Blutversorgung des Gehirns und Erbkrankheit: Unterschied zwischen den Seiten

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[[Datei:Hirnarterien.jpg|mini|Arterien des Gehirns<br />(Ansicht von unten, der rechte Schläfenlappen wurde teilweise entfernt)]]
<gallery perrow="1" class="float-right" caption="Beispiele für Erbgänge" widths="200" heights="200">
[[Datei:Human brainstem blood supply.JPG|mini|Präparat des Gehirns mit den ''Arteriae vertebrales'', der ''Arteria basilaris'', den Kleinhirnarterien und einem vollständigen Circulus arteriosus beim Menschen (Perspektive wie bei der Abbildung oben)]]
Datei:Autosomal dominant - de.svg|Autosomal-dominanter Erbgang
Die '''Blutversorgung des Gehirns''' ist der Teil des [[Blutkreislauf]]es, der dem [[Gehirn]] [[Sauerstoff]], [[Glucose]] und andere Nährstoffe zuführt und Stoffwechselprodukte sowie [[Kohlenstoffdioxid]] abtransportiert. Sie unterliegt einigen [[Anatomie|anatomischen]] und [[Physiologie|physiologischen]] Besonderheiten. Grund hierfür ist, dass das Organ Gehirn einen sehr hohen basalen [[Stoffwechsel]] aufweist – das menschliche Gehirn beansprucht bereits in Ruhe ein Fünftel des gesamten Sauerstoffbedarfs des Körpers. Außerdem sind [[Nervenzelle]]n anders als andere Körperzellen nicht in der Lage, ihren Energiebedarf in ausreichendem Maße ohne Sauerstoff, also [[Anaerobie|anaerob]], zu decken. Zur Sicherung der kontinuierlichen Sauerstoff- und Substratversorgung gibt es daher mehrere Sicherheitssysteme.
Datei:Autosomal recessive - de.svg|Autosomal-rezessiver Erbgang
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Vier große Schlagadern versorgen das Gehirn des [[Mensch]]en und der meisten [[Säugetiere]] mit sauerstoffreichem Blut (alte Bezeichnung: „arterielles Blut“). Je zwei liegen auf jeder Seite des [[Hals]]es, vorn die [[Arteria carotis interna|inneren Halsschlagadern]] ''(Arteriae carotides internae)'' und hinten die [[Arteria vertebralis|Wirbelarterien]] ''(Arteriae vertebrales)''. Das Blut fließt nach der Passage des Gehirns über besondere [[Sinus durae matris|venöse Hirnblutleiter]] ''(Sinus durae matris)'' ab, die gegenüber den [[Vene]]n einige Besonderheiten aufweisen.
Als '''Erbkrankheit''' (oder ''genetisch bedingte Krankheit'') werden Erkrankungen und Besonderheiten bezeichnet, die entweder durch eine [[Mutation]] (Genvariante) in einem [[Gen]] ([[Monogenie|monogen]]) oder durch mehrere Mutationen (Genvarianten) in verschiedenen Genen ([[Polygenie|polygen]]) ausgelöst werden können und die zu bestimmten Erkrankungs[[Disposition (Medizin)|dispositionen]] führen. In diesem Zusammenhang spricht man auch von [[Monogenetische Erkrankung|monogenetischer]] bzw. [[Polygenie|polygenetischer Erkrankung]].


== Grundlagen ==
Im engeren Sinne zählt man jedoch nur jene Erkrankungen und Besonderheiten zu den Erbkrankheiten, die durch von Anfang an untypisch veränderte Gene ausgelöst und durch [[Vererbung (Biologie)|Vererbung]] von den Vorfahren auf ihre Nachkommen übertragen werden. Die früheste Methode zur Erforschung der Vererbungswege war die [[Stammbaumanalyse]] bei Familienstammbäumen, in denen beispielsweise die [[Hämophilie#Geschichte|Bluterkrankheit]] oder die [[Farbenblindheit]] usw. gehäuft auftraten.<ref>Ulrich Weber: ''Biologie Oberstufe. Gesamtband.'' Cornelsen, Berlin 2001, ISBN 3-464-04279-0, S. 180–182.</ref>
Das Blutvolumen je 100&nbsp;ml Hirnsubstanz liegt in Ruhe bei knapp 4&nbsp;ml. Der normale Blutfluss im [[Hirngewebe]] beträgt beim Menschen zwischen 40 und 50&nbsp;ml [[Blut]] pro 100&nbsp;g Gewebe pro Minute.<ref>H. Ito, I. Kanno, H. Fukuda: ''Human cerebral circulation: positron emission tomography studies.'' In: ''Annals of nuclear medicine.'' Band 19, Nummer 2, April 2005, S.&nbsp;65–74, {{ISSN|0914-7187}}. PMID 15909484.</ref> In der [[Graue Substanz|grauen Substanz]] ist er deutlich höher (90&nbsp;ml/100&nbsp;g/min) als in der [[Weiße Substanz|weißen Substanz]] (25&nbsp;ml/100&nbsp;g/min).<ref>[[Otto Detlev Creutzfeldt]]: ''Allgemeine Neurophysiologie der Hirnrinde.'' In: Otto Detlev Creutzfeldt (Hrsg.): ''Cortex cerebri.'' Springer Verlag, Berlin 1983, ISBN 3-540-12193-5.</ref> Ein Abfall der Durchblutungsrate auf die Hälfte kann noch ohne weiteres kompensiert werden (unter anderem durch höhere Sauerstoffausschöpfung). Ein Abfall unter 20&nbsp;ml/100&nbsp;g/min führt jedoch zu zunächst reversiblen Ausfallerscheinungen. Wenn die Durchblutungsrate auf weniger als 15&nbsp;ml/100&nbsp;g/min sinkt, tritt binnen einiger Minuten bis einiger Stunden ein allmählicher [[Nekrose|Zelluntergang]] ein. Weniger als 10&nbsp;ml/100&nbsp;g/min werden von den Nervenzellen nicht toleriert – es kommt binnen acht bis zehn Minuten zum endgültigen Zelluntergang.<ref>Klaus Poeck, Werner Hacke: ''Neurologie.'' 10. vollständig überarbeitete Auflage. Springer, Berlin 1998, ISBN 3-540-63028-7.</ref>


== Anatomie ==
[[Syndrom]]e wie Formen von [[Trisomie]], bei denen sich nicht die übliche Zahl von 46 [[Chromosom]]en im menschlichen [[Genom]] findet, können somit genau genommen nicht als Erbkrankheit gezählt werden, da sie zumeist spontan erst bei der Zellteilung des [[Embryo]]s auftreten und daher selten von einem Elternteil geerbt werden.
Im Folgenden wird – wenn nicht explizit anders benannt – die anatomische Situation beim Menschen beschrieben.
: ''Für den prinzipiellen Aufbau des Kreislaufsystems siehe Hauptartikel: [[Blutkreislauf]] und [[Blut]]''


=== Zuflüsse ===
== Verschiedene Formen ==
[[Datei:HirnversorgendeArterien.jpg|mini|Hirnversorgende Arterien: Halsschlagader (vorne) und Wirbelschlagader (hinten)]]
Erbkrankheiten folgen verschiedenen [[Erbgang (Biologie)|Erbgängen]] und sind mit unterschiedlichen Vererbungs-, Wiederholungs- und Erkrankungswahrscheinlichkeiten verbunden. Man unterscheidet autosomal-rezessive und [[Autosomal-dominanter Erbgang|autosomal-dominante]] von gonosomalen und mitochondrialen Erbgängen.
Es ist üblich, bei den Zuflüssen einen vorderen und einen hinteren Kreislauf zu unterscheiden, auch wenn es Verbindungen zwischen beiden gibt, sogenannte [[Anastomose]]n.


