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==== 2. Die Erleuchtung ====
==== 2. Die Erleuchtung ====
{{GGZ|Die Erleuchtung geht von sehr einfachen Vorgängen aus.
Auch dabei handelt es sich darum, gewisse Gefühle und
Gedanken zu entwickeln, die in jedem Menschen schlummern
und die erwachen müssen.|10|53}}
{{GGZ|Der erste Anfang wird damit
gemacht, in einer bestimmten Art verschiedene Naturwesen
zu betrachten, und zwar zum Beispiele: einen durchsichtigen,
schön geformten Stein (Kristall), eine Pflanze
und ein Tier... Die Gedanken, die hier angeführt
werden, müssen, von lebhaften Gefühlen begleitet, durch
die Seele ziehen. Und kein anderer Gedanke, kein anderes
Gefühl dürfen sich einmischen und die intensiv aufmerksame
Betrachtung stören. Man sage sich: «Der Stein
hat eine Gestalt; das Tier hat auch Gestalt. Der Stein
bleibt ruhig an seinem Ort. Das Tier verändert seinen Ort.
Es ist der Trieb (die Begierde), welcher das Tier veranlaßt,
seinen Ort zu ändern. Und die Triebe sind es auch, denen
die Gestalt des Tieres dient. Seine Organe, seine Werkzeuge
sind diesen Trieben gemäß ausgebildet. Die Gestalt
des Steins ist nicht nach Begierden, sondern durch begierdelose
Kraft gebildet... Aus diesen Gefühlen und den
mit ihnen verbundenen Gedanken bilden sich ''Hellseherorgane''.
- Tritt dann in der Betrachtung noch die Pflanze
hinzu, so wird man bemerken, daß das von ihr ausgehende
Gefühl, seiner Beschaffenheit und auch seinem Grade
nach, in der Mitte liegt zwischen dem vom Stein und dem
vom Tier ausströmenden. Die Organe, welche sich auf
solche Art bilden, sind Geistesaugen. Man lernt mit ihnen
allmählich etwas wie seelische und geistige Farben zu
sehen. Solange man nur das sich angeeignet hat, was als «Vorbereitung» beschrieben worden ist, bleibt die geistige
Welt mit ihren Linien und Figuren dunkel; durch die Erleuchtung
wird sie hell. - Auch hier muß bemerkt werden,
daß die Worte «dunkel» und «hell» sowie die anderen
gebrauchten Ausdrücke nur annähernd aussprechen,
was gemeint ist... Die Geheimwissenschaft bezeichnet nun das, was
für das Hellseherorgan vom Stein ausströmt, als «blau»
oder «blaurot». Dasjenige, was vom Tier empfunden
wird, als «rot» oder «rotgelb». In der Tat sind es Farben
«geistiger Art», die da gesehen werden. Die von der
Pflanze ausgehende Farbe ist «grün», das nach und nach
in ein helles ätherisches Rosarot übergeht... - Nun muß man sich klar sein,
daß mit den oben genannten Farben nur die Hauptschattierungen
des Stein-, Pflanzen- und Tierreiches angegeben
sind. In Wirklichkeit sind alle möglichen Zwischenschattierungen
vorhanden. Jeder Stein, jede Pflanze, jedes Tier
hat seine ganz bestimmte Farbennuance. Dazu kommen
die Wesen der höheren Welten, die niemals sich physisch
verkörpern, mit ihren oft wundervollen, oft auch gräßlichen
Farben. In der Tat ist der Farbenreichtum in diesen
höheren Welten unermeßlich viel größer als in der
physischen Welt.|10|53f}}
{{GGZ|Hat der Mensch einmal die Fähigkeit erworben, mit
«Geistesaugen» zu sehen, so begegnet er auch, über kurz
oder lang, den genannten höheren, zum Teil auch tieferen
Wesen, als der Mensch ist, die niemals die physische
Wirklichkeit betreten.|10|55f}}
{{GGZ|Durch die
hier vorgezeichneten Wege kann niemand Schaden nehmen,
der nichts forciert. Nur das eine muß beobachtet
werden: niemand darf mehr Zeit und Kraft auf solche
Übungen verwenden, als ihm nach seiner Lebensstellung,
nach seinen Pflichten zur Verfügung stehen. Niemand
darf durch den Geheimpfad irgend etwas in seinen äußeren
Lebensverhältnissen augenblicklich ändern. Will man
wirkliche Ergebnisse, dann muß man Geduld haben; man
muß nach wenigen Minuten der Übung aufhören können
und ruhig seiner Tagesarbeit nachgehen. Und nichts darf
sich von Gedanken an die Übungen in die Tagesarbeit
mischen.|10|57}}


