Höhlengleichnis und Alfred Jules Ayer: Unterschied zwischen den Seiten

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Das '''Höhlengleichnis''' ist wohl das berühmteste [[Gleichnis]] [[Platon]]s und durch seine dichterische Kraft und Ausdrucksform das berühmteste Lehrstück der Philosophie und der Lehre der Philosophie.
[[Datei:Alfred Jules Ayer.png|mini|Alfred Jules Ayer]]
Es steht am Beginn des siebten Buches der [[Politeia]], die um [[380 v. Chr.]] entstanden ist.
'''Alfred Jules Ayer''' (* [[Wikipedia:29. Oktober|29. Oktober]] [[Wikipedia:1910|1910]] in [[Wikipedia:London|London]]; † [[Wikipedia:27. Juni|27. Juni]] [[Wikipedia:1989|1989]] in London) war ein [[Vereinigtes Königreich|britischer]] [[Philosoph]]. Er trug wesentlich zur Popularisierung des [[Logischer Positivismus|Logischen Empirismus]] in englischsprachigen Ländern vor allem durch seine Hauptschriften ''Language, Truth and Logic'' (1936; [[Wikipedia:Sprache, Wahrheit und Logik|Sprache, Wahrheit und Logik]]) und ''The Problem of Knowledge'' (1956; Das Problem der Erkenntnis) bei.
Platons Lehrer [[Sokrates]] verdeutlicht darin gegenüber dem Dialogpartner [[Wikipedia:Glaukon|Glaukon]] den Bildungsweg des Philosophen, der gemäß dem Dialog als einziger den Staat führen könne. Eingebettet ist dieses Gleichnis in die Frage Glaukons nach dem Wesen des Guten und den beiden vorhergehenden Gleichnissen, dem [[Sonnengleichnis]] und dem [[Liniengleichnis]], die beide das Höhlengleichnis vorbereiten.


== Inhalt des  Gleichnisses ==
== Leben ==
[[Datei:Platon Cave Sanraedam 1604.jpg|mini|hochkant=2.5|[[w:Jan Saenredam|Jan Saenredam]]: ''Antrum Platonicum'' („Die platonische Höhle“), Kupferstich (1604) nach dem nicht erhaltenen Ölgemälde von [[w:Cornelis van Haarlem|Cornelis van Haarlem]] (1598).]]
Ayers Vater, Jules Ayer, stammte aus [[Neuenburg NE|Neuchâtel]] und war in London für das [[N M Rothschild & Sons|Bankhaus Rothschild]] sowie als Privatsekretär für [[Alfred Rothschild]] tätig. Seine Mutter, Reine Citroën, eine Nichte [[André Citroën]]s, des Begründers des gleichnamigen Autoherstellers, stammte aus einer jüdischen Familie in Holland.


Sokrates beschreibt eine unterirdische, höhlenartige Behausung, von der aus ein rauer und steiler Gang nach oben zur Erdoberfläche führt. Der Gang ist ein Schacht, der in Höhe und Breite der Höhle entspricht.<ref>Rudolf Rufener (Übersetzer): ''Platon: Der Staat'', Zürich 1950, S. 545 (Anm. 2 zu S. 353).</ref> In der Höhle leben Menschen, die dort ihr ganzes Leben als Gefangene verbracht haben. Sie sind sitzend an Schenkeln und Nacken so festgebunden, dass sie immer nur nach vorn auf die Höhlenwand blicken und ihre Köpfe nicht drehen können. Daher können sie den Ausgang, der sich hinter ihren Rücken befindet, nie erblicken und von seiner Existenz nichts wissen. Auch sich selbst und die anderen Gefangenen können sie nicht sehen; das Einzige, was sie je zu Gesicht bekommen, ist die Wand, der sie zugedreht sind. Erhellt wird ihre Behausung von einem Feuer, das hinter ihnen weit oben in der Ferne brennt. Die Gefangenen sehen nur dieses Licht, das die Wand beleuchtet, nicht aber dessen Quelle. Auf der Wand sehen sie Schatten.<ref>Platon, ''Politeia'' 514a–515b.</ref>
Alfred Jules Ayer besuchte das renommierte [[Eton College]] und studierte ab 1929  Philosophie und andere Fächer in [[Christ Church (Oxford)|Christ Church]], [[University of Oxford|Oxford]], wo er 1931 sein Examen ablegte. 1932 heiratete er Renee Lees und besuchte mit ihr während eines Freisemesters Wien, wo er Kontakt zum [[Wiener Kreis]] aufnahm. 1933 kehrte er an das Christ Church College in Oxford zurück, zunächst als Lecturer und ab 1935 als Research Fellow. Er hielt dort Vorlesungen über [[Ludwig Wittgenstein|Wittgenstein]] und [[Rudolf Carnap|Carnap]]. Bis 1935 arbeitete er an seinem ersten Hauptwerk ''Language Truth and Logic'', das 1936 erschien. Er verband darin die bis dahin in England weithin unbekannten Gedanken des kontinentalen Neoempirismus mit denen des herkömmlichen englischen Empirismus ([[David Hume]] und [[George Berkeley]])  zu einem eigenständigen empiristischen Konzept.


