Kalanchoe pinnata und Erbkrankheit: Unterschied zwischen den Seiten

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{{Taxobox
<gallery perrow="1" class="float-right" caption="Beispiele für Erbgänge" widths="200" heights="200">
| Taxon_WissName  = Kalanchoe pinnata
  Datei:Autosomal dominant - de.svg|Autosomal-dominanter Erbgang
| Taxon_Rang      = Art
  Datei:Autosomal recessive - de.svg|Autosomal-rezessiver Erbgang
| Taxon_Autor      = ([[Wikipedia:Jean-Baptiste de Lamarck|Lam.]]) [[Wikipedia:Christian Hendrik Persoon|Pers.]]
</gallery>
| Taxon2_Name      = Brutblätter
| Taxon2_WissName  = Bryophyllum
| Taxon2_Rang      = Sektion
| Taxon3_WissName = Kalanchoe
| Taxon3_Rang      = Gattung
| Taxon4_WissName = Kalanchoideae
| Taxon4_Rang      = Unterfamilie
| Taxon5_Name      = Dickblattgewächse
| Taxon5_WissName  = Crassulaceae
| Taxon5_Rang      = Familie
| Taxon6_Name      = Steinbrechartige
| Taxon6_WissName  = Saxifragales
| Taxon6_Rang      = Ordnung
| Bild            = Bryophyllum calycinum-Erstbeschreibung.jpg
| Bildbeschreibung = ''Kalanchoe pinnata''<br />Tafel aus der Beschreibung als ''Bryophyllum calycinum'' von 1805 durch [[Wikipedia:Richard Anthony Salisbury|Richard Anthony Salisbury]].
}}
[[Datei:Kalanchoe pinnata Blanco1.147.png|miniatur|Gut zu erkennen sind in dieser Illustration die unterschiedlich geformten Blätter: unten einfach und im Bereich des Blütenstandes zusammensetzt.]]
'''''Kalanchoe pinnata''''' ist eine [[Wikipedia:Art (Biologie)|Pflanzenart]] der Gattung ''[[Wikipedia:Kalanchoe|Kalanchoe]]'' in der Familie der [[Wikipedia:Dickblattgewächse|Dickblattgewächse]] (Crassulaceae). Die sogenannte '''Goethe-Pflanze''' wird häufig mit ''[[Wikipedia:Kalanchoe daigremontiana|Kalanchoe daigremontiana]]'' verwechselt.


== Beschreibung ==
Als '''Erbkrankheit''' (oder ''genetisch bedingte Krankheit'') werden Erkrankungen und Besonderheiten bezeichnet, die entweder durch eine [[Mutation]] (Genvariante) in einem [[Gen]] ([[Monogenie|monogen]]) oder durch mehrere Mutationen (Genvarianten) in verschiedenen Genen ([[Polygenie|polygen]]) ausgelöst werden können und die zu bestimmten Erkrankungs[[Disposition (Medizin)|dispositionen]] führen. In diesem Zusammenhang spricht man auch von [[Monogenetische Erkrankung|monogenetischer]] bzw. [[Polygenie|polygenetischer Erkrankung]].
Diese kräftige, meist aufrechte, oft verzweigte, ausdauernde, [[Wikipedia:sukkulente|sukkulente]] Pflanze erreicht Wuchshöhen von 0,3 bis zu 2 Metern. Die gegenständigen, gestielten [[Wikipedia:Blatt (Pflanze)|Laubblätter]] sind sukkulent, ledrig, fleischig, 5 bis 20&nbsp;cm lang und 2,5 bis 12&nbsp;cm breit; die unteren sind einfach und eiförmig, die oberen sind gefiedert und bis 13 Zentimeter lang. An den Einbuchtungen der gekerbten bis gesägten Blattränder bilden sich oft [[Wikipedia:Brutknospe|Brutknospe]]n. Der Blattstiel ist 2 bis 10&nbsp;cm lang.


Es werden achselständige, [[Wikipedia:Rispe|rispige]] [[Wikipedia:Blütenstände|Blütenstände]] gebildet. Der Blütenstiel weist eine Länge von 10 bis 25&nbsp;mm auf.
Im engeren Sinne zählt man jedoch nur jene Erkrankungen und Besonderheiten zu den Erbkrankheiten, die durch von Anfang an untypisch veränderte Gene ausgelöst und durch [[Vererbung (Biologie)|Vererbung]] von den Vorfahren auf ihre Nachkommen übertragen werden. Die früheste Methode zur Erforschung der Vererbungswege war die [[Stammbaumanalyse]] bei Familienstammbäumen, in denen beispielsweise die [[Hämophilie#Geschichte|Bluterkrankheit]] oder die [[Farbenblindheit]] usw. gehäuft auftraten.<ref>Ulrich Weber: ''Biologie Oberstufe. Gesamtband.'' Cornelsen, Berlin 2001, ISBN 3-464-04279-0, S. 180–182.</ref>
Die gestielten, hängenden, großen [[Wikipedia:Blüte|Blüte]]n sind zwittrig und fünfzählig. Die vier glatten, grün bis rot oder mit rot-violetten Streifen versehenen [[Wikipedia:Kelchblätter|Kelchblätter]] sind zu einer Kelchröhre mit einer Länge von 2,1 bis 3&nbsp;cm und einem Durchmesser von 0,6 bis 1,2&nbsp;cm verwachsen; diese endet in dreieckigen Kelchzipfeln. Die vier glatten, roten oder violetten [[Wikipedia:Kronblätter|Kronblätter]] sind glockenförmig verwachsen, 3,4 bis 5,4&nbsp;cm lang und 0,4 bis 0,7&nbsp;cm breit. Es sind zwei Kreise mit je vier [[Wikipedia:Staubblätter|Staubblätter]]n vorhanden. Die 2 bis 4,5&nbsp;mm langen Staubblätter sind mit dem unteren Viertel der Kronröhre verwachsen. Die vier 6 bis 12&nbsp;mm langen [[Wikipedia:Fruchtblätter|Fruchtblätter]] sind nur an ihrer Basis verwachsen. Die vier Griffel weisen eine Länge von 2 bis 3,5&nbsp;cm auf. Die Nektarschüppchen weisen eine Länge von 1,5 bis 2,6&nbsp;mm und eine Breite von 1 bis 1.8&nbsp;mm auf.


