebte, wenn man phlegmatisch
gestimmt war. Die gegenwärtigen Denkgewohnheiten
müssen den alten Vorstellungsarten sich anpassen, wenn
sie in das Seelenleben früherer Zeiten eindringen wollen.


{{GZ|Kepler hatte in seiner ägyptischen Inkarnation den Blick hinaufgelenkt
Und so wird man in der Weltanschauung des Thales
zum Sternenhimmel; und was diese Individualität dort sah, das prägte
den Ausdruck finden dessen, was ihn sein dem phlegmatischen
sie aus in den großen spirituellen Wahrheiten der ägyptischen Astrologie.
Temperament verwandtes Seelenleben innerlich erleben
Bei ihrer Wiederverkörperung in dem Zeitalter, dem der Beruf des
läßt. Er erlebte das, was ihm als das Weltgeheimnis
Materialismus zufiel, prägte dieselbe Individualität diese Tatsachen -
vom Wasser erschien, in sich. Man verbindet mit dem Hinweis
unserem Zeitalter entsprechend - in den drei materialistisch gefärbten
auf das phlegmatische Temperament eines Menschen
Keplerschen Gesetzen aus.|120|167}}
eine schlimme Nebenbedeutung. So gerechtfertigt dies in
vielen Fällen ist, so wahr ist auch, daß das phlegmatische
Temperament, wenn es mit Energie des Vorstellen« zusammen
auftritt, durch seine Gelassenheit, Affektfreiheit,
Leidenschaftlosigkeit den Menschen zum Weisen macht.
Eine solche Sinnesart bei Thaies hat wohl bewirkt, daß er
von den Griechen als einer ihrer Weisen gefeiert worden
ist.


== Literatur ==
In anderer Art formte sich das Weltbild für ''[[Anaximenes]]'',
#Rudolf Steiner: ''Die Offenbarungen des Karma'', [[GA 120]] (1992), ISBN 3-7274-1200-3 {{Vorträge|120}}
der die Stimmung des Sanguinischen in sich erlebte.
Von ihm ist ein Ausspruch überliefert, der unmittelbar
zeigt, wie er das innere Erleben mit dem Luftelement als
Ausdruck des Weltgeheimnisses empfand: «Wie unsere
Seele, die ein Hauch ist, uns zusammenhält, so umfangen
Luft und Hauch das All.»
 
''[[Heraklit]]s'' Weltanschauung wird eine unbefangene Betrachtung
ganz unmittelbar als Ausdruck seines cholerischen
Innenlebens empfinden müssen. Ein Blick auf sein
Leben wird gerade bei diesem Denker manches Licht bringen [...]
 
Ein inneres Erleben, das sich in solcher
Cholerik ausspricht, findet sich verwandt dem verzehrenden
Wirken des Feuers; es lebt nicht im bequemen ruhigen
Sein; es fühlt sich eins mit dem «ewigen Werden». Stillstand
erlebt solche Seelenart als Widersinn; «Alles fließt»
ist daher der berühmte Satz des Heraklit. Es ist nur scheinbar,
wenn irgendwo ein beharrendes Sein auftritt; man
wird eine Heraklitische Empfindung wiedergeben, wenn
man das Folgende sagt: Der Stein scheint ein abgeschlossenes,
beharrendes Sein darzustellen; doch dies ist nur
scheinbar: er ist im Innern wild bewegt, alle seine Teile
wirken aufeinander. Es wird die Denkweise des Heraklit
gewöhnlich mit dem Satze charakterisiert: man könne
nicht zweimal in denselben Strom steigen; denn das zweitemal
ist das Wasser ein anderes. Und ein Schüler Heraklits,
''[[Kratylus]]'', steigerte den Ausspruch, indem er sagte:
auch einmal könne man nicht in denselben Strom steigen.
So ist es mit allen Dingen; während wir auf das scheinbar
Beharrende hinblicken, ist es im allgemeinen Strome des
Daseins schon ein anderes geworden.|18|52ff}}
 
