Gelassenheit

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Gelassenheit (von mhd. gelazen , "sich niederlassen"; mit der späteren Bedeutung "maßvoll, ruhig, gottergeben sein"), Gleichmut, innere Ruhe oder Gemütsruhe besteht in der Fähigkeit, auch in schwierigen, gefühlsmäßig und emotional belastenden Situationen ruhig und besonnen zu bleiben.

Gelassenheit ist die dritte der Nebenübungen, die nach Rudolf Steiner unerlässliche Voraussetzung dafür sind, einen geistigen Schulungsweg gehen zu können. Es wird dadurch die Gleichmut des Gefühls erreicht.

"Im dritten Monat soll als neue Übung in den Mittelpunkt des Lebens gerückt werden die Ausbildung eines gewissen Gleichmutes gegenüber den Schwankungen von Lust und Leid, Freude und Schmerz, das «Himmelhochjauchzend, zu Tode betrübt» soll mit Bewußtsein durch eine gleichmäßige Stimmung ersetzt werden. Man gibt auf sich acht, daß keine Freude mit einem durchgehe, kein Schmerz einen zu Boden drücke, keine Erfahrung einen zu maßlosem Zorn oder Ärger hinreiße, keine Erwartung einen mit Ängstlichkeit oder Furcht erfülle, keine Situation einen fassungslos mache, usw., usw. Man befürchte nicht, daß eine solche Übung einen nüchtern und lebensarm mache; man wird vielmehr alsbald bemerken, daß an Stelle dessen, was durch diese Übung vorgeht, geläutertere Eigenschaften der Seele auftreten; vor allem wird man eines Tages eine innere Ruhe im Körper durch subtile Aufmerksamkeit spüren können; diese gieße man, ähnlich wie in den beiden oberen Fällen, in den Leib, indem man sie vom Herzen nach den Händen, den Füßen und zuletzt nach dem Kopfe strahlen läßt. Dies kann natürlich in diesem Falle nicht nach jeder einzelnen Übung vorgenommen werden, da man es im Grunde nicht mit einer einzelnen Übung zu tun hat, sondern mit einer fortwährenden Aufmerksamkeit auf sein inneres Seelenleben. Man muß sich jeden Tag wenigstens einmal diese innere Ruhe vor die Seele rufen und dann die Übung des Ausströmens vom Herzen vornehmen. Mit den Übungen des ersten und zweiten Monats verhalte man sich, wie mit der des ersten Monats im zweiten." (Lit.: GA 245 (1968), S 15 ff)

"In bezug auf die Gefühlswelt soll es die Seele für die Geistesschulung zu einer gewissen Gelassenheit bringen. Dazu ist nötig, dass diese Seele Beherrscherin werde über den Ausdruck von Lust und Leid, Freude und Schmerz. Gerade gegenüber der Erwerbung dieser Eigenschaft kann sich manches Vorurteil ergeben. Man könnte meinen, man werde stumpf und teilnahmslos gegenüber seiner Mitwelt, wenn man über das «Erfreuliche sich nicht erfreuen, über das Schmerzhafte nicht Schmerz empfinden soll». Doch darum handelt es sich nicht. Ein Erfreuliches soll die Seele erfreuen, ein Trauriges soll sie schmerzen. Sie soll nur dazu gelangen, den Ausdruck von Freude und Schmerz, von Lust und Unlust zu beherrschen. Strebt man dieses an, so wird man alsbald bemerken, dass man nicht stumpfer, sondern im Gegenteil empfänglicher wird für alles Erfreuliche und Schmerzhafte der Umgebung, als man früher war. Es erfordert allerdings ein genaues Achtgeben auf sich selbst durch längere Zeit, wenn man sich die Eigenschaft aneignen will, um die es sich hier handelt. Man muss darauf sehen, dass man Lust und Leid voll miterleben kann, ohne sich dabei so zu verlieren, dass man dem, was man empfindet, einen unwillkürlichen Ausdruck gibt. Nicht den berechtigten Schmerz soll man unterdrücken, sondern das unwillkürliche Weinen; nicht den Abscheu vor einer schlechten Handlung, sondern das blinde Wüten des Zorns; nicht das Achten auf eine Gefahr, sondern das fruchtlose «sich fürchten» und so weiter. — Nur durch eine solche Übung gelangt der Geistesschüler dazu, jene Ruhe in seinem Gemüt zu haben, welche notwendig ist, damit nicht beim Geborenwerden und namentlich bei der Betätigung des höheren Ich die Seele wie eine Art Doppelgänger neben diesem höheren Ich ein zweites ungesundes Leben führt. Gerade diesen Dingen gegenüber sollte man sich keiner Selbsttäuschung hingeben. Es kann manchem scheinen, dass er einen gewissen Gleichmut im gewöhnlichen Leben schon habe und dass er deshalb diese Übung nicht nötig habe. Gerade ein solcher hat sie zweifach nötig. Man kann nämlich ganz gut gelassen sein, wenn man den Dingen des gewöhnlichen Lebens gegenübersteht; und dann beim Aufsteigen in eine höhere Welt kann sich um so mehr die Gleichgewichtslosigkeit, die nur zurückgedrängt war, geltend machen. Es muss durchaus erkannt werden, dass zur Geistesschulung es weniger darauf ankommt, was man vorher zu haben scheint, als vielmehr darauf, dass man ganz gesetzmäßig übt, was man braucht. So widerspruchsvoll dieser Satz auch aussieht: er ist richtig. Hat einem auch das Leben dies oder jenes anerzogen: zur Geistesschulung dienen die Eigenschaften, welche man sich selbst anerzogen hat. Hat einem das Leben Erregtheit beigebracht, so sollte man sich die Erregtheit aberziehen; hat einem aber das Leben Gleichmut beigebracht, so sollte man sich durch Selbsterziehung so aufrütteln, dass der Ausdruck der Seele dem empfangenen Eindruck entspricht. Wer über nichts lachen kann, beherrscht sein Leben ebensowenig wie derjenige, welcher, ohne sich zu beherrschen, fortwährend zum Lachen gereizt wird." GA 013, S. 248ff.

Im Buddhismus zählt Gleichmut (skrt. upekkhā) neben Liebe (Pali metta; skrt. maitri), Mitgefühl (skrt. karuna) und Mitfreude (skrt. mudita) zu den "Vier Unermesslichen", welche die feste Grundlage für jede Geistesschulung bilden.

Literatur

  1. Rudolf Steiner: Anweisungen für eine esoterische Schulung (Sonderausgabe), (GA 245) (1993) [1]
Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
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