Künstliche Intelligenz

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Und so ein Hirn, das trefflich denken soll,
Wird künftig auch ein Denker machen.
                       Goethe, Faust II, Laboratorium

Statue von Alan Turing (1912-1954) an der University of Surrey

Künstliche Intelligenz (kurz KI), auch Artifizielle Intelligenz (eng. artificial intelligence; kurz AI) genannt, ist ein Teilgebiet der Informatik, das auf die maschinelle Automatisierung der Intelligenz mittels Computer abzielt. Namentlich im Bereich der kognitiven Intelligenz (z.B. Sprach- und Texterkennung, Objekterkennung, autonomes Fahren) wurden in den letzten Jahren große Fortschritte erzielt.

Die Bezeichnung „künstliche Intelligenz“ wurde erstmals 1955 von dem Logiker und Informatiker John McCarthy (1927-2011) in seinem Förderantrag[1] für das von ihm organisierte und am 13. Juli 1956 am Dartmouth College in Hanover begonnene sechswöchige Dartmouth Summer Research Project on Artificial Intelligence verwendet. An dieser Konferenz nahmen unter anderen auch Marvin Minsky, Nathan Rochester und Claude Shannon teil. Die Dartmouth Conference gilt seither als Gründungsveranstaltung der Forschung auf dem Gebiet der KI.

Basierend auf den Arbeiten von Alan Turing (1912-1954), unter anderem dem Aufsatz Computing machinery and intelligence, formulierten Allen Newell (1927–1992) und Herbert A. Simon (1916–2001) von der Carnegie Mellon University in Pittsburgh die „Physical Symbol System Hypothesis“, der zufolge Denken Informationsverarbeitung ist, und Informationsverarbeitung ein Rechenvorgang, eine Manipulation von Symbolen. Auf das Gehirn als solches komme es beim Denken nicht an: „Intelligence is mind implemented by any patternable kind of matter.“

Diese Auffassung, dass Intelligenz unabhängig von der Trägersubstanz ist, wird von den Vertretern der starken KI-These geteilt. Für Marvin Minsky (1927-2016) vom Massachusetts Institute of Technology (MIT), einem der Pioniere der KI, ist „das Ziel der KI die Überwindung des Todes“. Der Roboterspezialist Hans Moravec (* 1948) von der Carnegie Mellon University beschreibt in seinem Buch Mind Children (Kinder des Geistes) das Szenario der Evolution des postbiologischen Lebens: Ein Roboter überträgt das im menschlichen Gehirn gespeicherte Wissen in einen Computer, sodass die Biomasse des Gehirns überflüssig wird und ein posthumanes Zeitalter beginnt, in dem das gespeicherte Wissen beliebig lange zugreifbar bleibt.

Der KI-Pionier Raymond Kurzweil (* 1948), seit 2012 Leiter der technischen Entwicklung bei Google, erwartet, dass 2029 ein Computer erstmals den sog. Turing-Test bestehen und damit die künstliche Intelligenz menschliches Niveau erreichen und bald danach auch weit übertreffen werde. Über die Möglichkeit einer deratigen Superintelligenz und einer damit verbundenen „Intelligenzexplosion“ hatte erstmals schon 1965 der britische Mathematiker und Kryptologe Irving John Good (1916-2009), der unter der Leitung von Alan Turing an der Entschlüsselung des Funkverkehrs der deutschen Kriegsmarine mitgearbeitet hatte, spekuliert:

„Eine ultraintelligente Maschine sei definiert als eine Maschine, die die intellektuellen Fähigkeiten jedes Menschen, und sei er noch so intelligent, bei weitem übertreffen kann. Da der Bau eben solcher Maschinen eine dieser intellektuellen Fähigkeiten ist, kann eine ultraintelligente Maschine noch bessere Maschinen bauen; zweifellos würde es dann zu einer explosionsartigen Entwicklung der Intelligenz kommen, und die menschliche Intelligenz würde weit dahinter zurückbleiben. Die erste ultraintelligente Maschine ist also die letzte Erfindung, die der Mensch zu machen hat, vorausgesetzt, dass die Maschine fügsam genug ist, uns zu sagen, wie man sie unter Kontrolle hält.“

Irving John Good: Speculations Concerning the First Ultraintelligent Machine[2]