{{GGZ|Freier von dem Innenleben, mehr dem Elemente des Gedankens
selbst hingegeben, erscheint ''[[Anaximander]]''. Er
sieht den Ursprung der Dinge in einer Art Weltenäther,
einem unbestimmten, gestaltlosen Urwesen, das keine
Grenzen hat. Man nehme den Zeus des Pherekydes, entkleide
ihn alles dessen, was ihm noch von Bildhaftigkeit
eigen ist, und man hat das Urwesen des Anaximander: den
zum Gedanken gewordenen Zeus. In Anaximander tritt
eine Persönlichkeit auf, in welcher aus der Seelenstimmung
heraus, die in den vorgenannten Denkern noch ihre Temperamentsschattierung
hat, das Gedankenleben geboren
wird. Eine solche Persönlichkeit fühlt sich als Seele mit
dem Gedankenleben vereint und dadurch nicht mit der
Natur so verwachsen wie die Seele, welche den Gedanken
noch nicht als selbständig erlebt. Sie fühlt sich mit einer
Weltenordnung verbunden, welche ''über'' den Naturvorgängen
liegt. Wenn Anaximander davon spricht, daß die
Menschen als Fische zuerst im Feuchten gelebt haben und
dann sich durch Landtierformen hindurchentwickelt haben,
so bedeutet das für ihn, daß der Geistkeim, als welchen
sich der Mensch durch den Gedanken erkennt, nur
wie durch Vorstufen durch die anderen Formen hindurchgegangen
ist, um sich zuletzt die Gestalt zu geben, welche
ihm von vornherein angemessen ist.|18|56}}
 
==Literatur==
 
# Rudolf Steiner: ''Die Rätsel der Philosophie in ihrer Geschichte als Umriß dargestellt'', [[GA 18]] (1985), ISBN 3-7274-0180-X {{Schriften|018}}
# Joachim Stiller: [http://joachimstiller.de/download/philosophie_grundriss2_naturphilosophie.pdf Naturphilosophie] PDF


{{GA}}
{{GA}}


[[Kategorie:Naturwissenschaft]] [[Kategorie:Astronomie]] [[Kategorie:Physik]] [[Kategorie:Astrophysik]]
[[Kategorie:Philosophie]] [[Kategorie:Naturphilosophie]]

Version vom 21. Juli 2017, 17:35 Uhr

Die Naturphilosophie (griech. φιλοσοφία φυσική philosophia physiké; lat. philosophia naturalis) versucht das Wesen der Natur (lat.: natura, von nasci „entstehen, geboren werden“; griech. φύσις, physis, „das Gewachsene“) in ihrer Gesamtheit zu ergründen. Sie hat ihre Wurzeln in der in der etwa ab dem 6. Jahrhundert v. Chr. entstandenen ionischen Naturphilosophie. Damals begann sich erstmals das innere seelisch-gedankliche Leben vom Erleben der sinnlich-physisch-ätherischen Welt zu sondern.

Die ionische Naturphilosophie der Vorsokratiker

„An Pherekydes und Pythagoras enthüllt sich, wie die gedanklich erlebte Weltanschauung in der Menschenseele ihren Ursprung nimmt. Im Herausringen aus älteren Vorstellungarten kommen diese Persönlichkeiten zu innerem, selbständigem Erfassen der «Seele», zum Unterscheiden derselben von der äußeren «Natur». Was an diesen beiden Persönlichkeiten anschaulich ist, das Sich-Herausringen der Seele aus den alten Bildvorstellungen, das spielt sich mehr im Seelen-Untergrunde ab bei den anderen Denkern, mit denen gewöhnlich der Anfang gemacht wird in der Schilderung der griechischen Weltanschauungsentwikkelung. Es werden zunächst gewöhnlich genannt Thales von Milet (624—546 v. Chr.), Anaximander (611—550 v. Chr.), Anaximenes (der zwischen 585 und 525 v. Chr. seine Blütezeit hatte) und Heraklit (etwa 540—480 v. Chr. zu Ephesus).“ (Lit.:GA 18, S. 51)

Die äußeren Naturprozesse wurden von diesen ersten Naturphilosophen noch so ähnlich empfunden wie die inneren Seelenvorgänge. Sie fühlten noch - halbunbewusst - den Zusammenhang der Elemente Feuer, Wasser, Luft und Erde mit dem innerlich erlebtem Temperament.

