imported>Joachim Stiller |
imported>Odyssee |
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| Die '''Naturphilosophie''' ({{ELSalt|φιλοσοφία φυσική}} ''philosophia physiké''; [[lat.]] ''philosophia naturalis'') versucht das [[Wesen]] der [[Natur]] ([[Latein|lat.]]: ''natura'', von ''nasci'' „entstehen, geboren werden“; {{ELSalt|φύσις}}, ''physis'', „das Gewachsene“) in ihrer Gesamtheit zu ergründen. Sie hat ihre Wurzeln in der in der etwa ab dem [[Wikipedia:6. Jahrhundert v. Chr.|6. Jahrhundert v. Chr.]] entstandenen [[Wikipedia:Ionische Naturphilosophie|ionischen Naturphilosophie]]. Damals begann sich erstmals das innere [[seelisch]]-[[Gedanke|gedankliche]] Leben vom Erleben der [[sinnlich]]-[[physisch]]-[[ätherisch]]en Welt zu sondern.
| | [[Datei:angel2.svg|mini|290px|Platons Definition des Begriffs „Angelfischerei“]] |
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| == Die ionische Naturphilosophie der Vorsokratiker ==
| | Die '''Dihairesis''' ({{ELSalt|διαίρεσις}} wörtlich „Auseinandernehmung“, von ''diá'' „auseinander“ und ''hairéin'' „nehmen“; {{LaS|divisio}}; {{EnS|division}}) ist eine von [[Platon]] entwickelte Methode, um [[Begriffe]] konsequent und lückenlos in ein hierarchisches System von [[Gattung (Philosophie)|Gattungen]] und [[Art (Philosophie)|Arten]] einzuordnen, um so von den [[Allgemeinbegriff]]en absteigend durch wiederholte Teilung zu einer [[Logik|logisch]] exakten [[Definition]] spezieller, nicht weiter teilbarer [[Begriff]]e zu gelangen. Ein klassisches Beispiel dazu ist seine [[Ableitung]] der „Angelfischerei“ aus dem Allgemeinbegriff der „handwerklichen Tätigkeit“ (''[[techné]]'') nach dem nebenstehenden Schema, die zu der Definition führt: ''Die Angelfischerei ist die Kunstfertigkeit einer verwundenden Jagd auf Fische mit einem Haken bei Tage zum Zweck des Erwerbs.''<ref>Platon, ''[[Wikipedia:Sophistes|]]'' 218e–221b</ref> |
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| {{GZ|An [[Pherekydes]] und [[Pythagoras]] enthüllt sich, wie die
| | Schon in der [[Wikipedia:Antike|Antike]] hat man diese Methode Platons nicht immer ganz ernst genommen. So berichtet etwa [[Wikipedia:Diogenes Laertios|Diogenes Laertios]], wie sich der [[Kyniker]] [[Wikipedia:Diogenes von Sinope|Diogenes von Sinope]] über Platons Definition des [[Mensch]]en lustig gemacht haben soll: |
| gedanklich erlebte Weltanschauung in der Menschenseele
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| ihren Ursprung nimmt. Im Herausringen aus älteren Vorstellungarten
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| kommen diese Persönlichkeiten zu innerem,
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| selbständigem Erfassen der «Seele», zum Unterscheiden
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| derselben von der äußeren «Natur». Was an diesen beiden
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| Persönlichkeiten anschaulich ist, das Sich-Herausringen
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| der Seele aus den alten Bildvorstellungen, das spielt sich
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| mehr im Seelen-Untergrunde ab bei den anderen Denkern,
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| mit denen gewöhnlich der Anfang gemacht wird in
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| der Schilderung der griechischen Weltanschauungsentwikkelung.
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| Es werden zunächst gewöhnlich genannt [[Thales von Milet]] (624—546 v. Chr.), [[Anaximander]] (611—550
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| v. Chr.), [[Anaximenes]] (der zwischen 585 und 525 v. Chr.
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| seine Blütezeit hatte) und [[Heraklit]] (etwa 540—480 v. Chr.