==== Vorderer Kreislauf ====
=== Autosomal-rezessive Erbgänge ===
Den Hauptbeitrag zum arteriellen Zustrom tragen die rechte und linke [[Arteria carotis interna|innere Halsschlagader]] (''Arteria carotis interna dextra et sinistra''), die aus der [[Arteria carotis communis|gemeinsamen Halsschlagader]] (''Arteria carotis communis dextra et sinistra'') jeder Halsseite entspringen. Die Halsschlagader wiederum ist einer der großen Abgänge aus dem [[Aortenbogen]]. Ihr [[Puls]] kann leicht vor dem Kopfwendermuskel (''[[Musculus sternocleidomastoideus]]'') getastet werden.
[[Datei:Autorecessive 01.png|mini|Der autosomal-rezessive Erbgang]]


Nach dem Eintritt in den Schädel durch den ''Canalis caroticus'' zweigt aus der ''Arteria carotis interna'' jeder Seite ein Gefäß zum [[Auge]] (''[[Arteria ophthalmica]]'') ab. Nach Abgabe weiterer kleinerer Äste teilt sie sich in die Hauptstämme des vorderen Kreislaufs, die [[Arteria cerebri media|mittlere Hirnarterie]] (''Arteria cerebri media'') und die [[Arteria cerebri anterior|vordere Hirnarterie]] (''Arteria cerebri anterior'', bei Tieren als ''Arteria cerebri rostralis'' bezeichnet). Erstere versorgt die seitlichen (''lateralen''), letztere die der Mitte zugewandten (''medialen'') Teile der jeweiligen Großhirnhemisphäre mit Ausnahme von Teilen des [[Temporallappen]]s und des gesamten [[Occipitallappen]]s, die vom hinteren Kreislauf gespeist werden. Die tiefen Kerngebiete ([[Basalganglien]], [[Thalamus]]) haben eine gemischte Versorgung. Die beiden vorderen Hirnarterien sind durch die sehr kurze ''[[Arteria communicans anterior]]'' miteinander verbunden.
Die Besonderheit tritt nur dann in Erscheinung, wenn sich auf jeweils beiden [[Chromosom]]en eine Veränderung ([[Mutation]]) in beiden Kopien eines bestimmten [[Gen]]s findet, d.&nbsp;h., wenn der betreffende Mensch jeweils eine Veränderung von seinem biologischen Vater und eine von seiner biologischen Mutter geerbt hat. Die Eltern müssen dabei nicht betroffen sein, der [[Phänotyp]] tritt also nicht in jeder Generation auf. Die Mutation muss dabei nicht identisch sein. Führen zwei molekulargenetisch unterscheidbare Mutationen zu dem gleichen Funktionsverlust in einem Gen, so spricht man von ''[[Komplexe Heterozygotie|Compound Heterozygotie]]''. Beispiele für autosomal-rezessive Erbgänge sind [[Mukoviszidose]], [[Albinismus]] und [[Phenylketonurie]] (PKU) (Defekt der Phenylalaninhydroxylase).


Anders ist die Situation bei [[Wiederkäuer]]n: Hier verschließt sich der außerhalb der [[Schädel]]höhle liegende Abschnitt der ''Arteria carotis interna'' nach der [[Geburt]] und nur der innerhalb des Schädels liegende Teil bleibt offen. Dieser bekommt dann sekundär seine Blutzufuhr aus der [[Arteria maxillaris|Oberkieferarterie]] (''Arteria maxillaris''). Im Mündungsbereich dieser zuführenden Äste bildet sich ein feines, weitverzweigtes Netz aus kleineren Gefäßen aus, das die Anatomen [[Wundernetz]] (''Rete mirabile'') nennen. Auch bei ausgewachsenen Katzen verschließt sich der außerhalb der [[Schädelhöhle]] befindliche Teil der inneren Halsschlagader. Hier bildet die Oberkieferarterie selbst ein Wundernetz (''Rete mirabile arteriae maxillaris'') von dem mehrere Äste (''Rami retis'') durch die [[Fissura orbitalis]] in die Schädelhöhle ziehen und die Blutzufuhr zum vorderen Kreislauf übernehmen.<ref>U. Gille: ''Herz-Kreislauf- und Abwehrsystem, Angiologia.'' In: Franz-Victor Salomon, H. Geyer, U. Gille: ''Anatomie für die Tiermedizin''. Enke, Stuttgart 2004, ISBN 3-8304-1007-7.</ref>
Ursachen für scheinbare Abweichungen autosomal rezessiver Vererbung sind [[Pseudodominanz]], [[Heterogenie]], [[Isodisomie]] und das Nichteinrechnen von [[Heterozygot]]en mit gesunden Kindern. Typische Beispiele sind:
* [[Adrenogenitales Syndrom]] (AGS),
* [[Ahornsirupkrankheit]],
* [[Albinismus]],
* [[Alkaptonurie]],
* [[Alpha1-Antitrypsinmangel]],
* [[Galaktosämie]],
* [[Hereditäre Fruktoseintoleranz]]
* [[Hämochromatose]]
* [[Joubert-Syndrom]],
* [[Kretinismus]],
* [[Kurzripp-Polydaktylie-Syndrom]] (Typ I, II, III, IV),
* [[Laurence-Moon-Biedl-Bardet-Syndrom]] ([[LMBB-Syndrom]]),
* [[Lippen-Kiefer-Gaumenspalte]]
* [[Morbus Wilson]]
* [[Mukopolysaccharidose]]n (MPS),
* [[Mukoviszidose]] bzw. ''Zystische Fibrose'',
* [[Nephrotisches Syndrom|Nephrotisches Syndrom vom finnischen Typ]],
* [[Peters-Plus-Syndrom]],
* [[Phenylketonurie]] (PKU),
* [[Ribbing-Syndrom]],
* [[Thalassämie]] und
* [[Xeroderma pigmentosum]].
* [[Zystenniere#Autosomal-rezessive polyzystische Nierenerkrankung|Autosomal-rezessive polyzystische Nierenerkrankung (ARPKD)]]


==== Hinterer Kreislauf ====
=== Autosomal-dominante Erbgänge ===
Die rechte und linke [[Arteria vertebralis|Wirbelarterie]] (''Arteria vertebralis dextra et sinistra''), die aus den [[Arteria subclavia|Schlüsselbein-Schlagadern]] (''Arteria subclavia'') entspringen und entlang der [[Halswirbelsäule]] verlaufen, haben einen geringeren Durchmesser als die Halsschlagadern. Sie treten dabei durch Öffnungen der [[Querfortsatz|Querfortsätze]] der oberen sechs [[Halswirbel]]. Die beiden Wirbelarterien gelangen durch das ''[[Foramen magnum]]'' in die Schädelhöhle und vereinigen sich auf Höhe der kaudalen [[Pons|Brücke]] zur unpaaren ''[[Arteria basilaris]]''.
[[Datei:Autodominant 01.png|mini|Der autosomal-dominante Erbgang]]