Je Blüte werden vier [[Wikipedia:Balgfrucht|Balgfrüchte]] gebildet; sie weisen eine Länge von 10 bis 14&nbsp;mm auf, sind von papierartigen Kelch umhüllt und enthalten viele Samen. Die winzigen, eiförmigen Samen weisen eine Länge von 0,8 bis 1,2&nbsp;mm und einen Durchmesser von 0,2 bis 0,35&nbsp;mm auf.
[[Syndrom]]e wie Formen von [[Trisomie]], bei denen sich nicht die übliche Zahl von 46 [[Chromosom]]en im menschlichen [[Genom]] findet, können somit genau genommen nicht als Erbkrankheit gezählt werden, da sie zumeist spontan erst bei der Zellteilung des [[Embryo]]s auftreten und daher selten von einem Elternteil geerbt werden.


== Verbreitung, Chromosomenzahl und Systematik ==
== Verschiedene Formen ==
Das natürliche Verbreitungsgebiet von ''Kalanchoe pinnata'' ist [[Wikipedia:Madagaskar|Madagaskar]]. Diese Art ist in den [[Wikipedia:Tropen|tropischen Gebieten]] von Afrika, Asien und Amerika verwildert.
Erbkrankheiten folgen verschiedenen [[Erbgang (Biologie)|Erbgängen]] und sind mit unterschiedlichen Vererbungs-, Wiederholungs- und Erkrankungswahrscheinlichkeiten verbunden. Man unterscheidet autosomal-rezessive und [[Autosomal-dominanter Erbgang|autosomal-dominante]] von gonosomalen und mitochondrialen Erbgängen.


Die [[Wikipedia:Chromosom|Chromosom]]enzahl ist <math>2n = 36</math>.<ref>F. Friedmann: ''Sur de nouveaux nombres chromosomiques dans le genre Kalanchoë (Crassulacées) à Madagascar''. In: ''Candollea.'' Band 26, Nr. 1, 1971, S. 103–107 ([http://horizon.documentation.ird.fr/exl-doc/pleins_textes/pleins_textes_5/b_fdi_04-05/05597.pdf PDF]; 211&nbsp;kB).</ref>
=== Autosomal-rezessive Erbgänge ===
[[Datei:Autorecessive 01.png|mini|Der autosomal-rezessive Erbgang]]


Eine erste Beschreibung erfolgte 1782 als ''Crassula pinnata'' durch den [[Wikipedia:Carl von Linné (Sohn)|Sohn von Carl von Linné]].<ref>Carl von Linné: ''Supplementum Plantarum Systematis Vegetabilium Editionis Decimae Tertiae, Generum Plantarum Editiones Sextae, et Specierum Plantarum Editionis Secundae.''. Braunschweig 1782, S. 191 ([http://www.botanicus.org/page/411224 online]).</ref> [[Wikipedia:Jean-Baptiste de Lamarck|Jean-Baptiste de Lamarck]] ordnete die Art als ''Cotyledon pinnata'' der Gattung ''[[Wikipedia:Cotyledon (Gattung)|Cotyledon]]'' zu.<ref>''Encyclopedie Methodique. Botanique''. Band 2, Paris 1786, S. 141 ([http://www.botanicus.org/page/720795 online]).</ref> [[Wikipedia:Christian Hendrik Persoon|Christian Hendrik Persoon]] stellte sie 1805 unter ihrem heutigen Namen in die Gattung ''[[Wikipedia:Kalanchoe|Kalanchoe]]''. <ref>''Synopsis plantarum, seu Enchiridium botanicum, complectens enumerationem systematicam specierum hucusque cognitarum''. Band 1, Paris 1805, S. 446 ([http://www.botanicus.org/page/235231 online]).</ref>
Die Besonderheit tritt nur dann in Erscheinung, wenn sich auf jeweils beiden [[Chromosom]]en eine Veränderung ([[Mutation]]) in beiden Kopien eines bestimmten [[Gen]]s findet, d.&nbsp;h., wenn der betreffende Mensch jeweils eine Veränderung von seinem biologischen Vater und eine von seiner biologischen Mutter geerbt hat. Die Eltern müssen dabei nicht betroffen sein, der [[Phänotyp]] tritt also nicht in jeder Generation auf. Die Mutation muss dabei nicht identisch sein. Führen zwei molekulargenetisch unterscheidbare Mutationen zu dem gleichen Funktionsverlust in einem Gen, so spricht man von ''[[Komplexe Heterozygotie|Compound Heterozygotie]]''. Beispiele für autosomal-rezessive Erbgänge sind [[Mukoviszidose]], [[Albinismus]] und [[Phenylketonurie]] (PKU) (Defekt der Phenylalaninhydroxylase).