„Man wird sich zum Beispiel das Vorstellen des Thales ganz sicher irrtümlich zurechtlegen, wenn man denkt, daß er als Kaufmann, Mathematiker, Astronom über Naturvorgänge nachgedacht habe und dann in unvollkommener Art, aber doch so wie ein moderner Forscher seine Erkenntnisse in den Satz zusammengefaßt habe: «Alles stammt aus dem Wasser». Mathematiker, Astronom usw. sein, bedeutete in jener alten Zeit praktisch mit den entsprechenden Dingen zu tun zu haben, ganz nach Art des Handwerkers, der sich auf Kunstgriffe stützt, nicht auf ein gedanklich-wissenschaftliches Erkennen.

Dagegen muß für einen Mann wie Thales vorausgesetzt werden, daß er die äußeren Naturprozesse noch ähnlich erlebte wie die inneren Seelenprozesse. Was sich ihm in den Vorgängen mit und an dem Wasser - dem flüssigen, schlammartigen, erdig-bildsamen -, als Naturvorgänge darstellte, das war ihm gleich dem, was er seelisch-leiblich innerlich erlebte. In minderem Grade als die Menschen der Vorzeit erlebte er - aber doch erlebte er so - die Wasserwirkung in sich und in der Natur, und beide waren ihm eine Kraftäußerung. Man darf darauf hinweisen, daß noch eine spätere Zeit die äußeren Naturwirkungen in ihrer Verwandtschaft mit den innerlichen Vorgängen dachte, so daß von einer «Seele» im gegenwärtigen Sinne, die abgesondert vom Leibe vorhanden ist, nicht die Rede war. In der Ansicht von den Temperamenten ist dieser Gesichtspunkt noch in einem Nachklange festgehalten in die Zeiten der gedanklichen Weltanschauung hinein. Man nannte das melancholische Temperament das erdige, das phlegmatische das wässerige, das sanguinische luftartig, das cholerische feurig. Das sind nicht bloße Allegorien. Man empfand nicht ein völlig abgetrenntes Seelisches; man erlebte in sich ein Seelisch-Leibliches als Einheit, und in dieser Einheit den Strom der Kräfte, welche zum Beispiel durch eine phlegmatische Seele gehen, wie dieselben Kräfte außen in der Natur durch die Wasserwirkungen gehen. Und diese äußeren Wasserwirkungen schaute man als dasselbe, was man in der Seele erlebte, wenn man phlegmatisch gestimmt war. Die gegenwärtigen Denkgewohnheiten müssen den alten Vorstellungsarten sich anpassen, wenn sie in das Seelenleben früherer Zeiten eindringen wollen.

Und so wird man in der Weltanschauung des Thales den Ausdruck finden dessen, was ihn sein dem phlegmatischen Temperament verwandtes Seelenleben innerlich erleben läßt. Er erlebte das, was ihm als das Weltgeheimnis vom Wasser erschien, in sich. Man verbindet mit dem Hinweis auf das phlegmatische Temperament eines Menschen eine schlimme Nebenbedeutung. So gerechtfertigt dies in vielen Fällen ist, so wahr ist auch, daß das phlegmatische Temperament, wenn es mit Energie des Vorstellen« zusammen auftritt, durch seine Gelassenheit, Affektfreiheit, Leidenschaftlosigkeit den Menschen zum Weisen macht. Eine solche Sinnesart bei Thaies hat wohl bewirkt, daß er von den Griechen als einer ihrer Weisen gefeiert worden ist.

