Einseitigkeiten im Katholizismus und im Protestantismus

Aus AnthroWiki
Version vom 19. September 2018, 17:17 Uhr von imported>Michael.heinen-anders (Die Seite wurde neu angelegt: „"Wir sehen da, wie auf der einen Seite der Katholizismus steht mit seiner großen Gefahr, alles zu vermaterialisieren, alles in das zeitlich-materielle Gescheh…“)
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)

"Wir sehen da, wie auf der einen Seite der Katholizismus steht mit seiner großen Gefahr, alles zu vermaterialisieren, alles in das zeitlich-materielle Geschehen herunterzuholen, und wie auf der anderen Seite der evangelische Protestantismus steht mit der Gefahr der Atomisierung, die ja eben vermieden werden muß. Und das muß die große Frage sein in Ihren Bestrebungen: Wie wird die Atomisierung vermieden, daß jeder einzelne sein eigenes Bekenntnis hat, was zu der Unmöglichkeit einer Gemeinschaftsbildung führt - wie wird das vermieden? Denn dahin neigt alles dasjenige, was als ein überzeitlicher Akt aufgefaßt werden muß, der von jedem einzelnen erreicht werden kann; dadurch tragt die protestantische Kirche die Gefahr der Atomisierung in sich. Die katholische Kirche trägt die Gefahr in sich, daß sie das Bestehen des Einzelnen völlig zerstört, daß sie ihn nur als ein Glied des vermaterialisierten Christus-Prozesses gelten läßt. Die evangelisch-protestantische Kirche steht vor der Gefahr - in dem, was sie nun einmal geworden ist, was sie zur Zeit Luthers noch nicht war -, das Individuelle so weit zu treiben, daß jede Gemeinschaftsbildung unmöglich wird, so daß die Kirche in ihre Atome zerfällt, und daß es eine Seelsorge überhaupt nicht mehr wird geben können, daß die Kirche vor ihrer Auflösung, vor ihrer Nullität stehen müßte, und zwar müßte das bei der heutigen Lage sehr bald geschehen, wenn nicht irgend etwas gegen diese Richtung sich vollziehen würde. So haben wir auf der einen Seite die Vermaterialisierung, auf der anderen Seite die Verspiritualisierung. Beides sind große Gefahren für die Entwickelung des religiösen Lebens in der zivilisierten Welt. Und so stehen wir heute vor der Möglichkeit, daß auf der einen Seite jemand auftritt und als Katholik sagt: Die Kirche ist alles und an ihr darf nicht gerüttelt werden! -, und auf der anderen Seite jemand sagt: Die Kirche ist nichts!" (Rudolf Steiner, GA 343, S. 251f)