Ignoramus et ignorabimus: Unterschied zwischen den Versionen

Aus AnthroWiki
imported>Odyssee
Keine Bearbeitungszusammenfassung
imported>Odyssee
Keine Bearbeitungszusammenfassung
Zeile 5: Zeile 5:
Du Bois-Reymond äußerte die Worte erstmals 1872 in dem Vortrag „Über die Grenzen des Naturerkennens“, den er auf der Versammlung der [[Wikipedia:Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte|Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte]] (GDNÄ) in [[Wikipedia:Leipzig|Leipzig]] hielt. Du Bois-Reymond postuliert hier zwei grundsätzliche Grenzen des Naturerkennens: Unerkennbar sei zum einen das Wesen von Materie und Kraft, zum anderen das Verhältnis, in dem Bewusstseinszustände zu ihren materiellen Voraussetzungen stehen.  
Du Bois-Reymond äußerte die Worte erstmals 1872 in dem Vortrag „Über die Grenzen des Naturerkennens“, den er auf der Versammlung der [[Wikipedia:Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte|Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte]] (GDNÄ) in [[Wikipedia:Leipzig|Leipzig]] hielt. Du Bois-Reymond postuliert hier zwei grundsätzliche Grenzen des Naturerkennens: Unerkennbar sei zum einen das Wesen von Materie und Kraft, zum anderen das Verhältnis, in dem Bewusstseinszustände zu ihren materiellen Voraussetzungen stehen.  


In seinem 1880 vor der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin gehaltenen Vortrag „Die sieben Welträthsel“ unterscheidet er – wie der Titel schon sagt – insgesamt sieben [[Wikipedia:Welträtsel|Welträtsel]], von denen er einige für grundsätzlich unlösbar hält. Du Bois-Reymonds Thesen erregten große Aufmerksamkeit und wurden sehr kontrovers diskutiert. [[Wikipedia:Ernst Haeckel|Ernst Haeckel]]s erfolgreichstes Buch „Die Welträthsel“ etwa ist eine Reaktion auf die Thesen du Bois-Reymonds.
In seinem 1880 vor der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin gehaltenen Vortrag „Die sieben Welträthsel“ unterscheidet er – wie der Titel schon sagt – insgesamt sieben [[Wikipedia:Welträtsel|Welträtsel]], von denen er einige für grundsätzlich unlösbar hält:
 
*1. Das Wesen der Materie und Kraft
*2. Der Ursprung der Bewegung
*3. Die Entstehung der Empfindung
*4. Die Entstehung des Lebens
*5. Die zweckmäßige Einrichtung der Natur
*6. Das menschliche Denken und Sprechen.
*7. Die Willensfreiheit
 
Die ersten drei Welträtsel bezeichnete Du Bois-Reymond im Kantischen Sinne als [[transzendent]], mithin prinzipiell unlösbar. Die der [[Wikipedia:Evolution|Entstehung des Lebens]] und der zweckmäßigen Einrichtung der Natur hielt Du Bois-Reymond dagegen für prinzipiell lösbar, wenn auch noch nicht für gelöst.<ref>Eisler: Wörterbuch der philosophischen Begriffe. Geschichte der Philosophie, Bd. 2, S. 721</Ref> Die Fähigkeit des vernünftigen Denkens und die damit verbundene Frage nach dem Ursprung der Sprache sei ebenfalls grundsätzlich aufklärbar. Ob das Rätsel der menschlichen Willensfreiheit lösbar sei, ließ er hingegen offen, bemühte sich indes, dieses Rätsel – wie das der menschlichen Sprache – im Erklärungsrahmen eines psychologischen [[Wikipedia:Determinismus|Determinismus]] aufzuklären.<ref>Kirchner/Michaelis, ''Wörterbuch der Philosophischen Grundbegriffe'', Geschichte der Philosophie, S. 282</Ref>
 
Du Bois-Reymonds Thesen erregten große Aufmerksamkeit und wurden sehr kontrovers diskutiert. [[Wikipedia:Ernst Haeckel|Ernst Haeckel]]s erfolgreichstes Buch „Die Welträthsel“ etwa ist eine Reaktion auf die Thesen du Bois-Reymonds.


Noch heute gibt es in der [[Wikipedia:Philosophie des Geistes|Philosophie des Geistes]] – und besonders in der [[Wikipedia:Qualia|Qualia]]debatte – zahlreiche Reaktionen auf die Ignoramus-et-ignorabimus-Rede, da du Bois-Reymond das [[Bewusstsein]] für grundsätzlich unerklärlich hielt. Er behauptete:
Noch heute gibt es in der [[Wikipedia:Philosophie des Geistes|Philosophie des Geistes]] – und besonders in der [[Wikipedia:Qualia|Qualia]]debatte – zahlreiche Reaktionen auf die Ignoramus-et-ignorabimus-Rede, da du Bois-Reymond das [[Bewusstsein]] für grundsätzlich unerklärlich hielt. Er behauptete:
Zeile 12: Zeile 24:


Auf diese Argumentation wurde etwa von [[Wikipedia:Peter Bieri|Peter Bieri]] (Zustimmung) und [[Wikipedia:Hans Flohr|Hans Flohr]] (Ablehnung) Bezug genommen.
Auf diese Argumentation wurde etwa von [[Wikipedia:Peter Bieri|Peter Bieri]] (Zustimmung) und [[Wikipedia:Hans Flohr|Hans Flohr]] (Ablehnung) Bezug genommen.
== Anmerkungen ==
<references/>