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| zu Ephesus).|18|51}}
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| Die äußeren Naturprozesse wurden von diesen ersten Naturphilosophen noch so ähnlich empfunden wie die inneren Seelenvorgänge. Sie fühlten noch - halbunbewusst - den Zusammenhang der [[Vier-Elemente-Lehre|Elemente]] [[Feuer]], [[Wasser]], [[Luft]] und [[Erde (Element)|Erde]] mit dem innerlich erlebtem [[Temperament]].
| | {{Zitat|''Da Platon mit seiner Definition, der Mensch sei ein zweifüßiges, federloses Lebewesen, Beifall fand, rupfte Diogenes einen Hahn, trug ihn in den Unterricht und rief: „Hier ist Platons Mensch.“ Deshalb fügte man der Definition „breitnägelig“ hinzu.''|Diogenes Laertios<ref>Diogenes Laertios, ''Über Leben und Lehren berühmter Philosophen'' 6,40.</ref>}} |
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| {{GZ|Man wird sich zum Beispiel
| | == Siehe auch == |
| das Vorstellen des Thales ganz sicher irrtümlich zurechtlegen,
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| wenn man denkt, daß er als Kaufmann, Mathematiker,
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| Astronom über Naturvorgänge nachgedacht
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| habe und dann in unvollkommener Art, aber doch so wie
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| ein moderner Forscher seine Erkenntnisse in den Satz zusammengefaßt
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| habe: «Alles stammt aus dem Wasser».
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| Mathematiker, Astronom usw. sein, bedeutete in jener
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| alten Zeit ''praktisch'' mit den entsprechenden Dingen zu tun
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| zu haben, ganz nach Art des Handwerkers, der sich auf
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| Kunstgriffe stützt, nicht auf ein gedanklich-wissenschaftliches
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| Erkennen.
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| Dagegen muß für einen Mann wie ''[[Thales]]'' vorausgesetzt
| | * {{WikipediaDE|Dihairesis}} |
| werden, daß er die äußeren Naturprozesse noch ähnlich
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| erlebte wie die inneren Seelenprozesse. Was sich ihm in den
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| Vorgängen mit und an dem Wasser - dem flüssigen,
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| schlammartigen, erdig-bildsamen -, als Naturvorgänge
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| darstellte, das war ihm gleich dem, was er seelisch-leiblich
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| innerlich erlebte. In minderem Grade als die Menschen der
| |
| Vorzeit erlebte er - aber doch erlebte er so - die Wasserwirkung
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| in sich und in der Natur, und beide waren ihm
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| eine Kraftäußerung. Man darf darauf hinweisen, daß noch
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| eine spätere Zeit die äußeren Naturwirkungen in ihrer
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| Verwandtschaft mit den innerlichen Vorgängen dachte, so
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| daß von einer «Seele» im gegenwärtigen Sinne, die abgesondert
| |
| vom Leibe vorhanden ist, nicht die Rede war. In
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| der Ansicht von den Temperamenten ist dieser Gesichtspunkt
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| noch in einem Nachklange festgehalten in die Zeiten
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| der gedanklichen Weltanschauung hinein. Man nannte
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| das melancholische Temperament das erdige, das phlegmatische
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| das wässerige, das sanguinische luftartig, das cholerische
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| feurig. Das sind nicht bloße Allegorien. Man empfand
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| nicht ein völlig abgetrenntes Seelisches; man erlebte
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| in sich ein Seelisch-Leibliches als Einheit, und in dieser
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| Einheit den Strom der Kräfte, welche zum Beispiel durch
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| eine phlegmatische Seele gehen, wie dieselben Kräfte
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| außen in der Natur durch die Wasserwirkungen gehen.
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| Und diese äußeren Wasserwirkungen schaute man als dasselbe,
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| was man in der Seele erlebte, wenn man phlegmatisch
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| gestimmt war. Die gegenwärtigen Denkgewohnheiten
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| müssen den alten Vorstellungsarten sich anpassen, wenn
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| sie in das Seelenleben früherer Zeiten eindringen wollen.
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| Und so wird man in der Weltanschauung des Thales
| | == Anmerkungen == |
| den Ausdruck finden dessen, was ihn sein dem phlegmatischen
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| Temperament verwandtes Seelenleben innerlich erleben
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| läßt. Er erlebte das, was ihm als das Weltgeheimnis
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| vom Wasser erschien, in sich. Man verbindet mit dem Hinweis
| |
| auf das phlegmatische Temperament eines Menschen
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| eine schlimme Nebenbedeutung. So gerechtfertigt dies in
| |
| vielen Fällen ist, so wahr ist auch, daß das phlegmatische
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| Temperament, wenn es mit Energie des Vorstellen« zusammen
| |
| auftritt, durch seine Gelassenheit, Affektfreiheit,
| |
| Leidenschaftlosigkeit den Menschen zum Weisen macht.
| |
| Eine solche Sinnesart bei Thaies hat wohl bewirkt, daß er
| |
| von den Griechen als einer ihrer Weisen gefeiert worden
| |
| ist.
