imported>Joachim Stiller |
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| Eine '''normative Wissenschaft''' strebt danach, klare Normen für bestimmte Lebensbereiche vorzugeben, namentlich im Bereich der [[Ethik]] und des [[Soziales Leben|sozialen Lebens]], des [[Recht]]s, der [[Politik]], der [[Pädagogik]], der [[Ökonomie]] usw. Sie beschäftigt sich ihrem [[Grundprinzip]] nach nicht mit dem ''was ist'', hat also in diesem Sinn keinen [[Empirie|empirischen]] Charakter, sonden deklariert ''was sein soll''. Dabei stellt sich allerdings die Frage, ob eine so verstandene '''Normwissenschaft''' überhaupt möglich ist. [[Rudolf Steiner]] hat in seiner «[[Philosophie der Freiheit]]» sehr deutlich dargestellt, dass das für den Bereich der [[Ethik]] nicht der Fall ist. Ethisches Handeln kann letztlich nur aus einem [[moral]]ischen [[Idee]]nvermögen entspringen, das durch [[moralische Phantasie]] konkretisiert und durch eine entsprechende [[moralische Technik]] verwirklicht werden. Was in der Vergangenheit einzelne Menschheitsführer an moralischen Ideen aus der [[Ideenwelt]] geschöpft haben, legten sie dann als Norm dem [[Soziales Leben|sozialen Leben]] zugrunde. Je mehr der [[Mensch]] die [[Freiheit]] entwickeln wird, indem er die wahren Gründe seines [[Handeln]]s erkennen und gegeneinander abwägen kann und durch [[moralische Intuition]] Gewissheit darüber erlangt, was er als dieses besondere, einzigartige [[Individuum]], das er ist, in einer konkret gegebenen Situation tun kann, umso weniger wird er einer vorgegebenen ethischen Norm bedürfen, sondern einen mit den Anforderungen des Weltgeschehens im Einklang stehenden [[Ethischer Individualismus|ethischen Individualismus]] entwickeln können.
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| {{GZ|Der ''freie Geist'' handelt nach seinen Impulsen, das sind Intuitionen,
| | [[Kategorie:Sozialdemokratische Partei Deutschlands|!]] |
| die aus dem Ganzen seiner Ideenwelt durch das
| | [[Kategorie:Sozialdemokratische Partei]] |
| Denken ausgewählt sind. Für den ''unfreien Geist'' liegt der
| | [[Kategorie:Partei (Deutschland)]] |
| Grund, warum er aus seiner Ideenwelt eine bestimmte Intuition
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| aussondert, um sie einer Handlung zugrunde zu
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| legen, in der ihm gegebenen Wahrnehmungswelt, das heißt
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| in seinen bisherigen Erlebnissen. Er erinnert sich, bevor er
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| zu einem Entschluß kommt, daran, was jemand in einem
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| dem seinigen analogen Falle getan oder zu tun für gut geheißen
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| hat, oder was Gott für diesen Fall befohlen hat und
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| so weiter, und danach handelt er. Dem freien Geist sind
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| diese Vorbedingungen nicht einzige Antriebe des Handelns.
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| Er faßt einen schlechthin ''ersten'' Entschluß. Es kümmert ihn
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| dabei ebensowenig, was andere in diesem Falle getan, noch
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| was sie dafür befohlen haben. Er hat rein ideelle Gründe,
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| die ihn bewegen, aus der Summe seiner Begriffe gerade einen
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| bestimmten herauszuheben und ihn in Handlung umzusetzen.
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| Seine Handlung wird aber der wahrnehmbaren Wirklichkeit
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| angehören. Was er vollbringt, wird also mit einem
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| ganz bestimmten Wahrnehmungsinhalte identisch sein. Der
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| Begriff wird sich in einem konkreten Einzelgeschehnis zu
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| verwirklichen haben. Er wird als Begriff diesen Einzelfall
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| nicht enthalten können. Er wird sich darauf nur in der Art
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| beziehen können, wie überhaupt ein Begriff sich auf eine
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| Wahrnehmung bezieht, zum Beispiel wie der Begriff des
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| Löwen auf einen einzelnen Löwen. Das Mittelglied zwischen Begriff und Wahrnehmung ist die ''[[Vorstellung]]'' (vgl.
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| S. 106 ff.) Dem unfreien Geist ist dieses Mittelglied von
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| vornherein gegeben. Die Motive sind von vornherein als
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| Vorstellungen in seinem Bewußtsein vorhanden. Wenn er
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| etwas ausführen will, so macht er das so, wie er es gesehen
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| hat, oder wie es ihm für den einzelnen Fall befohlen wird.
