Vorurteil und Kategorie:Geschichtswissenschaften: Unterschied zwischen den Seiten

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Ein '''Vorurteil''' ({{EnS|prejudice}}) ist ''im weitesten Sinn'' ein [[Urteil]], das in einer gegebenen Situation ''nicht'' durch das aktuelle [[Denken]] nach einer gründlichen Untersuchung der Sachlage gefällt wird, sondern [[gewohnheit]]smäßig mehr oder weniger fertig dem [[Gedächtnis]] entnommen ist. Da Vorurteile sehr fest im [[Ätherleib]] sitzen, sind sie entsprechend schwer zu ändern und werden als mehr oder weniger unverrückbare [[Tatsache]] gewertet. Sie prägen nicht nur das [[Denken]] sondern oft auch beinahe [[instinktiv]] das [[Verhalten]]. Eine mildere Form des Vorurteils, die einen weniger zwanghaften Charakter hat und weniger unmittelbar das [[Handeln]] impulsiert, ist die '''Voreingenommenheit''' oder '''Befangenheit''' ({{EnS|bias}}). Vorurteile erleichtern oder ermöglichen überhaupt erst die rasche Orientierung im Alltagsleben, behindern aber umgekehrt auch jede tiefer gehende neue [[Erkenntnis]].
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[[Kategorie:Wissenschaft]]
{{Zitat|Vorurteil nennt ursprünglich einen harmlosen Tatbestand. In alten Zeiten
[[Kategorie:Geschichtswissenschaften|!]]
war es das auf frühere Erfahrung und Entscheidung begründete Urteil, praejudicium.
Später hat die Metaphysik, Descartes, Leibniz zumal, eingeborene
Wahrheiten, Vorurteile im strengen Sinne, zur höchsten philosophischen
Wahrheit erklärt. Sätze "a priori" , der Erfahrung logisch vorgeordnet, bilden
nach Kant die reine Wissenschaft. Nur in England, wo Erfahrung seit
Jahrhunderten als die oberste Instanz der Erkenntnis erschien, galt prejudice,
das heißt die Ansicht, die der Prüfung durch die Tatsachen vorhergeht oder
ihr sich gar entziehen will, von der Bibel abgesehen, längst als Vorurteil im
negativen Sinn.
 
Daß Abbreviaturen eigener Erlebnisse und dessen, was vom Hörensagen
stammt, im Vollzug des Lebens eine Rolle spielen, ist offenbar. Was einmal
gelernt und aufgenommen ist, wird in allgemeinen Vorstellungen aufgestapelt.
Bewußt und halbbewußt, automatisch und absichtlich wird jeder neue
Gegenstand mittels des so erworbenen Arsenals begrifflich eingeschätzt. Die
Verhaltensweisen der Individuen in den Situationen des Alltags haben auf
Grund von bruchstückhaftem Wissen sich eingeschliffen, sind Reaktionen aus
Vorurteilen. Im Dschungel der Zivilisation reichen angeborene Instinkte noch
weniger aus als im Urwald. Ohne die Maschinerie der Vorurteile könnte
einer nicht über die Straße gehen, geschweige denn einen Kunden bedienen.
Nur muß er imstande sein, die Generalisierung einzuschränken, wenn er nicht
unter die Räder kommen will. Jenseits des Kanals fahren Autos auf der
linken Straßenseite, und hierzulande wechseln die Kunden in immer rascherem
Tempo den Geschmack. Man kann sie nicht stets nach demselben Schema
zufriedenstellen. Solche Vorurteile näher zu bestimmen, zwingt das eigene
Interesse.|[[Wikipedia:Max Horkheimer|Max Horkheimer]]|''Über das Vorurteil'', [http://archive.org/stream/MaxHorkheimerUeberDasVorurteil/Max_Horkheimer_%C3%9Cber_das_Vorurteil_#page/n3/mode/2up S. 5f]}}
 
Häufig sind Vorurteile auch mit einer ''positiven'' oder ''negativen'' [[Wertung]] verbunden und sind in diesem Sinn zugleich [[Werturteil]]e. Im [[Wirtschaftsleben]] beispielsweise tragen positive Vorurteile entscheidend zum wirtschaftlichen Erfolg eines [[Wikipedia:Unternehmen|Unternehmen]]s, einer [[Wikipedia:Marke (Marketing)|Marke]] oder eines [[Produkt]]s bei.
 