Zwischen dem Inneren des Gefängnisses und dem Feuer befindet sich eine kleine Mauer, die nicht so hoch ist, dass sie das Licht des Feuers abschirmt. Längs der Mauer tragen Menschen unterschiedliche Gegenstände hin und her, Nachbildungen menschlicher Gestalten und anderer Lebewesen aus Stein und aus Holz.<ref>Siehe zu diesen Gegenständen Karl Bormann: ''Zu Platon, Politeia 514 b 8 – 515 a 3''. In: ''Archiv für Geschichte der Philosophie'' 43, 1961, S. 1–14, hier: 1–4.</ref> Diese Gegenstände ragen über die Mauer hinaus, ihre Träger aber nicht. Manche Träger unterhalten sich miteinander, andere schweigen.<ref>Platon, ''Politeia'' 514b–515a.</ref>
Im [[Zweiter Weltkrieg|Zweiten Weltkrieg]] leistete Ayer seinen Dienst als Soldat für die britische Armee  bei den [[Welsh Guards]] und beim [[Special Operations Executive]], wo er aufgrund guter Deutschkenntnisse Kriegsgefangene verhörte.
Während dieser Zeit veröffentlichte er 1940 seine zweite wichtige Schrift, ''The Foundations of Empirical Knowledge'', das seine Auseinandersetzungen mit den Theorien Rudolf Carnaps widerspiegelt.


Da die bewegten Gegenstände auf die Höhlenwand, der die Gefangenen zugewendet sind, Schatten werfen, können die Höhlenbewohner die bewegten Formen schattenhaft wahrnehmen. Von den Trägern ahnen sie aber nichts. Wenn jemand spricht, hallt das Echo von der Höhlenwand so zurück, als ob die Schatten sprächen. Daher meinen die Gefangenen, die Schatten könnten sprechen. Sie betrachten die Schatten als Lebewesen und deuten alles, was geschieht, als deren Handlungen. Das, was sich auf der Wand abspielt, ist für sie die gesamte Wirklichkeit und schlechthin wahr. Sie entwickeln eine Wissenschaft von den Schatten und versuchen in deren Auftreten und Bewegungen Gesetzmäßigkeiten festzustellen und daraus Prognosen abzuleiten. Lob und Ehre spenden sie dem, der die besten Voraussagen macht.<ref>Platon, ''Politeia'' 515a–c, 516c–e.</ref>
1944–46 war er zunächst Fellow am [[Wadham College]] in Oxford, 1945–46 dort auch Dekan, und erhielt 1946 die Grote Professur für [[Philosophie des Geistes]] und [[Logik]] am [[University College London]]. Im Jahr 1952 wurde er Mitglied der [[British Academy]]. Als Hauptarbeit dieser Zeit veröffentlichte er 1956 ''The Problem of Knowledge'', das vor allem der Philosophie des Geistes gewidmet ist.


Nun bittet Sokrates Glaukon sich vorzustellen, was geschähe, wenn einer der Gefangenen losgebunden und genötigt würde, aufzustehen, sich umzudrehen, zum Ausgang zu schauen und sich den Gegenständen selbst, deren Schatten er bisher beobachtet hat, zuzuwenden. Diese Person wäre schmerzhaft vom Licht geblendet und verwirrt. Sie hielte die nun in ihr Blickfeld gekommenen Dinge für weniger real als die ihr vertrauten Schatten. Daher hätte sie das Bedürfnis, wieder ihre gewohnte Position einzunehmen, denn sie wäre überzeugt, nur an der Höhlenwand sei die Wirklichkeit zu finden. Gegenteiligen Belehrungen eines wohlgesinnten Befreiers würde sie keinen Glauben schenken.<ref>Platon, ''Politeia'' 515c–e.</ref>
1959 folgte Ayer einem Ruf zurück nach Oxford auf die Wykeham-Professur für Logik. 1960 heiratete er Alberta Chapman. 1963 wurde er in die [[American Academy of Arts and Sciences]] gewählt. Seit 1965 war er Präsident der British Humanist Association und wandte sich zunehmend Themen der praktischen Philosophie zu.