Es existieren zahlreiche [[Wikipedia:Synonym (Taxonomie)|Synonyme]]. Das wichtigste davon ist die 1805 vorgenommen Beschreibung von ''Bryophyllum calycinum'' durch [[Wikipedia:Richard Anthony Salisbury|Richard Anthony Salisbury]]. Die von ihm gleichzeitig aufgestellte Gattung ''[[Bryophyllum]]'' ist heute eine [[Wikipedia:Sektion (Biologie)|Sektion]] der Gattung ''[[Wikipedia:Kalanchoe|Kalanchoe]]''. Ein weiteres Synonym ist ''Bryophyllum pinnatum''.
Ursachen für scheinbare Abweichungen autosomal rezessiver Vererbung sind [[Pseudodominanz]], [[Heterogenie]], [[Isodisomie]] und das Nichteinrechnen von [[Heterozygot]]en mit gesunden Kindern. Typische Beispiele sind:
* [[Adrenogenitales Syndrom]] (AGS),
* [[Ahornsirupkrankheit]],
* [[Albinismus]],
* [[Alkaptonurie]],
* [[Alpha1-Antitrypsinmangel]],
* [[Galaktosämie]],
* [[Hereditäre Fruktoseintoleranz]]
* [[Hämochromatose]]
* [[Joubert-Syndrom]],
* [[Kretinismus]],
* [[Kurzripp-Polydaktylie-Syndrom]] (Typ I, II, III, IV),
* [[Laurence-Moon-Biedl-Bardet-Syndrom]] ([[LMBB-Syndrom]]),
* [[Lippen-Kiefer-Gaumenspalte]]
* [[Morbus Wilson]]
* [[Mukopolysaccharidose]]n (MPS),
* [[Mukoviszidose]] bzw. ''Zystische Fibrose'',
* [[Nephrotisches Syndrom|Nephrotisches Syndrom vom finnischen Typ]],
* [[Peters-Plus-Syndrom]],
* [[Phenylketonurie]] (PKU),
* [[Ribbing-Syndrom]],
* [[Thalassämie]] und
* [[Xeroderma pigmentosum]].
* [[Zystenniere#Autosomal-rezessive polyzystische Nierenerkrankung|Autosomal-rezessive polyzystische Nierenerkrankung (ARPKD)]]


== Die „Goethe-Pflanze“ ==
=== Autosomal-dominante Erbgänge ===
[[Datei:Bryophyllum calycinum Candolle-Organographie végétale-Band2-Tafel22.jpg|miniatur|Abbildung von ''Bryophyllum calycinum'' auf Tafel 22 in Band 2 von [[Wikipedia:Augustin-Pyrame de Candolle|Augustin-Pyrame de Candolle]]s  ''Organographie végétale'' (1827).]]
[[Datei:Autodominant 01.png|mini|Der autosomal-dominante Erbgang]]
[[Datei:Bryophyllum calycinum Botanical Magazin-Band34-Tafel1409.jpg|miniatur|Tafel 1409 mit ''Bryophyllum calycinum'' im von [[William Curtis]] herausgegebenen ''Botanical Magazin'' (Band 34 von 1811).]]


Das erste, 1814 unter dem Namen ''Bryophyllum calycinum'' nach Deutschland eingeführte, Exemplar stammte aus dem [[Wikipedia:Royal Botanic Gardens (Kew)|Botanischen Garten Kew]] und wurde im [[Wikipedia:Botanischer Garten Hannover|Botanischen Garten Hannover]] vermehrt. 1817 erhielt der [[Wikipedia:Belvedere (Weimar)|Botanische Garten Belvedere]] in [[Wikipedia:Weimar|Weimar]] eines dieser Exemplare. Wenig später beobachtete [[Johann Wolfgang von Goethe]] dort, wie kleine Pflänzchen an den Blatträndern der Mutterpflanze wuchsen. Davon fasziniert, begann Goethe mit der Aufzucht und der genauen Beobachtung dieser Pflanze.
Hier führt bereits ein verändertes [[Allel]] (Allele sind die einander jeweils und gleichzeitig gegensätzlich entsprechenden Gene eines [[diploid]]en Chromosomensatzes) auf einem der beiden homologen Chromosomen zur Merkmalsausprägung. Die genetische Information liegt auf einem der 44 [[Autosom]]en vor und wird unabhängig vom [[Genetisches Geschlecht|Geschlecht]] vererbt. Frauen und Männer sind also gleichermaßen betroffen. Der [[Phänotyp]] tritt in jeder Generation auf. Beispiele sind:
* [[Achondroplasie]],
* [[Apert-Syndrom]],
* [[Brachydaktylie]],
* [[Chorea Huntington]] („Veitstanz“),
* [[Ehlers-Danlos-Syndrom]] (Typen I–IV, VII A/B, VIII),
* [[Engelmann-Syndrom]],
* [[Erythropoetische Protoporphyrie]],
* [[Faktor-V-Leiden-Mutation]]
* [[Familiäre Hypercholesterinämie]],
* [[Hereditäre motorisch-sensible Neuropathie|HMSN]] Typ I ([[Morbus Charcot-Marie-Tooth]]),
* [[Maligne Hyperthermie]],
* [[Marfan-Syndrom]],
* [[Multiple kartilaginäre Exostosen]]
* [[Myotone Dystrophie Typ I]],
* [[Neurofibromatose]] (Morbus Recklinghausen),
* [[Osteogenesis imperfecta]] (Typ I),
* [[Piebaldismus]],
* [[Polydaktylie]],
* [[Retinoblastom]],
* [[Ruvalcaba-Myhre-Smith-Syndrom]] und
* [[Sichelzellenanämie]].
* [[Zystenniere#Autosomal-dominante polyzystische Nierenerkrankung|Autosomal-dominante polyzystische Nierenerkrankung (ADPKD)]]