==== Kontrolle der Gedanken und Gefühle ====
==== Kontrolle der Gedanken und Gefühle ====

Version vom 14. Oktober 2015, 10:52 Uhr

Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten? (1904/05)

Rudolf Steiners grundlegende Schrift zum anthroposophischen Schulungsweg, der dem modernen, am gegenwärtigen naturwissenschaftlichen Denken geschulten Bewusstsein Rechnung trägt.

Inhalt

Vorreden

Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?

Bedingungen

„Es schlummern in jedem Menschen Fähigkeiten, durch die er sich Erkenntnisse über höhere Welten erwerben kann. Der Mystiker, der Gnostiker, der Theosoph sprachen stets von einer Seelen- und einer Geisterwelt, die für sie ebenso vorhanden sind wie diejenige, die man mit physischen Augen sehen, mit physischen Händen betasten kann. Der Zuhörer darf sich in jedem Augenblicke sagen: wovon dieser spricht, kann ich auch erfahren, wenn ich gewisse Kräfte in mir entwickele, die heute noch in mir schlummern. Es kann sich nur darum handeln, wie man es anzufangen hat, um solche Fähigkeiten in sich zu entwickeln.“ (Lit.:GA 10, S. 16)

„Eine gewisse Grundstimmung der Seele muß den Anfang bilden. Der Geheimforscher nennt diese Grundstimmung den Pfad der Verehrung, der Devotion gegenüber der Wahrheit und Erkenntnis.“ (S. 19)

„Betont muß werden, daß es sich beim höheren Wissen nicht um Verehrung von Menschen, sondern um eine solche gegenüber Wahrheit und Erkenntnis handelt.“ (S. 22)

„Wirksamer noch wird das, was durch die Devotion zu erreichen ist, wenn eine andere Gefühlsart hinzukommt. Sie besteht darinnen, daß der Mensch lernt, sich immer weniger den Eindrücken der Außenwelt hinzugeben, und dafür ein reges Innenleben entwickelt. Ein Mensch, der von einem Eindruck der Außenwelt zu dem andern jagt, der stets nach «Zerstreuung» sucht, findet nicht den Weg zur Geheimwissenschaft. Nicht abstumpfen soll sich der Geheimschüler für die Außenwelt; aber sein reiches Innenleben soll ihm die Richtung geben, in der er sich ihren Eindrücken hingibt. Wenn ein gefühlsreicher und gemütstiefer Mensch durch eine schöne Gebirgslandschaft geht, erlebt er anderes als ein gefühlsarmer. Erst was wir im Innern erleben, gibt uns den Schlüssel zu den Schönheiten der Außenwelt.“ (S. 25f)

„Es ist ein Grundsatz in aller Geheimwissenschaft, der nicht übertreten werden darf,wenn irgendein Ziel erreicht werden soll. Jede Geheimschulung muß ihn dem Schüler einprägen. Er heißt: Jede Erkenntnis, die du suchst, nur um dein Wissen zu bereichern, nur um Schätze in dir anzuhäufen, führt dich ab von deinem Wege; jede Erkenntnis aber, die du suchst, um reifer zu werden auf dem Wege der Menschenveredelung und der Weltentwickelung, die bringt dich einen Schritt vorwärts. Dieses Gesetz fordert unerbittlich seine Beobachtung. Und man ist nicht früher Geheimschüler, ehe man dieses Gesetz zur Richtschnur seines Lebens gemacht hat. Man kann diese Wahrheit der geistigen Schulung in den kurzen Satz zusammenfassen: Jede Idee, die dir nicht zum Ideal wird, ertötet in deiner Seele eine Kraft; jede Idee, die aber zum Ideal wird, erschafft in dir Lebenskräfte.“ (S. 28)