Wenn man den Befreiten nun mit Gewalt aus der Höhle schleppte und durch den unwegsamen und steilen Aufgang an die Oberfläche brächte, würde er sich dagegen sträuben und wäre noch verwirrter, denn er wäre vom Glanz des Sonnenlichts geblendet und könnte daher zunächst gar nichts sehen. Langsam müsste er sich an den Anblick des Neuen gewöhnen, wobei er erst Schatten, dann Spiegelbilder im Wasser und schließlich die Menschen und Dinge selbst erkennen könnte. Nach oben blickend würde er sich erst mit dem Nachthimmel vertraut machen wollen, später mit dem Tageslicht, und zuletzt würde er es wagen, die Sonne unmittelbar anzusehen und ihre Beschaffenheit wahrzunehmen. Dann könnte er auch begreifen, dass es die Sonne ist, deren Licht Schatten erzeugt. Nach diesen Erlebnissen und Einsichten hätte er keinerlei Bedürfnis mehr, in die Höhle zurückzukehren, sich mit der dortigen Schattenwissenschaft zu befassen und dafür von den Gefangenen belobigt zu werden.<ref>Platon, ''Politeia'' 515e–516e.</ref>
1970 wurde Ayer für seine Verdienste geadelt. In verschiedener Hinsicht war er als Philosoph Nachfolger von [[Bertrand Russell]]. Über mehrere Phasen lehrte und las er in den Vereinigten Staaten, u.&nbsp;a. im Herbst 1987 als Gastprofessor mit den Themen ''Moore und Russell'' sowie ''Ryle und Austin'' am Bard College.


Sollte er dennoch an seinen alten Platz zurückkehren, so müsste er sich erst wieder langsam an die Finsternis der Höhle gewöhnen. Daher würde er einige Zeit bei der dort üblichen Begutachtung der Schatten schlecht abschneiden. Daraus würden die Höhlenbewohner folgern, er habe sich oben die Augen verdorben. Sie würden ihn auslachen und meinen, es könne sich offenbar nicht lohnen, die Höhle auch nur versuchsweise zu verlassen. Wenn jemand versuchte, sie zu befreien und nach oben zu führen, würden sie ihn umbringen, wenn sie könnten.<ref>Platon, ''Politeia'' 516e–517a.</ref>
In seiner Freizeit spielte Ayer [[Wikipedia:Cricket|Cricket]] und engagierte sich für die [[Labour Party]]. Er trat öffentlich für einen [[Humanismus]] und die Rechte [[Homosexualität|Homosexueller]] ein und bekannte sich zum [[Atheismus]]. Mit Erreichen der Altersgrenze trat er 1978 in den Ruhestand, blieb der Universität aber als Mitglied des Wolfson College noch weiter verbunden. 1981 wurde Ayer von seiner zweiten Frau, mit der er einen Sohn hatte, geschieden und er heiratete Vanessa Lawson, die jedoch bereits 1985 starb. Kurz vor seinem Tod heiratete er seine zweite Frau erneut. Außerdem errang er in dieser Zeit durch eine ungewöhnliche „[[Wikipedia:Nahtodeserfahrung|Nahtoderfahrung]]“ weitere Berühmtheit.


== Text ==
Ayer war neben seiner akademischen Tätigkeit auch öffentlich wirksam. Bekannt sind seine Fernsehdiskussionen (u.&nbsp;a. mit Bertrand Russell) und die Teilnahme an Quiz-Sendungen. Mit Russell zusammen agitierte er auch gegen die Atomwaffen.


{{Zitat|Stelle dir nämlich Menschen vor in
Ayer erhielt den [[Ehrendoktor]] der Universitäten Brüssel (1962), [[University of East Anglia|East Anglia]] (1972), London (1978), Trent und Ontario (1980), Bard College (1985) sowie Durham (1988).
einer höhlenartigen Wohnung unter der Erde, die
einen nach dem Lichte zu geöffneten und längs der
ganzen Höhle hingehenden Eingang habe, Menschen,
die von Jugend auf an Schenkeln und Hälsen in Fesseln
eingeschmiedet sind, so daß sie dort unbeweglich
sitzenbleiben und nur vorwärts schauen, aber links
und rechts die Köpfe wegen der Fesselung nicht umzudrehen
vermögen; das Licht für sie scheine von
oben und von der Ferne von einem Feuer hinter ihnen;
zwischen dem Feuer und den Gefesselten sei oben ein
Querweg; längs diesem denke dir eine kleine Mauer
erbaut, wie sie die Gaukler vor dem Publikum haben,
über die sie ihre Wunder zeigen.