Die Wirbelarterien in ihren Endsegmenten und die ''Arteria basilaris'' entsenden Äste zum [[Hirnstamm]] und [[Kleinhirn]] (''[[Arteria cerebelli inferior posterior|A. cerebelli inferior posterior]]'', ''[[Arteria cerebelli inferior anterior|A. cerebelli inferior anterior]]'', ''[[Arteria cerebelli superior|A. cerebelli superior]]''). Oberhalb der Brücke teilt sich die Arteria basilaris abermals und wird zu den beiden [[Arteria cerebri posterior|hinteren Hirnarterien]], die sich in die ''Arteriae occipitales medialis'' bzw. ''lateralis'' teilen und die hinteren Bezirke des [[Telencephalon|Großhirns]] sowie Teile des [[Zwischenhirn]]s versorgen. Eine individuell unterschiedlich stark angelegte ''[[Arteria communicans posterior]]'' verbindet die hintere Hirnarterie jeder Seite mit der inneren Halsschlagader.
Hier führt bereits ein verändertes [[Allel]] (Allele sind die einander jeweils und gleichzeitig gegensätzlich entsprechenden Gene eines [[diploid]]en Chromosomensatzes) auf einem der beiden homologen Chromosomen zur Merkmalsausprägung. Die genetische Information liegt auf einem der 44 [[Autosom]]en vor und wird unabhängig vom [[Genetisches Geschlecht|Geschlecht]] vererbt. Frauen und Männer sind also gleichermaßen betroffen. Der [[Phänotyp]] tritt in jeder Generation auf. Beispiele sind:
* [[Achondroplasie]],
* [[Apert-Syndrom]],
* [[Brachydaktylie]],
* [[Chorea Huntington]] („Veitstanz“),
* [[Ehlers-Danlos-Syndrom]] (Typen I–IV, VII A/B, VIII),
* [[Engelmann-Syndrom]],
* [[Erythropoetische Protoporphyrie]],
* [[Faktor-V-Leiden-Mutation]]
* [[Familiäre Hypercholesterinämie]],
* [[Hereditäre motorisch-sensible Neuropathie|HMSN]] Typ I ([[Morbus Charcot-Marie-Tooth]]),
* [[Maligne Hyperthermie]],
* [[Marfan-Syndrom]],
* [[Multiple kartilaginäre Exostosen]]
* [[Myotone Dystrophie Typ I]],
* [[Neurofibromatose]] (Morbus Recklinghausen),
* [[Osteogenesis imperfecta]] (Typ I),
* [[Piebaldismus]],
* [[Polydaktylie]],
* [[Retinoblastom]],
* [[Ruvalcaba-Myhre-Smith-Syndrom]] und
* [[Sichelzellenanämie]].
* [[Zystenniere#Autosomal-dominante polyzystische Nierenerkrankung|Autosomal-dominante polyzystische Nierenerkrankung (ADPKD)]]


{| border="0" cellspacing="20"
=== Gonosomale Erbgänge ===
|[[Datei:Gray's Anatomy plate 517 brain.png|links|200px|Aufsicht auf die linke Hemisphäre von lateral]]
[[Gonosom]]ale Erbkrankheiten, also solche, bei denen die Veränderung die Geschlechtschromosomen X bzw. Y betrifft, liegen in den meisten Fällen auf dem [[X-Chromosom]], da das [[Y-Chromosom]] weniger Gene enthält. Das X-Chromosom hat 155 Megabasen, das Y-Chromosom 59 Megabasen<ref>[http://www.ensembl.org/Homo_sapiens/Location/Genome Ensembl Datenbank], abgerufen am 11. Februar 2017.</ref> Am Beispiel der X-chromosomalen Vererbung werden folgende Besonderheiten deutlich:
|[[Datei:Gray518.png|links|200px|Aufsicht auf die linke Hemisphäre von medial]]
|<br /><u>Versorgungsgebiete der [[Großhirnrinde]]:</u><br />
''[[Arteria cerebri anterior]]'' (blau unterlegt)<br />
''[[Arteria cerebri media]]'' (rot)<br />
''[[Arteria cerebri posterior]]'' (gelb)
|}


==== Varietäten ====
==== X-chromosomal-rezessiv ====
Etwa ein Drittel der Normalbevölkerung zeigt Abweichungen im individuellen Verlauf der beschriebenen Gefäße von diesem „Lehrbuchfall“: Sehr häufig sind eine oder mehrere ''Aa. communicantes'' [[Hypoplasie|hypoplastisch]]. Auch der Stamm der ''A. cerebri anterior'' kann hypoplastisch sein, in dem Fall übernimmt das Gefäß der Gegenseite über die ''A. communicans anterior'' die Versorgung.<ref>B. Hillen: ''The variability of the circulus arteriosus (Willisii): order or anarchy?'' In: ''[[Acta Anatomica]]'' Band 129, Nummer 1, 1987, S.&nbsp;74–80, {{ISSN|0001-5180}}. PMID 3618101.</ref> Als embryonaler Versorgungstyp wird der ein- oder beidseitige Abgang der ''A. cerebri posterior'' aus dem Karotisgebiet bezeichnet, wobei dann die ''A. communicans posterior'' dessen erste Strecke bildet und das Gefäßbett des Großhirns im letzteren Fall vollständig über den vorderen Kreislauf gespeist wird. Viele Personen haben eine einseitig schwach oder gar nicht angelegte Wirbelarterie.
<gallery perrow="2" class="float-right" caption="" widths="200" heights="200">
 
Datei:X-chromosomal-rezessive-Mutter.png|X-chromosomal-rezessiver Erbgang (Mutter ist Konduktor)
Diese Varianten sind an sich ohne Krankheitswert und werden beim Gesunden voll kompensiert, können aber im Einzelfall ein Risikofaktor für den Schlaganfall sein.<ref>Y. M. Chuang et al.: ''Toward a further elucidation: role of vertebral artery hypoplasia in acute ischemic stroke.'' In: ''European neurology.'' Band 55, Nummer 4, 2006, S.&nbsp;193–197, {{ISSN|0014-3022}}. {{DOI|10.1159/000093868}}. PMID 16772715.</ref> Selten kommen auch zusätzliche Gefäße vor, wie eine ''Arteria cerebri media accessoria''<ref>A. Abanou et al.: ''The accessory middle cerebral artery (AMCA). Diagnostic and therapeutic consequences.'' In: ''Anatomia clinica.'' Band 6, Nummer 4, 1984, S.&nbsp;305–309, {{ISSN|0343-6098}}. PMID 6525305.</ref> oder Überbleibsel embryonaler Anastomosen, zum Beispiel als ''Arteria trigeminalis''.
Datei:X-chromosomal-rezessive-Vater.png|X-chromosomal-rezessiver Erbgang (bei krankem Vater)
 
</gallery>
[[Datei:Circulus arteriosus schaf.jpg|mini|Circulus arteriosus beim Schaf ([[Korrosionspräparat]])]]
 
==== Verbindungen zwischen vorderem und hinterem Kreislauf ====
Die ''Arteria communicans anterior'', der erste Abschnitt der ''Arteria cerebri anterior'', ein kurzer Abschnitt der ''Arteria carotis interna'', die ''Arteria communicans posterior'' und das erste Teilstück der ''Arteria cerebri posterior'' bilden, beide Seiten zusammen betrachtet, eine ringförmige Verbindung unter der Hirnbasis aus (''[[Circulus arteriosus cerebri]] [[Thomas Willis|Willisi]]''). Dieser Gefäßring stellt ein [[Anastomose]]nsystem dar, das die Stromgebiete der ''Arteriae carotides internae'' und der ''Arteria basilaris'' anatomisch, aber funktionell nicht immer ausreichend miteinander verbindet. Grundsätzlich (das heißt bei ausreichender Adaptationszeit) kann er jedoch ermöglichen, dass ein einziges Hauptgefäß die gesamte Durchblutung des Gehirns aufrechterhält.
 
=== Kapillarbett ===
Die [[Kapillare (Anatomie)|Kapillaren]] des Gehirns bilden dadurch, dass die [[Endothel]]zellen mit ''[[tight junction]]s'' fest miteinander verbunden sind, eine für größere Moleküle undurchlässige (impermeable) Barriere, die [[Blut-Hirn-Schranke]]. Zu dieser tragen in geringerem Umfang auch die [[Basalmembran]] und der lückenlose Besatz der Kapillaren mit [[Astrozyt]]en<nowiki></nowiki>ausläufern bei. Die Blut-Hirn-Schranke schützt das Gehirn vor potenziell schädlichen, im Blut zirkulierenden Substanzen.
 