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| In anderer Art formte sich das Weltbild für ''[[Anaximenes]]'',
| | <references /> |
| der die Stimmung des Sanguinischen in sich erlebte.
| |
| Von ihm ist ein Ausspruch überliefert, der unmittelbar
| |
| zeigt, wie er das innere Erleben mit dem Luftelement als
| |
| Ausdruck des Weltgeheimnisses empfand: «Wie unsere
| |
| Seele, die ein Hauch ist, uns zusammenhält, so umfangen
| |
| Luft und Hauch das All.»
| |
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| ''[[Heraklit]]s'' Weltanschauung wird eine unbefangene Betrachtung
| | [[Kategorie:Philosophie]] [[Kategorie:Logik]] |
| ganz unmittelbar als Ausdruck seines cholerischen
| |
| Innenlebens empfinden müssen. Ein Blick auf sein
| |
| Leben wird gerade bei diesem Denker manches Licht bringen [...]
| |
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| Ein inneres Erleben, das sich in solcher
| |
| Cholerik ausspricht, findet sich verwandt dem verzehrenden
| |
| Wirken des Feuers; es lebt nicht im bequemen ruhigen
| |
| Sein; es fühlt sich eins mit dem «ewigen Werden». Stillstand
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| erlebt solche Seelenart als Widersinn; «Alles fließt»
| |
| ist daher der berühmte Satz des Heraklit. Es ist nur scheinbar,
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| wenn irgendwo ein beharrendes Sein auftritt; man
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| wird eine Heraklitische Empfindung wiedergeben, wenn
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| man das Folgende sagt: Der Stein scheint ein abgeschlossenes,
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| beharrendes Sein darzustellen; doch dies ist nur
| |
| scheinbar: er ist im Innern wild bewegt, alle seine Teile
| |
| wirken aufeinander. Es wird die Denkweise des Heraklit
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| gewöhnlich mit dem Satze charakterisiert: man könne
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| nicht zweimal in denselben Strom steigen; denn das zweitemal
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| ist das Wasser ein anderes. Und ein Schüler Heraklits,
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| ''[[Kratylus]]'', steigerte den Ausspruch, indem er sagte:
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| auch einmal könne man nicht in denselben Strom steigen.
| |
| So ist es mit allen Dingen; während wir auf das scheinbar
| |
| Beharrende hinblicken, ist es im allgemeinen Strome des
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| Daseins schon ein anderes geworden.|18|52ff}}
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| {{GGZ|Freier von dem Innenleben, mehr dem Elemente des Gedankens
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| selbst hingegeben, erscheint ''[[Anaximander]]''. Er
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| sieht den Ursprung der Dinge in einer Art Weltenäther,
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| einem unbestimmten, gestaltlosen Urwesen, das keine
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| Grenzen hat. Man nehme den Zeus des Pherekydes, entkleide
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| ihn alles dessen, was ihm noch von Bildhaftigkeit
| |
| eigen ist, und man hat das Urwesen des Anaximander: den
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| zum Gedanken gewordenen Zeus. In Anaximander tritt
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| eine Persönlichkeit auf, in welcher aus der Seelenstimmung
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| heraus, die in den vorgenannten Denkern noch ihre Temperamentsschattierung
| |
| hat, das Gedankenleben geboren
| |
| wird. Eine solche Persönlichkeit fühlt sich als Seele mit
| |
| dem Gedankenleben vereint und dadurch nicht mit der
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| Natur so verwachsen wie die Seele, welche den Gedanken
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| noch nicht als selbständig erlebt. Sie fühlt sich mit einer
| |
| Weltenordnung verbunden, welche ''über'' den Naturvorgängen
| |
| liegt. Wenn Anaximander davon spricht, daß die
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| Menschen als Fische zuerst im Feuchten gelebt haben und
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| dann sich durch Landtierformen hindurchentwickelt haben,
| |
| so bedeutet das für ihn, daß der Geistkeim, als welchen
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| sich der Mensch durch den Gedanken erkennt, nur
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| wie durch Vorstufen durch die anderen Formen hindurchgegangen
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| ist, um sich zuletzt die Gestalt zu geben, welche
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| ihm von vornherein angemessen ist.|18|56}}
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| ==Literatur==
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| # Rudolf Steiner: ''Die Rätsel der Philosophie in ihrer Geschichte als Umriß dargestellt'', [[GA 18]] (1985), ISBN 3-7274-0180-X {{Schriften|018}}
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| # Joachim Stiller: [http://joachimstiller.de/download/philosophie_grundriss2_naturphilosophie.pdf Naturphilosophie] PDF
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| {{GA}}
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| [[Kategorie:Philosophie]] [[Kategorie:Naturphilosophie]] | |