In anderer Art formte sich das Weltbild für Anaximenes, der die Stimmung des Sanguinischen in sich erlebte. Von ihm ist ein Ausspruch überliefert, der unmittelbar zeigt, wie er das innere Erleben mit dem Luftelement als Ausdruck des Weltgeheimnisses empfand: «Wie unsere Seele, die ein Hauch ist, uns zusammenhält, so umfangen Luft und Hauch das All.»

Heraklits Weltanschauung wird eine unbefangene Betrachtung ganz unmittelbar als Ausdruck seines cholerischen Innenlebens empfinden müssen. Ein Blick auf sein Leben wird gerade bei diesem Denker manches Licht bringen [...]

Ein inneres Erleben, das sich in solcher Cholerik ausspricht, findet sich verwandt dem verzehrenden Wirken des Feuers; es lebt nicht im bequemen ruhigen Sein; es fühlt sich eins mit dem «ewigen Werden». Stillstand erlebt solche Seelenart als Widersinn; «Alles fließt» ist daher der berühmte Satz des Heraklit. Es ist nur scheinbar, wenn irgendwo ein beharrendes Sein auftritt; man wird eine Heraklitische Empfindung wiedergeben, wenn man das Folgende sagt: Der Stein scheint ein abgeschlossenes, beharrendes Sein darzustellen; doch dies ist nur scheinbar: er ist im Innern wild bewegt, alle seine Teile wirken aufeinander. Es wird die Denkweise des Heraklit gewöhnlich mit dem Satze charakterisiert: man könne nicht zweimal in denselben Strom steigen; denn das zweitemal ist das Wasser ein anderes. Und ein Schüler Heraklits, Kratylus, steigerte den Ausspruch, indem er sagte: auch einmal könne man nicht in denselben Strom steigen. So ist es mit allen Dingen; während wir auf das scheinbar Beharrende hinblicken, ist es im allgemeinen Strome des Daseins schon ein anderes geworden.“ (Lit.:GA 18, S. 52ff)

„Freier von dem Innenleben, mehr dem Elemente des Gedankens selbst hingegeben, erscheint Anaximander. Er sieht den Ursprung der Dinge in einer Art Weltenäther, einem unbestimmten, gestaltlosen Urwesen, das keine Grenzen hat. Man nehme den Zeus des Pherekydes, entkleide ihn alles dessen, was ihm noch von Bildhaftigkeit eigen ist, und man hat das Urwesen des Anaximander: den zum Gedanken gewordenen Zeus. In Anaximander tritt eine Persönlichkeit auf, in welcher aus der Seelenstimmung heraus, die in den vorgenannten Denkern noch ihre Temperamentsschattierung hat, das Gedankenleben geboren wird. Eine solche Persönlichkeit fühlt sich als Seele mit dem Gedankenleben vereint und dadurch nicht mit der Natur so verwachsen wie die Seele, welche den Gedanken noch nicht als selbständig erlebt. Sie fühlt sich mit einer Weltenordnung verbunden, welche über den Naturvorgängen liegt. Wenn Anaximander davon spricht, daß die Menschen als Fische zuerst im Feuchten gelebt haben und dann sich durch Landtierformen hindurchentwickelt haben, so bedeutet das für ihn, daß der Geistkeim, als welchen sich der Mensch durch den Gedanken erkennt, nur wie durch Vorstufen durch die anderen Formen hindurchgegangen ist, um sich zuletzt die Gestalt zu geben, welche ihm von vornherein angemessen ist.“ (S. 56)

Literatur

  1. Rudolf Steiner: Die Rätsel der Philosophie in ihrer Geschichte als Umriß dargestellt, GA 18 (1985), ISBN 3-7274-0180-X pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
  2. Joachim Stiller: Naturphilosophie PDF
Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.