Der Präsident der [[Wikipedia:Leopoldina|Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina]] [[Wikipedia:Christian Gottfried Daniel Nees von Esenbeck|Christian Gottfried Daniel Nees von Esenbeck]] bat Goethe, eine wissenschaftliche Abhandlung für die ''Nova Acta Physico-Media Academiae'' zu schreiben. Goethe fertigte, unter Verwendung der Darstellung der Pflanze in [[Wikipedia:William Curtis|William Curtis]] ''Botanical Magazine'', im September 1820 einen ersten Entwurf an, der jedoch nicht publiziert wurde. Auch ein zweites Manuskript vom März 1826 blieb im Entwurf stecken.<ref>Rudolf Steiner (Herausgeber):''Goethes Werke. Abteilung II: Naturwissenschaftliche Schriften''. Band 6, Weimar 1891</ref> Zu Goethes Lebzeiten wurden nur kleine, fragmentarische Notizen von ihm über die Pflanze veröffentlicht.<ref>Johann Wolfgang von Goethe: ''Nacharbeiten und Sammlungen''. In: ''Zur Morphologie''. Heft 2, März 1820.</ref><ref>Johann Wolfgang von Goethe: ''Verstäubung, Verdunstung, Vertropfung''. In: ''Zur Morphologie''. Heft 3, Oktober 1820.</ref>
=== Gonosomale Erbgänge ===
[[Gonosom]]ale Erbkrankheiten, also solche, bei denen die Veränderung die Geschlechtschromosomen X bzw. Y betrifft, liegen in den meisten Fällen auf dem [[X-Chromosom]], da das [[Y-Chromosom]] weniger Gene enthält. Das X-Chromosom hat 155 Megabasen, das Y-Chromosom 59 Megabasen<ref>[http://www.ensembl.org/Homo_sapiens/Location/Genome Ensembl Datenbank], abgerufen am 11. Februar 2017.</ref> Am Beispiel der X-chromosomalen Vererbung werden folgende Besonderheiten deutlich:


Das ''Bryophyllum calycinum'' hatte auch Einfluss auf Goethes Dichtkunst. So schrieb er über die Pflanze beispielsweise das Gedicht ''Mit einem Blatt Bryophyllum calycinum''<ref>Johann Wolfgang von Goethe: ''Goethe's sämtliche Werke''. Band 6, J. G. Cotta, 1857, S. 161–162 ([http://books.google.ch/books?id=Zt8FAAAAQAAJ&pg=PA161 online])</ref>. Das Gedicht war Teil eines Briefes Goethes vom 19. April 1830 an [[Wikipedia:Marianne von Willemer|Marianne von Willemer]], dem auch ein Exemplar der Pflanze ''Brutblatt'' beigelegt war<ref>''FAZ''. 9. Juli 2010, S. 49</ref>.
==== X-chromosomal-rezessiv ====
<gallery perrow="2" class="float-right" caption="" widths="200" heights="200">
Datei:X-chromosomal-rezessive-Mutter.png|X-chromosomal-rezessiver Erbgang (Mutter ist Konduktor)
Datei:X-chromosomal-rezessive-Vater.png|X-chromosomal-rezessiver Erbgang (bei krankem Vater)
</gallery>


== Medizinische Verwendung ==
Mädchen/Frauen sind nur betroffen, wenn beide X-Chromosomen geschädigt sind, ansonsten sind sie nur Anlageträger ([[Konduktor]]en), d.&nbsp;h., sie können das veränderte X-Chromosom an ihre Kinder weitervererben, bilden selbst aber keinen entsprechenden Phänotyp aus. Mädchen/Frauen können vielfach die Veränderung auf einem X-Chromosom durch ihr zweites X-Chromosom ausgleichen, wenn es nicht verändert ist. Jungen/Männer sind dann betroffen, wenn sie das eine veränderte X-Chromosom von der phänotypisch gesunden Mutter, oder eines von beiden veränderten X-Chromosomen einer phänotypisch erkrankten Mutter vererbt bekommen, da Jungen/Männer ja ein X-Chromosom auf jeden Fall von der Mutter bekommen und auch nur dieses eine besitzen. Phänotypisch sind Jungen/Männer also häufiger betroffen, da Mädchen/Frauen den Defekt durch das andere X-Chromosom ausgleichen. Beispiele sind [[G6PD-Mangel|Glucose-6-Phosphat-Dehydrogenase-Mangel]] (G-6-PD-Mangel), [[Hämophilie]] A und B (Bluterkrankheit), [[Lesch-Nyhan-Syndrom]], [[Morbus Fabry]], [[Mukopolysaccharidose]] Typ II, [[Muskeldystrophie]] (Typ Duchenne, Typ Becker-Kiener), [[Norrie-Syndrom]], [[Retinitis pigmentosa]], [[Rot-Grün-Blindheit]], [[Septische Granulomatose]], [[X-SCID]] (severe combined immune deficiency) und [[Ornithin-Transcarbamylase]] (OTC)-Mangel<ref>J. E. Wraith: ''[http://adc.bmj.com/cgi/content/full/84/1/84 Ornithine carbamoyltransferase deficiency.]'' In: ''Archives of Disease in Childhood.'' Januar 2001, Band 84, Nr. 1, S. 84–88: ''Review.'' PMID 11124797.</ref> ([[Harnstoffzyklusdefekt]])
Seit Jahrzehnten wird ''Kalanchoe pinnata'' in der [[Anthroposophische Medizin|Anthroposophischen Medizin]] zur Wehenhemmung ([[Wikipedia:Tokolyse|Tokolyse]]) eingesetzt.<ref>Simões-Wüst, Rist: ''„Bryophyllum in der präklinischen und klinischen Forschung“''. In: ''Der Merkurstab''. Heft 5, 2007, S. 415-420 ([http://merkurstab.de/Dateien/Leseproben/rist_5.07.pdf PDF]; 76&nbsp;kB)</ref> Zahlreiche weitere positive Eigenschaften werden beschrieben, wie die Wirksamkeit bei [[Wikipedia:Leishmaniose|Leishmaniose]], Gelbsucht ([[Wikipedia:Hepatitis|Hepatitis]]), Bluthochdruck ([[Wikipedia:arterieller Hypertonus|arterieller Hypertonus]]) und bei  der Wundheilung. ''Kalanchoe pinnata'' wird deswegen seit langem in der traditionellen Medizin Afrikas, Indiens, Chinas und Australiens eingesetzt. Darüber hinaus werden [[Wikipedia:Antidiabetikum|antidiabetische]], [[Wikipedia:antibakteriell|antibakteriell]]e, [[Wikipedia:Immunsuppression|immunosupressive]], anti[[Wikipedia:mutagene|mutagene]] und Effekte bei [[Wikipedia:Tumor|Tumor]]erkrankungen beschrieben, die aber zum Teil noch Gegenstand  experimenteller Untersuchungen sind.<ref>A. Kamboj, A. K. Saluja: ''„Bryophyllum pinnatum (Lam.) Kurz.: Phytochemical and pharmacological profile : A review“''. In: ''Phcog Rev'' [serial online]. 2009, Nummer 3, S. 364–374 ([http://www.phcogrev.com/article.asp?issn=0973-7847;year=2009;volume=3;issue=6;spage=364;epage=374;aulast=Kamboj online])</ref>