Ich stelle mir das vor, sagte er.
== Philosophie ==
Ayer, der besonders von [[Gilbert Ryle]] und [[Bertrand Russell]] beeinflusst war, gilt als Vertreter der [[Analytische Philosophie|analytischen Philosophie]] und herausragende Persönlichkeit des logischen Empirismus in Großbritannien. Er vertrat in ''„Language, Truth and Logic“'' ([[Sprache, Wahrheit und Logik]]) ähnlich wie Carnap die Auffassung, dass Sätze der [[Metaphysik]], der [[Theologie]], aber auch der [[Ethik]] als Wertaussagen sinn- und gehaltlos seien, weil sie sich empirisch nicht überprüfen ließen ([[Nonkognitivismus]]). Solche Sätze seien Ausdruck von Gefühlen und hätten den Charakter von Befehlen. Ebenfalls in Anlehnung an den Wiener Kreis vertrat er das Prinzip der [[Verifikation]] für solche Aussagen, die sich empirisch überprüfen lassen. In seiner weiteren Entwicklung folgte Ayer einem [[Linguistischer Phänomenalismus|linguistischen Phänomenalismus]] und beschäftigte sich erkenntnistheoretisch intensiv mit dem Sprachgebrauch und der Regelung von [[Bedeutung (Sprachphilosophie)|Bedeutungen]]. In einem Interview mit Bryan Magee aus dem Jahr 1976 bekräftigte er, dass seine früher vertretenen Positionen zum logischen Empirismus beinahe alle falsch gewesen seien.<ref>{{Internetquelle |autor=flame0430 |url=https://www.youtube.com/watch?v=4cnRJGs08hE&feature=youtu.be&t=6m27s |titel=Ayer on Logical Positivism: Section 4 |datum=2008-03-17 |zugriff=2018-02-06}}</ref>


So stelle dir nun weiter vor, längs dieser Mauer trügen
== Werke ==
Leute allerhand über diese hinausragende Gerätschaften,
* ''Language Truth and Logic.'' Gollancz, London 1936; 2. Auflage 1946
auch Menschenstatuen und Bilder von anderen
** ''[[Wikipedia:Sprache, Wahrheit und Logik|Sprache, Wahrheit und Logik]].'' Reclam, Stuttgart 1970, ISBN 3-15-007919-5
lebenden Wesen aus Holz, Stein und allerlei sonstigem
* ''The Foundations of Empirical Knowledge.'' Macmillan, London 1940
Stoffe, während, wie natürlich, einige der Vorübertragenden
* ''Philosophical Essays.'' Macmillan, London 1954
ihre Stimme hören lassen, andere
* ''The Problem of Knowledge.'' Macmillan, London 1956
schweigen.
* ''The Concept of a Person and other Essays.'' Macmillan, London 1963
* ''The Origins of Pragmatism.'' Macmillan, London 1968
* ''Metaphysics and Common Sense.'' Macmillan, London 1969
* ''Russell and Moore: The Analytical Heritage.'' Macmillan, London 1971
* ''Probability and Evidence.'' Macmillan, London 1972
* ''Bertrand Russell.'' Fontana, London 1972
** ''Bertrand Russell.'' Deutscher Taschenbuch-Verlag, München 1973, ISBN 3-423-00935-7
* ''The Central Questions of Philosophy.'' Weidenfeld & Nicholson, London 1973
** ''Die Hauptfragen der Philosophie.'' Piper, München 1976, ISBN 3-492-00433-4
* ''Part of My Life.'' Collins, London 1977
* ''Hume.'' Oxford University Press, Oxford 1980
* ''Philosophy in the Twentieth Century.'' Weidenfeld & Nicholson, London 1982
* ''Freedom and Morality and Other Essays.'' Clarendon Press, Oxford 1984
* ''More of My Life.'' London: Collins, London 1984
* ''Ludwig Wittgenstein.'' Penguin, London 1986
* ''Voltaire.'' Weidenfeld & Nicholson, London 1986, ISBN 0-297-78880-9
** ''Voltaire. Eine intellektuelle Biographie.'' Athenäum, Frankfurt 1987, ISBN 3-610-09223-8; Beltz/Athenäum, Weinheim 1994, ISBN 3-89547-038-4


Ein wunderliches Gleichnis, sagte er, und wunderliche
== Siehe auch ==
Gefangene!
* {{WikipediaDE|Alfred Jules Ayer}}
 
Leibhaftige Ebenbilder von uns! sprach ich. Haben
wohl solche Gefangene von ihren eigenen Personen
und von einander etwas anderes zu sehen bekommen
als die Schatten, die von dem Feuer auf die ihrem Gesichte
gegenüberstehende Wand fallen?
 
Unmöglich, sagte er, wenn sie gezwungen wären,
ihr ganzes Leben lang unbeweglich die Köpfe zu halten.
Ferner, ist es nicht mit den vorübergetragenen Gegenständen
ebenso?
 