Die Kapillardichte ist in den einzelnen Regionen des Gehirns unterschiedlich und entspricht in der Regel ziemlich genau der mittleren Stoffwechselaktivität des jeweiligen Gebietes. Anders als im sonstigen Körper sind die Haargefäße des Gehirns immer komplett geflutet; eine Reservekapazität besteht nicht.<ref>W. Kuschinsky: ''Capillary perfusion in the brain.'' In: ''[[Pflügers Archiv – European Journal of Physiology]].'' Band 432, Nummer 3 Suppl, 1996, S.&nbsp;R42–R46, {{ISSN|0031-6768}}. PMID 8994541.</ref>
 
=== Abflüsse ===
[[Datei:Gray sinusvenen.jpg|mini|Die venösen Sinus]]
Das Gehirn besitzt kleine [[Venole]]n und [[Vene]]n wie andere Organe auch, die jedoch unabhängig von den Arterien verlaufen. Sie werden in eine tiefe (''Venae profundae cerebri'') und eine oberflächliche (''Venae superficiales cerebri'') Gruppe unterteilt. Die größte Hirnvene ist die nur etwa 1&nbsp;cm lange ''[[Vena magna cerebri]]'' (''[[Galenos|Galeni]]'') unter dem ''Splenium'' des [[Corpus callosum|Balkens]]. Das sauerstoffarme Blut wird in anatomisch besonders gebauten Hirnblutleitern, den ''[[Sinus durae matris]]'' gesammelt: Dabei handelt es sich um Duplikaturen der [[Dura mater|harten Hirnhaut]], die auf der Innenseite mit [[Endothel]] ausgekleidet sind. Die ''Sinus'' bilden ein miteinander verbundenes System und münden schließlich in die [[Vena jugularis interna|inneren Drosselvenen]].
 
== Embryonale Entwicklung ==
[[Datei:Gray474.png|mini|Die Abkunft einzelner Gefäßstrecken aus den embryonalen Kiemenbogenarterien (hier lateinisch durchnummeriert)]]
[[Embryonalentwicklung|Embryonal]] entstehen zunächst die paarige ''[[Aorta dorsalis]]'' und die ebenfalls paarige ''[[Aorta ventralis]]'', die durch sechs [[Kiemenbogen#Kiemenbogen|Kiemenbogenarterien]] miteinander verbunden sind. In der weiteren Entwicklung werden einzelne Gefäßabschnitte zurückgebildet, andere verstärken sich deutlich. So bildet die linke vierte Kiemenbogenarterie den [[Aortenbogen]], die ventrale Aorta zwischen dritter und vierter Kiemenbogenarterie die ''Arteria carotis communis'', weiter rostal die ''Arteria carotis externa'' und ihre Äste. Die dritte Kiemenbogenarterie wird zum ersten Abschnitt der ''Arteria carotis interna'', die sich in der dorsalen Aorta fortsetzt. Der Abschnitt der ''Aorta dorsalis'' zwischen dritter und vierter Kiemenbogenarterie hingegen wird zurückgebildet (siehe nebenstehende Abbildung). Die primitive ''Arteria carotis interna'' teilt sich an der Anlage des späteren Gehirns in einen kranialen und einen kaudalen Ast. Ersterer bildet zunächst um die 4. Embryonalwoche die ''Arteria cerebri anterior'' und die ''[[Arteria choroidea anterior]]'', erst um die 9. Woche entsteht aus einem von mehreren Seitenästen die später viel stärkere ''Arteria cerebri media''. Der kaudale Ast entsendet segmentale Arterien zum [[Neuralrohr]], aus denen sich unter anderem die Kleinhirnarterien ableiten. Um die 7. Embryonalwoche entsteht aus diesem Ast auch die ''Arteria cerebri posterior''. Etwa um dieselbe Zeit verschmelzen die beiden Abschnitte des kaudalen Astes vor dem Hirnstamm und bilden die unpaare ''Arteria basilaris''. Die Wirbelarterien bilden sich aus der Fusion von kleineren longitudinalen (in Körperlängsrichtung liegenden) Anastomosen zwischen den primitiven segmentalen Arterien der Halsregion. Sie gewinnen eine Verbindung zu der frühen ''Arteria basilaris''. Um die 9. Woche kehrt sich die Flussrichtung in der Basilararterie bis zur Höhe der ''Arteria cerebri posterior'' um, so dass sie mit allen Tochtergefäßen nun hämodynamisch zur hinteren Strombahn gehört. Ganz zuletzt bildet sich die ''Arteria communicans anterior'' durch partielle Fusion der ''Arteriae cerebri anteriores''.
 
== Physiologie ==
[[Datei:Cerebrovascular autoregulation.svg|mini|links|Druck-Fluss-Kurve: Im grau hinterlegten Bereich (arterieller Mitteldruck) bleibt der zerebrale Blutfluss nahezu konstant]]
Eines der „Sicherheitssysteme“ zum Schutz vor zu geringer, aber auch zu hoher Perfusion ist die Autoregulation der Hirndurchblutung. Die [[Widerstandsgefäß]]e halten den effektiven [[Blutdruck]] im Gehirn (den sogenannten Perfusionsdruck, der sich aus der Differenz zwischen dem systemischen Blutdruck und dem [[Hirndruck|intrakraniellen Druck]] ergibt) durch verschiedene komplex zusammenspielende Steuerungsmechanismen nahezu konstant, während der systemische Blutdruck zwischen 50 und 170&nbsp;mmHg schwanken kann. Zu diesen gehören der [[Bayliss-Effekt]], die Regulation durch die [[Sympathicus|sympathische]] und [[Parasympathicus|parasympathische]] Innervation der größeren Gefäße und direkt auf die [[Myozyt]]en der [[Glatte Muskulatur|Glatten Muskulatur]] wirkende [[endokrin]]e und chemische Faktoren ([[pH-Wert]], [[Adenosin]], [[Kalium]] und weitere). Die Grenzen dieser Anpassung verschieben sich bei dauerhaftem [[Arterielle Hypertonie|Bluthochdruck]] nach oben; durch langbestehenden, schlecht eingestellten [[Diabetes mellitus]] kann das Autoregulationsvermögen insgesamt gestört sein.<ref>{{Literatur |Autor=L. Edvinsson, E.T. MacKenzie, J. McCulloch |Titel=Cerebral Blood Flow and Metabolism |Verlag=Raven |Ort=New York |Jahr=1993 |ISBN=0-88167-918-6}}</ref>
 
Gehirnareale mit gesteigerter neuronaler Aktivität werden stärker durchblutet.<ref>L. Sokoloff: ''Relationships among local functional activity, energy metabolism, and blood flow in the central nervous system.'' In: ''Federation proceedings.'' Band 40, Nummer 8, Juni 1981, S.&nbsp;2311–2316, {{ISSN|0014-9446}}. PMID 7238911.</ref> Die Mechanismen dieses als ''reaktive Hyperämie'' oder ''[[neurovaskuläre Kopplung]]'' bezeichneten Phänomens beinhalten die Reaktion der Widerstandsgefäße auf den lokalen [[Kohlenstoffdioxid|Kohlendioxid]][[partialdruck]], weitere vasoaktive Faktoren und die neurogene Steuerung des Vasotonus,<ref>W. Kuschinsky, M. Wahl: ''Local chemical and neurogenic regulation of cerebral vascular resistance.'' In: ''[[Physiological Reviews]].'' Band 58, Nummer 3, Juli 1978, S.&nbsp;656–689, {{ISSN|0031-9333}}. PMID 28540.</ref> sind im Einzelnen aber noch nicht völlig geklärt.
 
== Mess- und Darstellungsmethoden ==
Die hirnversorgenden Gefäße können mit [[Bildgebendes Verfahren (Medizin)|bildgebenden Verfahren]], insbesondere mit der [[Angiografie]] dargestellt werden. Für die [[digitale Subtraktionsangiographie]] wird ein strahlendichtes Kontrastmittel appliziert; während der [[Durchleuchtung]] mit [[Röntgenstrahlung|Röntgenstrahlen]] werden die Skelettanteile herausgerechnet. Somit bilden sich nur die kontrastmitteldurchströmten Gefäße ab.
 