Innere Ruhe

„Auf den Pfad der Verehrung und auf die Entwickelung des inneren Lebens wird der Geheimschüler im Anfange seiner Laufbahn gewiesen. Die Geisteswissenschaft gibt nun auch praktische Regeln an die Hand, durch deren Beobachtung der Pfad betreten, das innere Leben entwikkelt werden kann.“ (S. 28)

„Eine der ersten dieser Regeln kann nun etwa in die folgenden Worte der Sprache gekleidet werden: «Schaffe dir Augenblicke innerer Ruhe und lerne in diesen Augenblicken das Wesentliche von dem Unwesentlichen unterscheiden.»“ (S. 29)

„... der Mensch, der solche abgesonderten Augenblicke in der rechten Art sucht, wird bald bemerken, daß er durch sie erst die volle Kraft zu seiner Tagesaufgabe erhält. Auch darf nicht geglaubt werden, daß die Beobachtung dieser Regel jemandem wirklich Zeit von seiner Pflichtenleistung entziehen könne. Wenn jemand wirklich nicht mehr Zeit zur Verfügung haben sollte, so genügen fünf Minuten jeden Tag.“ (S. 31)

„Der Geheimschüler muß die Kraft suchen, sich selbst in gewissen Zeiten wie ein Fremder gegenüberzustehen. Mit der inneren Ruhe des Beurteilers muß er sich selbst entgegentreten. Erreicht man das, dann zeigen sich einem die eigenen Erlebnisse in einem neuen Lichte. Solange man in sie verwoben ist, solange man in ihnen steht, hängt man mit dem Unwesentlichen ebenso zusammen wie mit dem Wesentlichen. Kommt man zur inneren Ruhe des Überblicks, dann sondert sich das Wesentliche von dem Unwesentlichen.“ (S. 32)

„Denn jeder Mensch trägt neben seinem - wir wollen ihn so nennen - Alltagsmenschen in seinem Innern noch einen höheren Menschen. Dieser höhere Mensch bleibt so lange verborgen, bis er geweckt wird. Und jeder kann diesen höheren Menschen nur selbst in sich erwecken.“ (S. 32)

„Ein solcher Mensch wird bald bemerken, was für eine Kraftquelle solche ausgesonderte Zeitabschnitte für ihn sind. Er wird anfangen, sich über Dinge nicht mehr zu ärgern, über die er sich vorher geärgert hat; unzählige Dinge, die er vorher gefürchtet hat, hören auf, ihm Befürchtungen zu machen. Eine ganz neue Lebensauffassung eignet er sich an. Vorher ging er vielleicht zaghaft an diese oder jene Verrichtung. Er sagte sich: O, meine Kraft reicht nicht aus, dies so zu machen, wie ich es gerne gemacht hätte. Jetzt kommt ihm nicht mehr dieser Gedanke, sondern vielmehr ein ganz anderer. Nunmehr sagt er sich nämlich: Ich will alle Kraft zusammennehmen, um meine Sache so gut zu machen, als ich nur irgend kann.“ (S. 33f)

„Dieser «höhere Mensch» wird dann der «innere Herrscher», der mit sicherer Hand die Verhältnisse des äußeren Menschen führt. Solange der äußere Mensch die Oberhand und Leitung hat, ist dieser «innere» sein Sklave und kann daher seine Kräfte nicht entfalten. Hängt es von etwas anderem als von mir ab, ob ich mich ärgere oder nicht, so bin ich nicht Herr meiner selbst, oder - noch besser gesagt -: ich habe den «Herrscher in mir» noch nicht gefunden. Ich muß in mir die Fähigkeit entwickeln, die Eindrücke der Außenwelt nur in einer durch mich selbst bestimmten Weise an mich herankommen zu lassen; dann kann ich erst Geheimschüler werden.“ (S. 35f)