== Nachweise ==
==== X-chromosomal-dominant ====
=== Literatur ===
<gallery perrow="2" class="float-right" caption="" widths="200" heights="200">
* {{Literatur| Autor=Bernard Descoings| Herausgeber=[[Wikipedia:Urs Eggli|Urs Eggli]]| Titel=Kalanchoe pinnata| Sammelwerk=Sukkulenten-Lexikon. Crassulaceae (Dickblattgewächse)| Verlag=Eugen Ulmer| Ort=Stuttgart| Jahr=2003| ISBN=3-8001-3998-7| Seiten=175}}
Datei:X-chromosomal-dominant-Vater.png|X-chromosomal-dominanter Erbgang (bei krankem Vater)
* [[Wikipedia:Hermann Jacobsen (Botaniker)|Hermann Jacobsen]]: ''Das Sukkulentenlexikon''. 3. Auflage. Fischer, Jena 1983, S. 275.
Datei:X-chromosomal-dominant-Mutter.png|X-chromosomal-dominanter Erbgang (bei kranker Mutter)
* [[Wikipedia:Günter Steiger|Günter Steiger]]: ''Diesem Geschöpfe leidenschaftlich zugetan. Bryophyllum calycinum Goethes »pantheistische Pflanze«''. Nationale Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen Literatur in Weimar 1986.
</gallery>


=== Einzelnachweise ===
Jungen/Männer sind zu 50 % betroffen, wenn ihre Mutter Trägerin eines kranken X-[[Chromosom]]s ist. Trägt eine Mutter dagegen 2 kranke X-Chromosomen, so sind alle Kinder betroffen. Mädchen/Frauen sind insgesamt häufiger betroffen, da die Wahrscheinlichkeit, ein verändertes X-Chromosom zu erhalten, bei zwei X-Chromosomen (eins vom Vater, eins von der Mutter) höher ist als bei Jungen/Männern (Eines von der Mutter). Beispiele sind [[Phosphatdiabetes|Familiäre phosphatämische Rachitis]] (auch ''idiopathisches Debré-de-Toni-Fanconi-Syndrom'' oder ''Vitamin-D-resistente [[Rachitis]]'' genannt), [[Rett-Syndrom]] und [[Oro-fazio-digitales Syndrom Typ 1]].
 
=== Mitochondriale bzw. Extrachromosomale Erbgänge ===
Etwa 0,1 Prozent der [[Desoxyribonukleinsäure|DNA]] einer menschlichen Zelle befinden sich nicht im Zellkern, sondern in den [[Mitochondrien]]. Da Eizellen im Gegensatz zu Spermien mehrere hunderttausend Mitochondrien besitzen, werden Mutationen in der Mitochondrien-DNA nur mütterlicherseits vererbt. Gleiches gilt für die [[Chloroplast]]en photosynthetisch aktiver Organismen.
 
Siehe auch [[Vererbung (Biologie)#Extrachromosomale Vererbung|Extrachromosomale Vererbung]]
 
== Diagnose und Behandlung ==
Bei Verdacht auf eine Erbkrankheit kann eine [[Humangenetik|humangenetische]] Untersuchung Klarheit verschaffen. Dabei werden die Chromosomen auf zahlenmäßige und strukturelle Veränderungen überprüft. Besteht dringender Verdacht auf einen bestimmten genetischen Defekt ist auch eine weitergehende, aufwändige Untersuchung einzelner Genkonstellationen möglich. Die Ergebnisse können dann bei der Risikoabschätzung bzgl. einer Vererbung hilfreich sein.
 