Allerdings.
 
Wenn sie nun mit einander reden könnten, würden
sie nicht an der Gewohnheit festhalten, den vorüberwandernden
Schattenbildern, die sie sahen, dieselben
Benennungen zu geben?
 
Notwendig.
 
Weiter: Wenn der Kerker auch einen Widerhall von
der gegenüberstehenden Wand darböte, sooft jemand
der Vorübergehenden sich hören ließe, - glaubst du
wohl, sie würden den Laut etwas anderem zuschreiben
als den vorüberschwebenden Schatten?
 
Nein, bei Zeus, sagte er, ich glaube es nicht.
 
Überhaupt also, fuhr ich fort, würden solche nichts
für wahr gelten lassen als die Schatten jener Gebilde?
 
Ja, ganz notwendig, sagte er.
 
Betrachte nun, fuhr ich fort, wie es bei ihrer Lösung
von ihren Banden und bei der Heilung von
ihrem Irrwahne hergehen würde, wenn solche ihnen
wirklich zuteil würde: Wenn einer entfesselt und genötigt
würde, plötzlich aufzustehen, den Hals umzudrehen,
herumzugehen, in das Licht zu sehen, und
wenn er bei allen diesen Handlungen Schmerzen empfände
und wegen des Glanzgeflimmers vor seinen
Augen nicht jene Dinge anschauen könnte, deren
Schatten er vorhin zu sehen pflegte: was würde er
wohl dazu sagen, wenn ihm jemand erklärte, daß er
vorhin nur ein unwirkliches Schattenspiel gesehen,
daß er jetzt aber dem wahren Sein schon näher sei und
sich zu schon wirklicheren Gegenständen gewandt
habe und daher nunmehr auch schon richtiger sehe?
Und wenn man ihm dann nun auf jeden der vorüberwandernden
wirklichen Gegenstände zeigen und ihn
durch Fragen zur Antwort nötigen wollte, was er sei, -
glaubst du nicht, daß er ganz in Verwirrung geraten
und die Meinung haben würde, die vorhin geschauten
Schattengestalten hätten mehr Realität als die, welche
er jetzt gezeigt bekomme?
 
Ja, bei weitem, antwortete er.
 
Und nicht wahr, wenn man ihn zwänge, in das
Licht selbst zu sehen, so würde er Schmerzen an den
Augen haben, davonlaufen und sich wieder jenen
Schattengegenständen zuwenden, die er ansehen kann,
und würde dabei bleiben, diese wären wirklich deutlicher
als die, welche er gezeigt bekam?
 
So wird's gehen, meinte er.
 
Wenn aber, fuhr ich fort, jemand ihn aus dieser
Höhle mit Gewalt den rauhen und stellen Aufgang
zöge und ihn nicht losließe, bis er ihn an das Licht
der Sonne herausgebracht hätte, - würde er da wohl
nicht Schmerzen empfunden haben, über dieses Hinaufziehen
aufgebracht werden und, nachdem er an das
Sonnenlicht gekommen, die Augen voll Blendung
haben und also gar nichts von den Dingen sehen können,
die jetzt als wirkliche ausgegeben werden?
Er würde es freilich nicht können, sagte er, wenn
der Übergang so plötzlich geschähe.
 
Also einer allmählichen Gewöhnung daran, glaube
ich, bedarf er, wenn er die Dinge über der Erde schauen
soll. Da würde er nun erstlich die Schatten am
leichtesten anschauen können und die im Wasser von
den Menschen und den übrigen Wesen sich abspiegelnden
Bilder, sodann erst die wirklichen Gegenstände
selbst. Nach diesen zwei Stufen würde er die Gegenstände
am Himmel und den Himmel selbst erst des
nachts, durch Gewöhnung seines Blickes an das Sternen-
und Mondlicht, leichter schauen als am Tage die
Sonne und das Sonnenlicht.
 
Ohne Zweifel.
 
Und endlich auf der vierten Stufe, denke ich, vermag
er natürlich die Sonne, das heißt nicht ihre Abspiegelung
im Wasser oder in sonst einer außer ihr
befindlichen Körperfläche, sondern sie selbst in ihrer
Reinheit und in ihrer eigenen Region anzublicken
sowie ihr eigentliches Wesen zu beschauen.
 
Ja, notwendig, sagte er.
 
Und nach solchen Vorübungen würde er über sie
die Einsicht gewinnen, daß sie die Urheberin der Jahreszeiten
und Jahreskreisläufe ist, daß sie die Mutter
von allen Dingen im Bereiche der sichtbaren Welt
und von allen jenen allmählichen Anschauungen gewissermaßen
die Ursache ist.
 