„Aber nur eine Seite der inneren Tätigkeit des Geheimschülers ist durch diese Geburt des eigenen höheren Menschen gekennzeichnet. Es muß dazu noch etwas anderes kommen. Wenn sich nämlich der Mensch auch selbst als ein Fremder gegenübersteht, so betrachtet er doch nur sich selbst; er sieht auf diejenigen Erlebnisse und Handlungen, mit denen er durch seine besondere Lebenslage verwachsen ist. Er muß darüber hinauskommen. Er muß sich erheben zu einem rein Menschlichen, das nichts mehr mit seiner besonderen Lage zu tun hat... Dadurch lebt in ihm etwas auf, was über das Persönliche hinausragt. Er richtet damit den Blick in höhere Welten, als diejenigen sind, mit denen ihn der Alltag zusammenführt. Und damit beginnt der Mensch zu fühlen, zu erleben, daß er solchen höheren Welten angehört. Es sind das Welten, über die ihm seine Sinne, seine alltägliche Beschäftigung nichts sagen können... Die ruhige Beschaulichkeit im Innern, die Zwiesprache mit der rein geistigen Welt füllt seine ganze Seele aus. - Ein natürliches Lebensbedürfnis muß dem Geheimschüler solche stille Beschaulichkeit werden. Er ist zunächst ganz in eine Gedankenwelt versenkt. Er muß für diese stille Gedankentätigkeit ein lebendiges Gefühl entwickeln. Er muß lieben lernen, was ihm der Geist da zuströmt. Bald hört er dann auch auf, diese Gedankenwelt als etwas zu empfinden, was unwirklicher sei als die Dinge des Alltags, die ihn umgeben. Er fängt an, mit seinen Gedanken umzugehen wie mit den Dingen im Raume. Und dann naht für ihn auch der Augenblick, in dem er das, was sich ihm in der Stille innerer Gedankenarbeit offenbart, als viel höher, wirklicher zu fühlen beginnt als die Dinge im Raume. Er erfährt, das sich Leben in dieser Gedankenwelt ausspricht. Er sieht ein, daß sich in Gedanken nicht bloße Schattenbilder ausleben, sondern, daß durch sie verborgene Wesenheiten zu ihm sprechen. Es fängt an, aus der Stille heraus zu ihm zu sprechen. Vorher hat es nur durch sein Ohr zu ihm getönt; jetzt tönt es durch seine Seele. Eine innere Sprache - ein inneres Wort - hat sich ihm erschlossen.“ (S. 36ff)

„Solches Leben der Seele in Gedanken, das sich immer mehr erweitert zu einem Leben in geistiger Wesenheit, nennt die Gnosis, die Geistwissenschaft Meditation (beschauliches Nachdenken). Diese Meditation ist das Mittel zu übersinnlicher Erkenntnis.“ (S. 38)

„Durch solche Meditation geht eine völlige Verwandlung mit dem Geheimschüler vor. Er fängt an, über die Wirklichkeit ganz neue Vorstellungen sich zu bilden. Alle Dinge erhalten für ihn einen anderen Wert. Immer wieder muß es gesagt werden: nicht weltfremd wird der Geheimschüler durch solche Wandelung. Er wird auf keinen Fall seinem alltäglichen Pflichtenkreis entfremdet. Denn er lernt einsehen, daß die geringste Handlung, die er zu vollbringen hat, das geringste Erlebnis, das sich ihm darbietet, im Zusammenhang stehen mit den großen Weltwesenheiten und Weltereignissen...