[[Therapie|Therapeutisch]] kann bei einer vorliegenden Besonderheit des Erbguts mit den heutigen medizinischen Möglichkeiten nicht auf die Ursachen eingewirkt werden. Es werden daher meist Ratschläge in Bezug auf die Lebensweise, Aufklärung über Risikofaktoren und [[symptom]]atische Maßnahmen getroffen. Dies sind dann individuelle Entscheidungen, zumal es sich nicht immer um eine Krankheit, sondern oft um eine [[Disposition (Medizin)|Disposition]] handelt.
 
== Geschichte ==
Der erst seit dem 20. Jahrhundert in der Bedeutung ''genetische Krankheit'' verwendete Begriff der Erbkrankheit<ref>Werner Sohn: ''Erbkrankheiten.'' In: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.): ''Enzyklopädie Medizingeschichte.'' De Gruyter, Berlin/ New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 366 f.; hier: S. 366.</ref> wurde in der ersten Hälfte des [[20. Jahrhundert]]s auch häufig falsch verwendet, unter anderem für angebliche „Krankheiten“ wie „kriminelle Neigung“ oder „Asozialität“.<ref>Wolfgang Ayaß: ''[http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:hebis:34-2007013016913 „Asozialer Nachwuchs ist für die Volksgemeinschaft vollkommen unerwünscht“. Die Zwangssterilisationen von sozialen Außenseitern].'' In: Margret Hamm (Hrsg.): ''Lebensunwert - zerstörte Leben. Zwangssterilisation und „Euthanasie“.'' Verlag für akademische Schriften (VAS), Frankfurt am Main 2005, ISBN 3-88864-391-0, S. 111–119.</ref> Dieses Denken beeinflusste [[Sterilisation]]s-Programme und den [[Euthanasie]]-Gedanken und fand seine extreme Ausprägung im deutschen [[Nationalsozialismus]], war aber zum damaligen Zeitpunkt auch in vielen anderen Ländern wie den USA, England und Frankreich vorhanden. Heute werden nur noch solche Krankheiten als Erbkrankheiten bezeichnet, die möglichst klar abgrenzbar sind und mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auf Gendefekte zurückgehen.
 
== Sonstige Erbkrankheiten und Besonderheiten ==
* [[Erbkrankheiten in endogamen Populationen]]
 
* [[Mayer-Rokitansky-Küster-Hauser-Syndrom]]
* [[Spastische Spinalparalyse|Hereditäre Spastische Spinalparalyse (HSP/FSP)]]
* [[Hypophosphatasie]]
* [[Ichthyose]]
* [[Katzenaugen-Syndrom]]
* [[Retinitis pigmentosa]], [[Usher-Syndrom]]
* [[Tuberöse Sklerose]]
* [[Wolf-Hirschhorn-Syndrom]]
 
== Genetisch bedingte Disposition ==
Diverse Erkrankungen, [[Behinderung]]en und Besonderheiten sind nicht im Sinne einer klassischen Erbkrankheit erblich, sondern ihr Auftreten kann durch eine (mitunter familiäre) genetische Erkrankungs[[Disposition (Medizin)|disposition]] (Veranlagung, Anfälligkeit) bedingt sein. Hierzu zählen z. B.:
 
* [[Adipositas]]
* [[Allergie]]n, diverse
* [[Alzheimer-Krankheit]]
* [[Autoimmunerkrankung]]en
* [[Bipolare Störung]]
* [[Bluthochdruck]]
* [[Creutzfeldt-Jakob-Krankheit]]
* [[Depression]]
* [[Diabetes mellitus]]
* [[Großzehenabweichung]] ([[Hallux valgus]])
* [[Haarausfall]]
* [[Herzfehler]]
* [[Herzinfarkt]]
* [[Krebs (Medizin)|Krebserkrankungen]] diverse (siehe [http://www.bundesaerztekammer.de/page.asp?his=0.7.45.3260 Richtlinien zur Diagnostik der genetischen Disposition für Krebserkrankungen] auf der Website der Bundesärztekammer)
* [[Laktoseintoleranz]]
* [[maligne Hyperthermie]]
* [[Migräne]]
* [[Multiple Sklerose]] (MS)
* [[Osteoporose]]
* [[Parkinson-Krankheit]]
* [[Psoriasis]]
* [[Rheuma]]
* [[Schizophrenie]]
* [[Schlaganfall]]
* [[Gehörlosigkeit|Taubheit]]
* Formen der [[Trisomie]] ([[Disposition (Medizin)|Disposition]] zur Entstehung einer Translokations-Trisomie bei Nachkommen beim Vorliegen einer „[[Translokation (Genetik)|Balancierten Translokation]]“ des entsprechenden Chromosoms bei Eltern ohne die jeweilige Form von Trisomie)
* [[Vitiligo]]
 
== Siehe auch ==
* {{WikipediaDE|Kategorie:Genetische Störung}}
* {{WikipediaDE|Kategorie:Erbkrankheit}}
* {{WikipediaDE|Erbkrankheit}}
* {{WikipediaDE|Liste von Erbkrankheiten}}
* {{WikipediaDE|Genetik}}
* {{WikipediaDE|Erbliche Tumorerkrankungen}}
* {{WikipediaDE|Pränataldiagnostik}}
* {{WikipediaDE|Präimplantationsdiagnostik}}
* {{WikipediaDE|Kategorie:Erbkrankheit des Hundes}}
 
== Weblinks ==
{{Wikibooks|Klinische Humangenetik}}
{{Wiktionary}}
* [http://www.mallig.eduvinet.de/bio/Repetito/Banaly1.html Einführung in die Stammbaumanalyse]
* [http://www.genome.gov/10005911 Human genetics: A Resource For Teachers] (englisch)
 