Ja, entgegnete er, offenbar muß er zu diesen Einsichten
nach jenen Vorübungen gelangen.
 
Wenn er nun an seinen ersten Aufenthaltsort zurückdenkt
und an die dortige Weisheit seiner Mitgefangenen:
wird er da wohl nicht sich wegen seiner
Veränderung glücklich preisen und jene bedauern?
 
Ja, sicher.
 
Und wenn damals bei ihnen Ehres- und Beifallsbezeugungen
wechselseitig bestanden sowie Belohnungen
für den schärfsten Beobachter der vorüberwandernden
Schatten, feiner für das beste Gedächtnis
daran, was vor, nach und mit ihnen zu kommen pflegte,
und für die geschickteste Prophezeiung des künftig
Kommenden: meinst du, daß er da danach Verlangen
haben werde, daß er die bei jenen Höhlenbewohnern
in Ehre Stehenden und Machthabenden beneidet?
Oder daß es ihm geht, wie Homer sagt, und er viel lieber
als Tagelöhner bei einem linderen dürftigen
Manne das Feld bestellen und eher alles in der Welt
über sich ergehen lassen will, als jene Meinungen und
jenes Leben haben?
 
Letzteres glaube ich, sagte er, daß er nämlich sich
eher allen Leiden unterziehen als jenes Leben führen
wird.
 
Hierauf nun, fuhr ich fort, bedenke folgendes:
Wenn ein solcher wieder hinunterkäme und sich wieder
auf seinen Platz setzte: würde er da nicht die
Augen voll Finsternis bekommen, wenn er plötzlich
aus dem Sonnenlicht käme?
 
Ja, ganz sicherlich, sagte er.
 
Aber wenn er nun, während sein Blick noch verdunkelt
wäre, wiederum im Erraten jener Schattenwelt
mit jenen ewig Gefangenen wetteifern sollte, und
zwar ehe seine Augen wieder zurechtgekommen
wären - und die zu dieser Gewöhnung erforderliche
Zeit dürfte nicht ganz klein sein -: würde er da nicht
ein Gelächter veranlassen, und würde es nicht von
ihm heißen, weil er hinaufgegangen wäre, sei er mit
verdorbenen Augen zurückgekommen, und es sei
nicht der Mühe wert, nur den Versuch zu machen,
hinaufzugehen? Und wenn er sich gar erst
unterstände, sie zu entfesseln und hinaufzuführen, -
würden sie ihn nicht ermorden, wenn sie ihn in die
Hände bekommen und ermorden könnten?
 
Ja, gewiß, antwortete er.|[[Platon]]|''Politeia'' VII, 514a-517a|ref=<ref>Platon: ''Sämtliche Werke''. Band 2, Berlin 1940, [http://www.zeno.org/Philosophie/M/Platon/Der+Staat/Siebentes+Buch S. 248-288] ([http://www.zeno.org/Philosophie/M/Platon/Der+Staat/Siebentes+Buch zeno.org])</ref>}}
 
== Erläuterungen  zu dem Gleichnis ==
Der losgebundene Mensch steht für den [[Philosoph]]en, der auf dem Weg der [[Anamnesis]] zu [[Weisheit]] gelangt.
Dies den festgebundenen, also noch unaufgeklärten Menschen zu vermitteln, bedeutet ein großes [[Kommunikation]]sproblem, das im Falle des Sokrates sogar dessen Verurteilung zum Tode nach sich zog.
 
Als Ganzes stellt das Höhlengleichnis eine anschauliche und dramatische Zusammenfassung von Platons [[Ideenlehre]] dar.
Nach dieser hat jedes sinnliche Ding ein immaterielles, [[Idee|ideelles]] Urbild, dessen bloßes Abbild es ist.


== Literatur ==
== Literatur ==
* Schubert, Andreas: ''Platon: Der Staat.'' Paderborn 1995, ISBN 3-8252-1866-x
* A. Phillips Griffiths (Hrsg.): ''A.J. Ayer Memorial Essays''. Royal Institute of Philosophy Supplement Nr. 30, Cambridge University Press 1991.
* [[Karl-Martin Dietz]]: ''Metamorphosen des Geistes.'' Freies Geistesleben, Stuttgart 2004, Band 1: ''Prometheus der Vordenker: Vom göttlichen zum menschlichen Wissen.'' Band 2: ''Platon und Aristoteles. Das Erwachen des europäischen Denkens.'' Band 3: ''Heraklit von Ephesus und die Entwicklung der Individualität.'' Freies Geistesleben, Stuttgart, 2004, ISBN 3-7725-1300-X.