Als Vorurteile ''im engeren Sinn'' werden insbesondere '''soziale Vorurteile''' aufgefasst, die aus [[Egoismus|egoistischen]] und [[Gruppenegoismus|gruppenegoistischen]] [[Triebfeder]]n entstehen. Auch sie sind stets mit einer ''positiven'' oder ''negativen'' Wertung verbunden und meist sehr stark [[Emotion|emotional]] aufgeladen. Gemeinsam ist ihnen, dass sie das [[Individualität|individuelle]] [[Wesen]] der Mitmenschen ausklammern, und diese nur nach dem hemmenden oder fördernden [[Wert]] für das eigene [[Ego]] beurteilen. Persönliche Vorurteile resultieren vornehmlich aus [[Sympathie und Antipathie]], die oft auch [[Karma|karmische]] Ursachen hat. Besonders schädlich für das [[Soziales Leben|soziale Leben]] sind Vorurteile gegen einzelne Menschengruppen, die dann oft nur mehr durch stark vereinfachende und wenig wirklichkeitsgemäße [[Stereotyp]]e charakterisiert werden. Typischerweise wird dabei die eigene Gruppe, der man sich zugehörig fühlt, stark positiv überbewertet, während eine oder mehrere andere Gruppen ebenso stark abgewertet werden. Damit wird die soziale Kluft innerhalb einer gegebenen [[Gesellschaft]] zunehmend verschärft bis hin zu so sozial zerstörerischen Phänomenen wie [[Rassismus]] und [[Nationalismus]]. Gruppenegoistische Vorurteile führen sehr leicht zu einer Gewalteskalation, wenn die eigene Gruppe als bedroht empfunden wird. Der US-amerikanische [[Psychologe]] [[Wikipedia:Gordon Allport|Gordon Allport]] (1897-1967) hat 1954 in seiner klassischen Arbeit über „Die Natur des Vorurteils“ (''The nature of prejudice'') folgende typische Eskalationsstufen beschrieben: ''Verleumdung, Kontaktvermeidung, Diskriminierung, körperliche Gewalt, Vernichtung'' (→ [[Wikipedia:Allport-Skala|Allport-Skala]]).
 
[[Wahrnehmungsurteile]], durch die wir gegebene [[Wahrnehmung]]en rasch identifizieren, beruhen überwiegend auf lange, oft schon seit der frühen Kindheit eingeübten, unbewusst bleibenden und daher kaum verrückbaren Vorurteilen, die gegebenenfalls auch zu typischen [[Wahrnehmungstäuschung]]en führen, die sich oft selbst dann nicht aufheben lassen, wenn wir sie mit dem wachen [[Verstand]] durchschauen. Bei den uns aus dem Alltagsleben gut vertrauten [[Ding]]en fließen [[Wahrnehmung]] und [[Begriff]] so selbstverständlich und rasch zusammen, dass wir uns dieses Vorgangs gar nicht bewusst werden. Der zugehörige Begriff ist längst in uns vorgebildet und muss nicht erst mühsam suchend der Wahrnehmung entgegengebracht werden. Die Wahrnehmung wird dadurch unvermerkt mit [[Vorstellung]]en durchsetzt. Wir sehen nur, was wir zu sehen erwarten - und so für alle Sinne. Für die rasche routinierte Orientierung im Alltagsleben sind solche Begriffe und Vorstellungen unerlässlich. Allerdings beziehen sie sich heute, wo wir durch eine stark [[Materialismus|materialistische]] [[Denken|Denkweise]] geprägt sind, meist nur auf das rein [[Gegenstand|gegenständlich]]e [[Raum|räumlich]]-[[Materie|materielle]] Dasein. Wir erkennen auf diese Weise eine bestimmte Gruppe sinnlicher Wahrnehmungen sofort als Eiche, als Buche, als Bergkristall, als Löwe usw. Diese „Dinge“ erscheinen uns derart ganz unmittelbar als gegebene gegenständliche materielle Wirklichkeit und wir glauben ihr ganzes [[Wesen]] darin erschöpft. Das ist aber nicht der Fall. Ihr eigentliches, tieferes Wesen erschließt sich nur, wenn es gelingt, diesen „Erkenntnisautomatismus“ zu durchbrechen. Dazu muss einerseits die Wahrnehmung von den begrifflichen Elementen befreit und zu einer möglichst [[Reine Wahrnehmung|reinen Wahrnehmung]] geläutert werden und andererseits der Begriff geistig vertieft werden, was nur durch eine entsprechende [[geistige Schulung]] möglich ist.
 