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| Die Autorität wirkt daher am besten durch ''Beispiele'', das
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| heißt durch Überlieferung ganz bestimmter Einzelhandlungen
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| an das Bewußtsein des unfreien Geistes. Der Christ
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| handelt weniger nach den Lehren als nach dem ''Vorbilde'' des
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| Erlösers. Regeln haben für das positive Handeln weniger
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| Wert als für das Unterlassen bestimmter Handlungen. Gesetze
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| treten nur dann in die allgemeine Begriffsform, wenn
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| sie Handlungen verbieten, nicht aber wenn sie sie zu tun
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| gebieten. Gesetze über das, was er tun soll, müssen dem unfreien
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| Geiste in ganz konkreter Form gegeben werden: Reinige
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| die Straße vor deinem Haustore! Zahle deine Steuern
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| in dieser bestimmten Höhe bei dem Steueramte X! und so
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| weiter. Begriffsform haben die Gesetze zur Verhinderung
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| von Handlungen: Du sollst ''nicht'' stehlen! Du sollst ''nicht''
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| ehebrechen! Diese Gesetze wirken auf den unfreien Geist
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| aber auch nur durch den Hinweis auf eine konkrete Vorstellung,
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| zum Beispiel die der entsprechenden zeitlichen
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| Strafen, oder der Gewissensqual, oder der ewigen Verdammnis,
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| und so weiter.
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| Sobald der Antrieb zu einer Handlung in der allgemeinbegrifflichen
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| Form vorhanden ist (zum Beispiel: du sollst
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| deinen Mitmenschen Gutes tun! du sollst so leben, daß du
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| dein Wohlsein am besten beförderst!), dann muß in jedem
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| einzelnen Fall die konkrete Vorstellung des Handelns (die
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| Beziehung des Begriffes auf einen Wahrnehmungsinhalt)
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| erst gefunden werden. Bei dem ''freien Geiste'', den kein
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| Vorbild und keine Furcht vor Strafe usw. treibt, ist
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| diese Umsetzung des Begriffes in die Vorstellung immer
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| notwendig.
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| Konkrete Vorstellungen aus der Summe seiner Ideen
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| heraus produziert der Mensch zunächst durch die Phantasie.
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| Was der freie Geist nötig hat, um seine Ideen zu verwirklichen,
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| um sich durchzusetzen, ist also die ''moralische Phantasie''.
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| Sie ist die Quelle für das Handeln des freien Geistes.
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| Deshalb sind auch nur Menschen mit moralischer Phantasie
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| eigentlich sittlich produktiv. Die bloßen Moralprediger, das
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| ist: die Leute, die sittliche Regeln ausspinnen, ohne sie zu
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| konkreten Vorstellungen verdichten zu können, sind moralisch
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| unproduktiv. Sie gleichen den Kritikern, die verständig
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| auseinanderzusetzen wissen, wie ein Kunstwerk beschaffen
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| sein soll, selbst aber auch nicht das geringste zustande bringen
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| können.
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| Die moralische Phantasie muß, um ihre Vorstellung zu
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| verwirklichen, in ein bestimmtes Gebiet von Wahrnehmungen
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| eingreifen. Die Handlung des Menschen schafft keine
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| Wahrnehmungen, sondern prägt die Wahrnehmungen, die
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| bereits vorhanden sind, um, erteilt ihnen eine neue Gestalt.
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| Um ein bestimmtes Wahrnehmungsobjekt oder eine Summe
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| von solchen, einer moralischen Vorstellung gemäß, umbilden
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| zu können, muß man den gesetzmäßigen Inhalt (die
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| bisherige Wirkungsweise, die man neu gestalten oder der
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| man eine neue Richtung geben will) dieses Wahrnehmungsbildes
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| begriffen haben. Man muß ferner den Modus finden,
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| nach dem sich diese Gesetzmäßigkeit in eine neue verwandeln
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| läßt. Dieser Teil der moralischen Wirksamkeit beruht
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| auf Kenntnis der Erscheinungswelt, mit der man es zu tun
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| hat. Er ist also zu suchen in einem Zweige der wissenschaftlichen
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| Erkenntnis überhaupt. Das moralische Handeln setzt
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| also voraus neben dem moralischen Ideen vermögen<ref>Nur Oberflächlichkeit könnte im Gebrauch des Wortes Vermögen
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| an dieser und andern Stellen dieser Schrift einen Rückfall in die Lehre
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| der alten Psychologie von den Seelenvermögen erblicken. Der Zusammenhang
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| mit dem S. 95 f. Gesagten ergibt genau die Bedeutung des
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| Wortes.</ref> und der
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| moralischen Phantasie die Fähigkeit, die Welt der Wahrnehmungen
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| umzuformen, ohne ihren naturgesetzlichen Zusammenhang
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| zu durchbrechen. Diese Fähigkeit ist ''moralische Technik''. Sie ist in dem Sinne lernbar, wie Wissenschaft überhaupt
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| lernbar ist. Im allgemeinen sind Menschen nämlich
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| geeigneter, die Begriffe für die schon fertige Welt zu finden,
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| als produktiv aus der Phantasie die noch nicht vorhandenen
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| zukünftigen Handlungen zu bestimmen. Deshalb ist es sehr
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| wohl möglich, daß Menschen ohne moralische Phantasie die
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| moralischen Vorstellungen von andern empfangen und diese
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| geschickt der Wirklichkeit einprägen. Auch der umgekehrte
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| Fall kann vorkommen, daß Menschen mit moralischer
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| Phantasie ohne die technische Geschicklichkeit sind und sich
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| dann anderer Menschen zur Verwirklichung ihrer Vorstellungen
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| bedienen müssen.