Eine neuere Methode ist die dreidimensionale Rekonstruktion von [[Magnetresonanztomographie]]-Aufnahmen nach [[Kontrastmittel]]gabe ([[Magnetresonanzangiographie|MR-Angiographie]]). Diese verdrängt zunehmend die invasive Angiographie. Es existieren daneben qualitativ unterlegene MR-Sequenzen zur Gefäßbildgebung ohne Kontrastmittel (Time-of-flight-Magnetresonanzangiographie). Genauso ist auch mit der [[Computertomographie]] nach Kontrastmittelgabe eine Gefäßdarstellung möglich. Umschriebene Änderungen der Mikrozirkulation sind mit [[Positronen-Emissions-Tomographie]], [[Einzelphotonen-Emissionscomputertomographie|SPECT]] und mit einem speziellen (sauerstoffsättigungsgewichtetem) [[Funktionelle Magnetresonanztomografie|MR-Signal]] ([[BOLD-Kontrast]]) darstellbar. [[Spektroskopie|Optische Methoden]] stützen sich auf die Messung der Konzentrationsänderungen von [[Hämoglobin]]. Mit ihnen können nur oberflächennahe Blutflussänderungen gemessen werden.


Die [[Sonografie|extracranielle Doppler- und Duplexsonographie]] erlaubt die Beurteilung von Gefäßquerschnitten, Wandveränderungen und Flusseigenschaften in den großen extracraniellen (außerhalb des Schädels gelegenen) Gefäße. Mittels [[Sonografie|transcranieller Doppler- und Duplexsonographie]] ist beim Erwachsenen am temporalen „Knochenfenster“ sowie transorbital (durch die Augenhöhle) und transnuchal (über den Nacken) die Messung von Flussgeschwindigkeiten und -profilen ausgewählter intracranieller Gefäße durch die [[Schädel]]kalotte beziehungsweise das ''[[Foramen magnum]]'' hindurch möglich. Im Säuglingsalter ist dies deutlich einfacher und durch die [[Fontanelle]] hindurch können die Blutflussparameter bis in die ''Arteriae cerebri anteriores'' hinein problemlos untersucht werden.
Mädchen/Frauen sind nur betroffen, wenn beide X-Chromosomen geschädigt sind, ansonsten sind sie nur Anlageträger ([[Konduktor]]en), d.&nbsp;h., sie können das veränderte X-Chromosom an ihre Kinder weitervererben, bilden selbst aber keinen entsprechenden Phänotyp aus. Mädchen/Frauen können vielfach die Veränderung auf einem X-Chromosom durch ihr zweites X-Chromosom ausgleichen, wenn es nicht verändert ist. Jungen/Männer sind dann betroffen, wenn sie das eine veränderte X-Chromosom von der phänotypisch gesunden Mutter, oder eines von beiden veränderten X-Chromosomen einer phänotypisch erkrankten Mutter vererbt bekommen, da Jungen/Männer ja ein X-Chromosom auf jeden Fall von der Mutter bekommen und auch nur dieses eine besitzen. Phänotypisch sind Jungen/Männer also häufiger betroffen, da Mädchen/Frauen den Defekt durch das andere X-Chromosom ausgleichen. Beispiele sind [[G6PD-Mangel|Glucose-6-Phosphat-Dehydrogenase-Mangel]] (G-6-PD-Mangel), [[Hämophilie]] A und B (Bluterkrankheit), [[Lesch-Nyhan-Syndrom]], [[Morbus Fabry]], [[Mukopolysaccharidose]] Typ II, [[Muskeldystrophie]] (Typ Duchenne, Typ Becker-Kiener), [[Norrie-Syndrom]], [[Retinitis pigmentosa]], [[Rot-Grün-Blindheit]], [[Septische Granulomatose]], [[X-SCID]] (severe combined immune deficiency) und [[Ornithin-Transcarbamylase]] (OTC)-Mangel<ref>J. E. Wraith: ''[http://adc.bmj.com/cgi/content/full/84/1/84 Ornithine carbamoyltransferase deficiency.]'' In: ''Archives of Disease in Childhood.'' Januar 2001, Band 84, Nr. 1, S. 84–88: ''Review.'' PMID 11124797.</ref> ([[Harnstoffzyklusdefekt]])


<gallery>
==== X-chromosomal-dominant ====
Datei:Cerebral angiography, arteria vertebralis sinister injection.JPG|Subtraktionsangiographische Darstellung der vertebrobasilären Hirngefäße
<gallery perrow="2" class="float-right" caption="" widths="200" heights="200">
Datei:Mr cranial sinusvene.jpg|MR-Angiographie der venösen Strombahnen
Datei:X-chromosomal-dominant-Vater.png|X-chromosomal-dominanter Erbgang (bei krankem Vater)
Datei:Fmrtuebersicht.jpg|Funktionelle MRT – stärker durchblutete Areale eingefärbt
Datei:X-chromosomal-dominant-Mutter.png|X-chromosomal-dominanter Erbgang (bei kranker Mutter)
Datei:SpectralDopplerA.jpg|Farbkodierte Duplexsonographie der ''Arteria carotis communis'' – unten die Dopplerkurve
</gallery>
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== Pathologie ==
Jungen/Männer sind zu 50 % betroffen, wenn ihre Mutter Trägerin eines kranken X-[[Chromosom]]s ist. Trägt eine Mutter dagegen 2 kranke X-Chromosomen, so sind alle Kinder betroffen. Mädchen/Frauen sind insgesamt häufiger betroffen, da die Wahrscheinlichkeit, ein verändertes X-Chromosom zu erhalten, bei zwei X-Chromosomen (eins vom Vater, eins von der Mutter) höher ist als bei Jungen/Männern (Eines von der Mutter). Beispiele sind [[Phosphatdiabetes|Familiäre phosphatämische Rachitis]] (auch ''idiopathisches Debré-de-Toni-Fanconi-Syndrom'' oder ''Vitamin-D-resistente [[Rachitis]]'' genannt), [[Rett-Syndrom]] und [[Oro-fazio-digitales Syndrom Typ 1]].
=== Ischämischer Schlaganfall ===
[[Datei:MCAO-sheep.jpg|mini|Gehirn eines Schafes mit Verschluss der [[Arteria cerebri media]], deren Verzweigungen noch als blutleere weiße Stränge erkennbar sind]]
{{Hauptartikel|Ischämischer Schlaganfall}}


Ein plötzlicher Verschluss eines der oben beschriebenen Gefäße führt in aller Regel zum Schlaganfall, dem schnellen Absterben von Gehirngewebe im jeweiligen Gebiet. Die jeweiligen Ausfälle (neurologische Defizite) können sehr unterschiedlich ausfallen, von diskreten, fast völlig unbemerkten Ausfallerscheinungen bis hin zur Bewusstlosigkeit und zum Tod. Je nach Dauer der Unterbrechung der Blutversorgung und nach Reversibilität der Symptome wird die ''[[Transitorische ischämische Attacke]]'' (TIA) vom vollständigen Infarkt unterschieden. Bei Verschlüssen im vorderen Kreislauf dominieren [[Halbseitenlähmung]]en, [[Aphasie]]n (Sprachstörungen) und [[Hypästhesie|Sensibilitätsstörungen]], im hinteren Kreislauf hingegen [[Hemianopsie|Gesichtsfeldausfälle]], [[Vertigo|Schwindel]], [[Ataxie]] (Koordinationsstörung) und Bewusstseinsstörungen. Ursache von ischämischen Infarkten sind in der Regel entweder [[Arteriosklerose|arteriosklerotische]] Verengungen der großen zuführenden Gefäße mit späterer [[Arteriosklerose#Die Lipoprotein-induced-atherosclerosis-Hypothese|Plaqueruptur]] und [[Thrombose|Thrombosierung]] oder die Einschwemmung von Blutgerinnseln ([[Embolie]]), die vor allem bei [[Vorhofflimmern]] vorkommen kann.
=== Mitochondriale bzw. Extrachromosomale Erbgänge ===
Etwa 0,1 Prozent der [[Desoxyribonukleinsäure|DNA]] einer menschlichen Zelle befinden sich nicht im Zellkern, sondern in den [[Mitochondrien]]. Da Eizellen im Gegensatz zu Spermien mehrere hunderttausend Mitochondrien besitzen, werden Mutationen in der Mitochondrien-DNA nur mütterlicherseits vererbt. Gleiches gilt für die [[Chloroplast]]en photosynthetisch aktiver Organismen.