{{GZ|Nicht wahr, unser gewöhnliches Geistesleben im wachen Zustande
verläuft ja so, daß wir wahrnehmen und eigentlich immer im Wahrnehmen
schon das Wahrgenommene mit Vorstellungen durchtränken,
im wissenschaftlichen Denken ganz systematisch das Wahrgenommene
mit Vorstellungen verweben, durch Vorstellungen systematisieren
und so weiter. Dadurch, daß man sich ein solches Denken angeeignet
hat, wie es allmählich hervortritt im Verlaufe der «[[Philosophie der Freiheit]]», kommt man nun wirklich in die Lage, so scharf
innerlich seelisch arbeiten zu können, daß man, indem man wahrnimmt,
ausschließt das Vorstellen, daß man das Vorstellen unterdrückt,
daß man sich bloß dem äußeren Wahrnehmen hingibt. Aber damit
man die Seelenkräfte verstärke und die Wahrnehmungen im richtigen
Sinne gewissermaßen einsaugt, ohne daß man sie beim Einsaugen mit
Vorstellungen verarbeitet, kann man auch noch das machen, daß man
nicht im gewöhnlichen Sinne mit Vorstellungen diese Wahrnehmungen
beurteilt, sondern daß man sich symbolische oder andere Bilder schafft
zu dem mit dem Auge zu Sehenden, mit dem Ohre zu Hörenden, auch
Wärmebilder, Tastbilder und so weiter. Dadurch, daß man gewissermaßen
das Wahrnehmen in Fluß bringt, dadurch, daß man Bewegung
und Leben in das Wahrnehmen hineinbringt, aber in einer solchen
Weise, wie es nicht im gewöhnlichen Vorstellen geschieht, sondern im
symbolisierenden oder auch künstlerisch verarbeitenden Wahrnehmen,
dadurch kommt man viel eher zu der Kraft, sich von der Wahrnehmung
als solcher durchdringen zu lassen* Man kann sich ja schon gut
vorbereiten für eine solche Erkenntnis bloß dadurch, daß man wirklich
im strengsten Sinne sich heranerzieht zu dem, was ich charakterisiert
habe als den Phänomenalismus, als das Durcharbeiten der Phänomene.
Wenn man wirklich an der materiellen Grenze des Erkennens
getrachtet hat, nicht in Trägheit durchzustoßen durch den Sinnesteppich
und dann allerlei Metaphysisches da zu suchen in Atomen
und Molekülen, sondern wenn man die Begriffe verwendet hat, um
die Phänomene anzuordnen, um die Phänomene hin zu verfolgen bis
zu den Urphänomenen, dann bekommt man dadurch schon eine Erziehung,
die dann auch alles Begriffliche hinweghalten kann von den
Phänomenen. Und symbolisiert man dann noch, verbildlicht man die
Phänomene, dann bekommt man eine starke seelische Macht, um gewissermaßen
die Außenwelt begriffsfrei in sich einzusaugen.|322|113f}}
 