== Einzelnachweise ==
<references />
<references />


== Weblinks ==
{{Gesundheitshinweis}}
{{Commonscat|Kalanchoe pinnata|''Kalanchoe pinnata''}}
{{Normdaten|TYP=s|GND=4015106-2}}
* [http://www.efloras.org/florataxon.aspx?flora_id=5&taxon_id=200009773 Beschreibung in der Flora of Pakistan.] (englisch)


[[Kategorie:Pflanze]]
[[Kategorie:Genetische Störung]]
[[Kategorie:Kalanchoe (Gattung)]]
[[Kategorie:Erbkrankheit|!]]
[[Kategorie:Kalanchoe|pinnata]]
[[Kategorie:Humangenetik]]
[[Kategorie:Behinderungsart]]
[[Kategorie:Fehlbildung]]
[[Kategorie:Krankheit]]


{{Wikipedia}}
{{Wikipedia}}

Version vom 22. Mai 2018, 07:29 Uhr

Als Erbkrankheit (oder genetisch bedingte Krankheit) werden Erkrankungen und Besonderheiten bezeichnet, die entweder durch eine Mutation (Genvariante) in einem Gen (monogen) oder durch mehrere Mutationen (Genvarianten) in verschiedenen Genen (polygen) ausgelöst werden können und die zu bestimmten Erkrankungsdispositionen führen. In diesem Zusammenhang spricht man auch von monogenetischer bzw. polygenetischer Erkrankung.

Im engeren Sinne zählt man jedoch nur jene Erkrankungen und Besonderheiten zu den Erbkrankheiten, die durch von Anfang an untypisch veränderte Gene ausgelöst und durch Vererbung von den Vorfahren auf ihre Nachkommen übertragen werden. Die früheste Methode zur Erforschung der Vererbungswege war die Stammbaumanalyse bei Familienstammbäumen, in denen beispielsweise die Bluterkrankheit oder die Farbenblindheit usw. gehäuft auftraten.[1]

Syndrome wie Formen von Trisomie, bei denen sich nicht die übliche Zahl von 46 Chromosomen im menschlichen Genom findet, können somit genau genommen nicht als Erbkrankheit gezählt werden, da sie zumeist spontan erst bei der Zellteilung des Embryos auftreten und daher selten von einem Elternteil geerbt werden.

Verschiedene Formen

Erbkrankheiten folgen verschiedenen Erbgängen und sind mit unterschiedlichen Vererbungs-, Wiederholungs- und Erkrankungswahrscheinlichkeiten verbunden. Man unterscheidet autosomal-rezessive und autosomal-dominante von gonosomalen und mitochondrialen Erbgängen.

Autosomal-rezessive Erbgänge

Der autosomal-rezessive Erbgang

Die Besonderheit tritt nur dann in Erscheinung, wenn sich auf jeweils beiden Chromosomen eine Veränderung (Mutation) in beiden Kopien eines bestimmten Gens findet, d. h., wenn der betreffende Mensch jeweils eine Veränderung von seinem biologischen Vater und eine von seiner biologischen Mutter geerbt hat. Die Eltern müssen dabei nicht betroffen sein, der Phänotyp tritt also nicht in jeder Generation auf. Die Mutation muss dabei nicht identisch sein. Führen zwei molekulargenetisch unterscheidbare Mutationen zu dem gleichen Funktionsverlust in einem Gen, so spricht man von Compound Heterozygotie. Beispiele für autosomal-rezessive Erbgänge sind Mukoviszidose, Albinismus und Phenylketonurie (PKU) (Defekt der Phenylalaninhydroxylase).

Ursachen für scheinbare Abweichungen autosomal rezessiver Vererbung sind Pseudodominanz, Heterogenie, Isodisomie und das Nichteinrechnen von Heterozygoten mit gesunden Kindern. Typische Beispiele sind:

Autosomal-dominante Erbgänge

Der autosomal-dominante Erbgang

Hier führt bereits ein verändertes Allel (Allele sind die einander jeweils und gleichzeitig gegensätzlich entsprechenden Gene eines diploiden Chromosomensatzes) auf einem der beiden homologen Chromosomen zur Merkmalsausprägung. Die genetische Information liegt auf einem der 44 Autosomen vor und wird unabhängig vom Geschlecht vererbt. Frauen und Männer sind also gleichermaßen betroffen. Der Phänotyp tritt in jeder Generation auf. Beispiele sind:

Gonosomale Erbgänge

Gonosomale Erbkrankheiten, also solche, bei denen die Veränderung die Geschlechtschromosomen X bzw. Y betrifft, liegen in den meisten Fällen auf dem X-Chromosom, da das Y-Chromosom weniger Gene enthält. Das X-Chromosom hat 155 Megabasen, das Y-Chromosom 59 Megabasen[2] Am Beispiel der X-chromosomalen Vererbung werden folgende Besonderheiten deutlich:

X-chromosomal-rezessiv

Mädchen/Frauen sind nur betroffen, wenn beide X-Chromosomen geschädigt sind, ansonsten sind sie nur Anlageträger (Konduktoren), d. h., sie können das veränderte X-Chromosom an ihre Kinder weitervererben, bilden selbst aber keinen entsprechenden Phänotyp aus. Mädchen/Frauen können vielfach die Veränderung auf einem X-Chromosom durch ihr zweites X-Chromosom ausgleichen, wenn es nicht verändert ist. Jungen/Männer sind dann betroffen, wenn sie das eine veränderte X-Chromosom von der phänotypisch gesunden Mutter, oder eines von beiden veränderten X-Chromosomen einer phänotypisch erkrankten Mutter vererbt bekommen, da Jungen/Männer ja ein X-Chromosom auf jeden Fall von der Mutter bekommen und auch nur dieses eine besitzen. Phänotypisch sind Jungen/Männer also häufiger betroffen, da Mädchen/Frauen den Defekt durch das andere X-Chromosom ausgleichen. Beispiele sind Glucose-6-Phosphat-Dehydrogenase-Mangel (G-6-PD-Mangel), Hämophilie A und B (Bluterkrankheit), Lesch-Nyhan-Syndrom, Morbus Fabry, Mukopolysaccharidose Typ II, Muskeldystrophie (Typ Duchenne, Typ Becker-Kiener), Norrie-Syndrom, Retinitis pigmentosa, Rot-Grün-Blindheit, Septische Granulomatose, X-SCID (severe combined immune deficiency) und Ornithin-Transcarbamylase (OTC)-Mangel[3] (Harnstoffzyklusdefekt)