Heftig diskutiert wird die Frage, ob Maschinen mit künstlicher Intelligenz künftig auch Bewusstsein entwickeln können. Auf diese Möglichkeit hatte schon Samuel Butler (1835-1902) in seinem 1872 erschienenen utopischen Roman Erewhon (ein Anagramm des englischen Wortes nowhere „nirgendwo“) hingewiesen:

„Dass Maschinen heute nur sehr wenig Bewusstsein haben, bietet keine Sicherheit gegen die Entwicklung eines mechanischen Bewusstseins. Eine Molluske besitzt kaum Bewusstsein. Man bedenke die außerordentlichen Fortschritte, die die Maschinen in den letzten Jahrhunderten gemacht haben, und vergleiche dies mit dem langsamen Fortschritt im Tier- und Pflanzenreich! Im Vergleich mit der Vergangenheit entsprechen die komplexeren Maschinen gewissermaßen nicht so sehr den Schöpfungen von gestern, als denen von vor fünf Minuten. Nehmen Sie um des Arguments willen an, dass bewusstes Sein seit 20 Millionen Jahren existiert: Dann schauen Sie sich die großen Fortschritte an, die die Maschinen in den letzten tausend Jahren gemacht haben! Wird die Erde nicht noch weitere 20 Millionen Jahre existieren? Und wenn es so ist, was kann dann alles aus den Maschinen werden?“

Samuel Butler: Erewhon[3]

Hans Moravec entwarf 1988 in seinem Buch «Mind Children» die Vision eines künftigen posthumanen Zeitalters, in dem unsere „Geisteskinder“, die intelligenten Maschinen, das Menschengeschlecht abgelöst haben und sich mit ihrer alles überragenden Intelligenz und mit der detailierten Erinnerung an alles, was Menschen jemals gedacht haben, größeren Herausforderungen in den Weiten des Universums stellen werden:

„Was uns erwartet, ist nicht Vergessen, sondern eine Zukunft, die von unserem gegenwärtigen Aussichtspunkt am besten mit den Worten "postbiologisch" oder sogar "übernatürlich" beschrieben wird. Es ist eine Welt, in der die Menschheit von der Flut der kulturellen Veränderung hinweggefegt wurde, usurpiert von ihrer eigenen künstliche Nachkommenschaft. Die letzten Konsequenzen sind jedoch unbekannt, obwohl viele Zwischenschritte nicht nur vorhersehbar sind, sondern bereits stattgefunden haben. Heute sind unsere Maschinen noch einfache Erzeugnisse, welche die elterliche Fürsorge und schwebende Aufmerksamkeit eines Neugeborenen erfordern, kaum würdig des Wortes "intelligent". Aber im nächsten Jahrhundert werden sie zu Entitäten heranreifen, die so komplex sind wie wir selbst und schließlich zu etwas, das alles transzendiert, was wir wissen - auf die wir stolz sein können, wenn sie sich selbst als unsere Nachkommen bezeichnen.

Von der schleppenden Geschwindigkeit der biologischen Evolution entfesselt, werden die Kinder unseres Geistes frei sein, sich zu entwickeln, um sich immensen und fundamentalen Herausforderungen im größeren Universum zu stellen. Wir Menschen werden für eine Zeit von ihren Arbeiten profitieren, aber früher oder später, wie natürliche Kinder, werden sie ihr eigenes Glück suchen, während wir, ihre alten Eltern, still verblassen. Sehr wenig muss bei diesem Fackellauf verloren gehen - es wird in der Fähigkeit unseres künstlichen Nachwuchses liegen und ihm zum Vorteil gereichen, sich an fast alles über uns zu erinnern, vielleicht sogar in allen Details an die Arbeit des menschlichen Geistes.“

Hans Moravec: Mind Children. The Future of Robot and Human Intelligence.[4]