Mit sicherem Schritt geht der Geheimschüler durch das Leben. Was es ihm auch bringen mag, läßt ihn aufrecht schreiten. Vorher hat er nicht gewußt, warum er arbeitet, warum er leidet: jetzt weiß er dies. Einzusehen ist, daß solche Meditationstätigkeit besser zum Ziele führt, wenn sie unter Anleitung erfahrener Menschen geschieht. Solchen Menschen, die von sich aus wissen, wie alles am besten zu machen ist. Man sehe daher den Rat, die Anweisung solcher Menschen sich an. Man verliert dadurch wahrlich nicht seine Freiheit. Was sonst nur unsicheres Tappen sein kann, wird durch solche Anleitung zum zielsicheren Arbeiten.“ (S. 39f)

„Wer sich durch die Meditation erhebt zu dem, was den Menschen mit dem Geist verbindet, der beginnt in sich das zu beleben, was ewig in ihm ist, was nicht durch Geburt und Tod begrenzt ist. Nur diejenigen können zweifeln an einem solchen Ewigen, die es nicht selbst erlebt haben. So ist die Meditation der Weg, der den Menschen auch zur Erkenntnis, zur Anschauung seines ewigen, unzerstörbaren Wesenskernes führt. Und nur durch sie kann der Mensch zu solcher Anschauung kommen. Gnosis, Geistwissenschaft sprechen von der Ewigkeit dieses Wesenskernes, von der Wiederverkörperung desselben. Oft wird gefragt, warum weiß der Mensch nichts von seinen Erlebnissen, die jenseits von Geburt und Tod liegen? Aber nicht so sollte gefragt werden. Sondern vielmehr so: wie gelangt man zu solchem Wissen? In der richtigen Meditation eröffnet sich der Weg. Durch sie lebt die Erinnerung auf an Erlebnisse, die jenseits von Geburt und Tod liegen. Jeder kann dieses Wissen erwerben; in jedem liegen die Fähigkeiten, selbst zu erkennen, selbst zu schauen, was echte Mystik, Geistwissenschaft, Anthroposophie und Gnosis lehren.“ (S. 40f)

Die Stufen der Einweihung

„Die Stufen, welche die angedeutete Überlieferung angibt, sind die folgenden drei: 1. Die Vorbereitung, 2. die Erleuchtung, 3. die Einweihung. Es ist nicht durchaus notwendig, daß diese drei Stufen sich so folgen, daß man die erste ganz durchgemacht hat, bevor die zweite, und diese, bevor die dritte an die Reihe kommen.“ (S. 42f)

1. Die Vorbereitung

„Die Vorbereitung besteht in einer ganz bestimmten Pflege des Gefühls- und Gedankenlebens...

Der Anfang muß damit gemacht werden, die Aufmerksamkeit der Seele auf gewisse Vorgänge in der uns umgebenden Welt zu lenken. Solche Vorgänge sind das sprießende, wachsende und gedeihende Leben einerseits, und alle Erscheinungen, die mit Verblühen, Verwelken, Absterben zusammenhängen, anderseits... Eine ganz bestimmte Gefühlsform knüpft sich an das Wachsen und Werden; eine andere ganz bestimmte an das Verwelken und Absterben... Wer oft die Aufmerksamkeit auf den Vorgang des Werdens, des Gedeihens, des Blühens gelenkt hat, der wird etwas fühlen, was der Empfindung bei einem Sonnenaufgang entfernt ähnlich ist. Und aus dem Vorgang des Welkens, Absterbens wird sich ihm ein Erlebnis ergeben, das in ebensolcher Art mit dem langsamen Aufsteigen des Mondes im Gesichtskreis zu vergleichen ist. Diese beiden Gefühle sind zwei Kräfte, die bei gehöriger Pflege, bei immer lebhafter werdender Ausbildung zu den bedeutsamsten geistigen Wirkungen führen. Wer sich immer wieder und wieder planmäßig, mit Vorsatz, solchen Gefühlen überläßt, dem eröffnet sich eine neue Welt. Die Seelenwelt, der sogenannte astrale Plan, beginnt vor ihm aufzudämmern. Wachsen und Vergehen bleiben für ihn nicht mehr Tatsachen, die ihm solch unbestimmte Eindrücke machen wie vorher. Sie formen sich vielmehr zu geistigen Linien und Figuren, von denen er vorher nichts ahnte. Und diese Linien und Figuren haben für die verschiedenen Erscheinungen auch verschiedene Gestalten. Eine blühende Blume zaubert vor seine Seele eine ganz bestimmte Linie, ebenso ein im Wachsen begriffenes Tier oder ein im Absterben befindlicher Baum. Die Seelenwelt (der astrale Plan) breitet sich langsam vor ihm aus. Nichts Willkürliches liegt in diesen Linien und Figuren.“ (S. 43ff)