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| Insofern zum moralischen Handeln die Kenntnis der Objekte
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| unseres Handelnsgebietes notwendig ist, beruht unser
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| Handeln auf dieser Kenntnis. Was hier in Betracht kommt,
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| sind ''[[Naturgesetz]]e''. Wir haben es mit Naturwissenschaft zu
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| tun, nicht mit Ethik.
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| Die moralische Phantasie und das moralische Ideenvermögen
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| können erst Gegenstand des Wissens werden, ''nachdem''
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| sie vom Individuum produziert sind. Dann aber regeln
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| sie nicht mehr das Leben, sondern haben es bereits geregelt.
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| Sie sind als wirkende Ursachen wie alle andern aufzufassen
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| (Zwecke sind sie bloß für das Subjekt). Wir beschäftigen
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| uns mit ihnen als mit einer ''Naturlehre der moralischen Vorstellungen''.
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| '''Eine Ethik als Normwissenschaft kann es daneben nicht geben'''.
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| Man hat den normativen Charakter der moralischen Gesetze
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| wenigstens insofern halten wollen, daß man die Ethik
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| im Sinne der Diätetik auffaßte, welche aus den Lebensbedingungen
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| des Organismus allgemeine Regeln ableitet,
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| um auf Grund derselben dann den Körper im besonderen
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| zu beeinflussen (Paulsen, System der Ethik). Dieser Vergleich
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| ist falsch, weil unser moralisches Leben sich nicht mit
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| dem Leben des Organismus vergleichen läßt. Die Wirksamkeit
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| des Organismus ist ohne unser Zutun da; wir finden
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| dessen Gesetze in der Welt fertig vor, können sie also suchen,
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| und dann die gefundenen anwenden. Die moralischen Gesetze
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| werden aber von uns erst ''geschaffen''. Wir können sie
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| nicht anwenden, bevor sie geschaffen sind. Der Irrtum entsteht
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| dadurch, daß die moralischen Gesetze nicht in jedem
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| Momente inhaltlich neu geschaffen werden, sondern sich
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| forterben. Die von den Vorfahren übernommenen erscheinen
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| dann gegeben wie die Naturgesetze des Organismus. Sie
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| werden aber durchaus nicht mit demselben Rechte von einer
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| späteren Generation wie diätetische Regeln angewendet.
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| Denn sie gehen auf das Individuum und nicht wie das
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| Naturgesetz auf das Exemplar einer Gattung. Als Organismus
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| bin ich ein solches Gattungsexemplar, und ich werde
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| naturgemäß leben, wenn ich die Naturgesetze der Gattung
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| in meinem besonderen Falle anwende; als sittliches
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| Wesen bin ich Individuum und habe meine ganz eigenen
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| Gesetze<ref>Wenn Paulsen (S. 15 des angeführten Buches) sagt: «Verschiedene
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| Naturanlagen und Lebensbedingungen erfordern wie eine verschiedene
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| leibliche so auch eine verschiedene geistig-moralische Diät», so ist er
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| der richtigen Erkenntnis ganz nahe, trifft aber den entscheidenden
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| Punkt doch nicht. Insofern ich Individuum bin, brauche ich keine Diät.
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| Diätetik heißt die Kunst, das besondere Exemplar mit den allgemeinen
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| Gesetzen der Gattung in Einklang zu bringen. Als Individuum bin ich
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| aber kein Exemplar der Gattung.</ref>.|4|191ff}}
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| == Literatur ==
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| # Rudolf Steiner: ''Die Philosophie der Freiheit'', [[GA 4]] (1995), ISBN 3-7274-0040-4 {{Schriften|004}}
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| # Rudolf Steiner: Schriften. Kritische Ausgabe / Band 2: Philosophische Schriften: Wahrheit und Wissenschaft. Die Philosophie der Freiheit, frommann-holzboog, Stuttgart-Bad Cannstatt 2016, ISBN 978-3772826320
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| # Rudolf Steiner: ''Die Philosophie der Freiheit'', Mit beiden Ausgaben (1894 u. 1918) im Vergleich, Rudolf Steiner Ausgaben, 3. Aufl. 2015, ISBN 978-3-86772-072-4
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| == Einzelnachweise ==
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| <references />
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| [[Kategorie:Ethik]] | |