==Weblinks==
== Weblinks ==
* {{PGDW|platon/politeia/politeia}}
* {{DNB-Portal|118505270}}
* {{Webarchiv | url=http://www.btinternet.com/~glynhughes/squashed/ayer.htm | wayback=20060317191910 | text=Kurzversion von „Language Truth and Logic“ in englischer Sprache}}
* {{SEP|http://plato.stanford.edu/entries/ayer/||Graham Macdonald}}
* Anthony Quinton: [http://www.proc.britac.ac.uk/cgi-bin/somsid.cgi?type=pdf&page=94p255&code=su7ddlj7&session=090265A&record=1461&subpage=0 Alfred Jules Ayer 1910–1989] (Proceedings of the British Academy 94, S. 255–282, hinter einer Pay Wall)
* Ted Honderich: [http://www.ucl.ac.uk/~uctytho/AyerbyTH.html Ayer's Philosophy and its Greatness].


== Einzelnachweise ==
== Einzelnachweise ==
<references />


<references />
{{Normdaten|TYP=p|GND=118505270|LCCN=n/79/151213|NDL=00431959|VIAF=64001100}}


[[Kategorie:Ontologie]]
{{SORTIERUNG:Ayer, Alfred Jules}}
[[Kategorie:Metaphysik]]
[[Kategorie:Analytischer Philosoph]]
[[Kategorie:Gleichnis]]
[[Kategorie:Logischer Positivist]]
[[Kategorie:Griechische Philosophie]]
[[Kategorie:Logischer Empirist]]
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[[Kategorie:Platon]]
[[Kategorie:Moralphilosoph]]
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[[Kategorie:Mathematiker (20. Jahrhundert)]]
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[[Kategorie:Philosoph (20. Jahrhundert)]]
[[Kategorie:Nonkognitivist]]
[[Kategorie:Metaethiker]]
[[Kategorie:Brite]]
[[Kategorie:Geboren 1910]]
[[Kategorie:Gestorben 1989]]
[[Kategorie:Mann]]


{{Wikipedia}}
{{Wikipedia}}

Version vom 27. August 2020, 09:59 Uhr

Alfred Jules Ayer

Alfred Jules Ayer (* 29. Oktober 1910 in London; † 27. Juni 1989 in London) war ein britischer Philosoph. Er trug wesentlich zur Popularisierung des Logischen Empirismus in englischsprachigen Ländern vor allem durch seine Hauptschriften Language, Truth and Logic (1936; Sprache, Wahrheit und Logik) und The Problem of Knowledge (1956; Das Problem der Erkenntnis) bei.

Leben

Ayers Vater, Jules Ayer, stammte aus Neuchâtel und war in London für das Bankhaus Rothschild sowie als Privatsekretär für Alfred Rothschild tätig. Seine Mutter, Reine Citroën, eine Nichte André Citroëns, des Begründers des gleichnamigen Autoherstellers, stammte aus einer jüdischen Familie in Holland.

Alfred Jules Ayer besuchte das renommierte Eton College und studierte ab 1929 Philosophie und andere Fächer in Christ Church, Oxford, wo er 1931 sein Examen ablegte. 1932 heiratete er Renee Lees und besuchte mit ihr während eines Freisemesters Wien, wo er Kontakt zum Wiener Kreis aufnahm. 1933 kehrte er an das Christ Church College in Oxford zurück, zunächst als Lecturer und ab 1935 als Research Fellow. Er hielt dort Vorlesungen über Wittgenstein und Carnap. Bis 1935 arbeitete er an seinem ersten Hauptwerk Language Truth and Logic, das 1936 erschien. Er verband darin die bis dahin in England weithin unbekannten Gedanken des kontinentalen Neoempirismus mit denen des herkömmlichen englischen Empirismus (David Hume und George Berkeley) zu einem eigenständigen empiristischen Konzept.

Im Zweiten Weltkrieg leistete Ayer seinen Dienst als Soldat für die britische Armee bei den Welsh Guards und beim Special Operations Executive, wo er aufgrund guter Deutschkenntnisse Kriegsgefangene verhörte. Während dieser Zeit veröffentlichte er 1940 seine zweite wichtige Schrift, The Foundations of Empirical Knowledge, das seine Auseinandersetzungen mit den Theorien Rudolf Carnaps widerspiegelt.

1944–46 war er zunächst Fellow am Wadham College in Oxford, 1945–46 dort auch Dekan, und erhielt 1946 die Grote Professur für Philosophie des Geistes und Logik am University College London. Im Jahr 1952 wurde er Mitglied der British Academy. Als Hauptarbeit dieser Zeit veröffentlichte er 1956 The Problem of Knowledge, das vor allem der Philosophie des Geistes gewidmet ist.