„Wenn der Schüler so weit ist, daß er solch geistige Gestalten von Erscheinungen sehen kann, die sich seinem äußeren Auge auch physisch zeigen: dann wird er auch nicht weit entfernt sein von der Stufe, Dinge zu sehen, die kein physisches Dasein haben, die also dem ganz verborgen (okkult) bleiben müssen, der keine Unterweisung in der Geheimlehre erhalten hat.

Zu betonen ist, daß der Geheimforscher sich nicht in ein Nachsinnen verlieren soll, was dieses oder jenes Ding bedeutet. Durch solche Verstandesarbeit bringt er sich nur von dem rechten Wege ab. Er soll frisch, mit gesundem Sinne, mit scharfer Beobachtungsgabe in die Sinnenwelt sehen und dann sich seinen Gefühlen überlassen. Was die Dinge bedeuten, das soll nicht er mit spekulierendem Verstande ausmachen wollen, sondern er soll es sich von den Dingen selbst sagen lassen[1].“ (S. 46f)

„Ein Weiteres, worauf es ankommt, ist das, was die Geheimwissenschaft die Orientierung in den höheren Welten nennt. Man gelangt dazu, wenn man sich ganz von dem Bewußtsein durchdringt, daß Gefühle und Gedanken wirkliche Tatsachen sind, genau so wie Tische und Stühle in der physisch-sinnlichen Welt. In der seelischen und in der Gedankenwelt wirken Gefühle und Gedanken aufeinander wie in der physischen die sinnlichen Dinge. Solange jemand nicht lebhaft von diesem Bewußtsein durchdrungen ist, wird er nicht glauben, daß ein verkehrter Gedanke, den er hegt, auf andere Gedanken, die den Gedankenraum beleben, so verheerend wirken kann wie eine blindlings losgeschossene Flintenkugel für die physischen Gegenstände, die sie trifft... Alles willkürliche Hin- und Hersinnen, alles spielerische Phantasieren, alle zufällig auf- und abwogenden Gefühle muß man sich in dieser Zeit verbieten... An die Stelle kleinlicher Gefühlsschwelgerei und spielerischer Gedankenverknüpfung treten bedeutsame Gefühle und fruchtbare Gedanken. Und diese Gefühle und Gedanken führen den Menschen dazu, sich in der geistigen Welt zu orientieren.“ (S. 47f)

„Eine weitere Pflege hat der Geheimschüler der Welt der Töne angedeihen zu lassen. Man unterscheide da zwischen dem Tone, der durch das sogenannte Leblose (einen fallenden Körper, eine Glocke oder ein Musikinstrument) hervorgebracht wird, und dem, welcher von Lebendigem (einem Tiere oder Menschen) stammt. Wer eine Glocke hört, wird den Ton wahrnehmen und ein angenehmes Gefühl daran knüpfen; wer den Schrei eines Tieres hört, wird außer diesem Gefühl in dem Tone noch die Offenbarung eines inneren Erlebnisses des Tieres, Lust oder Schmerz, verspüren. Bei der letzteren Art von Tönen hat der Geheimschüler einzusetzen. Er soll seine ganze Aufmerksamkeit darauf lenken, daß der Ton ihm etwas verkündet, was außer der eigenen Seele liegt... Man muß, als Geheimschüler, in dieser Art der ganzen Natur gegenüber empfinden lernen. - Und dadurch senkt sich in Gefühls- und Gedankenwelt eine neue Anlage. Die ganze Natur fängt an, dem Menschen durch ihr Ertönen Geheimnisse zuzuraunen. Was vorher seiner Seele unverständlicher Schall war, wird dadurch sinnvolle Sprache der Natur.“ (S. 48f)