X-chromosomal-dominant

Jungen/Männer sind zu 50 % betroffen, wenn ihre Mutter Trägerin eines kranken X-Chromosoms ist. Trägt eine Mutter dagegen 2 kranke X-Chromosomen, so sind alle Kinder betroffen. Mädchen/Frauen sind insgesamt häufiger betroffen, da die Wahrscheinlichkeit, ein verändertes X-Chromosom zu erhalten, bei zwei X-Chromosomen (eins vom Vater, eins von der Mutter) höher ist als bei Jungen/Männern (Eines von der Mutter). Beispiele sind Familiäre phosphatämische Rachitis (auch idiopathisches Debré-de-Toni-Fanconi-Syndrom oder Vitamin-D-resistente Rachitis genannt), Rett-Syndrom und Oro-fazio-digitales Syndrom Typ 1.

Mitochondriale bzw. Extrachromosomale Erbgänge

Etwa 0,1 Prozent der DNA einer menschlichen Zelle befinden sich nicht im Zellkern, sondern in den Mitochondrien. Da Eizellen im Gegensatz zu Spermien mehrere hunderttausend Mitochondrien besitzen, werden Mutationen in der Mitochondrien-DNA nur mütterlicherseits vererbt. Gleiches gilt für die Chloroplasten photosynthetisch aktiver Organismen.

Siehe auch Extrachromosomale Vererbung

Diagnose und Behandlung

Bei Verdacht auf eine Erbkrankheit kann eine humangenetische Untersuchung Klarheit verschaffen. Dabei werden die Chromosomen auf zahlenmäßige und strukturelle Veränderungen überprüft. Besteht dringender Verdacht auf einen bestimmten genetischen Defekt ist auch eine weitergehende, aufwändige Untersuchung einzelner Genkonstellationen möglich. Die Ergebnisse können dann bei der Risikoabschätzung bzgl. einer Vererbung hilfreich sein.

Therapeutisch kann bei einer vorliegenden Besonderheit des Erbguts mit den heutigen medizinischen Möglichkeiten nicht auf die Ursachen eingewirkt werden. Es werden daher meist Ratschläge in Bezug auf die Lebensweise, Aufklärung über Risikofaktoren und symptomatische Maßnahmen getroffen. Dies sind dann individuelle Entscheidungen, zumal es sich nicht immer um eine Krankheit, sondern oft um eine Disposition handelt.

Geschichte

Der erst seit dem 20. Jahrhundert in der Bedeutung genetische Krankheit verwendete Begriff der Erbkrankheit[4] wurde in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts auch häufig falsch verwendet, unter anderem für angebliche „Krankheiten“ wie „kriminelle Neigung“ oder „Asozialität“.[5] Dieses Denken beeinflusste Sterilisations-Programme und den Euthanasie-Gedanken und fand seine extreme Ausprägung im deutschen Nationalsozialismus, war aber zum damaligen Zeitpunkt auch in vielen anderen Ländern wie den USA, England und Frankreich vorhanden. Heute werden nur noch solche Krankheiten als Erbkrankheiten bezeichnet, die möglichst klar abgrenzbar sind und mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auf Gendefekte zurückgehen.

Sonstige Erbkrankheiten und Besonderheiten

Genetisch bedingte Disposition

Diverse Erkrankungen, Behinderungen und Besonderheiten sind nicht im Sinne einer klassischen Erbkrankheit erblich, sondern ihr Auftreten kann durch eine (mitunter familiäre) genetische Erkrankungsdisposition (Veranlagung, Anfälligkeit) bedingt sein. Hierzu zählen z. B.:

Siehe auch

Weblinks

 Wikibooks: Klinische Humangenetik – Lern- und Lehrmaterialien
 Wiktionary: Erbkrankheit – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Ulrich Weber: Biologie Oberstufe. Gesamtband. Cornelsen, Berlin 2001, ISBN 3-464-04279-0, S. 180–182.
  2. Ensembl Datenbank, abgerufen am 11. Februar 2017.
  3. J. E. Wraith: Ornithine carbamoyltransferase deficiency. In: Archives of Disease in Childhood. Januar 2001, Band 84, Nr. 1, S. 84–88: Review. PMID 11124797.
  4. Werner Sohn: Erbkrankheiten. In: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. De Gruyter, Berlin/ New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 366 f.; hier: S. 366.
  5. Wolfgang Ayaß: „Asozialer Nachwuchs ist für die Volksgemeinschaft vollkommen unerwünscht“. Die Zwangssterilisationen von sozialen Außenseitern. In: Margret Hamm (Hrsg.): Lebensunwert - zerstörte Leben. Zwangssterilisation und „Euthanasie“. Verlag für akademische Schriften (VAS), Frankfurt am Main 2005, ISBN 3-88864-391-0, S. 111–119.
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