Siehe auch

Literatur

  • Ray Kurzweil: KI - Das Zeitalter der künstlichen Intelligenz, Carl Hanser Verlag 1993, ISBN 978-3446173750
  • John Searle: Die Wiederentdeckung des Geistes, Artemis & Winkler, München 1993, ISBN 978-3760819440
  • Marvin Minsky: The Society of Mind: Mentopolis, Klett-Cotta 1994, ISBN 978-3608931174
  • Roger Penrose: Shadows of the Mind: A Search for the Missing Science of Consciousness, Vintage Books, London 1995, ISBN 978-0099582113
  • Hans Moravec: Mind Children: The Future of Robot and Human Intelligence, Harvard University Press 1998, ISBN 978-0674576162
  • Hans Moravec: Computer übernehmen die Macht. Vom Siegeszug der künstlichen Intelligenz, Hoffmann und Campe, Hamburg 1999, ISBN 978-3455085754
  • Wolfgang Ziegler: Neuronale Netze, entwickler.press, eBook ASIN B0105UIJPC
  • Jeff Hawkins: Die Zukunft der Intelligenz: Wie das Gehirn funktioniert und was Computer davon lernen können, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 2006, ISBN 978-3499621673
  • Bernd Vowinkel: Maschinen mit Bewusstsein - Wohin führt die künstliche Intelligenz?, Wiley-VCH 2006, ISBN 978-3527406302, eBook ASIN B0096QYU4G
  • Ray Kurzweil: Das Geheimnis des menschlichen Denkens: Einblicke in das Reverse Engineering des Gehirns, Lola Books 2014, ISBN 978-3944203065, eBook ASIN B01348W39K
  • Ray Kurzweil: Menschheit 2.0: Die Singularität naht, Lola Books 2014, ISBN 978-3944203089, eBook ASIN B0112F25QI
  • Ray Kurzweil: Die Intelligenz der Evolution, KiWi-Taschenbuch 2016, ISBN 978-3462049428, Kiepenheuer & Witsch eBook, ASIN B01FENJJH2
  • Nick Bostrom: Superintelligenz: Szenarien einer kommenden Revolution, Suhrkamp Verlag 2016, ISBN 978-3518586846, eBook ASIN B00OTQKXJE
  • Paul Emberson: Maschinen und Menschengeist, The DewCross Centre for Moral Technology, Edinburgh 2013
  • Paul Emberson: Von Gondishapur bis Silicon Valley Band I, Etheric Dimensions Press, Schweiz und Schottland 2012
  • Paul Emberson: From Gondishapur to Silicon Valley, Volume II, Etheric Dimensions Press, Switzerland and Scottland 2014 (deutsche Übersetzung in Vorbereitung)

Einzelnachweise

  1. “A Proposal for the Dartmouth Summer Research Project on Artificial Intelligence” (McCarthy et al.:Förderantrag, August 1955, S. 1)
  2. „Let an ultraintelligent machine be defined as a machine that can far surpass all the intellectual activities of any man however clever. Since the design of machines is one of these intellectual activities, an ultraintelligent machine could design even better machines; there would then unquestionably be an „intelligence explosion“, and the intelligence of man would be left far behind. Thus the first ultraintelligent machine is the last invention that man need ever make, provided that the machine is docile enough to tell us how to keep it under control.“
    Irving John Good: Speculations Concerning the First Ultraintelligent Machine online
  3. „There is no security ... against the ultimate development of mechanical consciousness, in the fact of machines possessing little consciousness now. A mollusc has not much consciousness. Reflect upon the extraordinary advance which machines have made during the last few hundred years, and note how slowly the animal and vegetable kingdoms are advancing. The more highly organised machines are creatures not so much of yesterday, as of the last five minutes, so to speak, in comparison with past time. Assume for the sake of argument that conscious beings have existed for some twenty million years: see what strides machines have made in the last thousand! May not the world last twenty million years longer? If so, what will they not in the end become?“
    Samuel Butler: Erewhon; Or, over the Range, Chapter 23: The Book of the Machines, 1872
  4. „What awaits is not oblivion but rather a future which, from our present vantage point, is best described by the words "postbiological" or even "supernatural." It is a world in which the human race has been swept away by the tide of cultural change, usurped by its own artificial progeny. The ultimate consequences are unknown, though many intermediate steps are not only predictable but have alread been taken. Today, our machines are still simple creations, requiring the parental care and hovering attention of any newborn, hardly worthy of the word "intelligent." But within the next century they will mature into entities as complex as ourselves, and eventually into something transcending everything we know - in whom we can take pride when they refer to themselves as our descendants.
    Unleashed from the plodding pace of biological evolution, the children of our minds will be free to grow to confront immense and fundamental challenges in the larger universe. We humans will benefit for a time from their labors, but sooner or later, like natural children, they will seek their own fortunes while we, their aged parents, silently fade away. Very little need be lost in this passing of the torch - it will be in our artificial offspring's power, and to their benefit, to remember almost everything about us, even, perhaps, the detailed working of individual human minds.“
    Hans Moravec|Mind Children. The Future of Robot and Human Intelligence. Harvard University Press 1988, ISBN 978-0674576186, p. 1