„Was für die Ausbildung des Geheimschülers ganz besonders wichtig ist, das ist die Art, wie er anderen Menschen beim Sprechen zuhört. Er muß sich daran gewöhnen, dies so zu tun, daß dabei sein eigenes Innere vollkommen schweigt... Es kommt darauf an, daß dabei nicht nur alles verstandesmäßige Urteilen schweige, sondern auch alle Gefühle des Mißfallens, der Ablehnung oder auch Zustimmung... So bringt es der Mensch dazu, die Worte des anderen ganz selbstlos zu hören, mit vollkommener Ausschaltung seiner eigenen Person, deren Meinung und Gefühlsweise... Wenn er sich so übt, kritiklos zuzuhören, auch dann, wenn die völlig entgegengesetzte Meinung vorgebracht wird, wenn das «Verkehrteste» sich vor ihm abspielt, dann lernt er nach und nach mit dem Wesen eines anderen vollständig zu verschmelzen, ganz in dasselbe aufzugehen. Er hört dann durch die Worte hindurch in des anderen Seele hinein... Wenn diese Übungen ... in Verbindung mit den anderen getrieben werden, die angegeben worden sind bezüglich des Tönens in der Natur, so erwächst der Seele ein neuer Hörsinn. Sie wird imstande, Kundgebungen aus der geistigen Welt wahrzunehmen, die nicht ihren Ausdruck finden in äußeren Tönen, die für das physische Ohr wahrnehmber sind. Die Wahrnehmung des «inneren Wortes» erwacht... Alle höheren Wahrheiten werden durch solches «inneres Einsprechen» erreicht.“ (S. 50f)

„Damit aber soll nicht gesagt sein, daß es unnötig sei, sich mit geheimwissenschaftlichen Schriften zu befassen, bevor man selbst in solcher Weise «inneres Einsprechen» vernehmen kann. Im Gegenteil: das Lesen solcher Schriften, das Anhören der Geheimforscherlehren sind selbst Mittel, auch zu eigener Erkenntnis zu gelangen... Denn weil diese Lehren aus dem lebendigen «inneren Worte», aus der «lebendigen Einsprechung» geschöpft sind, haben sie selbst geistiges Leben. Sie sind nicht bloß Worte. Sie sind lebendige Kräfte.“ (S. 52)

2. Die Erleuchtung

„Die Erleuchtung geht von sehr einfachen Vorgängen aus. Auch dabei handelt es sich darum, gewisse Gefühle und Gedanken zu entwickeln, die in jedem Menschen schlummern und die erwachen müssen.“ (S. 53)