1959 folgte Ayer einem Ruf zurück nach Oxford auf die Wykeham-Professur für Logik. 1960 heiratete er Alberta Chapman. 1963 wurde er in die American Academy of Arts and Sciences gewählt. Seit 1965 war er Präsident der British Humanist Association und wandte sich zunehmend Themen der praktischen Philosophie zu.

1970 wurde Ayer für seine Verdienste geadelt. In verschiedener Hinsicht war er als Philosoph Nachfolger von Bertrand Russell. Über mehrere Phasen lehrte und las er in den Vereinigten Staaten, u. a. im Herbst 1987 als Gastprofessor mit den Themen Moore und Russell sowie Ryle und Austin am Bard College.

In seiner Freizeit spielte Ayer Cricket und engagierte sich für die Labour Party. Er trat öffentlich für einen Humanismus und die Rechte Homosexueller ein und bekannte sich zum Atheismus. Mit Erreichen der Altersgrenze trat er 1978 in den Ruhestand, blieb der Universität aber als Mitglied des Wolfson College noch weiter verbunden. 1981 wurde Ayer von seiner zweiten Frau, mit der er einen Sohn hatte, geschieden und er heiratete Vanessa Lawson, die jedoch bereits 1985 starb. Kurz vor seinem Tod heiratete er seine zweite Frau erneut. Außerdem errang er in dieser Zeit durch eine ungewöhnliche „Nahtoderfahrung“ weitere Berühmtheit.

Ayer war neben seiner akademischen Tätigkeit auch öffentlich wirksam. Bekannt sind seine Fernsehdiskussionen (u. a. mit Bertrand Russell) und die Teilnahme an Quiz-Sendungen. Mit Russell zusammen agitierte er auch gegen die Atomwaffen.

Ayer erhielt den Ehrendoktor der Universitäten Brüssel (1962), East Anglia (1972), London (1978), Trent und Ontario (1980), Bard College (1985) sowie Durham (1988).

Philosophie

Ayer, der besonders von Gilbert Ryle und Bertrand Russell beeinflusst war, gilt als Vertreter der analytischen Philosophie und herausragende Persönlichkeit des logischen Empirismus in Großbritannien. Er vertrat in „Language, Truth and Logic“ (Sprache, Wahrheit und Logik) ähnlich wie Carnap die Auffassung, dass Sätze der Metaphysik, der Theologie, aber auch der Ethik als Wertaussagen sinn- und gehaltlos seien, weil sie sich empirisch nicht überprüfen ließen (Nonkognitivismus). Solche Sätze seien Ausdruck von Gefühlen und hätten den Charakter von Befehlen. Ebenfalls in Anlehnung an den Wiener Kreis vertrat er das Prinzip der Verifikation für solche Aussagen, die sich empirisch überprüfen lassen. In seiner weiteren Entwicklung folgte Ayer einem linguistischen Phänomenalismus und beschäftigte sich erkenntnistheoretisch intensiv mit dem Sprachgebrauch und der Regelung von Bedeutungen. In einem Interview mit Bryan Magee aus dem Jahr 1976 bekräftigte er, dass seine früher vertretenen Positionen zum logischen Empirismus beinahe alle falsch gewesen seien.[1]

Werke

  • Language Truth and Logic. Gollancz, London 1936; 2. Auflage 1946
  • The Foundations of Empirical Knowledge. Macmillan, London 1940
  • Philosophical Essays. Macmillan, London 1954
  • The Problem of Knowledge. Macmillan, London 1956
  • The Concept of a Person and other Essays. Macmillan, London 1963
  • The Origins of Pragmatism. Macmillan, London 1968
  • Metaphysics and Common Sense. Macmillan, London 1969
  • Russell and Moore: The Analytical Heritage. Macmillan, London 1971
  • Probability and Evidence. Macmillan, London 1972
  • Bertrand Russell. Fontana, London 1972
  • The Central Questions of Philosophy. Weidenfeld & Nicholson, London 1973
  • Part of My Life. Collins, London 1977
  • Hume. Oxford University Press, Oxford 1980
  • Philosophy in the Twentieth Century. Weidenfeld & Nicholson, London 1982
  • Freedom and Morality and Other Essays. Clarendon Press, Oxford 1984
  • More of My Life. London: Collins, London 1984
  • Ludwig Wittgenstein. Penguin, London 1986
  • Voltaire. Weidenfeld & Nicholson, London 1986, ISBN 0-297-78880-9

Siehe auch

Literatur

  • A. Phillips Griffiths (Hrsg.): A.J. Ayer Memorial Essays. Royal Institute of Philosophy Supplement Nr. 30, Cambridge University Press 1991.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. flame0430: Ayer on Logical Positivism: Section 4. 17. März 2008, abgerufen am 6. Februar 2018.


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