== Vorurteilslosigkeit als Grundbedingung jeder geistigen Schulung ==
 
Jede Art von Vorurteil, sei es auch vollkommen [[wertfrei]], behindert die [[geistige Entwicklung]]. Jede [[geistige Schulung]] muss daher mit einer strengen [[Selbsterziehung]] zur [[Vorurteilslosigkeit]] verbunden sein. Nur durch Vorurteilslosigkeit kann das [[Geistselbst]] ([[Manas]]) entwickelt werden. Darauf zielt insbesondere auch die fünfte [[Nebenübung]]. In der freien Nachschrift (''Aufzeichnung A'' in der Handschrift von ''Camilla Wandrey'') zu einer von [[Rudolf Steiner]] am 2. Januar 1914 in [[Wikipedia:Leipzig|Leipzig]] gehaltenen esoterischen Stunde heißt es:
 
{{GZ|Auf der fünften Stufe entwickeln wir Manas oder Geistselbst.
Da dürfen wir uns nicht festlegen auf dasjenige, was wir bisher
gesehen, gelernt, gehört haben. Wir müssen lernen, von alle dem
abzusehen, uns allem, was uns entgegentritt, ganz wie ausgeleert
von dem Bisherigen zu erhalten. Manas kann nur entwickelt
werden, wenn man lernt, alles, was wir uns durch Eigendenken
erworben haben, doch nur zu empfinden als etwas Minderwertiges
gegenüber dem, was wir uns erwerben können, indem wir
uns den Gedanken öffnen, die aus dem gottgewobenen Kosmos
einströmen. Aus diesen göttlichen Gedanken ist alles, was uns
umgibt, entstanden. Wir haben sie nicht durch unser bisheriges
Denken finden können. Da verbergen es uns die Dinge. Jetzt
lernen wir hinter allem wie ein verborgenes Rätsel dies Göttliche
zu erahnen. Immer mehr lernen wir in Bescheidenheit einsehen,
wie wenig wir bisher von diesen Rätseln ergründet haben. Und
wir lernen, daß wir eigentlich alles aus unserer Seele entfernen
müssen, was wir bisher gelernt haben, daß wir ganz unbefangen,
wie ein Kind, allem entgegentreten müssen - daß sich nur der
Unbefangenheit der Seele darbieten die göttlichen Rätsel, die uns
umgeben. Kindlich muß die Seele werden, um in die Reiche der
Himmel eindringen zu können. Der kindlichen Seele strömt
dann entgegen die verborgene Weisheit - Manas - wie ein Geschenk
der Gnade aus der geistigen Welt.|266c|244f}}
 
== Literatur ==
 
# {{Literatur
  |Autor=[[Wikipedia:Walter Lippmann|Walter Lippmann]]
  |Hrsg=[[Wikipedia:Elisabeth Noelle-Neumann|Elisabeth Noelle-Neumann]]
  |Titel=''Die öffentliche Meinung''
  |Verlag=Brockmeyer
  |Ort=Bochum
  |Datum=1990
  |ISBN=3-88339-786-5
  |Originaltitel=''Public Opinion''
  |Originalsprache=en
  |Online=[http://www.gutenberg.org/etext/6456 gutenberg.org]}}
#[[Wikipedia:Max Horkheimer|Max Horkheimer]]: ''Über das Vorurteil'', Springer Fachmedien, Wiesbaden 1963, ISBN ISBN 978-3-663-03191-8 [http://archive.org/details/MaxHorkheimerUeberDasVorurteil archive.org]
#Rudolf Steiner: ''Aus den Inhalten der esoterischen Stunden, Band III: 1913 und 1914; 1920 – 1923'', [[GA 266/3]] (1998), ISBN 3-7274-2663-2 {{Schule|266c}}
#Rudolf Steiner: ''Grenzen der Naturerkenntnis'', [[GA 322]] (1981), ISBN 3-7274-3220-9 {{Vorträge|322}}
 
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Version vom 21. Februar 2018, 01:16 Uhr