„Der erste Anfang wird damit gemacht, in einer bestimmten Art verschiedene Naturwesen zu betrachten, und zwar zum Beispiele: einen durchsichtigen, schön geformten Stein (Kristall), eine Pflanze und ein Tier... Die Gedanken, die hier angeführt werden, müssen, von lebhaften Gefühlen begleitet, durch die Seele ziehen. Und kein anderer Gedanke, kein anderes Gefühl dürfen sich einmischen und die intensiv aufmerksame Betrachtung stören. Man sage sich: «Der Stein hat eine Gestalt; das Tier hat auch Gestalt. Der Stein bleibt ruhig an seinem Ort. Das Tier verändert seinen Ort. Es ist der Trieb (die Begierde), welcher das Tier veranlaßt, seinen Ort zu ändern. Und die Triebe sind es auch, denen die Gestalt des Tieres dient. Seine Organe, seine Werkzeuge sind diesen Trieben gemäß ausgebildet. Die Gestalt des Steins ist nicht nach Begierden, sondern durch begierdelose Kraft gebildet... Aus diesen Gefühlen und den mit ihnen verbundenen Gedanken bilden sich Hellseherorgane. - Tritt dann in der Betrachtung noch die Pflanze hinzu, so wird man bemerken, daß das von ihr ausgehende Gefühl, seiner Beschaffenheit und auch seinem Grade nach, in der Mitte liegt zwischen dem vom Stein und dem vom Tier ausströmenden. Die Organe, welche sich auf solche Art bilden, sind Geistesaugen. Man lernt mit ihnen allmählich etwas wie seelische und geistige Farben zu sehen. Solange man nur das sich angeeignet hat, was als «Vorbereitung» beschrieben worden ist, bleibt die geistige Welt mit ihren Linien und Figuren dunkel; durch die Erleuchtung wird sie hell. - Auch hier muß bemerkt werden, daß die Worte «dunkel» und «hell» sowie die anderen gebrauchten Ausdrücke nur annähernd aussprechen, was gemeint ist... Die Geheimwissenschaft bezeichnet nun das, was für das Hellseherorgan vom Stein ausströmt, als «blau» oder «blaurot». Dasjenige, was vom Tier empfunden wird, als «rot» oder «rotgelb». In der Tat sind es Farben «geistiger Art», die da gesehen werden. Die von der Pflanze ausgehende Farbe ist «grün», das nach und nach in ein helles ätherisches Rosarot übergeht... - Nun muß man sich klar sein, daß mit den oben genannten Farben nur die Hauptschattierungen des Stein-, Pflanzen- und Tierreiches angegeben sind. In Wirklichkeit sind alle möglichen Zwischenschattierungen vorhanden. Jeder Stein, jede Pflanze, jedes Tier hat seine ganz bestimmte Farbennuance. Dazu kommen die Wesen der höheren Welten, die niemals sich physisch verkörpern, mit ihren oft wundervollen, oft auch gräßlichen Farben. In der Tat ist der Farbenreichtum in diesen höheren Welten unermeßlich viel größer als in der physischen Welt.“ (S. 53f)

„Hat der Mensch einmal die Fähigkeit erworben, mit «Geistesaugen» zu sehen, so begegnet er auch, über kurz oder lang, den genannten höheren, zum Teil auch tieferen Wesen, als der Mensch ist, die niemals die physische Wirklichkeit betreten.“ (S. 55f)

„Durch die hier vorgezeichneten Wege kann niemand Schaden nehmen, der nichts forciert. Nur das eine muß beobachtet werden: niemand darf mehr Zeit und Kraft auf solche Übungen verwenden, als ihm nach seiner Lebensstellung, nach seinen Pflichten zur Verfügung stehen. Niemand darf durch den Geheimpfad irgend etwas in seinen äußeren Lebensverhältnissen augenblicklich ändern. Will man wirkliche Ergebnisse, dann muß man Geduld haben; man muß nach wenigen Minuten der Übung aufhören können und ruhig seiner Tagesarbeit nachgehen. Und nichts darf sich von Gedanken an die Übungen in die Tagesarbeit mischen.“ (S. 57)

Kontrolle der Gedanken und Gefühle

Die Einweihung

Praktische Gesichtspunkte

Die Bedingungen zur Geheimschulung

Über einige Wirkungen der Einweihung

Veränderungen im Traumleben des Geheimschülers

Die Erlangung der Kontinuität des Bewußtseins

Die Spaltung der Persönlichkeit während der Geistesschulung

Der Hüter der Schwelle

Leben und Tod - der große Hüter der Schwelle

Nachwort zum 8. – 11. Tausend

Literatur

  1. Rudolf Steiner: Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?, GA 10 (1993), ISBN 3-7274-0100-1; Tb 600, ISBN 978-3-7274-6001-2 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
  2. GA 10 Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten? - Textausgabe der Online-Bibliothek
Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.

Weblinks

Video
  1. Bemerkt soll werden, daß künstlerisches Empfinden, gepaart mit einer stillen, in sich versenkten Natur, die beste Vorbedingung für die Entwickelung der geistigen Fähigkeiten ist. Dieses Empfinden dringt ja durch die Oberfläche der Dinge hindurch und gelangt dadurch zu deren Geheimnissen.