=== Blutung ===
Siehe auch [[Vererbung (Biologie)#Extrachromosomale Vererbung|Extrachromosomale Vererbung]]
{{Hauptartikel|Intrazerebrale Blutung}}


Ein anderes Problem ergibt sich, wenn Blutgefäße zerreißen und Blutungen auftreten. Auch hier ist je nach Lokalisation und Ausmaß der [[Hämorrhagie|Blutung]] ein weites Spektrum von Symptomen möglich. Auch extrem hoher [[Blutdruck]] kann – besonders bei vorgeschädigten Gefäßen – zur Einblutung in das Hirngewebe führen.
== Diagnose und Behandlung ==
Bei Verdacht auf eine Erbkrankheit kann eine [[Humangenetik|humangenetische]] Untersuchung Klarheit verschaffen. Dabei werden die Chromosomen auf zahlenmäßige und strukturelle Veränderungen überprüft. Besteht dringender Verdacht auf einen bestimmten genetischen Defekt ist auch eine weitergehende, aufwändige Untersuchung einzelner Genkonstellationen möglich. Die Ergebnisse können dann bei der Risikoabschätzung bzgl. einer Vererbung hilfreich sein.


Traumatisch bedingte Blutungen betreffen meist den [[Subduralhämatom|Subdural-]] oder [[Epidurales Hämatom|Epiduralraum]]. Viele Menschen sind Träger von kleinen [[Aneurysma]]ta an den Gefäßen der Hirnbasis, ohne je davon zu merken. Die plötzliche [[Ruptur]] führt zu dem hochakuten Bild der [[Subarachnoidalblutung]].
[[Therapie|Therapeutisch]] kann bei einer vorliegenden Besonderheit des Erbguts mit den heutigen medizinischen Möglichkeiten nicht auf die Ursachen eingewirkt werden. Es werden daher meist Ratschläge in Bezug auf die Lebensweise, Aufklärung über Risikofaktoren und [[symptom]]atische Maßnahmen getroffen. Dies sind dann individuelle Entscheidungen, zumal es sich nicht immer um eine Krankheit, sondern oft um eine [[Disposition (Medizin)|Disposition]] handelt.


=== Abflussstörung ===
== Geschichte ==
Auch der Abfluss des Blutes kann gestört sein. Leitsymptome dieser eher chronisch verlaufenden Erkrankungen sind [[Kopfschmerz]]en, [[Antriebsschwäche]], [[Epilepsie|Krampfanfälle]] und [[Sehstörung]]en. Zu dieser Gruppe von Störungen gehören die [[Sinusthrombose]], die [[Hirnvenenthrombose]] und nach Ansicht mancher Autoren auch der [[Pseudotumor cerebri]].
Der erst seit dem 20. Jahrhundert in der Bedeutung ''genetische Krankheit'' verwendete Begriff der Erbkrankheit<ref>Werner Sohn: ''Erbkrankheiten.'' In: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.): ''Enzyklopädie Medizingeschichte.'' De Gruyter, Berlin/ New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 366 f.; hier: S. 366.</ref> wurde in der ersten Hälfte des [[20. Jahrhundert]]s auch häufig falsch verwendet, unter anderem für angebliche „Krankheiten“ wie „kriminelle Neigung“ oder „Asozialität“.<ref>Wolfgang Ayaß: ''[http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:hebis:34-2007013016913 „Asozialer Nachwuchs ist für die Volksgemeinschaft vollkommen unerwünscht“. Die Zwangssterilisationen von sozialen Außenseitern].'' In: Margret Hamm (Hrsg.): ''Lebensunwert - zerstörte Leben. Zwangssterilisation und „Euthanasie“.'' Verlag für akademische Schriften (VAS), Frankfurt am Main 2005, ISBN 3-88864-391-0, S. 111–119.</ref> Dieses Denken beeinflusste [[Sterilisation]]s-Programme und den [[Euthanasie]]-Gedanken und fand seine extreme Ausprägung im deutschen [[Nationalsozialismus]], war aber zum damaligen Zeitpunkt auch in vielen anderen Ländern wie den USA, England und Frankreich vorhanden. Heute werden nur noch solche Krankheiten als Erbkrankheiten bezeichnet, die möglichst klar abgrenzbar sind und mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auf Gendefekte zurückgehen.


=== Kreislaufversagen ===
== Sonstige Erbkrankheiten und Besonderheiten ==
Fällt die gesamte Blutzufuhr (zum Beispiel beim [[Herzstillstand]]) aus, so tritt im Gehirn ein allgemeiner Sauerstoffmangel, die sogenannte Globalhypoxie, auf. So kommt es nach etwa zehn Sekunden zur [[Bewusstlosigkeit]]. Bereits nach zwei- bis dreiminütigem Ausfall beginnt Gehirngewebe abzusterben, nach circa zehn Minuten tritt der [[Hirntod]] ein. Wenn die Stoffwechselprozesse stark verlangsamt sind (Unterkühlung, bestimmte Vergiftungen), kann das Gehirn unter Umständen auch deutlich längere [[Ischämie]]zeiten überstehen.
* [[Erbkrankheiten in endogamen Populationen]]


Eine kurzzeitige Minderdurchblutung des gesamten Gehirns mit entsprechend vorübergehendem Bewusstseinsverlust wird als [[Synkope (Medizin)|Synkope]] bezeichnet. Ihr liegt beispielsweise eine [[Herzrhythmusstörung]] zugrunde.
* [[Mayer-Rokitansky-Küster-Hauser-Syndrom]]
* [[Spastische Spinalparalyse|Hereditäre Spastische Spinalparalyse (HSP/FSP)]]
* [[Hypophosphatasie]]
* [[Ichthyose]]
* [[Katzenaugen-Syndrom]]
* [[Retinitis pigmentosa]], [[Usher-Syndrom]]
* [[Tuberöse Sklerose]]
* [[Wolf-Hirschhorn-Syndrom]]


=== Gefäßmissbildungen ===
== Genetisch bedingte Disposition ==
Fehlbildungen von cerebralen Gefäßen sind zumeist angeboren. Sie kommen an unterschiedlichen Orten vor und erreichen mitunter extreme Ausmaße. Dementsprechend sind auch ganz verschiedene Symptome möglich. Neben arteriovenösen [[Shunt (Medizin)|Shunts]] sind [[Kavernom]]e, [[Hämangiom]]e und [[Fistel]]n mit dem Sinussystem bekannt. Häufig treten Gefäßfehlbildungen bei [[Phakomatose]]n auf.
Diverse Erkrankungen, [[Behinderung]]en und Besonderheiten sind nicht im Sinne einer klassischen Erbkrankheit erblich, sondern ihr Auftreten kann durch eine (mitunter familiäre) genetische Erkrankungs[[Disposition (Medizin)|disposition]] (Veranlagung, Anfälligkeit) bedingt sein. Hierzu zählen z. B.:


== Geschichte ==
* [[Adipositas]]
Die ersten schriftlich überlieferten Mutmaßungen zur Blutversorgung des Gehirns mit Beschreibung der Hauptgefäße gehen auf den griechischen Arzt und Anatom [[Galenos|Galenus von Pergamon]] (1. Jahrhundert n. Chr.) zurück. Er zog seine Erkenntnisse jedoch überwiegend aus der [[Obduktion|Sektion]] von Tieren und übertrug die anatomischen Verhältnisse oft ungeprüft auf den Menschen. So beschrieb er ein ''[[Wundernetz|Rete mirabile]]'' fälschlicherweise auch beim Menschen. In der Spätantike und im Mittelalter galt Galen als unanfechtbare Autorität, so dass die meisten seiner Irrtümer erst in der frühen Neuzeit, als die Präparation menschlicher Leichen an Universitäten durchgeführt wurde, korrigiert werden konnten. Während [[Niccolò Massa]] – wohl aus Respekt vor Galen – das Wundernetz ebenfalls beim Menschen beobachtet zu haben behauptete, widersprachen dem seine Zeitgenossen [[Jacopo Berengario da Carpi]] und [[Andreas Vesalius]]. Die grundlegenden anatomischen Erkenntnisse sind jedoch zwei englischen Ärzten zu verdanken. [[William Harvey]] erkannte 1628 den wahren Charakter des Blutstromes als Kreislauf. Die erste detaillierte und zutreffende Beschreibung der Gefäße des menschlichen Gehirns und des ''Circulus arteriosus'' lieferte [[Thomas Willis]] wenig später.
* [[Allergie]]n, diverse
* [[Alzheimer-Krankheit]]
* [[Autoimmunerkrankung]]en
* [[Bipolare Störung]]
* [[Bluthochdruck]]
* [[Creutzfeldt-Jakob-Krankheit]]
* [[Depression]]
* [[Diabetes mellitus]]
* [[Großzehenabweichung]] ([[Hallux valgus]])
* [[Haarausfall]]
* [[Herzfehler]]
* [[Herzinfarkt]]
* [[Krebs (Medizin)|Krebserkrankungen]] diverse (siehe [http://www.bundesaerztekammer.de/page.asp?his=0.7.45.3260 Richtlinien zur Diagnostik der genetischen Disposition für Krebserkrankungen] auf der Website der Bundesärztekammer)
* [[Laktoseintoleranz]]
* [[maligne Hyperthermie]]
* [[Migräne]]
* [[Multiple Sklerose]] (MS)
* [[Osteoporose]]
* [[Parkinson-Krankheit]]
* [[Psoriasis]]
* [[Rheuma]]
* [[Schizophrenie]]
* [[Schlaganfall]]
* [[Gehörlosigkeit|Taubheit]]
* Formen der [[Trisomie]] ([[Disposition (Medizin)|Disposition]] zur Entstehung einer Translokations-Trisomie bei Nachkommen beim Vorliegen einer „[[Translokation (Genetik)|Balancierten Translokation]]“ des entsprechenden Chromosoms bei Eltern ohne die jeweilige Form von Trisomie)
* [[Vitiligo]]


==Siehe auch==
== Siehe auch ==
* {{WikipediaDE|Blutversorgung des Gehirns}}
* {{WikipediaDE|Kategorie:Genetische Störung}}
* {{WikipediaDE|Zerebraler Blutfluss}}
* {{WikipediaDE|Kategorie:Erbkrankheit}}
* {{WikipediaDE|Erbkrankheit}}
* {{WikipediaDE|Liste von Erbkrankheiten}}
* {{WikipediaDE|Genetik}}
* {{WikipediaDE|Erbliche Tumorerkrankungen}}
* {{WikipediaDE|Pränataldiagnostik}}
* {{WikipediaDE|Präimplantationsdiagnostik}}
* {{WikipediaDE|Kategorie:Erbkrankheit des Hundes}}  


== Literatur ==
== Weblinks ==
* L. Edvinsson, E.T. MacKenzie, J. McCulloch: ''Cerebral blood flow and metabolism''. Raven, New York 1993, ISBN 0-88167-918-6.
{{Wikibooks|Klinische Humangenetik}}
* Karl Zilles, Gerd Rehkämper: ''Funktionelle Neuroanatomie''. 1. Auflage. Springer, Berlin 1993, ISBN 3-540-54690-1.
{{Wiktionary}}
* Detlev Drenckhahn, W. Zenker: ''Benninghoff. Anatomie.'' Urban & Schwarzenberg, München 1994, ISBN 3-541-00255-7.
* [http://www.mallig.eduvinet.de/bio/Repetito/Banaly1.html Einführung in die Stammbaumanalyse]
* Klaus Poeck, Werner Hacke: ''Neurologie''. 10. vollständig überarbeitete Auflage. Springer, Berlin 1998, ISBN 3-540-63028-7.
* [http://www.genome.gov/10005911 Human genetics: A Resource For Teachers] (englisch)


== Einzelnachweise ==
== Einzelnachweise ==
<references />
<references />


[[Kategorie:Kreislaufsystem]]
{{Gesundheitshinweis}}
[[Kategorie:Zentralnervensystem]]
{{Normdaten|TYP=s|GND=4015106-2}}
[[Kategorie:Gehirn]]
 
[[Kategorie:Genetische Störung]]
[[Kategorie:Erbkrankheit|!]]
[[Kategorie:Humangenetik]]
[[Kategorie:Behinderungsart]]
[[Kategorie:Fehlbildung]]
[[Kategorie:Krankheit]]


{{Wikipedia}}
{{Wikipedia}}

Version vom 22. Mai 2018, 08:29 Uhr

Als Erbkrankheit (oder genetisch bedingte Krankheit) werden Erkrankungen und Besonderheiten bezeichnet, die entweder durch eine Mutation (Genvariante) in einem Gen (monogen) oder durch mehrere Mutationen (Genvarianten) in verschiedenen Genen (polygen) ausgelöst werden können und die zu bestimmten Erkrankungsdispositionen führen. In diesem Zusammenhang spricht man auch von monogenetischer bzw. polygenetischer Erkrankung.

Im engeren Sinne zählt man jedoch nur jene Erkrankungen und Besonderheiten zu den Erbkrankheiten, die durch von Anfang an untypisch veränderte Gene ausgelöst und durch Vererbung von den Vorfahren auf ihre Nachkommen übertragen werden. Die früheste Methode zur Erforschung der Vererbungswege war die Stammbaumanalyse bei Familienstammbäumen, in denen beispielsweise die Bluterkrankheit oder die Farbenblindheit usw. gehäuft auftraten.[1]

Syndrome wie Formen von Trisomie, bei denen sich nicht die übliche Zahl von 46 Chromosomen im menschlichen Genom findet, können somit genau genommen nicht als Erbkrankheit gezählt werden, da sie zumeist spontan erst bei der Zellteilung des Embryos auftreten und daher selten von einem Elternteil geerbt werden.

Verschiedene Formen

Erbkrankheiten folgen verschiedenen Erbgängen und sind mit unterschiedlichen Vererbungs-, Wiederholungs- und Erkrankungswahrscheinlichkeiten verbunden. Man unterscheidet autosomal-rezessive und autosomal-dominante von gonosomalen und mitochondrialen Erbgängen.

Autosomal-rezessive Erbgänge

Der autosomal-rezessive Erbgang

Die Besonderheit tritt nur dann in Erscheinung, wenn sich auf jeweils beiden Chromosomen eine Veränderung (Mutation) in beiden Kopien eines bestimmten Gens findet, d. h., wenn der betreffende Mensch jeweils eine Veränderung von seinem biologischen Vater und eine von seiner biologischen Mutter geerbt hat. Die Eltern müssen dabei nicht betroffen sein, der Phänotyp tritt also nicht in jeder Generation auf. Die Mutation muss dabei nicht identisch sein. Führen zwei molekulargenetisch unterscheidbare Mutationen zu dem gleichen Funktionsverlust in einem Gen, so spricht man von Compound Heterozygotie. Beispiele für autosomal-rezessive Erbgänge sind Mukoviszidose, Albinismus und Phenylketonurie (PKU) (Defekt der Phenylalaninhydroxylase).