== Literatur ==
== Literatur ==

Version vom 17. Februar 2010, 14:58 Uhr

Emil Heinrich du Bois-Reymond prägte den Ausspruch „Ignoramus et ignorabimus“

Ignoramus et ignorabimus (lat. „Wir wissen es nicht und wir werden es niemals wissen“) ist ein Ausspruch des Physiologen Emil Heinrich du Bois-Reymond, der bekannt geworden ist als ein Ausdruck der Skepsis gegenüber den Erklärungsansprüchen der Naturwissenschaften. Das vollständige Zitat lautet:

„Gegenüber den Rätseln der Körperwelt ist der Naturforscher längst gewöhnt, mit männlicher Entsagung sein „Ignoramus“ auszusprechen. Im Rückblick auf die durchlaufene siegreiche Bahn trägt ihn dabei das stille Bewußtsein, daß, wo er jetzt nicht weiß, er wenigstens unter Umständen wissen könnte, und dereinst vielleicht wissen wird. Gegenüber dem Rätsel aber, was Materie und Kraft seien, und wie sie zu denken vermögen, muß er ein für allemal zu dem viel schwerer abzugebenden Wahrspruch sich entschließen: „Ignorabimus“. (Über die Grenzen des Naturerkennens, 1872, Seite 464)

Du Bois-Reymond äußerte die Worte erstmals 1872 in dem Vortrag „Über die Grenzen des Naturerkennens“, den er auf der Versammlung der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte (GDNÄ) in Leipzig hielt. Du Bois-Reymond postuliert hier zwei grundsätzliche Grenzen des Naturerkennens: Unerkennbar sei zum einen das Wesen von Materie und Kraft, zum anderen das Verhältnis, in dem Bewusstseinszustände zu ihren materiellen Voraussetzungen stehen.

In seinem 1880 vor der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin gehaltenen Vortrag „Die sieben Welträthsel“ unterscheidet er – wie der Titel schon sagt – insgesamt sieben Welträtsel, von denen er einige für grundsätzlich unlösbar hält:

  • 1. Das Wesen der Materie und Kraft
  • 2. Der Ursprung der Bewegung
  • 3. Die Entstehung der Empfindung
  • 4. Die Entstehung des Lebens
  • 5. Die zweckmäßige Einrichtung der Natur
  • 6. Das menschliche Denken und Sprechen.
  • 7. Die Willensfreiheit

Die ersten drei Welträtsel bezeichnete Du Bois-Reymond im Kantischen Sinne als transzendent, mithin prinzipiell unlösbar. Die der Entstehung des Lebens und der zweckmäßigen Einrichtung der Natur hielt Du Bois-Reymond dagegen für prinzipiell lösbar, wenn auch noch nicht für gelöst.[1] Die Fähigkeit des vernünftigen Denkens und die damit verbundene Frage nach dem Ursprung der Sprache sei ebenfalls grundsätzlich aufklärbar. Ob das Rätsel der menschlichen Willensfreiheit lösbar sei, ließ er hingegen offen, bemühte sich indes, dieses Rätsel – wie das der menschlichen Sprache – im Erklärungsrahmen eines psychologischen Determinismus aufzuklären.[2]

Du Bois-Reymonds Thesen erregten große Aufmerksamkeit und wurden sehr kontrovers diskutiert. Ernst Haeckels erfolgreichstes Buch „Die Welträthsel“ etwa ist eine Reaktion auf die Thesen du Bois-Reymonds.

Noch heute gibt es in der Philosophie des Geistes – und besonders in der Qualiadebatte – zahlreiche Reaktionen auf die Ignoramus-et-ignorabimus-Rede, da du Bois-Reymond das Bewusstsein für grundsätzlich unerklärlich hielt. Er behauptete:

Welche denkbare Verbindung besteht zwischen bestimmten Bewegungen bestimmter Atome in meinem Gehirn einerseits, andererseits den für mich ursprünglichen, nicht weiter definierbaren, nicht wegzuleugnenden Tatsachen 'Ich fühle Schmerz, fühle Lust; ich schmecke Süßes, rieche Rosenduft, höre Orgelton, sehe Roth ...' (Lit.: du Bois-Reymond, 1872)

Auf diese Argumentation wurde etwa von Peter Bieri (Zustimmung) und Hans Flohr (Ablehnung) Bezug genommen.

Anmerkungen

  1. Eisler: Wörterbuch der philosophischen Begriffe. Geschichte der Philosophie, Bd. 2, S. 721
  2. Kirchner/Michaelis, Wörterbuch der Philosophischen Grundbegriffe, Geschichte der Philosophie, S. 282

Literatur

  • Emil du Bois-Reymond: Über die Grenzen des Naturerkennens, 1872, Nachdruck u.a. in: Emil du Bois-Reymond: Vorträge über Philosophie und Gesellschaft, Hamburg, Meiner, 1974.
  • Ders.: Die sieben Welträthsel, 1880, Nachdruck u.a. in: Emil du Bois-Reymond: Vorträge über Philosophie und Gesellschaft, Hamburg, Meiner, 1974.
  • Weltanschauung, Philosophie und Naturwissenschaft im 19. Jahrhundert. Bd. 3: Der Ignorabimus-Streit, hg. v. Kurt Bayertz et al., Hamburg, Meiner, 2007.

Weblinks


Dieser Artikel basiert (teilweise) auf dem Artikel Ignoramus et ignorabimus aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Lizenz Creative Commons Attribution/Share Alike. In Wikipedia ist eine Liste der Autoren verfügbar.