Ursachen für scheinbare Abweichungen autosomal rezessiver Vererbung sind Pseudodominanz, Heterogenie, Isodisomie und das Nichteinrechnen von Heterozygoten mit gesunden Kindern. Typische Beispiele sind:

Autosomal-dominante Erbgänge

Der autosomal-dominante Erbgang

Hier führt bereits ein verändertes Allel (Allele sind die einander jeweils und gleichzeitig gegensätzlich entsprechenden Gene eines diploiden Chromosomensatzes) auf einem der beiden homologen Chromosomen zur Merkmalsausprägung. Die genetische Information liegt auf einem der 44 Autosomen vor und wird unabhängig vom Geschlecht vererbt. Frauen und Männer sind also gleichermaßen betroffen. Der Phänotyp tritt in jeder Generation auf. Beispiele sind:

Gonosomale Erbgänge

Gonosomale Erbkrankheiten, also solche, bei denen die Veränderung die Geschlechtschromosomen X bzw. Y betrifft, liegen in den meisten Fällen auf dem X-Chromosom, da das Y-Chromosom weniger Gene enthält. Das X-Chromosom hat 155 Megabasen, das Y-Chromosom 59 Megabasen[2] Am Beispiel der X-chromosomalen Vererbung werden folgende Besonderheiten deutlich:

X-chromosomal-rezessiv

Mädchen/Frauen sind nur betroffen, wenn beide X-Chromosomen geschädigt sind, ansonsten sind sie nur Anlageträger (Konduktoren), d. h., sie können das veränderte X-Chromosom an ihre Kinder weitervererben, bilden selbst aber keinen entsprechenden Phänotyp aus. Mädchen/Frauen können vielfach die Veränderung auf einem X-Chromosom durch ihr zweites X-Chromosom ausgleichen, wenn es nicht verändert ist. Jungen/Männer sind dann betroffen, wenn sie das eine veränderte X-Chromosom von der phänotypisch gesunden Mutter, oder eines von beiden veränderten X-Chromosomen einer phänotypisch erkrankten Mutter vererbt bekommen, da Jungen/Männer ja ein X-Chromosom auf jeden Fall von der Mutter bekommen und auch nur dieses eine besitzen. Phänotypisch sind Jungen/Männer also häufiger betroffen, da Mädchen/Frauen den Defekt durch das andere X-Chromosom ausgleichen. Beispiele sind Glucose-6-Phosphat-Dehydrogenase-Mangel (G-6-PD-Mangel), Hämophilie A und B (Bluterkrankheit), Lesch-Nyhan-Syndrom, Morbus Fabry, Mukopolysaccharidose Typ II, Muskeldystrophie (Typ Duchenne, Typ Becker-Kiener), Norrie-Syndrom, Retinitis pigmentosa, Rot-Grün-Blindheit, Septische Granulomatose, X-SCID (severe combined immune deficiency) und Ornithin-Transcarbamylase (OTC)-Mangel[3] (Harnstoffzyklusdefekt)

X-chromosomal-dominant

Jungen/Männer sind zu 50 % betroffen, wenn ihre Mutter Trägerin eines kranken X-Chromosoms ist. Trägt eine Mutter dagegen 2 kranke X-Chromosomen, so sind alle Kinder betroffen. Mädchen/Frauen sind insgesamt häufiger betroffen, da die Wahrscheinlichkeit, ein verändertes X-Chromosom zu erhalten, bei zwei X-Chromosomen (eins vom Vater, eins von der Mutter) höher ist als bei Jungen/Männern (Eines von der Mutter). Beispiele sind Familiäre phosphatämische Rachitis (auch idiopathisches Debré-de-Toni-Fanconi-Syndrom oder Vitamin-D-resistente Rachitis genannt), Rett-Syndrom und Oro-fazio-digitales Syndrom Typ 1.

Mitochondriale bzw. Extrachromosomale Erbgänge

Etwa 0,1 Prozent der DNA einer menschlichen Zelle befinden sich nicht im Zellkern, sondern in den Mitochondrien. Da Eizellen im Gegensatz zu Spermien mehrere hunderttausend Mitochondrien besitzen, werden Mutationen in der Mitochondrien-DNA nur mütterlicherseits vererbt. Gleiches gilt für die Chloroplasten photosynthetisch aktiver Organismen.

Siehe auch Extrachromosomale Vererbung

Diagnose und Behandlung

Bei Verdacht auf eine Erbkrankheit kann eine humangenetische Untersuchung Klarheit verschaffen. Dabei werden die Chromosomen auf zahlenmäßige und strukturelle Veränderungen überprüft. Besteht dringender Verdacht auf einen bestimmten genetischen Defekt ist auch eine weitergehende, aufwändige Untersuchung einzelner Genkonstellationen möglich. Die Ergebnisse können dann bei der Risikoabschätzung bzgl. einer Vererbung hilfreich sein.

Therapeutisch kann bei einer vorliegenden Besonderheit des Erbguts mit den heutigen medizinischen Möglichkeiten nicht auf die Ursachen eingewirkt werden. Es werden daher meist Ratschläge in Bezug auf die Lebensweise, Aufklärung über Risikofaktoren und symptomatische Maßnahmen getroffen. Dies sind dann individuelle Entscheidungen, zumal es sich nicht immer um eine Krankheit, sondern oft um eine Disposition handelt.

Geschichte

Der erst seit dem 20. Jahrhundert in der Bedeutung genetische Krankheit verwendete Begriff der Erbkrankheit[4] wurde in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts auch häufig falsch verwendet, unter anderem für angebliche „Krankheiten“ wie „kriminelle Neigung“ oder „Asozialität“.[5] Dieses Denken beeinflusste Sterilisations-Programme und den Euthanasie-Gedanken und fand seine extreme Ausprägung im deutschen Nationalsozialismus, war aber zum damaligen Zeitpunkt auch in vielen anderen Ländern wie den USA, England und Frankreich vorhanden. Heute werden nur noch solche Krankheiten als Erbkrankheiten bezeichnet, die möglichst klar abgrenzbar sind und mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auf Gendefekte zurückgehen.

Sonstige Erbkrankheiten und Besonderheiten

Genetisch bedingte Disposition

Diverse Erkrankungen, Behinderungen und Besonderheiten sind nicht im Sinne einer klassischen Erbkrankheit erblich, sondern ihr Auftreten kann durch eine (mitunter familiäre) genetische Erkrankungsdisposition (Veranlagung, Anfälligkeit) bedingt sein. Hierzu zählen z. B.:

Siehe auch

Weblinks

 Wikibooks: Klinische Humangenetik – Lern- und Lehrmaterialien
 Wiktionary: Erbkrankheit – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Ulrich Weber: Biologie Oberstufe. Gesamtband. Cornelsen, Berlin 2001, ISBN 3-464-04279-0, S. 180–182.
  2. Ensembl Datenbank, abgerufen am 11. Februar 2017.
  3. J. E. Wraith: Ornithine carbamoyltransferase deficiency. In: Archives of Disease in Childhood. Januar 2001, Band 84, Nr. 1, S. 84–88: Review. PMID 11124797.
  4. Werner Sohn: Erbkrankheiten. In: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. De Gruyter, Berlin/ New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 366 f.; hier: S. 366.
  5. Wolfgang Ayaß: „Asozialer Nachwuchs ist für die Volksgemeinschaft vollkommen unerwünscht“. Die Zwangssterilisationen von sozialen Außenseitern. In: Margret Hamm (Hrsg.): Lebensunwert - zerstörte Leben. Zwangssterilisation und „Euthanasie“. Verlag für akademische Schriften (VAS), Frankfurt am Main 2005, ISBN 3-88864-391-0, S. 111–119.
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